Kitabı oku: «Die zwölf Jünger Jesu», sayfa 3
1.2.2 Drei „besondere“ Studien von Seán Freyne, Michael J. Wilkins und Joel Willitts
Die folgenden drei Studien sind besonders bemerkenswert: Seán Freyne hatte sich m.W. als Erster besonders ausführlich mit dem Thema „Zwölf Jünger im MtEv“ beschäftigt. Michael J. Wilkins hat die bis dato wahrscheinlich wichtigste Arbeit zum Thema „Jünger im MtEv“ vorgelegt. Und von Joel Willitts stammt die m.W. aktuellste Veröffentlichung zu den zwölf Jüngern im MtEv.
Seán Freyne behandelt in seiner redaktionskritischen Arbeit The Twelve: Disciples and Apostles. A Study in the Theology of the First Three Gospels1 außergewöhnlich ausführlich das Thema „Zwölf Jünger im MtEv“ und legt eine theologische Deutung des Zwölferkreises vor. Freyne geht in seiner Studie von drei Überlieferungs-Stufen des Evangelien-Stoffes aus: 1. Stufe: Jesu Worte; 2. Stufe: nachösterliche Tradierung durch die Apostel; 3. Stufe: Fixierung durch die Evangelisten.2 Das erste Kapitel widmet sich der ersten Stufe: welche Rolle spielen die zwölf Jünger im Leben des irdischen Jesus?3 Kapitel zwei bis fünf widmen sich der dritten Stufe: welche theologischen Motive lassen sich bei der redaktionellen Gestaltung des Zwölfer-Stoffs durch die drei Synoptiker identifizieren, insbesondere im Verhältnis der Zwölf zu „Jünger“ und „Apostel“? Im zweiten Kapitel untersucht Freyne, wie die drei Synoptiker zwei zentrale Zwölfer-Themen, nämlich Wahl und Aussendung, interpretieren; erkennbar an ihrer redaktionellen Bearbeitung des Traditionsstoffes, speziell an der Einordnung in eine übergeordnete Struktur und an den inhaltlichen Akzentuierungen. Er kommt im entsprechenden Unterkapitel zum Ergebnis, dass Mt sowohl die Wahl der Zwölf als auch ihre Rückkehr von der Mission auslasse.4 Eine Erklärung dafür biete die einheitliche übergeordnete Struktur, die deutlich erkennbar redaktionell gestaltet sei: statt der Wahl der Zwölf im Zusammenhang der Bergpredigt (so bei Lk) finde sich in Mt 4,23-25 ein Summarium des Wirkens Jesu. Und unmittelbar vor der Aussendung der Zwölf zur Mission wiederhole sich in 9,35-37 das nahezu identische Summarium. Dadurch signalisiere der Redaktor, dass zwischen 4,23 und 9,37 allein Jesu Wirken im Vordergrund stehe, aber ab Mt 10 die Zwölf zu seinen Mitarbeitern im Hirtendienst an den Schafen Israels werden. Auch die redaktionellen inhaltlichen Akzentuierungen in Mt 10 bestätigen den Eindruck, dass die Zwölf Jesu Werk fortführen, z.B. die Parallelen zwischen den wunderhaften Taten Jesu (Mt 8-9) und der zwölf Apostel (10,5ff).5 Die Erkenntnisse des zweiten Kapitels vertieft Freyne im dritten Kapitel. Weil Mt den traditionellen Ausdruck „die Zwölf“ sowie die Nennung von namentlich bekannten Einzelpersonen meide und stattdessen meistens von den „zwölf Jüngern“ spreche, lasse sich ein gezieltes Interesse am Begriff „Jünger“ erkennen. Deswegen untersucht Freyne zuerst die mt Vorstellung von „Jüngerschaft“,6 dann – vor diesem Hintergrund – die „zwölf Jünger“7 und zuletzt die Zwölf als „Jünger“.8 Zum Ausgangspunkt des mt Verständnisses von Jüngerschaft wählt Freyne den Missionsbefehl „machet zu Jüngern […], lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (28,18ff). Deswegen sei für Mt Jüngerschaft erstens für alle offen und nicht auf einige wenige, wie die Zwölf, beschränkt; zweitens sei das Tun des Gesetzes – gemäß der Auslegung Jesu (5,17ff; 22,34ff) – das Entscheidende für einen Jünger (vgl. 12,46-50). So sei die Christusnachfolge allen Christen geboten (so aus 19,16-26 abgeleitet). Christi Lehre sei für die nachösterliche Gemeinde verbindlich und Christi Vorbild demütiger Lebensführung reize nachösterliche Christen zum Nachahmen an. Denn er als der auferstandene „Christus“ sei inmitten der Gemeinde präsent. Um nun das mt Verständnis der „zwölf Jünger“ herauszuarbeiten,9 müsse man laut Freyne eigentlich alle Stellen in den Blick nehmen, in denen Mt die Zwölf einführt: ihre Mission in Galiläa (10,1-11,1), die dritte Leidensankündigung (20,17), das letzte Mahl (26,20) und schließlich ihre Aussendung (28,16). Allerdings hätten alle diese Stellen Parallelen im MkEv, so dass man sich auf die inhaltliche Gestaltung des Zwölf-Materials konzentrieren müsse, um das Originelle am matthäischen Zwölf-Verständnis zu sehen. Doch alle diese Stellen, bis auf die Mission in Galiläa (Mt 10), entsprächen inhaltlich den anderen Evangelisten, so dass Freyne sich auf Mt 10 konzentriert. Weil die Zwölf in Mt 10 zum ersten Mal erwähnt werden, sei der Ausdruck „Jünger“ zwischen Mt 4 und Mt 9 unspezifisch und man dürfe deswegen dort nicht automatisch an die Zwölf denken.10 Die Frage nach dem Verhältnis von „Jüngern“ und „Zwölf“ stellt sich insbesondere beim Wechsel von „Jünger“ in 9,37 zu „seine zwölf Jünger“ in 10,1. Laut Freyne sind es zwei verschiedene, wenngleich auch miteinander verbundene, Gruppen. Ihre Verbundenheit zeige sich an dem kontinuierlichen Moment zwischen dem Gebet für Erntearbeiter und der unmittelbar folgenden Berufung der Zwölf. Dadurch bildeten die Zwölf eine Einheit mit der Jünger-Gemeinde, aber sie blieben als zwölf Jünger dennoch von den anderen Jüngern unterschieden, sie seien also nicht identisch. Mt streiche damit das Jünger-Sein der Zwölf besonders hervor. Nur als „Jünger“ könnten die Zwölf eine symbolische Einheit bilden, die für Israel Relevanz hat. Weil sie nicht zu weiteren Aufgaben neben der Missionsaufgabe berufen werden, wird ihre Berufung erst hier in Mt 10 berichtet, und somit mit ihrem besonderen Missionsauftrag zusammengebracht.11 Demnach seien für Mt die Zwölf nur im Kontext der Mission an Israel interessant, nur ihre Mission verleihe der Zwölf-Gruppe eine besondere Stellung in der Jünger-Gemeinde. Deswegen würden die Zwölf hier – im MtEv das einzige Mal – „Apostel“ genannt (10,2). Deswegen zähle Mt das vollmächtige missionarische Wirken der zwölf Apostel (heilen, predigen usw.), welches bereits als konsequente Fortführung des vollmächtigen Wirkens Jesu gedeutet wurde, zu den „Werken Christi“, von denen Johannes der Täufer im unmittelbar folgenden Kontext höre (11,2-6). Die Aussendungsrede sei also ausschließlich an die Zwölf adressiert (vgl. 10,1.2.5; 11,1). Dieser Fokussierung auf die Zwölf entspreche die Fokussierung ihrer Mission auf Israel. Aber Israel lehne seinen Messias ab und lade dadurch bewusst Schuld auf sich (v.a. 21,33-46; 27,25), so dass Israel das Gericht Gottes drohe. Weil Israel auch die Werke der Zwölf ablehne, die aber als Werke Christi gelten, würden die Zwölf in Zukunft auf zwölf Thronen sitzend über Israel regieren oder richten (19,28). Auch die Zwölf würden wie ihr Lehrer Jesus abgelehnt und verfolgt werden (10,14ff; 24f vgl. auch 23,29-37). Die Heiden würden zu Hilfs-Instrumenten Israels gegen den Messias und seine Apostel (10,17; mit Bezug zu 20,19). Der Gerichts- und Lohngedanke komme auch im Abschluss der Aussendungsrede vor, wieder würden Jesus und seine Apostel parallelisiert: wer Jesu Apostel (auch „Geringe“ genannt) aufnehme, nehme Jesus auf, und dadurch Gott selbst, dessen Apostel Jesus ist.12 Freyne schließt mit folgendem Fazit:13 Einerseits zeige Mt nur in der Aussendungsrede ein besonderes Interesse an den Zwölf. Die Zwölf hätten für Mt eine herausragende Bedeutung, sie seien eine symbolische Größe in ihrer Mission an Israel. Sie würden in Zukunft die Nation Israel richten, weil Israel die Botschaft der Zwölf abgelehnt habe. Sie hätten eine bleibende besondere Funktion in der Jünger-Gemeinde Jesu als Gründer des „wahren Israel“.14 Das sei auch in 28,16-20 erkennbar, wo Jesus allein die Elf adressiere, sie als seine Delegierten autorisiere und aussende. Andererseits mache Mt klar, dass er die Apostel als Teil der Jüngerschaft betrachtet: alles, was den Jüngern gelte, gelte auch den Zwölf; das mache Mt klar durch den redaktionell geprägten Ausdruck „zwölf Jünger“ und durch die verschiedenen Parallelen zwischen den Anweisungen an die Zwölf in Mt 10 und den Anweisungen an die Jünger im restlichen MtEv.15 Auch rechnet Freyne damit, dass die „Schriftgelehrten“, „Weisen“ und „Propheten“ (23,34) ebenso wie die Zwölf zu Jesu „Aposteln“ gehören könnten. Die Zwölf seien zwar unwiederholbar, aber „offen“ für andere Mitarbeiter Jesu, sie würden zu Beispielen und „Typen“ für alle, die die gleiche Arbeit machen. Nun zu den „Zwölf als Jünger“ bei Freyne: Die Zwölf seien nicht nur dort gemeint, wo sie explizit genannt sind, sondern manchmal auch dort, wo sie allgemein „Jünger“ heißen. Ausgangspunkt für Freynes Debatte, wie man die Zwölf als eigentliche Referenten des Ausdrucks „Jünger“ entdeckt, ist die These von Martinez, dass ab 10,1-4 der Ausdruck „die Jünger“ erst nach 10,1 auftauche und dann ausschließlich die Zwölf meine, der Ausdruck „seine Jünger“ hingegen entweder einige der Zwölf (vor 10,1), die Zwölf oder mehr als die Zwölf.16 Freyne hält dagegen, dass 15,23-25 und 16,13-20 Martinez’ These widerlegen würden, und er selbst plädiert stattdessen für eine austauschbare Gebrauchsweise beider Ausdrücke – mit oder ohne possessiv gebrauchtem Pronomen – bei Mt. Auch solle man nicht die Kontexte der synoptischen Parallelen zur Identifizierung der Personen zu Rate ziehen, weil die individuelle Theologie des Evangelisten zähle. Vielmehr solle man die exakte Bedeutung der Begriffe wie „seine Jünger“ an der redaktionellen Bearbeitung des Stoffes erkennen, welcher durch Einleitungsformeln eingeführt wird. In allen restlichen vier großen Reden des MtEv habe der Redaktor den Stoff so konzipiert, dass damit der allgemeine Jünger bzw. die Gemeinde des Matthäus angesprochen werde, und keine spezielle Gruppe (wie z.B. die Zwölf), unabhängig davon, ob jeweils der Ausdruck „seine Jünger“ oder „die Jünger“ die Rede einleite und den Zuhörer benenne.17 Freyne beendet mit folgender Schlussfolgerung dieses Unterkapitel zum Redestoff:
„The original companions of Jesus had a twofold aspect, being his community and at the same time active co-operators in his mission. Matthew, in presenting Jesus as the teacher of his community of disciples, is interested in the first aspect. He is thereby enabled to project a double image: the community of Jesus is typical for the christian community of every age.“18
Zum gleichen Ergebnis kommt Freyne bei der Analyse der redaktionellen Veränderungen im Erzählstoff:19 Mt habe die Wundererzählungen in katechetischer Absicht zu Abhandlungen über wahre Jüngerschaft gemacht.20 Freyne beschließt dieses Unterkapitel zu den „Zwölf als Jünger“ mit folgendem Ergebnis:
„It is unnecessary to look in Matthew for any clearly defined distinction between the community of believers and their apostolic leaders, exept perhaps on the occasion of the introduction of the group at 9:37-10,1ff and of course 16:16ff and 28,16ff. The apostle is first and foremost a disciple, and because of this character the instruction which he receives, the explanations which he looks for, even his failures, are community events valid for all who would model themselves on them by seeking to follow Jesus.“21
Keine Studie der letzten Jahrzehnte hat den Begriff und das Konzept μαθητής im MtEv so gründlich bearbeitet wie Michael J. Wilkins in Discipleship in the Ancient World and Matthew’s Gospel.22 Indem Wilkins in seiner Studie die kompositionskritische Methode wählt, schlägt er einen Mittelweg ein zwischen der klassischen Redaktionskritik und der damals neu aufgekommenen Narrativen Kritik.23 Vertreter der Kompositionskritik beachten zwar ebenso wie die klassischen Redaktionskritiker die redaktionellen Veränderungen des Traditionsstoffes („diachrone“ bzw. „horizontale“ Leserichtung), aber sie messen dem redaktionell unbelassenen Traditionsstoff ebenfalls eine theologische Bedeutung zu, weswegen sie sich auf das textuelle „Endprodukt“ konzentrieren („synchrone“ bzw. „vertikale“ Leserichtung).24 Für Wilkins Vorgehensweise bedeutet das: zuerst sollen alle mt Vorkommen von „Jünger“ durch einen Vergleich mit den Quellen des MtEv auf Gemeinsamkeiten und Einzigartigkeiten abgesucht werden (diachron bzw. horizontal), bevor die Vorkommen innerhalb der „story“ des MtEv betrachtet werden (synchron bzw. vertikal).25 Neben der Kompositionskritik wendet er übrigens zwei weitere Forschungsinstrumente an: erstens die moderne Linguistik, demzufolge nicht die Geschichte des Begriffs, sondern die Geschichte des Konzepts μαθητής untersucht werden müsse, und zweitens die Sozialgeschichte, so dass er verschiedene Meister-Schüler Verhältnisse im AT, Frühjudentum und in der hellenistischen Literatur untersucht.26 Wilkins behandelt die zwölf Jünger im Zusammenhang mit den Jüngern unter „Matthew’s Use of the Term Μαθητής“, dem m.E. wichtigsten Teil seiner Arbeit.27 Das Ergebnis seiner dortigen Analyse ist, dass Mt ein großes Interesse an den Jüngern zeige, und seine redaktionelle Arbeit Jesus als „supreme Lord and Teacher“ der historischen Jünger und der nachösterlichen Gemeinde hervorgehoben habe. Und durch den häufig eingesetzten Begriff μαθητής habe er die meisten Passagen zu Lehreinheiten gemacht: „Matthew’s gospel is at least in part manual on discipleship.“28 Seine These, dass Mt durch den Begriff μαθητής über die historischen Jünger hinaus die mt Gemeinde adressieren wollte, entwickelte er bezeichnenderweise im Kontext seiner Verhältnisbestimmung Zwölf – Jünger (IV.B.3.)! Das Verhältnis Zwölf – Jünger behandelt er im Unterkapitel II.A.2. „Οἱ δώδεκα completed“ und im Kapitel IV.B. „The Μαθηταί and the Twelve“: Wenn Mt nun die Zwölf mit Vorliebe „Jünger“ nenne, dann akzeptiere und übernehme Mt die Tendenz des Mk, die Jünger mit den Zwölf zu identifizieren („identify“).29 Das beweisen erstens die Ersetzungen des mk „Zwölf“ in Mk 4,10 oder 9,35 mit „Jünger“ in Mt 13,10 oder 18,1. Zweitens beweisen das die Ergänzungen des mk „Zwölf“ zu „Zwölf Jünger“ in Mt 10,1; 20,17; 26,20. Drittens beweise das die redaktionelle Formulierung „zwölf Jünger“ in 11,1, die keine synoptische Parallele habe. Deswegen kann Wilkins schlussfolgern: „Matthew’s longer title, οἱ δώδεκα μαθηταί, assumes an identification of οἱ δώδεκα with οἱ μαθηταί.“30 Wilkins gelangt also im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen wie Luz (s.o. I,1.2.1). Im Epilog nennt er eine zusätzliche Begründung: aus Platzgründen muss der Jüngerkreis klein gewesen sein.31 Die Identifikation baue Mt aber nicht weiter aus, er könne das auch gar nicht, da Mk die Identifikation bereits komplett habe, stattdessen mache Mt sie nur expliziter als Mk.32 Das bedeutet für Wilkins allerdings nicht, dass Mt den Begriff „Jünger“ – einem terminus technicus gleich – ausschließlich auf die Zwölf anwendet:33 „While it may be accepted that Mark and Matthew generally identified the terms, it is questionable whether they intended to limit the term μαθητής exclusively to the Twelve.“34 S.E. hätten Martin Hengel und Benno Przybylski gezeigt, dass die beiden ersten Evangelisten neben den Zwölf auch andere „Jünger“ kennen (z.B. 8,19.21; 10,24f42; 27,57).35 In seinem Aufsatz „Named and Unnamed Disciples in Matthew: A Literary-Theological Study“ geht Wilkins auf diese Stellen ein und zählt u.a. Josef von Arimathäa (27,57) zu den wenigen „Jüngern“ außerhalb des Zwölferkreises.36 Um das Verhältnis zwischen gewöhnlichem und außergewöhnlichem Gebrauch des Begriffs „Jünger“ zu klären, schließt er sich Kingsbury an,37 und formuliert die Regel: „Therefore, unless Matthew states otherwise, he refers to the Twelve when he refers to the μαθηταί, but he does not mean to imply that Jesus has no other disciples.“38 Dass Wilkins mit dem Begriff „Jünger“ auch Joseph von Arimathäa verbindet und den Begriff nicht auf die Zwölf beschränkt, wurde bereits gesagt. Deswegen überrascht es nicht, dass Wilkins das Verb μαθητεύω mit dem Substantiv μαθητής verbindet: beide gehören s.E. zu einem Konzept. Er übersetzt die ersten beiden Vorkommen sinngemäß „als Jünger unterwiesen werden“ und das dritte mit „zu Jüngern machen“.39 Die mt Identifizierung der Zwölf mit den Jüngern deutet Wilkins als theologisch beabsichtigt:40 „Matthew had a desire to pass his tradition on faithfully, but he also had a desire to interpret that history from his own perspective for the needs of his church.“41 Der Begriff μαθητής ermögliche es der Gemeinde, in den Jüngern Beispiele („examples“) zu sehen, für den Umgang mit den eigenen Bedürfnissen und Nöten.42 Schließlich sei dazu auf Wilkins späteren Artikel zu „Disciples“ in DJG verwiesen.43 Hierin unterscheidet er zwischen den „Jüngern“ und den „Zwölf“. Diese Unterscheidung betrifft alle vier Evangelien und deswegen auch das MtEv, was seine Verweise auf Mt 10,1-15 und 19,23-30 unterstreichen. Er macht die Unterschiede daran fest, wozu sie jeweils von Jesus berufen wurden: die „Jünger“ seien (im Gegensatz zum „Volk“) im übertragenen Sinne zu „cost and commitment“ bereit gewesen. Die Zwölf dagegen seien zu Jesu Mitarbeitern berufen worden, die er für die Zukunft ausgebildet habe; sie hätten im wörtlichen Sinn alles verlassen und seien ihm nachgefolgt. Belege für diese spezifische Funktion der Zwölf seien 10,1-15 und 19,23-30. Zu dieser Funktion der Zwölf passe der Titel „Apostel“ (10,2), weil er ausdrücke, dass sie beauftragte und ausgesandte Repräsentanten Jesu sind. Die Zwölf werden in den Evangelien sowohl als „Jünger“ als auch als „Apostel“ bezeichnet: „As ,disciples‘ the Twelve are set aside as the examples of what Jesus accomplishes in his followers; as apostles the Twelve are set aside as the leaders within the new movement to come, the church.“44
Im Jahr 2011 ist ein Aufsatz von Joel Willitts zur Bedeutung der zwölf Jünger im MtEv erschienen: „The Twelve Disciples in Matthew“.45 Darin schlägt Willitts eine vergleichsweise ungewöhnliche Deutung der Zwölf vor: Jesus habe die Zwölf als politische Anführer des versammelten Zwölf-Stämme-Volkes Israel vorgesehen. Laut Willitts macht Mt die Identifizierung der Jünger mit den Zwölf, die er bei seiner Vorlage MkEv vorfindet, explizit, wofür v.a. der Ausdruck „zwölf Jünger“ (Mt 10,1; 11,1; 20,17) spreche. Von der Identifizierung schlussfolgert Willitts auf ein besonderes Interesse des Evangelisten an der Zwölfzahl der Jünger, im Gegensatz zu Luz, der daraus ein mt Desinteresse an ihnen abgeleitet hatte. Man könnte Willitts’ Ausführungen auf den ersten drei Seiten seines Aufsatzes so verstehen, dass im MtEv die Zwölf identisch und synonym seien mit den Jüngern. Dieses Verständnis wird später korrigiert: „Matthew does use the terms μαθητής and δώδεκα together or interchangeably, but they are not synonymous.“46 Denn Mt berichte von zwei verschiedenen Gruppen, wenn in 9,36-10,4 die Zwölf aus einer größeren Jüngergruppe ausgewählt würden.47 Mt gestalte diesen Wechsel von Jünger zu Zwölf in 9,36-10,4 absichtlich als einen fließenden Übergang, um zu zeigen, dass die Zwölf in erster Linie Jünger sind. Deswegen sei Luz’ These, dass die Jünger transparent seien, (zumindest teilweise) gerechtfertigt. Willitts versteht also unter „Identification“, dass in besonderer Weise das Jünger-Sein bzw. die Jünger-Identität der Zwölf betont wird. Willitts versucht eine theologische Erklärung dafür zu liefern, dass die Zwölf historisch einmalig (Strecker) und gleichzeitig transparent seien (Luz). Er fragt: warum haben die Zwölf diese beiden Funktionen?48 Der Ansatz seiner Antwort liegt in einer davidisch-messianischen Lesart des MtEv.49 Willitts beobachtet zunächst in PsSal 17 zwei Funktionen des davidischen Messias und erkennt dann parallel dazu beide Funktionen bei Jesus im MtEv: Jesus sei einerseits Gottes ewiger Weisheitslehrer, andererseits der politische König über ein wiederhergestelltes Israel, der Israel und die Nationen regieren werde. Willitts schlussfolgert: diese beiden Funktionen Jesu als Lehrer und Herrscher bildeten die Grundlage für die Zwölf. S.E. haben auch die Zwölf diese beiden Funktionen, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen: die Jünger aller Zeiten stehen in der Pflicht, vom ewigen Lehrer Jesus lernen, aber nur die historischen zwölf Jünger dürfen mit dem Herrscher Jesus herrschen. Zur erstgenannten Funktion: Die Zwölf sind wie alle anderen Christen Jesusjünger und Schüler des ewigen Weisheitslehrers; und alle späteren Christen müssen sich am historisch vergangenen Jesus orientieren, weil er aufgrund seines ewigen Seins auch für ihre Gegenwart derselbe ist. Weil sich aber die Christen aller Zeiten an Jesus orientieren müssen, macht Mt die historischen Jünger transparent für die späteren „Jünger“ (zur Betonung des Jünger-Seins der Zwölf, s.o. zu Mt 9,36-10,4). Obwohl die Anweisungen Jesu an die Zwölf und die Jünger für die Gemeinde relevant sind (vgl. 28,18-20), gibt es keine Eins-zu-Eins-Korrespondenz und es bleibt eine gewisse Distanz.50 Zur zweitgenannten Funktion: wie Jesus haben auch die Zwölf eine politische Funktion im messianischen Reich, die historisch einmalig ist und sie von den späteren Christen unterscheidet. Die Funktion der zwölf Jünger ist also nicht in dem Sinne „symbolisch“, dass sie für eine andere Entität (wie das Volk Israel) stehen, mit der sie selbst nichts zu tun haben, sondern eher im Sinne einer Synekdoche, d.h. als ein repräsentativer Bestandteil der größeren Entität. Die Zwölf sind deswegen zwar Teil des eschatologischen Israel, aber zusätzlich Leiter der neuen Gemeinschaft.51 Ihre politische Funktion besteht aus drei Punkten. Erstens gelte sie für Jesu irdische Zeit: weil die Zwölf im Text vor Mt 10 unerwähnt blieben, tritt ihre besondere Funktion ab Mt 10 besonders hervor, sie spielen eine wichtige Rolle in Jesu Mission vom Himmelreich, wo der funktional zu verstehende Ausdruck „Apostel“ (V.2) auf die Zwölf angewandt wird. S.E. passe zur Rolle der Zwölf in Mt 10 der Missionsbefehl 28,16-20.52 Zweitens bestehe die politische Funktion der Zwölf in der Autorität über die „ekklesia“: Mt berichtet in 16,17-19 und 18,18, dass Jesus den Zwölf Autorität über das eschatologische Israel gibt. So werde die Petrus zugesprochene Autorität in 16,17-19 etwas später in 18,18 nicht in demokratisierender Weise der gesamten Gemeinde zuteil, sondern lediglich den Zwölf.53 Als Stütze für diese These zieht Willitts Martinez᾽ Aufsatz „The Interpretation of ‘Oi Mathetai in Matthew 18“ (1961) heran, wonach mit „die Jünger“ ab 10,1-4 ausschließlich die Zwölf gemeint seien.54 Auf diese Autorität der Zwölf über die Gemeinde deuten laut Willitts auch die Speisungsgeschichten hin (14,13-20; 15,32-39), wo die Zwölf eine leitende Verantwortung als „Unter-Hirten“ gegenüber dem versammelten Volkübernehmen, indem sie unter ihnen Nahrung verteilen. Drittens besteht die politische Funktion der Zwölf darin, dass sie im zukünftigen Eschaton Herrscher bzw. Regenten sein würden (vgl. 19,28).