Kitabı oku: «Beurteilungsgespräche in der Schule», sayfa 7

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2.4.2 Soziale Kategorisierung

Bei der interaktiven Identitätskonstruktion werden u.a. Kategorienzugehörigkeiten ausgehandelt (vgl. Kap. 2.4.1), was implizit oder auch durch explizite Benennung erreicht werden kann. Die Analyse von Mitgliedschaftskategorisierungen geht in der Gesprächsanalyse auf Sacks zurück und findet bereits ab 1964 in seinen Lectures Beachtung (vgl. Sacks 1995: I: 40ff.). Obwohl die Verbindung von Identität, Positionierung und Mitgliedschaftskategorisierung im Sinne von Sacks (1972; 1995) offensichtlich vorhanden ist, werden die Begriffe in der Forschungsliteratur, mit Ausnahme von Deppermanns (2013b) Gegenüberstellung, überraschenderweise jeweils getrennt und meist ohne Querverweise abgehandelt.1

Sacks (1995: I: 246, 248) führt in den Vorlesungen von 1966 die Begriffe membership categorization device (MCD) und category-bound activities (übersetzt als kategoriengebundene Aktivitäten) ein. Während er diese als Teilkonzepte innerhalb der Konversationsanalyse betrachtet, wird membership categorization analysis (MCA) später teilweise als eigene Methode verstanden (vgl. Fitzgerald 2012; Stokoe 2012; ten Have 2007: 45ff.). Diese Trennung in zwei Methoden mit unterschiedlichen Interessen wird von Schegloff (2007: 476f.) allerdings kritisiert und auch hier wird die Ansicht vertreten, dass die soziale Kategorisierung mit der sequenzanalytischen Gesprächsanalyse vereinbar ist.

Unter MCD versteht Sacks (1972; 1995) verschiedene Gruppen von Kategorien, wie beispielsweise ‚Alter’, ‚Gender’ oder ‚Beruf’. Kategoriengebundene Aktivitäten sind Handlungen oder auch Beschreibungen von Aktivitäten (vgl. Schegloff 2007: 470), die mit einer solchen Kategorie assoziiert werden und die demnach eine Kategorienzugehörigkeit anzeigen (vgl. auch die Übersicht in Stokoe 2012: 281).2

Insgesamt gewinnen wir durch die Analyse von Mitgliedschaftskategorisierungen Einblick in Rollenzuschreibungen und Erwartungshaltungen von Interagierenden oder wie ten Have (2007: 45) treffend resümiert: „Membership Categorization Analysis (MCA) offers a useful entrée to start analysing the social knowledge which people use, expect, and rely on in doing the accountable work of living together.“ Durch die Aktivierung von Kategorien und Aushandlung von Kategorienzugehörigkeiten wird Alltagswissen der Beteiligten über soziale Gruppen und Identitäten angezeigt (vgl. auch Schegloff 2007: 469). Die Schwierigkeit bei der Analyse liegt darin, nicht das eigene Alltagswissen dominieren zu lassen, sondern jeweils sequenzanalytisch zu prüfen, welche Kategorien und kategoriengebundenen Aktivitäten tatsächlich lokal von den Gesprächsteilnehmenden aktiviert werden (vgl. Deppermann 2013b: 66; Schegloff 2007: 475ff.; Stokoe 2012: 282).3

Mit Deppermann (2013b: 63, 66ff.) gehe ich davon aus, dass die Analyse von Mitgliedschaftskategorisierungen nicht ausreicht, um Identitätskonstruktionen im Gespräch umfassend zu betrachten. Im Folgenden wird das Konzept und Vorgehen der Positionierungsanalyse vorgestellt, die Aspekte der hier diskutierten Kategorisierungen beinhalten, aber darüber hinaus weitere Aspekte der Identitätsanalyse einzubeziehen vermögen.

2.4.3 Selbst- und Fremdpositionierung

Der Begriff positioning wird mit Hollway (1984) in Verbindung gebracht, während die Konzeption(en) der Positionierungstheorie auf Davies und Harré (1990)1 zurück geht und sich ursprünglich in der sozialkonstruktivistischen, diskursiven Psychologie verorten lässt (vgl. Harré & van Langenhove 1999b: 2ff.). Das Konzept der Positionierung wurde insbesondere im Rahmen der gesprächsanalytischen Erzählforschung (vgl. v.a. Bamberg 1997; Bamberg & Georgakopoulou 2008; Lucius-Hoene & Deppermann 2002; 2004) sowie beispielsweise für die Gesprächsrhetorik (vgl. Wolf 1999) weiterentwickelt.

Davies und Harré (1999: 37) definieren Positionierung als „discursive process whereby people are located in conversations as observably and subjectively coherent participants in jointly produced story lines“. Mit Positionierung werden also die sprachlichen Praktiken bezeichnet, mit denen die Beteiligten im Gespräch gegenseitig ihre Identitäten aushandeln, indem sie sich und anderen gewisse Eigenschaften und Rollen zuschreiben (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 196; 2004: 168; Wolf 1999: 69f.). Positionierung wird dabei als grundlegend dynamischer Prozess verstanden:

With positioning, the focus is on the way in which the discursive practices constitute the speakers and hearers in certain ways and yet at the same time they are a resource through which speakers and hearers can negotiate new positions. (Davies & Harré 1999: 52)

So werden sprachliche Praktiken für die Selbst- und Fremdpositionierung von Beteiligten verwendet, die jedoch nicht als fix zugewiesene Positionen erhalten bleiben, sondern wiederum von den Interagierenden ausgehandelt werden können.2

Die Begriffe Selbstpositionierung und Fremdpositionierung sind dabei nicht als eigenständige Aktivitäten zu verstehen, sondern als jeweils gleichzeitig vollzogene Handlungen:

Indem ich mich selbst beschreibend oder handelnd positioniere, weise ich mir, ebenso aber auch dem Anderen in Relation zu meiner eigenen Position, die ich ihm gegenüber beanspruche, eine Identität zu. (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 196)

Eine Positionierung leistet demnach jeweils eine doppelte Identitätskonstruktion, indem zugleich die eigene sowie die interagierende Person bestimmt werden (vgl. auch van Langenhove & Harré 1999a: 22). Diese Aspekte der Identität können von den Beteiligten weiter ausgehandelt und in den Folgesequenzen entsprechend ratifiziert oder abgelehnt werden. Beteiligte können dabei sowohl Aspekte der Selbstpositionierung als auch der Fremdpositionierung annehmen bzw. zurückweisen (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 170).

Positionierungen können auf vielfältige Weise sprachlich realisiert werden und dabei unterschiedlich explizit oder implizit sowie direkt oder indirekt ausfallen (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 171). Wolf (1999: 73) nennt darunter explizite Kategorisierungen, Schilderungen von Situationen und Befindlichkeiten, biografische Selbst- und Fremdthematisierungen sowie Erzählungen von Ereignissen. Sie betont aber, dass die Positionierungen noch impliziter vorgenommen werden können, wie beispielsweise durch auffällige sprachliche Ausdrucksformen oder durch bestimmte Beteiligungsweisen. Es spielt dabei jeweils der lokale Kontext der realisierten Positionierung eine wichtige Rolle (vgl. z.B. Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 172).

Lucius-Hoene und Deppermann (2004: 171) beschreiben weiter, welche Aspekte einer Identität durch die Positionierung aktiviert werden können und nennen persönliche Merkmale bzw. psychologische Eigenschaften (z.B. Kreativität), soziale Identitäten (z.B. Lehrperson) und damit verbundene rollenbedingte Rechte (z.B. Kompetenz) sowie moralische Attribute und Ansprüche (z.B. Ehrlichkeit) (vgl. auch van Langenhove & Harré 1999a: 21f.).

Ferner gilt zu beachten, dass die alltagssprachliche Verwendung von Positionierung zwar tendenziell auf aktive, bewusste Entscheidungen verweist, jedoch beim theoretischen Konzept der Positionierung nicht grundsätzlich von einer intendierten Handlung ausgegangen wird (vgl. Davies & Harré 1999: 37; van Langenhove & Harré 1999a: 22). Lucius-Hoene und Deppermann (2004: 171) sprechen auch von einem „ständige[n] Mitlaufen von Positionierungen en passent“ bei sprachlichen Aktivitäten, die nicht primär auf eine explizite Positionierung ausgerichtet sind. Es kann also nicht das Ziel der Analyse sein, nur direkte und explizite Charakterisierungen in den Blick zu nehmen, sondern es soll im Detail untersucht werden, durch welche sprachlichen Aktivitäten gleichzeitig eine Positionierung vorgenommen wird.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Analyse sich auf Gesprächsdaten verlässt und damit grundsätzlich keine Aussagen zu psychologischen Fragen treffen kann (z.B. ob es sich um bewusste oder unbewusste Positionierungen handelt). Es interessiert bei der Gesprächsanalyse grundsätzlich nur Wissen, das sich aus den Daten heraus erschliessen lässt. So wird nicht untersucht, welche Erwartungen oder welches Rollenwissen Gesprächsteilnehmende beispielsweise an sich bzw. an das Gegenüber als Lehrperson haben, sondern nur welches Wissen davon in der Interaktion relevant gesetzt wird. Wenn auch davon ausgegangen werden kann, dass soziale Rollen durch Erfahrung und vergangene Interaktionen verfestigt werden (vgl. Davies & Harré 1999: 41f.; vgl. auch van Langenhove & Harré 1999b zur Stereotypisierung), so kann dennoch nur der tatsächliche, aktuelle Akt der Positionierung analysiert werden.

2.4.4 Selbst- und Fremdbeurteilung

Im Kontext der Beurteilungsgespräche zeigt sich, dass das Positionieren und das Beurteilen nah verwandte Konzepte sind. Denn, wie auch Kotthoff (2012a: 294) feststellt, „gerät [alles] in einen Einschätzungsrahmen“, so auch Beschreibungen, Kategorisierungen oder Erzählungen.

Im Sinne von Sacks (1972; 1995) kann das Beurteilen als für Lehrpersonen typische und daher kategoriengebundene Aktivität verstanden werden (vgl. Kap. 2.4.2). Zunächst drängt sich eine Abgrenzung von Bewerten und Beurteilen auf, da sich dazu in der Forschungsliteratur unterschiedliche Definitionen finden. Mit Becker-Mrotzek und Böttcher (2012: 123) verstehe ich das Bewerten als einen der Beurteilung zugrundeliegenden „mentale[n] Prozess des Einschätzens“ und schliesslich das Beurteilen als eine „verbal geäusserte Bewertung“. Eine Bewertung kann also verbal als Beurteilung geäussert werden, oder dann in einer im Kontext der Schule typischen Note münden, welche sich als „zusammenfassende Bewertung einer Leistung“ definieren lässt (Becker-Mrotzek & Böttcher 2012: 124).

Bewertungen finden sich jedoch nicht ausschliesslich in schulischen Kontexten, sondern gelten vielmehr als ständige Bestandteile alltäglicher Interaktion (vgl. Fiehler 2001a: 1429; Hrncal & Gerwinski 2015: 46; Pomerantz 1984: 57). Denn sobald „Akteure Personen, Dinge, Verhaltensweisen, Ereignisse, Orte und vieles mehr hinsichtlich spezifischer oder vager Bewertungsmassstäbe einer Beurteilung unterziehen (im einfachsten Falle gut vs. schlecht)“ (Hrncal & Gerwinski 2015: 46), liegt ein Bewertungsdiskurs vor. Das Bewerten findet demnach in vielen Kontexten statt und kommt immer dann zum Zuge, wenn über die Sachverhalte hinaus eine Bewertung oder Beurteilung zustande kommt. Fiehler (2001a: 1429) versteht dann auch Kommunikation als eine „Verständigung über Sachverhalte“ und eine „Verständigung über Bewertungen“, denn „[b]eim Austausch über ein Thema werden immer auch Bewertungen kommuniziert“. Nach dieser Auffassung kann also das Bewerten als stets mitkommunizierte Aktivität gelten.

Während in Alltagsgesprächen auch vage Bewertungsmassstäbe hinzugezogen werden, liegen der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung in der Regel schulbezogene Kriterien zugrunde. Es gelten demnach institutionelle Massstäbe, an denen sich die Beurteilungen in Form von Noten oder (standardisierten) Beschreibungen orientieren (vgl. z.B. Mazeland & Berenst 2008, siehe Kap. 1.1.2).

In den vorliegenden Gesprächsdaten müssen sich die SchülerInnen gelegentlich auch selbst beurteilen. Selbstbeurteilung kann definiert werden als „das Bemühen der Lernenden, ihr eigenes Denken, Fühlen und Handeln zu reflektieren, einzuschätzen und gegebenenfalls zu bewerten“ (Nüesch, Bodenmann & Birri 2009: 43). Hierbei können – wie auch generell bei Beurteilungen – verschiedene Bezugsnormen relevant sein. Es werden in der Regel die Sozialnorm, die Lernzielnorm und die Individualnorm unterschieden, wobei teilweise andere Begriffe verwendet werden (vgl. Lötscher & Roos 2005: 14; Nüesch, Bodenmann & Birri 2009: 50; Winter 2004: 61ff.). Die Sozialnorm kommt dann zum Tragen, wenn die Leistung eines Kindes an der Leistung anderer gemessen wird. Diese Beurteilung erfüllt die Funktion der Selektion. Bei der Lernzielnorm geht es um die Standortbestimmung eines Kindes und gemessen wird der Erfolg im Hinblick auf die vereinbarten Lernziele. Und bei der Individualnorm werden die Fortschritte eines Kindes bewertet, was einer Förderung oder Bestärkung gleichkommt. Aus förderorientierter Perspektive sind gemäss Lötscher und Roos (2005: 16) insbesondere die beiden letztgenannten Normen zu beachten und die Sozialnorm eigne sich hingegen nicht für die Selbstbeurteilung von Leistungen. Demnach kann das Instrument der Selbstbeurteilung vor allem dann sinnvoll angewendet werden, wenn SchülerInnen sich selbst in Bezug auf Lernziele und Lernfortschritte beurteilen.

Vögeli-Mantovani (2011: 254) versteht „Selbstbeurteilungen als Voraussetzung für partnerschaftliche Beurteilungsgespräche“ und weist damit SchülerInnen eine anerkannte, gleichberechtigte Rolle zu. Weiter kommt er zum Schluss:

Selbstbeurteilung ist eine Voraussetzung für aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Alters am Beurteilungsgespräch. Umgekehrt gilt auch, dass ein Beurteilungsgespräch ohne Anteile von Selbstbeurteilung die Hauptperson nicht ernsthaft einbeziehen kann. (Vögeli-Mantovani 2011: 261)

In welchem Masse es sich um „partnerschaftliche Beurteilungsgespräche“ handelt und wie die Selbstbeurteilungen von SchülerInnen in den Gesprächen eingebettet werden, zeigt sich dann in den Analysen in Kapitel 8.

2.5 Zusammenfassung

Die vorliegende Untersuchung orientiert sich theoretisch und methodisch an der konversationsanalytischen Gesprächsanalyse und fokussiert insbesondere Fragen der interaktiven Kooperation, der Gesprächsbeteiligung und der Positionierung. Unter Kooperation ist die grundsätzlich wechselseitige, interaktive Ausgestaltung von mündlichen Gesprächen zu verstehen und es geht dabei im Wesentlichen um das Recipient Design. Damit hängt auch die Organisation von Gesprächsbeteiligung zusammen, wo es spezifischer um die Formen der Inklusion und Exklusion in der Interaktion geht. Und bei der Positionierungsanalyse schliesslich geht es um die Aushandlungen von Identität(en) im Gespräch. Dabei interessieren insbesondere Positionierungen, die im Rahmen der untersuchten Gespräche als Beurteilungen fungieren.

3 Methodenreflexion und Datenmaterial

„What sorts of animals are to be found in the interactional zoo?

What plants in this particular garden?“

(Goffman 1983: 6)

Ziel dieses Kapitels ist es, zum einen das analytische Vorgehen transparent zu machen und zum anderen einen vertieften Einblick in das verwendete Korpus zu gewähren. Zwar wurden Theorien und Methoden in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt, jedoch soll hier ergänzend und konkretisierend aufgezeigt werden, welche Vorgehen gewählt wurden und welche Implikationen die methodischen und analytischen Entscheidungen für die Ergebnisse haben. Bei der Präsentation des Datenmaterials werden erste allgemeine und strukturelle Beobachtungen zu den Gesprächen diskutiert.

3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen

Für die vorliegende Analyse wird mit natürlichen Gesprächsdaten gearbeitet, die für dieses Projekt an Schulen aufgenommen und transkribiert wurden. Da bei der Gesprächsanalyse die einzelnen Schritte der Erhebung, Aufbereitung und Analyse von Daten theoretisch und methodologisch geprägt sind, soll das konkrete Vorgehen im Folgenden diskutiert und reflektiert werden.

3.1.1 Datenerhebung und Zugang zum Forschungsfeld

Wie in Kapitel 2.1.1 dargelegt wurde, gibt es in der Gesprächsforschung unterschiedliche Positionen zum Einbezug von zusätzlichen Informationen bezüglich Untersuchungsfeld und Gesprächssituation. Während in der klassischen Konversationsanalyse ausschliesslich die Gesprächsaufnahmen als Datenmaterial verwendet werden, wird inzwischen jedoch vermehrt auf ergänzende Daten und Beobachtungen zurückgegriffen, um noch tiefere Einblicke in die ‚Kultur’ des untersuchten Gesprächssettings zu erhalten (vgl. Deppermann 2000; Deppermann 2008a: 22ff.). Festzuhalten sind dabei nicht nur allgemeine Beobachtungen zum Feld oder zu ergänzenden Gesprächen mit den Studienteilnehmenden, sondern auch zum gesamten Ablauf der Datenerhebung. So empfiehlt Deppermann (2008a: 24) auch Kontaktversuche und Vorbesprechungen zu protokollieren, denn

[d]ie Bedenken, Widerstände und Ängste, die sich einer Untersuchung entgegenstellen, sind oft ebenso aufschlußreich für das, was wir erforschen wollen, wie die Gespräche, die wir schließlich aufnehmen können.

Diese Daten können zusätzliche Eindrücke gewähren und eine schärfere und umfassendere Analyse der situationstypischen Eigenheiten ermöglichen. Ganz in diesem Sinne ist die folgende Darstellung zu verstehen, in der beschrieben wird, wie die Kontakte mit den Schulen zustande kamen und mit welchen Reaktionen von Schulleitungen, Lehrpersonen, Eltern sowie SchülerInnen ich mich konfrontiert sah.

Zugang zum Forschungsfeld

Die Datenerhebung fand von 2011–2013 statt und war von Anfang an durchzogen von Absagen und Verzögerungen, sodass im längsten Fall über ein Jahr zwischen Kontaktaufnahme und tatsächlicher Aufzeichnung eines Gesprächs verstrich. Insgesamt lassen sich allerdings stufenspezifische Unterschiede vermerken. So wurde vonseiten der angefragten Lehrpersonen an Primarschulen sofortiges Interesse bekundet und die Schulleitungen zeigten ebenfalls wenig Bedenken. Das Einverständnis der Eltern wurde von den Lehrpersonen eingeholt und die Bereitschaft sei ebenfalls gross gewesen. Die einzige Skepsis betraf die allfällige Anwesenheit der Forscherin. So wurde die teilnehmende Beobachtung als weitere Erhebungsmethode sehr früh ausgeschlossen.

Anders sieht es jedoch auf den Sekundarstufen I und II aus, wo ich mit der Datenerhebung aus Gründen des ursprünglichen Forschungsinteresses begann. Durch die eigene Ausbildung zur Lehrerin auf gymnasialer Oberstufe sind Kontakte zu Schulen und Lehrpersonen vorhanden, die nun zum Forschungszweck reaktiviert wurden. Auch wurden Lehrpersonen und Mitglieder der Schulleitungen aus dem persönlichen Bekanntenkreis kontaktiert, um so an Gespräche zu kommen. Ich sah mich von Beginn weg konfrontiert mit starker Ablehnung vonseiten vieler Schulleitungen und es war insgesamt eine grosse Herausforderung, die Einverständnisse aller beteiligter Personen zu erhalten. Verschiedene Gründe führten schliesslich zu teilweise sehr kurzfristigen Absagen: In einigen Fällen lag das Einverständnis der Schulleitung vor, jedoch fehlte die Bereitschaft von Lehrpersonen; oder die Schulleitung und eine Lehrperson waren einverstanden, nicht aber die angefragten Eltern sowie in einem Fall der angefragte mitanwesende Schüler; oder schliesslich kam es auch in einigen Fällen zu Absagen, da nach erfolgreicher Anfrage von Lehrpersonen die Schulleitungen ihre Bedenken äusserten und die Aufnahmen verunmöglichten. So waren insgesamt unter den angefragten Personen deutlich mehr potenzielle Teilnehmende, die jedoch aufgrund einer weiteren, fehlenden Einwilligung nicht Teil der Untersuchung werden konnten.

Die Beweggründe, die zu einer Absage oder zu einer zurückhaltenden Einstellung führten, sind sehr unterschiedlicher Natur und sollen mit den folgenden (anonymisierten) Auszügen aus den entsprechenden E-Mails demonstriert werden. Der erste Auszug stammt aus einer Absage auf die schriftliche Kontaktaufnahme mit einem Gymnasium, zu dem keine persönlichen Kontakte bestehen. Es handelt sich folglich nicht um eine blosse Einwilligung, sondern gleichzeitig um eine Anfrage, die Datenerhebung durch das Herstellen von Kontakten zu Lehrpersonen aktiv mitzugestalten. Die Absage gründet auf drei unterschiedlichen Ebenen:

1 Die Schulen stecken mitten in einem Reformprozess, der die Lehrerschaft enorm belastet. Wir müssen mit unseren Kräften haushälterisch umgehen.

2 Wir bekommen fast täglich Anfragen für Studien, Umfragen und Evaluationen, die wir an den Schulen durchführen sollten. Wir müssen uns davor schützen, zu einem Versuchslabor zu werden.

3 Elterngespräche sind etwas enorm Wichtiges und höchst Vertrauliches. Auch wenn alles anonymisiert wird, stört jede Aufnahme und Auswertung den Ablauf der Gespräche sehr. Der Gewinn scheint uns geringer als der Preis.

(Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2012)

Wie hier deutlich wird, geht es bei den ersten beiden Punkten nicht in erster Linie um das aktuelle Forschungsvorhaben, sondern um eine generelle Positionierung der Schule als Institution, die verschiedenen Anforderungen gerecht werden muss. Das regelrechte Überhäufen von Anfragen aus Forschungsprojekten wurde von anderen Schulleitungen in Unterhaltungen bestätigt bzw. ähnlich dezidiert formuliert. So wurde teilweise grosses Interesse am vorliegenden Projekt kundgetan und dennoch keine Einwilligung gegeben, da die Schulen grundsätzlich vor Studien geschützt werden sollten und die Teilnahme nur noch bei erhöhtem Druck ‚von oben’ zugelassen würden, nämlich bei grösseren kantonalen oder nationalen Forschungsprojekten. Im Rahmen dieser Argumentation lassen sich wohl auch die teilweise komplett ausbleibenden Antworten von Schulleitungen interpretieren.

Beim dritten Punkt geht es hingegen um die konkrete Anfrage und die abschlägige Antwort bezieht sich v.a. auf die als Störung empfundene Aufnahme der als vertraulich eingestuften Beurteilungsgespräche. Dass die anschliessende Anonymisierung der Daten die Vertraulichkeit der Gesprächssituation dennoch ermöglicht, wird hier implizit ausgeschlossen. So wird nicht nur die Aufnahme als Störung empfunden, sondern auch die anschliessende Auswertung der Daten. Es wird hier impliziert, dass alleine das Wissen um die zukünftige Auswertung den aktuellen Gesprächsverlauf zu beeinflussen vermag. Ein weiterer Aspekt wird in diesem dritten Punkt angesprochen, nämlich der ‚Gewinn’ oder Nutzen für die Schulen. In erster Linie wurde bei der Anfrage jeweils kommuniziert, dass die Analysen dazu genutzt werden können, die angehenden Lehrpersonen in Bezug auf die Gesprächskompetenz zu schulen, was folglich den Schulen zugute käme. In den Folgegesprächen mit Schulleitungen bot ich zudem an, zu einem späteren Zeitpunkt vor Ort über die Studienergebnisse zu berichten. Überraschenderweise wurde nur vereinzelt der Wunsch einer dementsprechenden Präsentation signalisiert.

Im folgenden Auszug kommt ebenfalls die befürchtete Störung zur Geltung. Vor der Kontaktaufnahme mit der Schulleitung eines Gymnasiums fand bereits ein Austausch mit einer Lehrperson statt, die ihre Bereitschaft zur Teilnahme ankündigte. Mit der Anfrage an die Schulleitung sollte demnach nur noch eine grundsätzliche Einwilligung eingeholt werden, dass an dieser Schule ein Gespräch aufgenommen werden darf:

Lernberichtsgespräche sind aus unserer Sicht zentrale Bestandteile der qualitätsorientierten Kommunikation zwischen Schule und den Familien. Diese Kommunikation soll in keiner Weise durch zusätzliche Erhebungen tangiert werden. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2013)

Auch hier wird die Wichtigkeit der Gespräche hervorgehoben und die Störung zu Forschungszwecken abgelehnt. Interessant bei dieser Aussage ist die Formulierung, dass die Gespräche zur „qualitätsorientierten Kommunikation zwischen Schule und den Familien“ gehören. Vor dem Hintergrund, dass (aus Erfahrung insbesondere auf der Sekundarstufe II) die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen in Bezug auf die Gesprächskompetenz im Kontakt mit Eltern vernachlässigt wird (vgl. z.B. Gartmeier et al. 2011; Lemmer 2011; 2012; Minke & Anderson 2003), stellt sich die Frage, wie denn die Qualitätsorientierung gewährleistet werden kann. Da es zurzeit noch an entsprechender Grundlagenforschung mangelt, scheint kein Weg an dem Dilemma vorbeizuführen, dass mit dem Wunsch nach fundiertem Wissen über die Gespräche eine gewisse ‚Störung’ einhergeht.

Die nächsten Zitate beziehen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf den Stellenwert von Beurteilungsgesprächen mit anwesenden Eltern auf der Sekundarstufe II. Die ersten beiden Auszüge stammen von Mitgliedern der Schulleitungen an zwei unterschiedlichen Gymnasien, die mir persönlich bekannt sind. Beide haben sich zunächst für das Projekt interessiert, jedoch nach Absprachen in der gesamten Schulleitung eine Absage erteilen müssen:

Aus Datenschutzgründen lehnt sie [die Schulleitung, VM] die Anfrage ab. Sie erachtet es als nicht zulässig, eine Drittperson in die Gesprächsrunde beizusetzen. Wir wissen auch nicht, wer überhaupt an die Elterngespräche kommt, d.h. man kann die Einwilligung bei den Eltern nicht vorher einholen. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2013)

Wir haben relativ wenig Elterngespräche und viele Kolleginnen und Kollegen sehen bei den Lernberichtsgesprächen die Eltern das erste Mal. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2012)

Im ersten Ausschnitt wird einerseits der Datenschutz hervorgehoben. Dies war durchgehend eine grosse Sorge der angefragten Schulleitungen und es konnte nicht immer erfolgreich versichert werden, dass die Daten vertraulich behandelt und durchgehend anonymisiert werden. Ebenfalls wurde bei der Datenerhebung schon nach den ersten ablehnenden Äusserungen auf die Möglichkeit der teilnehmenden Beobachtung verzichtet und nur ein Aufnahmegerät mitgegeben. Der zweite Punkt in diesem ersten Ausschnitt thematisiert die ethischen Bedingungen einer solchen Untersuchung und zeigt ein Problem auf, das bezeichnend für die Organisation von Kontakten zu Eltern auf der Sekundarstufe II ist. Meist sind keine klassendeckenden Beurteilungsgespräche mehr vorgesehen, sondern es finden Sprechstunden statt, die regelmässig von den Schulen angeboten werden. Die Handhabe ist teilweise so, dass sich die Eltern in eine Liste eintragen und auf diesem Weg anmelden. Im Falle dieser Schule scheint dies jedoch nicht nötig zu sein. Das Problem, welches daraus für die Forschungssituation entsteht, ist nachvollziehbar. Wenn die Gesprächsteilnehmenden in wenigen Sekunden entscheiden müssen, ob sie mit einer Aufnahme einverstanden sind oder nicht, kann dies als unethisch empfunden werden.

Im zweiten Ausschnitt wird zudem darauf verwiesen, dass am Gymnasium kein regelmässiger Austausch zwischen der Schule und den Eltern mehr stattfindet. Die Aussage, dass Lehrpersonen die Eltern bei diesen Gesprächen das erste Mal sehen, impliziert eine Unsicherheit auf der Beziehungsebene oder zumindest eine fehlende Routine in dieser Gesprächskonstellation.

Und schliesslich wird die Schwierigkeit, alle nötigen Einwilligungen auf der Sekundarstufe II zu erhalten auch damit erklärt, dass Beurteilungsgespräche an einigen Schulen nur noch in Problemfällen stattfinden. Dies wird in den letzten beiden Auszügen gezeigt. Im ersten Fall handelt es sich um eine Lehrerin auf Gymnasialstufe, die selber keine Gespräche aufnehmen konnte, da sie zum Zeitpunkt der Anfrage kurz vor der beruflichen Abwendung von der Schule stand. Es ging in ihrem Schreiben um mögliche Kontakte. Im zweiten Fall findet sich eine Erklärung eines Schulleiters, der mit Aufnahmen einverstanden war, sofern sich Lehrpersonen, Eltern und Lernende bereit erklären:

[J]e älter und ‚mündiger’ unsere Schülerinnen und Schüler werden, desto mehr reden wir fast ausschliesslich direkt miteinander, Eltern dürfen ja dann im Normalfall nur noch dabei sein, wenn ihre Söhne und Töchter das erlauben. Im Nicht-Normalfall ist Gross-Krise, vermutlich ohne Tonband… (Lehrerin, persönliche E-Mail, 2012)

[A]us meiner Optik dünkt mich die Sache recht heikel, da der Anlass solcher Gespräche nicht immer erfreulich ist und mit der Anwesenheit einer Drittperson die Situation eine andere wird. […] Zudem finden immer seltener Elterngespräche statt, da bei Volljährigkeit die Lernenden unsere direkten Ansprechpartner sind. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2012)

In beiden Auszügen wird betont, dass die SchülerInnen selbst als primäre Ansprechpartner gelten und es nur in Krisenfällen zu Elternkontakten kommt. Folglich sind diese Gespräche auch „nicht immer erfreulich“ oder „heikel“ und somit als sensibel einzustufen. Es überrascht nicht und deckt sich auch mit mündlichen Aussagen von anderen Schulleitungen und Lehrpersonen, dass gerade in diesen Fällen, die für eine Untersuchung interessant wären, die Einwilligungen für eine Aufnahme eher nicht zustande kämen. Dass es auch bei Gesprächen auf der Primarstufe zu heikleren Settings und Krisengesprächen kommen kann, ist zwar nicht auszuschliessen. Was aber insbesondere die Gespräche auf der Sekundarstufe II problematischer erscheinen lässt, ist einerseits der Umstand, dass erst bei vorhandenen Schwierigkeiten überhaupt ein Gespräch veranlasst wird. Andererseits ist die Gesprächssituation ungewohnter, wenn es zwischen den Beteiligten nicht zu einem regelmässigen Austausch kommt. Dies widerspiegelt sich in der zitierten Aussage, dass die Lehrpersonen häufig bei diesen Gesprächen das erste Mal den Eltern gegenüberstehen.

Auch wenn es sich bei den Ausführungen um allgemeinere Eindrücke und Einzelbetrachtungen von schriftlichen Aussagen handelt, die nicht systematisch eingeholt wurden, sind sie in Bezug auf die soziale Praxis des Beurteilungsgesprächs aufschlussreich. Die Beobachtungen zur Kooperation respektive Zurückhaltung von angefragten AkteurInnen zeigen ein allgemeines Unbehagen der Beteiligten mit der Gesprächssituation. Gleichwohl wird diesem Umstand in Ausbildungsgängen nicht genügend Rechnung getragen. Gerade wenn im Bereich der Sekundarstufe II die Beurteilungsgespräche in der Häufigkeit abnehmen und nur in Problemfällen geführt werden, bestärkt dies m.E. die Notwendigkeit einer Untersuchung genau solcher Gespräche, um eine entsprechende Vorbereitung von angehenden Lehrpersonen gewährleisten zu können.

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