Kitabı oku: «Die Füchsin», sayfa 2
4 Juni
Valerie klopft, wartet aber nicht auf ein Herein, bevor sie die Tür öffnet. Viktor sitzt hinter seinem riesigen, unaufgeräumten Schreibtisch. Das Büro ist angenehm kühl. Er erhebt sich und schließt sein zweifellos nicht von der Stange gekauftes Jackett, als sie eintritt.
Wie gut er aussieht, denkt sie.
Mit einem kaum unterdrückten Tadel in der Stimme sagt er: »Du hast es mal wieder geschafft, uns alle in Atem zu halten.«
Valerie verzieht die Lippen.
»Das hält dich so unverschämt jung.«
Sie strahlt ihn an. Sie weiß, dass er sich ärgert, wenn sie Termine nicht einhält.
Er geht drei Schritte auf sie zu, küsst sie auf den Mund und legt eine Hand besitzergreifend auf ihren Rücken. »Wann sehen wir uns mal wieder außerhalb dieses Büros? Ich könnte heute in der Stadt bleiben.«
Zu forsch für ihren Geschmack. Sie löst sich von ihm und nimmt Platz auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Das gibt ihr die nötige Distanz. Sie will sich nicht noch einmal mit ihm einlassen. Er war nichts als eine Affäre, redet sie sich ein, und doch hat die Trennung von ihm Spuren hinterlassen. Sie will nicht an seine Frau und seine Kinder denken. Ihr fällt dennoch die weiße Villa an der Elbchaussee ein, mit einem traumhaft schönen Blick auf die Elbe. Valerie hat kein schlechtes Gewissen. Sie lächelt. Ihre moralischen Standards sind nicht gerade antiquiert. Wenn sie ehrlich ist, zieht sie Affären mit verheirateten Männern vor. Sie reden nicht über ihre Eroberungen und gehen nach angemessener Zeit wieder. Nichts von Dauer.
»Wie geht es deiner Frau und den Kindern?«, fragt sie, statt seine Frage zu beantworten.
»Ich hab’s verstanden«, sagt er lächelnd. »Wie geht es deinem Katzenmann?«
Nur noch Katze, kein Mann, denkt sie. Sie antwortet nicht.
Er nimmt das neue Exposé vom Tisch. »Du bist ja fleißig. Ich lese es durch. Hat Ruth es schon gesehen?«
»Wir haben kurz darüber gesprochen.« Valerie weiß, wie viel Viktor von der Meinung seiner Cheflektorin hält. Ruth hat ein gutes Gespür für die Themen der Zeit und eine untrügliche Nase, was bei Valeries Leserinnen ankommt.
Er nimmt einen Bogen Papier aus einer Schublade und legt einen Füller darauf. Valerie unterschreibt einen weiteren Vertrag.
Viktor beobachtet sie beim Schreiben. Sie sieht bezaubernd aus, denkt er, und sie ist verdammt anziehend. Valerie ist eines der Zugpferde seines Verlages. Jedes ihrer Bücher wird zum Bestseller. Sie besitzt eine geschliffene Sprache, und ihre Texte sind voller Humor. Interessant ist die Diskrepanz zwischen den Romanen und den Artikeln, die sie in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht. Dort verwandelt sie sich in eine Zynikerin, die zweifelt, fragt und verblüffende Zusammenhänge aufdeckt. Er liest sie ausnahmslos.
»Danke«, sagt er, als sie das Papier über die Tischplatte reicht. »Sagst du mir etwas über den Inhalt?«
»Nein.«
Valerie erhebt sich. Der schmale Rock ihres ärmellosen Leinenkleides lässt nur die Fesseln sehen. Beim Gehen öffnet er sich bis zu den Knien. Viktor erhebt sich ebenfalls. Sie ist bereits an der Tür, als er sie erreicht.
»Lies es durch«, sagt sie, »und sag mir, was du davon hältst.«
Viktor nimmt ihre Hand und haucht einen Kuss darauf.
»Mach ich. War schön dich zu sehen.«
Valerie verlässt das Verlagshaus. Sie geht langsam den Harvestehuderweg entlang. Zu ihrer Linken glitzert die Alster im Sonnenlicht. Segelboote.
Eine Postkarte, denkt sie, biegt in die Alsterchaussee ein, überquert den Mittelweg und läuft bis zur Hallerstraße. Die Gärten und Häuser nimmt sie kaum wahr. Am U-Bahnhof gibt sie auf. Die neuen Riemchensandalen drücken und sind nicht halb so bequem, wie sie aussehen.
»Paulsenplatz«, ächzt sie, wirft sich in die Polster des Taxis und löst die Riemchen an ihren Füßen.
»Bleibt es dabei?« Der Taxifahrer grinst.
»Versprochen«, sagt sie.
Den Nachmittag verbringt sie auf dem Balkon. Die Pflanzen duften und glänzen vor Nässe. Sie träumt von einem kühlen Glas Wein, einem Stück Käse am Abend nur mit ihrer Katze. Aber sie ist mit Ruth verabredet.
Valerie trifft ihre Freundin in der weiten Halle, in der auch die Lesung vor einigen Tagen stattgefunden hat. Ruth hat Karten für ein afrikanisches Tanztheater in der Fabrik. Tanz interessiert sie nicht, sie geht ihrer Freundin zuliebe mit. Ruths Armreifen klirren, wenn sie ihr Glas zum Mund führt. Sie stehen an der Theke, wo man in der Pause oder nach der Vorführung ein Glas Wein oder Prosecco trinken kann.
»Erwartest du jemanden?« Ruth sieht sich um.
»Nein. Wie kommst du darauf?«
»Weil du mich den ganzen Abend über noch nicht angesehen hast. Stattdessen hast du diesen suchenden Blick.«
Valerie hat tatsächlich an ihn gedacht. Vielleicht kommt er ja öfter hierher?
Sie spürt eine leichte Wärme auf den Wangen und beschließt, die halbe Wahrheit zu erzählen. Dann denkt sie, dass es überhaupt keine Wahrheit gibt, keine halbe und auch keine ganze. Unwillig über sich selbst schüttelt sie den Kopf.
»Also was ist?« Ruth lässt nicht locker.
»Gar nichts. Ich habe bei der Lesung neulich hier einen Mann gesehen.«
»Aha.« Ruths Brauen fahren interessiert in die Höhe. Armreifen und Ketten klingeln bei jeder Bewegung.
Sie sieht aus, als habe sie sich für diesen Abend mit bunten Perlen und Reifen folkloristisch aufgepeppt, aber es steht ihr gut. Ruth kann alles tragen, und sie ist unbestreitbar sexy. Kein Mann, der nicht einen Blick riskiert, denkt Valerie.
Sie sieht an ihrem eigenen schlichten schwarzen Kleid hinab. Dazu trägt sie eine lange schmale Silberkette und rote Pumps. An ihr klingelt nichts. Sie lächelt. Ruth sendet Signale an ihre Umgebung: Hey Leute, hier spielt die Musik. Und das tut sie mit Erfolg.
»Er war etwa zwei Jahre alt«, sagt Valerie jetzt »und saß auf dem Schoß seines Vaters. Ich nehme jedenfalls an, dass es sich um den Vater handelte. Keine Ahnung, wir haben nicht miteinander gesprochen.«
Sie weiß nicht, warum sie Ruth verschweigt, dass sie doch miteinander gesprochen haben. Es ist nicht wichtig, denkt sie. Warum kann sie sich dann an jedes Wort erinnern? Adam und Ben.
Ruth, denkt sie, hat nicht besonders viele Freunde, aber ganze Rudel von Bekannten. Sie weiß nicht mehr, wie oft ihre Freundin heute schon gegrüßt worden ist. Ruth kennt Gott und die Welt, weiß aber ihr Privatleben sehr sorgfältig zu schützen. Allerdings kann sie mit Gefühlen besser umgehen als sie selbst.
Valerie fällt plötzlich ein, dass sie ihre Kolumne für eine Zeitschrift nicht länger aufschieben kann. Die Redaktion braucht ihren Text morgen, und sie hat noch nicht einmal damit angefangen. Ausgerechnet über Gefühle soll sie schreiben.
»Ich muss gehen.«
In Gedanken ist sie schon bei der Arbeit, die vor ihr liegt. Valerie lässt sich von Ruth in den Arm nehmen, eine Körperlichkeit, die sie nur wenigen erlaubt. Diese künstliche Herzlichkeit hat ihr nie gefallen.
5 Juli
Adam studiert alte Rezepte. In der Nacht, wenn Ben fest schläft, sitzt er über seinen Büchern. Sein kostbarster Besitz ist ein abgegriffenes schwarzes Büchlein mit der schlichten Aufschrift Gift-Buch. Kein gedrucktes Buch, sondern eine Kladde, handgeschrieben von 1534. Er liest: Steppenraute, Tollkirsche, Quecksilber, Giftpilze, Geifer und Galle von Gifttieren. An Betäubungsmitteln (medicinae stupefactoriae) nennt der Verfasser: Bilsenkraut, Alraune, Opium, Giftlattich und Mohn; diese töten nur bei Überdosierung. Sehr beruhigend, denkt er.
Adam schaut auf, als Bella ein leises Knurren von sich gibt. In den Julinächten wird es nicht wirklich dunkel. Adam legt sein Heft zur Seite und tritt ans geöffnete Fenster. Vielleicht ein Fuchs oder ein anderes Tier, das sich an seinem Haus vorbeistiehlt. Bella sieht aufmerksam zu ihm auf.
Ist da ein Schatten, eine verstohlene Bewegung? Eine Weile bleibt er noch am Fenster stehen, aber nichts rührt sich.
»Da ist nichts, Bella«, sagt er.
Die Hündin trottet zurück zum Tisch und lässt sich seufzend auf den kühlen Steinboden fallen. Adam nimmt eine angebrochene Flasche Gavi aus dem Kühlschrank, schenkt sich ein Glas ein und geht damit an den Küchentisch. Er setzt die Kopfhörer auf und lauscht dem unfassbar süßen Sopran der Sängerin: »Porgi Amor … Hör mein Flehn, o Gott der Liebe …«
Er denkt an die Frau ohne Namen. Sie hat sich in seine Seele gebrannt. Immer wieder hört er sie leise lachen. Sieht ihren forschenden Blick.
Seit er Ben bei sich hat, ist Adam oft allein. Es überrascht ihn, wie sehr ihm dieses Leben gefällt. Sein Handy leuchtet auf. Christina! Auf dem Bildschirm erscheint ihr Gesicht. Das Foto hat er selbst gemacht. Sie lacht ihn an, ihr langes Haar flattert im Wind und verschwimmt im gleißenden Gelb des Rapsfeldes im Hintergrund. Er hat sie nicht vergessen, sie passt nur nicht mehr in sein Leben. Keine Frau der Welt hält einen Mann aus, auf dessen Hüfte oder Schultern über Wochen ein kleines Kind hockt. Das hat sie ihm bei ihrer letzten Begegnung sehr deutlich gemacht. Er setzt die Kopfhörer ab und nimmt den Anruf an.
»Adam, bist du das?« Ihre Zunge stolpert.
Sie ist betrunken, denkt er. »Christina.«
»Ich will dich wiedersehen.«
Er denkt an die letzten Auseinandersetzungen. »Ich glaube, das ist keine gute Idee.«
»Aber ich vermisse dich.«
Dieses andere Gesicht schiebt sich über das Christinas, nicht so jung, aber faszinierend. Das Gesicht einer Frau, die so präsent ist wie keine, die er kennt. Er hört sie leise lachen, die Namenlose. Ihr glänzendes Haar. Sein Puls beschleunigt sich.
»Adam, bist du noch dran?«
»Was?«
»Ich könnte morgen zu dir rausfahren. Lass uns reden.«
Er gibt nach. Dann legt er auf. Es ist fair, denkt er, mit ihr zu reden.
Adam starrt auf das Handy. Eigentlich weiß er, dass es nichts mehr zu sagen gibt. Als er aufschaut, steht Ben in der geöffneten Küchentür.
Adam nimmt den Jungen auf den Arm und geht mit ihm zum Fenster. Sie sehen beide hinaus auf die Apfelwiesen. Ein durchsichtiger Schleier aus Dunst liegt über allem. Die frühen Äpfel sind reif.
»Morgen pflücken wir Äpfel, Ben.«
Der Junge nickt verständig.
»Und jetzt gehen wir beide schlafen.«
Adam legt Ben in das altmodische Doppelbett, in dem seine Eltern schon geschlafen haben. Als er ins Bett kriecht, spürt er Bens tastende Hand auf seinem Gesicht. »Ich bin da, mein Kleiner.«
Gleich darauf hört er Bens ruhige Atemzüge.
Auf dem Dielenboden leises Klacken von Bellas Krallen. Ein Mann, ein Junge und ein kleiner Hund. Mit den Gedanken an die Arbeit morgen schläft er ein.
Das Rattern des Traktors weckt Adam in der Frühe. Er hält direkt vor der Haustür.
Das muss Hannah sein. Hannah ist Hinnerks Tochter. Sie ist neunzehn. Ein hübsches, kräftiges Mädchen, das nie weit über die Marsch hinausgekommen ist. Sie ist eigenwillig und wissbegierig. Ihr Vater hält sie für schwer erziehbar. Seit dem Tod der Mutter versorgt sie ihren Vater und hilft Adam bei der Ernte. Hinnerk ist ihm dankbar, dass er seine Tochter beschäftigt. Hannah kennt sich aus mit Pflanzen und weiß, wie man Äpfel pflückt, ohne den Baum zu beschädigen. Allerdings ist ihm ihre Anhänglichkeit manchmal zu viel.
Leise steht er auf. Ben schläft zusammengerollt wie ein Welpe. Adam steigt in seine Hosen und läuft barfuß zur Tür.
Hannah schenkt ihm ein strahlendes Lächeln. Der Wind zerrt an ihrem weiten Blaumann und reißt ihr fast das Tuch vom Kopf. »Moin, Adam.«
»Moin, Hannah.«
Er hebt den Kopf. Weiße Sommerwolken ziehen schnell über den Himmel. »Wenn wir Glück haben, hält das Wetter.« Adam begrüßt auch die beiden Männer, die vom Traktor springen.
»Piet, Jan.«
»Moin.«
»Fangt auf der hinteren Wiese an und nehmt den Hänger aus der Scheune. Ich bin in einer halben Stunde bei euch.«
Ben wird gleich aufwachen. Adam geht in die Küche, setzt Kaffeewasser auf und nimmt Joghurt und Milch aus dem Kühlschrank. Danach schält er einen Apfel und schneidet ihn in kleine Stücke. Die Milch füllt er in einen Becher. Joghurt und Apfelstücke mischt er in einer Schüssel und gibt eine Handvoll Rosinen darüber.
»Dada!« Ben nennt ihn selten beim Namen.
Adam lächelt. Dada klingt wie eine Mischung aus Papa und Adam.
»Moin, Kleiner. Ausgeschlafen?« Er nimmt Ben auf den Arm und geht mit ihm ins Badezimmer. Die Windel ist seit ein paar Tagen trocken. Er wagt nicht, es anzusprechen, deshalb fragt er ihn: »Möchtest du eine neue Windel haben?«
»Ne!« Ben schüttelt energisch den Kopf.
»Gut.« Adam nimmt Bens winzige Latzhosen und hilft ihm beim Anziehen.
»Apfel flücken?« Ben schaut ihn fragend an. Er hat es nicht vergessen, und er hat gesprochen.
Das wird ein guter Tag, denkt Adam.
»Erst frühstücken, dann arbeiten«, sagt er.
6 Juli
Valerie bezahlt den Chauffeur und steigt aus dem Taxi. Die Front des Hauses ist erleuchtet. Sie fragt sich, ob das nötig ist und beantwortete sich die Frage gleich selbst mit einem klaren Nein. Es gibt ein Wort dafür: Lichtverschmutzung.
Die Mauern der beiden ersten Etagen sind cremefarben gestrichen und noch ohne Graffiti, die oberen drei leuchten in einem kräftigen Rot, nur unterbrochen von weißen Fensterrahmen. Es ist ein schönes altes Mietshaus. Vier kleine Balkone, schwarz umgittert, hängen an der Vorderseite. Ihr Balkon, sie hat Glück, hängt an der Seite. Von dort hat sie den Blick auf einen begrünten Platz mit hohen Bäumen, einem Kinderspielplatz und den Eingang. Sie bleibt einen Moment auf dem gepflasterten Vorplatz stehen. Nur zwei Wohnungen sind noch beleuchtet. Ihre eigene im zweiten Stock und die darunter, in der das junge, ewig streitende Paar wohnt.
Sie kramt in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel, schließt auf und tastet nach dem Lichtschalter. Dann hört sie Lärm. Sie bleibt stehen und lauscht. Sekunden später wird über ihr eine Tür aufgerissen. Der junge Mann aus der Wohnung im ersten Stock rennt, ohne sie wahrzunehmen, an ihr vorbei. Langsam steigt Valerie die Stufen hinauf. Wieder bleibt sie stehen. Sie hört die Frau schluchzen. Soll sie fragen, ob sie Hilfe braucht? Valerie seufzt. Sie möchte nichts als einen ruhigen Abend, den sie nutzen will, um ihren Artikel zu schreiben. Ihr Finger legt sich ganz ohne ihren Willen auf die Klingel neben dem Schild, das verkündet, dass hier Klaus Weber und Katja Vogel wohnen. Webervogel, Valerie lächelt. Das Schluchzen im Innern der Wohnung wird leiser und verstummt. Eine belegte Frauenstimme fragt: »Wer ist da?«
»Valerie. Ich wohne im zweiten Stock. Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein, gehen Sie!«
»Gute Nacht.« Valerie kommt sich dämlich vor. Aber sie kann verstehen, dass Katja sich in dem Zustand, in dem sie sich zweifellos gerade befindet, nicht zeigen will. Als sie ihre Wohnungstür öffnet, streicht die Katze maunzend um ihre Beine.
»Ich hab dich zu lange alleine gelassen.«
Magnus hat der Katze keinen Namen gegeben. Sie tauft sie auch nicht. Sie denkt an Frühstück bei Tiffany. In dem Film wird der Kater auch nur Kater gerufen.
Valerie öffnete eine Flasche Barolo. Sie gießt sich ein Glas ein und setzt sich an ihren Schreibtisch. Der erste samtige Schluck. Auch der Wein, wie die Katze, Magnus‹ Hinterlassenschaft. Die Katze liegt auf dem Tisch neben dem Laptop und starrt sie aus ihren schönen Augen an. Valerie denkt an den wunderbaren ersten Abend mit Magnus. Er hat sie überrascht, damals. Nicht daran denken, befiehlt sie sich. Mach deinen Artikel fertig. Sie öffnet den Computer, richtet die Seite ein und schreibt.
Wo wir fühlen, was wir fühlen.
Immer mehr Neurowissenschaftler beschäftigen sich inzwischen mit der Frage, wo sich der Sitz der Emotionen befindet, und glauben Sie mir, die Antwort ist nicht das Herz. Herz, Gefühl und Liebe haben nichts miteinander zu tun. Wenn Ihr Herz schneller klopft, wenn Sie den Liebsten sehen, heißt das nicht, dass die Liebe dort ihren Platz hat, Ihr Herz klopft auch schneller, wenn Ihnen die S-Bahn vor der Nase wegfährt oder Sie in Hundescheiße treten. Schuld an Ihren Gefühlen sind bestimmte Hirnregionen, nichts weiter …
Man könnte sogar sagen, dass die Liebe ihren Sitz in der Niere hat …
Als Folge des Verliebtseins treten alle anderen Gefühle in den Hintergrund. Die Stimmung ist gehoben, eine Vielzahl von Botenstoffen verändern ihre Konzentration in Gehirn und Körper. So erhöht das während der Verliebtheit im Nebennierenmark ausgeschüttete Adrenalin direkt den Puls. Herzklopfen …
Hier wandern ihre Gedanken doch wieder zu Magnus:
Wildtaube mit Honig und Pappardelle an weißer Trüffel. Magnus ist überwältigend, wenn er unangemeldet vor der Tür steht. In einer Hand ein Blumenstrauß von der Größe eines Kleinwagens, in der anderen eine Tüte von Le Beau Voisin, einem angesagten Franzosen in Winterhude. Der Wein ist aus Italien. Er bewegt sich in ihrer Küche, als sei es seine eigene.
Sie schließt die Augen. Aber nicht Magnus‹ vertrautes Gesicht erscheint, sonders das Adams, den sie nicht kennt. Wer bist du?
Ihr Puls beschleunigt sich. Sie steht auf, um sich noch ein Glas Wein zu holen. Als sie zurückkommt, liegt die Katze auf ihrer Tastatur und schnurrt mit der defekten Lüftung um die Wette. Valerie hat den Text nicht gesichert. Der Bildschirm ist schwarz, die Katze hat den Text gelöscht.
Auch das, denkt sie, lässt das Herz schneller schlagen.
Sie muss noch einmal von vorne beginnen. Valerie schüttelt die Pumps von den Füßen und setzt sich ein zweites Mal vor den Computer. Die Katze sieht sie vorwurfsvoll an, als Valerie ihr den Platz streitig macht und sie auf den Fußboden setzt.
»Böse Katze. Du kannst froh sein, wenn ich deine Dosen noch öffne.«
Valerie setzt sich ihre riesige Brille auf die Nase und legt die Finger auf die, jetzt katzenfreie, Tastatur. Zwei Stunden später, es ist zwei Uhr in der Nacht, schickt sie den fertigen Text an die Redaktion der Zeitschrift Herz und Hirn.
Sie weiß, dass Bruno ihre Texte zwar schätzt, weil die Leserinnen sie lieben, persönlich aber verabscheut. Sie entspricht nicht dem idealen Frauenbild, das der Redakteur pflegt. Mit ihr kann er nicht umgehen, er hält sie für eine ausgemachte Zynikerin. Valerie lehnt sich zurück und streckt sich, die Brille legt sie neben den Laptop.
Sie tritt hinaus auf den Balkon. Die Nacht ist lau, und die weißen Blüten ihrer Kräuter leuchten in der Dunkelheit. Sie streicht über die raublättrige Minze, prompt erreicht sie ihr unverwechselbarer zarter Duft. Unter ihr rauscht es leise in den Kronen der Bäume, die ein fast undurchdringliches Dach über dem Spielplatz bilden. Sie zögert einen Moment. Dann entschließt sie sich, obwohl der Wind zunimmt, auf dem Balkon zu schlafen. Das tut sie manchmal, wenn das Wetter es zulässt. Ein Vogel piepst im Schlaf. Die Geräusche der Stadt werden leiser, nur noch wenige Autos sind unterwegs. Bis sie einschläft, lauscht sie dem Schnurren der Katze auf ihrem Bauch. Regen, den der Wind unter die Überdachung treibt, weckt sie.
»Verdammt!«
Sie sammelt Kissen und Decke zusammen und flüchtet.