Nach acht Tagen kam der Wichtelkaspar, seinem Versprechen gemäß, zurück und sang, diesmal bei vollständiger Abenddämmerung, vor dem Pfarrhause zu Holzminden:
»Ein Briefelein
An meinen Schatz
In weiter, weiter Ferne,
Das schrieb ich fein
Und legte drein,
Was ich ihm gab so gerne:
An jedes Ecklein
Einen Kuss,
Und in die Mitte
Tausend Gruß,
Viel Bangen, Hoffen, Seufzerlein,
Mein ganzes, ganzes Herzelein –
Eia, eia, ei, ei, ei, eia!«
Einen künstlichen, verschnirkelten Pfiff und einen vollen Bogenstrich über die Saiten seiner Fiedel hing er daran. Der Hund, welchem plötzlich die Erinnerung an einen leckern Milchtopf in den rauen Kopf kam, sprang mit Gebell voran. Es war sehr gut, dass der Herr Pastor eben mit dem Spaten in der Hand im Garten auf einen Maulwurf lauerte, der ihm durch sein Wühlen schon viel Kummer und Ärger verursacht hatte. Auch den Maulwürfen wurde es allmählich zu unheimlich und schwül in der dürren Erde! –
Wenn Ehrn Valentin nichts von dem Gesang des Geigers vernahm, so hörte ihn desto besser die Monika, und sie segnete die Dämmerung, welche ihr erglühendes Gesichtchen dem fahrenden Manne verbarg. Scheu schlüpfte sie zu ihm heraus und drückte ihm verstohlen mit einem Patengulden aus ihrem Sparhafen die Antwort an den Klaus in die Hand.
»So ist’s recht, das wird einen Jubel geben auf dem Schloss Pyrmont!« flüsterte der Spielmann, als er beides nahm. Es war nur ein kleines, kleines Briefchen, welches in den Bettelsack glitt. Es stand aber gar vieles und Wichtiges darin, und mehr und noch Wichtigeres ließ sich zwischen den Zeilen herauslesen.
So schrieb die Monika Fichtner:
»Mein herzlieber Klaus!
Deinen Brief habe ich gelesen. O, wie hab ich mich gefreut darüber! Ich war sehr traurig, seitdem Du weggefahren bist in der Nacht mit dem Schiff; doch nun ist es gut, denn ich weiß, dass Du noch am Leben bist. Als ich Deinen Brief gelesen hatte, waren meine Augen nass und rot, und da musste auch grade der Vater nach mir rufen. Ich schob alles auf das Herdfeuer und den Rauch. Ich lasse nun Deinen Brief nicht eher von mir, als bis Du mir einen anderen schickest, und dann auch nicht, denn dann lege ich beide zusammen. Bitte, schicke bald den zweiten!!! Es ist doch recht traurig für ein armes Mädchen, wann es keine Mutter mehr hat! – Bei uns ist noch alles so, wie es war; wir haben hier auch einen sehr dürren Sommer. Meine Blumen sind alle tot und verwelkt, dass ich schier weinen möchte, wenn ich den Garten anschaue. Die Weser ist ganz weg getrocknet, und alle Leute klagen sehr und fürchten eine große Hungersnot. Der Vater ist sehr gut gegen mich; aber von Dir spricht er kein Wort, weder im Guten noch im Bösen; ach, lieber Klaus, wie soll das werden?! Neulich hat er auch – ich meine den Vater – Franz Schlachtmeyer und Justine Rothenberg zusammengegeben. Sie hatten eine große Hochzeit trotz der schweren Zeit, und alle Leute, wenn sie auch eingeladen waren und lustig mitmachten, haben sich schrecklich darüber aufgehalten. – Wenn ich auf solcher Hochzeit auch mit anderen tanzen musste, so war es mir doch immer, als hätt ich Dich im Arm, lieber Klaus, obgleich wir niemalen zusammen getanzt haben als nur, als wir noch Kinder waren, wann uns der einbeinige Hansel den Dudelsack aufspielte. Der Vater wollte es ja nie haben, dass Du mit mir tanztest.
Lieber Klaus, wann so viele Menschen am heiligen Born zu Pyrmont versammelt sind, so sind gewisslich viele viel schönere Jungfern als ich darunter; allerliebster Klaus, tu mir um Gottes willen nicht das große Herzeleid an und schaue zu viel nach ihnen. Wann Du es tust, so muss ich mich darüber zu Tode grämen, denn ich werd es ganz gewiss bis hierher fühlen. Lieber Klaus, gedenk, dass Dich niemalen eine so lieb haben wird wie ich.
Der alte katholische Pastor hat den Vater noch mehrmals besucht. Mit ihm ist auch der junge Mönch gekommen, jener mit den feurigen Augen, der so bleich ist. Ich fürchte mich erschrecklich vor seinen Augen, und himmelangst ward mir zumute, wie ich merkte, dass sie immerfort auf mich gerichtet sind. Wie die beiden das nächste Mal in ihrem Kahn herüberkamen, lief ich fort und versteckte mich, bis sie wieder gegangen waren, und solches war gewiss recht töricht; der Vater hat mich auch schön ausgescholten, dass ich nicht zur Hand war.
Ich bin immer in heimlicher Angst, wie ich schreibe, und denk alle Augenblicke, der Vater schaut mir über die Schulter und sieht, was ich mache und wie lieb ich den Klaus habe. Ich glaube, es ist sehr unrecht, dass ich an Dich schreibe; aber ich tue doch nichts Böses, wenn ich es tue – nicht wahr? Ich muss schließen; denn ich halt es nicht aus vor übergroßer Angst, dass der Vater mich ertappt. Bleib mir treu, wie ich Dir treu bleibe! Vergiss nicht, vergiss niemalen
Deine Monika.
Nachschrift: Behüt Dich Gott!
Nachschrift: Um Gottes willen keinen Krieg!! Bedenk, dass Du auch totgeschossen werden könntest wie mein Bruder Johannes. Ach, der Krieg muss etwas Schreckliches sein, und wenn Du umkämest, Klaus, so müsste ich auch sterben.
Nachschrift: Nochmals viel tausendmal Lebewohl, lieber, lieber Klaus! Schreib mir recht bald wieder und zieh nicht in den Krieg! Behalte ewiglich lieb
Deine Monika Fichtnerin.
Holzminden, am 1en des Erntemonats,
als alle Leute hofften, es käme ein Gewitter.
Es kam aber keins.« –
Dieses Schreiben war mit des Vaters rotem Siegelwachs fast unauflöslich verklebt; in Ermangelung eines Petschafts war jedoch nur die Spitze eines Fingerhuts darauf gedrückt. Da dieser Fingerhut aber sehr klein war und gewöhnlich an dem niedlichen Mittelfinger der Geliebten steckte, so konnte und durfte den Klaus Eckenbrecher kein einziges der hunderttausend kaiserlichen, fürstlichen, hochadeligen und adeligen Wappen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation mehr erfreuen, und es ergreift auch der Erzähler dieser Historie die günstige Gelegenheit und versichert, dass er Briefe, die auf solche Weise durch Fingerhüte verpicht und versiegelt sind, viel lieber annimmt als andere mit künstlicheren, aber auch unliebenswürdigeren Siegeln.
Der Geiger Kaspar Wicht war noch mitten im Abschiednehmen und eifrigsten Versicherungen der Treue und Zuverlässigkeit begriffen, als Ehrn Valentin Fichtner durch sein Erscheinen die Verhandlungen zu einem Ende brachte. Der Pastor hatte den Lohn seiner Geduld empfangen, der lang verfolgte Troglodyt war erledigt. Zwischen dem Töchterlein und dem fahrenden Mann erschien der Pastor, den Spaten in der rechten Hand und den erschlagenen schwarzen, weichpelzigen Gartenverwüster in der linken.
»Mit wem schwatzest du da, Monika? Ei, ist der Vagabundus, der Lappenhäuser schon wieder da? Eheu, was für ein Leiden das ist! Hast du ihm einen Heller verabreicht, Mägdelein?«
»Ja, mein Vater«, sagte schüchtern Monika.
»Gut, so halte dich nicht auf, lass den Mann seines Weges gehen und komm mit ins Haus, wir wollen den Abendsegen beten und um Regen bitten; aber alle unsere Bitten wollen wir in den Herrn stellen. Da schau, Monika, den schwarzen Burschen, welcher mir soviel Mühe gemacht hat. Gehet mit Gott, Fiedler, und nehmet meinen Rat an, lasset vom Herumtreiben und haltet Euch an eine ehrliche Arbeit!«
»Das tu ich lang, Herr Pastore.«
»So?! Ei! Und was treibet Ihr, wenn man fragen darf, was treibet Ihr außer Eurem nichtsnutzigen Geigenspiel?«
»Briefe trag ich im Land umher! Gute Nacht, Ehrwürden!« rief der Geiger und sprang trotz seinem hohen Alter in weiten Sätzen gegen die Weser hinunter.
»So, so! Ei, ei!« murmelte der Pastor. »Komm, Monika!« Vater und Kind traten in das Haus, und der Alte schloss sogleich die Tür. –
Fast die ganze Nacht hindurch schritt der Fiedler stromabwärts auf dem Schifferpfade neben dem Flusse hin. Die Bauern vernahmen, aus dem Schlaf erwachend, sein Saitenspiel, wunderten sich und drehten sich auf dem Stroh auf die andere Seite, um weiterzuschnarchen.
Erst um Mitternacht machte der alte, rüstige, wandernde Spielmann halt. Auf einen Stein mitten im Flussbett, der sonst hoch vom Wasser bedeckt war, saß er nieder, kaute an einer Brotrinde und hörte dem leise zu seinen Füßen dahinkriechenden Wasser zu. Als er seine kärgliche Mahlzeit zu Ende gebracht hatte, strich er einige Male über die Fiedel, ließ dann den Bogen sinken und sang:
»Nun stecke ich fest in dem Sumpfe hier,
Und um mich zuckt es und flimmert’s;
Es krabbelt und kribbelt das Sumpfgetier,
Doch goldig leuchtet’s und schimmert’s.
Viel glänzende Flammen um mich her
Viel seltsamen Reigen schlingen,
Und fern in der Schenke der Brummbass brummt,
Und Geigen und Hörner erklingen.
Ja, fern in der Waldschenk Tanzmusik! –
Es fehlt nur die eine Geigen;
Sie merken’s nicht, und sie achten’s nicht,
Und lustig und wild schweift der Reigen!
Rings um mich ist Nacht, es schwand der Mond;
Wo sind nur die Sterne geblieben?
O du Irrlichtervolk, das im Sumpfe wohnt,
Sag, was hast du mit mir getrieben?
Ja, fern in der Schenke zum blutigen Herz,
In dem nächtlich dunkelen Walde,
Da tanzet mein Lieb und treibet Scherz,
Ach weh, sie vergaß mich gar balde!
O du Irrlichtervolk, das im Sumpfe wohnt,
Tanz du nun nach meiner Geigen!
O ihr Kröten, ihr Unken, so viel ihr mich hört,
Kommt alle, ich spiel euch zum Reigen!«
Als der Wichtelkaspar dieses Lied beendet hatte, seufzte er schwer und saß noch eine ganze Zeit in tiefem Grübeln da und streichelte den Kopf seines Hundes. Dann aber sprang er jählings auf und schüttelte sich:
»Ach, törichter, alter Knabe, das Vergangene ist vergangen und bleibt vergangen; verdorben bin ich, verdorben bleib ich, und der grüne Ast ist lang’ zusammengebrochen unter mir – plumps – juchhe! Juchhe! Vivat das Wandern und der ewige blaue Montag!
Vivat! Vivat Kaspar Wicht –
Der Wind geht über die Heide,
Das ist mir nicht zum Leide!
Es geht der Wind gelinde,
Ich fahre mit dem Winde! juchhe!«
Nach diesem tollen Ausbruch warf er den Bettelsack wieder auf die Schulter, nahm die Fiedel unter den Arm und schlug einen kleinen Trab an, wobei er die nächste Stunde durch ununterbrochen vor sich hinmurmelte:
»Immer der Nase nach! Immer der Nase nach! Immer der Nase nach!«
So zog der fahrende Spielmann Kaspar Wicht gen Pyrmont mit dem Brieflein der holden Monika Fichtner. So ward Herr Leonhard von Taxis abermals in seinen Gerechtsamen beeinträchtigt! –
schließt den ersten Teil der Geschichte vom heiligen Born.
Der Lizentiat Herr Hermann Hamelmann in seinem Traktat von der Hölle, ihren Namen und ihrer Pein, von den Segen, Wicker und Kristallen Teuffel, das ist von den Nachweisern, Schwarzkünstlern, Teuffelsbeschwörern, Kristallensehern und dergleichen, schreibt wütend und außer sich, pagina 98:
»Ich kann mich nicht enthalten und muss sagen von der großen, stinkenden Landlügen des lügenhafftigen, unverschämpten Fischfressers und Carthäuser-Mönchs Laurentii Surii, der also schreibet: wie dass sollte dem heiligen thewren Mann Luthero, Anno 1545 ein Mägdelein aus Meissen vorgebracht sein. Und als er dasselbige in die Sacristerey gefordert, sollte er haben den Teuffel beschworen nach Lutherischer Art. Jedoch hätte ihn der Teuffel bespottet und unter dem hätte sich gern der Luther vertrollet und ein Ausflucht genommen. Aber der Teuffel hab die Tür berannt, dass er nicht daraus möchte, darumb er auch sich befleißiget zum Fenster hinaus zu fliehen, aber umb das eysern Gefeß halben hab er nicht können entweichen, und hätten etliche durch die eysernen Gitter ihm ein Axt einwerffen müssen, damit er die Tür geöffnet und davon gelaufen. Also hats der Lügenmaul und böshafftige Schelm und unflätige Lügenschreiber sampt seinem Trucker Gervino Calesio recitieret.«
Es war diese Beschuldigung des frechmäuligen Karthäusers in der Tat danach, um darob in Wut und außer sich zu geraten. Vor dem Teufel Reißaus nehmen?! O infamia! Gab es wohl eine niederträchtigere Beleidigung als solche Anschuldigung? O Greuel und Schmach über den Pater Laurentius Surius! Welcher lutherische und katholische Kämpfer der Zeit der großen Kirchenspaltung hätte sich durch das Fenster errettet vor dem Affen Gottes und seinem Spuk? O blasphemia!
Hohnlachen und Spott der Kinder über dich, Laurentius Surius! Das Dintenfass dem bösen Feind an den Kopf? In die Tiefe, in den großen Abgrund mit euch allen, die ihr Namen habet: Lucifer, Satan, Belial, Beelzebub, Oriens, Pargimon, Mammon, Buflas, Hypocras, Coap, Ebiger, Bilech und so fort, so fort!
Auf sie mit Singen und Beten, mit gesegneten Palmen und geweihten Lichtern, mit Stahl und Feuer! Auf sie! Nieder, nieder mit ihnen in den tiefsten Abgrund der Hölle! – – – An den Teufel glaubte jedermann, sein Erscheinen in tausendfältiger Form, in allen vier Elementen, in Menschen- und Tiergestalten bezweifelten weder Kaiser noch Papst, weder Reformatoren noch Mönche, weder Gelehrte noch Volk: weshalb sollte das Schloss Pyrmont daran zweifeln?
Ein Papier mit seltsamen Charakteren bemalt und beschrieben mit den drolligen Worten:
Amarathonta, tiros, posthos, cicalos, cicattri, eliapoli, starras, polen, solemque, linarrasque, edipos, edulpes, mala, draphanus, ulphanus, trax, caput orontis jacet hoc in virtute montis – hatte Simon der blinde Magier auf das schöne Haupt Faustas gelegt, und den schönen Leib der Tedesca hatte der böse Feind ärgerlich und widerstrebend verlassen, um – nach der Meinung von allem am heiligen Born versammelten Volk – von Herrn Philipp von Spiegelberg, Grafen zu Pyrmont, Besitz zu ergreifen. Und dasselbe geheimnisvolle Papier wollte auf dem wirren Lockenkopfe des jungen Grafen, von der betrübten Ursula heimlich darauf gelegt, während der Bruder schlummerte – durchaus nicht wirken, wie wir aus der Liebesepistel Klaus Eckenbrechers bereits herauslesen konnten.
Zu solcher großen Not und Trübsal füllte sich das Schloss auf dem heiligen Anger immer mehr mit den vornehmsten Gästen aus der Nähe und der Ferne und »empfing davon nicht wenig Anfall und Schaden«.
Mit geziemendem Gefolge kam von Koburg Frau Katharina, Herzog Hansens von Sachsen Gemahlin, welche den Brodelbrunn für ihres Leibes Gebrechen brauchen wollte. Eine große Ehre und Freude gedachte sie den drei Spiegelbergschen Geschwistern durch ihre Einquartierung auf dem Schlosse anzutun.
Es erschien auch Konrad, Graf zu Teckelnburg, der letzte seines Stammes, welcher vermeinte, durch Kraft des Wunderbrunnens wenigstens der Vorletzte seines Geschlechtes zu werden. Er täuschte sich aber und zog hager und dürr ab, wie er gekommen war, und seine Frau wurde ebenfalls durchaus nicht rundlicher durch das gute Wasser, welches ihr Ehegespons getrunken hatte.
Kurze Zeit nach der Ankunft des Teckelnburgers kam Graf Sigismund von Gleichen, der viel besser getan hätte, wenn er zu Hause geblieben wäre; er verschied nämlich durch die allzu kräftige Wirkung des heiligen Borns.
Was hilft es, das Register fortzusetzen? Der fürnehme Besuch war nur mit der Mäusenot, welche den Bischof Hatto von Mainz überzog, mit einem gefräßigen Heuschreckenschwarm, mit der Freierschar, welche das Haus des vagabondierenden Dulders Odysseus kahl fraß, zu vergleichen. – Der Born zu Pyrmont hat unter anderen guten Eigenschaften auch die, dass er einen tüchtigen Appetit erzeugt, und die lieben Gäste legten sich durchaus keinen Zwang auf in dieser Beziehung, sondern hielten sich wacker an die Speisekammer, die Küche und den Keller der drei Spiegelbergschen Geschwister. Die arme Ursula, den ganzen Tag über und tief in die Nacht hinein treppauf treppab gejagt, verlor immer mehr alle Erinnerung an vergangenes behagliches, friedliches Stillsitzen, an frühere ruhige Nächte voll gesunden, traumlosen Schlafes. Zusehends magerte sie ab und fing allmählich an, an Schwindelanfällen, Blutdrang nach dem Kopfe, Gedächtnisschwäche und dergleichen zu leiden: das Wasser des heiligen Borns war dagegen natürlich ohne die mindeste Wirkung.
Selbst die mutwillige, sorglose Walburg blickte jetzt oft ganz bedenklich drein und suchte sich stellenweise nützlich zu machen, steigerte dadurch aber nur die allgemeine Verwirrung. Fräulein Ursel und die übrigen Haus-, Hof- und Küchen-Tyranninnen verbaten sich daher auch bald genug jedes tätige Eingreifen ihrerseits, behaupteten, die Walburg stehe nur im Wege, und schickten sie zur – Frau Kurfürstin von Brandenburg.
So hatte die Walburg allein auf dem Schloss Pyrmont Zeit und Ruhe, sich um den armen Philipp zu bekümmern und sich abzusorgen über die große Veränderung, welche mit ihm vorging.
Allmählich ward aus dem lebensfrohen, frischen Jüngling, dem Trinker, dem Jäger, ein menschenscheuer, bleichgesichtiger Patron, welcher durchaus nicht mehr imstande war, den liebenswürdigen, den angenehmen Wirt zu spielen vor Ihren Hochfürstlichen Gnaden von Brandenburg und Sachsen-Koburg. Auch seinen männlichen Gästen vermochte der Graf nicht mehr wie sonst standzuhalten. Herr Konrad von Teckelnburg nahm ihm im Brettspiel und im Würfelspiel viel mehr Geld ab, als bei klareren Sinnen des Gegenparts möglich gewesen wäre. Herr Sigismund von Gleichen trank ihn sogar zur großen Verblüffung, zum – Entsetzen des aufwartenden Eckenbrechers fünfmal, sage fünfmal unter den Tisch.
»Das weiß der – heilige Liborius zu Lügde!« sagte Klaus Eckenbrecher, welcher sich auf dem linken Weserufer einen reichen Schatz von katholischen Beteuerungen zulegte. »Ist’s die Möglichkeit? Ich sage Euch, Falkenierer, hätt’ ich’s nicht selbsten gesehen mit meinen leiblichen Augen, kein Teufel hätt mir den Glauben daran beigebracht!« –
»Ach, mein armes Brüderlein!« seufzte Fräulein Walburg von Spiegelberg, »wenn ich doch wüsste, was ihm fehlete! Die alte Hanne in der Spinnstube sagt, das fremde Weibsbild, so hier im Schloss aufgenommen ist, habe es ihm angetan, habe ihn verzaubert und scharfe Nadeln ihm in die Leber gehext. Ich will den Kaplan darum fragen, der muss Kundschaft davon geben können als ein geistlicher Herre.«
Sie tat also und fragte den Schlosskaplan um Rat.
»Hab’s lange gemerkt, dass etwas nicht in der Ordnung ist bei unserm gnädigen jungen Herrn«, sprach dieser würdige Mann. »Wisset Ihr, Fräulein, ich will den Herrn Rektor von Minden, Herrn Hermannus Huddäus, der noch immer zu Östorf seine Gicht kuriert und große Linderung verspüret durch das gute Wasser und ein hochgelahrter, frommer Mann und mein günstiger Freund ist, darob um seine Meinung fragen.«
Er tat also und fragte den Rektor Huddäus um seine Meinung,
Dieser schüttelte bedachtsam das Haupt und sprach: »Das ist ein böses Ding, und was das Zaubern von Nadeln in die Leber anbetrifft, so sind die Gelehrten darüber gar verschiedener Meinung. Ich will zum Nutzen meines werten Herrn Grafen nach Wittenberg schreiben an meinen lieben Freund und Lehrer Herrn Philippum Melanchthon, den Mann Gottes. Wenn einer nach dem Hinscheiden des gottseligen Doktor Martin raten kann, so ist er es.«
Er tat nach seinem Worte und schrieb noch an demselben Tage einen schönen lateinischen Brief an Herrn Philipp nach Wittenberg, und Fräulein Walburg schickte einen expressen Boten mit solchem Schreiben ab.
Der Herr Doktor Philipp freute sich über den Brief des Rektors höchlichst und schrieb einen noch schöneren, mit vielen griechischen Zitaten ausgeziert, zurück und sendete zugleich nebenher ein Paketlein.
In diesem Paketlein befand sich ein in Schweinsleder handfest eingebundenes Buch mit künstlichen Messingklammern verschlossen, welches folgenden Titul führte:
Der Teufel selbs
das ist
Wahrhaftiger und bestendiger und wolbegründeter Bericht von den Teufeln; was sie seien, woher sie gekommen und was sie täglich wirken.
Derbey ihre große Tyranney, Macht und Gewalt. Item auch ihre Behändigkeit, List und Trügerey. Auff’s vleissigst und eigentlichst beschrieben. Item, was von Verzauberungen, Verblendungen, Gifftwerken und sonst viel und mancherley Geplärren des Teufels zu halten sei.
Dieses höchst vortreffliche Buch »trewlich und ordentlich aus Gottes Wort und vieler Gelahrten Bücher alt und new zusammengezogen durch Jodocum Hockerium, Osnabrugensem, Prediger der Kirchen Gottes zu Lemgo« – gewährte der ganzen Reihe der Ratfragenden viel Trost und Erbauung, brachte sie aber doch nicht zu irgendeinem Resultate in Bezug auf den Zustand des jungen Grafen. Zum sechsten, zum siebenten, zum achten Male trank der Graf zu Gleichen Herrn Philipp von Spiegelberg unter den Tisch, und er würde seine Siege jedenfalls noch bedeutend vermehrt haben, wenn ihm nicht leider die Gicht in den Magen getreten und Asa födita und Moschus die Parole geworden wären. So entschlief er jedoch wenigstens »seliglich« in dem stolzen Bewusstsein, dass er als Überwinder aus der durstvollen Wüstenei dieses Erdenlebens scheide.
Meister Jodocus Hockerius mochte in seinem Buche mancherlei gesagt haben von den Teufeln und gute Antwort gegeben haben auf die Fragen: Ob und wie die Teufel Wunder und Zeichen tun können? – Ob und wie sie weissagen und zukünftige Dinge wissen mögen? – Ob sie Krankheiten heilen und der Menschen Sinne äffen und betrügen können? – Ob sie der Menschen Gedanken erkennen und auch können in der Menschen Leiber fahren? – Ob und wie sie Corpora d. i. Leiber an sich nehmen? – Ob sie sich in die Gestalt der verstorbenen Menschen oder Seelen verkleiden mögen? – Ob sie Menschen in Tiere verwandeln mögen? – Ob sie auch können Träume und Nachtgesichte machen? – Ob sie auch Wetter machen und das Gewölk verstören können? – Ob sie auch mögen Buhlschaft treiben und wie man sagt Incubi und Succubi werden mögen? – Ob sie können Milch, Butter, Wein, Bier, Brot, Eier und andere Dinge stehlen?
Wie sollte dem Kranken Hilfe geschafft werden, wenn die Zauberin Fausta La Tedesca im Schloss Pyrmont blieb und bleich und schön durch das scheue Gesinde schritt?
Wohl konnte Fausta La Tedesca Wunder und Zeichen tun – wohl konnte sie der Menschen Sinne äffen und betrügen – wohl konnte sie der Menschen Gedanken erkennen – wohl konnte sie Träume und Nachtgesichte machen – wohl konnte sie Buhlschaft treiben, und dass sie in den anderen Punkten des dämonischen Sündenregisters ebenfalls gut befahren sei, daran zweifelte weder Walburg von Spiegelberg noch der Kaplan noch das Schlossgesinde. Aber unbewegt von alledem, was über sie gesprochen wurde, unerschüttert durch alle leisen und lauten Drohungen, die sie auf ihren Wegen verfolgten, blieb Fausta La Tedesca im Schloss Pyrmont. Schon fingen auch die Hintersassen von Spiegelberg an, Leib und Seele ihres jungen Grafen für gefährdet zu halten, und am liebsten hätten sie die »fremdländische Hexe« verbrannt auf einem tüchtigen Scheiterhaufen von grünem Holz oder sie begraben auf einem Kreuzweg mit einem Pfahl durch das Herz.
Man schoss einen Armbrustbolzen auf die schöne Maid ab, als sie eines Abends mit Herrn Philipp an der Emmer im Mondschein lustwandelte; und der Schuss ritzte ihre weiße, runde Schulter ein wenig, dass drei Blutstropfen durch das feine Hemdlein drangen. Der Täter, ein Mann aus Löwenhausen, ein Leinweber, wurde jedoch glücklich ergriffen und sagte aus: er hab die Armbrust abgedrückt aus Liebe zu seinem gnädigen Herrn und hab ihn dadurch lösen wollen aus den Banden des gräulichen Gespenstes, so ihn – seinen gnädigen Herrn – gefesselt hätte. Der Graf zu Pyrmont nahm jedoch diese Liebe und Fürsorglichkeit sehr übel auf, ließ ein kurz Gericht halten über den getreuen Knecht Eckart und hing ihn auf an seinem hochgräflichen Galgen zu einem abschreckenden Beispiel für andere gleichgestimmte, wohlmeinende Seelen.
Die beiden Schwestern von Spiegelberg, Ursula und Walburg, konnten nur stillschweigende Opposition gegen den unheilvollen, schönen Eindringling machen. – Nach Martin Luthers Ansicht haben Fürsten und Herren große treffliche Engel, denen sie in Schutz befohlen sind; Kinder und schlechtes Gesinde dagegen sind nur gemeinen Engeln anbefohlen; ach, so hoch der Schutzgeist des Grafen zu Pyrmont in der himmlischen Aristokratie stehen mochte, auf sein Amt gab er gar schlecht Achtung und überließ ihn – höchstwahrscheinlich durch eigene wichtige Geschäfte abgehalten – allen Anfechtungen des bösen Prinzips!
Mit ihren schwarzen Augen sog Fausta La Tedesca Herrn Philipp alle Kraft und Macht aus, dass er immer bleicher und hohlwangiger wurde, immer finsterer und immer menschenscheuer. Am liebsten zog er einsam, nur von seinen Hunden begleitet, im Walde umher. Nach tagelanger Abwesenheit fanden ihn seine Jäger am häufigsten am Toren to mayen, dem »Klageturm«, welchen der römische Feldherr Germanicus dem toten Heer des Varus aufgerichtet haben soll. Hier, auf fremdem Gebiet, saß Herr Philipp, die Knie in die Höhe gezogen und das Kinn auf die Knie gelegt, und starrte regungslos in den düstern Forst hinein. Armer Philipp von Spiegelberg, wer hätte das damals gedacht, als du so fröhlich und wohlgemut Neuigkeiten austauschtest an der Fähre zu Holzminden mit dem Bürgermeister und den Bürgern? Armer Philipp von Spiegelberg, war das das große Unheil, welches der Komet dir verkündete? –
Die Magierin Fausta hatte den deutschen Grafen gefangen und hielt den Zappelnden in ihrem Hamen hoch in der Luft und ergötzte sich nicht wenig an dem buntschillernden Farbenspiel des armen Burschen und wusste nichts von Gewissensbissen über solch abscheulich Spiel. Und mit der Fausta hielt Simon Magus die beste Freundschaft und gab ihr viele vortreffliche Ratschläge sowohl unter der Brunnenlinde als in dem Schloss Pyrmont und in dem kleinen Zelt auf der stillen Waldlichtung. In diesem kleinen Zelte zündete der Diener des Blinden allabendlich eine hängende Lampe an, und gelockt von dem Schein, welcher durch die zurückgeschlagenen Vorhänge fiel, kamen Nachtkäfer und Nachtschmetterlinge aller Art und umflatterten die Ampel. Seltsame Geschöpfe lockte das Licht im Walde an. Es stieg vom heiligen Born herauf Simon der Zauberer, geführt von jenem jungen Weibe, welches einstmal dem Grafen Philipp auf seinem Morgenspaziergang im wilden Tanz der Besessenen vor die Füße fiel. Nicht umsonst hatte der Magier seine Kraft und Kunst an ihr erprobt; da liegt vor uns eine alte Chronik, von deren staubigen Blättern der Erzähler abliest:
»– und obwohl er blind war und jhre Schönheit nicht sehen konnte, dennoch nahm er sie zu der Ehe und zog mit jhr fort in seine Heimat. Und als sie daselbs wohneten, führet jhn das Weib einsmals auf den Balkon. Da erschienen jhr zwo weiße Münniche, das sonderzweiffel Teuffel gewesen sind, die hulffen jhr, schündeten auch zu, dass sie jhren blünden Kerl durch die Luken herunter stürtzet. Stieg danach herab, und als die zwei weißen Münche jhr wiederumb erschienen, jhr halffen und zuschündeten, tötet sie jhn fortan, hieb jhm den Kopf, Hände und Füße ab und stieß jhn in einen Offen, macht ein Fewer umb jhn her, der Meinung jhn aufzubrennen. Aber der Geruch von dem Branten drang zum Hause, das rings umb her versperret war, hinaus, dass man also das Branten über etliche Häuser riechen kundt. Derwegen wurden die Nachbarn wach, brachen das Haus auff und funden das Weib auff frischer Tat, die jhre Übeltat frei bekennet, ist auch vom Erbarn Rate zum Tode verurteilet und gebürlicherweise hingericht worden.«
So steht es in den alten, schnörkelhaften Lettern auf dem gelben Papiere. Beim Umwenden der Blätter steigt ein unheimlicher – ein Blut- und Brandgeruch daraus auf; – fort damit, was geht hier uns das Ende Simons des Magiers an? Dum vivimus, vivamus!
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.