Kitabı oku: «Tod des Helden», sayfa 4

Yazı tipi:

Obwohl er eine geraume Weile umherirrte und seine Füße in den Schuhen schmerzten, hatte er weder Hunger noch Durst. Ein neuer Schein führte ihn auf eine Lichtung, die die Finsternis verschont hatte. Rerik näherte sich langsam und begriff, dass er nicht mehr allein war.

Ein Mann saß an einen Baum gelehnt. Er trug ein kostbar besticktes rotes Wams. Die Haare, die ihm in die Stirn fielen, waren grau und verrieten lediglich anhand einiger Strähnen noch einen rötlichen Schimmer. Auf ihnen lag eine Krone. Golden und schlicht, bis auf die Rubinsplitter in den Zacken. Rerik ballte die Hände zu Fäusten. Seine Krone! Der Fremde trug seine Krone. Hatte irgendeine Laune des Schicksals ausgerechnet den Thronräuber in den Seelenwald verschlagen?

Rerik hielt kurz die Luft an und starrte hinüber. Der Mann regte sich nicht. Sein Kopf war ein wenig zur Seite gesackt. Eigentlich hätte die Krone herunterfallen müssen. Doch sie tat es nicht. Rerik zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, und führte seine Hand langsam zu dem Messer an seinem Gürtel. Der Holzgriff fühlte sich viel zu kalt unter seinen schwitzenden Fingern an.

Wenn das wirklich der Thronräuber war, dann konnte er mächtige Magie bewirken. Sobald er einen Angreifer bemerkte, würde er ihn mit Feuer vernichten. Rerik setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Ein Zweig knackte unter seiner Sohle. Ein warmer Windzug streifte seine Wange.

Rerik näherte sich mit klopfendem Herzen, ohne dass der Mann auf ihn reagierte. Erst als er direkt vor ihm stand, erkannte er, warum. Blut aus einer Wunde am Kopf verklebte seine Haare und besprenkelte das Metall der Krone. Der Schatten hatte die Verletzung von weitem verborgen. Rerik atmete aus und steckte zitternd sein Messer weg.

Ein Toter trug seine Krone. Das Blut glänzte noch feucht und hatte die Hälfte seines Gesichtes mit Schlieren überzogen. Rerik schluckte die aufkeimende Übelkeit hinunter. Her mit der Krone! Es war seine. Vorsichtig griff er an eine der Zacken und versuchte, sie so vom Kopf des Mannes zu streifen, doch es wollte nicht gelingen. Fluchend nahm er die zweite Hand zu Hilfe und berührte versehentlich die Haut der Leiche.

Warm. Seine Stirn war warm. Rerik zuckte zurück. Der Mann musste eben erst gestorben sein. Dann war sein Mörder womöglich noch hier.

Über ihm raschelten Blätter. Ihre Zwischenräume offenbarten Sprengsel wie glimmende Kohlen. Die Luft lastete wie Drachenatem auf ihm. Das Messer entglitt seinen Fingern. Rerik bückte sich langsam.

Kein Flammeninferno ging auf ihn nieder. Ein Ton wie von einer Harfensaite schwirrte über ihn hinweg. Dann bemerkte er, dass sich die Brust des Fremden kaum merklich hob und senkte.

Rerik schluckte ein paarmal. Er bildete es sich nicht ein. Der Mann war am Leben. Wie war das möglich? Rerik lachte unwillkürlich auf. Er befand sich im Wald der Seelen und fragte sich, wie etwas möglich sein sollte? Wegen der Magie war er doch hergekommen. Rerik trat entschlossen einen Schritt vor, schnappte sich die Krone und zog sie dem Verwundeten von der Stirn. Dann wirbelte er herum und rannte.

Er folgte einem Geflecht aus Wurzeln. Vielleicht war es ein Pfad, eigens für ihn. Vielleicht auch nicht. Seine Schuhe platschten durch Pfützen. Einige Blätter wirbelten an ihm vorbei.

Nach einer Weile war Rerik außer Atem und das rote Funkeln mitsamt dem Verwundeten hinter ihm verschwunden. Außerdem war er noch am Leben und hatte seine Krone wieder. Rerik lachte auf. Leider noch nicht sein Königreich.

Sie fühlte sich seltsam schwer an. Am Blut konnte es nicht liegen. Rerik drehte sie in der Hand. Es war so dunkel, dass er bis auf einen metallischen Schimmer kaum etwas erkennen konnte. Blassgrüne Lichtreflexe.

Rerik folgte dem Schein. Dessen Quelle lag nun vor ihm am Boden und verdichtete sich nach wenigen Schritten. Dort breitete sich ein Teich aus, die Oberfläche so glatt, als bestünde sie aus Glas. Die Farbe schimmerte unter dem Wasser und nicht vom Himmel herab. Rerik näherte sich langsam, um die Krone in den matten Glanz zu tauchen. Im Wasser trieben leuchtende Schlieren, ohne die Oberfläche aufzuwühlen. Das Metall war zu schwer. Die Zacken zu lang. Das Gold summte zu heiß. Wann hatte es jemals gesummt? Das konnte nicht sein.

„Ahh“, sagte Rerik in die Stille des Waldes hinein. Es war nicht seine Krone. Seine war eine Nachbildung anhand eines Porträts des legendären Karyan, weil die echte verschollen war. Auf diesem Bild blickte ein jüngerer Mann über den Betrachter hinweg, aber er mochte zwanzig Jahre später vielleicht so aussehen wie der Verwundete.

Der Wald der Seelen. Rerik nickte. Die Magie war hier anders. Bot Möglichkeiten. Es war sogar möglich, eine Legende zu erwecken und sein Königreich zurückzugewinnen.

Rerik drehte den Metallreif in den Händen. Als erster seit gut fünfhundert Jahren vermutlich. Das Blut war fast trocken. Der Teich leuchtete heller. Oder war es nur Einbildung? Rerik senkte die Krone hinab zur Oberfläche, und die Luft schwirrte wieder. Der Harfenton. Er war noch nie angenehm gewesen. Hinter ihm lag irgendwo der sterbende Körper des legendären Königs, dem er seine Krone gestohlen hatte. Musste er zurück?

Das Wasser schwappte über das Gold und spülte das ganze Blut herunter. Ein roter Faden trieb in die Tiefe und verwirbelte zu einem Strudel. Andere Farben flossen hinein und vermengten sich zu einem unruhigen Bild.

Dann lag die Oberfläche des Teichs wieder still. Das Gesicht, das sich darin spiegelte, war nicht das von Rerik. Es gehörte dem Verwundeten. Vermutlich. Blass, aber nicht totenbleich. Die Haare kupferfarben und nicht von Blut verklebt, sondern ordentlich gekämmt. Die Haut glatt, die Augen hellwach. Vielleicht war es der grüne Schleier der Wasseroberfläche, der sie so grell erscheinen ließ. Rerik wandte einen Moment lang das Gesicht ab und sah, dass der Schein des Teiches auch die umliegenden Bäume erfasste. Funken wirbelten durch die Luft. Vielleicht waren es Glühwürmchen. Rerik warf die Krone ins Gras.

„Interessant.“ Die Lippen des Mannes bewegten sich, aber seine Stimme schien von überall her zu kommen und drang durch Reriks Kopf hindurch bis in seine Brust hinab.

„Karyan?“, fragte er.

Die Lippen des Mannes kräuselten sich. „Keine Ahnung. Ich bin eben erwacht.“

„Du bist nur ein Geist“, stellte Rerik fest. Das grüne Licht drückte auf seine Schultern. „Ich dachte, du wärst real.“

„Geister sind also nicht real.“ Karyan blinzelte langsam und schirmte damit für einen Moment das stechende Grün seiner Augen vor Rerik ab.

Rerik holte tief Luft. „Es ist-“

Spritzer schossen aus dem Wasser auf ihn zu und regneten wie ein Schwarm sterbender Glühwürmchen zurück auf die Oberfläche. Karyans weiße Finger schlossen sich um Reriks Handgelenk und gruben ihre Nägel in seine Haut. Ein stechender Schmerz pulsierte durch seine Adern. Rerik schrie auf und versuchte, sich loszureißen. Das Gesicht im Teich lächelte. „Real genug für dich, toter König?“

Rerik schnappte nach Luft. Karyans Züge glätteten sich. Seine Finger glitten zurück unter Wasser. Rerik machte einen Satz rückwärts und stolperte über die Krone, sodass er im Gras landete.

„Ein schönes Gefühl, die Realität, nicht wahr? Wer sie so sehr liebt wie ich, wird Magier.“

Rerik schluckte. Seine Kehle schmerzte. Er zwang sich, aufzustehen und wieder am Ufer in die Hocke zu gehen, sodass er in Karyans grelle Augen blicken konnte.

„Du musst mir helfen.“

Karyans Gestalt zuckte mit den Schultern. „Ich bin ein Geist. Die Zeit, in der ich etwas musste, ist vorbei.“

Rerik strich sich verschwitzte Haare aus der Stirn. „Mir wurde mein Königreich geraubt. Von einem Magier.“

Karyan lachte auf. „Oh, dann bin ich also ein Magier. Wie passend.“

„Du weißt wirklich nicht mehr, wer du bist.“ Rerik schüttelte verzweifelt den Kopf. Nach drei Jahren der Suche fand er zurück in den Wald der Seelen, fand die Magie, die er so dringend brauchte, und dann sollte alles nichts genutzt haben? Hatte Karyan seine Fähigkeiten hier drinnen verloren, so wie sein Gedächtnis? „Du bist Karyan. Der große König von Zenbara. Deine Nachkommen haben mein Reich regiert, bevor mein Urgroßvater den Thron bestieg.“

Karyan legte den Kopf schief. „So? Und warum sollte ich jemandem helfen, der meinen Nachkommen die Krone weggenommen hat?“

Rerik befeuchtete sich die Lippen. „So war es nicht. Sie sind gestorben.“

„Wie denn das?“ Er lachte leise. „Nein, du musst es nicht erklären, Junge. Natürlich wartet dein Königreich auf mich. So wie du.“

„Willst du Blut?“, fragte Rerik leise.

„Mindestens“, sagte Karyan.

Auf einmal war es nicht nur Reriks Kehle, die schmerzte. Auch die Übelkeit kehrte in seinen Magen zurück. Das Porträt besaß nicht diese Augen. Hätten sie ihn schon einmal angeblickt, wäre er vielleicht nicht gekommen. Schweiß rann über seine Stirn. Irgendwo die Harfe. Nur schriller. Wie am Anfang. Die Luft dampfte heiß.

„Du wirst mir helfen?“, fragte Rerik.

Wellen liefen über die Oberfläche des Teichs, doch sie berührten Karyans Gesicht nicht. Das grüne Licht schwoll an. Die Funken waren gelb geworden und kreisten langsam um Rerik herum.

„Hier bin ich gestorben“, sagte Karyan. „In diesem Augenblick. Das ist der Augenblick meines Todes. Sonst könntest du nicht mit mir sprechen.“

Rerik schmeckte Salz auf seinen Lippen. „Es ist ...“

„Aber der Tod hat keine Bedeutung. Im Wald der Seelen existiert keine Zeit. Wusstest du das nicht?“, fragte Karyan gelassen. „Vielleicht hast du dein Königreich verloren, weil du zu wenig weißt, mein lieber Junge.“

Rerik schüttelte den Kopf, hörte die körperlose Stimme, sah die rotglühende Gestalt vor seinen Augen und fühlte das Brennen der Flammen. „Nein, er kam mit Magie und ...“

Karyans Gesicht schien ein wenig näher zu rücken. „Erinnerst du dich nicht? Wann war der Zeitpunkt, an dem du dein Königreich verloren hast? Hier gibt es keine Zeit. Du verlierst es jetzt. In diesem Augenblick. Im selben Augenblick, in dem ich sterbe. Im selben Augenblick, in dem du stirbst.“

Die Funken leuchteten schon orangerot und wirbelten immer schneller. Rerik richtete sich auf und machte einen Schritt rückwärts. „Du sagtest, du würdest dich nicht erinnern ...“

„An meinen Tod? Was auch immer ich sagte ... Magie kommt immer erst danach.“ Karyan lächelte schief. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen. Dieses schreckliche Grün. Blutende Adern auf Weiß. Rerik sprang zurück. Karyan erhob sich aus dem Teich.

Kochendes Wasser regnete auf Rerik und fraß sich in seine Haut. Er kniff die Augen zusammen und schlug sich schreiend durch rote Wirbel. Seine Füße stolperten über Wurzeln und durch Gestrüpp. Zweige peitschten gegen seine Beine. Als er den Kopf wandte, sah er hinter sich die durchscheinende Gestalt des Geistes ruhig am Teich stehen. Die grünen Augen bohrten sich in seinen Rücken.

Rerik beschleunigte seine Schritte. Er sprang über einen moosbewachsenen Felsen, schlug Gestrüpp beiseite und arbeitete sich immer weiter weg von dem grün-roten Lichtschein, hinein in die Dunkelheit. Hinter ihm regte sich nichts. Aber vermutlich folgten Geistertritte immer lautlos.

Wozu ein Königreich? Geh nicht in den Wald der Seelen. Wann hat uns Magie jemals etwas Gutes gebracht? Rerik spuckte bitteren Speichel auf den Boden. Legenden sprachen von großen Taten, nicht von guten Menschen. Wie hatte er glauben können, ein wenig Blut würde einer Legende genügen? Wie hatte er glauben können, der Preis für Magie könnte so niedrig sein?

Vor ihm gab der Wald eine Lichtung frei. Rote Funken schwirrten in der Luft. Rerik bremste seinen Lauf ab und taumelte zwischen zwei Baumstämmen hindurch.

Karyans Körper lehnte noch immer an dem Baum. Doch diesmal waren seine Augen offen und folgten Rerik. Das Blut schimmerte noch immer feucht. Der Geist stand mit verschränkten Armen neben ihm. Er trug dasselbe bestickte Gewand. Seine durchscheinende Hand hielt die Krone, die Rerik am Teich zurückgelassen hatte.

„Du weißt doch, hier gibt es keine Zeit. Heute bist du gestorben. Kein Grund wegzulaufen“, sagte Karyans Geist lächelnd.

Seine Stimme ließ ihn erstarren. Rerik krallte die Fingernägel in Baumrinde. Karyans Geist kam langsam auf ihn zu. Als er direkt vor ihm stand, lächelte er entschuldigend und setzte Rerik die Krone auf den Kopf. Das Metall war so glühend heiß, dass er glaubte, es würde seine Stirn schmelzen. Karyans durchscheinende Gestalt verschwamm in einem Tränenschleier. Rerik wollte noch ein letztes Mal schreien, doch aus seiner Kehle drang kein Ton mehr.

Als Karyan in seinen Körper fuhr, hatte Rerik begriffen. Er dachte noch an sein ruhiges Leben mit Deria, das vergeblich auf ihn gewartet hatte.

Karyans todwunder Köper zerfiel im Wald der Seelen zu Staub, während sein Geist sich einen neuen aneignete. Als er den Wald verließ, war sein Schritt sicher, und der Schlag des fremden Herzens in seiner Brust nahm seinen gewohnten Rhythmus an. Als er durch das Tor des Palastes marschierte, glühte sein Körper in roter Magie. Als Rerik an diesem Morgen seine Stimme hörte, starb er im Wald der Seelen. Über dem Teich summte der Ton einer Harfensaite.

Stefan Cernohuby Seine letzte Heldentat

Lori betrachtete den Mond durch die Gitterstäbe. Seine Sichel wirkte schmal, kalt und mitleidslos. Zumindest, wenn er sich nicht gerade hinter den Wolken verbarg. Dennoch war er hoch oben am Himmel. Weit weg von allem, was hier am Boden passierte.

Lori hätte gerne mit ihm getauscht.

Lautes Schnarchen unterbrach sie in ihren Gedanken.

Sie sah sich um. Die anderen schliefen. Lori verstand nicht, wie sie das schafften. Zu schlafen. In dem Wissen, das sie am nächsten Tag sterben würden.

Sie wollte nicht sterben. Das hatte sie nicht verdient. Sie hatte nie jemandem irgendein Leid angetan.

Umso tragischer war, dass ihre Wärter das wussten. Aber weite Landstriche von Kowarien waren vom Krieg verheert, die Ernte war ausgeblieben, und alle Lebensmittel wurden von den Besatzern rationiert. Unter diesem Gesichtspunkt machte es sogar Sinn, sich unnützer Esser zu entledigen. Also ehemaligen Bediensteten, die dem vorigen König untertan gewesen waren. Ebenfalls etwas, was sich Lori niemals ausgesucht hatte.

Etwas klapperte hinter ihr, und sie erschrak. Langsam wandte sie sich um. Vor der Zelle stand Naron. Ein Junge, ein Jahr jünger als sie, der hier als Kerkergehilfe arbeitete.

Leise schlich sie zu ihm, um die anderen nicht zu wecken.

„Ich will nicht, dass du morgen stirbst“, flüsterte er. Eine Träne lief über seine Wange.

Lori fasste etwas Hoffnung.

„Dann lass mich gehen. Ich weiß, dass du einen Schlüssel hast. Und wer wird mich schon suchen? Ich war Kammerzofe, nicht mehr!“

Naron wirkte betrübt, aber nicht überzeugt. „Wenn sie mich erwischen, hänge ich neben dir und den anderen.“

Lori griff durch die Stäbe und legte ihre Hand auf seinen Unterarm.

„Dann komm mit mir. Ich weiß, dass du mich magst. Wir können gemeinsam davonlaufen. Und fangen irgendwo neu an.“

Naron überlegte. Er blickte lange in Loris Gesicht, während seine Rechte unbewusst den Schlüsselbund umklammerte.

Dann schüttelte er den Kopf.

„Es tut mir leid, ich kann nicht.“

Er befreite seinen Arm mit sanfter Gewalt aus Loris Griff, dann wandte er sich ab und lief davon. Immer noch weinend.

„Feigling!“, rief sie ihm hinterher. Ihre letzte Chance war dahin.

„Sei still“, knurrte der ehemalige Minister Ludwig und drehte sich im dreckigen Stroh um. „Ich will schlafen.“

Lori seufzte. Dann trat sie wieder ans Fenster und blickte zum Mond hinauf.

„Na endlich, ich dachte schon, er würde nie verschwinden.“

„Wer…“, begann Lori, wurde aber unterbrochen.

„Still. Ich werde euch hier herausholen. Weck die anderen auf. Aber leise.“

Lori sah, wie zwei kräftige Hände ein dickes Seil um die Gitter legten.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Seil für diese Mauern reichen wird“, meinte Lori, rüttelte aber dann ihren ersten Zellengenossen wach.

Max, der Koch schnaufte, dann schlug er die Augen auf.

„Lass das mal meine Sache sein“, raunte der Fremde. „Ich bin nicht zum ersten Mal hier.“

Lori sah, wie sich das Seil um die Gitterstäbe spannte, während sie Olivia weckte. Die ehemalige Haushälterin des Ministers hatte schon einiges an Gewicht eingebüßt, seit sie hier im Gefängnis waren. Lori hatte die Theorie, dass es daran lag, dass ihr Mund trotz ihrer Gefangenschaft nie stillgestanden hatte. Daher hielt sie ihr vorsorglich die Hand davor.

„Still“, flüsterte sie. „Man holt uns hier heraus.“

Minister Ludwig stieß erneut einen Fluch aus, als ihn Lori weckte, hielt dann aber verwundert inne, als sie ihn in die Seite boxte.

„Wir werden befreit“, raunte ihm Lori zu.

„Wurde auch Zeit“, knurrte der Mann. „Dachte mir schon, dass sie mich nicht hierlassen würden.“

Dann fixierte auch er das Seil, das sich immer mehr spannte.

„Lori“, kam plötzlich eine Stimme von hinten. Sie wirbelte herum. Es war Naron. Erneut. „Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde das Risiko eingehen, wenn ich dafür mit dir zusammen sein kann.“

Lori fröstelte plötzlich. Sie trat auf ihn zu und nahm ihn an der Hand.

„Ist das wahr?“, flüsterte sie und stellte sich so, dass sie sein ganzes Gesichtsfeld einnahm. „Das würdest du tun?“

„Ja. Aber du musst schnell sein. Natürlich kann ich nur dich herausholen.“

„Das verstehe ich. Dann mach die Tür auf.“

In diesem Moment knirschte es. Nicht wirklich laut. Aber doch unüberhörbar, wenn man direkt vor der Zelle stand.

„Was war das? Was passiert da?“, fragte Naron und versuchte mehr zu erkennen. Lori hielt seine Hand fest und sah im fest in die Augen.

„Ist das wichtig? Hol mich hier heraus. Dann können wir weg. Für immer.“

„Ich will jetzt wissen, was da vorgeht“, knurrte Naron und stieß Lori von sich. Sie taumelte zwei Schritte zurück und sah, wie sich Narons Augen ungläubig weiteten.

„Runter, Mädchen“, ertönte eine befehlsgewohnte Stimme und Lori ließ sich sofort fallen.

Etwas zischte und riss Naron von den Beinen.

Lori kämpfte sich hoch und starrte Naron an. In seiner Kehle steckte ein Wurfdolch. Blut strömte aus seiner Kehle. Er versuchte etwas zu sagen, doch aus seinem Mund kam nur ein entsetzlich feuchtes Gurgeln.

Dann lag er still.

„Worauf wartest du? Los jetzt!“, erklang die gleiche Stimme wie zuvor.

Um das Gitter herum befand sich ein beinahe menschengroßes Loch in der Wand. So, als wäre ein Teil der Ziegel einfach entfernt worden.

Lori setzte sich in Bewegung, kletterte durch das Loch und stand neben einem drahtigen Mann, der ihr einen weiteren Dolch in die Hand drückte.

„Hier. Nimm das.“

„Ich kann nicht kämpfen“, gab sie zurück.

„Er ist auch nicht dafür gedacht“, meinte der Mann mit einem Lächeln, das irgendwie so wirkte, als hätte er diese Sätze schon zu oft gesagt. „Sondern für den Fall, dass man euch erwischt. Glaub mir, du willst ihnen nicht nochmal in die Hände fallen.“

Lori nickte und steckte den Dolch ein. Vermutlich hatte er die anderen schon versorgt.

„Kommt jetzt. Wir müssen hier raus. Die Patrouille ist zwar ein schlechter Witz, aber wir sind noch lange nicht in Sicherheit. Wer von euch ist Alphons Ludwig?“

„Das bin ich“, bekannte der ehemalige Minister und verbeugte sich elegant.

„Gut. Ich bin hauptsächlich deinetwegen hier. Stimmt es, dass du die Steuereinnahmen vor dem Eintreffen der Rinkonier in Sicherheit gebracht hast?“

„Selbstredend.“

Das ölige Grinsen des Ministers weckte Übelkeit in Lori. Wurden sie gerade nur deshalb gerettet, weil ein korrupter Minister Geld versteckt hatte?

„Das heißt, Ihr werdet dafür bezahlt, uns zu befreien?“

Lori hielt sich die Hand vor den Mund, als sie feststellte, dass sie das gerade laut gesagt hatte.

„Nein. Ich werde nur bezahlt, ihn zu retten.“ Der Unbekannte zeigte auf Minister Ludwig. „Euch nehme ich gratis mit. Soll ich euch lieber zurücklassen?“

„Nein“, stieß Lori aus.

„Dann folgt mir. Leise. Und nennt mich Mischka.“

Die vier Gefangenen folgten ihrem Befreier. Lori war völlig verblüfft, dass Olivia bisher noch kein einziges Wort gesagt hatte. Ihre Augen hingen wie festgewachsen an ihrem Befreier. Offenbar war ihr Selbsterhaltungstrieb doch stärker als ihr Mitteilungsbedürfnis.

„Verdammt“, fluchte Mischka. „Wir sind spät dran. Wir müssen vor der Wachübergabe am Südtor sein. Beeilt euch!“

Die Straßen waren leer. Zweimal sahen sie das Licht einer Fackel, aber immer mehrere Gassen entfernt. Ihr Befreier kannte die Routen der Patrouillen. Trotzdem trieb er sie unbarmherzig weiter an – auch als Sophia stürzte und sich das Bein aufschürfte. Max, der Koch, riss sie wieder hoch.

„Wir sind da. Bleibt hinter mir. Wir sind gleich raus.“

Mischka trat auf die Metalltür mit dem kleinen Fenster zu und klopfte. Zweimal kurz, einmal lang, zweimal kurz.

Die Klappe ging kurz auf, schloss sich wieder, danach öffnete sich die Tür.

„Schnell“, brummte eine tiefe Stimme. „Die Ablösung ist überfällig. Ihr müsst hier raus.“

„Aber klar doch“, entgegnete ihr Befreier und warf dem Mann einen Beutel zu. Es klimperte. Münzen. „Bis zum nächsten Mal, Olaf.“

Der Mann bedeutete den Gefangenen, durch das Tor zu gehen.

„Was ist da los?“, rief plötzlich eine Stimme. Jung, kraftvoll und selbstbewusst.

„Gar nichts, gar nichts“, erwiderte Torwächter Olaf. „Hier gibt es nichts zu sehen.“

„Unsinn“, rief der andere und zog sein Schwert aus der Scheide. „Lässt du wieder Schmuggler aus der Stadt? Ich habe dich gewarnt, dass ich kein Auge mehr zudrücken werde.“

„Ach komm schon, Garron. Das sind Freunde von mir. Du kannst doch dieses eine Mal darüber hinwegsehen, oder?“

„Ganz bestimmt nicht. Ihr werdet mich alle zur Hauptwache begleiten, und …“

Der Mann stutzte.

„Das sind keine Schmuggler. Das sind die kowarischen Gefangenen.“

Er blickte Olaf etwas verwirrt an. „Du bist also nicht nur käuflich, sondern auch ein Verräter.“

Seine Stimme wurde hart. „Übergib mir dein Schwert, dann werde ich dafür sorgen, dass du einen fairen Prozess bekommst.“

„Ich störe ja nur ungern“, mischte sich Mischka ein. „Aber wir haben keineswegs vor, mit euch zu kommen. Vergesst, was ihr hier gesehen habt, und ich werde euch dafür entlohnen.“

„Das hättet ihr wohl gerne.“ Garron lachte und machte einige Probeschwünge mit dem Schwert. „Ich werde euch töten. Die Gefangenen werden wie geplant aufgeknüpft, und der gute Olaf wird ihnen Gesellschaft leisten.“

„Das kann ich leider nicht zulassen.“ Auch ihr Befreier zog sein Schwert. Er bewegte sich nicht, sondern wartete darauf, dass der Wachmann näherkam.

Er tat ihm den Gefallen und drang mit seinem Anderthalbhänder auf ihn ein.

Lori zog scharf die Luft ein, als sie sah, mit welcher Wucht der Wachmann angriff.

Alles ging sehr schnell. Ihr Befreier blockte zwei der Hiebe ab, drehte sich unter einem dritten hindurch. Er bewegte sich elegant und tödlich, sein Schwert blitzte auf, und der Wachmann blickte ungläubig auf die Klinge, die in seiner Seite unter seiner Achsel steckte.

Mischka drehte die Klinge mit einem Ruck. Garron stöhnte, bäumte sich noch einmal auf und brach dann zusammen.

Dann drehte sich Mischka zu Olaf um und rammte ihm das Schwert ebenfalls in die Brust.

„Es tut mir leid. Ist nichts Persönliches. Aber Geschäft ist eben Geschäft.“

Er nahm den Beutel mit seiner Bezahlung wieder an sich und wandte sich an die anderen.

„Kommt jetzt“, rief er. Wir müssen hier endlich weg. Zum Fluss.“

Als sie außer Sichtweiter des Stadttors waren, dachte Lori, dass sie nun wirklich eine Chance hatten, zu entkommen.

Zumindest, bis sie den Hufschlag hörte, der sich von hinten näherte.

„Runter von der Straße“, rief Mischka und drängte die befreiten Gefangenen seitlich über die Böschung. Doch Lori wollte sehen, was passierte. Sie kauerte sich an die Kante und sah zu.

Es waren drei Reiter, die auf Mischka zukamen und offensichtlich kein Interesse daran hatten, die Flüchtigen lebend zu fangen, denn der erste der Reiter hielt mit vollem Tempo auf ihn zu und schwang sein Langschwert.

Mischka wich dem eher plumpen Schlag aus und führte stattdessen einen Hieb gegen die Beine des Pferdes, das wiehernd stürzte, sich überschlug und seinen Reiter unter sich begrub.

„Das war nicht sehr ritterlich.“

Die anderen beiden hatten ihre Pferde angehalten und stiegen gerade ab. Der Sprecher trug die Uniform eines Hauptmanns.

„Warum sollte ich ritterlich handeln?“ Mischka ging langsam auf die beiden zu.

„Weil ich nur zu gut weiß, wer Ihr seid. Was ich nicht verstehe, ist, warum Ihr das tut. Einfache Gefangene befreien. Korrupte Minister.“

„Für Geld natürlich. Auch ich muss leben.“

„Dann werde ich wohl einen Schlussstrich unter Eure Laufbahn setzten, Sir. Und da Ihr auf Ritterlichkeit verzichtet habt, werden wir das auch tun.“

Er bedeutete dem andern Soldaten, sich einige Schritte zu entfernen. „Wir nehmen ihn in die Zange. Auf meinen Befehl hin angreifen.“

Einige Augenblicke lang umkreisten die beiden Mischka, dann verlor der zweite Soldat die Fassung und schwang seinen Streitkolben mit beiden Armen.

Der Hauptmann brüllte vor Wut auf und drang mit seinem Schwert ebenfalls auf Mischka ein. Zu spät für seinen Untergebenen.

Mischka riss das Schwert gerade noch rechtzeitig aus der Brust des sterbenden Soldaten, um den Hieb des Hauptmanns abzublocken. Der Schlag prellte ihm jedoch das Schwert aus der Hand, das klappernd davonschlitterte. Mit einem Fluch rollte er sich ab, und der nächste Schlag ließ Funken aus dem Kopfsteinpflaster fliegen.

„Halt still und stirb wie ein Mann!“, brüllte der Hauptmann.

Lori griff in den Gürtel und zog den Dolch hervor, den ihr Mischka gegeben hatte.

Dieser rettete sich gerade mit einem verzweifelten Sprung von einem weiteren Angriff.

„Mischka, hier!“, rief Lori und warf dem Krieger die Waffe zu.

Ihr Wurf war schlecht gezielt, und der Dolch prallte eine Manneslänge neben ihm auf den Boden.

Doch der Aufprall lenkte den Hauptmann der Wache ab, der einen Moment aufsah. Zeit genug für Mischka, den Dolch aus der Scheide zu reißen und zu werfen.

Der Hauptmann erstarrte und drehte sich halb herum. Aus seinem linken Auge schien ein Horn gewachsen zu sein.

Dann brach er zusammen.

Mischka erhob sich, riss den Dolch aus dem Auge, wischte ihn an der Kleidung des Toten sauber und gab ihn Lori zurück.

„Danke. So war es einfacher.“

Dann holte er sich sein Schwert und übernahm wieder die Führung.

Als sich das Floß in Bewegung setzte, nahm Lori all ihren Mut zusammen.

„Ihr heißt nicht Mischka.“

Der Mann, der sich ihnen gegenüber als Mischka vorgestellt hatte, wandte sich ihr zu.

„Sondern? Wie heiße ich?“

„Ich denke, Euer wahre Name ist … Botharogas.“

Der Mann zuckte mit keiner Wimper.

„Und wenn dem so wäre?“

„Dann sind wir Euch zu großem Dank verpflichtet. Obwohl …“

„Was?“

„Obwohl ich mich dann schon fragen würde, warum ein Held, der dem Hochkönig von Rusonir auf den Thron verholfen, die Nord-West-Passage von Seedrachen befreit und dafür gesorgt hat, dass die Zwillingsprinzen ihre große Liebe heiraten durften, weitgehend unwichtige Gefangene aus einem winzigen Gefängnis befreit.“

„Das habe ich doch schon gesagt. Des Geldes wegen.“

„Aber Ihr müsst doch reich sein. Unzählige Menschen stehen in eurer Schuld.“

„Reich? Hast du eine Ahnung, was das Leben als Held so kostet? Man reist von einem Ende der bekannten Welt zum anderen. Die meisten sind der Meinung, dass es genug wäre, einen Helden zum Ritter zu schlagen. Oder eine Parade zu veranstalten. Oder ihm ein Schwert mit goldenem Griff oder ein besonders edles Pferd zu schenken.“

Er verzog verächtlich das Gesicht.

„Erstaunlich, wie leicht man dann am Schwertgriff erkannt wird oder wie schnell das Pferd aus dem nächsten Stall verschwindet. Manche versprechen einem dann, bei den nächsten Steuereinnahmen zu zahlen. Dann ist die Ernte schlecht oder der Schatzmeister weiß nichts von den Anweisungen. Und da hat man dieses Kastell, dass einem irgendein Fürst geschenkt hat, mitsamt Personal und Bauern, das auf regelmäßiges Einkommen angewiesen ist. So landet man dann auf einem Floß, um einen kleinen Minister zu befreien, der angeblich die Steuereinnahmen von zwei Jahren … in Sicherheit gebracht hat. Für ein Zehnt davon.“

„Und dafür begebt ihr euch so tief in feindliches Gebiet?“

„Mir bleibt nichts anderes übrig. Wobei feindliches Gebiet immer relativ ist. Wer so lange wie ich …“

Plötzlich brüllte Botharogas auf und brach in die Knie. Er tastete nach hinten, wo ein Messer steckte.

„Ja“, sage die Haushälterin Olivia. „Wer so lange wie Ihr im Geschäft ist und für den Meistbietenden arbeitet, hat schon auf jeder Seite gekämpft. So wie letztes Jahr. Auf Seiten der Rinkonier.“

Bist du verrückt, Weib?“, brauste der Minister auf. „Er muss uns hier herausbringen!“

Max, der Koch, hielt ihn zurück. Er wog ungefähr doppelt so viel wie der dürre Minister, also fiel ihm das nicht so schwer.

„Zurück mit dir! Hier geht es um etwas Persönliches.“

„Mein Sohn war der Kommandant der Palastwachen. Du hast ihn eigenhändig getötet, als du die Truppen zum König geführt hast. Ich habe es gesehen!“

Botharogas stöhnte. Er hatte sichtlich Schmerzen. Aber vor allem wirkte er müde.

Sehr müde.

„Ich habe so viele getötet. Keine Ahnung, von wem du redest. Aber er stand eben auf der anderen Seite.“

„Ja“, erwiderte Olivia. Und heute stand ich hinter dir, du Held.“

Sie wandte sich an Max. „Gib mir deinen Dolch. Ich mache dem jetzt ein Ende.“

Botharogas schloss die Augen. „Es ist vielleicht besser so. Besser so, als irgendein namenloser Soldat in irgendeiner Schlacht. Aber …“

₺362,70

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
380 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783753186979
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi: