Kitabı oku: «Compliance und interne Ermittlungen, eBook», sayfa 5
2. Das Wirtschaftsstrafrecht
a) Zum Begriff des Wirtschaftsstrafrechts
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Wir haben gelernt, dass das Strafrecht eine ganze Reihe von Handlungen gegen ganz verschiedene Rechtsgüter unter Strafe stellt. Allgemeine Straftaten – also Straftaten gegen Leib und Leben – sind jedoch zumeist nicht die Straftaten, die in der Unternehmenswirklichkeit eine besondere Rolle spielen (außer vielleicht bei Arbeitsunfällen). Interessant für unsere weitere Auseinandersetzung ist daher insbesondere das Wirtschaftsstrafrecht.
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Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts hat sich über viele Jahre hinweg gebildet, ist aber kein durch den Gesetzgeber etablierter Begriff. Es handelt sich praktisch um eine Sammelbezeichnung für alle Straftatbestände, die im Wirtschaftsleben häufig begangen werden. Dazu gehören neben Betrug (§ 263 StGB) und Untreue (§ 266 StGB) vor allem die Korruptionsdelikte (§§ 299 ff., 331 ff. StGB). Das Wirtschaftsstrafrecht stellt damit eine Unterkategorie des materiellen Strafrechts dar. Einen Katalog, welche Straftaten tatsächlich dem Wirtschaftsstrafrecht unterfallen, gibt es nicht. Orientierung bietet aber das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), welches in § 74c Abs. 1 GVG die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern definiert.[38] Hier heißt es:
„Für Straftaten
1. nach dem Patentgesetz, dem Gebrauchsmustergesetz, dem Halbleiterschutzgesetz, dem Sortenschutzgesetz, dem Markengesetz, dem Designgesetz, dem Urheberrechtsgesetz, dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, der Insolvenzordnung, dem Aktiengesetz, dem Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen, dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, dem Handelsgesetzbuch, dem SE-Ausführungsgesetz, dem Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, dem Genossenschaftsgesetz, dem FC-Ausführungsgesetz und dem Umwandlungsgesetz,
2. nach den Gesetzen über das Bank-, Depot-, Börsen- und Kreditwesen sowie nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz, dem Zahlungsdienstaufsichtsgesetz und dem Wertpapierhandelsgesetz,
3. nach dem Wirtschaftsstrafgesetz 1954, dem Außenwirtschaftsgesetz, den Devisenbewirtschaftungsgesetzen sowie dem Finanzmonopole-, Steuer-und Zollrecht, auch soweit dessen Strafvorschriften nach anderen Gesetzen anwendbar sind; dies gilt nicht, wenn dieselbe Handlung eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz darstellt, und nicht für Steuerstraftaten, welche die Kraftfahrzeugsteuer betreffen,
4. nach dem Weingesetz und dem Lebensmittelrecht,
5. des Subventionsbetruges, des Kapitalanlagebetruges, des Kreditbetruges, des Bankrotts, der Verletzung der Buchführungspflicht, der Gläubigerbegünstigung und der Schuldnerbegünstigung,
5a. Der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen sowie der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr,
6. a) des Betruges, des Computerbetruges, der Untreue, des Vorenthaltens und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, des Wuchers, der Vorteilsannahme, der Bestechlichkeit, der Vorteilsgewährung und der Bestechung,
b) nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, soweit zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind,
ist […] eine Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig.“
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Ein weiterer, gerne gebrauchter Begriff für das Wirtschaftsstrafrecht ist der des sog. „White Collar Crime“.[39] Diese Bezeichnung spielt darauf an, dass im Wirtschaftsstrafrecht üblicherweise keine körperliche Gewalt ausgeübt wird und die Täter häufig den oberen Etagen in Unternehmen entstammen, wo man nach landläufigem Verständnis gerne weiße Hemden/weiße Kragen trägt.
Während diese „Weiße-Kragen-Klientel“ früher mit besonderer Vorsicht behandelt und von den Strafverfolgungsbehörden nur vereinzelt angegangen wurden, kann heute ein stetiger Anstieg von Ermittlungen gegen Personen aus den Führungsetagen verzeichnet werden. Wer eine fehlerhafte oder gar rechtswidrige unternehmerische Entscheidung trifft, kann sich darauf einstellen, dass diese auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt wird.
Merke:
Der Begriff „Wirtschaftsstrafrecht“ ist nicht klar definiert. Letztlich handelt es sich um eine Sammelbezeichnung, die diejenigen Delikte umfasst, die erfahrungsgemäß regelmäßig im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Tätigkeit begangen werden.
b) Ablauf eines (Wirtschafts-) Strafverfahrens (formelles Strafrecht)
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Ein Strafverfahren gliedert sich in vier Abschnitte:
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aa) Das Ermittlungsverfahren (§§ 160 ff. StPO)
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Das Ermittlungsverfahren ist der erste Abschnitt eines jeden Strafverfahrens. Wie der Name schon sagt, „ermittelt“ die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt erst einmal, ob überhaupt eine Straftat stattgefunden hat. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist der sog. Anfangsverdacht.
Merke:
Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn tatsächliche Umstände erkennbar sind, die es nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheinen lassen, dass eine Straftat begangen wurde.[40]
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Die Schwelle für das Vorliegen eines Anfangsverdachts ist somit gering. Sobald die Staatsanwaltschaft oder eine andere Strafverfolgungsbehörde auf irgendeine Art und Weise auf Umstände aufmerksam wird, die die Begehung einer Straftat nahelegen, muss sie einschreiten. Dieses so genannte Legalitätsprinzip[41] ist in § 152 Abs. 2 StPO verankert. Dort heißt es:
„[Die Staatsanwaltschaft] ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.“
Das Legalitätsprinzip bedeutet letztlich einen Verfolgungszwang, und zwar gegen jeden Verdächtigen.[42] Die Staatsanwaltschaft kann sich also nicht aussuchen, gegen wen sie vorgeht oder welche Sachverhalte sie verfolgt. Sobald die Schwelle des Anfangsverdachts überschritten ist, ist sie grundsätzlich gezwungen, Ermittlungen aufzunehmen.
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Ein Anfangsverdacht (also die Kenntnis von Umständen, die eine Straftat möglich erscheinen lassen) kann sich aus unterschiedlichen Quellen ergeben. Häufig wird die Kenntnis der Staatsanwaltschaft auf eine Strafanzeige (§ 158 Abs. 1 StPO) zurückzuführen sein. In diesem Falle schildert ein Anzeigeerstatter (dies können Bürger, aber auch Unternehmen sein) einen Sachverhalt, den er für strafrechtlich relevant hält. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob es sich um eine nachvollziehbare Schilderung handelt, die den Verdacht einer Straftat nahelegt.[43] Bejaht sie einen Anfangsverdacht, so leitet sie ein Ermittlungsverfahren ein. Ein Anfangsverdacht kann aber auch dadurch zustande kommen, dass eine andere Behörde (wie z.B. eine Steuerbehörde oder das Kartellamt) eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft macht. Schließlich ist es möglich, dass der Staatsanwalt selbst (beispielsweise durch Medienberichterstattung oder eigene Beobachtung) von möglichen Straftaten erfährt und ein Ermittlungsverfahren einleitet.[44]
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Sobald der Staatsanwaltschaft ein Sachverhalt vorliegt, der einen Anfangsverdacht begründet, hat sie den Sachverhalt zu erforschen. Geregelt ist diese Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung in § 160 Abs. 1 StPO. Dort heißt es:
„Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.“
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Zur Erforschung des Sachverhalts stehen der Staatsanwaltschaft verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: Sie kann beispielsweise Zeugen vernehmen,[45] Durchsuchungen[46] (nach richterlichem Beschluss) durchführen oder (ebenfalls nach richterlichem Beschluss)Telekommunikationsüberwachungen[47] schalten. Die Voraussetzungen, unter denen solche Maßnahmen möglich sind, sind in der StPO geregelt. Häufig wird die Staatsanwaltschaft einen richterlichen Beschluss erwirken müssen. In der Praxis werden die Ermittlungshandlungen zudem nicht durch die Staatsanwaltschaft selbst, sondern zumeist durch die Polizei durchgeführt. Die Polizei dient in diesem Falle als „verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft“
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Dabei hat die Staatsanwaltschaft nicht belastende, sondern ausdrücklich auch die zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände zu ermitteln (§ 160 Abs. 2 StPO). Die Staatsanwaltschaft wird deswegen manchmal (von den Verteidigern eher ironisch) als die „objektivste Behörde der Welt“ bezeichnet.[48]
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Im gesamten Strafverfahren gilt die Unschuldsvermutung.[49] Dies bedeutet, dass jeder Verdächtige so lange als unschuldig anzusehen ist, bis seine Schuld im Rahmen eines Strafverfahrens erwiesen wurde. Maßnahmen wie Befragungen, Durchsuchungen, Telekommunikationsüberwachungen oder gar Untersuchungshaft können den Betroffenen aber trotzdem schwer belasten. Im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts haben Sie sicher schon einmal in der Medienberichterstattung über „Razzien“ bei Unternehmen gelesen.[50] Hierbei handelt es sich meist nur um einen reißerischen Begriff für eine Durchsuchung, die, wie Sie jetzt wissen, bereits ab einem Anfangsverdacht möglich ist. Es liegt also lediglich ein Sachverhalt vor, der möglicherweise als Straftat zu qualifizieren ist. Die Staatsanwaltschaft führt eine solche Untersuchung mit dem Ziel durch, die Hintergründe zu erforschen und gegebenenfalls Beweismittel zu sichern. Dabei kann es sein, dass sich der Verdacht nach Auswertung der bei der Durchsuchung sichergestellten Unterlagen nicht bestätigt und das Ermittlungsverfahren eingestellt wird. Der Imageschaden des Unternehmens ist jedoch trotzdem immens, wenn Geschäftspartner und Kunden in der Presse von einer „Razzia“ und „Straftaten“ gelesen haben. Über die spätere Einstellung des Ermittlungsverfahrens mangels Tatverdachts wird dann meist gar nicht mehr oder nur am Rande berichtet.
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Die Staatsanwaltschaft hat außerdem die Befugnis, bereits im Ermittlungsverfahren Vermögensbestandteile von natürlichen Personen oder Unternehmen zu arrestieren (d.h. „einzufrieren“, § 111e StPO). Dahinter steht der Gedanke des Gesetzgebers, dass niemandem das Geld, das er aus einer Straftat erlangt hat, erhalten bleiben und dauerhaft zur Verfügung stehen soll. Niemand soll sich die Frage stellen, ob es nicht ein gutes Geschäftsmodell wäre, einen lukrativen Bankraub zu begehen, die Beute zu verstecken und im Zweifel einige Jahre im Gefängnis abzusitzen um danach das Geld unbehelligt zu verjubeln. Im Falle des Verdachts einer Korruptionsstraftat kann es bei den eingefrorenen Beträgen schnell um empfindliche Geldsummen gehen. Abzuschöpfen ist nach dem sog. Bruttoprinzip nämlich „die Gesamtheit des durch die Straftat Erlangten“.[51] Auch diese Maßnahme kann bereits im Ermittlungsverfahren existenzvernichtende Wirkung haben. Dies gilt insbesondere, da sie nicht zeitlich befristet ist und sich somit über Jahre (denn so lange dauern Wirtschaftsstrafverfahren mitunter) hinziehen kann.
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Ein erklärtes Ziel von Compliance-Programmen ist es daher, schon den Anschein einer Straftat (und damit einen Anfangsverdacht) zu vermeiden, um das jeweilige Unternehmen nicht in die schwierige Situation einer öffentlichkeitswirksamen Ermittlung/Durchsuchung oder Arrestierungen des Vermögens zu bringen.[52]
Merke:
Ein gutes Compliance-Programm sollte bereits den Anschein einer Straftat vermeiden, damit das Unternehmen nicht den Unwägbarkeiten einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlung ausgesetzt wird.
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Ziel des gesamten Ermittlungsverfahrens ist es, der Staatsanwaltschaft eine Entscheidung über eine eventuelle Anklage zu ermöglichen. Ist sie der Ansicht, sie habe alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft, so trifft sie eine Entscheidung darüber, für wie wahrscheinlich sie eine spätere Verurteilung des Beschuldigten hält. Kommt die Staatsanwaltschaft dabei zu dem Ergebnis, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch, liegt ein sog. „hinreichender Tatverdacht“ vor.[53] In diesem Falle erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage beim zuständigen Gericht (§ 170 Abs. 1 StPO). Hält die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen einen Freispruch für wahrscheinlicher als eine Verurteilung, so stellt sie das Verfahren ein (§ 170 Abs. 2 StPO).
Merke:
Die StPO kennt unterschiedliche Verdachtsgrade. Für eine Durchsuchung ist bereits ein Anfangsverdacht ausreichend, während die Untersuchungshaft als schwerer Eingriff in die persönliche Freiheit einen dringenden Tatverdacht (also die hohe Wahrscheinlichkeit, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist)[54] voraussetzt. Die Erhebung der Anklage erfordert einen hinreichenden Tatverdacht, dessen Intensitätsgrad über dem des Anfangsverdachts, aber unter dem dringenden Tatverdacht liegt.
Anfangsverdacht Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die es nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheinen lassen, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. | Hinreichender Tatverdacht Die vorläufige Tatsachenbewertung lässt eine Verurteilung des Täters wahrscheinlich erscheinen. | Dringender Tatverdacht Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte aus den bisherigen Ermittlungen lassen den Schluss zu, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. |
bb) Das Zwischenverfahren (§§ 199 ff. StPO)
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Hat die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht bejaht und sich dazu entschieden, Anklage zu erheben, schickt sie die fertige Anklage an das zuständige Gericht; die Entscheidungsgewalt über den Verlauf des Strafverfahrens geht nun also von den Strafverfolgungsbehörden auf die Richterin/den Richter über. Dem Zwischenverfahren kommt eine Art Kontrollfunktion zu. Das Gericht prüft anhand des Akteninhalts, ob auch aus seiner Sicht ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist.[55]
Der Beschuldigte enthält ab dem Zwischenverfahren eine neue Bezeichnung, er wird nun „Angeschuldigter“ genannt. Zudem wird ihm die Anklageschrift zugestellt. Der Angeschuldigte hat noch einmal die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Er kann auch darlegen, dass aus seiner Sicht bestimmte, entlastende Beweise noch nicht erhoben wurden und dies beantragen.
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Im Übrigen gibt es zu jedem Zeitpunkt eines Strafverfahrens die Möglichkeit, eine Absprache zu treffen (häufig auch als „Deal“ bezeichnet). Nachdem es hierfür lange Zeit keinen gesetzlichen Rahmen gab, ist die „Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten“ seit 2009 in § 257c StPO geregelt.[56] Obwohl der Gesetzgeber dabei in erster Linie Verständigungen im Hauptverfahren in den Blick genommen hat, wird vor allem seitens der Verteidigung oft schon im Zwischenverfahren versucht, einen „Deal“ herbeizuführen, da hier erstmals direkt mit dem zuständigen Richter in Kontakt getreten und dem Angeschuldigten im Bestfall eine Hauptverhandlung erspart werden kann. Die StPO sieht – auch unabhängig von einem „Deal“ – verschiedene Möglichkeiten vor, ein Verfahren trotz Vorliegens des hinreichenden Tatverdachts ohne eine Hauptverhandlung (möglicherweise auch ohne Anklage) zu beenden. Hierfür steht insbesondere eine Einstellung nach § 153 StPO (wegen Geringfügigkeit) oder eine solche gemäß § 153a StPO (gegen Auflage) zur Verfügung.[57]
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Am Ende des Zwischenverfahrens entscheidet das Gericht, ob es den hinreichenden Tatverdacht ebenfalls bejaht und damit die Anklage zulässt und das Hauptverfahren eröffnet. Das Gericht hat auch die Möglichkeit, die Anklage in abgeänderter Form zuzulassen oder der Staatsanwaltschaft aufzugeben, weitere Beweise einzuholen.
cc) Das Hauptverfahren (§§ 212 ff. StPO)
(1) Grundlagen
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Kernstück des Hauptverfahrens ist die sog. Hauptverhandlung (vgl. § 243 StPO, anhand dessen sich der Ablauf einer Hauptverhandlung gut nachvollziehen lässt). Der bis dahin Angeschuldigte heißt nun „Angeklagter“.
Merke:
Im Ermittlungsverfahren bezeichnet man den Verdächtigen als Beschuldigten, im Zwischenverfahren als Angeschuldigten und im Hauptverfahren als Angeklagten (§ 157 StPO).
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Der Angeklagte, sein Verteidiger, die Staatsanwaltschaft und eventuelle Zeugen werden zu Gericht geladen. Die Verhandlung beginnt mit der Feststellung der Personalien des Angeklagten. Anschließend wird die Anklageschrift verlesen und der Angeklagte erhält Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern.
Merke:
Der Beschuldigte/Angeschuldigte/Angeklagte hat im gesamten Strafprozess das Recht, zu schweigen. Er muss sich weder selbst belasten, noch überhaupt zu den Vorwürfen äußern.
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Innerhalb der Hauptverhandlung wird die sog. Beweisaufnahme durchgeführt. Hierbei können Zeugen und Sachverständige befragt, Urkunden verlesen und weitere Beweisanträge gestellt werden. Das Gericht beschäftigt sich noch einmal umfassend mit dem Sachverhalt, um später zu einem Urteil zu kommen. Dabei muss es seine Erkenntnis „aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung“ schöpfen (§ 261 StPO). Die Erkenntnisse, die die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zusammengetragen hat, darf das Gericht also nur in seinem Urteil verwerten, wenn diese zulässig noch einmal in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. [58]
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Schließlich halten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers (§ 258 Abs. 1 StPO). Diese enthalten üblicherweise eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Beweisaufnahme und eine Würdigung aus Sicht der Staatsanwaltschaft/der Verteidigung. Am Schluss des Plädoyers beantragt die Staatsanwaltschaft entweder einen Freispruch des Angeklagten oder dessen Verurteilung. Wenn sie eine Verurteilung wünscht, so teilt sie außerdem mit, welche Strafe aus Sicht der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten angemessen ist. Die Verteidigung legt ihrerseits dar, ob die Ausführungen und Schlüsse der Staatsanwaltschaft zutreffend sind und wie die Sachlage aus Sicht der Verteidigung zu werten ist. Der Angeklagte hat das Recht auf das letzte Wort (§ 258 Abs. 2 StPO), bevor das Gericht sich zur Beratung zurückzieht und das Urteil gesprochen wird.
(2) Wirtschaftsstrafrechtliche Besonderheiten
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Das Hauptverfahren spielt im Wirtschaftsstrafrecht häufig keine große Rolle. Bereits im Ermittlungsverfahren setzen die Verteidiger alles daran, das Verfahren möglichst schnell und ohne große Öffentlichkeit zu beenden. Dies hat verschiedene Gründe: Wenn es im Wirtschaftsstrafverfahren zu einer Hauptverhandlung kommt, so ist diese regelmäßig sehr umfangreich. Das bedeutet viel Arbeit für Gericht und Staatsanwaltschaft, aber auch für die Angeklagten. Da in Wirtschaftsstrafsachen regelmäßig die Geschäftsleitung im Fokus steht, kann es passieren, dass ein Vorstandsmitglied über Monate oder sogar Jahre hinweg mehrmals in der Woche bei Gericht erscheinen muss. Dies ist zum einen aufgrund der Öffentlichkeitswirkung (Strafverfahren sind grundsätzlich öffentlich) misslich, zum anderen kann das Vorstandsmitglied in dieser Zeit aber auch seiner Tätigkeit als Vorstand nicht nachgehen. Aus diesen Gründen wird oft zum Ende des Ermittlungsverfahrens/im Zwischenverfahren/zu Beginn der Hauptverhandlung die Möglichkeit erörtert, das Verfahren durch eine Verständigung („Deal“) zu beenden (§ 257c StPO).[59] Sie werden sicher bereits häufiger in der Presse über Strafverfahren gelesen haben, die mit Zahlung einer Geldauflage beendet wurden.[60] Dahinter steht die Regelung des § 153a StPO, die eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage vorsieht. Von dieser Möglichkeit wird oft Gebrauch gemacht, wenn eine Verurteilung der Beteiligten nicht unbedingt notwendig erscheint. Teilweise spielt auch die Schonung der Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden eine Rolle. Möglicherweise sieht die Staatsanwaltschaft aber auch, dass sie noch einigen Beweisschwierigkeiten unterliegt. Dass der hinreichende Tatverdacht bejaht werden konnte, heißt schließlich noch nicht, dass es auch tatsächlich zu einer Verurteilung kommt („Im Zweifel für den Angeklagten“). Durch eine Einigung können in einem solchen Fall allen Beteiligten die Strapazen einer Hauptverhandlung erspart werden.