Kitabı oku: «Die falsch gestellten Weichen», sayfa 15

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Allerdings sind die Worte des Heiligen Augustinus immer wahr gewesen: et paupera et inops est ecclesia, die Kirche ist arm und hilflos. Auch an die zweite Geschichte in Boccaccios Dekameron muß in diesem Zusammenhang erinnert werden.40) Doch hatte vor dem Ersten Weltkrieg die Kirche zwar keineswegs moralisch, wohl aber geistig, wie auch vom Standpunkt der Autorität einen bedauerlichen Tiefstand erreicht – wieder einmal erreicht. Sie hatte auch zweifellos stets nur eine sehr geringe Macht. Die „Macht“ der katholischen Kirche ist ein beliebtes Ammenmärchen, dem sowohl Gläubige als auch Ungläubige immer wieder verfallen. Auch in dem so oft gepriesenen, verteufelten und fast immer mißverstandenen Mittelalter war die Kirche keineswegs „mächtig“. Die Inquisition war eine staatliche Einrichtung, die durch einen königlichen Federstrich ins Leben gerufen oder auch abgeschafft werden konnte. Sie war im Grunde nie etwas anderes als eine geistliche Expertise im staatlichen Dienst. Der starrsinnige oder rückfällige Ketzer wurde der weltlichen Macht mit dem Wunsch übergeben, daß sie nicht sein Blut vergießen sollte.41) (Freilich war auch diese Hilfeleistung der Kirche dem Staat gegenüber das Resultat einer entsetzlichen kirchlichen Fehlentscheidung, ein fataler Unsinn, der aber kam und ging.) Gerne zitiert man Canossa als Symbol der Macht der mittelalterlichen Kirche, aber gerade die Geschichte Papst Gregors VII. zeigt die Schwäche des Papsttums, denn er starb in der Fremde. „Ich liebte die Gerechtigkeit und haßte die Ungerechtigkeit, deshalb sterbe ich im Exil“, waren seine letzten Worte.42) Die Wahrheit ist sehr einfach: Die ‚Macht‘ der Kirche war immer nur ein Mondlicht. Sie reflektierte fast immer nur das Sonnenlicht des Staates oder auch zuweilen den kollektiven Willen (und deshalb auch die Treue)43) eines Volkes.

Zweifellos war das weltweite Prestige des Papsttums im 20. Jahrhundert größer als im Mittelalter, das überhaupt nicht als ausgereift christliches Zeitalter betrachtet werden darf.44) Es kann auch mit Fug und Recht gefragt werden, ob es je ein „christliches Zeitalter“ gegeben hat oder ein solches überhaupt möglich sei – außer als eschatologische Erscheinung. Ich selbst wüßte keine Antwort darauf. Sicher ist es nur, daß der Christ nicht resignierend seine Hände in den Schoß legen darf und – was immer seine „reale“ Hoffnung – in dieser Richtung arbeiten muß.

Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts kündete sich innerhalb der katholischen Kirche eine theologische Krise an: der Modernismus. Der echte, also häretische Modernismus, versuchte den katholischen Glauben in Symbolen „weltlich“ aufzulösen. Leider wurde diese für den Glauben höchst gefährliche Tendenz von der Kirchenführung oft mit den „reformkatholischen“ Bestrebungen verwechselt.45) Es gibt in der katholischen Kirche und Lehre Adiaphora, aber daneben auch Einrichtungen, Gesetze und Meinungen, die nicht nur veränderbar sind, sondern auch aus verschiedenen Gründen verändert werden sollten. Nun aber erzeugte der Modernismus eine Erregung und Gespanntheit mit zahlreichen Verdächtigungen, die zu Anzeigen bei Bischöfen und auch in Rom selbst führten. Wie der Fall des „Amerikanismus“ schon unter Leo XIII. zeigte, blühte bald ein häßliches Angebertum.46) Das Spitzelwesen erreichte durch die Organisation des Sodalitium Pianum einen wahren Höhepunkt.47) So war es zum Beispiel bezeichnend, daß die sehr fromme Baronin Enrica Handel–Mazetti in Rom als „Modernistin“ angezeigt wurde, weil sie in ihrem Roman Jesse und Maria, der zur Zeit der Reformation spielt, auch böse katholische und gute evangelische Christen figurieren ließ. Hier muß man dennoch im Rückblick das harte, oft vielleicht auch sehr lieblose Durchgreifen des Vatikans unter dem heiligmäßigen Papst Pius X. positiv48) werten, denn damals wurde eine Wirrnis unter den Gläubigen verhindert, ein Chaos, wie es fünfzig-sechzig Jahre später unter schwachen Päpsten eintrat.

Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs war die katholische Kirche in der europäischen Szene weder ein politischer noch ein bedeutender moralisch-spiritueller Faktor – und die evangelischen wie auch die Kirchen des Ostens noch viel weniger. Dasselbe gilt auch für die Neue Welt. Es wurde den Kirchen sogar vorgeworfen, daß sie die „Waffen segneten“, eine Behauptung, die zum eisernen Arsenal des aufgeklärten Spießers gehört.49) Selbstverständlich betete man aber auf beiden Seiten für den Sieg, wie doch jeder gläubige Christ für den Sieg einer Sache beten darf, die er für gerecht oder richtig hält.

Noch eines sei hier erwähnt: natürlich nannte sich vor 1914 keine katholische Partei „demokratisch“, denn schon der reformierte Schweizer Theologe und Literarhistoriker Alexandre Vinet hatte uns gewarnt, daß bei einer „christlichen Demokratie“ das Hauptwort unweigerlich das Eigenschaftswort auffressen würde.50) In Rom dachte man auch nicht anders. Leo XIII. verbot ausdrücklich in der Enzyklika Graves de communi den politischen Gebrauch des Wortpaars „christliche Demokratie“.51) Das wissen die Analphabeten in der Christenheit ebensowenig wie ihre Feinde. Letztere haben die schöne Gelegenheit, mit diesem Papstwort ‚ehrliche Entrüstung‘ zu zeigen und aus der ‚Rückständigkeit‘ der reaktionären Kirche somit Kapital zu schlagen, gründlich verpaßt. Die Historie ist überhaupt elne Geschichte der verpaßten Gelegenheiten, doch wollen wir im nächsten Kapitel uns nicht an die Zeitläufe, sondern an die Thematik halten, und daher die Entwicklung der Kirchen nach dem Ersten Weltkrieg gleich anschließend behandeln.

21. DIE KIRCHEN SEIT DEM ERSTEN WELTKRIEG

Wie wirkte sich der Erste Weltkrieg für die Kirchen aus? Die große Leidtragende in diesem Drama war zweifellos die Ostkirche, die zwar am neuen Großbalkan ihre Stellung etwas ausbauen konnte, aber im Heiligen Rußland ganz furchtbar unter die Räder kam und dies, obwohl im ersten Stadium der Russischen Revolution höchst einfältige Priester und Laien dachten, daß eine christliche Synthese mit dem Bolschewismus möglich sei. ‚Brückenbauer‘ dachten durch ‚Begegnungen‘ und ‚Diskussionen‘ die Kirche, den ‚Kosmos bekleidet mit Christus‘ wie Berdjajew formulierte, mit dem Kontslager und dem Genickschuß auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu können. So wurde auch zeitweilig eine „Lebendige Kirche“ mit kompletter Hierarchie gegründet, die im Dienste des „Neuen“ stand, von den Kommunisten begünstigt und unterstützt, aber schließlich als nutzloser Ballast voll Verachtung abgeworfen wurde. Das allerdings war immer wieder das Schicksal jener Gruppen und Grüppchen, die in einer skurrilen Mischung von Feigheit, Naivität, Kurzsichtigkeit, liebevoller Kompromißbereitschaft, Angleichungsfreudigkeit, Scham über vergangene Fehler, der Angst, die Kirche könnte den „Anschluß an die Zeit versäumen“, und inbrünstiger Dummheit sich den brutalen Machthabern in geradezu weiblicher Koketterie an den sehnigen Hals geworfen haben. Sie werden stets von den neuen Zwingherrn nach einiger Zeit als lästige Parasiten ohne Charakter und Existenzberechtigung abgehalftert. Während die wahrhaft Gläubigen als Märtyrer alles verlieren außer ihrer Ehre, retten die Kollaboranten schließlich nicht einmal ihre Ehre. Wer vergießt noch heute eine Träne über die „konstitutionellen“ Priester der Französischen Revolution à la Abbé Grégoire? Oder über die willfährigen Hierarchen Heinrichs VIII.? Wer erinnert sich heute noch mit Stolz an Hitlers „Reibi“ Ludwig Müller? Man erinnert sich viel eher der geköpften Karmelitinnen, des Heiligen Thomas Morus oder Pastor Bonhoeffers! Das kleine Geferkel aller Zeiten vergißt man lieber…

Die Schwäche der russischen Kirche war allerdings bedeutend gewesen. Man kann die Frömmigkeit des Volkes wie auch eines ganz großen Teils des Klerus nicht in Frage stellen, denn wo wären andernfalls die Tausende und Abertausende von Märtyrern von einfachen Bauern und Mönchen bis zu Bischöfen hinauf hergekommen? Über 120 Bischöfe haben den Märtyrertod erlitten.1) Doch die geistige Bildung des Klerus war denkbar niedrig; die Theologieprofessoren (wie größtenteils auch heute in Griechenland) waren ganz vorwiegend Laien, schon weil man den Klerikern eine höhere Intellektualität gar nicht zutraute. Unter den Intellektuellen Rußlands waren sehr viele Agnostiker und manche selbst leidenschaftliche Atheisten und Antitheisten, andere wieder wandten sich pseudomystischen und östlichen Kulten zu, wiederum andere wurden katholisch, und nach 1905 war die Anzahl der Konvertiten zur „römischen Kirche“ (des lateinischen und des byzantinischen Ritus) unter Intellektuellen und im Hochadel sehr bedeutend.2) In der Bauernschaft und im Kleinbürgertum blühte allerdings auch das Sektenwesen, besonders die “Altgläubigen (Starowjertsy)“ in ihren beiden Formen, der priesterlichen und der priesterlosen.3)

Wie dem auch immer sei, nur wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg begegnen wir in Europa einer kirchlichen Erneuerung – am wenigsten jedoch im Mundus Reformatus. Wir müssen allerdings dabei von den Niederlanden absehen, wo die kalvinische Orthoxie stets einen gewissen Platz behauptete. Ein Auftrieb der Religiosität erfolgte eigentlich erst durch den Ersten Weltkrieg mit seinen sinnlosen Blutbädern. Ja, selbst die Schwächung der katholischen Glaubensgemeinschaft im Deutschen Reich durch den Verlust überwiegend katholischer Gebiete (Elsaß-Lothringen, Oberschlesien, Posen, große Teile Westpreußens) wie auch die Zerreißung der Donaumonarchie änderten daran nichts. Ohne Habsburg und trotz der methodischen Benachteiligung der katholischen Kirche in Neurumänien, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und selbst in Ungarn4) lernten die katholischen Christen, in ihrem Glauben wie auch rein organisatorisch auf ihren eigenen Füßen zu stehen. Das Papsttum stand als Friedensmacht da, das umsonst den wahnwitzigen Schlächtereien Einhalt zu bieten versucht hatte. Polen, ja auch Litauen waren wiedererstanden. Selbst in Lettland hatte der katholische Glaube Gewicht erhalten.5) In England steuerte die Kirche auf eine große Blüte zu, und in Irland hatte sie eine freiere Entfaltung. In Italien wurde 1919 die Partei der Popolari gegründet, einer katholischen Volkspartei, die nicht unwesentliche Erfolge errang und durch ihre Gründung dem Boykott der italienischen Glaubenskatholiken dem italienischen Staat gegenüber ein sichtbares Ende setzte. Erst der Faschismus vernichtete diese Partei. Doch war es Mussolini, der 1929 die Lateranverträge mit Pius XI. schloß und damit Staat und Kirche weitgehend, wiewohl allerdings bei weitem nicht restlos, aussöhnte.6) Doch wenn wir von dem sehr genialen Giovanni Papini absehen, begegnen wir keiner katholischen geistig-künstlerischen Erneuerung in Italien, wie zum Beispiel in Frankreich, einem Land, in dem die Kirche zwar nicht unter den Massen, wohl aber auf hohem geistigen Niveau sehr große Fortschritte machte.

Als dann der Zweite Weltkrieg ausbrach, waren die Christen (die als Kinder des Lichtes weniger klug sind als die Kinder der Finsternis) weder für den Krieg noch für die Tyrannis gerüstet. Die großen Mächte verfuhren mit ihnen nach Willkür. Oft wußten sie nicht einmal, wo sie wirklich standen oder stehen sollten. Im Herzen Europas befanden sie sich seit 1941 zwischen zwei riesigen Übeln. Vom Schicksal der Juden hatten sie keine genauen Kenntnisse; die Vernichtungslager waren ihnen (und nicht nur ihnen, sondern auch dem Vatikan, dem Weltkirchenrat, den Westalliierten und den Kommunisten bis zum Vorstoß der Roten Armee in Polen) fast unbekannt.7) Man wußte nur von den sadistischen Rohheiten in den Konzentrationslagern, in denen es Christen, Marxisten, Juden, Monarchisten aller Art, doch kaum liberale Demokraten gab. Die Austrottung der Geisteskranken, den Bischöfen kein Geheimnis, denn sie wurde im eigenen Land betrieben, erregte ihren lautstarken Protest. Dank der Unconditional Surrender Formel Roosevelts, zwischen Berchtesgaden und dem Kreml eingeklemmt, waren sie, wie die Engländer sagen, between the Devil and the Deep.

Doch was den Vatikan betrifft, so wird heute von ernsten Historikern seine Schuld, zu den Ungeheuerlichkeiten des Dritten Reiches geschwiegen zu haben, in Abrede gestellt. Wir werden aber noch darauf zurückkommen. Das Konkordat? Es beinhaltete nicht die geringste moralische Anerkennung des braunen Régimes. Es war lediglich ein zwischenstaatlicher Modus Vivendi, nicht mehr und nicht weniger als die Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen von Ländern wie den Vereinigten Staaten, Frankreich oder die deutsche Bundesrepublik mit Verbrechergebilden – wahre Augustinische Latrocinia8) – wie Äquatorial-Guinea unter Macias Nguema, Äthiopien unter Haile Mengistu Mariam, Uganda unter Idi Amin Dada oder Albanien unter Enver Hoxha. Würde vielleicht der Vatikan mit der UdSSR ein Konkordat unterzeichnen? Natürlich jederzeit, wenn dieser „Staat“ der Kirche die Gelegenheit gäbe, zu lehren und die Sakramente zu spenden, denn dafür ist ja die Kirche primär da, und um dies tun zu können, muß sie sich oft selbst erniedrigen und in die Knie gehen.9) Christus hat auch Judas die Füße gewaschen!

Die zweite große Krise der Kirche in den letzten hundert Jahren setzte mit der Verfälschung der Beschlüsse und des Geistes des Zweiten Vatikanischen Konzils ein.

Nach der Wahl Roncallis zum Papst begann zuerst einmal für eine geraume Zeit eine reaktionäre Periode in der Geschichte der Kirche, die heute im allgemeinen Bewußtsein völlig vergessen ist. Vor allem darf man sich nicht Pius XII. als einen stockkonservativen Papst vorstellen. Er war sehr ökumenisch gesinnt, segnete die nach 1945 in Schwung geratetene Annäherung der beiden Konfessionen in Deutschland und erleichterte das eucharistische Fasten. Eine anscheinend so rigoristische Enzyklika wie Humani Generis ist zum Teil auf Intrigen (wiederum zumeist französischen Ursprungs) zurückzuführen.10) Viel eher als Pius XII. war Johannes XXIII. in seinem persönlichen Glauben und in seiner Haltung ein ‚Konservativer‘: Er betete täglich den Rosenkranz, hielt Kinderreichtum für den größten Segen, unterhielt sich täglich eine Stunde lang in lateinischer Sprache, und die erste Enzyklika, die er unterschrieb (Veterum Sapientia), bekräftigte den Gebrauch des Lateinischen im Studium der Theologie. Aber Angelo Roncalli war selbst kein Theologe, sondern Diplomat, wie ja auch die meisten seiner Vorgänger seit Pio Nono. Als einst ein anglikanischer Bischof ihn besuchte, fragte er diesen, ob er Theologe sei, und als dessen Antwort verneinend war, meinte er: „Ah, das ist gut – ich bin’s glücklicherweise auch nicht!“

Doch gerade seine Heiligkeit und theologische Unbekümmertheit – Dinge, die oft Hand in Hand gehen – erleichterten es im Vatikan einer Gruppe von reaktionären Nationalitalienern, eine wahre Hexenjagd gegen (sagen wir) aufgeschlossene Ausländer, vor allem aber gegen deutsche Jesuiten, zu beginnen, die nach dem Tode des tüchtigen Jesuitengenerals P. Włodzimierz Ledóchowski11) keinen Führer von Format hatten. Einer der deutschen Jesuiten, ein völlig orthodoxer Denker, damals wie heute von weltweitem Ruf, bekam ein Publikationsverbot12) und eine Gruppe deutscher Laien bereitete schon eine massive Intervention im Vatikan vor, um diesen bedeutenden Theologen vor Angriffen zu schützen, eine Aktion, die nur auf Bitten des Betreffenden nicht in Szene gesetzt wurde.13) Der äußerst heiligmäßige, hochspirituelle, aber nicht überintellektualisierte Papst ließ lange Zeit seine Umgebung gewähren. Doch auf einmal, ganz unerwartet, kam die Wende. Sei es, weil Papa Roncalli14) die Papiere Pius XII., der sich schon einmal mit dem Gedanken eines allgemeinen Konzils beschäftigte, gefunden hatte, sei es, weil ihn der Heilige Geist erleuchtete, er machte sich diesen Plan seines Vorgängers zueigen. So wurde durch das Zweite Vatikanum eine Wende in der kirchlichen Szene herbeigeführt.

Dieses Konzil, das dann jahrelang dauerte, brachte eine ganze Reihe von Dekreten und Entschließungen hervor, die dem rein pastoralen Charakter des Konzils entsprechend weder ein neues Dogma enthielten, noch besonders originell waren. Eine „totale Wende“ sollte gar nicht herbeigeführt werden. Das wäre auch gar nicht im Sinne Johannes XXIII. gewesen. Die Dekrete waren gemäßigt, ja konservativ, zum Teil enthielten sie Gemeinplätze und ihre Lektüre ist keineswegs aufregend. Woher aber dann die Krise, die alsbald einsetzte?

Diese kam dann von den Periti, den Theologen, die von den Bischöfen zum Konzil als Berater mitgenommen worden waren und deren oft sehr weltlich-progressivistisch-relativistischen Ideen nicht angenommen wurden, was für sie recht enttäuschend war und sie zum Teil auch sehr verbitterte. Stimmen hatten sie im Konzil natürlich keine. Sie und eine ganze Reihe von Theologen, die man gar nicht eingeladen hatte, betrachteten sich dann als die Exegeten und Sachwalter des Konzils, wie des konziliären Gedankenguts, das sie ganz auf ihre eigene Art und Weise interpretierten. Dabei hatten sie die katholischen und nichtkatholischen Massenmedien, denen Sensationen immer gelegen waren, fast lückenlos auf ihrer Seite. Gefragt, wo denn diese oder jene der von ihnen verfochtenen Thesen in den Dekreten zu finden sei, antworteten sie in der Regel, daß diese zwar nicht den Buchstaben, wohl aber dem Geist des Zweiten Vatikanums entsprächen. Diese Periti (und Imperiti) verursachten nach den Worten eines konservativen Kritikers16) eine wahre „Peritonitis“ in der Kirche, wobei ihnen natürlich nicht nur Gläubige und einfache Priester, sondern auch Bischöfe auf den Leim gingen. Wir wollen aus diesem Dschungel der Wirrnisse nur ein einfaches Detail herausnehmen: So steht im Artikel 54 des Liturgie-Dekrets, daß die Bischöfe das Recht haben, aus guten Gründen auch die Volkssprache in der Liturgie und bei heiligen Riten zu verwenden. Im gleichen Artikel und im gleichen Atem wird auch hinzugesetzt, daß aber die Herren Bischöfe darauf achten müssen, das Lateinische als Sprache der Kirche zu erhalten. Wie wenige der Exzellenzen aber halten sich daran? Trotz der Mahnungen, auch Johann Pauls II., in den Vereinigten Staaten fast keiner!

Was diese Periti zumeist verführte, war die Lockung der „Welt“ und der „Zeit“, also des Aion. Es warnte uns schon Kierkegaard, daß jener, der sich mit dem Zeitgeist vermählt, bald ein Witwer sein wird. Die Kirche ist schließlich in der Welt, aber nicht von der Welt.

Der Nachfolger Johannes XXIII., eines humorvollen Bauernsohnes, war Paul VI., der väterlicherseits dem Großbürgertum, mütterlicherseits aber dem Adel entstammte und das Pech gehabt hatte, von Jacques Maritain, dem theologisch konservativen aber politisch linken Philosophen beeinflußt worden zu sein. Eines seiner Werke hatte Paul VI. noch als Monsignor Montini ins Italienische übersetzt. Paul VI., dessen frühere Laufbahn durch das Staatssekretariat, also das vatikanische Außenamt, und dann in die erzbischöfliche Residenz von Mailand führte,17) war ein äußerst unglücklicher Vikar Christi, der während seines Pontifikats von der Rechten wie auch von der Linken dauernd kritisiert, wenn nicht gar beschimpft wurde. Einem ausländischen Kardinal gestand der Papst, daß wenn er abends schlafen ging, er das Gefühl hätte, sein Haupt auf eine Dornenkrone zu legen. Zweifellos war er ein edler, gütiger, gewissenshafter und vielleicht auch heiligmäßiger Mann, der in seinen Anschauungen seinem Mentor (der übrigens lange auch französischer Botschafter am Vatikan gewesen war, während Montini im Staatssekretariat arbeitete) in so mancher Beziehung nachgeraten war. Viel strenger „Rechtsabweichlern“ als linken Häretikern gegenüber, verfolgte er eine katastrophale Ostpolitik, die sich freilich auch in Enzykliken ideologisch widerspiegelte. Schon unter Johannes XXIII. war die Enzyklika Mater et Magistra „ökosoziologisch“ deutlich links gefärbt18) gewesen, und diese Richtung sah man deutlicher in der von Paul VI. signierten Enzyklika Populorum Progressio, die unzweifelhafte marxistische Einflüsse zeigte. Paul VI. wollte um jeden Preis nicht die Ostkirchen irritieren,19) doch war die Urwurzel seiner „Ostpolitik“ leider eine andere: Sie war nicht primitiv-machiavellistisch, also auf der Überzeugung beruhend, daß eines unschönen Tages die Kirche im roten Machtbereich leben müsse, sondern von dem starken Verdacht geleitet, daß der Marxismus selbst „irgendwie“ christlich inspiriert sei. Ursprünglich hätte schon die Enzyklika Mater et Magistra vom deutschen Jesuiten Gustav Gundlach verfaßt werden sollen und nur dank der italienischen Reaktion in Rom wurden ihm seine Vorarbeiten aus der Hand genommen und die Arbeit anderen übertragen. Es waren dann in der Hauptsache französische Dominikaner, die bei Mater et Magistra mitmischten und schließlich bei Populorum Progressio unter der Führung des Dominikaners Lebret praktisch die Feder führten. Dieser Mönch war es auch, der Seminaristen in São Paulo sehr deutlich sagte: „Wenn ihr mich fragt, ob Gott auf der Seite der Kapitalisten oder der Kommunisten steht, so muß ich gestehen, daß ich glaube, er steht auf der Seite der Kommunisten. Und wenn ihr mich nun fragt, ob ich darüber unglücklich bin, so muß ich darauf mit einem klaren Nein antworten“. Der lange Rede kurzer Sinn ist natürlich der, daß der Christ, vor die Wahl zwischen ‚Kapitalismus‘ und Kommunismus gestellt, sich eher für den Kommunismus entscheiden sollte. Und solche Herren hatten eine führende Rolle in der Abfassung von Enzykliken (die allerdings, was der einfache katholische Christ nicht immer weiß, an und für sich keinen dogmatischen Charakter haben)!

Scharfe Kritiken des Sozialismus–Kommunismus in Theorie und Praxis nahm Paul VI. nur äußerst widerwillig (wenn überhaupt) zur Kenntnis. „Und nicht sein kann, was nicht sein darf!“, müßte eigentlich sein Leitsatz gewesen sein. Man muß den Verdacht hegen, daß seine Sympathien im Vietnam-Krieg auf der falschen Seite lagen.20) Sein ost-diplomatischer Bote war der Bischof, später Erzbischof und Kardinal Casaroli, der oft unter Umgehung der Bischöfe mit den Regierungen verhandelte und manchmal recht eigenartige Aussagen machte,21) doch wie man erwarten konnte, dabei blutwenig erreichte. Nur in Jugoslawien und gewissermaßen auch in Polen konnten zeitweilig Erfolge erzielt werden.

Doch auch theologisch zog Paul VI. ganz einfach nicht durch; den theologischen Wildwuchs, ja das oft unverschämte Wirken der theologischen Halbwelt auf den Universitäten und in den Seminaren so mancher Länder, wagte er gar nicht einzudämmen. Seine einzige theologische Großtat war die Enzyklika Humanae Vitae, die größtenteils vom Schweizer Kardinal Journet verfaßt worden war, die er aber redigierte und sogar abschwächte. Dieses Thema – das der künstlichen Empfängnisverhütung – wurde in der Enzyklika ohne theologische oder philosophische Begründung behandelt; die Entscheidung des Papstes stützte sich auf die Minderheitentscheidung einer Kommission; sie hat, wie dies Bischof Lambruschini den Journalisten mitteilte, keinen Unfehlbarkeitscharakter, doch vertiefte sie den Graben zwischen dem Papst und den Liberalen. Auf der anderen Seite wagte es Paul VI. nicht, den sehr eigenwilligen und etwas humorlosen Erzbischof Lefebvre zu suspendieren, und dies wiewohl die Drohungen des Vatikans in diesem Fall viel deutlicher waren als die gelegentlichen Ermahnungen gegen die theologische Demimonde. Man erinnere sich da, wie äußerst streng ein Kardinal Billot von Pius XI. angefaßt worden war, nur weil er über die Anathemisierung der Action Française nicht glücklich schien, wie relativ streng noch ein Paläontologe wie der Jesuit Teilhard de Chardin von Pius XII. behandelt wurde, weil er in seinem Werk die Erbsünde und die Erlösung durch den Heiland ganz einfach übergangen hatte – und wie man dann das wirkliche Übel eines rasanten Neomodernismus nicht anzupacken wagte.

Erst die Wahl des polnischen Erzbischof-Kardinals Wojtyła (nach einmonatigem Pontifikat Johannes Paul I.) änderte die Lage. Das italienische Régime in der Kirche kam zu Ende – ein Régime, das aber wahrscheinlich doch im Sinne der Vorsehung gewesen war, denn in dieser Periode waren die Nongesta Dei per Italianos doch vielleicht günstiger als spanische, französische oder deutsche Aktivismen.22) Die Perspektiven der Kirche sind jetzt andere, doch das vordergründige Problem der Kirche ist die Wiederherstellung der wahren Lehre, und das bedeutet zuerst einmal eine Reorganisation der Ecclesia docens, der „lehrenden Kirche“ auf dem mittleren Niveau, sowie eine langsame, wenn auch methodische Erneuerung des Episkopats, ein Vorhaben, das bis zu zwanzig Jahre in Anspruch nehmen mag. Tod und Pensionierungen müssen für diesen Austausch die Grundlagen schaffen, bis eben die Marxisten, Relativisten, Modernisten und Säkularisten in der Versenkung verschwunden sind, die die Kirche in eine libertinistische, leicht linksdrallige gesellschaftspolitische und sozialpädagische Organisation „umfunktionieren“ wollten. Möge Gott Johannes Paul II. ein langes Leben verleihen!

Die Versuchung der Verweltlichung teilt die katholische Kirche mit den Reformationskirchen, viel weniger aber mit den Ostkirchen, denn die letzteren sind zwar größtenteils von der roten Tyrannis versklavt und von dieser öfters auch als Sprachrohr oder als Vorspann benützt worden, aber sie sind nicht aus sich heraus für die Verweltlichung eingetreten. Die Reformationskirchen haben heute in den Vereinigten Staaten einen größeren Rückhalt als in Europa, haben dort drüben die religiöse Krise der Sechziger- und Siebzigerjahre besser überstanden als die katholische Kirche, denn der Puritanismus ist – zum Teil – Widerstand gegen die Weltlichkeit. Und gegen die „Weltlichkeit“ der katholischen Kirche „protestierten“ schon die Reformatoren! Doch als kultureller und weltgestaltender Faktor ist die Bedeutung der Reformationskirchen global sehr zurückgegangen: ihr übereifriger politischer Einsatz – fast immer auf der Seite der Linken – kann für sie nur verhängnisvolle Folgen haben. Und mit den sehr hochgesteckten Ansprüchen der Reformationsorthodoxie an den gläubigen Menschen hat sie es auch heute äußerst schwer. Hingegen hat der liberale, linksdrallige Flügel dieser Kirchen überhaupt keine Zukunft, denn er löst sich im ganzen einfach im Schleim der Moderne auf. Der „liberale Protestantismus“ (um einen doppelt üblen Ausdruck zu gebrauchen), macht dieselbe Fehlberechnung wie der katholische Modernismus, i.e. zu glauben, daß man dem „alten Adam“ entgegenkommen muß. Vordergründig begrüßt dies der homme moyen sensuel, aber im Grunde seines Herzens – und darauf kommt es auf lange Sicht stets an! – will auch er in seiner Kirche einen Felsen sehen und keinen synthetischen Gummischwamm. Der Mensch hat eben zwei Triebe: einen in der Richtung des Genusses und der Bequemlichkeit und einen entgegengesetzten, der ihn für die Entsagung und das Opfer bereit macht. Dies zu verkennen ist der Untergang jeglicher Religion.23)

Zudem leiden auch die Reformationskirchen an dem Mangel einer Lehrautorität, was schen Karl Barth erkannt hat.24) Der Glaube, daß man jedem Laien die Bibel in die Hand drückt, und dieser dann mit eigenem Verstand und Wissen ihr die Wahrheit entnehmen kann, ist irrealistisch. Es wäre völlig verfehlt zu glauben, daß Luther oder Calvin einem solchen „Inspirationalismus“ das Wort geredet hätten. „Wer meine Lehre nicht annimmt, kann nicht gerettet werden“ und „Nichteinmal die Engel haben das Recht, meine Lehre zu beurteilen“ sind Lutherworte.25) Die Reformatoren glaubten an die Absolutheit der Wahrheit und waren keine Subjektivisten. Man muß sich da vor Augen halten, daß die größten Theologen auch innerhalb der katholischen Kirche über die Auslegung der Schrift unter sich stets uneins waren, daß bestimmte Glaubenssätze oft jahrhundertelang Streitpunkte blieben, wie zum Beispiel das Verhältnis von Gnade und freiem Willen. Und da soll der einfache Laie imstande sein, ohne die Kenntnis toter Sprachen, ohne riesige Nachschlagewerke und langjährige Studien die schwierigsten theologischen Probleme zu klären? Man vergesse da allerdings auch nicht, daß selbst in der katholischen Kirche es für jedes Dogma hunderte von ungelösten Fragen gibt.

Heute aber ist die Gleichsetzung von „Protestantismus“ mit subjektivistisch-relativistischer Religiosität in der „breiten Öffentlichkeit“ schon sehr weit fortgeschritten. Katholische Christen projizieren dann nur zu oft das lokale Bild, das sie von einzelnen evangelischen Mitchristen und Pastoren haben, auf die Reformation und die Reformatoren zurück und ignorieren dann auch das gelegentliche Überleben des alten Reformationsglaubens.26) Diese irrigen Auffassungen gehen dann so weit, daß katholische Konservative die Neuerungen beziehungsweise Erneuerungen in der Kirche durch das und nach dem Zweiten Vatikanum für „protestantisch“ halten, so zum Beispiel den Laienkelch, die Handkommunion, den „Volksaltar“27) und dergleichen mehr – alles nur Rückgriffe auf ältere Formen in der Kirche.

Das sind allerdings nur harmlose Mißverständnisse. Weniger harmlos und dem ökumenischen Gedanken abträglich sind jedoch die Aufweichungserscheinungen in der katholischen Kirche, die, nachdem man sie als „protestantisch“ abgestempelt hat, einem rechten Schwindelökumenismus dienten – ein „Zusammenrücken der Konfessionen“, die dann nicht mehr den von einer Jungfrau geborenen Erlöser, sondern den Aion zum gemeinsamen Nenner haben. Die Wiedervereinigung im Glauben ist aber nicht auf dem Boden modischer „Weltlichkeit“, nicht durch das Abtragen von zwei Bergen, sondern nur durch den anstrengenden Bau einer Brücke zu erreichen, die den Abgrund zwischen den Bergen überwindet. Sind die Berge abgetragen, kann man wohl gemächlich von der einen Seite zur anderen hinüberspazieren, damit ist aber dann das Depositum Fidei, unser Glaubensschatz, verlorengegangen. Und somit triumphiert die ‚Welt“. Wer aber der „Fürst dieser Welt“ ist, hat die Heilige Schrift zur Genüge betont.