Kitabı oku: «Unter der Sonne geboren - 3. Teil», sayfa 2

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Seit der Zeit Katharina de' Medicis hatte die Angst vor Gift, die häufig auch von den miserablen Fähigkeiten der Ärzte genährt wurde, die kollektive Phantasie beunruhigt, und sogar in unmittelbarer Umgebung des Königs hatte der plötzliche Tod von Gabrielle d'Estrees im Jahr 1599 und 1670 das ebenso unerwartete Ableben von Henriette von England Verdacht erregt. Dennoch durfte man mit Recht annehmen, dass im Frankreich des Rationalismus und der Philosophie Descartes', also in einer Zeit, als die Klassik ihren Höhepunkt erreicht hatte, Dinge wie Aberglauben, magische Vor-stellungen und satanische Riten nur noch in den entlegensten Provinzen als Ausgeburten des naiven Volksglaubens überlebten. Weit gefehlt, denn unter den Angeklagten befanden sich einige der bekanntesten Mitglieder des Hofstaates. Einer der ersten, die viele Monate lang in der Bastille saßen, war der von Ludwig XIV. wegen seiner militärischen Fähigkeiten sehr geschätzte Marschall von Luxembourg. Er hatte Lesage gebeten, ihn mit dem Teufel in Kontakt zu bringen, mit dessen Hilfe er sich Ruhm auf den Schlachtfeldern erwerben und von seiner Frau befreien wollte. Es folgte die Gräfin von Soissons, eine Nichte Mazarins und ältere Schwester Maria Mancinis, der Jugendliebe von Ludwig XIV. Sie war Oberintendantin im Haus der Königin gewesen und hatte der Voisin gegenüber ihre Absicht bekundet, die Herzogin von La Valliere umzubringen, weil sie ihr das Herz des Königs geraubt hatte. Die Beweise zu ihren Lasten mussten recht erdrückend sein, da Ludwig sie vor die Entscheidung stellte, „entweder am nächsten Tage in die Bastille zu gehen, um sich den Härten der Gefangenschaft und des Prozesses zu unterziehen, oder Frankreich unverzüglich zu verlassen“. Ein Familienrat wurde abgehalten, und die Gräfin entschied sich für die zweite Möglichkeit. Sie floh in einer Kutsche mit den königlichen Insignien, damit das Volk sie nicht abreisen sah und keinen Grund hatte, sich zu beklagen, dass nicht Recht gesprochen wurde... Ihre Schwester, die Herzogin von Bouillon, die dem König ebenfalls nahestand, bewies größeres Selbstvertrauen und zog sich glänzend aus der Affäre. Nachdem man sie angeklagt hatte, ihren Mann aus dem Weg räumen zu wollen, um ihren jungen Geliebten, den Herzog von Vendome, einen Cousin des Königs, heiraten zu können, erschien die Herzogin vor dem Arsenal, am linken Arm den Geliebten, am rechten ihren Mann, begleitet von einer großen Schar Freunde, und entgegnete den Richtern in keckem Ton, sie habe die Wahrsagerin zweimal ausschließlich zu ihrem Vergnügen konsultiert, um dann mit den Worten, sie begreife nicht, wie so intelligente Männer derart dumme Fragen stellen konnten, wieder ihrer Wege zu gehen.

Ludwig XIV., den die Vorstellung empörte, der eine oder andere seiner engsten Vertrauten könnte ähnlichen Anschuldigungen ausgesetzt sein, befahl La Reynie, mit den Ermittlungen fortzufahren und auf niemanden Rücksicht zu nehmen. Es gab also genug Anlass, die Welt der Privilegierten erzittern zu lassen, doch ausgerechnet der unermüdliche Eifer, mit dem der Polizeichef die Nachforschungen vorantrieb, sollte schließlich dazu führen, dass die Ermittlungen eingestellt wurden.

Ludwig wünscht, dass die Ermittler „gewissenhafte Gerechtigkeit ohne jegliches Ansehen des Ranges, des Geschlechts oder der Personen“ üben. Und er will genauestens informiert werden; La Reynie muss deshalb häufig nach Versailles fahren. Denn der König wohnt schon lange nicht mehr in seiner Hauptstadt.

Zuletzt hat er sich im Winter 1670/71 längere Zeit in Paris aufgehalten - und sich so furchtbar gelangweilt, dass er jede Woche mehrtägige Ausflüge nach Versailles machte. Inzwischen kommt er nur noch ein- oder zweimal im Jahr und hat auch die Bauarbeiten am Louvre einstellen lassen: ein deutliches Zeichen, dass er nicht mehr in seinem Stadtschloss zu wohnen wünscht. Auch die Marquise de Montespan, einst Mätresse des Königs, wird von verhafteten Giftmischerinnen beschuldigt, Zaubertränke gekauft und schwarzen Messen beige wohnt zu haben. Ludwig XIV. ist schockiert - und hält die Ermittlungen geheim.

In den folgenden Wochen beschuldigen sich die ehemaligen Liebenden und Geschäftspartner mit immer neuen Schauergeschichten. La Voisin erhält von ihren Bewachern reichlich Wein, das macht sie gesprächig. Sie wirft ihrem einstigen Liebhaber vor, gefährliche Kontakte zum Hof zu pflegen, und bezichtigt den Dra-matiker Racine des Giftmords. Der frühere Verehrer wiederum erzählt, La Voisin habe mehrere Männer vergiftet und eine schwarze Messe abgehalten. Beide nennen nun Namen - auch adelige aus dem unmittelbaren Umfeld des Königs - eine ehemalige Gespielin, einen General, einen Marquis.

Zwar gefällt es dem Sonnenkönig, Herrscher über eine der größten Städte der Welt zu sein. Paris untersteht Ludwig direkt - anders als die meisten anderen französischen Städte hat die Kapitale nie einen Freibrief erhalten, ihre Bürger dürfen sich deshalb nicht selbst verwalten.

Großzügig finanziert der König Projekte wie das Invalidenheim und prahlt, er wolle „für Paris tun, was Augustus für Rom tat“.

Der Gedanke an einen Aufenthalt in der Stadt reicht aus, um ihn in schlechte Laune zu versetzen. Lieber fährt er einen Umweg, als die Stadt in seiner Kutsche zu durchqueren.

Vielleicht ist ihm, dem Freund der Parks und Jagdausflüge, die Stadtluft zuwider. Ganz sicher hat er den Parisern ihre Untreue während der Fronde-Aufstände von 1648 bis 1653 nicht vergessen. Jetzt muss er sich bestätigt sehen. Die Giftaffäre scheint zu beweisen, dass es in Paris geheime Machenschaften gibt, außerhalb der Kontrolle des Königs und möglicherweise staatsgefährdend.

Ein Jahr, nachdem La Reynie die Untersuchung übernommen hat, werden die ersten Adeligen verhaftet, darunter der Herzog von Luxembourg, General des Königs.

Er wird beschuldigt, dass er seine Ehefrau, einen anderen Marschall sowie einen Geschäftsmann mit der Hilfe des Geliebten von La Voisin umbringen wollte. Man legt ihm die Flucht nahe.

Doch Luxembourg ist von der eigenen Unschuld überzeugt und will sich rechtfertigen: Zu Fuß geht er zur Bastille, um sich zu stellen. Angeklagte seines Standes hätten eigentlich das Recht auf einen Prozess vor der höchsten Kammer des Parlements, doch Ludwig überträgt seiner Untersuchungskommission die Vollmachten eines Sondergerichts auch für Aristokraten.

Und kann trotz des Schweigegelübdes der Kommissionsmitglieder nicht verhindern, dass die Vorkommnisse an die Öffentlichkeit geraten: Ganz Paris spricht von dem Skandal, die Höflinge spekulieren, wer als Nächster festgenommen wird. Jubelnd empfangen Verwandte und Freunde vor dem Tor all jene, die die Kammer entlastet.

Besonders geistreiche Antworten auf die Fragen der Richter machen schnell die Runde, freigelassene Verdächtige können sich vor Einladungen kaum retten. Eine Dame vornehmer Herkunft wird wegen des versuchten Mordes an ihrem Mann zu lebenslanger Haft in einer Besserungsanstalt verurteilt - La Reynie ist einer der weni-gen Richter, die für die Todesstrafe plädiert haben. Andere Adelige, die mit einer Verurteilung rechnen müssten, entziehen sich dem Prozess durch Flucht.

Zufällig wird in einem Theater der Stadt das passende Schauspiel gegeben: „La Devineresse“, eine Komödie über eine Wahrsagerin, die adelige Kunden in Liebesdingen berät. Die vornehmen Pariser drängen zu den Vorführungen, das Stück spielt mehr Geld ein als je eine französische Produktion zuvor. Für La Voisin beginnt nun der letzte Akt. Fast ein Jahr lang ist sie immer wieder verhört worden, hat mehrere tatsächlich begangene Giftmorde und Tausende von Abtreibungen gestanden.

Das Urteil der Sonderrichter fällt einstimmig: schuldig. Trotzdem wird sie noch einmal drei Tage lang vernommen, in die Bastille verlegt und zum Schluss auch gefoltert. Vielleicht, hofft La Reynie, liefert sie doch noch neue Informationen.

Doch die Verurteilte besteht darauf, nichts von schwarzen Messen zu wissen, und macht ansonsten nur die ebenso vage wie beunruhigende Bemerkung, dass „sehr viele Personen jeden Ranges und je-der Vermögenslage sich an sie gewandt hatten, die nach dem Tod anderer trachteten“. Dann lässt sie sich am Vorabend ihrer Hin-richtung ein deftiges Essen schmecken, trinkt viel Wein und singt derbe Lieder. Tags darauf muss sie den Weg zur Place de Greve antreten.

Die Place de Greve ist an diesem Wintertag schwarz von Menschen. Seit dem frühen Morgen stehen sie hier, vor dem Pariser Rathaus, auf dem größten Platz der Innenstadt, wo sonst die arbeitslosen Tagelöhner auf Auftraggeber warten.

Sie schubsen, versuchen, über die Köpfe der anderen hinweg einen Blick zu erhaschen auf den Scheiterhaufen, auf den Henker, auf den Karren mit der Verurteilten oder wenigstens auf ihre Haube: Catherine Montvoisin, genannt La Voisin. Es ist der 22. Februar 1680. Während sie warten, tauschen die Pariser die furchtbaren Gerüchte über die Verurteilte aus: Gifte hat sie gemischt, Kinder abgetrieben und in ihrem Ofen verbrannt. Und ihre adeligen Kunden!

Der Herzog von Luxembourg, des Königs General, Marschall von Frankreich, soll eine Prozession abgehalten haben mit zwölf nackten Frauen, angeführt von einem Priester, der nur eine Stola trug.

Das ist fast sicher, denn ohne triftigen Grund sitzt der Aristokrat bestimmt nicht in der Bastille, vielleicht wird man auch ihn bald auf dem Weg zum Henker sehen.

Da kommt das Gefährt näher, bahnt sich eine Schneise durch die Menge. La Voisin trägt ein weißes Hemd, das Gesicht der Giftmörderin ist rot. Seit sie von der Bastille losgefahren ist, hält sie die Blicke ihrer Mitbürger aus, die an der Rue Saint-Antoine stehen, auf der Brücke von Notre-Dame, vor der Kathedrale.

Und noch vor ihr trifft die Nachricht auf der Place de Greve ein: La Voisin hat sich geweigert, vor Notre-Dame niederzuknien und Abbitte zu leisten vor Gott, dem König und ihren Mitmenschen.

Auch jetzt wehrt sie sich, mit Gewalt muss sie vom Karren heruntergezerrt werden, sie flucht entsetzlich. Mit Ketten bindet der Henker sie auf den Scheiterhaufen. Als er Stroh auf die Todgeweihte häuft, damit sie schnell verbrennt, stößt sie es mit den Füßen weg.

Schließlich gelingt es dem Henker doch, das Stroh zu entzünden, weißer Rauch hüllt sie ein, und die Menge intoniert das traditionelle Gebet an die heilige Jungfrau: „Salve Regina“. Gegrüßet seist du, Königin, Mutter der Barmherzigkeit.

Ob Gabriel-Nicolas de La Reynie, der Polizeichef, zufrieden ist? Der Mann, der La Voisin verhaften ließ, sie verhörte und verurteilte - er wird ihren letzten Akt sicher nicht verpasst haben.

Vielleicht verfolgt er das Schauspiel von einem Fenster des Rathauses aus. Manchmal wollen Delinquenten noch kurz vor dem Tod neue Aussagen machen, um ihr Ende hinauszuzögern, und werden dazu ins Hotel de Ville gebracht. Gut möglich also, dass sich der Polizeichef hier bereitgehalten hat.

Die Menge zerstreut sich. La Reynie aber weiß, dass es noch nicht vorbei ist. Diese Stadt, die er heller gemacht hat, sicherer und sauberer, sie zeigt ihm seit Monaten ihre dunkelste, tödlichste und schmutzigste Seite.

Im Februar 1680 löste der Tod der Voisin auf dem Scheiterhaufen den anderen Angeklagten, die auf ihr Urteil warteten, plötzlich die Zunge, und allesamt brachten sie Madame de Montespan ins Spiel, deren Namen schon Lesage mehrmals genannt hatte. Eingeleitet wurde die Offensive von Marie-Marguerite Monvoisin, einer Tochter der Voisin, die zu Lasten der Marquise angab, sie habe sich bei drei verschiedenen Gelegenheiten an ihre Mutter gewandt: Sie habe Liebestränke bei ihr bestellt, um den König an sich zu binden; sie habe Gift in Pulverform bei ihr erworben, um Mademoiselle de Fontanges und sogar den König zu ermorden und sie habe an schwarzen Messen teilgenommen. Ihre scheinbar völlig unglaubwürdigen Behauptungen wurden allerdings prompt von einer anderen Wahrsagerin und Expertin für Schwarze Magie bestätigt, die La Reynie ins Netz gegangen war. Nach Aussage jener Filastre hatte die Marquise sich häufig ihrer Künste bedient, um sich mit Liebes- und Zaubertränken die Leidenschaft des Königs zu erhalten. Besessen von der Angst, eine Rivalin könnte sie verdrängen, habe Madame außerdem an schwarzen Messen teilgenommen, die ein unheimlicher Prior namens Guibourg über ihrem nackten Leib zelebrierte und bei denen ein neugeborenes Kind geopfert wurde.

Als er von diesen grauenhaften Anschuldigungen erfuhr, befahl der König, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, und der Angst, Athenais zu kompromittieren, mit den Verhören fortzufahren. Am 14. Mai verlangte er jedoch, die Unterlagen, die Madame de Montespan betrafen, aus den Prozessakten zu entfernen, womit es den Richtern praktisch unmöglich wurde, weiterzuarbeiten. Als La Reynie 1709 starb, ließ Ludwig XIV. sich die Dokumente aushändigen, die die Marquise betrafen, und warf sie eigenhändig ins Feuer. Er wusste freilich nicht, dass das Oberhaupt der Polizei eine Zusammenfassung der Verhörprotokolle aufbewahrt hatte, in denen die Favoritin beschuldigt wurde.

So wurde die „Chambre ardente“ 1682 auf Befehl des Königs aufgelöst. Ob schuldig oder unschuldig, alle, deren Name im Zusammenhang mit einer möglichen Beteiligung Madame de Montespans an der Giftaffäre gefallen war, wurden ohne Prozess zu lebenslänglicher Haft verurteilt, in die unzugänglichsten Gefängnisse des Reiches gebracht und dort strengster Isolationshaft unterworfen. Die Kommission war 210mal zusammengekommen und hatte 319 Haftbefehle erlassen, etwa zwanzig Personen hatten fliehen können, und 194 waren eingesperrt worden. Von diesen hatte man 34 hingerichtet, zwei waren unter der Folter gestorben.

Doch durfte man wirklich behaupten, dass diese fürchterlichen Erkundungen in der Welt des Verbrechens zur Aufdeckung der Wahrheit geführt hatten? Wie viel Glauben durfte man den Geständnissen skrupelloser Gesetzesbrecher schenken, denen jedes Mittel recht war, um einen Prozess in die Länge zu ziehen, an dessen Ende sie ein grausamer Tod erwartete? Und hatte die Einrichtung der „Chambre ardente“ nicht selbst dazu beigetragen, die Wahrheit zu verfälschen? Das behauptete jedenfalls Colbert, als Ludwig XIV. ihn in dem Moment um Rat fragte, in dem Madame de Montespan in die Ermittlungen hineingezogen wurde. Im Übrigen zeigt das Einschreiten des berühmten Oberintendanten der Finanzen und Erzfeindes von Louvois sehr deutlich, dass die Giftaffäre auch eine politische Affäre war, ein Skandal, den der Kriegsminister und sein Vertrauensmann La Reynie ausnutzten, um Machtgruppen zu schwächen, die ihnen feindlich gesinnt waren, einschließlich der Kreise um Madame de Montespan, die mit Colbert verwandt und befreundet war.

Dutzende Gefangene sitzen noch ein im Schloss von Vincennes, östlich von Paris. La Reynie wird sie weiter verhören. Er glaubt, dass La Voisin Geheimnisse mit auf den Scheiterhaufen genommen hat. Doch er ahnt nicht, wie entsetzlich diese Geheimnisse sind.

Und wie nah seine Ermittlungen ihn an den König heranführen werden.

Und Ludwig selbst unternimmt alles, um die Ermittlungen geheim zu halten. Von unterwegs schreibt er La Reynie einen Brief und weist ihn an, alle Aussagen über Madame de Montespan auf gesonderten Blättern festzuhalten und diese den anderen Mitgliedern der Sonderkommission nicht zu zeigen.

Nicht auszudenken, wenn die Geschichten über die königliche Mätresse etwa in einer der Pariser „Gazettes a la main“ erschiene, jener kleinen, handgeschriebenen Zeitungen, die einem geheimen Kreis von Abonnenten zugestellt werden und Gerüchte aus Versailles berichten.

Der Skandal könnte auf einen Schlag das Bild vom strahlenden Glanz des Hofes des Sonnenkönigs verdunkeln, das Ludwigs Propagandisten auf zahllosen Gemälden und Drucken, Münzen und Triumphbögen, in Gedichten und Theaterstücken verbreiten. Und das ein wichtiges Herrschaftsmittel des Monarchen ist.

Daran ändert auch nichts, dass die Gräueltaten in Wirklichkeit wohl nie stattgefunden haben. La Reynies Zeugen sind alle unzuverlässig: ein notorischer Lügner, ein junges, gestörtes Mädchen, ein Priester, der Anzeichen von Demenz zeigt. Sie alle haben nichts mehr zu verlieren, sie müssen mit der Todesstrafe rechnen.

Auch übereinstimmende Aussagen beweisen nichts: Es gibt in Vincennes keine Einzelzellen, die Gefangenen können sich in gewissem Maße absprechen.

Wahrscheinlich hat Madame de Montespan tatsächlich La Voisin aufgesucht. Eine Mätresse führt ein unsicheres Leben, abhängig von der Laune und Libido des Herrschers. Vermutlich hat sie nach einem Liebeszauber gefragt - wie die meisten Kunden der Weissagerinnen.

Es ist zudem denkbar, dass man in einer Stadt, in der jedes Jahr mehrere Hundert Kinder ausgesetzt werden, für ein Silberstück einen Säugling erhält. Aber ist es vorstellbar, dass eine Dame von Montespans Rang sich allein in eine Hütte in Saint-Denis begibt, wie es der Priester aussagt?

Dass sie dort okkulte Praktiken vollzieht? Und auch noch versucht, den König zu ermorden, ihren Geliebten, den Vater ihrer Kinder, den von Gott eingesetzten Herrscher Frankreichs?

Ludwig jedenfalls scheint daran zu zweifeln. Wenn der König von ihrer Schuld überzeugt wäre, könnte er sie ohne großes Aufsehen für den Rest ihres Lebens in ein Kloster schicken. Madame de Montespan aber bleibt am Hof. Und wird nie erfahren, welcher Gräueltaten man sie verdächtigt hat.

Als der König im Juli 1682 die Sonderkommission auflöst, haben die Höflinge längst das Interesse an dem Giftskandal verloren.

Die Richter haben in den vorangegangenen drei Jahren gegen 104 Menschen verhandelt, 17 von ihnen in die Verbannung geschickt und 36 zum Tode verurteilt (von denen zwei schon die Folter nicht überlebt haben). Etliche Gefangene sind in Vincennes gestorben. 16 Personen hat die Kommission entlastet, darunter den Herzog von Luxembourg.

Viele Fälle sind nie vor das Gremium gekommen. Auf Befehl des Königs hat La Reynie der Kammer unter anderem all jene Angeklagten vorenthalten, die Madame de Montespan belastet hatten. Sie werden nicht verurteilt, doch La Reynie muss sie festhalten, damit sie keine Gerüchte über die Mätresse verbreiten.

Dabei handelt es sich zunächst um14 besonders eng verstrickte Personen, darunter La Voisins Ex-Geliebten, Marie Montvoisin und den Priester - aber auch um ihre Zellengenossen: Sie könnten ja etwas über Madame de Montespan erlauscht haben. Auch unbeteiligte Personen wie La Voisins Dienstmädchen landen im Kerker. Insgesamt 65 Frauen und Männer werden auf Festungen in ganz Frankreich verteilt, für den Rest ihres Lebens an Gefängnismauern gekettet, in völliger Isolation an den abgelegensten Orten des Landes.

Im selben Jahr verbietet ein königliches Edikt, die Worte der Heiligen Schrift zu missbrauchen oder sich als Zauberer auszugeben. Der Verkauf von Giften wird erschwert.

Wir wissen nicht, zu welchen Schlussfolgerungen Ludwig XIV. gelangte. Hatte er Erklärungen von Madame de Montespan gefordert? War sie über die Gefahr informiert worden, in der sie schwebte? Die Anschuldigungen gegen sie waren zum größten Teil unglaubwürdig, doch konnte der König wirklich ausschließen, dass die Favoritin ihm heimlich widerwärtige und gesundheitsschädliche Substanzen eingeflößt hatte, um ihn an sich zu binden? Welches auch immer seine innersten Überzeugungen sein mochten, der König hatte keine andere Wahl, als den Ruf der Mutter seiner Kinder zu wahren und sich selbst sowie den Hof vor einem Skandal von unerhörten Ausmaßen zu schützen.

Während die „Giftaffäre“ weiterhin eine ungebrochene Faszination auf Historiker, Biographen und Romanautoren ausübt, bleiben die Schlussfolgerungen, zu denen die Forscher bis heute gelangt sind, bemerkenswert widersprüchlich. Was die Rolle von Madame de Montespan in der Angelegenheit betrifft, so endete mit dem 19. Jahrhundert auch die Zeit der Verfechter ihrer Schuld, und jetzt erheben diejenigen ihre Stimme, die sie für unschuldig halten. Der Prozess, behaupten sie, folgte der typischen Dynamik von Hexenprozessen: Unter der Folter wurden die Verhörten dazu gebracht, das zu gestehen, was die Richter hören wollten. Andererseits hatten die Angeklagten ein verständliches Interesse daran, hochrangige Persönlichkeiten ins Spiel zu bringen, um Verwirrung zu stiften und die Untersuchung in die Länge zu ziehen. Außerdem waren die Anklagen gegen Madame de Montespan voller Widersprüche. Häufig stimmten die Zeitangaben nicht überein, vor allem aber waren die Taten, die man ihr zur Last legte, im Grunde völlig absurd. Warum sollte eine so stolze, intelligente, gebildete, mit unerschütterlichen religiösen Überzeugungen gewappnete und selbstsichere Frau wie die Favoritin sich derart irrwitzigen und grausamen Ritualen unterwerfen? Und selbst wenn es so gewesen wäre, wie konnte sie in Anbetracht ihrer herausragenden Stellung so kompromittierende Beziehungen pflegen, ohne aufzufallen?

Andererseits lässt sich schwerlich leugnen, dass Madame de Montespan nichts wichtiger war, als ihren Einfluss auf den König zu erhalten, dass magische Praktiken sich damals mit dem christlichen Glauben vereinbaren ließen und dass es durchaus nicht unmöglich für sie gewesen wäre, heimliche Kontakte zur Voisin und ihren Komplizen zu unterhalten (wie ihre Verwandten und Freunde es getan hatten). Sie genoss uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und hätte sich gegebenenfalls auch an Mittelsmänner wenden können. Zudem erscheinen zwar viele Zeugenaussagen zu Lasten von Athenais nicht plausibel, viele andere dagegen konnten durch Tatsachen bewiesen werden. Mit Sicherheit hatte die Marquise niemals im Sinn, den König oder Mademoiselle de Fontanges zu vergiften, doch das bedeutet nicht, dass sie vollkommen unschuldig war. „Es besteht kein Zweifel“, schreibt Jean-Christian Petitfils im Resümee seiner Untersuchungen, „dass Madame de Montespan Beziehungen zur Voisin, zu Lesage, Mariette und ihren Komplizen unterhielt, und zwar seit Ende 1667 oder seit dem Beginn des Jahres 1668. Um die Gunst des Königs zu erlangen und die Verbannung (vielleicht auch den Tod) ihrer Rivalin zu erreichen, bediente sie sich magischer, blasphemischer Rituale und nahm an symbolischen Taufen von Tauben teil. Später ließ sie sich von Zauberern, Scharlatanen, Astrologen und anderen Betrügern helfen, um die Liebe des Königs lebendig zu halten. Sie kaufte bei ihnen aphrodisische Pulver und verlangte von ihnen >Hexereien<, vielleicht um das Auftauchen gelegentlicher Rivalinnen zu verhindern (...) Bleiben die schwarzen Messen (...) Diese abscheulichen Verbrechen sind nicht ganz unwahrscheinlich. Der Prior, die Filastre und die Tochter der Monvoisin haben diesbezüglich sehr klare, übereinstimmende Aussagen gemacht. Doch angesichts derartiger Gräuel bleibt man unschlüssig.“

Auch wenn er an seiner Überzeugung festhalten wollte, dass Madame de Montespan mit der ganzen Geschichte nicht das Geringste zu tun hatte, konnte der König sich nicht verhehlen, dass die Ereignisse der „Giftaffäre“ nur mit Unterstützung einer zutiefst amoralischen Gesellschaft möglich gewesen waren. Zumindest was die Hemmungslosigkeit in sexuellen Dingen betraf, war er selbst ein Vorbild für seine Untertanen gewesen. Er musste so schnell wie möglich auf Abhilfe sinnen.

Mit vierzig Jahren änderte Ludwig XIV. sein Leben. In Madame de Maintenon fand er eine tugendhafte Geliebte, die ihm half, sich mit Gott zu versöhnen. Und während der Widerruf des Edikts von Nantes und die Wiederaufnahme der Hugenottenverfolgungen von der Unbeugsamkeit des Allerchristlichsten Königs in Fragen des rechten Glaubens zeugten, hüllte Versailles sich, den Wünschen seines Herrschers treu ergeben, in Schwarz und wurde zum Bild der

Keuschheit und Frömmigkeit. Fünfunddreißig Jahre sollte es dauern, bis mit der Regentschaft des Herzogs von Orleans, eines Libertins und begeisterten Alchimisten, in Frankreich wieder Zauberer, Wahrsager, Handleser und Kuppler einer Gesellschaft ihre Dienste anboten, die im Licht einer neuen Sonne wieder einem leichtsinnigen Leben frönte.

Nicolas de la Reynie bleibt noch 15 Jahre lang Polizeichef. Als er 1709 stirbt, denkt er ein letztes Mal an das Wohl der Pariser. In seinem Testament verfügt er, dass er auf dem Friedhof und nicht in der Kirche beerdigt wird, doch „um nicht mit der Verwesung meines Körpers zur Fäulnis und Infektion der Luft beizutragen“.

Nach La Reynies Tod lässt sich Ludwig die Dokumente seines ehemaligen Polizeileutnants nach Versailles kommen. Dann verbrennt er sorgfältig alle Schriftstücke, die Madame de Montespan betreffen. Die Besuche seiner Mätresse in der Rue Beauregard werden für weitere 150 Jahre geheim bleiben.

Erst im 19. Jahrhundert werden Historiker ihren Namen in den Archiven der Bastille entdecken: Der sorgfältige La Reynie hatte von seinen Ermittlungen Abschriften gemacht.

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