Kitabı oku: «Die Füchsin», sayfa 3
7 Ende Juli
Adam horcht auf das Gewitter. Draußen tobt der Sturm, zerrt an den Bäumen und treibt Zweige und kleine heruntergefallene Äste vor sich her. Ein Fensterladen klappert verdächtig. Hoffentlich hält er. Ben sitzt im Schlafanzug auf seinem Kinderstühlchen am Küchentisch. Er schiebt ein Holzauto hin und her und macht die entsprechenden Brummgeräusche. Christina sitzt ihm gegenüber. Ben beachtet sie nicht. Er antwortet auch nicht, wenn sie ihn anspricht. So hat sie sich ihren Besuch auf dem Lande wohl kaum vorgestellt.
Kurz vor dem Gewitter war sie auf den Hof gefahren. In ihrem weißen kurzen Sommerkleid und den Highheels eine wahre Augenweide. Jan und Piet haben sie angestarrt wie eine Erscheinung. Hannah hat sie übersehen, wie nur Frauen es können. Ben wollte auf seinen Arm und verhinderte damit eine innige Begrüßung. Dann der erste Donnerschlag und innerhalb von Sekunden Starkregen. Christina schaffte es, trocken ins Haus zu flüchten. Er selbst half Hannah und den beiden Männern, die schweren Apfelkisten in der trockenen Scheune zu stapeln. Ben und er sind klitschnass geworden.
Nach einer Dusche steht Adam jetzt am Herd und backt Pfannkuchen. Zum Warmhalten schiebt er sie in den Backofen. Er spürt Christinas Blicke hinter sich. Sie haben bis jetzt noch nicht viel geredet.
Christina nimmt eine Flasche Rotwein aus ihrer Tasche. »Wo ist der Öffner?«
Adam reicht ihn ihr. »Soll ich das machen?«
»Nein, geht schon.«
Mit einem leisen Plopp zieht sie den Korken aus der Flasche. Sie stellt sich neben ihn an den Herd, weit genug entfernt, wegen der Fettspritzer, und hält ihm ein Glas Wein entgegen.
Adam schüttelt den Kopf. »Nein, danke. Noch nicht. Ich will erst Ben ins Bett bringen.«
»Ist er behindert?«
»Was?«
»Er spricht nicht.«
Adam verharrt einen Moment mit der Kelle in der Hand. »Er heißt Ben.«
»Warum spricht er nicht mit mir?«
Adam lächelt. »Ich weiß es nicht. Vielleicht stellst du ihm nicht die richtigen Fragen.«
Er dreht sich zu Ben. »Ben, möchtest du einen Pfannkuchen?«
Ben nickt. »Ja«, sagt der, »mit Honig.«
»Vielleicht solltest du ihm mal beibringen, dass es höflich ist, Erwachsenen zu antworten.«
Adam spürt Zorn in sich aufsteigen, unangemessenen Zorn, er muss sich beherrschen. Er fragt sich, seit wann sie Expertin in Kindererziehung ist. Statt ihr diese Frage zu stellen, sagt er so gleichmütig wie möglich: »Höflich kann er später, meinst du nicht?«
»Wenn du glaubst.« Sie tritt ans Fenster und schaut hinaus in den Regen.
Adam backt den letzten Pfannkuchen, schiebt die Pfanne von der heißen Platte und holt den Teller mit dem Stapel Pfannkuchen aus dem Backofen. Er nimmt ein Glas Honig, drei Teller und Besteck und trägt alles an den Tisch.
Christina setzt sich und schenkt sich zum x-ten Mal Wein nach. Seinen Wein hat sie auch getrunken. Sie kichert und wirkt ziemlich beschwipst. »Pfannkuchen«, sagt sie, »habe ich zuletzt gegessen, als ich sechs Jahre alt war.«
In seine Gedanken schiebt sich die Frau ohne Namen. Wo mag sie gerade sein, die Füchsin? Wann hat sie zuletzt Pfannkuchen gegessen? Wenn er doch wenigstens ihren Namen wüsste.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
Er sieht Christina an. »Entschuldige, ich war in Gedanken bei dem Tag morgen«, lügt er. »Was hast du gesagt?«
»Bei diesem Wetter kann ich nicht fahren. Ich werde hier übernachten müssen.«
»Ja, natürlich. Ich habe genügend Platz. Du darfst dir ein Zimmer aussuchen.«
Er sieht ihr an, dass sie diese Antwort nicht erwartet hat.
»Aber, Liebling, ich kann doch bei dir schlafen. Ich will dich, Adam, ich will dich wiederhaben. Lass uns nochmal von vorne anfangen.«
Sie ist anziehend und bildhübsch, aber Adam spürt, dass ihr Zauber ihn nicht mehr erreicht. Sie hat sich von ihm getrennt, nicht zuletzt wegen Ben. Als seine Schwester starb und er Christina erklärte, dass er den Jungen zu sich nehmen würde, hatte sie keine Begeisterung gezeigt.
»Bitte, lass mich bei dir bleiben.«
Er möchte, dass sie aufhört, ihn anzubetteln. Er möchte nicht, dass sie sich weiter demütigt.
»Lass gut sein, Christina. Der Platz neben mir ist nicht mehr frei.«
Für einen Moment ist sie fassungslos. »Wer …?«, fragt sie. »Ist es dieses Mädchen?«
»Hannah, meinst du? Nein, nicht Hannah. Lass uns nachher reden. Ich bringe jetzt diesen jungen Mann ins Bett.«
Adam spürt ihren Blick. Er steht auf, nimmt Ben auf den Arm und verlässt die Küche. Seine Gedanken sind nicht bei dem Bilderbuch, das er sich mit Ben ansieht. Gute Nacht, Gorilla, die abendliche Bettlektüre.
Du hättest Christina nicht kommen lassen dürfen, denkt er. Er hat eine Hoffnung in ihr geweckt, die er nicht erfüllen will. Adam streicht Ben über die Haare. Du bist so tapfer, mein Kleiner.
»Gorilla schläft«, sagt Ben und deutet auf sein Bilderbuch.
»Ja«, sagt Adam, »und Ben schläft jetzt auch.«
Christina steht am Fenster. Sie dreht sich zu ihm um, als er die Küche betritt. »Also wer ist es?«
Jetzt schenkt Adam sich ein Glas Wein ein. Christina hat eine zweite Flasche geöffnet. Er will sie nicht verletzen, aber er muss ihr klar machen, dass er sich um seine anderen Lebensumstände und, noch wichtiger, um Ben kümmern muss.
»Ich will keine Beziehung, Christina, es hat nichts mit dir zu tun.« Adam nimmt einen Schluck Wein und stellt das Glas auf den Tisch. »Ich will den Hof erhalten …«
»Aber das kannst du doch auch, wenn wir zusammen sind.« Ihre Zunge gehorcht ihr schon eine Weile nicht mehr. »Du hast doch keine Ahnung von Kindererziehung, der Junge ist sicher in einem guten Kinderheim besser aufgehoben als auf einem schmutzigen Apfelhof.«
Sie sieht ihn so flehend an, dass er sich für sie schämt. Das hat sie nicht nötig, verdammt noch mal! Sie macht es ihm wirklich schwer. Wenn sie wieder nüchtern ist, wird sie sich selbst und ihn hassen. Genau das, was er vermeiden will. Adam fragt sich verzweifelt, wie er sie in ein Bett kriegen soll, das nicht sein eigenes ist. Inzwischen ist sie ziemlich hinüber. Er hofft, dass sie morgen nichts mehr von dem weiß, was sie heute Nacht gesagt hat.
»Komm, ich zeig dir, wo du schlafen kannst.« Adam trägt sie ins Zimmer seiner Schwester. Christina ist schwerer, als er vermutet hat.
Willig, wie ein kleines Mädchen, hebt sie die Arme, als er ihr das Kleid über den Kopf zieht.
»Komm ins Bett«, flüstert sie und schlingt die Arme um seinen Nacken.
8 Juli
Valerie wird vom Telefon geweckt.
»Was haben Sie sich denn dabei gedacht?« Bruno legt sofort los: »Müssen Sie denn alles ins Lächerliche ziehen?«
Einen Moment lang herrscht Stille im Äther.
»Hören Sie mich, Valerie?«
»Ich höre Sie sehr gut, Bruno, Sie sind ja laut genug.«
Sie zieht das Laken vom Körper und schwingt die Beine aus dem Bett. Während sie aufsteht, stellt sie den Lautsprecher an und tapst schlaftrunken ins Bad.
Sie hat nichts anderes erwartet. Bruno, der Herausgeber der Zeitschrift Herz und Hirn hat Probleme mit ihrem Stil. Zu männlich, zu zynisch. Und wären seine Mitarbeiter nicht so vehement für alles, was sie schreibt, hätte sie keine Chance. Auch die Leserbriefe, die auf seinem Schreibtisch landen, sprechen dafür, sie weiter zu beschäftigen. Der Redakteur in ihm muss sie beschäftigen, der Privatmann Bruno lehnt sie ab. Ein Dilemma. Sie lächelt sich im Spiegel über dem Waschbecken zu.
»Bruno, wenn Sie den Artikel nicht bringen wollen, ich finde eine andere Redaktion.«
»Sie könnten ihn umschreiben. Etwas weniger Gehirn, etwas weniger Zynismus, etwas mehr Gefühl, Sie sind doch eine Frau.«
Valerie stöhnt. Jedesmal, also im Drei-Monats-Takt, dieselbe Diskussion.
»Was meinen Sie mit: Sie sind doch eine Frau?«
Sie sieht förmlich, wie er sich die Haare rauft.
»Als Frau müssten Sie doch, ich meine, also …«
»Sanfter sein?«, hilft sie ihm auf die Sprünge.
»Ja, genau, Sie schreiben wie ein Mann.«
Sie hält kurz die Luft an. Oh nein, nicht die Nummer.
»Und Sie meinen, wenn ich ein Mann wäre, dürfte ich so schreiben, als Frau jedoch nicht?«
Sie hat ihn. Er ist sprachlos.
»Nein«, stottert er. »Ich meine ja nur, dass Sie etwas weniger zynisch …, meine Frau …«
Sie kennt Mira, seine Frau. Sie kann sich nicht gegen ihn durchsetzen, scheut Auseinandersetzungen, ist aber begeistert, wenn jemand anderes Bruno Paroli bietet. Bruno fürchtet, dass ihre Artikel sein schönes Weltbild von zarten Frauen ins Wanken bringt. Und er fürchtet, nicht ganz zu Unrecht, dass Mira von ihren Ansichten angetan ist, ja, dass seine gehorsame Frau Valeries Ansichten inzwischen teilt.
»Was tun Sie da, was ist das für ein Geräusch?«
»Ich putze meine Zähne.« Valerie spuckt Zahnpasta ins Waschbecken.
»Und jetzt brauche ich Kaffee. Machen Sie mit dem Text, was Sie wollen, Bruno, und grüßen Sie Mira von mir.« Sie weiß, wie sehr er es verabscheut, wenn eine Frau zu burschikos ist. Eine Frau muss Kinder gebären und hat sanft zu sein. Sie hat ihn einmal schwadronieren hören: »Eine Frau ist für mich keine Frau, wenn sie kinderlos ist.«
Dabei hat er sie angesehen. Seine unglückliche Frau musste Jahre auf das erste Kind warten, ein Mädchen, und bekam dann in schneller Folge drei weitere.
Valerie ahnt, wie sehr Mira unter ihm leidet, körperlich wie seelisch. Aber Mira spricht nicht über ihre Ehe.
Valerie löffelt Kaffeepulver in einen Becher und gießt heißes Wasser und kalte Milch dazu. Die Katze bekommt eine Handvoll Trockenfutter und frisches Wasser. Der Balkon ist noch feucht vom nächtlichen Gewitter. Sie lehnt sich ans Geländer und saugt den intensiven Duft von Lavendel und Thymian ein. Der Spielplatz unter den Bäumen liegt verwaist. Über ihr, in der dritten Etage, toben die Zwillinge, zwei Buben. Sie fragt sich, ob diese Kinder jemals schlafen. Der Lärm stört sie nicht, aber sie beneidet die Eltern nicht um die beiden.
Aus dem ersten Stock dringt noch kein Laut. Das Paar hat sich wohl wieder versöhnt, bis zum nächsten Streit.
Ihr Smartphone stöhnt, ein Ton, den sie ihrer Mutter zugeordnet hat.
»Da gehen wir nicht dran«, sagt sie zur Katze. Gleich darauf das Festnetz.
»Ich weiß, dass du zu Hause bist, Valerie. Geh bitte ans Telefon. Es ist wichtig.« Es ist immer wichtig, wenn Grace anruft.
Statt den Anruf anzunehmen, öffnet sie ihre Mails. Nur eine scheint interessant zu sein. Eine Einladung zu einem TV-Interview. Darüber muss sie nachdenken. Viktor wäre begeistert, wenn sie annähme. So kurz vor Erscheinen ihres neuen Buches wäre das die ideale Werbung. Viktor hat viele Kontakte. Hat er die Werbung lanciert? Egal. Sie macht sich einen zweiten Becher Kaffee und setzt sich an ihren Schreibtisch, wie jeden Morgen.
Sie starrt auf die leere Seite. Der Roman, den sie begonnen hat, ist anders als seine Vorgänger. Das Smartphone neben ihr stöhnt wieder. Sie schaltet es auf stumm. Es fällt ihr schwer, sich zu erinnern, in die eigene Vergangenheit einzutauchen, wenn die Frau, die ihr diese Vergangenheit beschert hat, immer wieder anruft. Wenn ihre Mutter nicht …
Valerie merkt, dass sie eine Schuldige sucht. Immer wieder kommt sie an diesen Punkt, obwohl sie weiß, sie wird sich von Grace nicht lösen, solange sie ihr die Verantwortung für ihr Leben in die Schuhe schiebt. Sie hat sich lange verboten, bestimmte Dinge zu denken. Verdrängen hilft nicht. Vielleicht kann sie, indem sie darüber schreibt, mit der Vergangenheit abschließen? Vielleicht hören die Albträume dann endlich auf, und die Angstattacken?
Ein leiser Schrei, ein zerknittertes Gesichtchen. Jahre ist das jetzt her. Sie war vierzehn, als ihre Mutter ihr den dritten Stiefvater bescherte. Grace erwartete stets von ihr, dass sie genauso angetan von jedem der Neuen war und ist wie sie selbst. Inzwischen hat Valerie vier Stiefväter und hofft, dass Grace es damit genug sein lässt. Die Ironie des Schicksals ist, dass sie ausgerechnet ihren biologischen Vater nie kennengelernt hat. Ihre Stiefväter haben diese Lücke mehr als ausgefüllt.
Haben sie das wirklich, oder redet sie sich das nur ein? Ich habe ihn nie vermisst, schreibt sie.
Valerie hebt den Kopf und sieht durch die offene Balkontür die Katze auf dem Gitter balancieren. Würde eine Katze einen Sturz aus dem zweiten Stock überleben? Ein Mensch sicher nicht.
Das Display ihres Handys öffnet sich. Mira, Brunos Frau, lächelt ihr entgegen. Valerie nimmt den Anruf an. Sie darf sich eine Pause erlauben. Tausend Wörter pro Tag hat sie sich verordnet. Ihr heutiges Pensum hat sie allerdings noch nicht geschafft. Sie sichert ihren Text und klappt den Laptop zu.
»Mira, du rettest mich.«
Miras helles Lachen. »Wovor?«
»Vor meinen Erinnerungen.«
»So schlimm?«
»Schlimmer.« Valerie lacht. »Nein, nicht wirklich. Ich denke an die vier Stiefväter, die Grace mir innerhalb der letzten dreißig Jahre präsentiert hat.«
»Die waren doch ganz nett?«
»Jedenfalls war keiner jemals so taktlos wie meine Mutter.«
»Möchtest du …«
»Nein, Mira, ich habe schon bei Ruth Dampf abgelassen. Sag mir lieber, warum du anrufst.«
Mira seufzt. »Können wir uns zum Lunch treffen?«
Im Hintergrund hört Valerie Kinderstimmen.
»Natürlich.« Valerie schiebt ihren Stuhl zurück und nimmt ihren leeren Becher mit zum Küchentresen. »Wo?«
»Im elv? Wenn es dir recht ist. Bei dem Wetter können wir draußen sitzen und eine Kleinigkeit essen.«
Zwei Stunden später sitzt Valerie mit ihrer Freundin auf der Terrasse des Restaurants an der Elbchaussee. Das Wasser der Elbe plätschert gemütlich gegen die Steine des Ufers. Valerie isst kanadischen Räucherlachs in Honig-Dill-Sauce mit Kartoffelrösti. Mira stochert in einem gemischten Salat mit gegrillter Hähnchenbrust. Sie macht tapfer die tausendste Diät, denkt Valerie. Für Bruno muss sie nicht nur Kinder gebären, sondern auch noch schlank sein. Ihr Blick wandert über den fast schmerzhaft silbrigen Strom zum anderen Ufer. Sie wühlt in ihrer Tasche, bis sie die Sonnenbrille findet.
»Also, sprich mit mir«, fordert sie ihre Freundin auf. »Was ist los?«
Mira legt die Gabel auf ihren Teller. »Er will noch ein Kind.«
Valerie hört auf zu kauen. »Bitte?«
»Du hast ganz richtig gehört. Vier sind drei zu viel. Und dann noch eins, das ist eine Zumutung.« Mira seufzt.
»Er kann dich kaum zwingen, Mira. Wach auf! Das ist doch auch deine Entscheidung.«
»Ja, aber …«
»Nix aber, ich würde ihn in seine Blütenblätter treten.«
Mira reißt die Augen auf und bricht in schallendes Gelächter aus.
»Bruno sollte mal eine Woche mit dir verheiratet sein.«
Valerie macht eine abwehrende Geste. »Lieber nicht. Wir hatten heute schon das Vergnügen. Eine heftige Auseinandersetzung wegen meines neuen Textes für die nächste Ausgabe von Herz und Hirn.«
Mira bestellt Champagner, ihr Lieblingsgetränk, dem Valerie nicht so viel abgewinnen kann. Sie trinkt ihn Mira zuliebe.
»Ich könnte heimlich die Pille nehmen und behaupten, unfruchtbar zu sein.«
Valerie schüttelt den Kopf. »Warum sagst du nicht einfach die Wahrheit? Wenn es denn die Wahrheit ist.«
»Was meinst du damit?«
»Vielleicht willst du doch noch einmal schwanger werden?«
»Nein«, sagt sie, »das will ich wirklich nicht.«
Mira winkt dem Kellner. Sie zahlt und erhebt sich nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.
»Soll ich dich nach Hause fahren?«
Inzwischen ist die Sonne gesunken und verwandelt das Silber des Wassers in Gold.
»Ich bin mit dem Fahrrad hier. Das solltest du auch mal probieren, dann dürftest du auch Kartoffelrösti essen.«
Mira stöhnt. »Der Spruch hat mit noch gefehlt.«
Sie umarmt Valerie und steigt in ihren SUV. Bei vier Kindern, vielleicht bald fünf, braucht sie den auch.
Valerie fragt sich, während sie zum Jenischpark hochstrampelt, wie Mira sich entscheiden wird. Ob sie sich offen wehren wird oder heimlich die Pille weiternimmt? Sie erreicht Hochrad und biegt kurze Zeit später in die Max-Brauer-Allee ein. Als sie am Paulsenplatz ankommt, steht die Sonne schon tief. Valerie stellt ihr Fahrrad unter dem Schild ab, das verbietet Fahrräder, Kinderwagen, Kinderspielzeug und Roller hier abzustellen. Keiner der Hausbewohner hält sich daran oder regt sich darüber auf, außer dem alten Zausel unter dem Dach, der weder das eine noch das andere besitzt.
Sie steigt hinauf in ihre Etage. Mira, denkt Valerie auf dem Weg nach oben, ist harmoniesüchtig. Sie wird sich nicht mit Bruno auseinandersetzen.
Die Katze maunzt schon hinter der Tür.
»Hast du mich vermisst?«
Ihr erster Weg führt sie in die Küche. Sie öffnet eine Dose Katzenfutter, kippt den Inhalt in einen Blechnapf und stellt ihn auf den Fußboden. Im Schlafzimmer entledigt sie sich ihrer Schuhe und geht mit bloßen Füßen auf den Balkon. Die Pflanzen brauchen dringend Wasser. Vom Spielplatz dringen Kinderstimmen und Hundegebell zu ihr empor. Sie sieht auf die Uhr. Zeit für ein Glas Wein. Sie packt ein paar Kräcker, ein Stück Ziegengouda und grüne Oliven auf einen Teller. Damit lässt sie sich auf dem Balkon nieder und sieht zu, wie der Himmel sich rosa verfärbt. Kein gutes Wetter morgen.
9 Ende Juli
Adam erwacht und stellt erleichtert fest, dass er im eigenen Bett liegt und nicht Christinas Drängen nachgegeben hat. Seine Träume haben ein anderes Szenario abgebildet. Er will nicht an den gestrigen Abend denken und verdrängt die Traumbilder, in denen Christina eine tragende, respektive liegende Rolle innegehabt hat.
»Schläfst du, Dada?« Sein rechtes Augenlid wird vorsichtig nach oben gezogen. Ben schaut ihn an. »Wach«, sagt er zufrieden.
Adam zieht den Kleinen an sich. »Gut geschlafen?«
Ben nickt eifrig und gibt ihm einen feuchten Kuss.
»Und jetzt frisst dich das Krokodil«,
Adam greift blitzschnell wieder nach ihm und kitzelt ihn durch, bis sie beide außer Atem sind. Bens Lachen entschädigt Adam für alles, was er für ihn aufgegeben hat.
Was genau hat er eigentlich aufgegeben? Einen Job bei einem Doktorvater an der Uni, der seine Erkenntnisse bei der Forschung für seine eigenen ausgab? Fünfundzwanzig überteuerte Quadratmeter in der Schanze, eine Bude, vor der Tag und Nacht Verkehrslärm zu hören war? Er erinnert sich an Tage, die nicht enden, an schlaflose Nächte, an Freunde, mit denen er bis zum Morgen in den Kneipen trank. Jetzt sinkt er am Abend todmüde, erschöpft und zufrieden ins Bett. Stille hüllt ihn ein. Er weiß, was er getan hat. Ihm fehlt nichts, er sucht nichts, er hat etwas Neues gefunden, das ihn völlig ausfüllt.
Flüchtig sieht er Semeles lächelndes Gesicht vor sich. Was würde seine Schwester sagen, wenn sie ihn jetzt sähe? »Ich habe immer gesagt, an dir ist ein Gärtner verlorengegangen.«
Nein, er hat nichts aufgegeben, er hat etwas bekommen.
»Dada!« Ben zerrt an seiner Hand.
»Ich komme«, sagt Adam.
Er nimmt Ben auf den Arm und geht mit ihm in die Küche. Bella wedelt ihm entgegen. Von Christina ist nichts zu hören und zu sehen, sie scheint noch zu schlafen.
Sie wird Kopfschmerzen haben, denkt er.
Adam füllt Bellas Napf. Ben hockt sich neben das Hündchen und schaut ihm beim Fressen zu. Adam bereitet für Ben Joghurt mit Obst zu. Für sich selbst legt er Speck in eine Eisenpfanne und schlägt drei Eier darüber.
»Das riecht sehr lecker.« Hannah erscheint lächelnd in der offenen Küchentür.
»Moin«, sagt Adam.
Hannah hat sich ein Tuch ums Haar gebunden und sieht in ihrem bunten Sommerkleid reizend aus.
»Guten Morgen.« Christinas Auftritt ist eher aufreizend. Sie trägt nichts außer einem winzigen Schlüpfer und dunklen Ringen unter den Augen. Sie drängelt sich an Hannah vorbei, geht auf Adam zu und küsst ihn auf den Mund. »Wo ist das Badezimmer?«
»Zweite Tür links«, sagt er und reißt die Pfanne vom Herd. »Verdammt!« Er öffnet den Mülleimer und kippt den verkohlten Inhalt hinein. »Was gibt’s?«
Hannah steht immer noch wie erstarrt in der Tür, als die Badezimmertür sich hinter Christina schließt. Sein Handy brummt auf der Tischplatte. Jetzt nicht, denkt er. Hannah bewegt sich wieder.
»Also, was willst du?«
»Papa hat Zahnschmerzen, er muss zum Arzt.«
Auch das noch! Adam seufzt. »Macht nichts. Ich fahr nachher die Bestellungen selbst raus.«
»Ich kann mitkommen, wenn …«
»Nee, lass mal. Kümmere dich um Hinnerk. Sag ihm gute Besserung.«
»Hat sie dich rumgekriegt?«
»Was meinst du?«
Hannah nickt in Richtung Badezimmer. »Der Hungerhaken da.«
»Was geht das dich an?«
Hannah sieht ihn wütend an, dreht sich um und verlässt mit steifem Rücken die Küche. Ihr Körper drückt abgrundtiefe Verachtung aus.
»Bis morgen«, ruft Adam ihr hinterher.
»Vielleicht.«
»Weiber«, sagt Adam genervt. Aber er weiß, dass Hannah am nächsten Tag da sein wird. Er hört ein Moped davonfahren.
»Weiber.« Ben wiederholt das neue Wort.
»Alle.«
Ben schiebt seinen Teller von sich weg, steigt vom Stuhl und krabbelt unter den Tisch zu Bella. »Weiber«, sagt er zu der Hündin.
Adam grinst in seinen Kaffeebecher.
»Ist sie weg, deine Kleine?« Christina betritt mit geschürzten Lippen, vollständig angezogen die Küche.
Bella knurrt leise unter dem Tisch.
Ben murmelt: »Weiber.«
»Sie ist nicht meine Kleine. Setz dich. Kaffee? Eier und Speck? Joghurt?«
»Nur Kaffee.«
Er fragt sich, wie Frauen es schaffen, so zu tun, als sei nichts gewesen. Ihm ist der Abend noch peinlich genau in Erinnerung.
»Haben wir … Ich meine, du weißt schon …«
»Nein?«
»Ich war heute früh nackt und kann mich nicht erinnern, mich ausgezogen zu haben.«
»Ich habe dir das Kleid ausgezogen, und nein, wir haben nicht miteinander geschlafen.«
Adam stellt einen Becher Kaffee vor Christina auf den Tisch. Ich schlafe nicht mit betrunkenen, fast weggetretenen Frauen, denkt er.
Sie sucht in seinem Gesicht nach der Wahrheit. »Zeigst du mir deine Gärtnerei?«
»Nein, Christina, heute nicht. Wir haben viel zu tun. Und nun ist auch noch Hinnerk ausgefallen.«
»Wer ist das?«
»Der Vater von Hannah. Er hilft mir, die Bestellungen zu den Kunden zu fahren. Heute muss ich das selbst machen, und ich bin schon spät dran.«
»Dann ein andermal«, sagt Christina erstaunlich sanft.
Erst als er ihrem Wagen nachsieht, merkt er, dass sie ihn übertölpelt hat. Sie hat »ein andermal« gesagt und damit einen nächsten Besuch in Aussicht gestellt. Er hat nicht nein gesagt. Wir Männer sind manchmal erstaunlich blöd.
Adam nimmt Ben an der Hand und geht mit ihm in die Scheune. Ohne Hinnerk ist er aufgeschmissen. Die Kisten mit den Äpfeln kann er heute noch liefern. Aber die Kräuter und Balkonpflanzen müssen warten. Er würde jeden einzelnen Kunden anrufen müssen, um die Liefertermine zu verschieben.