Kitabı oku: «Herz und Wissen», sayfa 23
Herr Null gehorchte.
»Nun also,« sagte Mrs. Gallilee, »schreiben Sie, wag ich zu thun gedenke!«
Die Aussicht sich an Teresa gerächt zu sehen, ließ sie neu aufleben. Für den Augenblick wenigstens sah sie beinahe wieder wie ihr altes Selbst aus.
Mr. Null wandte ein neues Blatt um und seine Hand zitterte ein wenig. Die diktierende Stimme sprach folgende Worte:
»Ich verbiete der Person Teresa bei Miß Carmina ferner als Pflegerin zu fungieren oder auch nur das Zimmer zu betreten, in welchem diese junge Dame jetzt krank liegt. Außerdem lasse ich diese Person wissen, daß meine Nichte wieder meiner Pflege zurückgegeben werden wird, sobald der Arzt ihren Transport gestattet. Und ich verlange, daß meine Sachwalter meine Autorität als Vormünderin morgen früh geltend machen.«
Mr. Null beendete den Brief in stiller Verzweiflung, zog sein Taschentuch hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ist solch’ schreckliche Anstrengung erforderlich, diese paar Worte zu sagen – zu einem so entkräfteten Geschöpf wie ich jetzt bin?« fragte Mrs. Gallilee bitter. »Lassen Sie mich hören, daß die Sachwalter ihre Instruktion erhalten haben, wenn Sie morgen zu mir kommen, und bringen Sie mir die Adresse einer empfehlenswerthen Krankenpflegerin. Guten Abend.«
Endlich durfte Mr. Null geben. Als er leise die Stubenthür hinter sich zuzog, erfüllte noch immer die Frage seine Seele: Was wird Teresa thun?
Capitel XLVIII
Selbst in der willkommenen Zurückgezogenheit des Schulzimmers fand Mr. Gallilee keine Ruhe. Es drängte sich ihm eine ganz neue beunruhigende Frage auf, die Frage über sich selbst in seiner Eigenschaft als Gatte und Vater. In den langen Jahren ehelichen Zusammenlebens gewöhnt, zu seiner Frau wie zu einem höheren Wesen emporzublicken, war er sich nun bewußt geworden, daß sie ihre Stellung in seiner Achtung verloren habe, unwiederbringlich. Indem er zunächst erwog, was nun mit Maria und Zo geschehen solle, bereitete er sich neue Verlegenheiten und neuen Kummer. Sie noch länger, wie er bisher gethan, ganz in der Gewalt ihrer Mutter zu belassen, hieß sie dem Einflusse eines Weibes preisgeben, das sein Vertrauen und seine Achtung längst verloren hatte. Er sann darüber nach im Schulzimmer, und sann noch immer darüber nach, als er zu Bett ging. Am nächsten Morgen gelangte er zur Entscheidung in Gestalt eines Vertrags. Er beschloß, Mr. Mools Rath und Beistand nachzusuchen. Sein erster Gang war zu Teresa, wo er eine beruhigende Nachricht über Carmina zu erhalten hoffte. Ihre betrübende Antwort erschöpfte sich in zwei Worten: »Keine Veränderung.« Er war davon so erschüttert, daß er nun auch die Wirthin mit Fragen bestürmte, unnütze Fragen zwar, aber doch herzlich gemeint und in der Hoffnung gethan, vielleicht noch eine trostreichere Antwort zu erhalten. Die Wirthin hörte ihn geduldig an; sie achtete den aufrichtigen Schmerz des sanften, bescheidenen alten Mannes. Aber auch sie hielt sich an die trockene Wahrheit. Die einzig mögliche Antwort war die, welche die Dienerin bereits ertheilt hatte. Als sie ihn hinausgeleitet, bat Mr. Gallilee, einen Augenblick in der Halle verweilen zu dürfen. »Wenn Sie erlauben, Madame,« sagte er, »so möchte ich mir noch die Augen trocknen, ehe ich auf die Straße hinaustrete.«
Da er unangemeldet im Büreau erschien, fand er Mr. Mool beschäftigt. Ein Schreiber überreichte ihm ein Blatt, auf welchem Mr. Mool geschrieben hatte: »Ist es etwas von Wichtigkeit? Gallilee schrieb in seiner einfachen, bescheidenen Weise zurück: »Nein, nein, es betrifft nur mich; ich werde wiederkommen.« Neben seinem kritisch ausgebildeten Champagnergeschmack hatte dieser ausgezeichnete Mensch noch eine nennenswerthe Eigenschaft, eine wunderschöne Handschrift. Da nun Mr. Mool ein paar krumme Striche und gekritzelte Buchstaben in der Antwort entdeckte, zog er daraus seine besonderen Schlüsse. Er ließ seinen alten Freund einfachen, noch ein wenig zu warten.
Nach zehn Minuten waren sie zusammen, Gallilee berichtete dem Advokaten, was nach Benjulia’s Besuch am vorhergehenden Tage weiter vorgefallen.
Einen Augenblick saßen beide Männer in sinnendes Schweigen versunken, von der vor ihnen liegenden Aufgabe in Schach gehalten. Als dann die Zeit zu einem Meinungsaustausch gekommen war, übte Jeder auf den Anderen einen Einfluß aus, dessen Beide sich gleich unbewußt blieben. Von dem gleichen Abscheu gegen Mrs. Gallilee’s Handlungsweise und dem gleichen Interesse für Carmina erfüllt, erstarkten Beide ineinander zu einem einzigen entschlossenen Charakter.
»Mein lieber Gallilee, dies ist eine sehr ernste Sache.«
»Mein lieber Mool, eben meine Ansicht davon, oder ich würde Sie nicht gestört haben.«
»Reden Sie mir nicht von Störung! Ich sehe so viele schwierige Verwickelungen vor uns, daß ich kaum weiß, wo zuerst beginnen.«
»Ganz mein Fall! Es ist mir eine Wohlthat, zu wissen, daß Sie meine Empfindungen theilen!«
Mr. Mool erhob sich und versuchte eine Zimmerpromenade, um so vielleicht auf einen erlösenden Gedanken zu kommen.
»Da ist nun diese bedauernswerthe junge Dame,« nahm er wieder das Wort. »Wenn sie sich erholt —«
»Nicht so, nicht so!« warf Mr. Gallilee ein. »Das klingt, als wenn Sie je an ihrem Auskommen zweifelten – nicht wahr, es scheint Ihnen doch auch so? Darum geben Sie Ihrer Meinung einen bestimmteren Ausdruck, Mool, um meinetwegen!«
»Selbstverständlich,« stimmte Mr. Mool bei. »Sagen wir also nicht wenn, sondern wann sie sich erholt. Die Schwierigkeit bleibt für uns immer dieselbe. Wenn nun Mrs. Gallilee ihr Recht geltend macht, was sollen wir thun?«
Hiernach erhob sich Mr. Gallilee und schritt seinerseits im Zimmer auf und nieder. Dieser wohlgemeinte Versuch endigte mit einem kläglichen Zusammenbruch.
»Wie kam nur ihr Bruder dazu, gerade sie zu ihrem Vormund zu machen?« rief er mit dem größten Schein von Vehemenz dessen er fähig war.
Der Advokat war so in seine eigenen Gedanken vertieft, daß es einer Wiederholung der Frage bedurfte, um seinem Freund die gewünschte Auskunft zu geben.
»Ich hegte jede Hochachtung für Mr. Robert Graywell,« sagte er. »Ein besserer Gatte und Vater – und ein besserer Künstler nicht zu vergessen – hat nie gelebt. Aber,« – und hier nahm Mr. Mool die Haltung eines charakterstarken Mannes an, der an einen anderen charakterstarken Mann appelliert, – »schwach, bedauerlich schwach. Seine Art und Weise war von der, wenn ich so sagen darf, selbstbewußten Art Ihrer Gattin so grundverschieden, daß, – nun daß er sich ihrem Einfluß nicht entziehen konnte. Wenn Lady Northlake nur etwas weniger eingezogen und still für sich gelebt hätte, würde die Sache wohl ganz anders ausgelaufen sein. Wie es aber nun einmal war (ich möchte jede beleidigende Darstellung des Sachverhaltes vermeiden), so hat Mrs. Gallilee ihn – ihn hintergangen, und nun hat sie die Macht in Händen, auf Grund des Testaments. Wir müssen dieses arme Mädchen beschützen; wir müssen handeln vollendete Mr. Mool, in einem Anfall muthvoller Energie.
»Wir müssen handeln!« wiederholte Mr. Gallilee, indem er seine Faust ballte und sie – vorsichtig auf den Tisch niederfallen ließ.
»Ich glaube, ich habe eine Idee,« nahm der Advokat wieder das Wort. »Ein eigener Ausspruch Miß Carmina’s hat sie mir eingegeben. Sind Sie – das heißt, besitzen Sie ihr Vertrauen, wenn ich fragen darf?«
»Bedeutend, bedeutend« rief Mr. Gallilee mit freudestrahlendem Gesicht. »Ich küsse sie immer beim gute Nacht sagen, und küsse sie wieder beim guten Morgen wünschen.«
Diese Beweisführung seines Freundes schien Mr. Mool in einige Verlegenheit zu sehen. »So sagen Sie mir doch,« fragte er, »hat sie jemals den Wunsch angedeutet, ihre Verheirathung beschleunigt zu sehen?«
So einfach diese Frage war, so sehr frappierte sie Mr. Gallilee; sein offenes ehrliches Gesicht sprach statt seiner – er besaß Carmina’s Vertrauen nicht.
»Das Einzige, was uns zu thun bleibt,« fuhr Mr. Mool fort, »ist, daß wir Mr. Ovid zu möglichst rascher Umkehr bewegen. Das ist meine Idee.«
»Wir wollen gleich daran gehen,« rief Mr. Gallilee.
»Aber sagen Sie mir, bitte,« drängte der der Ermuthigung bedürftige Mr. Mool, »entlastet mein Vorschlag auch Ihr Herz?«
»Mein erster glücklicher Augenblick in den letzten vierundzwanzig Stunden!« bestätigte Mr. Gallilee im dreigestrichenen Fistelton; sein Muth und seine Festigkeit wuchsen mit seinen Worten.
Der Eine holte eine Telegrammadresse hervor, der Andere ergriff eine Feder.
»Sollen wir die Anfrage in Ihrem Namen thun?« fragte Mr. Mool.
Wenn Mr. Gallilee hundert Namen gehabt hätte, er würde mit jedem einzelnen unterschrieben (und auch für jeden einzeln bezahlt) haben.
»John Gallilee, 14 Fairfield Garben, London. An —« da stand die Feder still. Ovid war noch immer im wilden Innern von Kanada. Der einzige Weg, sich an ihn zu wenden, war der seine Adresse von der Bank in Quebec zu ermitteln. An diese wurde also das Telegramm sogleich gerichtet. Dasselbe lautete:
»Bitte um telegraphische Uebermittelung der Adresse von Mr. Ovid Vere, sobald Ihnen dieselbe zu Händen kommt.«
Nachdem das Telegramm nach dem Büreau gesandt worden, trat ein Moment der Ruhe ein. Mr. Gallilee’s Zuversicht erlitt einen Rückfall.
»Wir werden lange warten müssen,« sagte er.
Sein Freund war derselben Meinung. Offen gesagt, Mr. Mools Stärke gravitirte nach der Richtung gesetzlicher Streitpunkte. Und da in der gegenwärtigen Besprechung keine Rechtsfrage zur Entscheidung stand, verfiel auch Mr. Mool der Niedergeschlagenheit, die sich seines Freundes bemächtigt hatte.
»Bis zur Rückkehr Mr. Ovids sind wir zur Unthätigkeit verdammt,« sagte er. »Inzwischen bleibt meines Erachtens Miß Carmina keine andere Wahl, als sich dem Willen ihrer Vormünderin zu beugen; es sei denn —« und dabei sah er Mr. Gallilee scharf an – »es sei denn, daß Sie Ihre gegenwärtige Stimmung in Bezug auf Ihre Gattin überwinden können.«
»Ueberwinden?« wiederholte Mr. Gallilee.
»Es scheint ja momentan kaum möglich, ich gestehe das zu,« meinte der würdige Advokat. »Sie haben einen sehr schmerzlichen Eindruck empfangen. Gewiß! Gewiß! Aber die Macht der Gewohnheit – ein langjähriges eheliches Zusammenleben – Ihre eigene Herzensgüte —«
»Wie meinen Sie denn?« fragte Mr. Gallilee bestürzt, ungeduldig, fast zornig.
»Ein wenig Ueberredung von Ihrer Seite, lieber Freund – im Augenblick der Versöhnung – könnte von dem besten Erfolge begleitet sein. Mrs. Gallilee dürfte von der Geltendmachung ihrer Rechte zeitweilig absehen, bis Zeit und Weile die bestehenden Feindseligkeiten ihres verletzenden Charakters entkleidet und herabgedämpft hat. Ich meine, ein Vertrag müßte zu Stande kommen, wenn Sie sich nur entschließen könnten, Ihrer Frau zu verzeihen.«
»Ihr verzeihen?« rief Mr. Gallilee in großer Aufregung. »Es würde mich nur zu glücklich machen, ihr zu verzeihen. Aber wie fange ich das an? Guter Gott! Mool, wie fange ich’s an? Sie haben jene niederträchtigen Worte nicht vernommen. Sie haben nicht den von tödtlicher Angst und Betroffenheit erfüllten Blick des armen Mädchens gesehen. Ich erkläre Ihnen, ich erstarre zu Eis, wenn ich nur an meine Frau denke! Ich habe die Dienstboten zu ihr hineingeschickt, wo ich selber hätte kommen müssen. Und nun noch meine Kinder, meine armen, lieben Kinder – es bricht mir’s Herz, zu denken, daß eine Mutter sie erziehen soll, die das sagen konnte, was sie gesagt und thun konnte. – Was für Anblicke werden ihnen werden, was werden sie sehen, frage ich Sie, wenn Carmina zurückgebracht wird und sie das reizende, liebliche Wesen so behandelt, wie sie behandelt wird? Ich hatte Stunden gestern Nacht, wo ich ernstlich daran denken konnte, sie für immer zu verlassen mit den Kindern. Aber was schwatze ich da! Ich hatte, ich wollte etwas sagen, und es ist mir entfallen. Ich kenne mich nicht mehr. Nun, nun; ich bin schon ruhig. Es ist mein armes dummes Hirn vermuthlich – heiß, Mool, brennend heiß! Aber nehmen wir Vernunft an! Ja, ja, ja, nehmen wir Vernunft an! Sie sind Advokat. Und als ich mich hierher wandte, sagte ich mir: »Ich werde Mool um Rath fragen.« Nun seien Sie ein braver lieber Kerl – beruhigen Sie mich über meine Kinder. Was kann ich für sie thun?«
Erstaunt und betrübt, nicht wissend, wie zu helfen, fand Mr. Mool erst jetzt sein Gleichgewicht wieder, wo sein Freund ihn in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Ratgeber in Anspruch nahm. Instinktmäßig verfiel er auf das richtige Mittel, Mr. Gallilee zu beruhigen.
»Hegen Sie keinerlei Besorgnisse in Betreff Ihrer Kinder,« sagte er sanft. »Da stehen wir noch, Gott sei Dank! auf einem festen Boden.«
»Meinen Sie, Mool?«
»Ich versichere Sie. Wo Ihre Töchter in Frage kommen, da haben Sie zu entscheiden. Seien Sie stark, Gallilee; seien Sie stark!«
»Ich werde es sein! Sie werden mir ein erhebendes Beispiel sein – nicht wahr? Sie sind stark – he?«
»Unerschütterlich wie ein Felsen. Ich bin Ihrer Meinung. Die Kinder müssen fort, wenigstens für den Augenblick.«
»Sogleich, Mool!«
»Sogleich!« wiederholte der Advokat.
Jetzt hatten sie einander zu dem richtigen Grad von Entschlossenheit aufgereizt. Ihre Stimmen drangen fast bis in die Schreibstube nebenan. »Ganz gleich, was meine Frau dazu sagt!« bedingte Mr. Gallilee.
»Ganz gleich, was sie sagt» entgegnete Mr. Moll. »Der Vater ist der Herr.«
»Und Sie kennen das Gesetz?«
Und ich kenne das Gesetz. Sie haben nur vorzugehen.«
»Und Sie nur mir zu sekundieren.«
»Um Ihrer Kinder willen, Gallilee!«
»Und auf Anrathen meines Rechtsbeistandes, Mool!«
Da waren sie nun endlich zu dem einzigen charakterfesten Mann verschmolzen, dem Ritter ohne Furcht und Tadel. Es hatte Mühe gekostet, und Beider Kräfte waren erschöpft Mr. Mool schlug ein Glas Wein vor.
Mr. Gallilee wagte einen kleinen Wink, indem er sagte: »Sie haben wohl nicht zufällig ein bischen Champagner bei der Hand?«
Der Advokat klingelte nach der Wirthschafterin.
Nach wenigen Minuten ließen sie einander in schäumenden Bechern hochleben. Noch fünf Minuten, und sie stürzten sich wieder ins Geschäft. Die Frage, wohin die Kinder gebracht werden könnten, war leicht beantwortet. Mr. Mool stellte sein eigenes Haus zur Verfügung, wobei er den einzigen Fehler zugestand, daß es Mrs. Gallilee so leicht erreichbar sei. Dieses Bedenken belebte Mr. Gallilee’s Erinnerung. Lady Northlake war in Schottland. Lady Northlake hatte Maria und Zo mehr als einmal eingeladen, den Herbst mit ihren Cousinen zu verleben; aber Mrs. Gallilee’s Eifersucht hatte immer einen glaubhaften Grund für eine Ablehnung erfunden.
»Schreiben Sie gleich,« rieth Mr. Mool. »Das läßt sich in zwei Zeilen sagen. Ihre Frau ist nicht wohl; Miß Carmina ist nicht wohl; Sie können London nicht verlassen – die Kinder verlangen nach frischer Luft.«
In diesem Sinne schrieb denn auch Mr. Gallilee; Er bestand darauf, daß der Brief gleich zur Post befördert werde. »Ich weiß, daß es noch lange hin ist, bis der Brief befördert wird,« erklärte er, »aber ich muß mich beruhigt wissen.«
Der Advokat setzte sein Glas von den Lippen wieder ab. »Erlauben Sie! Sie schwanken doch nicht schon wieder?«
»Nicht mehr als Sie,« antwortete Mr. Gallilee.
»Sie werden die Mädchen also wirklich fortschicken?«
»Die Mädchen sollen fort, am selben Tage wo Lady Northlakes Einladung eintrifft.«
»Ich werde mir das notieren,« sagte Mr. Mool.
Er machte sich eine Notiz.
Dann standen sie auf, um sich von einander zu verabschieden. Der treue Gallilee dachte noch immer an Carmina.
»Ueberlegen Sie sich’s noch einmal,« sagte er, als sie auseinander gingen. »Sind Sie sich dessen gewiß, daß eine gesetzliche Hilfe ihr nicht zusteht?«
»Ich könnte ihres Vaters Testament nachlesen,« entgegnete Mr. Mool.
Herrn Gallilee erschien die ihm gemachte Aussicht im rosigsten Lichte. »Warum haben Sie nicht schon früher daran gedacht?« fragte er.
»Vergessen Sie nicht,« sagte Mr. Mool mit sanftem Beweis, »was ich Alles zu bedenken habe. Es fällt mir aber jetzt erst bei, daß im Testament vielleicht etwas für den Fall vorgesehen ist, daß die Vormünderin sich der Verheirathung ihrer Mündel offen widersetzen sollte.«
Damit schwieg er. Er kannte Mrs. Gallilee’s Art zu opponieren nur zu wohl, um nicht die Hoffnungslosigkeit eines Erfolges in dieser Beziehung vorherzusehen. Aber er war von Mitleid bewegt und gab seiner Besorgniß keinen lauten Ausdruck.
Auf dem Nachhausewege begegnete Mr. Gallilee dem Kammermädchen seiner Frau. Sie warf eben einen Brief in den Säulenbriefkasten an der Ecke des Squares und wechselte die Farbe, als sie plötzlich ihres Herrn ansichtig wurde; Mr. Gallilee meinte, weil sie an ihren Geliebten geschrieben.
Eine angerauchte Cigarre im Munde, betrat er das Haus und ging stracks nach seinem Rauchzimmer. Unter ihm auf der Küchentreppe stand seine jüngste Tochter, als wenn sie aus Jemand oder Etwas warte. Aber er sah sie nicht.
»Hast Du’s gethan?« fragte Zo, als das Mädchen durch die Gesindethür hereintrat.
»Sicher im Postkasten, liebes Kind.«
Sie warf einen Blick in die Speisekammer, überzeugte sich, daß Niemand darin sei und winkte so.
»Nun aber sage mir,« flüsterte sie, »was Du gestern gesehen hast, wie Du in Miß Carmina’s Schlafzimmer versteckt warst?«
Der Ton, in dem sie sprach, war ein recht vertraulicher. Voll Begierde, zu erfahren, was am gestrigen Abend vorgefallen war, hatte Mrs. Gallilee’s Zofe sich des Wohlwollens des einzigen habhaft zu werdenden Zeugen versichert, indem sie Zo’s handschriftlichen Interessen mit aller Heimlichkeit gedient und eine überseeische Postmarke aus eigener Tasche bezahlt hatte. Auf dem Knie ihrer Freundin sitzend, genügte Zo der ihr daraus erwachsenen Verbindlichkeit mit einem zwar recht trägen, aber doch gewissenhaften Griff in ihre Erinnerungen vom gestrigen Tage.
Capitel XLIX
Mittag war schon vorüber, als Mr. Le Frank sich zu dem versprochenen Besuch bei Mrs. Gallilee einstellte. Er betrat das Zimmer finsteren Blicks und flötete seine höflichen Erkundigungen nach dem Befinden, wie es einem armen gedrückten Musikanten zukam, im sanftesten Pianissimo.
»Es thut mir leid, Madame, Sie noch auf dem Sopha zu finden. Noch immer keine merkliche Besserung ?«
»Keine.«
»Macht Ihnen Ihr Arzt keinerlei Hoffnung?«
»Er thut, was sie Alle thun – er predigt Geduld. Aber nichts weiter von mir! Sie scheinen mir etwas gedrückt.«
Mr. Le Frank gestand mit einem Seufzer, daß seine Erscheinung sich mit dem Zustande seines Innern gedeckt habe.
»Ich bin sehr schmerzlich enttäuscht worden,« sagte er. »Mein Künstlerstolz hat einen empfindlichen Stoß erhalten. Aber warum Sie mit meinen eigenen bescheidenen Angelegenheiten in Anspruch nehmen? Ich bitte tausendmal um Vergebung.«
Ein Blitz unruhiger Erwartung zuckte unter seinen der bescheidenen Bitte entsprechend gesenkten Augen hervor; er erwartete wohl eine Aufforderung, sich zu erklären.
Verschiedene Vorgänge vom Morgen hatten es Mrs. Gallilee wünschenswert erscheinen lassen, Herrn Le Franks Dienste in Anspruch zu nehmen. Sie erkannte die Notwendigkeit, hier etwas zu sagen und raffte sich rasch zu einer Frage auf.
»Ich hoffe, daß Sie keinen Grund zur Klage über Ihre Schülerinnen haben?«
In dieser Jahreszeit, Madame, habe ich keine Schülerinnen, Sie sind alle auf dem Lande.«
Mit ihren eigenen Angelegenheiten aufs Tiefste beschäftigt, nahm sich Mrs. Gallilee die Mühe nicht, noch weiter zu grübeln. Der gerade Weg war natürlich der beste und bequemste.
»Nun, was ist’s denn?« fragte sie mit einem Anflug von Ermüdung.
Diesmal antwortete er ohne Umschweife.
»Eine schwere Demüthigung, Mrs. Gallilee! Man hat mich gezwungen, zu bereuen, worum ich Sie kürzlich bat – mich mit der Entgegennahme der Widmung meines Liedes beehren zu wollen. Die Musikhandlungen, von denen der Verkauf abhängt, haben nicht den zehnten Theil der Nummern genommen, die wir für sie in Anschlag gebracht hatten. Hat denn der musikalische Geschmack eine so bedeutende Wandlung erfahren? Meine Komposition hat sich durchaus der modernen Richtung angepaßt, das heißt, der Richtung der modernen deutschen Schule. So wenig Melodie als irgend möglich, und dieses Wenige noch streng an die Begleitung gebunden. Und der Erfolg? Verlust statt des Profits – und mein Vertrag zwingt mich zur Tragung der halben Publikationskosten. Und was mich schmerzlicher noch trifft – Ihr ehrenwerther Name ist mit einem verfehlten Unternehmen assoziiert! Bitte, wenden Sie Ihr Auge von mir ab – Künstlerblut! – Mir wird gleich wohler sein.«
Damit zog er ein stark parfümiertes Taschentuch hervor und vergrub sein Gesicht darin mit dumpfem Stöhnen.
Mrs Gallilee’s nüchterner praktischer Verstand begriff sofort, was der gebrochene Komponist verlangte.
»Wie dumm von mir,« dachte sie, »ihm nicht schon gestern Geld angeboten zu haben. Man hätte gar nicht so viel Zeit zu verlieren brauchen.« Sie machte ihren Fehler kurz und bündig wieder gut, indem sie sagte: »Geben Sie sich keiner weiteren Besorgniß hin, Mr. Le Frank. Nun mein Name darauf steht, ist das Lied mein Eigenthum. Und wenn Ihres Verlegers Bericht gar so ungünstig lautet, schicken Sie das Lied mir zu.«
Mr. Le Frank ließ sogleich sein unbenetztes Taschentuch fallen und sprang mit theatralischem Schwunge von seinem Sitze auf. Seine großmüthige Beschützerin wollte ihn nicht anhören. Dieser herrlichen Frau war die Erhabenheit der Kunst ein unnahbares Heiligthum.
»Kein Wort mehr über diesen Gegenstand,« sagte sie. »Sagen Sie mir, wie Sie gestern Nacht gefahren. Ihre Nachforschungen können nicht entdeckt worden sein, sonst würde ich Kenntniß davon erlangt haben. Haben Sie etwas von Wichtigkeit im Zimmer meiner Nichte gefunden?«
Mr. Le Frank begriff die Situation und machte sich zum Herrn derselben mit drei Worten: »Urtheilen Sie selbst« Damit überreichte er einen Brief.
Er enthielt die Warnung des Pater Patrizio.
Stumm las Mrs. Gallilee die Zeilen, welche Carmina die zwingende Nothwendigkeit nahe legten, die Amme zu bewachen. Und noch immer schweigend, ließ sie den Brief auf ihren Schooß fallen.
»Beunruhigt Sie das?« fragte Mr. Le Frank.
»Es überwältigt mich,« sagte sie matt. »Lassen Sie mir Zeit zu denken.«
Mr. Le Frank schritt nach seinem Stuhl zurück. Er durfte sich beglückwünschen. Er hatte seine pekuniären Verpflichtungen für die verfehlte Komposttion auf ihre Schultern abgewälzt Und wie er jetzt Mrs. Gallilee betrachtete, kam ihm der Gedanke noch besserer Aussichten für die Zukunft. So lange hatte sie ihn immer in einer gewissen Entfernung erhalten. Bereitete sich jetzt die Gesinnungsänderung vor, die ihn zu der Stellung des vertrauten Freundes berief?
Sie nahm plötzlich den Brief wieder auf, und ihn ihm hinhaltend, fragte sie: »Welchen Eindruck macht das auf Sie, wo Sie einen tieferen Einblick noch nicht gewonnen haben?«
»Des Priesters vorsichtige Sprache ist ein Zeugniß für sich. Sie haben einen Gegner, der nimmer ruhen wird.«
Sie zögerte noch immer, ihn ins Vertrauen zu ziehen.
»Sie sehen mich hier an mein Zimmer gefesselt,« fuhr sie fort, »und mit der Aussicht, in dieser Hilflosigkeit noch lange Zeit ausharren zu müssen. Wie würden Sie sich an meiner Stelle gegen jenes Weib schützen?«
»Ich würde abwarten.«
»Wozu? Warum?«
»Ich würde, um mich der Sprache des Spieltisches zu bedienen, warten, bis das Weib ihre Karte zeigt.«
»Sie hat sie bereits gezeigt.«
»Darf ich fragen wann?«
»Heute Morgen.«
Mr. Le Frank verstummte. Wenn seines Rathes wirklich bedurft wurde, brauchte Mrs. Gallilee nur zu reden. Nach einem Augenblick der Ueberlegung ließ sie sich noch einmal von der bitteren Nothwendigkeit bestimmen.
»Sie sehen mich zu krank, um mich auch nur frei bewegen zu können,« sagte sie, »und meine erste Pflicht ist, Ihnen zu sagen, warum.«
Sie erzählte, was vorgegangen, ohne jeden Kommentar, ohne ein Zeichen innerer Bewegung. Aber ihres Gatten Abscheu vor ihr hatte einen Eindruck hinterlassen, den weder Stolz noch Verachtung niederzukämpfen vermocht hatten. Sie ließ den Musiklehrer glauben, daß eine Meinungsverschiedenheit in Betreff Miß Carmina’s Bevormundung einen Streit herbeigeführt habe, infolgedessen der Angriff erfolgte. Das jetzt Gesagte enthüllte Mr. Le Frank das einzige Geheimniß, das sie noch vor ihm gehabt hatte.
»Während ich besinnungslos dalag,« fuhr sie fort, »hat man meine Nichte heimlich fortgebracht. Sie hatte schon immer an nervösen Zufällen gelitten, und natürlich war sie jetzt vor Entsetzen ganz übermannt. Nun liegt sie in der Amme Wohnung krank, zu krank, um fortgebracht werden zu können. Nun wissen Sie alles, was bis gestern Abend vorgefallen.«
»Man könnte sagen,« warf Mr. Le Frank leicht hin, »daß der einfachste Weg aus der Verlegenheit der wäre, die Amme für ihre brutale Handlung vor den Richter zu citiren.«
»Der würde mich einer öffentlichen Bloßstellung aussetzen,« entgegnete Mrs. Gallilee »In meiner Lebensstellung ist das unmöglich angänglich.«
Mr. Le Frank ließ dieses Bedenken als selbstverständlich gelten. »Unter den Umständen,« meinte er, »ist es nicht leicht, Ihnen einen Rath zu ertheilen. Wie können Sie jenes Weib zu Ihrem Willen zwingen, so lange Sie hier krank liegen?«
»Meine Advokaten haben Ihre Unterwerfung schon heute Morgen erzwungen.«
»Den Teufel haben sie das!« rief der über die Maßen überraschte Le Frank, sich vergessend.
»Sie haben ihr verboten,« nahm Mrs. Gallilee wieder das Wort, »in meinem Namen verboten, meiner Nichte noch weiter als Amme zu dienen. Sie haben ihr eröffnet, daß Miß Carmina mir zurückgegeben werden wird, sobald ihre Krankheit dies gestattet und mir ihre bedingungslose Unterwerfung schriftlich und von ihr unterfertigt übermittelt.«
Sie nahm das Blatt von dem Pult neben sich und las:
»Ich bitte Mrs. Gallilee für mein ungesetzliches, gewalthätiges Betragen um Verzeihung. Ich erkenne ihre Autorität als Vormünderin Miß Carmina Graywells an und unterwerfe mich derselben. Und ich werfe mich ganz auf ihre Gnade und Güte (deren ich gewiß nicht würdig bin) und bitte, daß sie mir den Schmerz der Trennung von Miß Carmina ersparen möge, unter allen und jeden Bedingungen, die sie belieben mag mir aufzuerlegen.«
»Nun was meinen Sie dazu?« war die Schlußfrage.
Einmal aufrichtig sprechend, ließ sich Mr. Le Frank zu einer überraschenden Antwort hinreißen.
»Geben Sie Ihrerseits nach,« sagte er. »Thun Sie, um was sie bittet. Und wenn Sie wieder wohl genug sind, bemühen Sie sich nach ihrer Wohnung, ohne dort jedoch irgend etwas zu berühren, was sie Ihnen an Speisen und Getränken vorsetzen möge.«
Mrs. Gallilee richtete sich starr auf. »Herr, wollen Sie mich beleidigen, indem Sie diese furchtbar ernste Sache zum Gegenstande eines gemeinen Scherzes machen?« fragte sie.
»Ich sprach niemals ernster, Madame.«
»Sie meinen – Sie meinen im Ernst – jenes Weib wäre im Stande, mich zu vergiften?«
»Sicherlich, das ist meine Ueberzeugung.«
Mrs. Gallilee sank in ihre Kissen zurück.
Mr. Le Frank machte nun seine Gründe geltend, die er nacheinander an den Fingern abzählte.
»Wer ist sie?« hub er seinen Vortrag an. »Sie ist eine Italienerin, ein Weib aus dem Volke. Die Menschen, unter denen sie geboren und ausgewachsen, besitzen bekanntlich keine zu hohe Achtung vor der Unantastbarkeit eines Menschenlebens. Was wissen wir von ihr? Sie hat den Priester, dem sie sich in der Beichte vertraut und dem ihr ganzes Wesen offen liegt, mit Befürchtungen der schrecklichsten Art erfüllt und an Ihnen hat sie sich mit solcher mörderischen Wuth vergriffen, daß es Wunder nimmt, wie Sie nur mit dem Leben davonkamen. Und wie sind Sie ihr hiernach begegnet? Sie haben die Tigerin davon überzeugt, daß Sie Macht haben, sie von ihrem Jungen zu trennen. Angesichts dieser einfachen Thatsachen ist der vernünftigste Schluß welcher? Zu glauben, sie habe sich unterworfen, nun Sie sie gestellt haben – oder zu glauben, sie gewinne nur Zeit und sei fähig (wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sieht) Sie zu vergiften.«
»Was soll ich thun?«
Mit diesen Worten bewies Mrs Gallilee, daß sie sich Vernunftgründen nicht verschließe.
»Halten Sie ein wachsames Auge aus den Feind« entgegnete Mr. Le Frank. »Lassen Sie alle alle Bewegungen heimlich bewachen und durchsuchen Sie das Zimmer, in dem sie haust, wie ich gestern Abend Miß Carmina’s Zimmer durchsucht habe.«
»Nun?« fragte Mrs. Gallilee.
»Nun?« wiederholte Mr. Le Frank.
Sie ließ ihrem Mißmuth freien Lauf.
»Sagen Sie doch gleich, daß Sie der Mann sind, um das für mich auszuführen,« rief sie. »Und dann sagen Sie – wenn Sie das können – wie es geschehen kann.«
Mr. Le Frank befleißigte sich einer zarten Galanterie, als er antwortete: »Bitte, fassen Sie sich. Ich freue mich, Ihnen zu Diensten sein zu können; und es ist so leicht auszuführen.«
»So leicht?«
»Ganz leicht, theure Lady. ist das Haus nicht ein Haus, in welchem Zimmer mit und ohne Pension an einzelne Personen miethsweise überlassen werden; und habe ich zu dieser Jahreszeit denn etwas zu thun?« Er stand auf und griff nach seinem Hut. »Sicher, erkennen Sie mich nun in meiner neuen Würde. Ein einzelner Herr sucht ein Zimmer zu miethen – ruhige Lebensgewohnheiten – vorzügliche Empfehlung. Man wende sich an Mrs. Gallilee – Darf ich Sie um Ihre Adresse bitten?«