Kitabı oku: «Beurteilungsgespräche in der Schule», sayfa 2
1.1.2 Gesprächsanalytische Forschungsergebnisse
Die gesprächsanalytische Erforschung schulischer Beurteilungsgespräche bildet insbesondere im deutschsprachigen Raum ein Forschungsdesideratum, welches erst seit wenigen Jahren erkannt wurde und seither vermehrt Beachtung findet. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht beschäftigt sich Kotthoff (2012a; 2012b; 2014; 2015a; 2015b) mit dem Gesprächstyp und es sind inzwischen mehrere Studien dazu entstanden. Sie fokussiert insbesondere interkulturelle Aspekte, Fragen zu Kategorisierungen von SchülerInnen und die Aushandlung von Konsens und Dissens. Aus soziologischer Sicht untersucht Zwengel (2010; 2015) Gespräche zwischen Lehrpersonen und Eltern mit Migrationshintergrund, die teilweise von den anwesenden SchülerInnen selbst übersetzt werden. Weiter wurden Ergebnisse aus studentischen Abschlussarbeiten publiziert: Ackermann (2014) konzentriert sich auf lehrpersonenseitige Positionierungen und Zorbach-Korn (2015; vgl. auch Korn 2013; 2014) beschäftigt sich mit (A-)Symmetrien in interkulturellen Beurteilungsgesprächen. Nebst der hier vorliegenden Studie sind zudem eine Reihe weiterer Dissertationen in Vorbereitung oder inzwischen erschienen,1 wovon einige der Ergebnisse in Hauser und Mundwiler (2015b) versammelt werden. Diese Häufung von beinahe zeitgleich erarbeiteten (Dissertations-)Projekten bezeugt die Aktualität der Thematik sowie die Wichtigkeit des Forschungszweiges.
Weitere gesprächsanalytische Studien zur Interaktion zwischen Lehrpersonen und Eltern wurden in Australien (Baker & Keogh 1995; Silverman, Baker & Keogh 1998), England (Allistone 2003; MacLure & Walker 2000; Walker 2002), Nordamerika (Cheatham & Ostrosky 2011; Cheatham & Ro 2011a; 2011b; Howard & Lipinoga 2010; Mehan 1983; 1991; Pillet-Shore 2003; 2012; 2015) und Schweden (Adelswärd & Nilholm 1998) durchgeführt und befassen sich jeweils mit unterschiedlichen Schulstufen vom Vorschulalter bis zur Sekundarstufe II und es sind sowohl ‚Regel’- als auch Sonderschulen vertreten, die jeweils in den länderspezifischen Bildungslandschaften zu verorten sind. Im Folgenden wird der aktuelle Forschungskontext nach bearbeiteten Themen angeordnet vorgestellt.
Kategorisieren und Positionieren
Die ersten Studien zur Interaktion zwischen Lehrpersonen und Eltern stammen aus den 1980er und 1990er Jahren und wurden von Mehan (1983; 1991; 1996) an nordamerikanischen Grundschulen durchgeführt. In den Gesprächen geht es um Entscheidungsprozesse in Bezug auf die Beförderung von SchülerInnen in die jeweils nächste Regelklasse beziehungsweise die Versetzung in eine Sonderschule. Diese Entscheidungen werden von „committees of educators“ (Mehan 1983: 187) getroffen, welche aus Psychologen, medizinischem Pflegepersonal, administrativem Personal, Lehrpersonen und Eltern bestehen. Mehan stellt fest, dass eine allgegenwärtige Aufgabe von Lehrpersonen darin besteht, ihre SchülerInnen zu bewerten und kategorisieren, sei dies ad hoc im Unterricht oder dann in den Besprechungen zu Beförderungsentscheiden, in denen die SchülerInnen der Kategorie ‚normal’ oder ‚handicapped’ zugeordnet werden (vgl. z.B. Mehan 1991: 81ff.). Seine Untersuchungen zeigen auch, dass von den Eltern nur noch ergänzende Informationen eingeholt werden, sie aber wenig an den Kategorisierungen und den Entscheidungsprozessen beteiligt sind (vgl. Mehan 1983: 205).
Ebenfalls mit Kategorisierungen von SchülerInnen beschäftigen sich Berenst und Mazeland (Berenst & Mazeland 2008; Mazeland & Berenst 2008) im Rahmen ihrer Studien zu Lehrpersonenkonferenzen an niederländischen Schulen sowie Cedersund und Svensson (1996) in ihrer Studie zu ‚Klassenkonferenzen’ in Schweden. Zwar geht es in diesen Studien nicht um die Übermittlung dieser Bewertungen an Eltern oder SchülerInnen, aber es finden sich sehr ähnliche Praktiken der Typisierung und Kategorisierung wie in Beurteilungsgesprächen. So zeigen Mazeland und Berenst (2008: 58) beispielsweise, wie Lehrpersonen ihre SchülerInnen durch vielfältige Praktiken charakterisieren, indem sie berichten, beurteilen, analysieren, erklären und kategorisieren. Im Anschluss an diese Kategorisierungen stellt Kotthoff (2012a: 315; 2015a) für Elternsprechstundengespräche fest, dass sich ebenfalls eine Vielzahl schulbezogener Kategorisierungen finden und sie unterscheidet grob Typenzuordnungen (z.B. GymnasialschülerIn), Fähigkeitszuschreibungen, Attitüdenzuordnungen, skalare Bewertungen von Aktivitäten sowie Erzählungen unterschiedlichen Typs (vgl. dazu Kotthoff 2015b).
Einige Studien diskutieren Positionierungsaktivitäten von Lehrpersonen und Eltern und zeigen, wie die AkteurInnen idealisierte Identitäten ihrer jeweiligen Institution – Schule oder Familie – vorführen (vgl. Adelswärd & Nilholm 1998; Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a). Dies kann sich beispielsweise dadurch äussern, dass sich die Eltern als Hilfslehrpersonen bzw. Ko-Lehrpersonen präsentieren, die sich gemeinsam mit dem Kind zu Hause um ein optimales Lernumfeld bemühen (vgl. Baker & Keogh 1995: 279; Kotthoff 2012a: 304). Die Aushandlung der idealisierten Identitäten verläuft gemäss Adelswärd und Nilholm (1998: 96) überwiegend konsensorientiert und auch Kotthoff (2012a: 299ff.) kommt zu einem ähnlichen Schluss und zeigt, dass Dissens nur in modalisierter Form angezeigt wird.
In einer Studie von MacLure und Walker (2000) wird insbesondere die institutionelle Asymmetrie herausgearbeitet, die u.a. darin gesehen wird, dass Lehrpersonen extensives Rederecht eingeräumt wird und Eltern sowie SchülerInnen v.a. während den Eröffnungssequenzen die Beurteilungen eher passiv entgegennehmen (vgl. z.B. MacLure & Walker 2000: 8ff.). In einer unveröffentlichten Dissertation der University of London beschäftigt sich Allistone mit Eröffnungssequenzen in Beurteilungsgesprächen und bestätigt die vorherrschende Asymmetrie, die u.a. durch den einseitigen Zugriff auf schriftliche Unterlagen noch verstärkt wird (vgl. Allistone 2003: 151).
Ackermann (2014) zeigt in ihrer Studie, wie Lehrpersonen durch Positionierungen auf die Gesprächsorganisation einwirken und für sich und die Beteiligten verschiedene Handlungsspielräume schaffen und mitgestalten. Sie fokussiert dabei u.a. auch Positionierungshandlungen, welche inkludierend auf die Gesprächsbeteiligung wirken und kommt zum Schluss, dass ein Ungleichgewicht zwischen der geglückten Inklusion der Eltern und derjenigen der anwesenden Kinder besteht. So kommt es in ihren Daten im Zusammenhang mit an Kinder gerichteten Inklusionshandlungen nur selten zu einem Sprecherwechsel, sondern eher nur zu kürzeren Ratifikationen (vgl. Ackermann 2014: 63ff.).
Beurteilen und Bewerten
Gemäss Kotthoff (2012a: 294) sind Bewertungsaktivitäten in Beurteilungsgesprächen allgegenwärtig und werden gemeinsam ausgeführt, sodass die „Ko-Konstruktion von Bewertung“ gewissermassen „als Leitmotiv“ für diese Gespräche verstanden werden kann. Allerdings zeigen ihre Daten von Sonderschulen auch, dass sich Eltern mit Migrationshintergrund weniger an den Bewertungen und Einschätzungen beteiligen können und diese fast ausschliesslich von den Lehrpersonen ausgeführt werden (vgl. Kotthoff 2012a: 315, 317f.).
Pillet-Shore (2003) untersucht am Beispiel von der Äusserung okay die unterschiedlichen Bewertungsimplikationen, die je nach sequenzieller Einbettung von okay positiver oder negativer verstanden werden können. Einerseits funktioniert okay als bessere Variante von zwei möglichen Beurteilungen (binary metric), nämlich okay versus not okay, wobei letztere Beurteilung weitere Interventionen und Unterstützungsmassnahmen ins Spiel bringen würde. Diese Funktion taucht meist im Kontext von abschliessenden Beurteilungen auf (vgl. Pillet-Shore 2003: 287ff.). Andererseits kann okay auch als eine von vielen Beurteilungen funktionieren (gradated metric) und wird im Kontext weiterer Beurteilungsaktivitäten jeweils als upgrading oder auch als downgrading verstanden. Dadurch erhält okay zusätzlich die Funktion einer negativen Beurteilung (vgl. Pillet-Shore 2003: 300ff.). Diese Studie zeigt, dass der lokale Kontext einer Äusserung und die Orientierung der Teilnehmenden auf das Gesagte eine Beurteilung in ihrer Bedeutung mitgestalten können.
In späteren Studien untersucht Pillet-Shore (2012; 2015) den Umgang mit Lob und Kritik in Gesprächen zwischen Lehrpersonen und Eltern. Aufgrund der zurückhaltenden Reaktionen von Eltern auf Äusserungen, in denen Lehrpersonen die abwesenden SchülerInnen loben, rekonstruiert Pillet-Shore (2012), dass die Eltern in ihrer Rolle als Verantwortliche über ihr Kind das Lob als Kompliment für sich selbst auffassen und dementsprechend höflich und zurückhaltend bearbeiten. Weiter zeigen ihre Daten, dass die Eltern zwar teilweise lobend über ihr Kind berichten, jedoch ähnliche Dispräferenzmarker verwenden, wie wenn es sich um Selbstlob handelte (vgl. Kap. 2.1.2 zur (Dis-)Präferiertheit). So kommt Pillet-Shore zum Schluss, dass sich Eltern in der problematischen Situation wiederfinden, auf Komplimente eingehen zu müssen:
Although the action of praising students would seem to, a priori, afford a mutually enjoyable moment of celebration transparently supportive of social solidarity, this research has revealed that conference participants treat this action as interactionally problematic precisely because utterances that praise students implicate praise of parents. (Pillet-Shore 2012: 200, Hervorhebung im Original)
Während also die Mitteilung von positiven Bewertungen und Lob aus Sicht der Lehrpersonen in der Regel als unproblematisch bearbeitet wird (vgl. Pillet-Shore 2012: 183), scheint aus Sicht der Eltern die Rezeption wie auch Produktion von Lob problematisch zu sein, da das zu stark selbstlobende Auftreten vermieden werden möchte.
In ihrer jüngsten Studie konzentriert sich Pillet-Shore (2015) schliesslich primär auf die elternseitige Bearbeitung von Kritik und die damit einhergehenden Positionierungsaktivitäten. Ähnlich wie auch Kotthoff (2014) zeigt sie, wie Eltern sich als gute und kompetente Personen vorführen, indem sie einerseits kritische Beurteilungen über das Kind äussern und sich dadurch als wissend positionieren. Und andererseits präsentieren sich Eltern als involviert in Lernaktivitäten, die eine Verbesserung der Schwächen zum Ziel haben.
Beraten
Cheatham und Ostrosky (2011) untersuchen Beurteilungsgespräche auf der Vorschulstufe (‚Early Childhood Education’) und zeigen, wie Lehrpersonen als Ratgebende und dadurch als ExpertInnen konstruiert werden, während Eltern durchgehend die Rolle der Ratsuchenden übernehmen. Allerdings wird nur selten direkt nach Rat gefragt oder direkt Rat gegeben, sondern es lässt sich vielmehr beobachten, dass Lehrpersonen häufig im Anschluss an kritische Darstellungen zu SchülerInnen (selbst geäusserte oder solche vonseiten der Eltern) indirekt Ratschläge erteilen, indem sie beispielsweise über erfolgreiche Schulpraktiken berichten (vgl. Cheatham & Ostrosky 2011: 31). Dadurch wird eine Asymmetrie interaktiv gefestigt, die Lehrpersonen als diejenigen mit Zugang zum Expertenwissen über das Kind konstruiert, während Eltern mehrheitlich als Ratsuchende auftreten (vgl. Cheatham & Ostrosky 2011: 40).
Silverman, Baker und Keogh (1998) untersuchen Beratungssequenzen in schulischen Beurteilungsgesprächen und pädiatrischen Sprechstunden, gehen dabei aber insbesondere auf die Rolle des häufig schweigenden Kindes ein. In ihren Daten zeigt sich einerseits, dass die fehlenden Reaktionen auf Ratschläge von Lehrpersonen mit einer Unklarheit in der Adressierung zu tun haben (vgl. Silverman, Baker & Keogh 1998: 228ff.). Vor dem Hintergrund, dass Lehrpersonen und Eltern in diesen Gesprächen sich selbst als kompetente und moralische Instanzen vorführen, muss das Schweigen von Kindern in diesen Gesprächen kein Anzeichen von Inkompetenz sein, sondern kann auch als „form of interactive work in relation to the design of the talk between parent and professional“ (Silverman, Baker & Keogh 1998: 239) verstanden werden. Denn „silence (or at least lack of verbal response) allows children to avoid implication in the collaboratively accomplished adult moral universe“ (Silverman, Baker & Keogh 1998: 220). So betrachtet, handelt es sich beim Schweigen von Kindern in derartigen Mehrparteieninteraktionen nicht um ein kommunikatives Defizit, sondern um eine interaktive Entscheidung, sich nicht aktiv positionieren zu müssen. Walker (2002: 468) versteht hingegen das Schweigen von SchülerInnen eher als Machtlosigkeit und damit als Ausdruck institutioneller Asymmetrie. Der Frage nach der Positionierung von Kindern und Jugendlichen wird insbesondere ab Kapitel 6 weiter nachgegangen.
Mehrsprachigkeit und Interkulturalität in Beurteilungsgesprächen
Bei der Mehrsprachigkeit und Interkulturalität handelt es sich um einen Themenkomplex, der für die vorliegende Arbeit aufgrund der Datenlage nicht bearbeitet wird, jedoch gesellschaftlich höchst relevant ist. Einige Studien befassen sich mit Fragen der interkulturellen Kommunikation und untersuchen Interaktionen mit Eltern, die keine oder limitierte Kenntnisse der Schulsprache haben. Kotthoff (2012a: 298) spricht von einer „Verschränkung von spezifischem Kultur- und Sprachwissen“ und führt den Begriff der kulturellen Mitspielkompetenz ein, um zu beschreiben, wie sich Eltern mit Migrationshintergrund nicht in demselben Mass positionieren können wie Eltern mit Deutsch als Muttersprache. Dies zeigt sich in ihren Daten beispielsweise darin, dass sich Eltern mit Deutsch als Fremdsprache weniger bei den Bewertungsaktivitäten einbringen (vgl. Kotthoff 2012a: 317f.). Korn (2014: 92f.) stellt in ihrem Korpus zudem fest, dass sich die mangelhafte Mitspielkompetenz von Eltern mit Deutsch als Fremdsprache vor allem im Bereich des institutionell-fachlichen Wissens manifestiert.
Cheatham und Ro (2011a; 2011b) zeigen in Gesprächsdaten mit Eltern, die Englisch als Zweitsprache sprechen, welche zusätzlichen kommunikativen Herausforderungen entstehen, wenn – im Sinne von Kotthoff – nicht nur die kulturelle, sondern auch die sprachliche Mitspielkompetenz fehlt. So stellen sie fest, dass sich die Eltern nur äusserst minimal und meist nur mit Rezeptionssignalen in die Gespräche einbringen, sodass häufig nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Eltern das Gesagte auch verstanden haben.
Und schliesslich gibt es Studien zu Beurteilungsgesprächen, die wegen sprachlichen Defiziten gedolmetscht werden müssen. In diesen Interaktionen kommen durch die Teilnahme einer weiteren Person, die allerdings nicht die eigentlich adressierte Person ist, zusätzliche kommunikative Schwierigkeiten hinzu und die Involvierung der Eltern wird oftmals vernachlässigt (vgl. Howard & Lipinoga 2010; Zwengel 2010; 2015). Auch verschärft sich das Problem, wenn es sich bei den DolmetscherInnen gleichzeitig um die SchülerInnen selbst oder um ihre Geschwister handelt (vgl. Zwengel 2010; 2015).
1.2 Forschungsinteressen und Fragestellungen
In dem erhobenen Korpus überwiegen die Gespräche mit anwesenden Kindern bzw. Jugendlichen und nur zwei Gespräche finden ausschliesslich zwischen den Lehrpersonen und den Eltern statt. Dass die SchülerInnen bei den Beurteilungsgesprächen mitanwesend sind, entspricht einem beobachtbaren Trend an Schweizer Schulen und deckt sich auch mit Empfehlungen in pädagogischer Fachliteratur (vgl. Sacher 2014; Vögeli-Mantovani 2011). Wie sich die Anwesenheit der Kinder bzw. der Jugendlichen auf die Interaktionen auswirkt und welche Rolle sie dabei einnehmen, wurde hingegen bisher noch kaum untersucht (vgl. aber Silverman, Baker & Keogh 1998; Walker 2002) und wird allenfalls am Rande erwähnt (vgl. Ackermann 2014: 71ff.; Baker & Keogh 1995: 270ff.; Korn 2013: 81f.; MacLure & Walker 2000: 22).
Wie Schwabe (2006: 17) betont, lag der Fokus in der gesprächsanalytischen Forschung im Bereich der institutionellen Kommunikation generell meist auf Gesprächen zwischen Erwachsenen oder dann auf der Unterrichtskommunikation. Die Kind-Erwachsenen-Interaktion sowie spezifisch im schulischen Kontext die Aussenkommunikation zwischen Schule und Familie, steht erst seit jüngerer Zeit im Fokus der empirischen Gesprächsforschung. Dadurch dass die SchülerInnen oftmals in den Gesprächen anwesend sind, entsteht eine anspruchsvolle Gesprächssituation: Einerseits handelt es sich bei der Mehrparteieninteraktion aus Sicht der Gesprächsorganisation um komplexere Konstellationen, da Rederecht und Sprecherwechsel interaktiv ausgehandelt werden müssen. Andererseits wird in verschiedenen Publikationen zu institutionellen, aber auch alltäglichen Gesprächen zwischen Erwachsenen und Kindern darauf hingewiesen, dass Kinder in der Interaktion nicht dieselben Rechte besitzen und häufig als „less-than-full members“ (Shakespeare 1998: 23f.) konstruiert werden (vgl. auch Butler & Wilkinson 2013; Hutchby & O’Reilly 2010). Dies äussert sich durch Rederechtsübernahmen durch die Erwachsenen an Stellen, an denen eigentlich ein Kind hätte antworten sollen. Wenn also beispielsweise in einem Beurteilungsgespräch eine Frage an das Kind gerichtet wird und ein Elternteil anstelle des adressierten Kindes antwortet, wird dem Kind das Rederecht abgesprochen und die erwachsene Person präsentieret sich selbst als kompetentere Teilnehmende, die oder der über das Befinden und Denken des Kindes Bescheid weiss und dementsprechend urteilen kann. Im Rahmen der Erforschung schulischer Beurteilungsgespräche besteht also ein besonderes Interesse darin, die Beteiligungsstrukturen im Hinblick auf die Interaktionsmöglichkeiten der mitanwesenden SchülerInnen zu untersuchen.
Aufgrund der Datenlage und der bisherigen Forschung sind die folgenden Forschungsinteressen zentral für die vorliegende Arbeit:
Insgesamt herrscht im Bereich der Kommunikation zwischen Lehrpersonen, Eltern und SchülerInnen ein Mangel an (gesprächsanalytischen) Studien, die sich auf authentische Gesprächsdaten stützen. Wenn auch in den letzten Jahren ein steigendes Interesse an dem Gesprächstyp zu verzeichnen ist, bleiben viele Fragen noch unbearbeitet. Insbesondere die Anwesenheit von SchülerInnen in Beurteilungsgesprächen sowie deren Einfluss auf die Interaktion wurde noch nicht hinreichend betrachtet.
Ziel und Anspruch dieser Forschungsarbeit ist es, am Beispiel von Beurteilungsgesprächen neue Erkenntnisse zu Beteiligungsstrukturen und Positionierungsaktivitäten in der Kind-Erwachsenen-Interaktion zu erarbeiten. Dabei interessieren insbesondere die spezifischen Design-Aktivitäten (vgl. Schmitt & Knöbl 2014) vonseiten der Erwachsenen, welche einerseits eine Orientierung am anwesenden Kind oder Jugendlichen aufzeigen oder aber eine Involvierung ebendieser begünstigen. Es interessiert dabei die Frage, welche Interaktionsmöglichkeiten den anwesenden SchülerInnen geboten werden und wie diese von denen genutzt werden können.
Im Folgenden lege ich dar, welche spezifischen Bereiche in der vorliegenden Arbeit fokussiert werden.
1.3 Aufbau der Arbeit
Nachdem in Kapitel 1 der Forschungsbereich des schulischen Beurteilungsgesprächs abgesteckt wurde und Begriffsbestimmungen, bisherige Forschungsergebnisse sowie die eigenen Forschungsinteressen dargelegt wurden, geht es in Kapitel 2 um die theoretische Einbettung der Forschungsarbeit. Zuerst wird die Gesprächsanalyse als methodischen und theoretischen Bezugsrahmen vorgestellt (Kap. 2.1). Dann geht es um interaktive und kooperative Grundprinzipien der mündlichen Interaktion und in diesem Zusammenhang um das konversationsanalytische Konzept Recipient Design (Kap. 2.2). Daraufhin werden Aspekte der interaktiven Beteiligung diskutiert (Kap. 2.3). Beteiligungsrollen können nach Goffman (1981) sowohl aufseiten der Rezipierenden als auch aufseiten der Produzierenden einer Äusserung weiter ausdifferenziert werden. So muss beispielsweise zwischen adressierten und nicht-adressierten Rezipierenden unterschieden werden. Und bei der Produktion einer Äusserung gibt es verschiedene Situationen, in denen eine weitere Differenzierung des Begriffs SprecherIn nötig wird, beispielsweise wenn eine Person durch direkte Redewiedergabe das Gesagte einer anderen Person wiedergibt. Zudem geht es um Steuerungsaktivitäten, welche die Beteiligung einzelner Personen beeinflussen können. Und schliesslich werden theoretische Überlegungen zur Identitätskonstruktion und zur Positionierung vorgestellt (Kap. 2.4). Es geht dabei zuerst allgemein um die Konstruktion von Identität(en), dann um Konzepte der sozialen Kategorisierung, schliesslich um die Selbst- und Fremdpositionierung und damit verbunden auch um die Selbst- und Fremdbeurteilung.
In Kapitel 3 wird das methodische Vorgehen, welches sich an den Grundprinzipien der ethnomethodologischen Konversationsanalyse orientiert, detailliert dargelegt und reflektiert (Kap. 3.1). Zudem wird das erhobene Korpus vorgestellt (Kap. 3.2). Es handelt sich dabei um Audioaufnahmen von authentischen Beurteilungsgesprächen auf unterschiedlichen Schulstufen. Alle Gespräche werden zur Orientierung kurz inhaltlich zusammengefasst und mithilfe weiterer Kontextinformationen beschrieben.
Nun folgen die fünf Analyseteile zu ausgewählten Aspekten. In Kapitel 4 werden die Eröffnungs- und Beendigungssequenzen der Gespräche analysiert. Dadurch gewinnen wir einen Einblick in den Aufbau und die Ziele der Gespräche. Gleichzeitig zeigt die Analyse der Gesprächsränder, wie die Gesprächsbeteiligten sich in dieser Interaktion gleich zu Beginn gewisse (Beteiligungs-)Rollen zuweisen. Diese Themenkomplexe werden in eigenen Teilen weiter ausgearbeitet.
In Kapitel 5 folgen erste Analysen zu Positionierungsaktivitäten und sozialen Rollen. Es geht dort insbesondere um die Positionierung von Lehrpersonen und Eltern als (Ko-)Lehrpersonen (Kap. 5.1), als Eltern und Erziehende (Kap. 5.2) sowie als (ehemalige) Lernende (Kap. 5.3). Die Positionierungen machen ein allgemeines Streben nach Symmetrien in der Interaktion sichtbar, was sich gerade auch bei den Positionierungen bei elternseitiger Kritik zeigen lässt (Kap. 5.4). Durch die beobachteten Positionierungen lässt sich zeigen, wie die Beteiligten darum bemüht sind, das schulische Beurteilungsgespräch gemeinsam als inter-institutionelle Kommunikation zu etablieren.
Der Fokus der Analysen in Kapitel 6 liegt auf der interaktiven Herstellung von Beteiligung in der Interaktion. Es kann an Gesprächsdaten gezeigt werden, wie die Beteiligung von allen Anwesenden aktiv mitgestaltet wird und das Zusammenspiel verschiedener Steuerungsaktivitäten und Design-Aktivitäten (vgl. Schmitt & Knöbl 2014) die Inklusion und Beteiligung der Kinder bzw. Jugendlichen beeinflusst. Zuerst werden Beteiligungsstrukturen bei expliziter Adressierung diskutiert (Kap. 6.1) und schliesslich werden die häufig verwendeten Verfahren der wechselnden und ambigen Referenzen genauer auf die Implikationen hin untersucht (Kap. 6.2).
In Bezug auf die Beteiligungsstrukturen sowie die Positionierungs- und Beurteilungsaktivitäten zeigt sich die animierte Rede (vgl. Ehmer 2011) als besonders funktional in Beurteilungsgesprächen mit anwesenden SchülerInnen. Ich verstehe die animierte als spezifische Design-Aktivität und bespreche die Funktionen und Kontexte gesondert in Kapitel 7, um vertieft darauf eingehen zu können. Es geht dabei im Wesentlichen um Selbst- und Fremdpositionierungen und indirekte sowie implizite Bewertungen am Beispiel von imaginierten Identitätsmerkmalen.
Zuletzt wird in Kapitel 8 die Praxis der Selbstbeurteilung kritisch diskutiert. In einigen Schulen füllen die SchülerInnen vor den Beurteilungsgesprächen schriftliche Selbstbeurteilungsbögen aus und bringen diese zu dem Gespräch mit. Diese Selbstbeurteilungen werden in den Gesprächen sehr unterschiedlich gewichtet und es wird der Frage nachgegangen, wie die teilweise divergierenden Selbst- und die Fremdbeurteilungen von den Beteiligten ausgehandelt werden.
In Kapitel 9 werden schliesslich die Ergebnisse resümiert und es folgt ein Ausblick auf zukünftige Forschungstätigkeiten im Bereich von Beurteilungsgesprächen in der Schule. Dabei werden einerseits Forschungsdesiderata formuliert, die sich auf die (gesprächsanalytische) Erforschung von Beurteilungsgesprächen bezieht. Andererseits werden erste Überlegungen zur Relevanz der Forschungsergebnisse für (angehende) Lehrpersonen gemacht. Dabei geht es noch nicht um die Ausarbeitung von Schulungsangeboten, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, aber es werden Möglichkeiten der Angewandten Gesprächsforschung angedacht.