Читайте только на Литрес

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Herz und Wissen», sayfa 27

Yazı tipi:

Capitel LVII

Nachdem Mr. Null das Haus des Rechtsanwalts verlassen, hatte er seine Krankenbesuche zu machen, und er ging nun zuerst zu Carmina, in Betreff welcher er seit jenem unglücklichen Lärm wieder zweifelhaft und ängstlich zu werden anfing.

Im Wohnzimmer fand er Teresa mit der Wirthin in einer Berathung, mit deren Natur ihn erstere in ihrer Weise bekannt machte.

»Wir haben zweierlei, was uns Kopfschmerzen macht,« sagte sie, »und das Schlimmste von beiden ist der Musiklehrer. Man erzählt sich im Hospital – und jedenfalls geht das von ihm selbst aus —, daß ich ihm absichtlich die Finger gequetscht hätte. Das ist eine Lüge! Ich konnte ihn ja gar nicht sehen, und als ich der Schrankthür einen Stoß gab, wußte ich wahrhaftig nicht, wo er seine Hand hatte. Wenn ich etwas beabsichtigte, so wollte ich ihm höchstens eine Ohrfeige geben, weil er in meinem Zimmer herumspionierte. Hier unsere Freundin will sich erkundigen, wie es ihm geht, und meine Vertheidigung mitnehmen. Wir haben hier etwas für die Doktoren aufgesetzt; sehen Sie es doch einmal an, ob es kurz genug ist, um Niemandem lästig zu sein, und klar genug, um die Wahrheit zu sagen.«

Mr. Null bewies eine traurige Unkenntniß der ersten Grundsätze der Kritik. Er las nicht nur den ihm unterbreiteten Aufsatz von Anfang bis zu Ende durch, sondern sprach sich auch in höflichen Wendungen über den Verfasser aus.

»Nun zu der anderen Sache,« fing Teresa dann an. »Sie sagten, daß ich selbst krank werden würde, wenn ich nicht eine Unterstützung bei Carmina’s Pflege bekäme. Nun, die Person ist da.«

»Wo?«

Teresa zeigte nach der Kammer.

»Eine von mir empfohlene?« fragte Mr Null.

»Eine von sich selbst empfohlene? und wir mögen sie nicht leiden. Das ist das Zweite, was uns drückt.«

»Ohne meine Billigung hat keine Pflegerin hier etwas zu thun,« sagte Mr. Null in geziemender Berücksichtigung seiner Wichtigkeit. »Ich werde sie auf der Stelle fortschicken.«

Als er die grüne Thür aufstieß, saß eine Dame neben Carmina’s Bette. Selbst in dem hier herrschenden Dämmerlichte konnte er sich nicht irren – es war Miß Minerva.

Dieselbe erhob sich und machte ihm eine Verbeugung, die er steif erwiderte. Die schützende Sorge der Natur verleiht den Dummen ein instinktives Mißtrauen gegen das Fähige Mr. Null hatte Miß Minerva nie leiden können, und gleichzeitig fürchtete er sich etwas vor ihr. Dies war nicht die Art Wärterin, die sich auf der Stelle fortschicken ließ.

»Ich habe mit Angst auf Ihr Kommen gewartet,« sagte sie und führte ihn zu dem anderen Ende des Zimmers. »Carmina erschreckt mich,« fuhr sie im Flüstertone fort. »Seit einer Stunde bin ich hier, und als ich hereinkam, schien wieder Leben in ihr Gesicht zu kommen, und sie vermochte ihre Freude über meinen Anblick auszudrücken, so daß sogar die eifersüchtige alte Amme die Veränderung zum Bessern bemerkte. Warum hielt das nicht an? Sehen Sie sie an – o, sehen Sie sie nur an!t«

Der traurige Rückfall nach der kurzen Erregung war für Jeden sichtbar.

Das war die »scheinbare Paralysis«, die sich klar auf dem ganzen Gesichte zeigte. Carmina lag da, still wie eine Todte, mit abwesendem Blick nach dem Fußende des Bettes starrend. Mr. Null, dem dies Einmischen einer Frau in die Erfüllung seiner Pflicht durchaus nicht behagte, fühlte in mürrischem Schweigen den Puls der Patientin, die dabei weder die Augen bewegte, noch überhaupt zeigte, daß sie seine Berührung fühlte. Teresa, die es nicht erwarten konnte, die Aufdringliche fortgeschickt zu sehen, öffnete die Thür, sah herein und wurde von Miß Minerva eingeladen, ihren Platz am Bette wieder einzunehmen. »Ich bitte nur, denselben einnehmen zu dürfen,« sagte letztere rücksichtsvoll, »wenn Sie der Ruhe bedürfen.« Teresa wollte eine unliebenswürdige Antwort geben, fand aber nicht die Zeit, dieselbe in Worte zu kleiden, denn Miß Minerva wandte sich schnell an Mr. Null und sagte: »Ich muß Sie noch auf einige Worte sprechen, und werde im Wohnzimmer auf Sie warten.«

Ihr Aussehen erinnerte ihn an gewisse Momente in der Vergangenheit. Wenn sie auch nur ein Weib war, so besaß sie doch eine Entschlossenheit, die kein Widerstand erschüttern konnte; und so folgte er ihr ins Wohnzimmer und wartete mürrisch auf das, was sie zu sagen hatte.

»Ich will Sie nicht durch ein Eingehen auf meine eigenen Angelegenheiten belästigen,« begann sie, »sondern nur sagen, daß ich eher, als ich erwartet hatte, eine Stelle gefunden habe, und daß die Eltern wünschten, daß ich schon in Paris zu ihnen käme. Ich war Carmina einen Brief schuldig, hatte aber meine Gründe, nicht eher zu schreiben, bis ich wußte, ob sie London verlassen hätte oder nicht. In dieser Absicht sprach ich heute Morgen im Hause ihrer Tante vor; und das, was ich von der Dienerschaft hörte, brachte mich hierher. Ich mache keinen Kommentar und bitte nicht um Erklärungen; nur eins muß ich wissen, da Teresa mich deshalb an Sie verweist. Behandelt sie noch ein anderer Arzt?«

»Ich konsultiere mit Herrn Doktor Benjulia,« antwortete Mr. Null steif, »und erwarte denselben heute.«

Sie stutzte »Doktor Benjulia ?" wiederholte sie.

»Die größte Autorität, die wir haben!« erklärte Mr. Null in seiner entschiedensten Weise.

Stillschweigend beschloß sie, zu warten, bis Doktor Benjulia ankäme. »Wie lauten die letzten Nachrichten von Mr. Ovid?« fragte sie nach einiger Ueberlegung.

Er erzählte es ihr in wenigen Worten und es entging sogar ihm dabei nicht, daß es sie zu erregen schien.

»Ach, Mr. Null! wer soll ihn auf das vorbereiten, was er dort im Zimmer sehen wird? Wer soll ihm sagen, was er von seiner Mutter erfahren muß?«

»Die Sache ist mir überlassen!« verkündete Mr. Null mit seiner ganzen Würde. »Ich werde ihm ein Telegramm nach Queenstown entgegenschicken.«

Die hartnäckige Gefühllosigkeit seines Tones ließ sie das nicht aussprechen, was Mr. Mool bereits gesagt hatte. Auch sie empfand Theilnahme für Ovid, als sie an die grausame Kürze eines Telegramms dachte. »An welchem Datum wird das Schiff in Queenstown ankommen?« fragte sie.

»Um sicher zu gehen, werde ich in acht Tagen telegraphieren,« erwiderte Mr. Null.

Mit weiteren Fragen bemühte sie ihn nicht. Er war absichtlich stehen geblieben in der Erwartung, daß sie den Wink befolgen und gehen würde, und ging nun ans Fenster und sah hinaus. Sie blieb in ihrem Stuhle und überließ sich ihren Gedanken. Einige Minuten später ließ sich ein schwerer Tritt auf der Treppe vernehmen, und gleich darauf erschien Benjulia.

Er sah Miß Minerva scharf an, dabei unverhohlen seine Ueberraschung bekundend, sie hier im Hause zu finden. Sie erhob sich und machte den Versuch, sich ihn geneigt zu machen, indem sie ihm die Hand reichte. »Ich erwarte mit Spannung, Ihre Ansicht zu hören,« sagte sie freundlich.

»Das bekundet mir Ihre Hand, die an einem warmen Tage kalt ist,« antwortete er. »Sie sind ein erregbares Wesen.«

Dann sah er Mr. Null an und ging nach dem Schlafzimmer voraus.

Allein gelassen entdeckte Miß Minerva auf einem Seitentische Schreibutensilien, die hier für Mr. Nulls nächstes Rezept bereit gehalten wurden. Sie bediente sich derselben sofort, um an die Leute zu schreiben, welche sie engagiert hatten. »Eine theure Freundin von mir ist ernstlich krank und bedarf dringend meiner ganzen Pflege. Sollten Sie Willens sein, mich für eine kurze Zeit meiner Pflichten zu entheben, so wird Ihre Sympathie und Nachsicht an keine Undankbare weggeworfen sein. Können Sie mir diesen Gefallen nicht thun, so bitte ich um Verzeihung, daß ich Ihnen Unbequemlichkeiten verursache, und überlasse es einer Anderen, deren Gemüth die nöthige Ruhe hat, den Platz einzunehmen, den ich gegenwärtig nicht im Stande bin auszufüllen.«

Nach Beendigung dieses Briefes wartete sie auf Benjulia’s Rückkehr.

Als sie so nach der Kammerthür sah, lag Traurigkeit aber keine Aufgeregtheit aus ihrem Gesicht. Endlich war der Sieg über sich selbst gewonnen – sie wußte es im innersten Herzen. Carmina konnte ihr jetzt trauen, und Ovid selbst sollte es sehen!

Mr. Null kam allein nach dem Wohnzimmer zurück; Doktor Benjulia habe keine Zeit zu verlieren und die Kammer durch eine andere Thür verlassen.

»Da Sie ängstlich zu sein scheinen, so kann ich Ihnen sagen, daß mein Kollege Allem, was ich vorgeschlagen habe, beistimmt; wir erkennen die neuen Symptom, ohne die geringste Beunruhigung zu fühlen.« Nachdem er dies Bulletin aufgegeben hatte, nahm Mr. Null Platz, um sein Rezept zu schreiben.

Als er wieder aussah, war das Zimmer leer. Hatte sie das Haus verlassen? Nein; ihr Reisehut und ihre Handschuhe lagen dort noch aus dem anderen Tische. Er ging mit dem Rezepte in die Kammer. Dort war sie, und neben ihr saß die feindselige Amme und hörte ihr zu! Was für ein Thema konnte das nur sein, das zwei solchen Frauen neutralen Boden bot? Nur Mr. Null verließ das Haus, ohne im Geringsten zu argwöhnen, daß es Carmina sein könnte.

»Soll ich versuchen sie zu ermuntern?«

Teresa’s Antwort war, daß sie Miß Minerva schweigend den Platz am Bette abtrat. Diese berührte Carmina’s Hand und sagte: »Haben Sie die gute Nachricht gehört, liebe Carmina? Ovid kommt in etwas mehr als einer Woche zurück.«

Carmina sah widerstrebend ihre Freundin an und sagte dann mit Anstrengung: »Ich freue mich.«

»Sie werden sich besser fühlen, sobald Sie ihn gesehen haben,« fuhr Miß Minerva fort.

Das Gesicht der Kranken wurde leicht belebt. »Ich werde ihm Lebewohl sagen können,« antwortete sie.

»Nicht Lebewohl, mein Liebling. Er kehrt ja nach einer langen Reise zu Ihnen zurück.«

»Ich trete eine noch längere Reise an.« Dann schloß sie die Augen, sei es nun, daß sie zu matt oder zu gleichgültig war, um noch etwas zu sagen.

Verzweifelt gegen die Thränen ankämpfend, die ihr unwiderstehlich über das Gesicht rannen, zog sich Miß Minerva zurück. Die eifersüchtige Amme näherte sich ihr leise und küßte ihr die Hand, indem sie sagte: »Ich bin grob und dumm gewesen; Sie lieben sie fast ebenso wie ich.«

Eine Woche später verließ Miß Minerva London, um Ovid in Queenstown zu erwarten.

Capitel LVIII

Mr. Mool erwartete die Ankunft seines Freundes in Fairfield Garben, um ihm die eigentliche Bedeutung des kurzen vorsichtig gefaßten Telegramms zu erklären, durch welches er ihn aus Schottland herbeigerufen hatte. Aber Mr. Gallilee schien nur einem Gedanken kaum Raum geben zu können – dem Verlangen nach Versöhnung mit seiner Frau. Er bestand darauf, seine Gattin zu sprechen. Vergebens erklärte man ihm, sie sei völlig außer Stande, seine Wünsche zu erwidern oder auch nur zu verstehen. Und als man ihm schließlich kurzweg den Zutritt zum Krankenzimmer untersagte, da brach der gutmüthige Mann in so heftiges Schluchzen aus, daß sogar die Entschlossenheit der Aerzte erschüttert wurde. Der eine derselben ging nach oben, um mit den Wärterinnen zu sprechen, der andere meinte: »Man könnte ihn doch wohl zu der Kranken lassen.«

Aber sowie er in das Zimmer trat, erkannte ihn Mrs. Gallilee mit einem lauten Aufschrei wahnsinniger Wuth. Mit Mühe nur vermochten die Wärterinnen sie zurückzuhalten, bis Mr. Mool ihn wieder aus dem Zimmer gezogen und die Thür geschlossen hatte. Die Doktoren hatten Recht behalten. Mit seinen eigenen Augen hatte Mr. Gallilee sich von der traurigen Nothwendigkeit überzeugt, seine Gattin aus dem Hause zu entfernen. Mit seiner Zustimmung wurde sie noch an demselben Tage nach einer Privat-Irrenanstalt gebracht.

Maria und Zo hatte er in Schottland zurückgelassen, wo dieselben zum ersten Mal in ihrem Leben unter der liebevollen Obhut ihrer Tante und in der Gesellschaft ihrer Cousinen vollkommen glücklich waren. Mr. Gallilee selbst blieb in London, aber nicht allein und verlassen in seinem vereinsamten Hause. Sein Freund, der Rechtsanwalt, lud ihn ein, als Gast in seinem Hause zu wohnen, und dessen Frau und Töchter hießen ihn mit aufrichtiger Theilnahme willkommen. Es beruhigte ihn auch die Aussicht auf die nächste Zukunft: Ovids bevorstehende Ankunft war der Trost, an den er sich hielt.

Dann durfte er auch Carmina besuchen, denn man hoffte, gerade er würde angenehme Erinnerungen in ihr wachrufen, welche einen heilsamen Einfluß auf ihren Gemüthszustand ausüben könnten. Sie lächelte allerdings und gab ihm die Hand, als er an ihr Bett trat – aber das war auch Alles.

Ihr Anblick hatte ihn zu schmerzlich bewegt, als daß er danach verlangte, sie noch einmal zu sehen. Er beschränkte sich darauf, täglich sich in Person nach ihrem Befinden zu erkundigen, aber die Antwort war jeden Tag dieselbe.

Miß Minerva hatte vor ihrer Abreise von London auf eigene Hand die freien Parterrezimmer des Chambre garnie für Ovid gemiethet, denn sie kannte sein Herz, als wäre es ihr eigenes. Einmal unter demselben Dach mit Carmina, würde er es nicht wieder verlassen, bis sie entweder dem Leben und ihm wiedergegeben oder der Tod sie ihm für immer genommen. Als Mr. Gallilee hiervon hörte, ließ er das Schreibpult und die Bücher, sowie die Vasen und die verwelkten Blumen, die Carmina in Fairfield Gardens zurückgelassen, nach diesen Zimmern bringen, denn er dachte, Alles, was ihr gehört, wird sicherlich dem armen Jungen hochwillkommen sein, wenn er zurückkehrt.

An einem Nachmittag, den er nie wieder vergaß, trat er eben ins Haus, um seine tägliche Erkundigung über Carmina’s Befinden einzuziehen, als sich eine Thür im Parterre öffnete und Miß Minerva ihn zu sich winkte.

Ihr plötzlicher Anblick erschreckte fast Mr. Gallilee und er fragte ängstlich flüsternd, ob Ovid angekommen sei.

Sie zeigte nach oben und antwortete: »Er ist jetzt eben bei ihr.«

»Wie trug er ihren Anblick?«

»Das wissen wir nicht, wir hatten nicht den Muth, ihm in das Zimmer zu folgen.«

Während sie sprach, wandte sie sich zum Fenster. Dort saß Teresa – apathisch hinausblickend. Mr. Gallilee redete sie freundlich an, aber sie antwortete nicht, ja sie bewegte sich nicht einmal. »Ihre Kraft ist zu Ende,« flüsterte Minerva ihm zu, »wenn sie jetzt noch an Carmina denkt, so denkt sie ihrer ohne Hoffnung.«

Er schauderte. Seine eigene Furcht sprach sich in diesen Worten aus – und er entsetzte sich davor. Miß Minerva nahm seine Hand und führte ihn zu einem Stuhl. »Ovid wird am besten beurtheilen können, wie es steht,« mahnte sie ihn, »verzagen wir nicht, bis wir hören, was Ovid sagt.«

»Kamen Sie ihm bis an Bord des Dampfers entgegen,« fragte Mr. Gallilee.

»Ja.«

»Wie sah er aus?«

»So wohl und stark, daß Sie ihn kaum wiedererkannt haben würden.«

»Erschreckte ihn die Nachricht von Carmina?«

»Sprechen Sie nicht davon! Ich hatte Muth genug, ihm die volle Wahrheit zu sagen, aber nicht Muth genug, ihm dabei ins Auge zu sehen.«

»Sie gutes Mädchen! Sie liebes gutes Mädchen! Verzeihen Sie, wenn meine Frage Sie betrübte, ich hatte das nicht gewollt.«

»Nein, betrübt haben Sie mich nicht, Mr. Gallilee ist sonst noch etwas, worüber Sie von mir zu hören wünschten?«

Mr. Gallilee zögerte. »Ich möchte nicht gern davon sprechen,« sagte er, »aber da ist noch Eins. Erzählten Sie ihm, was geschah —?«

Er hielt inne, aber Miß Minerva verstand seine unvollendete Frage.

»Ja,« antwortete sie, »von seiner Mutter berichtete ich ihm zuerst.«

»Weshalb?«

»Ich dachte, er würde sie dann milder richten, wenn wir auf Carmina zu sprechen kämen. Ich meinte, wenn ich ihm dann sagen mußte —«

Mr. Gallilee unterbrach sie. »Sprechen Sie nicht weiter!« rief er mit entsetztem Blick. »Alles was ich besitze, würde ich darum geben, es vergessen zu können. Was sagte Ovid?«

»Um seiner Mutter willen verhinderte er mich, ebenso wie Sie, das Schrecklichste auszusprechen. Er sagte: »Es genügt mir zu wissen, daß sie es war, die die Schuld trug. Ich war darauf vorbereitet, als ich Zo’s Brief gelesen hatte; das Schweigen meiner Mutter konnte nur in einer Weise gedeutet werden. – Wissen Sie nichts davon, Mr. Gallilee, daß das Kind an ihn geschrieben hatte?«

Die Ueberraschung und das Entzücken, welches Zo’s liebevoller alter Vater bezeigte, als er die Geschichte des Briefes hörte, zwang Miß Minerva sogar in dieser Zeit der Angst und Sorge zu einem matten Lächeln. Ganz begeistert erklärte er, nur zwei Gründe hielten ihn ab, noch heute mit dem Courierzuge zu seiner geliebten Tochter zu eilen. Erst würde er noch seinen Stiefsohn sehen, ehe er nach Schottland zurückkehrte, und dann würde er erst noch alle Spielläden in London nach dem prachtvollsten Geschenk durchsuchen, was man einem kleinen Mädchen von zehn Jahren machen könnte. »Sagen Sie Ovid, mit meinem herzlichsten Gruß, daß ich morgen früh wiederkommen werde. Ich habe gerade noch Zeit genug vor dem Postschluß zu einem Brief an Zo.« Damit begab er sich eiligst nach seinem Klub, zum ersten Mal seit seiner Rückkehr nach London. Miß Minerva dachte der alten Zeit und fragte sich, wie ihm heute wohl sein Champagner schmecken würde.

Ein wenig später kam Doktor Null.

Andere Frauen in Miß Minerva’s und Teresa’s Lage hätten vielleicht nicht gewagt, dem Arzt den Zutritt zum Zimmer seiner Patientin zu verweigern. Aber diese beiden waren fest entschlossen. Sie weigerten sich sogar, Ovid auch nur durch die Meldung von der Anwesenheit des Doktors zu stören. Doktor Null war ernstlich beleidigt. »Verstehen Sie mich wohl, Sie Beide,« sagte er, »wenn ich morgen früh wiederkomme, werde ich darauf bestehen, nach oben zu gehen – und wiederholt sich dann diese Unhöflichkeit, so verzichte ich auf die weitere Behandlung der Kranken.« Damit verließ er das Zimmer, triumphierend in dem Narrenstolz seiner Unverschämten Selbstüberschätzung.

Sie warteten noch etwas länger, und noch immer kam keine Nachricht von oben. »Vielleicht ist es nicht richtig, daß wir hier bleiben,« meinte endlich Miß Minerva, »er wird lieber allein sein, wenn er von ihr kommt – gehen wir.«

Damit erhob sie sich, um nach dem Hause zurückzukehren, wo sie jetzt in Stellung war. Die Familie dort achtete sie hoch und fühlte mit ihr. So lange Carmina’s Krankheit dauern würde, hatte man ihr völlig freie Verfügung über ihre Zeit gegeben. Die Amme begleitete sie bis zur Hausthür, um sich dann nach dem Zimmer der Wirthin zu begeben. »Ich fürchte mich, allein zu bleiben,« meinte Teresa beim Abschiede, »sogar das Geplapper dieses alten Weibes von Wirthin kann ich leichter ertragen, als meine eigenen Gedanken.«

Dann blieben sie noch einen Augenblick lauschend im Flur stehen, die Treppe nach oben emporblickend, aber kein Laut drang zu ihren Ohren.

Capitel LIX

Von so vielen zerstörten Hoffnungen hatte sich wenigstens eine erfüllt: – sie waren wieder bei einander.

In dem verdunkelten Zimmer wären ihre matten Augen kaum im Stande gewesen zu sehen, wie qualvoll er litt, selbst wenn sie zu ihm aufgeblickt hätte. Aber es genügte ihr zu wissen, daß er neben ihr saß, und ihr Haupt an seiner Brust ruhen zu lassen, seinen Arm um ihren Nacken zu fühlen. »Ich bin glücklich, mein Theurer,« sagte sie, »diesen Augenblick noch erlebt zu haben.«

Das waren ihre ersten Worte – nach dem ersten Kusse. Sie hatte gezittert und geseufzt, wie er an ihr Lager eilte und sich über sie beugte; es war die einzige Aeußerung all ihrer Liebe und all ihrer Freude, die ihr noch möglich war. Aber ihre Schwäche schwand, ihr letzter Rest von Kraft sammelte sich durch der Liebe sanftes Drängen. Stumm für alle anderen Freunde, war sie jetzt im Stande, zu Ovid zu sprechen.

»Sonst athmetest Du so leise,« sagte sie; »wie kommt es, daß ich Dich jetzt höre? Ach, Ovid, nicht weinen! Ich könnte es nicht ertragen.«

Gefaßt antwortete er ihr: »Fürchte Dich nicht, mein Liebling. Ich werde Dich nicht betrüben.«

»Und ich darf Dir sagen, was ich sagen möchte?«

»Gewiß.«

Sie war zufrieden. »Erst möchte ich noch ein wenig ruhen.«

Er antwortete nichts, niedergedrückt durch die schwere Hand der Verzweiflung.

Einst hatte es eine Zeit gegeben, als seine Kraft und Gesundheit erschüttert waren, da die dunklen Schatten der stillen Nacht, wie sie auf die Gefilde sich senkten – da das schmetternde Lied der Lerche in der lichten Höhe des Mittagshimmels – da die süßen, halb verlorenen Erscheinungen einer andern Welt, welche der Musik göttliche Klänge in uns wieder wachrufen – da alles dies Thränen in seine Augen zu bringen vermochte. Jetzt waren seine Augen trocken! Seine einst so leicht erschütterten Nerven hatten auf den weiten Prairien und in der stärkenden Luft des fernen Westens Kraft und Festigkeit gefunden. Jenes Empfinden, das in Thränen zerfließt, ward überwältigt von der neuen Lebenskraft, welche seine Ideen durchströmte, unbekümmert darum, ob sie lebte oder ob sie starb. Jene tiefen Athemzüge, welche sie erschreckt, waren das letzte vergebliche Ankämpfen der Qual seiner Seele gewesen, welche durch die Kraft und Stärke seines Körpers den Weg zu den verlorenen Quellen der Thränen zu finden sich mühte, aber vergebens, denn die Kraft des Körpers trotzte der Schwäche der Seele. Die Natur hatte diesen Mann neugeschaffen – und die Natur kennt kein Mitleid, kennt kein Erbarmen.

Es kostete ihr Mühe, ihre Gedanken wieder zu sammeln – aber es gelang ihr – sie war im Stande, ihm zu sagen, was ihr die Seele bewegte.

»Was meinst Du, Ovid? Wird es Deiner Mutter gleich sein, was mit mir geschieht, wenn ich todt bin?«

Er fuhr entsetzt empor bei diesen schrecklichen und doch so sanft, so geduldig gesprochenen Worten. »Du wirst leben, meine Carmina!« rief er. »Wozu wäre ich hier, wenn nicht dazu, Dich dem Leben zurück zu gewinnen.«

Sie machte keinen Versuch, ihm zu widersprechen. Aber ruhig, beharrlich kam sie auf den Gedanken zurück, der sie beherrschte.

»Sage Deiner Mutter, Ovid, daß ich ihr vergebe, und daß ich sie dafür nur um eine Gunst bitte. Ich bitte sie, mich Dir zu lassen, wenn mein Ende gekommen. Mein Theurer, ich fühle in mir ein unüberwindliches Grauen. Laß mich nicht in einem großen Kirchhof begraben werden, übervoll von den vielen Todten! Ich sah einmal ein Bild – zu Hause, glaube ich, in Italien – ein englisches Bild von einem kleinen Kirchhof auf dem Lande. Die Schatten der Bäume breiteten sich so friedlich über die stillen, einsamen Gräber. Versprich mir, Ovid, versprich mir, daß Du mich nach solch einem Orte bringst!«

Er versprach es, und sie dankte ihm.

»Es war noch etwas,« sagte sie dann nach einer längeren Pause. »Mein Kopf ist so müde. Ob ich mich nicht wieder darauf besinnen kann?«

Nach einer Weile fiel es ihr ein. »Ich möchte Dir ein Andenken geben. Bitte, nimm mir meine goldene Halskette ab.«

Er gehorchte ihr. An der Kette hing ein Medaillon mit ihrem theuersten Reichthum, den Bildern ihres Vaters und ihrer Mutter.

»Trage sie um meinetwillen,« flüsterte sie. »Hebe mich auf; ich möchte sie Dir selbst um den Hals legen.« Vergebens suchte sie die Kette zu schließen. Ihr Haupt sank wieder aus seine Brust. »Zu müde, – immer jetzt – so müde! – Sage, daß Du mich lieb hast, Ovid.«

Er bestätigte es ihr.

»Küsse mich, Lieber!«

Er küßte sie.

»So, nun lege mich wieder auf mein Kissen Ich bin noch nicht achtzehn – und ich fühle mich so alt wie achtzig. Ruhe! Nach nichts sehne ich mich, als nach Ruhe!« Liebevoll ihn anblickend, schlossen sich ihre Augen, langsam, allmälig – dann öffneten sie sich noch einmal. »Bleibe nicht hier in diesem traurigen Zimmer, mein Liebling; ich werde Dich rufen lassen, wenn ich wieder aufwache.«

Das war der einzige ihrer Wünsche, dem er nicht gehorchte. Dann und wann faßten seine Finger ihren Puls und fühlten das schwache Schlagen desselben. Von Zeit zu Zeit beugte er sich über sie und ließ seine Wange von dem leisen Hauch ihres Athems streifen. Die Dämmerung kam, das Dunkel der Nacht begann das Zimmer zu ersticken. Und immer noch saß er regungslos an ihrem Lager, einem Manne gleich, der von unlösbarem Zauberbann gefesselt ist.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
06 aralık 2019
Hacim:
490 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок