Kitabı oku: «Unter der Sonne geboren - 3. Teil», sayfa 3
Die Nachdenklichkeit des Nicolas de la Reynie
Nicolas de la Reynie kehrt stets nachdenklich von seinen Besuchen in Versailles zurück. Er spürt, dass der König unliebsame Beweise unterdrücken möchte - einer ehemaligen Geliebten hat Ludwig bereits zur Flucht verholfen.
Gleichzeitig glaubt La Reynie, so notiert der Polizeileutnant in einem Bericht, dass es noch furchtbarere Geheimnisse zu entdecken gibt.
Dieser ruhige, melancholische Mann, mit wenig Fantasie begabt, trifft in seinen Verhören auf Menschen ganz anderer Art - Menschen, die ihr Geld damit verdienen, zu lügen, zu betrügen und stets das zu sagen, was ihr Gegenüber hören möchte.
Und La Reynie glaubt den fantastischen Anschuldigungen seiner Informanten - oder hält sie zumindest für möglich. Zu seiner zweiten Hauptzeugin wird nach La Voisin ausgerechnet eine verstörte, hoch nervöse und impulsive junge Frau mit einer lebhaften Vorstellungskraft: Marie-Marguerite Montvoisin, die 21-jährige Tochter der Giftmischerin.
Sie ist kurz vor der Hinrichtung ihrer Mutter verhaftet worden und berichtet freimütig von der Kindheit in der Rue Beauregard. Wie es aus dem Beratungszimmer nach Schwefel stank, wie sie einmal eine weiße Taube kaufen musste, der die Kehle durchgeschnitten wurde, wie sie sich fast an einer Suppe vergiftet hätte, die für ihren Vater bestimmt war.
Aus anderen Verhören glaubt der Polizeileutnant zu wissen, dass La Voisin damit gerechnet hatte, demnächst gut 100 000 Ecus einzunehmen (was mehr als 2000 Kilogramm reinen Silbers entsprochen hätte). Und dass sie dem König eine Petition überreichen wollte. Warum? Und wofür könnte ihr die gewaltige Belohnung ver-sprochen worden sein? Marie weiß nichts darüber.
Doch bis zur nächsten Vernehmung hat sie drei Monate Zeit, um nachzudenken. Dann packt sie aus: Das Papier, auf dem die Petition verfasst gewesen war, sei vergiftet gewesen - La Voisin habe versucht, Ludwig XIV. zu ermorden.
Auch die Auftraggeberin kennt Marie angeblich: Madame de Montespan. Die langjährige Mätresse des Königs.
Ludwig XIV. hat sich stets mit vielen Liebhaberinnen vergnügt: „Er benutzt diese Art Frauen wie Postpferde, die man einmal besteigt und nie wieder sieht“, schreibt ein Höfling. Doch Francoise-Athenai's de Rochechouart, Marquise de Montespan, ist – wie wir zwischenzeitlich wissen - mehr. Blond, blauäugig, üppig geformt - ihre Zeitgenossen preisen die Schönheit der Adeligen.
Als La Voisin stirbt, teilt Madame de Montespan allerdings schon nicht mehr Ludwigs Bett. Sie ist fett geworden nach den vielen Schwangerschaften, der König hat sie vor einem Jahr durch eine Jüngere ersetzt.
All dies passt beunruhigend genau zu Maries Geschichte: Die Mätresse des Königs sei fünf oder sechs Jahre lang zu ihrer Mutter gekommen. La Voisin habe ihr Liebespulver geliefert, um die Gefühle des Königs zu stärken. Als Ludwig sich einer anderen zuwandte, habe sie ihn bestrafen wollen: mit dem Tod.
Mit jedem Verhör werden Maries Aussagen fantastischer: Auf Madame de Montespans Bauch seien schwarze Messen abgehalten worden. Ein ebenfalls inhaftierter Priester, der angebliche Komplize, liefert bereitwillig die Details. Viermal im Laufe der Jahre habe er über der nackten Dame die Dämonen Astaroth und Asmodäus angerufen und jedes Mal ein Kind geopfert, damit der König sie weiter liebe. Er habe den zuvor gekauften Säugling geschlachtet, aus dem Herz und Eingeweiden seien Pulver hergestellt worden, die Montespan dem König verabreicht habe.
La Reynie weiß nicht, wie viel er glauben soll. Aber er hält den König über alle Aus-sagen auf dem Laufenden.
Ludwig bereist im Sommer 1680 Nordfrankreich, gefolgt von seinem Hof. Er muss lesen, dass seine langjährige Geliebte ihre Beziehung mit widerlichen Methoden zu stärken versucht hat, ja vielleicht sogar seinen Tod plante. Und auch die merkwürdigen Dämpfe und quälenden Kopfschmerzen, die seine Ärzte jahrelang mit Abführmitteln behandelten, könnten plötzlich eine Erklärung finden.
Die Höflinge beobachten, wie selten Madame de Montespan den König auf dieser Reise sieht. Sie deuten dies als weiteres Zeichen für ihren Abstieg. Niemand ahnt jedoch den wahren Grund.
Außenpolitik - Kriege
Alle Kriege - die Ludwig führte - zu behandeln, scheint unmöglich. Das würde ein eigenes Buch füllen. Beschränken wir uns auf das Wesentliche.
Die Religionskriege
Im 16. Jh. verbreitete sich der Protestantismus in Frankreich. In den ersten Jahren wurde er als Ketzerei angesehen und als solche bekämpft. Bereits unter Franz I. fanden einzelne Verurteilungen von Protestanten statt. Die systematische Verfolgung begann jedoch unter seinem Nachfolger Heinrich II. Der wachsende Widerstand der Protestanten führte zu den Religionskriegen, die durch das Massaker von Wassy ausgelöst wurden.
1. Religionskrieg (1562-1563)
Am 1. März 1562 ermordeten der Herzog von Guise und seine Gefolgsleute 32 Protestanten, die ihren Gottesdienst in einer Scheune feierten. Der protestantische Fürst von Condé aus dem Haus der
Bourbonen rief die Protestanten auf, sich mit Waffen zu verteidigen. Mit seiner kleinen Armee besetzte er Orléans, Sens, Tours, Blois und Angers. Condé erfuhr nicht nur von der protestantischen Bevölkerung eine breite Unterstützung, auch England schlug sich auf seine Seite. Die Katholiken ihrerseits, unterstützt durch den verarmten Landadel und gestärkt durch Spanien, wurden von einem Verteidigungstriumvirat (Herzog von Guise, Feldherr Montmorency, Marschall von Saint-André) angeführt. Sie begaben sich nach Fontainebleau, wo sich die königliche Familie aufhielt und übten Druck auf die Regentin aus. Die Protestanten betrachteten dies als eine Gefangennahme des Königshauses und erklärten ihren Krieg zum Befreiungskrieg für die königlichen Familie. Das Königshaus versuchte zwischen beiden Lagern zu vermitteln, um das Land vor Anarchie zu schützen. 1563 wurde der erste Friedensvertrag von Amboise ausgehandelt, der den Protestanten in ihren Hochburgen die Ausübung ihrer Religion erlaubte. Dieser Vertrag führte jedoch nicht zum Frieden zwischen beiden Parteien und es fanden weiter vereinzelte Massaker statt. Eines der blutigsten Gemetzel war 1566 in Foix, wo 700 Protestanten ihr Leben ließen.
2. Religionskrieg (1567-1568)
1567 war der 2. Religionskrieg ausgebrochen. Die protestantische Armee versuchte König Karl IX. zu entführen, dem es jedoch gelang, nach Paris zu flüchten. Daraufhin belagerten sie Paris, wurden aber vom Herzog von Montmorency geschlagen und zogen sich nach Chartres zurück. 1568 kam es in Longjumeau zu einem neuen Friedensvertrag, der den alten Friedensvertrag bestätigte und den Protestanten noch zusätzlich La Rochelle zusprach. Doch auch dieser Frieden war kein Frieden aus Überzeugung. Die Gegner versuchten in dieser Zeit ihre Armeen zu verstärken und Hilfe von außen zu erhalten.
3. Religionskrieg (1569-1570)
Ein Jahr später kam es zu erneuten kriegerischen Auseinanderset-zungen. In diesem 3. Religionskrieg spielten die Katholiken die aktivere Rolle. Karl IX. schlug sich auf die Seite der Katholiken und verbot im Edikt von Saint-Maur die Ausübung des protestantischen Kultes. Er trieb die protestantische Armee bis nach La Rochelle. Ein Jahr später erlitten die Protestanten eine weitere Niederlage in Jarnac, wo auch ihr Anführer Fürst von Condé ermordet wurde. Am 8. August 1570 wurde ein weiterer Friedensvertrag in Saint-Germain-en-Laye unterzeichnet. Nach diesem Vertrag erhielten die Protestanten die vier befestigten Städte La Charité, Cognac, Montauban und La Rochelle und sie durften ihre Religion weiter ausüben.
4. Religionskrieg (1572-1573)
Um die beiden gegnerischen Parteien zusammenzuführen arrangierte Katharina von Medici die Hochzeit zwischen dem protestantischen Anführer Heinrich von Navarra und ihrer Tochter Margarete von Valois. Diese Hochzeit endete jedoch in einem Blutbad. Am 24. August 1572, dem Tag des Heiligen Bartholomäus, wurden bis zu 3000 Protestanten, die zur Hochzeit nach Paris kamen, gnadenlos ermordet. Eines der ersten Opfer war der protestantische Anführer Admiral von Coligny. Vergleichbare Ereignisse fanden ebenfalls in den Provinzen statt. Ca. 10000 Protestanten fanden in diesen Tagen ihren Tod. Die Protestanten flüchteten nach La Rochelle. Alle Versuche, diese Festung einzunehmen, blieben erfolglos und es kam 1573 zu einem erneuten Friedensvertrag in Boulogne. Die Ausübung des protestantischen Kultes wurde auf die vier Städte La Rochelle, Nîmes, Montauban und Sancerre beschränkt.
5. Religionskrieg (1574-1576)
Überall in Frankreich, vor allem im Süden, rebellierten die Protestanten gegen die Einschränkung ihrer religiösen Praktiken. Heinrich von Navarra floh vom Hof und wurde Anführer der Protestanten. Er erreichte mehrere Erfolge für seine Glaubensbrüder, die im Edikt von Beaulieu-lèsLoches festgehalten wurden. Die Anzahl der protestantischen Städte erhöhte sich auf acht und mehrere protestantische Staatsmänner, u.a. Admiral Coligny, wurden rehabilitiert.
6. Religionskrieg (1576-1577)
Die Fronten verhärteten sich zunehmend und die radikalen Katholiken formierten sich 1576 in der sogenannten Heiligen Liga, die die Vernichtung der Protestanten zum Ziel hatte. Sie riefen die Generalstände in Blois ein, die die Annullierung des Friedens von Beau-lieu-lès-Loches forderten. Kriegerische Auseinandersetzungen überzogen das Land. Die Armee des Herzogs von Anjou nahm wichtige protestantische Hochburgen ein (Montpellier, La Charité-sur-Loire, Issoire…). 1577 wurde ein weiterer Friedensvertrag in Bergerac unterzeichnet, der einerseits die religiösen Praktiken der Protestanten stark einschränkte und andererseits die Heilige Liga auflöste.
7. Religionskrieg (1579-1580)
Katharina von Medici versuchte weiterhin zwischen den Fronten zu vermitteln, jedoch weder Protestanten noch Katholiken gingen auf die Verhandlungen ein. Der Krieg spielte sich im Kampf um die protestantischen Hochburgen ab und fand 1780 seinen Abschluss im Vertrag von Fleix, der die protestantischen Städte für die nächsten sechs Jahre sicherte.
8. Religionskrieg (1585-1598)
Heinrich von Guise gewinnt immer mehr Einfluss auf Heinrich III. Unter seinem Druck stellt der König den Protestanten ein Ultimatum. Sie sollten entweder konvertieren oder das Land verlassen. Erneut entfachten blutige Kämpfe. Der Krieg verlief mit wechselnden Erfolgen und keine der Parteien konnte einen Sieg erlangen. Heinrich von Guise versuchte inzwischen, den König zu schwächen und übernahm die Regierungsmacht im Land. Am 23. Dezember 1588 ließ Heinrich III. seinen Widersacher Heinrich von Guise ermorden und verbündete sich mit Heinrich von Navarra. Nach dem Tod des Königs erklärte sich Heinrich von Navarra, als nächster Verwandter, zum König unter dem Namen Heinrich IV. Er versuchte das Land zu vereinen und proklamierte den Katholizismus zur offiziellen Religion in Frankreich, jedoch mit Tolerierung des protestantischen Glaubens. Dieser Kompromiss wurde im Edikt von Nantes festgehalten und beendete somit die Religionskriege in Frankreich. (siehe auch das Kapitel zur Innenpolitk).
Angriff auf Amsterdam
Ehre bedeutet für Ludwig vor allem Schlachtenruhm. 33 seiner 54 Herrschaftsjahre führte er Krieg. Die französische Armee ist die größte Europas, und der Sonnenkönig liebt seine Rolle als oberster Befehlshaber. Im April1672 greift er die Niederlande an, eine Kaufmannsrepublik mit nur schwachen Landstreitkräften. Schnell erobern die Franzosen den größten Teil des Territoriums. Doch dann durchsticht der Gegner die eigenen Deiche.
Den Haag, 20. August 1672, später Nachmittag. Vor dem Staatsgefängnis stoßen Bewaffnete Johan de Witt, den kürzlich zurückgetretenen Regierungschef der Niederlande, und seinen Bruder Cornelis zu Boden. Sie dreschen mit Degen auf Cornelis ein. Schießen Johan in den Kopf. Feuern vor Hunderten von Schaulustigen immer wieder auf Johan und dessen Bruder. Die Niederländer können sich die ersten militärischen Erfolge der Franzosen nur durch Verrat erklären. Im Verdacht: der Regierungschef de Witt. Am 20. August 1672 überfällt eine wütende Menge Johan de Witt und dessen Bruder Cornelius; sie ermordet die beiden und schändet ihre Leichen.
Dann überlassen sie die Toten der Menge; einige reißen ihnen die Kleider vom Leib und knüpfen sie mit dem Kopf nach unten an einem Galgen auf, um ihre Leichen auszuweiden. Augen, Ohren, Nasen, Finger, Geschlechtsteile werden an die Schaulustigen verteilt. Manche stopfen sich Fleischbrocken in den Mund und schlin-gen sie hinunter.
Die Brüder de Witt sind in Den Haag verhasst, weil sie als Verräter gelten, als heimliche Verbündete Ludwigs XIV.
Seit Wochen bereits ist das Volk in der Niederländischen Republik in Aufruhr. „Nieder mit de Witt!“, skandieren die Menschen in den Straßen. Johan de Witt, der Chef der Regierung, habe die Heimat an die Franzosen verschachert. „War' er nur tot, hätt's Land keine Not!“, steht auf Flugblättern.
Cornelis, der Bürgermeister von Dordrecht, saß im Gefängnis, weil er zum Mord an Wilhelm III. von Oranien, dem politischen Konkurrenten seines jüngeren Bruders Johan, aufgehetzt haben soll. Der 21-jährige Wilhelm III. ist Urenkel des bedeutendsten Heerführers der Republik und seit Anfang des Jahres Oberbefehlshaber der niederländischen Streitkräfte.
Die Angst vor Verschwörungen hält die Menschen in Atem. Denn Truppen Ludwigs XIV. haben in den vergangenen Wochen große Teile der Republik besetzt. Die französischen Soldaten plündern; sie morden, vergewaltigen und zerstören. Viele Niederländer können sich ihren Vormarsch nur mit einem Wort erklären: Verrat.
Fast ohne Gegenwehr hat die gewaltige Armee des Sonnenkönigs Festung um Festung gestürmt. Das schlecht ausgerüstete niederländische Heer ist überfordert. Wie nur können die Franzosen wieder zurückgedrängt werden? Die stärkste Nation auf dem Kontinent. Geführt von einem Herrscher, der Frankreich aushungert, um seine Kriegslust zu befriedigen; der Bündnispartner täuscht und aus Eitelkeit und Geltungssucht zu jedem Verbrechen bereit scheint. Dessen Soldaten Zivilisten morden.
***
LUDWIG XIV. LIEBT das Kriegswesen. Aufgewachsen während des Dreißigjährigen Krieges, hat er schon als Knabe seine Spielkameraden durch den Schlosspark kommandiert, sich im Kampf mit Pike und Muskete geübt und vor den Mauern einer Miniaturfestung „Belagerungen“ geleitet.
„Du hast es in der Hand, der ruhmreichste König aller Zeiten zu werden“, gibt ihm sein Mentor Mazarin mit auf den Weg. Schlachtfelder sieht der König als Arenen, um Ruhm zu erlangen.
Und Ludwig verachtet die Niederländische Republik. „Eine Grundsuppe aller Sekten und Ketzereien“ nennt er das protestantische Land, aus der „täglich Missgeburten mit wunderseltsamen Meinungen hervorgehen“. Gut möglich, dass der Sonnenkönig auch neidisch auf den kleinen Staat blickt, weil der in den vergangenen Jahr-zehnten zur führenden Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist - obwohl in Den Haag kein Monarch regiert, wie es doch die göttliche Ordnung vorschreibt, sondern ein Gremium vor allem aus wohlhabenden Bürgern.
Die Republik der Vereinigten Niederlande steht für die geistige, religiöse und politische Freiheit ihrer Bürger.
In einem 80 Jahre lang andauernden Unabhängigkeitskrieg haben sich die sieben nördlichen Provinzen - Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Overijssel, Friesland und Groningen - ihre Autonomie von der spanischen Krone erkämpft (die überwiegend katholischen Provinzen im Süden bleiben als spanische Besitzung bei Madrid).
Und dank ihres lukrativen Überseehandels, etwa mit Seide, Pfeffer, Muskat, haben Kaufleute den Wohlstand der jungen Republik auch während des Freiheitskrieges gemehrt.
Die calvinistischen Niederländer sehen ökonomischen Erfolg als Zeichen göttlicher Erwähltheit an. Ihre Weiden und Felder sind so fruchtbar, dass Bauern und Gutsherren Teile der Ernte ins Ausland verkaufen. In den Städten produzieren Arbeiter in großen Manufakturen Textilien für den Export, unterhalten Kaufleute profitable Handelskontore. Und Handwerker bauen schnellere Schiffe als die Konkurrenz.
Auch das macht die Republik erfolgreicher als die Großmächte England und Frankreich.
Dem Monarchen in Paris zollen die Bürger der Vereinigten Niederlande entsprechend wenig Respekt. So verspotten satirische Zeitschriften (die kein Zensor überwacht) immer wieder dessen Mätressenwirtschaft.
Ein gefährliches Spiel. Denn auf jeden der knapp zwei Millionen Niederländer kommen fast zehn Franzosen. Paris verfügt über Europas stärkste Armee, und die Kanonen tragen die lateinische In-schrift „Ultima Ratio Regis“ - „Äußerstes Mittel des Königs“.
Für Ludwig ist militärische Gewalt jedoch nicht die letzte, sondern die liebste Option. „Er zeigt größte Leidenschaft für den Krieg“, notiert einer seiner Höflinge, „und er ist verzweifelt, wenn er nicht an die Front kann.“
DER MATHEMATIKER Johan de Witt aus Dordrecht in Südholland ist ein völlig anderer Mensch. Seit 1653 leitet der überzeugte Republikaner, ein bedächtiger Finanz- und Außenpolitiker, die niederländischen Staatsgeschäfte.
Im Gegensatz zum zentralistischen, monarchisch regierten Frankreich sind die Vereinigten Niederlande eine föderalistische Republik. Deren Provinzen entsenden Vertreter in die Ständeversammlung (die „Generalstaaten“) in Den Haag, die die Staatsgeschäfte führt. De jure ist Johan de Witt nur Leiter der Delegation der reichen Provinz Holland - da die jedoch mehr als die Hälfte des Staats-haushalts bestreitet, ist er de facto der führende Politiker der Republik.
Und in dieser Funktion pflegt er lange Zeit gute Beziehungen zu Frankreich. Doch dann beginnt Ludwig XIV. 1666 einen Wirtschaftskrieg gegen die „Käsehändler“ - Paris will auch zur ökonomischen Vormacht aufsteigen.
Um den Nachbarn zu schwächen, verhängt der Sonnenkönig horrende Einfuhrzölle auf Delfter Porzellan, Leidener Tuch, Walöl, Tabak und andere niederländische Handelsprodukte. Ein harter Schlag für die Republik, denn Frankreich ist ihr wichtigster Absatzmarkt.
Im Frühling 1667 eröffnet Ludwig eine weitere Front: Anderthalb Jahre nach dem Tod des spanischen Königs Philipp IV. versucht er, die Spanischen Niederlande zu annektieren - jenes Gebiet südlich der Niederländischen Republik, das nach wie vor von Madrid verwaltet wird (entspricht dem heutigen Belgien und Teilen Luxemburgs).
Seine Gattin Maria Theresia ist die Tochter des verstorbenen Monarchen. Nun sei sie in einigen Provinzen der Spanischen Niederlande Territorialherrin - das jedenfalls behauptet ihr Gemahl.
Ein konstruierter Kriegsgrund. Denn die Gesetze, auf die sich Ludwig beruft, regeln den Nachlass von Bauern und Handwerkern, nicht aber die herrschaftliche Erbfolge.
Das Risiko erscheint ihm gering: Von Spanien, in Kämpfe mit Portugal verstrickt, erwartet er kaum Widerstand. Und die Niederländische Republik wird neutral bleiben, glaubt er, weil sie gerade im Seekrieg mit England liegt.
***
Am 24. Mai 1667 fallen französische Truppen in den Spanischen Niederlanden ein. 50 000 Mann erobern rasch zahlreiche Bastionen, schließlich auch die wichtige Festungsstadt Lille.
Die Abgeordneten der Niederländischen Republik sind beunruhigt. Wenn Ludwig in den eroberten Gebieten die Zölle für ihre Waren ebenso drastisch erhöht wie zuvor in Frankreich, ist ihr Wohlstand in Gefahr. Zudem sahen sie in den Spanischen Niederlanden einen Sicherheitspuffer gegen Paris.
Eilig legt Johann de Witt den Streit mit England bei und schmiedet Ende Januar 1668 mit dem ehemaligen Gegner sowie Schweden sogar eine Allianz gegen Frankreich, dessen militärische Erfolge ganz Europa beunruhigen.
Ob den Sonnenkönig die plötzliche Übermacht einschüchtert?
Noch ehe sich Ludwigs Diplomaten eindeutig äußern, feiern die Niederländer ihr schlagkräftiges Militärbündnis. Auf einem Gala-Abend in Den Haag geben sich Bürger, Adelige und europäische Gesandte die Ehre. Nach einem Diner eröffnet Wilhelm III. mit einer jungen Dame den Tanzreigen. Dann führt Johan de Witt - da noch der politische Mentor des jungen Adeligen - seine Gattin aufs Parkett, gefolgt von Dutzenden Paaren. Ein prunkvoller, ausgelassener Abend.
Doch bald trifft eine Botschaft aus Paris ein: Ludwig XIV. sinne auf Rache, warnen Diplomaten; der Republik drohe „ein schrecklicher Krieg“. De Witt lässt sich aber offenbar nicht beunruhigen.
Er sieht keinen Anlass zur Sorge. Denn kurz darauf unterzeichnet Ludwig einen Friedensvertrag mit dem spanischen Königshaus und gibt einige eroberte Gebiete zurück.
Tatsächlich aber wartet er nur den richtigen Moment ab, um sich an der Republik zu rächen, deren Bündnis mit England und Schweden ihn um einen großen Teil seiner Beute gebracht hat.
Schon bald beginnt er mit den Vorbereitungen für den nächsten Feldzug. So zahlt er England drei Millionen Livres jährlich (den Gegenwert von etwa 25 Tonnen Silber) dafür, dass es ihn gegen die Republik unterstützt. Auch den schwedischen König bewegt Ludwig durch Geld zur Aufgabe des Bündnisses mit Den Haag. Zudem gewinnt er die Fürstbischöfe von Münster und Köln als Alliierte.
Gleichzeitig rüstet der französische Kriegsminister die Armee auf: rekrutiert Zehntausende neue Soldaten und errichtet im Aufmarschgebiet seiner Truppen Magazine, vollgefüllt mit Geschützen, Kanonenkugeln, Handgranaten, Schießpulver und Verpflegung.
Bald steht die Niederländische Republik allein da. Doch Johan de Witt ahnt nichts von alldem.
AM 6. APRIL 1672 erklärt Ludwig der Republik den Krieg. Das gewaltigste Heer seit der Römerzeit marschiert auf die Vereinigten Niederlande zu. Mehr als 120 000 französische Soldaten. Ausgerüstet mit dem Bajonett, einer neuen Waffe für den Nahkampf. Unterstützt von Truppen aus Köln und Münster.
Viele Festungen der Republik sind halb verfallen, auf Stadtwällen weiden Schafe. Das Schießpulver ist alt, die niederländische Armee, nur 40 000 Mann, in desolatem Zustand: Um Verteidigungsanlagen und die Ausrüstung der Landstreitkräfte kümmert sich die Seefahrernation nur wenig. Lange schon hat kein fremdes Heer die Grenzen der Republik überschritten.
Anfang Juni erstürmen Ludwigs Truppen von deutschem Gebiet aus binnen weniger Tage mehrere niederländische Grenzfestungen, die den Spaniern zuvor jahrzehntelang standgehalten hatten. Am 12. Juni überqueren die Franzosen bei Nimwegen den Rhein und nähern sich dem geographischen Zentrum der Republik.
Die Pariser „Gazette“ widmet dieser „glorreichen Tat“ des „wunderbaren Monarchen“ eine Sonderausgabe. Der Flussgott sei vor Ludwig XIV. „erzittert“, schreibt ein Poet, der dabei war.
An der Porte Saint-Denis in Paris lässt Ludwig einen Triumphbogen errichten. Und in Versailles wird der Hofmaler Charles Le Brun in einem Deckengemälde verewigen, wie der Sonnenkönig den Rhein in einem römischen Streitwagen gleichsam im Flug überquert.
In Wirklichkeit verläuft die Aktion wenig heroisch: Einige Soldaten schwimmen an einer Stelle, die gerade einmal 150 Meter breit ist, über den Fluss. Der Monarch selbst bleibt am rechten Rheinufer zurück, bis seine Truppen eine Pontonbrücke errichtet haben. Napoleon wird später von einer „militärischen Operation vierten Grades“ sprechen.
Ludwig XIV. ist in Begleitung von Hofmalern und Dichtern. Und während der König für seine Höflinge in Gefechtspausen literarische Lesungen veranstaltet, gehen seine Soldaten mit größter Brutalität vor. Sie sperren Bauern in ihre Hütten und verbrennen sie bei lebendigem Leibe, zwingen Familienväter, bei der Vergewaltigung ihrer Töchter zuzusehen.
In rascher Folge besetzen die Franzosen Stadt auf Stadt - oft kampflos. Die Truppen des Generalkapitäns Wilhelm von Oranien können den übermächtigen Feind nicht aufhalten. Viele Bürger flüchten vor der herannahenden Armee.
Tag für Tag wächst der Zorn der Niederländer. Auf Ludwig und dessen Soldateska - und auf Johan de Witt, dem viele die Verantwortung für die militärische Katastrophe zuschreiben. Oberbefehlshaber Wilhelm von Oranien (der trotz aller Niederlagen vom Volk umjubelt wird) verweigert de Witt jede politische Unterstützung: Er strebt, ermutigt von Verwandten und Beratern, wohl längst selbst die Macht im Staat an.
Vor allem Krämer, Dienstboten und Manufakturarbeiter protestieren gegen die neuen Sondersteuern zur Aufrüstung der Armee. Junge Männer, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollen, wei-gern sich; reiche Kaufleute geben dem Staat keine Kredite mehr. Das Land ist gelähmt, Johan de Witt politisch nahezu isoliert. Die Republik scheint vor dem Untergang zu stehen.
Bald stoßen französische Truppen im Norden Richtung Amsterdam vor. Wenn die mit 200 000 Einwohnern größte Stadt fällt - das wirtschaftliche Zentrum der Republik -, fällt der ganze Staat. Als die Invasoren Landsitze reicher Kaufleute wenige Kilometer außerhalb der Metropole anzünden, bricht in Amsterdam Panik aus. Patrizier vergraben Geld und Schmuck im Garten, Geschäfte und Schulen bleiben geschlossen. Tausende fliehen Richtung Westen.
Doch noch gibt Wilhelm III. nicht auf - und wendet ein letztes, verzweifeltes Mittel zur Verteidigung an.
AM 22. JUNI REISSEN seine Soldaten nahe Amsterdam die Schleusentore der Zuidersee auf und durchstechen Deiche. Sie fluten ihr eigenes Land.
Etwa ein Viertel des niederländischen Territoriums liegt unter dem Meeresspiegel und wird von mehreren Tausend Deichen und Stauwehren geschützt, so die Polderlandschaft rund um Amsterdam und das Tiefland zwischen Rhein- und Maasmündung. Setzen die Niederländer diese Gebiete unter Wasser, können Angreifer nicht mehr zu den (über dem Meeresspiegel liegenden) Handelshochbur-gen Amsterdam, Den Haag und Rotterdam vordringen.
Bereits im Befreiungskrieg gegen Spanien haben die Niederländer durch gezielte Zerstörung von Deichen die feindlichen Truppen aufgehalten. Und 1629 hat ihr damaliger Oberbefehlshaber Schleusen in die Wälle einbauen lassen, um sie leichter öffnen zu können.
Doch nun versuchen bewaffnete Bauern, die Flutung zu stoppen - aus Angst um ihre Felder. Beim Städtchen Abcoude etwa, zehn Kilometer südöstlich von Amsterdam, erhalten die Soldaten von den Landleuten Brot, Butter, Käse und Starkbier, damit die Schleusentore geschlossen bleiben. Vergebens. Gnadenlos lässt Wilhelm von Oranien das Land unter Wasser setzen, droht, jeden Saboteur zu exekutieren.
Vom Wasser aufgehalten, lassen Ludwigs Soldaten ihrem Hass auf den Gegner freien Lauf: Sie brennen Häuser mitsamt ihren Bewohnern nieder, töten Kinder, vergewaltigen Mädchen vor den Augen ihrer Väter.
Hinter der scheinbar blinden Wut der französischen Soldaten steckt kühle Strategie. Ludwig lässt sie die Zivilisten bewusst quälen: Er will die Niederländer derart in Schrecken versetzen, dass sie sich kampflos ergeben. Mit Erfolg: Die Festung Arnheim zum Beispiel fällt ohne Widerstand.
Während das Wasser steigt, schickt die Regierung der bedrängten Provinz Holland Unterhändler in Ludwigs Lager. Ratspensionär Johan de Witt ist dagegen, aber sein Wort hat nur noch wenig Gewicht. Die Delegation bietet Ludwig für den Frieden mehrere Städte im Süden der Vereinigten Niederlande an, dazu zehn Millionen Gulden.
Doch der Franzose ist wie berauscht von seinen schnellen Siegen. Er verlangt zusätzliche Millionen sowie die Oberhoheit über alle Straßen und Kanäle der Vereinigten Niederlande, über das gesamte Territorium südlich des Rheins sowie alle Festungen der Republik.
Würde die Republik auf diese Forderungen eingehen, wären die Niederlande nur noch ein Vasallenstaat Frankreichs. Zudem - der Gipfel der Demütigungen - sollen die Besiegten Ludwig jedes Jahr eine Ehrenmedaille aus Gold als Geschenk darbringen: als Zeichen ihrer Beschämung, dass sie es gewagt haben, ihm in den Weg zu treten.
Diese Forderung ist Ludwigs erster großer Fehler in diesem Krieg. Ein Fehler, der ihn den sicheren Sieg kostet.
Denn nun antworten ihm die Vertreter der Provinz Holland entschlossen: „Lieber mit dem Degen in der Hand sterben!“ Auch die ebenfalls noch nicht besetzten Provinzen Seeland, Friesland und Groningen entscheiden sich für den Kampf.
Doch selbst in dieser Situation äußerster Bedrohung gelingt es der Führung um Johan de Witt nicht, die Bevölkerung hinter sich zu vereinen. Er tritt am 4. August zurück.
Nun ist der blutjunge Wilhelm III. sowohl militärischer als auch politischer Anführer der Republik - denn im Monat zuvor haben ihn die noch unbesetzten Provinzen zum „Statthalter“ ernannt. Dieses Amt (ein Relikt aus der spanischen Besatzungszeit, das zuletzt Wilhelms 1650 verstorbener Vater innehatte) ist zwar nicht mit großer Machtfülle versehen. Doch das Volk steht hinter Wilhelm, dem Urenkel jenes Mannes, der die Niederländer einst in den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien geführt hat und der seither als „Vater des Vaterlands“ gilt.
Nur ein Oranier, so scheint es vielen, kann jetzt noch zum Retter der Republik werden. Zudem gelingt es dem jungen Feldherrn rasch, Vertraute in wichtige Staatsämter zu bringen.
Am 20. August 1672 eskaliert in Den Haag die Gewalt. Zwar hat Cornelis de Witt im Staatsgefängnis selbst unter der Folter keine Mordpläne gegen Wilhelm gestanden (die er auch gar nicht hegte). Beweise gibt es ohnehin nicht. Dennoch schickt ihn das Gericht in die Verbannung. Den aufgebrachten Anhängern des Oraniers aber reicht diese Strafe nicht aus. Sie fordern seinen Tod. Die Verschwörer schicken eine Nachricht an Johan de Witt: Sein Bruder wünsche, ihn zu sehen. Kurz darauf fährt Johan in einer Kutsche vor, um Cornelis im Kerker zu besuchen. Doch kaum hat er das Gefängnis betreten, versammelt sich eine Volksmenge, bewaffnet mit Helle-barden, Degen und Musketen. Männer brechen das Tor auf, stürmen das Gebäude und treiben die beiden Politiker auf die Straße hinaus.