Kitabı oku: «Über die Kolyma / О Колыме. Книга для чтения на немецком языке», sayfa 4
Der Bauch des Dampfers83 »Kulu« in Wladiwostok. Serjosha Kliwanskij, Wawilow und ich – möglichst nah ans Licht, möglichst nah an die Treppe. Mit uns lässt sich auch ein älterer, gefängnishaft bleicher Mann nieder, mit grünlichgelbem Gesicht. In der Hand hält er ein Buch, das einzige im Schiffsbauch. Und dazu noch etwas wie die »rothäutige Passportina«*, der Majakowskij-Band im roten Kartoneinband.
»Wir sind die-und-die.«
»Und ich Chrenow. Erinnern Sie sich bei Majakowskij«, er blättert in dem rothäutigen Band, »Chrenows Erzählung von Kusnezkstroj«.
»Steht hier die Gartenstadt?« Wawilow lacht laut.
»Genau, genau.«
»Die rothäutige Passportina wird Sie hier nicht retten«, erklärt Kliwanskij.
Chrenow fürchtet sich, er ist schwerer Herzpatient. Doch das Paradox – die Krankheit hat Chrenow gerettet. Er schaffte es, seine Haftzeit zu beenden und als freier Bergwerkschef zu arbeiten, doch aufs »Festland« zurückzukehren schaffte er nicht. Er war »lebenslänglich«* ortsgebunden und starb, glaube ich, bald nach dem Krieg.
Die Brotausgabe im Durchgangslager in Sussuman. Eine Riesenschlange. Die Bude des Brotschneiders steht im Freien. Um sie herum vier Soldaten mit gefälltem Gewehr. Jeder Häftling kommt heran, erhält aus dem Fenster einen »Sechshunderter« und verschlingt ihn gleich, würgend, eilig – wenn er es nicht schafft, ihn aufzuessen, dann rauben, dann entreißen ihn ihm die Ganoven, die unweit sich drängen. Die vier Begleitposten bewachen ebendiesen Stehimbiss. Man hat versucht, das Brot in der Baracke auszuteilen – die Ganoven rauben es. Ohne Begleitposten zu verteilen – sie rauben es. Jetzt schafft es jeder, seine Tagesration hinunterzuschlingen.
Erziehungsarbeit unter den Ganoven. Ein Bergwerk, »Partisan«, 1938, im Winter – Januar – Februar, der Erzieher der Kultur- und Erziehungsabteilung Scharow:
»Der Staat sieht in euch seine Freunde, seine Helfer. Helft uns in unserem Kampf gegen die Faschisten, die Trotzkisten. Diese Volksfeinde wollen nicht arbeiten. Es sind die Leute, die euch in Freiheit verhöhnt haben.«
»Darf ich austreten?«
»Geh!«
Nach einer halben Stunde:
»Darf ich austreten?«
»Geh.«
Der Begleitposten erhebt sich von seinem Platz und kommt hinter die Halde:
»Zeig deine Scheiße vor, Dreckskerl! Ihr drückt euch hier.«
Ich liege im Krankenhaus, 1958, mit einem Neuropathologen. Ich erzähle:
»Vor meinen Augen empfing während des Kriegs ein Begleitposten eine Etappe von fünfundzwanzig Mann, setzte sie in ein Auto, stieg auf die Seitenwand und erschoss mit Salven aus der Maschinenpistole alle bis auf den letzten Mann.«
»Ein typischer epileptischer Anfall.«
Schilow 1942 (?) in Arkagala. Schilow ist ein junger Kerl von 25 Jahren, ehemaliger Häftling.
»Junggesellensteuer84? Verstehe ich nicht, das ist ungerecht. Denk doch selbst: hier gibt es überhaupt keine Weiber. Ich quäle mich und leide und soll auch noch Steuer zahlen für meine Quälerei. Auf dem ›Festland‹ ist es was anderes. Da lebt einer mit Frau, legt sich Kinder, eine Familie zu – und zahlt keine Junggesellensteuer. Ich kann mir keine Frau zulegen – und zahle Steuer. Das ist ungerecht.«
Das schrecklichste Jahr an der Kolyma ist 1938. 1939 sagte mir Iwan Bossych (ein Freier, ehemaliger Häftling), der Topograph, in der Kohleerkundung am Schwarzen See:
»Wir beide haben überlebt, weil wir Reporter, Journalisten sind. Verstehst du? Ich werde leben, obwohl ich Dinge gesehen habe, dass man danach nicht mehr leben sollte, aber ich werde leben, ich werde meinen jüngeren Bruder treffen – er glaubt an mich wie an Gott, und ich sage ihm die ganze Wahrheit über Stalin.«
Die Adresse von Iwan Nikolajewitsch Bossych – Ischim, Woroschilow-Str. 16.
Die einzige Möglichkeit zu überleben für einen »Trotzkisten« ist, Brigadier zu werden. Aber wie kann man kommandieren, jemandes Befehle ausführen, über jemandes Willen verfügen und nicht nur den Willen, auch über Leben und Tod von Menschen – es bedeutet, jemand wird sterben, und du bleibst am Leben. Nein, schon 1937 habe ich mir das Wort gegeben, niemals Brigadier zu werden, mich niemals mit Bitten oder Klagen über mein Schicksal an die Chefs zu wenden, nicht zu bitten und Pakete vom Festland abzulehnen – nur auf mich selbst zu zählen, auf mein »Glück«. Der einzige für mich mögliche Posten war die Tätigkeit als Feldscher, doch das erschien neun Jahre lang als Phantasie, und im zehnten wurde es plötzlich Wirklichkeit.
Die drei großen Lagergebote:
Glaube nicht – glaube niemand.
Fürchte nicht – fürchte nichts und niemand.
Bitte nicht – bitte niemanden um irgendetwas. Zähle auf nichts.
Die schreckliche Redensart im Lager »Stirb du heute, und ich morgen«.
1938 und 1937 arbeiteten wir in Bergwerken mit Abtransport bis zu 200 Metern85, und uns fehlten die Kräfte, die Schubkarre auf die Förderbrücke hochzubringen. Hilfshaken habe ich erst Ende 1938 gesehen. Über den zentralen Steg rollt man im Laufschritt.
Ich habe gelernt, die Karre zu kippen, auszuschütten und zurückzufahren über den »Leer-«Steg – die Schubkarre mit dem Rad voraus, mit den Griffen nach oben, dass die Arme ausruhen. Ich habe gelernt, mit der Schaufel zu arbeiten, habe irgendwann begriffen, warum der Stiel bis unters Kinn gehen muss, habe gelernt zu hacken, einen Fels abzutragen, zu bohren, aber ein Hauer ist aus mir nicht geworden – ich hungerte damals schon.
Den Winter mochte ich nicht. Ich hasste ihn. Jeden Tag stand ich auf wie zur Hinrichtung. In der Kälte kann man ja auch nicht denken. Du denkst an gar nichts – nur daran, dich zu wärmen. Ich habe gut verstanden, was ein Pferd fühlt. Ich fing an, wie ein Pferd, die Zeit für das Mittagessen ohne Uhr zu erraten – die Pferde in der Grube wiehern nämlich schon fünf Minuten vor dem Signal.
Die ersten Läuse erschienen schon Ende 1937. Die völlig verlauste Wollweste zog man mir von Mai an im Badehaus aus, der Badewärter bedampfte sie und wollte sie für sich nehmen, und ich fing an zu streiten, sie ihm »abzuschreien«, und wieder sammelten sich die Läuse. Es gab keine Desinfektionskammer, und bis in den Januar 1939 hatten wir ununterbrochen Läuse. Als man für einige Tage – ich hatte eine schöne Handschrift, und im März 1938 holte man mich ins MChTsch* (im Bergwerk »Partisan« waren um die dreitausend Häftlinge), die Lebensmittelkarten zu schreiben, da schlugen die Kameraden auf mir Läuse tot und beschwerten sich beim Chef, und der, der auf mein Verbrechen hingewiesen hat, übernahm meinen Platz im MChTsch. Der Platz war ja temporär.
Läuse sind etwas Schreckliches. Besonders viele hatte ich in Dshelgala 1943. Der gestrickte Baumwollschal bewegte sich, so viele waren sie da.
Kolesnikow Gawriil Semjonowitsch, ein Kamerad von Kossarjow, einer der wenigen, die sich das »Menschentum« bewahrt hatten, war in Dshelgala Sanitäter und Barackendienst. Er sagte zu mir:
»Was ist das Wichtigste in unserem Leben? Die Verschiebung der Maßstäbe. ›Etappen‹ und ›Durchgangslager‹ haben mir immer gefallen, weil hier auf ungreifbare Weise der Geist der Freiheit lebte, den es im Lager niemals gibt.«
Jeder ist für sich verantwortlich. Den Kameraden, den Partner nicht belehren, was er tun soll. Alles, was einen fremden Willen betrifft, ist nicht deine Sache – so die schlichten, aber schweren Lagergebote, die Erfahrung, Selbstbeherrschung und Furchtlosigkeit verlangen. Die Lagerchefs nahmen keinerlei kollektive Beschwerden und Proteste an. Jede Eingabe muss persönlich sein. Als aber die Frage der Bekämpfung von Fluchten anstand, da bestätigte die gesamte Brigade kollektiv, dass jeder den anderen beobachten und für Fluchten büßen wird. Und büßen mussten sie in Verhören, oder auch mit einem »Strafmaß«.
Ein beeindruckender Lagerausdruck, einer der geschliffensten: »Das Strafmaß in Gewicht ausgeben«, d. i. in den sieben Gramm der Kugel, erschießen.
Oder: »Das Strafmaß als Trockenration ausgeben«.
In der »Vitaminaußenstelle«. Schewzow, mein Partner:
»Gib mal das Beil.«
Er nahm mir das Beil aus den Händen und ging zu dem Baumstumpf, auf dem wir Brennholz gesägt hatten. Er legte die Hand auf den Stumpf, holte mit dem Beil aus, wurde blass, wurde blau, das Blut spritzte auf den Schnee und erstarrte sofort, ohne einzuziehen86 – es war sehr kalt —, die drei abgehackten Finger verzogen sich und lagen im Schnee, kaum bemerklich, schmutzigen Holzspänen ähnlich. Schewzow krümmte sich zusammen und verstopfte mit dem Ärmel der Wattejacke das Blut.
Ich hob das weggeworfene Beil auf.
Schewzow wurde zum Krankenhaus geführt. Er wusste natürlich, dass man ihn im Krankenhaus nicht behalten wird, Gliederabhacker im Krankenhaus zu behalten war verboten – aber wenigstens einen Verband werden sie machen, das Blut zum Stillstand bringen.
Die Arbeit wurde wieder aufgenommen.
»Gute« Kaderakten-Daten sind: Russe, nie im Ausland gewesen, keine Fremdsprachen. Viele hielten ihre Sprachkenntnisse geheim.
Im Lager sagt man nicht: »zur Arbeit geführt« oder »zur Arbeit gegangen«, man sagt: »zur Arbeit getrieben, gejagt, gescheucht«87. So und nur so sagen alle – die Chefs wie die Hftl./
Hftl.* selbst.
Der Schwarze See
Jeder Barackendienst hat seine Arbeiter, die alles tun für ein Süppchen, für ein Stück Brot – so auch im Bergwerk.
Aber es ging nicht <um> seine Sympathie oder sein Mitleid mit den dochodjagi. Er hätte dieses winzige Zimmer auch selbst putzen können, aber dass ein Barackendienst des MChTsch – und er hätte keinen eigenen Sklaven gehabt —, das ist unvorstellbar in den russischen Lagern.
Ich denke, der freie Chef meines Barackendienstes hätte ihn, wenn er erfahren hätte, dass der das winzige Kabinett selbst putzt, hinausgejagt zu den allgemeinen Arbeiten, weil er die ihm zustehende Macht nicht zu nutzen weiß und ihn, den Chef, mit Schande befleckt. Ganz Magadan hätte laut gelacht: das ist der Chef, dessen Barackendienst selbst die Böden wischt. Ich bekam Brot, der Barackendienst schüttete mir Machorka für eine Selbstgedrehte ab und [gab] mir einen Kupon für die Kantine, und [ich] habe entweder gegessen oder ihn meinen Nachbarn gegeben. Das Durchgangslager fing sogar an mir zu gefallen. Aber die Chefs waren nicht so einfach. Der riesige Speicher mit den vierstöckigen Pritschen88 im Durchgangslager war leer. Bei einem Appell waren wir noch hundert Mann, und manchmal noch weniger. Nach dem nächsten Aufrufen entließ uns der Arbeitsanweiser nicht in die Baracke. Wohin sonst?
»Wir gehen in die URTsch zum Fingerabdrücke machen.«
Wir kamen in die URTsch.
»Wie ist dein Name?«
»Schalamow.«
»Und was meldest du dich zwei Monate nicht?«
»Ich habe nichts gehört, jeden Tag gehe ich zum Appell, man hat mich nie aufgerufen.«
»Weg hier, Kanaille.«
Wir mussten uns fertigmachen für die Etappe, und man schickte uns los, aber nicht in die Landwirtschaft oder zum Fischfang, sondern zur Kohleerkundung an den Schwarzen See. Zum Glück als Invaliden zur Versorgung von Freien, von Freien – gerade freigelassenen Häftlingen – ebenfalls aus dem Durchgangslager, aber Freien, die mit Dalstroj einen Jahresvertrag unterschrieben hatten, um sich etwas dazuzuverdienen. Der Chef des neuen Kohlereviers Paramonow, dem man keine Häftlinge gab – die wurden ins Gold gejagt —, erbat sich wenigstens sechs Mann zur Versorgung seiner freien Arbeiter. Ich sollte als Wassersieder89 fahren, Gordejew als Wächter, Filippowskij als Badewärter, Nagibin als Ofensetzer, Frisorger als Tischler.
Die Freien hatten keine Kopeke, alles, bis auf die Wäsche, war verkauft oder verspielt im freien Durchgangslager, am sogenannten Karpunkt, der Quarantänestation, was dasselbe war wie die Etappe für die Häftlinge, nur kleiner – dieselbe Zone, dieselben Baracken. Der Karpunkt lag ganz dicht an der Etappe. Dieselben leeren Pritschen. Der Karpunkt hatte sich ebenfalls geleert. Die Dampfer waren abgefahren.
Und diese Habenichtse also hatte Paramonow an den Schwarzen See zur Kohleerkundung geholt, wo man nach Kohle suchte. Kohle und nicht Gold. Als wir zum ersten Mal in Atka übernachteten, im Klub der Straßenbauer, breiteten wir auf den Pritschen das Zelt aus, mit dem wir uns unterwegs auf dem Auto bedeckt hatten, und schliefen und schliefen. Die Freien hatten keine Kopeke Geld. Wir mussten Tabak kaufen. Es gab auch Machorka im freien Lager, und sie hatten das Recht, sie zu kaufen, sie waren schon keine Häftlinge mehr. Aber Geld hatte niemand. Der alte Nagibin gab ihnen einen Rubel, und für diesen Rubel wurde Machorka gekauft, unter allen gleich verteilt – Häftlingen wie Freien – und geraucht. Am nächsten Tag kam der Chef angereist und gab irgendwelches Geld aus.
Der Revierchef Paramonow war ein Kolyma-Veteran. Ein Lagerrevier des NKWD eröffnete er nicht zum ersten Mal. So hatte eben Paramonow Maldjak eröffnet, den berühmten Bergwerksgiganten an der Kolyma – mit bis zu zwanzigtausend Mann Listenbelegschaft90. Und die Sterblichkeit lag 1938 sogar über der gewöhnlichen Sterblichkeit an der Kolyma. Als General Gorbatow* Maldjak erreicht hatte, verwandelte er sich in zwei Wochen in einen Invaliden. Das sieht man aus den Erfassungen der Zeit; angekommen – ausgeschieden. Angekommen als Arbeiter, ausgeschieden als Invalide. Der so kurzzeitige Aufenthalt in Maldjak gab General Gorbatow nicht die Möglichkeit, sich dort zurechtzufinden – er schreibt: In Maldjak waren 800 Mann, und gerettet hat ihn der Feldscher, er schickte ihn als Invaliden nach Magadan. Kein Lagerfeldscher hatte das Recht und die Möglichkeit dazu. Gorbatow »lief auf Grund« in einem der Abschnitte von Maldjak, dem Bergwerksgiganten. In Schturmowoj waren zu dieser Zeit vierzehntausend Mann, in Werchnij At-Urjach zwölftausend. In drei Wochen auf Grund laufen, das ist die normale Frist für jeden Menschen – unter Schlägen, Hunger, Kälte und vierzehnstündiger Arbeit. Genau drei Wochen sind die Frist, die aus einem Athleten einen Invaliden macht.
Paramonow hatte im Gespräch mit den Freien eine ständige scherzhafte Redensart: »Ihr fahrt im Zylinder nach Hause …«
Paramonow war kein schlechter Chef, wenn er unterwegs war, steuerten das Leben des Schwarzsee-Staates gemeinsam der freie Einsatzleiter Kassajew und der Bauvorarbeiter Bystrow. Bystrow war ehemaliger Häftling und Kassajew Ingenieur und Geologe, oder Geologietechniker, ein Vertragsarbeiter, ein Freier.
Als in Paramonows Abwesenheit Kassajew und Bystrow die Ausgabe von Wodka an uns Häftlinge nicht erlaubten – an allen möglichen Kognaks und Bränden gab es im Lagerhaus Unmengen, die Polarration – und wir uns bei Paramonow beschwerten, wies er an, uns sogar für die vorigen Tage auszugeben.
»Die Tajga ist für alle dieselbe«, sagte er düster.
Wir aßen aus einem gemeinsamen Kessel91 mit den Freien (sechs Häftlinge und fünfundzwanzig Freie). Wir konnten alles Mögliche bestellen, Zwieback, Butter, Zucker.
Kostenlos – wer nicht wollte, zahlte das Geld auf ein laufendes Konto. Das tat nur einer von uns, der Tischler Pikuljow, der später gekommen war. Nachher, als diese Bezüge abgeschafft wurden, <war> Pikuljow sehr betrübt, dass alles verfallen war.
Ich aber handelte nach dem ewigen Lagergesetz: »Fang das Essen mit dem Besten an.«
Paramonow war selten am Schwarzen See. Er arbeitete mehr in Magadan – setzte sich ein, bemühte sich für das Revier um alles, was ihm zustand. Durch seine <Anforderungen> kamen mehrere Dutzend Menschen an den Schwarzen See für die entlassenen Freien, die, <ständig> mäkelnd92 und ohne Zylinder, an der Kolyma nicht lange leben wollten.
Plötzlich wurde Paramonow abgelöst wegen Veruntreuung – der Entwendung, dem Diebstahl und direkten Verkauf von Konzentraten, Nudelaufläufen, Fleisch- und Milchkonserven. Man wollte ihn vor Gericht stellen, aber tat es nicht – er wurde aus dem Dalstroj entlassen.
An seiner statt übernahm den Schwarzen See Bogdanow, ein ehemaliger Bevollmächtigter des MWD und des Prozesses von 1938*.
Bogdanow gab täglich Befehle zu Disziplin und Wachsamkeit aus und baute einen Karzer. Er war derselbe Chef, der Briefe entgegennahm, Briefe an mich von meiner Frau – zu der die Verbindung etwa drei Jahre abgebrochen war – und diese Briefe in meinem Beisein zerriss, wozu er mich in seine Wohnung lud. Und die Fetzen warf er in den Müll. All das habe ich in der Erzählung »Bogdanow« beschrieben, mit aller dokumentarischen Verantwortung.
Bogdanow trank Tag und Nacht. Und trug den Alkohol sogar vom Lagerhaus zu sich in die Wohnung. Sein Sekretär Fedja Kartaschow sagte, dass sein Chef vom Morgen an trinkt, vom Aufstehen an, und bis in den Abend – das letzte Mal zur Nacht. All die drei Monate, die Kartaschow bei ihm als Sekretär arbeitete.
In einer Mondnacht, im Winter, erschien am Schwarzen See ein Mann im Mantel mit Pelzkragen von deutlich anderer Machart als an der Kolyma.
Er erschien im Kontor, dem Nachtwächter hatte er einen <Befehl> gezeigt, und weckte den Sekretär des Chefs. Kartaschow wollte den Revierchef wecken, doch der Angereiste verbot das und legte sich auf dem Tisch schlafen.
Kartaschow beschloss, Bogdanow trotzdem zu wecken – ihm war klar, Bogdanow würde ihm dieses Versäumnis nicht verzeihen.
Bogdanow zog seine militärische Majorsuniform an und trat ins Kontor. Der Ankömmling wies ein Dokument vor: »Das Revier innerhalb von 24 Stunden an Gen. Plutalow übergeben.«
»Ich bitte ins Zimmer«, sagte Bogdanow. Plutalow lehnte ab. Er bat, ihm umgehend den Alkohol zu bringen, und versiegelte das Fass mit seinem Siegel. Und blieb gleich im Kontor sitzen die 24 Stunden, in deren Verlauf er das Revier übernahm.
Bogdanows Familie, er hatte nämlich eine schöne Frau und zwei Kinder, reiste auf irgendwelchen zufälligen Rentierschlitten93 ab, ihre Habe aufgeladen.
Bogdanow reiste ab, ohne im mindesten sein großartiges Aussehen und seine Zuversicht zu verlieren. Später erklärte mir Kartaschow, diese ewige Zuversicht Bodgdanows gründe darin, dass er immer benebelt94, immer angeheitert war.
Seine Frau prügelte Bogdanow, ohne sich jemandes Beiseins zu schämen.
Früher Winter unter der sicheren und heiteren Hand von Viktor Iwanowitsch Plutalow – einem Bergbauingenieur, der ohne Reserve angereist war, um eine reine Bergbau- und Produktionsabteilung zu eröffnen, und der natürlich nicht nach Kassajew und nach Disziplin fragte.
Es begann eine tatkräftige Arbeit. Man fing an, Schurfund Randgräben zu hauen.
Eine massive Kohlespur führte zur Entfaltung aufwendiger Tätigkeit.
Es war so, dass dieses Revier vom Erkundungsingenieur Popow entdeckt wurde, dem heutigen Chefingenieur von Dalstroj-Kohle. Im Winter wurde die Kohle abgeschlämmt – Popows Prognose sollte bestätigt werden. Für das Revier wurden Mittel bereitgestellt.
Die Kohle verschwand in Verdrückungen und zog sich in die Bergkuppen. Industrielles gab es hier nichts.
Und so hatte man hier nichts gefunden. Schließlich kam die Stunde, als die Oberste Ingenieurkommission das gesamte Revier inspizierte. Zum letzten Mal war an der Kommission auch Popow beteiligt, und sie machte es dicht.
Jetzt fing man an, den Rest der Leute an die Bergwerke zu übergeben – Chejt war nebenan, und dorthin verschwanden sie schnell. Nach Berichten, nach Gesprächen, nach Gerüchten war in Chejt Anatolij Gidasch Barackendienst – er konnte noch vor dem Krieg nach Moskau zurückkehren.
Ich hatte keine solche Bekanntschaft, alle meine Bekannten wurden 1937 erschossen.
Ich ging zu Plutalow und bat ihn offen, mich nicht ins Bergwerk zu schicken, falls man mich losschickt.
»Wir schicken niemanden mehr ins Gold.«
»Vielleicht doch per Zufall.«
»Gut. Ich verspreche dir, ins Gold wirst du von hier nicht fahren.«
Plutalow ist so ein Chef, der die Außenstelle, seine Wirtschaft ablief und bedrückt war. Seine liebste Redensart: »Ich bin ja kein Mitarbeiter des NKWD.« Offensichtlich waren die Eigenheiten Paramonows und Bogdanows in den »höchsten Sphären« in aller Munde. Zumindest in den Kohlerevieren, bei »Dalstroj-Kohle«.
Plutalow tauschte sich sehr gern mit den durchreisenden Jakuten und Ewenken aus. Er gab die Mütze von seinem Kopf und nahm von den Jakuten die bestickte Malachaj-Pelzmütze. Mit Jakuten und Ewenken trieb er Handel, durchaus mit eigenem Gewinn. Bei einem durchreisenden Schlittenkutscher tauschte er ein riesiges altes silbernes Zigarettenetui ein und klapperte alle Augenblick damit.
»Rauch doch, Schalamow, eine Papirossa.«
Plutalow saß auf den Stufen der Vortreppe und ich auf der Erde, in gehöriger Entfernung.
Ich nahm eine Papirossa. Und bedankte mich:
»Vielen Dank, Bürger Natschalnik.«
»Ein schönes Etui?«
»Sehr schön.«
»Das habe ich bei einem Schlittenkutscher eingetauscht.«
»Sie, Viktor Iwanowitsch, sind einfach wie der Gutsherr vom Schwarzen See«, sagte ich.
»Was denkst denn du«, sagte Plutalow. »Ich bin auch der Gutsherr.«
Er wäre allen ein guter Chef gewesen, doch die Arbeiten wurden eingestellt: es gab keine Kohle am Schwarzen See.
»Wir schließen schon das zweite Revier«, sagte Plutalow melancholisch, als er diese wichtige Nachricht bekam.
»Ich schließe immer [unleserl.].«
Um ein Revier zu schließen, braucht es ebenfalls Erfahrung und Findigkeit. Was aufgeben, was bewahren, was abschreiben. Paramonow war ein Spezialist im Eröffnen – was zuallererst beziehen und abkommandieren, was abnötigen – und was stehlen. Wie die Leute auswählen.
der Bauch des Dampfers – трюм парохода
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der Junggesellenssteuer – налог на холостых
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arbeiteten wir in Bergwerken mit Abtransport bis zu 200 Metern – мы работали в забоях с откаткой до 200 метров
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erstarrte sofort, ohne einzuziehen – сейчас же застыла, не всасываясь
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zur Arbeit getrieben, gejagt, gescheucht – выгнали, выгоняли, гоняли на работу
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die Pritsche – нары
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der Wassersieder – кипятильщик
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mit bis zu zwanzigtausend Mann Listenbelegschaft – до двадцати тысяч человек списочного состава
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aus einem gemeinsamen Kessel essen – есть из общего котла
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mäkeln – ворчать
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der Rentierschlitten – оленьи нарты (сани)
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benebelt sein – быть навеселе
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