Kitabı oku: «Doomscroll», sayfa 6
Ein als Weiser getarnter Kindermensch redet zu Waisenkindern
„Aber was sollen sie auch sonst tun? Alle krank werden und Sterben lassen? Unser höchstes Gut ist nun mal die Gesundheit. Und die wollen sie schützen,“ quasselte der mürbgewordene Medizinmann, der doch nur Apotheker war.
„Und solange es eben keinen zuverlässigen Impfstoff gibt, gehen sie auf Nummer-Sicher. Das ist ihre Pflicht den Bürgern gegenüber.“
Was sollte man darauf schon antworten. Da mochte er richtig liegen. Gandalf aber wusste, wie solch flacher Argumentationslinie entgegenzuwirken war: „ Ja, da gebe ich dir Recht. Wenn wir es tatsächlich mit einer lebensbedrohenden Pandemie zu tun hätten, wäre es oberstes Gebot für einen jeden von uns, die Mitmenschen vor der Ansteckung zu schützen. Es liegt jedoch keine eindeutige Übersterblichkeit vor. Sie bekämpfen, anstatt sich zu verbrüdern, das ist das eigentliche Dilemma. Ihre Abwehrhaltung gegen das Leben selbst ist ihr Problem. Hinzu gesellt sich ihr Streben nach Anerkennung, nach dem Erhalt ihres Besitzes, ihrer Bevorzugungen, ihren errichteten Machtstrukturen. Da kommen sie nicht einfach raus und laden dich ein, ein Stück von ihrem Kuchen zu naschen. Nein, sie werden alles dafür tun, dich außen vor zu lassen. Und da ist Corona ihnen die Mutter aller Dinge, wenn schon der Vater Waffenruhe genießt.“
Der Medizinmann - wie ihn die Gemeinde augenzwinkernd nannte - schwieg nachdenklich. Bislang war der Apotheker mir nur aufgrund seines auffällig weiten Leinhemdes und des dichten lockigen Haares aufgefallen, das mich in irgend einem Moment an das dichte Geflecht von Wolle und Filz, das das Haupt meiner Exfrau zierte, erinnert hatte. Gandalf hatte des Apothekers Ängste subtil ausgestochen. Ein zustimmendes Flüstern machte die Runde.
„Aber falls du das anders sehen solltest, bitte, ich bin ganz Ohr!“
Der Apotheker verzog keine Miene. Sein linker Fuß wippte unruhig auf und nieder, etwa hundertzwanzig Beats in der Minute, wie ich unwillkürlich mitzählte. Seine in sich versunkene Mimik verriet sichtlichen Zweifel. Und doch wusste er das nicht direkt zu artikulieren.
„Heißt es nicht im Zweifelsfall für den Angeklagten? Noch liegt von meiner Seite ein beachtlicher Zweifel vor und voreilig Schlüsse ziehen...“ Gandalf unterbrach ihn barsch, „Schlüsse ziehen? Wir sind mittlerweile hier, um weiter zu gehen. Um nicht in dumpfen Beschränkungen und Verordnungen unserem Schicksal ohnmächtig und fiebernd entgegen zu starren! Wir sind in Aktion getreten, verstehst du, wir geben unser Bestes, während du weiterhin mit der Agenda der Regierung kokettierst und deine theoretischen Schlüsse ziehst, die dich komplett blockieren. Bitte, versuche es erneut, schließe dich ihnen an, ziehe deine Schlüsse. Sie sind ja alle noch da. Auch die Kunden werden dir nicht so schnell ausgehen. Und grüße sie recht herzlich von mir, falls du ihnen die Beratung über die bevorstehende Impfung abschlägst – wie seitens der Regierung dem Apothekerverband empfohlen. Zwanzig Minuten Fußmarsch, eine kleine Fahrt und du bist daheim. Ich glaube, du vermisst da etwas. Du bist doch frei und kannst jederzeit gehen. Was also hält dich bei uns? Wenn du doch so arge Zweifel hast. Na dann im Zweifelsfall eben für den Angeklagten, bitte. Die milde waltende Regierung und ihre gute alte Rechtsprechung. Hierin hege ich keinerlei Zweifel - von dieser Regierung ist nichts weiter als noch größere Enttäuschung zu erwarten. Und falls mir da was entgangen sein sollte, kannst du mir das bitte berichten. Ich würde mich wirklich sehr freuen, falls es dir gelingen sollte, irgend etwas Tröstliches zu entdecken, statt nurmehr einen Hilfsfond anzuzapfen.“ Hier blickte der Apotheker kurz auf, wobei er ein zustimmendes, wenngleich etwas geknicktes Lächeln in sein hageres Gesicht zauberte.
„In Kurzarbeit warst du ja bereits, wenn ich mich recht erinnere. Nachdem den Krankenhausapotheken die angekündigte Patientenwelle ausgeblieben war. Aber der Giftmischer ist und bleibt systemrelevant.“
Der Apotheker schwieg entschieden. Sein Fuß jedoch wippte weiterhin - mittlerweile auf ca. 140 Schläge in der Minute angekommen. An liebsten wäre er wohl auf der Stelle aufgestanden und nie wieder zurückgekehrt. Etwas aber schien ihn davon abzuhalten, was würde ihn da draußen erwarten?
Alles war noch da, hatte Bestand und Einfluss. Man nutzte bestehende Strukturen, ging weiter zu Arzt und Apotheker, sollten natürliche Heilverfahren nicht greifen. Alles ging seinen Weg. Parallel bildeten sich weitere ökologische Projekte, Stämme und Gegenkulturen. Nahe Immenstadt, Weiler, Niedersonthofen, Maierhöfen, regional, überregional, weltweit.
Noch war die gute alte Idee vom Pluralismus nicht aus unseren Köpfen zu bringen.
Das Fass brodelte. Schwankte so dahin und durchlief diverse Temperatursenkungen. Irgendwie regulierte sich die Masse an Menschen trotz ihrer Versprengung und Vielfalt wie in einem gespenstisch schleichenden Zersetzungsprozess. Noch war das Gesellschafts-Gebräu nicht gänzlich entmischt und abgelagert, noch hatten sich die Schwebstoffe nicht gesenkt. Noch lebte die Seele gemischter Verhältnisse. Und das war gut so.
Doch wie hatte Söder gesagt: Er sei begnadeter Pluralist. Da der Pluralismus nun an seine Grenzen stoße, sei es an der Zeit, das Ganze wieder etwas zentralistischer anzugehen. Pluralistische bzw. Föderalistische Bemühungen seien ja verständliche Entwicklungen. Doch man müsse das jetzt zeitgemäß betrachten. Die Aufklärung sei schließlich nicht am Ende angelangt.
Und wer demonstriert, der sollte dabei nicht vergessen, vielleicht auch sein Leben anzuzweifeln und gegebenenfalls auch bereit sein es zu ändern. Bei sich muss man das Drama suchen und angehen. Und Verrat sowie Denunziantentum sind keine eingeforderten Bürgerpflichten. Maßnahmen zu missachten ist in erster Linie eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat. Das Schlimmste jedoch: Anstand, Courage oder besser: die Achtsamkeit geht uns flöten. Wir erhöhen unser ach so löbliches Individuum vor dem Gegenüber, dem Nächsten. Das ist das eigentliche Ende der Zivilgesellschaft. Es gibt keine Solidarität im Geiste, Keine Wertegemeinschaft. Nur noch Einzelinteressen. Interessen, geknüpft an das Diktat des freien Marktes. Wir selbst sind die Sau, die wir durchs Dorf treiben, bevor die nächste Sau durchgetrieben wird. Sie könnte unser Nachbar sein, ein Freund. Doch meistens erkennen wir sie nur als das was sie ist - eine echte Sau. Entfremdung von uns selbst ist das Ergebnis. Wir erkennen uns nicht.
„Außer SoLaWi und Verschwörungstheorie ist nicht viel geboten. Vielleicht sollte man doch lieber nach Schweden emigrieren. Deutscher Corona-Diktatur-Emigrant werden. Einfach nach Schweden ins Exil. Bargeld zuhause und die Privatsphäre hinter sich lassen. Die Schweden, sind sie uns nicht weit voraus!? Diese herdenimmunen Draufgänger haben aus ihren Fehlern gelernt, gehen als Helden aus der Krise hervor. Ein plötzlicher Aufhänger und Hingucker, der sonst so unscheinbare Schwede. Aber so kommen wir nicht weiter. Mittlerweile steht es einer Weltreise mit all ihren Risiken in nichts nach, von Salzburg nach Garmisch zu reisen. Grenzen, die sich täglich verschieben. Wer will denn schon nach Skandinavien auswandern um zum Musterschüler Europas zu werden,“ Gandalf legte eine bedeutungsschwere Pause ein.
„Nein, wir bilden neue Stämme. Auf alten Höfen, in neuen Nullenergie-Vierteln und Gemeinschaftszentren werden wir uns wieder finden.
Gandalf erhob sich mit theatralischer Geste aus seinem Monolog, um eine Art kabarettistische Einlage darzubieten:
„Bewundern sie auf unserem Demeter-Hof echte horntragende Kühe. Eintritt 15€, incl. Kleiner Verköstigung aus regionaler Herstellung. Greifen sie zu. Unser Automat hat 24 Stunde für sie geöffnet.“
So töne die Zukunft, erklärte Gandalf weiter, wobei seine Haltung während der dargebotenen Einlage von Wort zu Wort immer lebendiger wurde.
„Sinnstiftenden Projekten gilt es zahlungskräftig beizuwohnen. Das nennt sich Benefiz-Beitrag der passiven, institutionalisierten Gewissensbereinigung und ist jederzeit von der Steuer abzusetzen. Dabei dürsten gewiss auch diese bewussten Konsumenten nach Austausch und Zugehörigkeit. Doch gegen was sich richten, für was Partei ergreifen? War es nicht einfacher, den scheinheiligen Automaten zu füttern als sein Leben zu reformieren. Haben sie nicht Angst vor der Wahrheit, nach der nur noch ein schwindend geringer Teil der Menschen trachtet. Selbst das Ende der Philosophie haben wir eingeleitet. Doch der Mensch irrt weiter durch den luftleeren Raum seiner Freiheit. Und jetzt greift er obendrein auch noch verstört nach der Maske. Das ist die erschaffene Realität. Und in dieser Realität weiter vor der Wirklichkeit den Kopf in den Sand zu stecken, ist die größte Zumutung unserer Zeit.“
Der Apotheker war - nachdem er der Rede beiwohnend zuletzt völlig verstummt war - im Dunkel des Waldes verschwunden. Niemand fragte nach seinem Verbleib.
Die Seichtheit, die mittelmäßige Seichtheit, hinter der sich zu viele einrichten und verstecken würden, dabei gleichzeitig nach einzigartiger Individualität trachteten, sei nur ein kräftezehrender Spagat, den ein jeder für sich zu meistern habe. Mittelmaß kontra Einmaligkeit, erklärte Gandalf mittlerweile wild gestikulierend. Das sei die Spaltung in uns, die Zerreißprobe, durch uns selbst erschaffen und nur durch uns zu überwinden. Davon sei er felsenfest überzeugt.
„Stets wollen wir mehr wert sein, als wir uns selbst an Wert beimessen. Aus diesem Spannungsfeld heraus entwickeln wir all die uns umgebenden, verhärteten Machtstrukturen. Doch von diesen alten Mustern loszulassen, bedeutet gleichsam den uns tragenden Strom zuzulassen. Dieser könnte uns schließlich mit sich reißen, uns in üppigere Gärten führen, uns ertränken und heilen zugleich. Aber uns ist das Risiko um das Loslassen zu hoch. Noch siegt der neue Pioniergeist nicht über die Ohnmachtsgebundenheit, über die Angst, das Ressentiment, die scheinheilige Verliebtheit in ein untergegangenes Phantom. Ein Phantom, das nie da war, uns zu einen. Es spaltet, treibt den Keil, lässt klaffen. Wunden werden sich nicht schließen, wo permanent Druck ausgeübt wird. Die Genesung ist ein abseitiger Prozess des Innehaltens. Kein marktschreierischer Wunsch nach mehr Außenwirkung im Bezug auf die verquere eigene Geschichte und die Verstimmungen einer traumatisierten Gesellschaft. Transformation ist kein Prozess, der sich der Realität überstülpen ließe. Ein Prozess, angestoßen durch einzeln sich artspezifisch hervorhebende Exemplare, wird nicht umzusetzen sein. Ein noch so gut gemeinter, künstlich eingeleiteter Beschleunigungsprozess, der den technischen Wandel, gekoppelt an die Lösung der sozialen Frage einzuleiten vermag, kann so nicht gelingen. Vielmehr ein aus der tiefsten Seele der Notwendigkeit hervorgehender Aufschwung überdrüssiger Gefühlswelten, der, genährt durch das willentliche Zutun eines jeden einzelnen, sich bestenfalls in günstiger Konstellation zu einer positiv sozialen Umstrukturierung entlädt. Die Gefahr von Auflehnung und Gewalt ist dabei unausweichlich. Was jedoch sein muss ist eine unbedingte und unmittelbare Gewahrwerdung der Ausmaße unseres bisherigen Handelns. Eine Bewusstwerdung des Kollektivs durch Innenschau eines jeden Einzelnen ist Voraussetzung für jeden noch so geringen Erfolg.“ Eine Begegnungsstätte – so schloss er seine Rede - habe er den Neuankömmlingen bereits bereitgestellt.
Zukunftswerkstätte
In toten Hallen ist stets Sicherheit und somit das Überleben gewährleistet.
In freilebenden Herzen stirbt der Raum, der Lebensfreude spendet. Im Dialog zu bleiben ist nicht leicht. Es bedeutet Arbeit, fordert den Willen heraus. Und weiter quälen sich die Menschen durch digitale Abnabelungsräume, hinken kollektiv der KI nach, im Glauben, besser als jeh zuvor miteinander verbunden zu sein. Jeder versucht zu verstehen, jeder scheitert im Kleinen und zieht sein Teilverständnis heran zu einem Ganzen. An Schnittstellen, da wo noch vor kurzem soziale Kontakte pulsierten, herrscht heute social distancing, Theater ohne Darsteller, unterbundene Mimik, Misstrauen schiebt sich vor und zwischen uns. Dem kann man nur noch mit schonungsloser Offenheit begegnen, um der ausgeblendeten Transparenz Vorschub zu leisten. Sollten sie mich doch als eine Zumutung empfinden, sich gestört und empört fühlen durch meine rigorose Präsenz.
Was sollte ich ihnen auch sonst anbieten, als ihnen den Spiegel vorzuhalten? Das ist das einzige, was ich derzeit für sie tun kann. Sie an sich selbst, also an ihre eigenen Defizite erinnern. Gleich einem Pfarrer und Therapeuten. Was aber unternehme ich, was trage ich tatsächlich bei zu einem gesunden Miteinander und einer nachhaltigen Lebensführung? Abgesehen von der Freiheit, die ich mir einräume, zu sagen, was ich denke und der geleisteten Lohnarbeit, die meinen Energietransfer in zweifelhafte Bahnen lenkt, nicht eben viel. All die Jahre habe ich meine Lebenserfahrung allein dafür aufgebracht, mich gegen dieses expansiv auspumpende Prinzip des materiellen Wahnsinns auszusprechen. Und was war geblieben? Natürlich nichts! Wer nicht trachtet wird eben auch nicht beachtet. Jedenfalls hatte ich mich dafür entschieden, die Konsequenzen zu tragen und bei alledem mir die Freude am Leben in Aufrichtigkeit und mit gesundem Humor zu bewahren.
Was bedeutet schon Glück? Sich treu zu bleiben ist ein kleiner Wahnsinn, der in den materiellen Ruin, in ein überaus seelisches Hoch oder sogleich und direkt in den Niedergang führt. Aber soweit waren wir noch lange nicht. Er ging doch erst so richtig los, der Charaktertest für das Volk.
Auszug aus dem Gremium für Jugendarbeit am Modell der Mutterhofkultur:
Raus mit Euch Sesselfurzern. Da schicken die Kulturindustriellen Schausteller und Rapper, Euch in dem Bann Eurer Handlungsunfähigkeit zu ziehen. Sie erschaffen künstliche Action und hinterlassen Langeweile in Euch. Erzeugen Sucht. Ihr werdet zur Manövriermasse ausgebildet. Geformt und geknetet wie Teig. Selbst wenn die Rapper noch aus Dummheit und Geltungswahn hinter Gittern landen, ihr selbst keine Scheiben zertrümmert oder eben Baumhäuser baut, so wollen wir Euch eine Identität schenken, die unser Erbe an Euch sein wird...
Die Rechnung auf Kosten der Kinder zu tätigen, ist grob fahrlässig. Durch die Abkehr der jüngeren Generation von der Kulturleistung ihrer Väter, werden sich zukünftig deren Kinder schließlich von deren Abkehr abwenden, indem sie dem Nihilismus frönen. Für Gandalf bedeutet der Generationenkonflikt kein Grund zur Beunruhigung. Der handvoll Jugendlichen, die am Projekt durch die Teilnahme ihrer Eltern zwangsläufig beteiligt sind, räumt er großzügig sämtliche Freiheiten ein. Durch die Ausführung wesentlicher Pflichterfüllungen will er die jungen Menschen unter sorgsamer Vorsicht erreichen und gleichsam vor ideologischer Einflussnahme schonen. Sie unterstehen allein ihrer eigenen freiheitlichen Entfaltung. Gelegentlich stören sie mit der freien Entwicklung den Ablauf - wie zuvor in ihren familiären Strukturen - tragen jedoch mit ihrer theatralischen Antithese zum Ausgleich, also auch zum öffentlichen Diskurs bei. Wenngleich er sich im Umgang mit den Jugendlichen eher schwer tut, vermag er ihren hohen Stellenwert fürs Kollektiv durchaus zu würdigen, indem er diese in ihrer Abwehr des Bestehenden gar stärkt oder zumindest respektiert. Allzeit sollten sie Zugang finden, sofern sie Interesse am Gemeinschaftsleben zeigen. Das ist alles, was er ihnen im Sinne der Freiheit sowie der misslichen Lage, die der Erwachsene den Nachkommen nicht nur während dieser windschiefen Coronazeit aufzwängt, anzubieten hat. Für individuelle Schulung und Unterrichtung seien die Eltern oder gegebenenfalls sich anderweitig an einem Bildungsmodell beteiligende Personen verantwortlich.
Gandalfs älterer Sohn hasste die Schule von Tag zu Tag mehr. Ihm war ständig schlecht und die Luft hinter dieser blöden Schnabeltüte stank nach Abflussrohr. Dafür verantwortlich war wohl sein Mundgeruch, irgendwelche Giftstoffe, die eigentlich verbraucht ausgestoßen gehören. Nicht eingefangen und wiedergekäut wie diese Scheisseluft. Es war einfach zum Kotzen, ihm ging es miserabel. Das Ganze stank gewaltig zum Himmel. Wer nur würde diese Scheiße je wegwischen? Ginge es nach ihm, so würde er einfach daheim abchillen, das Ganze sein lassen was es war - ein großer Schwindel - und alles wäre gut. Aber so leicht war das nicht. Während seine Mutter sich an der Hochschule als Dozentin verdingte, kroch sein Vater durch heimatliche Wälder, robbte durch Matsch und Scheiße. Dieser Höhlenmensch. Voll primitiv unterwegs war sein Vater. Was konnte man schon von einem Vater erwarten, der einfach abhaute, um einen auf Neandertaler zu machen? Nein, er stand einfach nicht hinter ihm. An jeden Mist glaubte er, bloß nicht an ihn. Hatte sein Vater nicht Erwartungen an ihn gerichtet, die er unmöglich erfüllen konnte? Sollte er ruhig den Wald besiedeln und sich dort als Häuptling aufspielen – egal. Solange er ihn in Ruhe ließ und da nicht mit reinzog, war ja alles gerade noch einmal so im grünen Bereich.
Seitdem sein Vater - warum auch immer - obendrein auch noch seinen Namen geändert hatte, war die Grenze des Zumutbaren eindeutig überschritten. Er war einfach komplett peinlich geworden. Ein Vater, der sich von einer Jüngerschaft Gandalf taufen ließ - den konnte man getrost für insane erklären.
Sicher, jeder ging mit der Belastung eben anders um. Während die einen auf Demos lauthals nach Außen skandierten, richteten andere sich wiederum nach Innen. Andere drehten durch, flatterten als Badman verkleidet durch die Innenstadt und boten Hilfe an wo nicht mehr zu helfen war. Sogenannte Covidioten, Rechte Raudis, Leugner, Spinner, Rechthaber, Grundgesetzbuch - sowie Gelbsockenträger, Heißkocher sowie Totschweiger, losgehetzte Kampfhunde, Antifa-Vorrechtsschreihälse, Angstgesteuerte Lämmerherden und eben Papas, welche sich selbst umtauften, in bärtige Freaks verwandelten oder eben ganz verschwanden. Gandalfs, die das herkömmlich bewohnte Territorium verließen.
Das Demokratiedemontagespektakel war also weiterhin in vollem Gange. Während privilegierte sowie abgesicherte Kreise das Ganze als eine Art elitäre Lieblingsentschleunigungstablette schluckten und eine wundersame Chance für die Menschheit in deren Einnahme sahen, wähnten sich vorweg sozial Benachteiligte bereits in der digitalen Diktatur angekommen. Zu allem Überfluss hatte obendrein auch noch in jenem unsäglichen Covidsommer der Sommerhit savage love die Charts gestürmt, was das DeSARSter nicht unbedingt abmilderte. Zumindest nicht in musikalisch geschulten Ohren. Dieses schädlich infantile Klagegejammer eines unappetitlich treudummen Kerls, der die Radiosender monatelang in Beschlag nehmen sollte und im zuckersüßen Topf angestaut brodelnder Körpersäfte wieder und wieder aufkochte, worauf das Geplärre in homöopathischer Dosis zu luftikoser Potenzlosigkeit gechaked wurde, hatte für die musische Gabe menschlichen Gesangs wohl mehr Elend und Leid hervorgerufen als Covid für die choralen Gesänge weltweiter Nationalorchester.
Überhaupt hatte die Pop-Industrie die Hirne der Heranwachsenden in den letzten Jahrzehnten derart gekapert, dass allein an dieser Stelle die materielle Eifersucht - der Neid und somit der Traum, Wunsch oder gar Wille, ebenfalls über derlei, in unzähligen Videoclips dargebotene Mittel wie etwa die üppig feilgebotenen Villen, Frauen, Autos, Poolanlagen und Reiseziele besagter Stars zu verfügen - die nächsten Hundert Jahre expansivem Wachstums trotz klimaschonender Nachhaltigkeitmusik weiterer Kanäle, gesichert sein sollte. Die Küken werden nicht das Werk des Adlers verrichten. Sie werden es sich zu besagter Zeit zu eigen machen und transformieren.
Die Ideologie der Kulturindustrie war nie unzeitgemäßer als heute. Doch unter dem Banner der Pandemie zeigt sich jetzt allzu deutlich, dass die Mitte sowieso seit jeher chronisch gelähmt war, allein schon durch den Status-Quo-Erhalt von Sicherheit und Lifestyle. Das Ende der Geschichte, das Ende der Philosophie, der Demokratie - alle möglichen Enden wurden bereits diagnostiziert und prophezeit. Warum nicht auch das Ende der Ideologie?! Die totale Verwurstung und Entfremdung sowie die zertrümmerte Aufmerksamkeit der Teilnehmenden hat womöglich das Ende der Ideologie eingeleutet. Es wird sich zeigen, ob sich die Kulturindustrie unter Einfluss dieses zersetzenden Prozesses letztlich selbst abschaffen wird.
Über was sein Vater sich nicht alles den Kopf zerbrach. Immerzu und jederzeit. Immer kam er mit der Großindustrie, den Verbrechen aller Branchen, die ihm zuwider waren, kurz: mit der ganzen falschen Welt da draußen kam er daher. Alles, was Spaß machte, führte in seinen Augen zwangsweise zur Verblödung. Handy, Internet, Videospiele, coole Muke, leckeres Essen, technischer Schnickschnack, Energiedrinks, Chips, McDonald – alles würde krank machen, krank sein, einen auszützeln, verarschen, ausnehmen und vor allem entseelen. Alles war in seinen Augen kaputt, zerstört, am Ende, gespalten, ohnmächtig und degeneriert - kurz: eben entseelt. Als Vater hatte er ihm einfach nichts anzubieten. Und tat sein Vater da nicht das Gleiche, was damals die Nazis getan hatten? Die haben das, was ihnen nicht passte, dann einfach entartet genannt und beseitigt. Nur seinem Vater würde das natürlich nicht gelingen. Er konnte ja nicht einfach sein Handy zerstören oder die Chips ins Klo schütten. Das konnte er zwar machen, war er auch oft kurz davor, so war er doch schlau genug, zu wissen, dass das auch keine Lösung ist. Also redete sein Vater eben viel über Missstände, verlor dabei den Humor und konnte echt nerven. Und jetzt war er sogar so weit gegangen, dass er sich an diesen Ort am Arsch der Heide zurückgezogen hatte, um dort einen auf Selbstversorger zu machen. Er sagte, Nachhaltigkeit sei nicht nur ein Trend. Das Wichtigste überhaupt sei es für die Zukunft des Planeten und daher müsse er sich – wenn sich schon sonst niemand darum schere - nun mal ganz darauf konzentrieren. Er hätte ihn als seinen Sohn gerne dabei gehabt, ihn von dieser Notwendigkeit überzeugt. Das selbe hatte er – nur altersgerecht und etwas abgespeckter – zu seinem kleinen Bruder gesagt. Und dann war er einfach, von heut auf morgen, verschwunden.
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