Kitabı oku: «Wilhelm Raabe – Gesammelte Werke», sayfa 145

Yazı tipi:

Fort stürz­te der Graf, und wie­der­um er­klang hin­ter ihm der Schrei der Be­ses­se­nen; atem­los, seuf­zend und mit den Zäh­nen knir­schend kam der Spie­gel­ber­ger in den Hal­len sei­ner Ah­nen wie­der an.

»El­sa­be! Jad­wi­ga! Ka­thin­ka! Fe­do­ra!« klang hier eine lei­der nur zu wohl­be­kann­te Stim­me ihm ins Ohr. Durch die Kor­ri­do­re des Schlos­ses stürz­ten die Die­ne­rin­nen; Fräu­lein Ur­sel von Spie­gel­berg, eben­so au­ßer Atem wie ihr Bru­der, eil­te die Trep­pe em­por: ihre kur­fürst­li­chen Gna­den wa­ren von ih­rem al­ten Übel, dem Ma­gen­krampf, be­fal­len wor­den und schri­en aus vol­lem Hal­se und höchst ge­sun­den Lun­gen nach Kraft­was­sern und heiß ge­mach­ten Topf­de­ckeln.

»Bei mei­ner rit­ter­li­chen Ehre, wenn ich mir nicht vor­kom­me wie ein Hund vol­ler Flöh und Flie­gen, so will ich mich hän­gen las­sen, wie ein –« rief der Graf, die Büch­se an die Wand hän­gend. »O du hei­li­ger Bla­si­us, wie das Frau­en­zim­mer schreit! … Wo ist die Wal­burg, du Affe?«

Die­se letz­te­re Fra­ge galt ei­nem Adel­bur­sen, der ihm in den Weg kam.

»Im Schloss­gar­ten pflückt sie Ro­sen«, lau­te­te die Ant­wort, und seuf­zend sag­te Graf Phil­ipp:

»Das Kind ist die ein­zi­ge, wel­che noch ein leich­tes Herz hat im Schloss Pyr­mont; Gott möge es ihr ge­seg­nen! Arme Ur­su­la!«

Trotz sei­nem Miss­mut ent­wi­ckel­te der Spie­gel­ber­ger beim ein­sa­men Mor­ge­nim­biss im großen Saa­le einen tüch­ti­gen Ap­pe­tit, bis er zu­fäl­lig in die Ta­sche griff und das zer­knit­ter­te Schrei­ben des Arz­tes Si­mo­ne Spa­da her­vor­zog. In dem­sel­ben Au­gen­blick wa­ren Hun­ger und Durst ver­gan­gen, der letz­te Bis­sen blieb dem Gra­fen im Mun­de ste­cken.

»O, o, o!« sag­te er und ver­sank in tie­fes Sin­nen und Grü­beln, aus wel­chem er mit der Fra­ge er­wach­te: ob man die Dir­ne im Turm­ge­mach auch mit al­lem Nö­ti­gen ver­se­hen habe?

Der Zau­ber, den er für alle Ewig­keit ab­ge­schüt­telt zu ha­ben glaub­te, hat­te ihn mit drei­mal stär­ke­rer Ge­walt ge­fasst, und ver­geb­lich wa­ren alle An­stren­gun­gen, sich sei­ner Macht zu ent­zie­hen. Auch die üb­ri­gen Vor­komm­nis­se des Ta­ges, als da wa­ren; lan­ge, lan­ge, zif­fern­be­deck­te Rech­nun­gen des Haus­hof­meis­ters Plücke­bü­del, lan­ge, lan­ge, schö­ne Re­den des Haus­kaplans, kur­ze, spit­zi­ge Be­mer­kun­gen der Frau Hed­wig von Bran­den­burg über Ver­nach­läs­si­gung, fer­ner die Bot­schaft des Stall­meis­ters über die Er­kran­kung ei­nes Lieb­lings­ros­ses, fer­ner die Nach­richt des Fal­ke­nie­rers von dem Un­wohl­sein des Lieb­lings­fal­ken – ver­moch­ten nicht mehr als des Gra­fen ei­ge­ne An­stren­gun­gen.

Das Bild Faustas war wie­der em­por­ge­stie­gen und schweb­te sieg­reich dem Gra­fen auf Schritt und Tritt vor­an.

Ge­gen Abend war Phil­ipp von Spie­gel­berg ganz in der Stim­mung, an den blin­den Si­mon und sei­ne Kunst zu glau­ben.

Und gra­de um die sechs­te Stun­de des Nach­mit­tags brach ein so ge­wal­ti­ges Ge­schrei los am hei­li­gen Born, dass die Be­woh­ner des Schlos­ses Pyr­mont, wel­che doch ge­wiss durch die letz­ten Wo­chen an gräss­li­chen Lärm und Ge­tö­se ge­wöhnt wa­ren, er­schreckt auf­fuh­ren und an die Fens­ter oder aus dem Tore stürz­ten, die Be­deu­tung die­ses Ge­schreis zu er­kun­den. Das Ge­tö­se leg­te sich nur, um im nächs­ten Mo­men­te de­sto kräf­ti­ger an­zu­schwel­len. Alle die Tau­sen­de, die um den Ge­sund­brun­nen la­ger­ten, wa­ren in Be­we­gung, ges­ti­ku­lier­ten mit den Ar­men und Hän­den in der Luft und sperr­ten die Mäu­ler so weit als mög­lich auf:

»Wun­der! Wun­der! Wun­der! Si­mon Ma­gus! Wun­der! Si­mon Ma­gus! Wun­der! Wun­der!«

Si­mon der Blin­de war am hei­li­gen Born er­schie­nen und hat­te sei­ne ers­te große Tat voll­bracht. Si­mon der Blin­de hat­te den ers­ten Teu­fel aus­ge­trie­ben, und nie­mand war auf dem hei­li­gen An­ger, der dar­an zwei­fel­te.

»Wun­der! Wun­der! Wun­der!«

Und in dem Au­gen­blick, wo die­ses Wun­der-Ge­schrei das Wald­tal von Pyr­mont er­füll­te, hat­te Herr Phil­ipp von Spie­gel­berg den Schlüs­sel je­nes Turm­ge­ma­ches, wel­ches man der schö­nen Faus­ta an­ge­wie­sen hat­te, ge­dreht und stand auf der Schwel­le und hielt sich an den Pfos­ten der Tür. Be­siegt hat­te ihn der Zau­ber, die enge Wen­del­trep­pe hat­te er ihn her­auf­ge­zo­gen. Ein blau­er Ne­bel, in wel­chem alle Ge­gen­stän­de tanz­ten, wel­chen tau­send Fun­ken und Lich­ter durch­sprüh­ten, lag vor den Au­gen des jun­gen Gra­fen, als sich die Tür öff­ne­te; ihm schwin­del­te, er be­fand sich in ei­nem durch­aus un­zu­rech­nungs­fä­hi­gen Zu­stan­de, und Faus­ta La Te­des­ca – wuss­te, dass er kom­men wür­de!

Sie lag, wie es schi­en, im tiefs­ten, ru­higs­ten Schlum­mer auf ih­rem La­ger. In üp­pi­ger Pracht roll­ten ihre schwar­zen Lo­cken ihr über die Schul­tern. Halb auf die Sei­te ge­wen­det lag sie da, und nur das re­gel­mä­ßi­ge Sen­ken und He­ben der Brust ver­kün­de­te, dass Le­ben in dem herr­li­chen Bil­de sei. Die lin­ke Hand der Schlä­fe­rin hing an der Sei­te des La­gers ein we­nig her­ab – die­se Hand, wel­che der große Meis­ter Ti­zia­no Ve­cel­li da Ca­do­re einst so be­wun­dert hat­te.

Mit blödem Her­zen und be­stürz­tem Mute stand der Graf zu Pyr­mont, der sich heu­te Mor­gen vor­ge­nom­men hat­te, »kur­z­en Pro­zess zu ma­chen mit der Frem­den«, in der Tür, und wür­de noch lan­ge Zeit so ge­stan­den ha­ben, wenn nicht sein ihm nach­fol­gen­der großer Wolfs­hund es für an­ge­mes­sen ge­hal­ten hät­te, eben­falls sich nach dem, was es in die­sem Turm­zim­mer gab, um­zu­schau­en. Gra­vi­tä­tisch schob er sich ne­ben sei­nem Herrn durch, und ehe die­ser es ver­hin­dern konn­te, hat­te der Hund sei­ne klu­ge, feuch­te Schnau­ze aus­ge­streckt und be­schnüf­fel­te vor­sich­tig, ohne sich et­was Ar­ges da­bei zu den­ken, die wun­der­vol­le Hand, wel­che Ti­zi­an Ve­cel­li in mehr als ei­nem herr­li­chen Bil­de der Nach­welt auf­be­wahrt hat.

Mit ei­nem in ro­man­ti­schen Er­zäh­lun­gen sel­ten so rich­tig und wohl be­grün­de­ten Schrei fuhr die schö­ne Schla­fen­de em­por, strich mit der rech­ten Hand die wir­ren Lo­cken aus der Stirn und zog mit der lin­ken die her­ab­ge­sun­ke­nen Ge­wän­der züch­tig und scham­haft über dem Bu­sen zu­sam­men.

Wie die un­schul­digs­te Un­schuld, aus dem Schlaf auf­ge­schreckt, den Stö­ren­den an­schau­en kann, so blick­te Faus­ta La Te­des­ca zu dem Gra­fen em­por, und die­ser – gab sei­nem Hun­de einen Fuß­tritt und sag­te zu sei­ner Ge­fan­ge­nen: »Ver­zei­hung!«, was sehr viel war für einen Gra­fen des Hei­li­gen Rö­mi­schen Rei­ches ei­ner Land­strei­che­rin ge­gen­über.

»Und gu­ten Tag!« setz­te er hin­zu, wo­durch er klär­lich be­wies, dass die Män­ner in au­ßer­ge­wöhn­li­chen Fäl­len und Vor­komm­nis­sen da­mals schon eben­so geist­reich sein konn­ten wie heut­zu­ta­ge.

Die Wei­ber wis­sen sich seit Evas Ap­fel­biss bei der­ar­ti­gen Ge­le­gen­hei­ten viel bes­ser zu be­neh­men. Schon hat­te sich die schö­ne Faus­ta dem Herrn Phil­ipp zu Fü­ßen ge­stürzt. Sie schluchz­te, rang die Hän­de, stieß un­ver­ständ­li­che Wor­te und Sät­ze her­vor und droh­te in Ohn­macht zu fal­len, wel­ches letz­te­re sie je­doch aus uns un­be­kann­ten Grün­den nicht tat. So ver­blüfft und rat­los wie mög­lich mach­te sie den gu­ten, ehr­li­chen, blond­lo­cki­gen deut­schen Töl­pel.

Die große Va­ga­bon­din hat­te ihre Rol­le gut durch­dacht und spiel­te sie noch bes­ser.

Faus­ta La Te­des­ca, wel­che in Bo­lo­gna, in Ve­ne­dig, in Pa­dua, in Rom, in Nea­pel alle Män­ner durch Schön­heit und Geist be­zwun­gen hat­te, Faus­ta La Te­des­ca zwang den deut­schen Gra­fen durch Schön­heit und gut dar­ge­stell­te Verzweif­lung und Ver­rückt­heit.

Groß­ar­tig, herr­lich war sie in ih­rem Wahn­sinn! Herrn Phil­ipp von Spie­gel­berg stan­den die Haa­re zu Ber­ge – er rief nach Hil­fe, nach sei­nem Haus­kaplan, nach sei­nen Schwes­tern, er rief nach Si­mon dem Blin­den, nach Si­mon dem Ma­gier!

Ja, nach Si­mon dem Teu­fels­ban­ner rief der Graf, und – »Wun­der! Wun­der! Wun­der!« schrie das Volk am hei­li­gen Born über den­sel­ben Teu­fels­ban­ner, wel­cher eben das un­glück­li­che Weib, das heu­te Mor­gen auf dem hei­li­gen An­ger an­ge­kom­men war, aus den Kral­len des Bö­sen be­freit hat­te. Was durch die­ses Er­eig­nis noch nicht aus dem Schlos­se her­aus­ge­lockt war, das stürz­te dem Hil­fe­ruf des Gra­fen nach die Wen­del­trep­pe hin­auf in das Turm­ge­mach.

»Zu Si­mon dem Ma­gier! Zu Si­mon dem Zau­be­rer!«

Neuntes Kapitel

Wie der Arzt Si­mo­ne Spa­da die We­ser hin­ab­fuhr und gen Os­na­brück ritt.

Durch die Mond­schein­nacht, wel­che das Schloss Pyr­mont auf so son­der­li­che Wei­se durch­träum­te, jag­te im wil­des­ten Ga­lopp der ita­lie­ni­sche Arzt Si­mo­ne Spa­da mit sei­nem jun­gen Die­ner. Ge­gen die We­ser ritt er ohne Furcht vor den lau­ern­den Strauch­die­ben und dem zum hei­li­gen Born zie­hen­den bös­wil­li­gen Ge­sin­del, vor wel­chem ihn Klaus Ecken­bre­cher beim Ab­schied so ein­dring­lich ge­warnt hat­te. Ver­däch­ti­ge Hau­fen be­geg­ne­ten den bei­den Rei­tern auch oft ge­nug, doch ka­men sie un­auf­ge­hal­ten zwi­schen ih­nen durch.

Konn­te Si­mo­ne Spa­da einen an­de­ren Ge­dan­ken als den an das eben vor­ge­gan­ge­ne Wie­der­fin­den fas­sen?

»Faus­ta, Faus­ta La Te­des­ca wie­der un­ter den Le­ben­di­gen! O Ver­häng­nis! O Ver­häng­nis!« rief er und schlug sich die Stirn mit der Faust und stieß im­mer von neu­em sei­nem schäu­men­den und schnau­fen­den Rap­pen die blu­ti­gen Spo­ren in die Wei­chen.

So jag­te er vor­wärts durch Schat­ten und Licht, durch Wald und Feld und mä­ßig­te den Lauf sei­nes Pfer­des nicht eher, als bis die Huf­schlä­ge des­sel­ben dumpf auf der Brücke, wel­che über die We­ser in die alte Stadt und Fes­tung Ha­meln führt, wi­der­hall­ten.

Da die Tore be­reits seit ge­rau­mer Zeit ge­schlos­sen wa­ren, so muss­te der Arzt wohl eine Stun­de har­ren, ehe die Wacht ihm das Brück­en­tor öff­ne­te und ihn ein­ließ ge­gen ein gu­tes Trink­geld. Für ein gu­tes Trink­geld ge­lei­te­te ihn dar­auf ein Hel­le­bar­die­rer nach dem Schüt­zen­hau­se nahe der We­ser­pfor­te, wo Herr und Die­ner von den Ros­sen stie­gen und ihr Nacht­quar­tier nah­men. Der tod­mü­de Kna­be Paul schlief nach kur­z­em Mahl so­gleich ein; Si­mo­ne Spa­da aber schritt bis zum Mor­gen­grau­en im Zim­mer auf und ab und ver­wünsch­te die all­zu lang­sam schlei­chen­de Zeit, wäh­rend er selbst von ei­nem un­ter sei­nem Ge­ma­che hau­sen­den Vieh­händ­ler aus dem Land Wurs­ten zu al­len Teu­feln ge­wünscht wur­de.

Wie Faus­ta La Te­des­ca auf dem Schloss Pyr­mont, so hat­te in die­ser bö­sen Nacht Si­mo­ne Spa­da im Schüt­zen­hau­se zu Ha­meln sei­ne wa­chen Träu­me, wel­che ihm den Schlaf ver­trie­ben. Auch sein Ge­mach hüll­te der Mond mit blei­chem Schim­mer, wor­aus dem Arzt die Bil­der und Ge­stal­ten em­por­stie­gen.

Da tauch­te vor ihm die große, be­rühm­te Stadt Bo­lo­gna auf mit ih­ren Lau­ben­gän­gen, ih­ren schwe­ren, mas­sen­haf­ten Pa­läs­ten, ih­ren hän­gen­den Tür­men und dem Stu­den­ten­ge­wim­mel ih­rer Gas­sen. Im Schat­ten von San Do­me­ni­co er­blick­te er sein Ge­burts­haus, wo er un­ter den Au­gen sei­nes ge­lehr­ten Va­ters An­to­nio Spa­da und sei­ner Mut­ter Mar­cel­la sei­ne Kind­heit und sein frü­hes Jüng­lings­al­ter in stil­len Stu­di­en ver­leb­te. Die Hal­len der Uni­ver­si­tät, die Säle der Biblio­thek mit ih­ren hun­dert­tau­send Bän­den, ih­ren Welt­ku­geln, Bil­dern und Bild­säu­len deh­nen sich vor sei­nem Auge. Der Kna­be ist ein Jüng­ling ge­wor­den, ein Stu­dent der Me­di­zin, wel­chen der Va­ter ein­führt in die Tie­fen der Wis­sen­schaft. Eine ver­häng­nis­vol­le Ge­stalt, fins­ter und dro­hend, hebt sich im blei­chen Mond­licht – das ist der deut­sche Arzt Be­ne­dic­tus Meyen­ber­ger, der Freund An­to­nio Spa­das – ein un­glück­li­cher Mann!

Ein schwe­res Ge­schick hat ihn aus sei­nem nor­di­schen Va­ter­land nach Ita­li­en, wo er ei­ni­ge Jah­re im Hau­se von Si­mo­nes Groß­va­ter ver­leb­te, zu­rück­ge­trie­ben. Sein ihm ge­raub­tes Kind sucht er und den Ver­der­ber sei­nes Wei­bes. Und was er sucht, fin­det und ver­liert er wie­der zu Bo­lo­gna, und gren­zen­lo­ses Leid fällt dar­über auf Si­mo­ne Spa­da.

Es hebt sich Ve­ne­dig aus dem bun­ten Traum. Tot sind die El­tern Si­mo­ne Spa­das; mit dem Gast­freund des Va­ters sucht von neu­em Si­mo­ne nach dem ver­lo­re­nen Kin­de, nach der Faus­ta La Te­des­ca.

Es ist eine schö­ne Nacht, lei­se wogt das Meer um eine öde In­sel der La­gu­nen; auf dem feuch­ten San­de steht der deut­sche Meis­ter dem Räu­ber sei­nes Glückes ge­gen­über; der vol­le Mond und die Fa­ckel, wel­che Si­mo­ne Spa­da hält, leuch­ten dem Kamp­fe der bei­den Tod­fein­de. Der Leich­nam Alex­an­der Paz­zis wird in die Flu­ten ge­wor­fen, ein Kahn tritt sei­ne Rück­fahrt zur Stadt an – – – was bricht ur­plötz­lich die fröh­li­che Tanz­mu­sik im Palast Bar­ba­ri­go mit sol­chem Miss­laut ab? Ein Schat­ten ist über den Glanz des Fes­tes ge­fal­len, aus dem Arm Ce­sa­re Cam­pola­nis reißt der alte deut­sche Arzt sein ver­lo­re­nes Kind – Faus­ta La Te­des­ca!

Wehe dir, Si­mo­ne Spa­da!

Vor ih­rem Va­ter flieht Faus­ta. Gleich ei­nem Irr­licht ver­schwin­det sie hin, um in der Fer­ne wie­der auf­zut­au­chen. Wer hält und fes­selt die Ma­gie­rin Faus­ta La Te­des­ca? In hun­dert For­men und Far­ben, un­ter hun­dert Na­men führt sie die ihr Fol­gen­den in die Irre durch ganz Ita­li­en. In Pa­dua sinkt der jun­ge Dok­tor Si­mo­ne in sein Blut durch das Schwert Ce­sa­re Cam­pola­nis. Sie ist hier, sie ist da – ver­schwun­den! Mäch­ti­ge Freun­de und Be­schüt­zer ste­hen ihr zur Sei­te! Kar­dinäle, Prin­zen, große Künst­ler. In Flo­renz wird sie ge­se­hen am Hofe der Me­di­cis; dann taucht sie in Rom auf, dar­auf in Nea­pel, und hier gibt sie end­lich das Schick­sal in die Hän­de ih­rer Ver­fol­ger. Im Ha­fen flaggt das han­sea­ti­sche Schiff »die Jung­frau von Wi­ne­ta«, wel­ches von Sy­ra­kus kommt und auf der Heim­fahrt be­grif­fen ist. Auf die­sem Schif­fe füh­ren Be­ne­dic­tus und Si­mo­ne die große Sün­de­rin fort, dass sie im frem­den Lan­de, un­ter ei­nem frem­den Him­mel Buße tue in Ein­sam­keit und Dun­kel­heit.

Wehe dir, Si­mo­ne Spa­da, schreck­lich sind dei­ne Träu­me!

Und nun, was nun? Was nun, da sie wie­der un­ter den Le­ben­den wan­delt und die Her­zen ver­gif­tet und die Lei­ber tö­tet?

Was nun? Ja, was nun? Wie war der Arzt Si­mo­ne, warum war er jetzt nach Ha­meln ge­rit­ten? Er wuss­te selbst kei­ne Re­chen­schaft da­von zu ge­ben! Fie­ber­glut und Frost fühl­te er wech­selnd in sei­nen Adern und Kno­chen! West­wärts lag ja ei­gent­lich jetzt sein Weg, nord­west­wärts gen Os­na­brück, wo der alte Be­ne­dic­tus nach sei­nen lan­gen, schmer­zen­vol­len Wan­de­run­gen sei­ne letz­te Ru­he­stel­le ge­fun­den zu ha­ben glaub­te. Muss­te er nicht den Al­ten auf­rei­ßen aus sei­nem dun­keln Win­kel durch die Nach­richt, dass die schö­ne, schreck­li­che Toch­ter ih­rer Ban­de le­dig sei und zu neu­em, ver­derb­li­chen Flug die Schwin­gen rüh­re?

O die­se Nacht, die­se Nacht! Woll­te sie denn nie­mals ein Ende neh­men?

Wie es in dem Ge­hirn des Nacht­wand­lers saus­te und summ­te, wie sein Atem flog – wie sich das Fie­ber im­mer tiefer ihm ins Ge­hirn wühl­te!

»Gen Os­na­brück, gen Os­na­brück! Gott sei ge­lobt, da kommt der Mor­gen! Nun wer­den die Stadt­to­re wohl wie­der ge­öff­net sein! – Paul, Paul, zu Pfer­de, zu Pfer­de!«

Wohl kam der Mor­gen wie alle Din­ge in die­ser Welt, wenn man nur war­ten kann und will; und der Kna­be Paul führ­te die Pfer­de her­vor, aber – der Arzt Si­mo­ne Spa­da konn­te das sei­ni­ge nicht be­stei­gen; halb ohn­mäch­tig sank er aus dem Sat­tel sei­nem Die­ner in die Arme.

»Zu Schiff, zu Schiff, die We­ser hin­ab nach Min­den – vor­wärts im Na­men al­ler Hei­li­gen, vor­wärts!«

Der Wirt vom Schüt­zen­hau­se rief: so­gleich fah­re ein Kahn stromab, und die Frem­den könn­ten mit dem­sel­ben fah­ren, wenn sie woll­ten.

»Zu Schiff, zu Schiff!« mur­mel­te Si­mo­ne; die Knech­te des Gast­hau­ses führ­ten die Pfer­de durch die We­ser­pfor­te an den Fluss; auf den Arm sei­nes Die­ners ge­stützt folg­te wan­kend der Arzt. Noch lag der Mor­gen­ne­bel auf den Was­sern, als die Schif­fer mit großem Ge­schrei vom Ufer ab­stie­ßen. Auf ein schlech­tes La­ger, be­rei­tet von Stroh­bün­deln und Sä­cken, sank Si­mo­ne und ver­hüll­te das Haupt mit sei­nem Man­tel; in den Ne­bel hin­ein glitt der Kahn, und als die Son­ne die Düns­te, wel­che über dem Stro­me la­ger­ten, auf­ge­so­gen hat­te, war das Schiff mit den selt­sa­men Fremd­lin­gen längst den Au­gen des am Ufer lun­gern­den Wir­tes vom Schüt­zen­hau­se und sei­ner Knech­te ver­schwun­den.

Das war eine böse Fahrt!

Wie die fürch­ter­li­che Son­ne des Jah­res 1556 auf das Ge­hirn des kran­ken Si­mo­nes ihre Strah­len­pfei­le her­ab­schoss! Wie die Ge­gend lang­sam, lang­sam vor­über­schlich: Dör­fer, Fle­cken, Städ­te, Ber­ge, Wäl­der, Fel­der, Wie­sen! O Qual, Qual!

Oft ge­nug hielt das Schiff an, ehe es durch die Por­ta West­fa­li­ca glitt und in Min­den lan­de­te, wo der Arzt trotz dem Fie­ber, das ihn ver­zehr­te, sein Ross wie­der be­stieg, um halb be­wusst­los durch das Wie­hen­ge­bir­ge und quer durch das of­fe­ne Land gen Os­na­brück zu ja­gen. Zer­schla­gen an Leib und See­le ritt er hier end­lich ins Tor ein und hielt an in ei­ner dun­keln, en­gen, schmut­zi­gen Gas­se vor ei­nem mit künst­li­chem Schnitz­werk ver­zier­ten, bunt­be­mal­ten Gie­bel­hau­se. Ein je­des Kind in der Stadt kann­te die Be­hau­sung des großen Dok­tors Be­ne­dic­tus Meyen­ber­ger, und auch Si­mo­ne Spa­da aus Bo­lo­gna kann­te sie. Es war üb­ri­gens auch ein merk­wür­di­ges Haus – merk­wür­dig war der Tür­klop­fer, merk­wür­dig wa­ren die gräss­li­chen Frat­zen­ge­sich­ter, in wel­che die Dach­rin­nen aus­lie­fen, merk­wür­dig war die Wet­ter­fah­ne auf der Gie­bel­spit­ze, wel­che einen Sankt Ge­org vor­stell­te, wie er ohne Gna­de und Barm­her­zig­keit mit sei­nen hei­li­gen Fü­ßen auf dem Dra­chen her­um­tram­pel­te.

Mehr als ein­mal muss­te der arme, er­mü­de­te Paul den merk­wür­di­gen, höh­ni­schen Tür­klop­fer in Be­we­gung set­zen, ehe im In­nern des al­ten Ge­bäu­des sich je­mand reg­te.

End­lich er­schi­en ein al­tes Weib und schlug beim An­blick des kran­ken Ita­li­e­ners die Hän­de über dem Kop­fe zu­sam­men.

»Ihr wie­der, Meis­ter? O Je­sus, Ma­ria und Jo­seph, wie se­het Ihr aus! O was gibt es, was gibt es? Mö­get Ihr doch bes­se­re Bot­schaft brin­gen, als Euer Ge­sicht ver­kün­det. Tre­tet ein!«

Ohne auf die schwat­zen­de Alte wei­ter zu ach­ten, stürm­te der Arzt, dem das er­reich­te Ziel alle frü­he­ren Kräf­te wie­der­gab, an ihr vor­über und eil­te mit schnel­len Schrit­ten eine dunkle Trep­pe hin­auf, klopf­te an eine al­ters­schwar­ze, eben­falls mit Schnit­ze­rei­en ver­zier­te, hohe Tür und trat in ein weit­läu­fi­ges Ge­mach, in wel­ches die Abend­son­ne eben ihre letz­ten Strah­len sand­te.

Ein Greis er­hob sich schnell aus ei­nem Arm­ses­sel mit ho­her, stei­fer Leh­ne, hielt die Hand über die zwei­feln­den Au­gen und rief er­schreckt:

»Si­mo­ne Spa­da, du? Du?«

Mit zit­tern­den Hän­den stieß er den Ses­sel zu­rück und trat auf den jun­gen Arzt zu.

»Ja, ich, ich! Ich bin’s!« rief die­ser. »O rüs­tet Euch, wapp­net Euch ge­gen den Schre­cken, den ich Euch brin­ge, Mes­ser Be­ne­det­to!«

Der Alte griff hin­ter sich, als su­che er nach ei­ner Stüt­ze; er hielt sich am Ran­de des Ti­sches: »Faus­ta?!«

Si­mo­ne Spa­da nick­te, sank in einen Ses­sel und schlug die Hän­de vor dem blei­chen, ha­gern Ge­sicht zu­sam­men. Müh­sam fass­te sich der Meis­ter Meyen­ber­ger zu der Fra­ge:

»Ich bin ge­wapp­net. Sprecht, was ist’s mit ihr? Was ist ge­sche­hen?«

»Ent­flo­hen ist sie! Sie ist frei!«

»So schüt­ze uns Gott!« mur­mel­te dumpf der Alte. Die Bil­der längst ver­mo­der­ter Pa­tri­zi­er und Pa­tri­zi­e­rin­nen aus dem Hau­se der Meyen­ber­ger lä­chel­ten grim­mig her­ab von den Wän­den auf den letz­ten des Ge­schlech­tes, der nicht wie sie alle des »Nach­bars Kind« ge­frei­et hat­te und nun da­für büß­te. Das Ske­lett hin­ter dem Ses­sel des grei­sen Arz­tes schi­en die schöns­te Mi­nu­te sei­nes Da­seins zu ge­nie­ßen.

»Er­zäh­le!« sag­te der Dok­tor Meyen­ber­ger nach ei­ner lan­gen Pau­se. »Ich bin be­reit und kann nun al­les hö­ren. Hast du sie ge­se­hen, Si­mo­ne? Wo hast du sie ge­trof­fen? Er­zäh­le und ver­schwei­ge mir nichts; es ist Got­tes Wil­le, dass ich den Kelch der Schmer­zen bis auf die He­fen lee­ren soll.«

Und der jun­ge Arzt er­zähl­te: wie ihn auf sei­ner Heim­rei­se nach Ita­li­en das Gerücht von den Wun­dern, die sich am hei­li­gen Born zu Pyr­mont be­ge­ben soll­ten, be­wo­gen habe, dort­hin von sei­nem Wege ab­zu­schwei­fen – was da vor­ge­fal­len sei und wie und wo er die Faus­ta La Te­des­ca ver­las­sen habe.

Der Greis gab Zei­chen der im­mer mehr sich stei­gern­den Un­ru­he, Angst, Rat­lo­sig­keit von sich; er schlug die Hän­de zu­sam­men, er griff ein­mal so­gar nach ei­nem Se­zier­mes­ser auf dem Ti­sche wie nach ei­ner Schutz­waf­fe, bis ge­gen Ende der Er­zäh­lung Si­mo­nes eine voll­stän­di­ge Ver­än­de­rung über sein gan­zes We­sen kam. Ru­hig lau­schend saß er da, das Haupt war ihm zur Brust hin­ab­ge­sun­ken, nur die tie­fen Atem­zü­ge ver­kün­de­ten noch die Span­nung, mit wel­cher er dem Be­rich­te sei­nes jun­gen Freun­des folg­te.

Als die­ser zu Ende ge­kom­men war, sa­ßen die bei­den Män­ner aber­mals lan­ge Zeit im brü­ten­den Schwei­gen ein­an­der ge­gen­über.

»Und was soll nun ge­sche­hen? Was sol­len wir jetzt ge­gen sie tun?« frag­te end­lich Si­mo­ne Spa­da.

Der Alte er­hob das Haupt und schau­te mit ei­nem un­be­schreib­li­chen Aus­druck in den Au­gen auf.

»Nichts!« sag­te er. »Es ist al­les ge­sche­hen, was wir tun konn­ten, was in mensch­li­cher Macht lag; oder – oder – soll­te ich ihr den Dolch in das Herz sto­ßen?!«

Si­mo­ne Spa­da mach­te eine ab­weh­ren­de Be­we­gung des Schre­ckens.

»Das wäre das letz­te!« fuhr der Alte fort. »Nein, nein, es ist nichts mehr zu tun. Wie dich das Grau­en über­mannt hat, mein ar­mer Sohn! Nun sollst du dich ru­hen und dann – dann dein Ross wie­der be­stei­gen und heim­zie­hen in dein Va­ter­land. Du bist mein lie­ber, gu­ter Sohn, Si­mo­ne, und mei­nen Se­gen, den ich schon neu­lich dir ge­ge­ben habe, will ich von neu­em auf dein Haupt le­gen. Das Schick­sal hat dich wie mich schwer und hart ge­prüft; fas­se dich, mein ar­mes Kind! In dei­nem Va­ter­lan­de lebe still, tue Gu­tes, lin­de­re die Not der Ar­men und hei­le die Wun­den der Kran­ken! Sieh, ich bin alt, und mein Le­ben wird wohl nur noch von kur­z­er Dau­er sein; ich bin alt und müde, und mei­ne Au­gen wer­den dun­kel. O ich fühl’s, ich fühl’s, tö­richt ha­ben wir in Got­tes Wil­len ein­grei­fen wol­len – wir arme schwa­che Men­sch­lein. – Je­nen Herrn zu Pyr­mont hast du ge­warnt vor – vor ihr; was willst du fer­ner noch tun? Ach Si­mo­ne Spa­da, wir wol­len das an­de­re dem großen Gott über­las­sen! … Dir möge er Ruhe und Glück und eine stil­le Hei­mat für dei­nen künf­ti­gen Le­bens­weg ge­ben; mir aber möge er bald einen stil­len und sanf­ten Tod sen­den. Ruhe dich aus, und dann wol­len wir wie­der schei­den. – Ar­mes Kind, wie dei­ne Pul­se klop­fen!«

»O Meis­ter, Meis­ter!« schluchz­te der jun­ge Arzt.

»Jaja, Si­mo­ne, mein lie­bes Kind, gehe heim und den­ke dar­an, dass ›dro­ben wal­tet der große Zeus, der al­les sieht und lenk­t‹. Wir kön­nen nichts mehr tun, Si­mo­ne Spa­da, – nichts, nichts!«

Und ge­wal­tig brach nun doch der Schmerz und die Verzweif­lung bei dem al­ten Man­ne her­vor, er hob die Hän­de zum Him­mel em­por und rang sie fast wund:

»Wehe mir, wehe! Wie Dan­te Alig­hieri habe ich die Höl­le durch­wan­dert, die tote Fran­zes­ka und den Ver­füh­rer habe ich schwe­ben se­hen durch die pur­pur­ne Fins­ter­nis; alle Schreck­nis­se und Qua­len habe ich aus­ge­kos­tet, und noch im­mer ist es nicht ge­nug. – Wehe mir, wehe! Ver­ge­bens al­les, al­les ver­ge­bens!«

»O so las­set mich bei Euch blei­ben, als Euer treu­er Sohn!« rief Si­mo­ne, die Hän­de des al­ten Freun­des und Leh­rers fas­send, »Das Un­glück hat mich zu Eu­erm Sohn ge­macht, o las­set mich blei­ben bei Euch, dass wir zu­sam­men sit­zen mö­gen und kla­gen über die Herr­li­che – die Schreck­li­che – die Ver­lo­re­ne!«

Müh­sam hat­te sich der Greis ein we­nig ge­fasst.

»Nein, nein, nein«, sprach er; »du bist jung, Si­mo­ne, und zu lan­ge, all­zu lan­ge habe ich dich in mei­ne un­glück­se­li­gen Bah­nen hin­ein­ge­zo­gen. Gehe heim, mein Kind, gehe heim in dein schö­nes Va­ter­land; ar­bei­te, ver­giss und wer­de wie­der glück­lich!«

»Der Him­mel ist so dun­kel über mir wie über Euch, Meis­ter«, mur­mel­te Si­mo­ne Spa­da. »Nie wird es mir wie­der ta­gen. O las­set mich bei Euch blei­ben!«

Der Alte fass­te die Hand des Jün­gern Man­nes und führ­te ihn sanft an das Fens­ter und zeig­te ihm eine Spin­ne, wel­che da­selbst eben ihr Netz spann.

»Schau, Si­mo­ne, vor ei­ner Vier­tel­stun­de habe ich ihr das klei­ne Haus un­ver­se­hens zer­stört, schau, wie un­er­müd­lich sie alle die ab­ge­ris­se­nen Fä­den, an de­nen ihr Da­sein hängt, wie­der an­knüpft; fol­ge der Spin­ne, mein Kind, und knüp­fe die zer­bro­che­nen Fä­den dei­nes Da­seins auch wie­der an, su­che dir war­me, treue Freun­des­her­zen in der Hei­mat, an de­nen du sie be­fes­ti­gen kannst. Die Lie­be hast du ver­lo­ren, nun grei­fe mit dei­ner jun­gen Hand nach ei­ner an­de­ren Kro­ne, grei­fe nach dem Ruhm! Tö­rich­tes Kind, was willst du hier bei uns? Als Zau­be­rer und Schwarz­künst­ler dich zum Schei­ter­hau­fen schlep­pen las­sen? Gehe heim, gehe heim, Si­mo­ne Spa­da! Gehe nach Bo­lo­gna; ar­bei­te und ge­win­ne dir Ruhm und Ehre und ler­ne zu ver­ges­sen!«

»Aber Ihr bleibt al­lein, so schreck­lich al­lein mit dem Ge­dan­ken an – sie.«

»Nicht al­lein, Kna­be. Es wird frei­lich sel­ten ein mensch­li­cher Fuß die­ses Ge­mach be­tre­ten, aber dar­um wer­de ich nicht al­lein sein. Für den Kampf ge­gen die bö­sen Ge­dan­ken habe ich mei­ne Wis­sen­schaft, mei­ne Bü­cher, dort jene al­ten Schä­del und Ge­bei­ne; mei­ne treue Fe­der habe ich. Und den Kampf ge­gen das Ge­schick, – den, o Si­mo­ne, gebe ich nicht auf, weil ich Angst habe, son­dern weil ich müde, müde bis zum Tode bin.«

Der jun­ge Arzt er­hob sich von sei­nem Ses­sel, er schi­en ge­hen zu wol­len; aber jetzt ver­lie­ßen ihn die Kräf­te, er wank­te auf den Fü­ßen und wäre zu Bo­den ge­stürzt, wenn ihn der Meis­ter Meyen­ber­ger nicht un­ter die Arme ge­grif­fen hät­te. Der alte Arzt rief nach sei­ner Die­ne­rin, und mit ih­rer Hil­fe ge­lang es ihm, den Be­wusst­lo­sen auf ein La­ger zu brin­gen. Tief­ge­beugt saß er dann nie­der vor dem Bet­te und er­war­te­te das Wie­de­rer­wa­chen des Kran­ken. Die­ses trat aber erst ge­gen Mit­ter­nacht ein, und ver­wun­der­te Bli­cke warf Si­mo­ne Spa­da um­her, als er auf­fuhr aus sei­nem un­ru­hi­gen Schlum­mer.

»Ich bin’s, Si­mo­ne«, sag­te der Alte. »Be­ru­hi­ge dich, mein Kind, du sollst noch nicht ge­hen. Du bist schwach und hast dich zu sehr an­ge­strengt auf dei­ner schnel­len Jagd hier­her. Die Dora und ich, wir wol­len dich recht pfle­gen, wie einst vor lan­gen Jah­ren dei­ne Gro­ß­el­tern mich ge­pflegt ha­ben in dei­ner Va­ter­stadt Bo­lo­gna.«

Schwach drück­te mit fie­ber­haf­ter Hast der jun­ge Mann dem Grei­se die Hand, und die­ser schüt­tel­te trau­rig, be­denk­lich das Haupt über die Fort­schrit­te, wel­che die Krank­heit mach­te. Der nächs­te Mor­gen fand den Si­mo­ne Spa­da in den wil­des­ten Fie­ber­fan­tasi­en. Von Blut und Feu­er rief er ver­wor­re­ne Wor­te, von schö­nen Jung­frau­en, wel­che auf schwar­zen, fun­ken­sprü­hen­den Geis­ter­ros­sen durch don­nern­de Ge­wit­ter­wol­ken spreng­ten; von Sturm und Schiff­bruch träum­te er, vom Zu­sam­menschla­gen eis­kal­ter Wo­gen über sei­nem Haup­te; auf flam­men­dem Schei­ter­hau­fen wand er sich, und im­mer und im­mer wie­der rief er aus der To­des­qual mit schau­er­lich-ver­zwei­feln­der Stim­me den Na­men der falschen Ma­gie­rin Faus­ta La Te­des­ca. Selbst jetzt, dicht vor den To­ren der Ver­nich­tung, ließ die Ver­der­be­rin ihr Op­fer noch nicht los; sie um­schlang es im Ge­gen­teil mit im­mer in­ni­gern Ban­den, wie die Schlan­ge ihre Beu­te um­schlingt.

Be­ne­dic­tus Meyen­ber­ger glaub­te, der Kran­ke wer­de ihm un­ter den Hän­den ster­ben; ne­ben dem La­ger sei­nes jun­gen Freun­des, den er Sohn nann­te, saß der viel­ge­prüf­te Mann und ge­dach­te je­ner Nacht in Pa­dua, von wel­cher Faus­ta La Te­des­ca in dem Turm­ge­mach zu Pyr­mont ge­träumt hat­te.

In je­ner Nacht und den dar­auf fol­gen­den rang Si­mo­ne Spa­da auch zwi­schen Le­ben und Tod, da­mals rief er im Fie­ber­wahn­sinn eben­falls den Na­men, der jetzt wie­der gell das alte Haus zu Os­na­brück durch­klang. Auch da­mals saß Be­ne­dikt Meyen­ber­ger ne­ben dem La­ger des Ver­wun­de­ten und er­ret­te­te ihn.

Der deut­sche Meis­ter soll­te auch die­ses Mal den Tod durch sei­ne Kunst und sei­ne Lie­be zu dem Kran­ken be­sie­gen, aber erst nach lan­gen, lan­gen, schwe­ren, schmerz­vol­len Wo­chen!

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
18+
Hacim:
5251 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783962816056
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip