Kitabı oku: «Quentin Durward», sayfa 4
Erstes Kapitel.
Der Contrast.
Auf dies Gemälde schau hier, und auf dies,
Das nachgeahmte Bildniß zweier Brüder.
Hamlet.
Die letzte Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts bereitete eine Folge künftiger Ereignisse vor, die damit endete, daß sich Frankreich auf den Standpunkt jener furchtbaren Macht erhob, welche seitdem immer, von Zeit zu Zeit, der Hauptgegenstand der Eifersucht der übrigen europäischen Nationen war. Vor dieser Periode mußte es selbst um sein Bestehen mit den Engländern kämpfen, die sich bereits in Besitz seiner schönsten Provinzen gesetzt hatten, während die äußersten Anstrengungen seines Königs und die Tapferkeit seiner Bevölkerung kaum den Ueberrest vor dem fremden Joche beschützen konnten. Auch war dies nicht seine einzige Gefahr. Die Fürsten, welche die großen Lehen der Krone besaßen, hauptsächlich die Herzöge von Burgund und Bretagne, hatten sich ihre Lehensbande so leicht gemacht, daß sie kein Bedenken trugen, die Kriegsfahne gegen ihren Lehensherrn und Souverain, den König von Frankreich, unter dem unbedeutendsten Vorwand zu erheben. Zur Zeit des Friedens herrschten sie als freie Fürsten in ihren eigenen Ländern, und das Haus Burgund, im Besitz des nach ihm benannten Distriktes, sowie des schönsten und reichsten Theils von Flandern, war selbst so reich und mächtig, daß es an Glanz und an Macht der Krone nicht im Geringsten nachgab.
Auch die niedern Kronvasallen maßten sich, indem sie die großen Lehensbesitzer nachahmten, so viel Unabhängigkeit an, als die Entfernung von der Macht des Herrschers, die Größe ihrer Lehngebiete oder die Stärke ihrer Hofburgen ihnen zu behaupten gestatteten; und diese kleinen Tyrannen, die der Arm des Gesetzes nicht mehr erreichen konnte, begingen die größten Excesse der Unterdrückung und Grausamkeit ungestraft. In der Grafschaft Auvergne allein befanden sich mehr als dreihundert solcher unabhängiger Edelleute, denen Blutschande, Mord, Raub ganz gewöhnliche Handlungen waren.
Neben diesen Uebeln vergrößerten noch andere, die aus den langwierigen Kriegen zwischen Frankreich und England entsprangen, bedeutend das Unglück des zerspaltenen Reichs. Zahlreiche Söldnerschaaren, in Banden gesammelt, unter Officieren, die sie sich selbst aus den tapfersten und glücklichsten Abenteurern erwählt hatten, bildeten sich in verschiedenen Theilen Frankreichs aus der Hefe aller übrigen Länder. Diese Miethsoldaten verkauften von Zeit zu Zeit ihre Schwerter an den Meistbietenden, und wenn hierzu die Gelegenheit mangelte, so führten sie den Krieg auf eigene Hand, nahmen Schlösser und Städte ein, die sie als Zufluchtstätten für sich selbst benutzten, machten Gefangene und ließen sich Lösegeld dafür zahlen, forderten von den offenen Ortschaften und dem umliegenden Lande Tribut, und erlangten, durch jede Art von Räuberei, die passenden Beinamen von Tondeurs und Ecorcheurs, d. h. von Scherern und Schindern.
Mitten unter diesem Schrecken und Elend, deren Ursprung der zerrüttete Zustand der öffentlichen Angelegenheiten war, zeichnete eine maßlose Verschwendung die Hofhaltung des niedern Adels nicht weniger aus, als die der Fürsten; und ihre Untergebenen vergeudeten gleicherweise durch rohe, aber reiche Pracht die Schätze, die sie von dem Volke erpreßt hatten. Ein Ton ritterlicher und romantischer Galanterie (die freilich oft wüste Ausschweifungen entehrten) charakterisirte den Verkehr zwischen den Geschlechtern, und noch immer wandte man die Sprache der sogenannten irrenden Ritter an, beobachtete noch immer die Sitten und Gebräuche derselben, obwohl der reine Geist ehrenhafter Liebe und wohlthätiger Unternehmungen, wozu jene begeisterten, längst verschwunden war und nicht mehr für die Ausschweifungen Entschädigung gewährte. Die Spiele und Turniere, die Ergötzlichkeiten und Gelage, welche auch an dem kleinsten Hofe stattfanden, luden jeden wandernden Abenteurer nach Frankreich, und dort angelangt, fehlte es ihm selten an Gelegenheit, seinen kühnen, feurigen Unternehmungsgeist durch Thaten zu bekunden, wofür ihm sein glücklicheres Vaterland nicht freien Spielraum ließ.
In diesem Zeitraum, gleich als hätte die Vorsehung dies schöne Reich von dem manchfachen Elend, womit es bedroht war, erretten wollen, bestieg den wankenden Thron Ludwig XI., dessen Charakter, wie schlecht er auch an sich war, doch die Unfälle der Zeit bekämpfte und zum Theil unschädlich machte, – so wie Gifte von entgegengesetzter Eigenschaft, wie alle medicinische Bücher sagen, die Macht haben sollen, einander wechselseitig entgegenzuwirken.
Tapfer genug für jeden nützlichen und politischen Zweck, hatte Ludwig gleichwohl keinen Funken jenes romantischen Heldenmuths oder des damit gewöhnlich verbundenen und dadurch bedingten Stolzes, der auch um die Ehre noch kämpft, wenn der Nutzen bereits gewonnen ist. Ruhig, verschlagen und äußerst aufmerksam auf den eigenen Vortheil, brachte er jedes Opfer, der Leidenschaft wie des Stolzes, welches dabei von Nutzen sein konnte. Sorgfältig verhüllte er seine eigentlichen Gesinnungen und Absichten vor Allen, die in seine Nähe kamen, und oft bediente er sich des Ausdrucks: ein König, der sich nicht zu verstellen wisse, wisse auch nicht zu regieren, und was ihn selber betreffe, so wolle er seine Mütze in's Feuer werfen, wenn sie um seine Geheimnisse wüßte. – Kein Mensch, sowohl seiner als jeder andern Zeit, verstand so gut wie er die Schwachheiten Anderer zu benutzen, und wann es zu vermeiden sei, diesen einen Vortheil durch unzeitige Nachsicht mit seinen eigenen zu geben.
Er war von Natur rachsüchtig und grausam, und zwar in dem Grade, daß er sogar Vergnügen an den häufigen Hinrichtungen fand, die er anordnete. Doch, so wie ihn kein Gefühl des Mitleids je zur Schonung vermochte, wo er mit Sicherheit verurtheilen konnte, eben so reizte ihn auch nie das Gefühl der Rache zu übereilter Grausamkeit. Selten stürzte er auf seine Beute, als bis er sie sicher erfassen konnte, und bis alle Hoffnung des Entkommens vergebens war; und seine Bewegungen waren so sorgfältig verhüllt, daß die Welt erst erfuhr, was sein Zweck gewesen, wenn er diesen bereits erreicht hatte.
Auf gleiche Weise ließ Ludwig seinen Geiz einer anscheinenden Verschwendung weichen, sobald es nöthig war, den Minister oder Günstling eines eifersüchtigen Fürsten zu bestechen, um einen drohenden Angriff abzuwenden, oder ein gegen ihn geschlossenes Bündniß zu brechen. Er liebte Ausschweifung und Vergnügen; aber weder Liebe zu den Schönen noch Jagd, wiewohl beides seine herrschenden Leidenschaften waren, vermochten je, ihn der gehörigen Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten des Reiches zu entfremden. Seine Menschenkenntniß war tief, und er hatte sie in den Privatgängen des Lebens gesucht, in die er sich oft persönlich mischte; und obwohl von Natur stolz und hochmüthig, trug er doch kein Bedenken, mit einer Nichtachtung der willkürlichen Unterschiede in der Gesellschaft, was damals für etwas ungeheuer Unnatürliches galt, Leute aus dem niedrigsten Stande zu den wichtigsten Aemtern zu erheben, und er wußte seine Wahl so gut zu treffen, daß er sich selten in ihren Eigenschaften getäuscht sah.
Dennoch fanden sich Widersprüche im Charakter dieses verschlagenen und geschickten Fürsten; denn die menschliche Natur bleibt sich selten ganz gleich. Obwohl er selbst der falscheste und unwahrste Mensch war, so erwuchsen doch die größten Irrthümer seines Lebens aus zu raschem Vertrauen auf die Ehre und Redlichkeit Andrer. Wenn diese Irrthümer stattfanden, scheinen sie aus einem überfeinerten System der Politik entstanden zu sein, welches Ludwig verleitete, den Schein des vollkommensten Zutrauens gegen diejenigen anzunehmen, die er zu überlisten im Sinne hatte. Denn im Allgemeinen war sein Benehmen so eifersüchtig und mißtrauisch, als das irgend eines Tyrannen, der je lebte.
Zwei andere Punkte sind gleichfalls noch zu berücksichtigen, um die Zeichnung dieses furchtbaren Charakters vollständig zu machen, der unter den rohen ritterlichen Fürsten dieses Zeitraums sich zu dem Range eines Aufsehers wilder Thiere zu erheben wußte, welcher durch höhere Weisheit und List, durch Austheilung von Futter und durch Zucht mittelst der Schläge, es endlich dahin bringt, über Diejenigen zu herrschen, die, wären sie nicht seiner Kunst unterthan, ihn durch ihre Stärke längst in Stücke gerissen haben würden.
Die erste dieser Eigenheiten war Ludwigs außerordentlicher Aberglaube, eine Plage, womit der Himmel oft diejenigen züchtigt, welche nichts von den Geboten der Religion wissen wollen. Die Gewissensbisse, die aus seinen bösen Handlungen entsprangen, suchte Ludwig nie durch eine Verminderung seiner machiavellistischen Kunstgriffe zu sühnen, sondern bemühte sich vergebens, jenes marternde Gefühl durch Beobachtung abergläubischer Gebräuche, strenger Bußübung und reicher Geschenke an die Geistlichen zu versöhnen. Die zweite Eigenheit, die seltsamer Weise mit der ersten oft vereinigt ist, war eine Neigung zu niedern Vergnügungen und düsterer Ausschweifung. Zwar der weiseste, oder doch der verschlagenste Fürst seiner Zeit, gefiel ihm doch das gemeine Leben, und er, der selbst ein witziger Mann war, fand seine Lust an den Späßen und Einfällen der geselligen Unterhaltung in größerem Maße, als man nach andern Seiten seines Charakters hätte erwarten sollen. Er mischte sich in die komischen Abenteuer gemeiner Intrigue mit einer Freiheit, die übel zu der gewöhnlichen und streng bewahrten Eifersucht seines Charakters stand; und er fand so viel Behagen an dieser Art niedriger Galanterie, daß er eine Sammlung seiner heitern und ausschweifenden Anekdoten veranstalten ließ, welche allen Büchersammlern wohl bekannt ist, in deren Augen (denn das Werk ist gar nicht geeignet für jeden Andern) die ächte Ausgabe einen hohen Werth hat Diese Editio princeps, die, wenn gut gehalten, von Kennern sehr gesucht ist, führt den Titel: Les cent Nouvelles, contenant Cent Histoires Nouveaux, qui sont moult plaisans à raconter en toutes bonnes compagnies par manière de joyeuxeté. Paris, Antoine Vérard. Sans date d'année d'impression; in folio-gotique..
Mittelst des mächtigen und klugen, wiewohl sehr unliebenswürdigen Charakters dieses Fürsten gefiel es dem Himmel, der durch Sturm ebenso gut als durch sanften Regen herrlich waltet, dem großen französischen Volke die Wohlthat einer bürgerlichen Regierung wiederzugeben, welche es zur Zeit seiner Thronbesteigung fast ganz verloren hatte.
Bevor er die Krone erlangte, hatte Ludwig mehr Beweise seiner Fehler, als seiner Talente gegeben. Seine erste Gemahlin, Margarete von Schottland, war »durch verleumderische Zungen getödtet worden« am Hofe ihres Gemahls, wo wohl Niemand gewagt haben würde, ein Wort gegen diese liebenswürdige und gekränkte Prinzessin zu äußern, ohne von Ludwig dazu ermuntert worden zu sein. Er war auch ein rebellischer und undankbarer Sohn gewesen, der einmal conspirirt hatte, um sich der Person des Vaters zu bemächtigen, und ein anderes Mal hatte er offenen Krieg gegen denselben begonnen. Für sein erstes Vergehen war er nach seiner Apanage, der Dauphinée, verbannt worden, wo er sehr umsichtig regierte; für das zweite war er förmlich des Landes verwiesen worden, und sah sich so gezwungen, die Gnade, ja fast die Mildthätigkeit des Herzogs von Burgund und seines Sohnes in Anspruch zu nehmen, von denen er auch gastfreundlich aufgenommen wurde, was er später auf entgegengesetzte Weise vergalt, bis zum Tode seines Vaters im Jahr 1461.
Gleich im Anfang seiner Regierung wurde Ludwig beinahe durch eine Ligue überwältigt, die durch die großen Vasallen Frankreichs, mit dem Herzog von Burgund oder vielmehr seinem Sohne, dem Grafen von Charolais, an der Spitze, sich gegen ihn gebildet hatte. Sie versammelten ein mächtiges Heer, belagerten Paris, fochten eine Schlacht mit zweifelhaftem Erfolg unter den Mauern desselben, und brachten die französische Monarchie an den Rand des Verderbens. Bei dergleichen Gelegenheiten geschieht es häufig, daß der klügere Feldherr von Beiden die wirklichen Früchte, wenn auch nicht eben den Kriegsruhm des unentschiedenen Sieges erringt. Ludwig, der während der Schlacht von Montlhéry große persönliche Tapferkeit gezeigt hatte, wurde durch seine Klugheit in den Stand gesetzt, den zweifelhaften Erfolg so zu nützen, als ob der entscheidende Sieg auf seiner Seite gewesen wäre. Er fügte sich klüglich den Umständen, bis die Feinde ihr Bündniß aufgelöst hatten, und zeigte sich oft so geschickt, den Samen der Eifersucht unter diesen großen Mächten zu streuen, daß ihr Bündniß »für das gemeine Wohl,« wie sie es nannten, und welches im Grunde nur darauf ausging, Alles bis auf den äußern Schein der französischen Monarchie umzustürzen, sich auflöste und nie wieder auf so furchtbare Weise erneuerte. Seit dieser Zeit war Ludwig, da er sich nun von aller Gefahr von England aus durch die Bürgerkriege zwischen York und Lancaster befreit sah, mehrere Jahre hindurch, wie ein gefühlloser aber geschickter Arzt, beschäftigt, die Wunden des Staates zu heilen, oder vielmehr das Fortschreiten des tödtlichen Krebsschadens, wovon derselbe damals inficirt war, bald durch sanfte Mittel, bald durch Feuer und Schwert aufzuhalten. Die Räuberei der Freicompagnieen und die ungeahndeten Unterdrückungen von Seiten des Adels, suchte er zu mildern, da er sie nicht ganz hemmen konnte, und nach und nach gelang es ihm, mittelst unermüdeter Aufmerksamkeit sein eignes königliches Ansehen einigermaßen zu vermehren, oder doch die Gewalt derer zu schwächen, die jenem das Gleichgewicht gehalten hatten.
Stets war jedoch der König von Frankreich von Furcht und Gefahr umgeben. Die Theilnehmer des Bündnisses »für's gemeine Wohl« waren, wenn auch nicht vereinigt, doch noch vorhanden, und konnten sich, gleich einer zerstückten Schlange, wohl wieder vereinigen und gefährlich werden. Eine schlimmere Gefahr war indeß die anwachsende Macht des Herzogs von Burgund, dazumals eines der größten Fürsten Europa's, der durch die sehr unbedeutende Abhängigkeit seines Herzogthums von der Krone von Frankreich nur wenig im Range nachstand.
Karl, genannt der Kühne, oder besser der Verwegene, denn sein Muth gränzte an Tollkühnheit und Wahnsinn, trug damals die Herzogskrone von Burgund, und brannte vor Begierde, sie in eine unabhängige Königskrone zu verwandeln. Der Charakter dieses Herzogs war in jeder Hinsicht der genaue Gegensatz zu dem Ludwigs XI.
Der letztere war ruhig, besonnen und verschlagen, wagte nie ein verzweifeltes Unternehmen, und gab nie ein der Wahrscheinlichkeit nach erfolgreiches auf, wie entfernt auch die Aussicht auf Gelingen war. Des Herzogs Charakter war gänzlich verschieden. Er stürzte sich in die Gefahr, denn er liebte sie, und in Schwierigkeiten, weil er sie verachtete. So wie Ludwig nie seinen Vortheil seiner Leidenschaft aufopferte, so opferte im Gegentheil Karl nie seine Leidenschaft oder nur seine Laune einer andern Rücksicht auf. Trotz der nahen Verwandtschaft, die zwischen beiden statt fand, und trotz der Unterstützung, welche der Herzog und sein Vater dem König, während er als Dauphin in der Verbannung war, erzeigt hatten, so bestand zwischen ihnen doch gegenseitiger Haß und Verachtung. Der Herzog von Burgund verachtete die vorsichtige Politik des Königs und legte es seinem Mangel an Muthe bei, daß er durch Bündnisse, Bestechungen und andere indirekte Mittel die Vortheile zu erreichen bemüht war, die er selbst an jener Stelle mit bewaffneter Hand errungen haben würde; nicht nur wegen der Undankbarkeit, die er für frühere Wohlthaten erzeigt hatte, haßte er ihn, sondern auch persönlicher Beleidigungen und Beschuldigungen wegen, deren sich die Abgesandten Ludwigs gegen ihn erfrecht hatten, als sein Vater noch lebte, und dann vorzüglich auch wegen der Unterstützung, die er den unzufriedenen Bürgern von Gent, Lüttich und anderen großen Städten Flanderns heimlich angedeihen ließ. Diese unruhigen Städte, die eifersüchtig auf ihre Vorrechte und stolz auf ihren Reichthum waren, standen häufig in offenem Aufruhr gegen ihre Lehensherren, die Herzöge von Burgund, und fanden im Stillen dann immer Ermunterung am Hofe Ludwigs, der jede Gelegenheit ergriff, die Gährungen im Gebiete seines mächtig gewordenen Vasallen zu nähren.
Die Verachtung und der Haß des Herzogs wurden von Ludwig in gleicher Stärke erwiedert, obwohl er sich eines dichtern Schleiers bediente, um seine Gesinnungen zu verbergen. Es war unmöglich für einen Mann von seinem tiefen Scharfblick, die tolle Hartnäckigkeit nicht zu verachten, die nie ihre Absicht aufgibt, mag sich diese Beharrlichkeit auch noch so nachtheilig erweisen, und ebenso die übereilte Heftigkeit, die ihren Lauf beginnt, ohne einen Augenblick die Hindernisse zu erwägen, die vorhanden sein mögen. Doch der König haßte den Herzog noch mehr, als er ihn verachtete, und seine Verachtung und sein Haß waren um so tiefer, je mehr sie mit Furcht gemischt waren; denn er wußte, daß der Anlauf eines wilden Stiers, mit dem er den Herzog von Burgund gewöhnlich verglich, immer furchtbar bleibt, obwohl ihn das Thier mit geschlossenen Augen beginnt. Nicht blos der Reichthum der burgundischen Länder, die Disciplin der kriegerischen Einwohner und die große Masse ihrer Bevölkerung war es, die der König fürchtete, sondern schon die persönlichen Eigenschaften ihres Führers hatten Gefährliches genug. Der Geist der Tapferkeit, die er auf den Gipfel der Verwegenheit und darüber hinaus trieb, das Glänzende seines Hofstaates, seiner Person und seines Gefolges, in welchen allen er die erbliche Pracht des Hauses Burgund entfaltete, dieß zog in Karls des Kühnen Dienst alle feurigen Geister jener Zeit, deren Wesen mit dem seinigen übereinkam; und Ludwig sah sehr deutlich ein, was mit einer Schaar so entschlossener Abenteuerer unternommen und ausgerichtet werden konnte, die einem Führer von eben so unbeugsamer Natur, wie sie selbst, folgten.
Noch ein anderer Umstand war vorhanden, der die feindselige Gesinnung Ludwigs gegen seinen zu mächtig gewordenen Vasallen noch vermehrte. Er verdankte ihm Gefälligkeiten, die er nie zu erwidern Willens war, und befand sich daher häufig in der Nothwendigkeit, sich gegen ihn wohlwollend zu stellen und sogar die Ausbrüche groben Uebermuths, die die königliche Würde beleidigten, zu ertragen, ohne im Stande zu sein, ihn anders, denn als seinen »guten Vetter von Burgund« zu behandeln.
Es war um das Jahr 1468, als ihr Zwiespalt auf's Höchste gestiegen war, obwohl ein zweifelhafter und leerer Waffenstillstand, wie es oft geschieht, gerade zu der Zeit stattfand, wo die gegenwärtige Erzählung beginnt. Die Person, die hier zuerst den Schauplatz betritt, ist, wie man finden wird, von solchem Range und solcher Stellung, daß kaum nöthig schiene, eine Erläuterung des Charakters von der Abhandlung über die wechselseitige Stellung zweier großer Fürsten abzuleiten; aber die Leidenschaften der Großen, ihre Streitigkeiten und ihre Versöhnungen bestimmen das Schicksal von Allen, die sich ihnen nähern; und man wird beim Fortgange unserer Erzählung finden, daß dieß einleitende Kapitel nothwendig war, um die Geschichte der Person zu verstehen, deren Abenteuer wir jetzt berichten wollen.
Zweites Kapitel.
Der Wanderer.
Für mich ist denn die Welt die Auster
Die mit dem Schwert ich öffnen will.
Altes Lied.
Es war an einem köstlichen Sommermorgen, bevor die Sonne ihre versengende Kraft erhalten hatte, und während der Thau die Luft noch kühlte und durchduftete, als ein junger Mann, welcher nordostwärts herkam, sich der Furth eines kleinen Flusses oder vielmehr breiten Baches näherte, welcher ein Arm des Cher war, unweit des königlichen Schlosses Plessis-les-Tours, dessen düstre und manchfache Gebäude sich im Hintergrunde über die weitgedehnten Wälder erhoben, von denen sie umgeben waren. Diese Waldungen enthielten eine hohe Jagd oder königliches Gehege, von einer Einfriedigung geschützt, die im Latein des Mittelalters plexitium hieß, und wovon noch so viele Dörfer in Frankreich den Namen Plessis führen. Das Schloß und Dorf aber, von dem hier die Rede ist, hieß Plessis les Tours, um es von anderen ähnlichen Namens zu unterscheiden, und war ungefähr zwei Meilen südlich von der schönen Stadt dieses Namens erbaut, der Hauptstadt der alten Touraine, deren reiche Ebene der Garten Frankreichs genannt wurde.
An dem Ufer des erwähnten Baches, welches demjenigen, dem sich der Reisende näherte, gegenüber lag, schienen zwei Männer, die in tiefem Gespräche begriffen sein mochten, von Zeit zu Zeit seine Bewegungen zu beobachten, denn da ihr Standpunkt weit höher lag, konnten sie ihn schon in beträchtlicher Entfernung bemerken.
Das Alter des jungen Reisenden mochte etwa neunzehn Jahr oder zwischen neunzehn und zwanzig sein, und sein Aeußeres, wie seine Person, die beide sehr einnehmend waren, gehörten gleichwohl dem Lande nicht an, in welchem er sich jetzt befand. Sein kurzer grauer Rock und die gleichen Beinkleider waren eher von flämischem als französischem Schnitt, während die spitze blaue Mütze, mit einem Distelzweig und einer Adlerfeder, bereits die schottische Kopfzierde erkennen ließen. Seine Kleidung war sehr nett, und mit der Sorgfalt eines jungen Mannes geordnet, der es weiß, daß er hübsch ist. Auf dem Rücken trug er ein Ränzchen, welches einige nöthige Gegenstände zu enthalten schien, an der linken Hand einen Falkenhandschuh, obwohl er keinen Vogel mit sich führte, und in der rechten einen starken Jagdstock. Ueber seine linke Schulter hing eine gestickte Schärpe, woran sich eine Tasche von Scharlachsammt befand, wie es damals die vornehmen Falkenjäger trugen, um das Falkenfutter darin zu bewahren, und noch andere Gegenstände, die zu dieser dazumals gepriesenen Jagdlust gehörten. Darüber hing kreuzweis ein zweites Schulterband, woran ein Jagdmesser oder couteau de chasse hing. Statt der großen Stiefeln jener Zeit trug er Halbstiefeln von halbgarem Hirschleder.
Obwohl seine Gestalt ihre volle Kraft noch nicht ereicht hatte, war er doch groß und rüstig, und die Leichtigkeit des Schrittes, mit der er nahte, zeigte, daß ihm seine Fußwanderung mehr zum Vergnügen als zur Last gereichte. Seine Gesichtsfarbe war schön, trotzdem, daß sie im Allgemeinen einen dunkeln Anflug hatte, womit die fremde Sonne oder auch wohl der stete Aufenthalt in der freien Luft seiner Heimat, sie in gewissem Grade gebräunt hatte.
Seine Züge, wenn auch nicht ganz regelmäßig, waren frei, offen und gefällig. Ein halbes Lächeln, welches aus einem glücklichen Ueberfluß an Lebenskraft und Muth zu entspringen schien, zeigte dann und wann, daß seine Zähne wohlgeformt und rein wie Elfenbein waren, während sein klares blaues Auge, voll gleichmäßiger Heiterkeit, für jeden Gegenstand, auf den es fiel, einen ganz eigenen Ausdruck zeigte, in welchem sich gute Laune, Leichtigkeit des Herzens und Entschlossenheit kund thaten.
Er empfing und erwiederte den Gruß der wenigen Reisenden, die sich in jenen gefahrvollen Zeiten auf der Straße zeigten, mit der Bewegung, die für jeden paßte. Der umherstreifende Lanzknecht, halb Soldat halb Räuber, maß den Jüngling mit einem Blicke, als wolle er die Aussicht auf Beute gegen die Gefahr eines verzweifelten Widerstandes abwägen, und er las so viel Anzeichen des letztern mit dem furchtlosen Blicke des Reisenden, daß er seine böse Absicht mit einem sichern »Guten Morgen, Kamerad,« vertauschte, welches der junge Schotte in einem eben so kräftigen, wiewohl minder düstern Tone beantwortete. Der wandernde Pilger oder der bettelnde Mönch beantworteten seinen ehrerbietigen Gruß mit einem väterlichen Segensspruche, und die dunkeläugige Bauerdirne schaute ihm noch lange nach, nachdem sie aneinander vorübergegangen und sie ihm einen lachenden »guten Morgen« zugerufen hatte. Kurz, in seinem ganzen Wesen lag etwas Anziehendes, was nicht leicht der Aufmerksamkeit entging, und welches aus der Verbindung von furchtloser Offenheit und guter Laune mit einem leuchtenden Blick und schöner Gestalt entsprang. Es schien, als ob sein ganzes Wesen einen Menschen verkündete, der beim Eintritt in's Leben zwar die Uebel nicht fürchtet, die es begleiten, aber keine andern Mittel, um seine Mühseligkeiten zu bekämpfen, besitzt, als einen lebhaften Geist und ein so muthiges Herz; und mit solchen Gemüthern sympathisirt die Jugend schnell, und das Alter und die Erfahrung empfinden aufrichtige und herzliche Theilnahme für sie.
Der Jüngling, den wir schilderten, war von den beiden Personen längst gesehen worden, die auf der entgegengesetzten Seite des kleinen Flusses weilten, welcher ihn von dem Parke und dem Schlosse trennte; doch als er am felsigen Ufer zum Rande des Wassers, mit dem leichten Schritt eines Rehes, welches die Quelle besucht, herabstieg, sagte der Jüngere der beiden zu dem andern: »Es ist unser Mann! es ist der Böhme! versucht er's durch die Furth zu schreiten, so ist er ein verlorner Mann, denn das Wasser geht hoch und die Furth ist nicht zu passiren.«
»Laßt ihn das selber entdecken, Gevatter!« sagte der Aeltere; »es erspart vielleicht einen Strick und vernichtet ein Sprichwort.«
»Ich beurtheil' ihn nach seiner blauen Mütze,« sagte der Andere, »denn ich kann sein Gesicht nicht sehen. – Hört, Sir, er ruft, um zu erfahren, ob das Wasser tief ist.«
»Nichts geht über Erfahrung in der Welt,« antwortete der Andere, »laß ihn versuchen.«
Indessen ging der junge Mann, da er keinen Wink für's Gegentheil bekam, und das Stillschweigen derer, die er befragte, für eine Ermunterung vorwärts zu gehen aufnahm, in den Strom, ohne weitere Zögerung, als die das Ausziehen seiner Halbstiefeln erforderte. Die ältere Person rief ihm in diesem Augenblicke zu, vorsichtig zu sein, und fügte noch mit leiserem Tone zu ihrem Begleiter hinzu: » Mordieu – Gevatter – du hast dich schon wieder geirrt! das ist der böhmische Schwätzer nicht!«
Aber der Zuruf kam für den Jüngling zu spät. Entweder hörte er ihn nicht, oder konnte ihn nicht nützen, weil er sich schon im tiefen Strome befand. Für einen minder Beherzten oder in der Schwimmkunst nicht so Geübten wäre der Tod gewiß gewesen, denn der Bach war sowohl tief als stark.
»Bei Sanct Annen! er ist doch ein tüchtiger Bursch,« sagte der ältere Mann; »lauf, Gevatter, und mache deinen Fehler gut, indem du ihm hilfst, wenn du kannst. Er gehört zu deiner eigenen Schaar – wenn das alte Sprichwort Wahrheit sagt, wird ihn das Wasser nicht ertränken!«
In der That, der junge Reisende schwamm so kräftig und theilte die Wellen so gut, daß er, trotz der Stärke des Stroms, doch nur wenig unterhalb des gewöhnlichen Landungsplatzes hinabgeführt wurde.
Unterdeß eilte der Jüngere der beiden Fremden nach dem Ufer hinab, um Hilfe zu leisten, während ihm der andere langsamern Schrittes folgte, und, während ihm der andere näher kam, zu sich selber sagte: »Ich wußte wohl, das Wasser würde den jungen Burschen nicht ersäufen. Wahrhaftig! er ist am Ufer und greift nach seinem Stocke! – Wenn ich nicht eile, prügelt er meinen Gevatter für die einzige freundliche Handlung aus, die ich ihn je vollbringen oder verursachen sah, während seines ganzen Lebens.«
Freilich war einiger Grund vorhanden, ein solches Ende des Abenteuers zu vermuthen, denn der schmucke Schotte war bereits auf den jüngern Samariter, der ihm zu Hilfe eilte, mit diesen zornigen Worten losgegangen: – »Unhöflicher Hund! warum hast du nicht Antwort gegeben, als ich dich anrief, ob der Uebergang zu unternehmen wäre? Der böse Feind soll mich holen, wenn ich dich nicht lehre, bei nächster Gelegenheit den Fremden den schuldigen Respekt zu zeigen!«
Diese Worte waren von dem bezeichnenden Schwingen des Stockes begleitet, welches man le moulinet nennt, weil der Künstler den Stock in der Mitte hält und beide Enden in allen Richtungen, gleich den in Bewegung gesetzten Windmühlflügeln schwingt. Sein Gegner legte, als er sich so bedrohet sah, die Hand an's Schwert, denn er war einer von denen, die bei jeder Gelegenheit eher zum Handeln als zum Reden bereit sind; jedoch sein mehr geltender Kamerad, der herbeikam, befahl ihm still zu sein, und indem er sich an den jungen Mann wandte, beschuldigte er diesen der Voreiligkeit, weil er sich in die angeschwollene Fluth gestürzt hätte, und der ungemäßigten Heftigkeit, weil er mit dem Manne Streit beginne, der zu seinem Beistand herzugeeilt sei.
Als sich der Jüngling so von einem Manne von vorgerückten Jahren und achtbarem Ansehn tadeln hörte, senkte er sogleich seine Waffe und sagte, es sei ihm Leid, wenn er ihnen Unrecht gethan hätte; in Wahrheit aber schien es ihm doch, als hätten sie ihn ruhig sein Leben in Gefahr setzen lassen, weil sie ihm nicht bei Zeiten ein Wort der Warnung gegeben, und dieß Benehmen zieme sich doch weder für ehrbare Männer noch gute Christen oder ehrbare Bürger, wofür er sie ansah.
»Lieber Sohn,« sagte die ältere Person, »deinem Gesicht und deinem Accent nach scheinst du ein Fremder; und da solltest du bedenken, daß uns nicht so leicht wird deinen Dialekt zu verstehen, als dir es wird, ihn zu sprechen!« –
»Gut, Vater!« entgegnete der Jüngling; »es kümmert mich wenig, daß ich ein Bischen untergetaucht bin, und euch sei es auch verziehn, daß ihr zum Theil die Ursache davon waret; aber ihr müßt mich zu einem andern Ort bringen, wo ich meine Kleidung trocknen kann, denn es ist dieß mein einziger Rock, den ich doch etwas anständig halten muß.«
»Für wen hältst du uns denn, lieber Sohn?« fragte der ältere Fremde als Antwort auf jene Bitte.
»Nun, für wohlhabende Bürger jedenfalls,« sagte der Jüngling; »oder, halt! Euch, Herr, für einen Geldwechsler oder Kornhändler; und dieser Mann ist ein Fleischer oder Viehhändler.«
»Du hast unsere Eigenschaften so ziemlich erkannt,« sagte der Aeltere lächelnd. »Mein Geschäft ist freilich, so viel Gold, als nur möglich, einzuwechseln, und meines Gevatters Geschäft hat auch etwas von dem eines Fleischers. Was deine Bequemlichkeit betrifft, so wollen wir versuchen, dir behilflich zu sein, vor allem jedoch muß ich erfahren, wer du bist und wohin du gehst. Denn gegenwärtig sind die Straßen überfüllt von Reisenden zu Fuß und zu Roß, welche eher Alles andre im Kopfe tragen, als Redlichkeit und Gottesfurcht.«