Kitabı oku: «Mann und Weib», sayfa 9
Hester Dethridge näherte sich langsam dem Tisch, an welchem Lady Lundie saß; am Gürtel ihres Kleides hatte sie eine Schiefertafel mit einem Griffel hängen, deren sie sich bediente um solche Antworten zu ertheilen, die sie nicht durch eine Handbewegung oder ein einfaches Nicken oder Schütteln des Kopfes auszudrücken vermochte. Sie nahm Tafel und Griffel in die Hand und wartete mit steinerner Ergebenheit auf die Fragen ihrer Herrin. Lady Lundie eröffnete das Verhör mit der Eingangsfrage der sie sich bei allen übrigen Dienstboten bedient hatte: »Wissen Sie, daß Miß Silvester das Haus verlassen hat?« Die Köchin nickte mit dem Kopfe.
»Wissen Sie, wann das geschehen ist?«
Die Köchin nickte abermals und dass war die erste bejahende Antwort, die Lady Lundie erhalten hatte. Eifrig ging sie zur nächsten Frage über. Haben Sie Miß Silvester gesehen, als sie das Haus verließ?
Die Köchin nickte zum dritten Male.
»Und wo?«
Hester Dethridge schrieb langsam, in für eine Person ihres Standes merkwürdig festen und regelmäßigen Schriftzügen auf die Tafel die Worte: »Auf dem Wege der zur Eisenbahn führt, in der Nähe des Pachthofes der Mrs. Chew!«
»Was hatten Sie auf dem Pachthofe zu thun?«
Hester Dethridge schrieb: »Ich brauchte Eier für die Küche und etwas frische Luft für mich selbst.«
»Hat Miß Silvester Sie gesehen?«
Die Köchin schüttelte den Kopf.
»Nahm sie den Weg, der nach der Eisenbahn führt?«
Die Köchin schüttelte abermals den Kopf.
»Ging Miß Silvester weiter nach der Haide zur?«
Hester nickte mit dem Kopfe.
»Was that sie, als sie auf die Haide kam?«
Hester schrieb: »Sie schlug den Fußweg ein, der nach Craig Fernie führt.«
Lady Lundie sprang in großer Aufregung auf. Es gab nur ein einziges Haus, in welches eine Fremde in Craig Fernie gehen konnte.
»Also in den Gasthof?« rief Lady Lundie »Dahin ist sie also gegangen?«
Hester Dethridge rührte sich nicht.
Lady Lundie that eine letzte vorsichtige Frage mit den Worten: »Haben Sie irgend Jemandem davon etwas mitgeiheilt?«
Hester nickte.
Darauf war Lady Lundie nicht gefaßt gewesen. Sie dachte nicht anders, als Hester müsse sie mißverstanden haben. »Ich frage, ob Sie Jemandem etwas davon mitgetheilt haben?«
Hester nickte abermals.
»Jemand, der Sie wie ich befragte?«
Hester nickte zum dritten Male.
»Und das war?«
Hester schrieb auf ihre Tafel: »Miß Blanche.«
Lady Lundie fuhr entsetzt zurück bei der Entdeckung, daß Blanches Entschluß, Anne Silvester’s Spur zu verfolgen, allem Anscheine nach eben so fest sei, wie der ihrige. Ihre Stieftochter agirte also im Geheimen und auf eigene Verantwortlichkeit. Die Art, wie Miß Silvester das Haus verlassen hatte, empfand Lady Lundie als eine tödtliche Beleidigung. Als eine von Grund aus rachsüchtige Natur hatte sie fest beschlossen, jeden irgend compromittirenden Umstand in dem Geheimniß der Gouvernante herauszubringen und dem etwaigen Ergebniß ihrer Nachforschungen, natürlich nur aus reinstem Pflichtgefühl, die größtmögliche Verbreitung in ihrem Freundeskreise zu verschaffen. Wenn aber Blanche, wie es den Anschein hatte, in einer ganz entgegengesetzten Weise und nur im Interesse von Anne Silvester verfuhr, so war das Gelingen von Lady Lundie’s Bemühungen offenbar unmöglich. Was sie zunächst und zwar augenblicklich zu thun hatte, war, Blanche wissen zu lassen, daß sie von ihren Schritten unterrichtet sei und ihr streng zu untersagen sich ferner in die Sache zu mischen. Lady Lundie klingelte zwei Mal, was soviel bedeutete, als daß ihre Kammerjungfer erscheinen solle. Dann wandte sie sich wieder zu der Köchin die immer noch mit derselben steinernen Ruhe, ihre Schreibtafel in der Hand die Befehle ihrer Herrin erwartete. »Sie haben Unrecht gethan«, sagte Lady Lundie strenge, »ich bin Ihre Herrin, Sie haben mir Rede zu stehen!«
Hester Dethridge verneigte sich zum Zeichen ihrer Anerkennung des eben ausgesprochenen Princips.
Lady Lundie empfand diese Verneigung sofort als eine unpassende Unterbrechung. »Aber Miß Blanche ist nicht Ihre Herrin«, fuhr sie im scharfen Tone fort, »Sie sind sehr zu tadeln, daß Sie Miß Blanche’s Fragen über Miß Silvester beantwortet haben.«
Hester Dethridge schrieb, von diesem Vorwurf vollkommen unberührt, ihre Rechtfertigung in zwei ferneren Sätzen auf die Tafel: »Ich hatte keinen Befehl, Miß Blanche nicht zu antworten; ich bewahre Niemandes Geheimnisse, als meine eigenen.«
Durch diese Antwort war die seit Monaten schwebende Frage der Entlassung Hester Dethridges auf einmal entschieden. »Sie sind eine impertinente Person, ich habe es lange genug mit Ihnen ausgehalten und will es nicht länger, wenn Ihr Monat zu Ende ist gehen Sie.« Mit diesen Worten entließ Lady Lundie Hester Dethridge aus ihrem Dienste.
Nicht die leiseste Veränderung zeigte sich in dem finster-ruhigen Gesichtsausdruck Hester’s. Sie verneigte sich abermals zum Zeichen, daß sie das über sie verhängte Urtheil verstanden habe, ließ ihre Tafel herabhängen, drehte sich um und verließ das« Zimmer. Diese Person, die lebend und arbeitend auf der Welt umherging, war, soweit menschliche Interessen in Betracht kamen, so völlig außer allem Zusammenhang mit der Welt, als hätte sie eingesargt in ihrem Grabe gelegen.
In dem Augenblick, wo Hester das Zimmer verließ, trat Lady Lundie’s Kammerjungfer ein.
»Gehen Sie zu Miß Blanche und bitten Sie diese zu mir zu kommen, warten Sie einen Augenblick« – sie hielt inne und ging mit sich zu Rath. Blanche konnte sich weigern, sich die Einmischung ihrer Mutter gefallen zu lassen, es konnte möglicher Weise nothwendig werden, die Autorität ihres Vormundes in Anspruch zu nehmen.
»Wissen Sie, wo Sir Patrick augenblicklich ist?
»Ich hörte Simpson sagen daß Sir Patrick nach den Ställen gegangen sei, gnädige Frau!«
»Lassen Sie Sir Patrick durch Simpson sagen, ich bäte ihn freundlichst gleich zu mir zu kommen.«
Eben waren die Vorbereitungen für die Abreise nach dem Jagdschlößchen getroffen und es fragte sich nur noch, ob Sir Patrick die Gesellschaft würde begleiten können, als der Diener mit der Botschaft seiner Herrin erschien.
»Wollen Sie mir eine viertel Stunde Zeit gönnen, meine Herren?« fragte er. »Nach Verlauf dieser kurzen Frist werde ich bestimmen können, ob ich mitgehen kann oder nichts« Es versteht sich von selbst, daß die Gäste sich bereit erklärten zu warten; die Jüngeren unter ihnen brachten als Engländer natürlich die kurze Muße damit zu, darauf Zu wetten, ob Sir Patrick sich werde losmachen können, oder ob man ihn im Hause festhalten werde; auf das letztere wurde Zwei gegen Eins gewettet.
Genau nach Verlauf einer viertel Stunde erschien Sir Patrick wieder. Die häuslichen Verhältnisse hatten das blinde Vertrauen, welches Jugend und Unerfahrenheit auf ihre Macht gesetzt hatten, getäuscht, Sir Patrick hatte sich frei gemacht.
»Die Dinge sind soweit in Ordnung«, sagte Sir Patrick, »daß ich im Stande bin, mit Ihnen zu gehen. Es giebt zwei Wege nach dem Jagdschlößchen; der eine längste führt an dem Gasthof von Craig Fernie vorüber; ich muß Sie bitten, diesen Weg mit mir zu nehmen. Dort muß ich auf einige Augenblicke absitzen um im Gasthof mit Jemanden ein kurzes Wort zu reden. Sie reiten inzwischen ruhig weiter.«
Es war Sir Patrick gelungen, Lady Lundie und auch Blanche zu beruhigen, und zwar Beide durch das feste Versprechen, das er Jeder von ihnen besonders gegeben hatte, statt ihrer nach Craig-Fernie zu gehen und persönlich dort Anne Silvester aufzusuchen. Ohne Weiteres bestieg er nun ein Pferd und die Jagdpartie verließ unter seiner Anführung Windygates.
Der Gasthof
Neuntes Kapitel.
Anne
»Ich muß Ihnen nochmals bemerken, Madame, daß das Haus bis auf diese beiden Zimmer hier besetzt ist«, so sprach Mrs. Inchbare, die Wirthin des Gasthofes von Craig Fernie zu Anne Silvester, die, die Börse in der Hand, in dem einen der beiden Zimmer stand und sich erbot für beide Zimmer im Voraus zu bezahlen.
Es war Nachmittags, ungefähr um dieselbe Zeit, wo Geoffrey Delamayn den Zug nach London bestiegen und wo Arnold Brinkworth den Weg über die Haide eingeschlagen hatte, um sich nach Craig Fernie zu begeben.
Mrs. Inchbare war eine hagere, lange, respectabel aussehende Frau. Ihr häßliches Haar hing ihr in dünnen strohfarbigen Locken um den Kopf; sie trug ihre harten Knochen wie ihr hartes Puritanerthum ohne den leisesten Versuch, etwas davon zu verbergen, zur Schau; mit einem Wort, sie war eine entsetzlich respectable Frau, die mit stolzem Selbstgefühl einen entsetzlich respectablen Gasthof hielt. Sie hatte keinerlei Concurrenz zu befürchten; sie konnte ihre Preise und ihre Hausordnung nach Belieben feststellen. Wenn einmal Einer gegen ihre Preise oder ihre Hausordnung remonstrirte, so stellte sie es ihm einfach frei, anderswohin zu gehen, das heißt mit andern Worten, sich als ein heimathloser Wanderer in der unbarmherzigen schottischen Wildniß umherzutreiben. Das Dorf Craig Fernie bestand aus einem Haufen elender Hütten. Meilenweit umher war in der ganzen Gegend auf Berg und Haide kein zweiter Gasthof zu finden und kein Mensch kam überhaupt in den Fall, in dieser Gegend Schottlands Nahrung und Obdach von Fremden zu begehren, als hülflose englische Touristen. In dem ganzen weiten Reich der Hotel-Besitzer gab es keine unabhängigere Person als Mrs. Inchbare. Als unumschränkte Beherrscherin ihres einsamen Gasthofes war sie für das sonst wirksamste Schreckmittel aller Hotelbesitzer, das Schreckmittel einer ungünstigen Besprechung in den Zeitungen, vollkommen unempfindlich. Wenn es einem Gaste einmal zu arg wurde und er drohte, ihre Rechnung in den öffentlichen Blättern abdrucken zu lassen, erklärte Mrs. Inchbare, das möge er in Gottes Namen thun. »Schicken Sie die Rechnung wohin Sie wollen, wenn Sie sie nur bezahlen. So etwas wie eine Zeitung kommt nie über meine Schwelle. In Ihrem Zimmer finden Sie das alte und das neue Testament und im Frühstückszimmer die Naturbeschreibung von Perthshire und wenn Ihnen diese Lectüre nicht genügen sollte, so reisen Sie ruhig wieder ab und suchen sich anderswo etwas Besseres zu lesen.«
Das war der Gasthof, in welchem Anne Silvester allein, mit keinem weiteren Gepäck als einer kleinen Handtasche absteigen wollte; das war die Frau, deren Abneigung, sie bei sich aufzunehmen, Anne naiv genug war mit ihrer Börse überwinden zu wollen.
»Bitte, nennen Sie mir den Preis, ich bin bereit, ihn im Voraus zu bezahlen.«
Ihre Majestät Mrs. Inchbare würdigte der Börse keines Blickes.
»Die Sache ist die, Madame«, antwortete sie, ich kann Ihr Geld nicht nehmen, wenn ich Ihnen die verlangten Zimmer im Hause nicht geben kann. Das Craig Fernie Hotel ist ein Familien-Hotel und hat für die Aufrechthaltung seines guten Rufes zu sorgen.
Sie sehen mir viel zu gut aus, mein liebes Kind, um allein zu reisen.«
Es gab eine Zeit, wo Anne eine solche Bemerkung gebührend zurückgewiesen haben würde. Die harte Nothwendigkeit ihrer gegenwärtigen Lage machte sie jetzt geduldiger.
»Ich habe Ihnen schon gesagt«, erwiderte sie, »daß mein Mann mir noch heute hierher folgen wird« – und bei diesen Worten seufzte sie schwer und sank, unfähig länger zu stehen, in den nächsten Stuhl.
Mrs. Inchbare empfand bei ihrem Anblick gerade so viel Mitleid, wie sie geäußert haben würde, wenn ein verlaufener Hund mit wunden Füßen vor ihrer Thür niedergefallen wäre.
»Nun, lassen Sie es gut sein, bleiben Sie eine Weile hier und ruhen sich aus, dafür nehmen wir nichts und wir wollen dann sehen, ob Ihr Mann kommt, ich möchte lieber ihm als Ihnen die Zimmer vermiethen und somit guten Morgen!«
Mit dieser schließlichen Kundgebung ihres königlichen Willens zog sich die Beherrscherin des Gasthofes zurück; Anne antwortete nichts. Sie wartete bis die Wirthin das Zimmer verlassen hatte und that sich dann nicht länger Gewalt an. In ihrer Lage mußte sie jeden gegen sie ausgesprochenen Argwohn doppelt als eine Beleidigung empfinden. Heiße Thränen der Scham entrannen ihren Augen und ein furchtbares Herzweh bemächtigte sich ihrer. Plötzlich hörte sie ein kleines Geräusch im Zimmer; sie stutzte, sah aus und entdeckte in einer Ecke des Zimmers einen Mann, der die Möbel vom Staube reinigte und offenbar ein Kellner im Wirthshause war. Er hatte sie bei ihrer Ankunft in das Wohnzimmer geführt und sich daselbst bis zu diesem Augenblick so ruhig verhalten, daß sie ihn gar nicht gewahrt hatte.
Es war ein alter Mann, mit einem blinden und verschleierten und einem thränenden, munter blickenden Auge, mit kahlem Kopf, gichtischen Füßen, einer Nase, die mit Recht als die größte und rötheste von ganz Schottland berühmt war, und einem Munde, den die milde Weisheit des Alters in einem sanften Lächeln geheimnißvoll umspielte.
In der Berührung mit dieser verderbten Welt zeigte er in seinem Wesen die glückliche Mischung zweier Extreme, der vollkommensten Unabhängigkeit und der demüthigsten Servilität, deren nur ein Schotte fähig ist. Eine ungeheure natürliche Unverschämtheit, welche die Leute amüsirt, aber nicht verletzt, und eine unberechenbare Schlauheit, die sich gewöhnlich hinter der Doppelmaske einer eigenthümlich vorurtheilsvollen Befangenheit und eines trockenen Humors verbirgt, war die solide moralische Grundlage, auf welcher der Charakter dieses alten Mannes beruhte.
Keine noch so große Quantität von Whisky war im Stande, ihn betrunken zu machen und kein noch so leidenschaftliches Klingeln vermochte je seine Bewegungen zu beschleunigen. Das war der Oberkellner im Craig-Fernie-Hotel, weit und breit bekannt als Mr. Bishopriggs, Mrs. Inchbare’s rechte Hand!
»Was machen Sie da?« fragte Anne in scharfem Tone.
Bishopriggs drehte sich auf seinen gichtischen Füßen um, schwenkte sein Staubtuch ruhig in der Luft und sah Anne mit einem milden Lächeln an. »Ich? ich wische den Staub von den Möbeln und bringe das Zimmer für Sie hübsch in Ordnung!«
»Für mich? Haben Sie nicht gehört, was die Wirthin gesagt hat?«
Bishopriggs näherte sich ihr vertraulich und wies mit einem sehr unsichern Zeigefinger auf die Börse welche Anne noch in der Hand hielt.
»Machen Sie sich keine Sorge wegen der Wirthin«, sagte das weise Haupt der Kellner von Craig-Fernie; »Ihre Börse spricht für Sie Madame; stecken Sie sie ein«, rief er, indem er die Versuchung mit seinem Staubtuch von sich jagen zu wollen schien; »stecken Sie sie ein. So lange Menschen, Menschen sind, sage ich, hat eine Frau, die Geld in der Börse hat, überall ihren Werth!«
Anne’s Geduld, die härtere Proben bestanden hatte, riß bei diesen Worten.
»Was fällt Ihnen ein, daß Sie so vertraulich mit mir reden?« fragte sie, zornig auffahrend.
Bishopriggs nahm das Staubtuch unter den Arm und schickte sich an, Anne zu überzeugen, daß er die Ansicht der Wirthin über ihre Lage theile, ohne in der Strenge der Prinzipien mit ihr übereinzustimmen. »Es giebt keinen Menschen auf der Welt, sagte er, der mehr Nachsicht für menschliche Schwächen hätte als ich. O, warum soll ich nicht vertraulich mit Ihnen sein, ich, der ich alt genug wäre, Ihr Vater zu sein und gerne bereit bin, diese Rolle zu übernehmen. Kommen Sie, liebes Kind, bestellen Sie sich ein Bischen Mittagessen. Einerlei ob der Mann da ist oder nicht, Sie haben einen Magen und müssen essen. Wir haben Fisch und Geflügel oder vielleicht ziehen Sie Hammelbraten vor, den Sie aufgebraten bekommen können, wenn die Table d’hote vorüber ist!«
Es gab nur eine Art« ihn los zu werden. Bestellen Sie für mich, was Sie wollen, nur lassen Sie mich allein!«
Bishopriggs war mit dem ersten Theil dieses Satzes vollkommen einverstanden und nahm von dem zweiten nicht die geringste Notiz. »Uebertragen Sie mir nur die Wahrnehmung Ihrer Interessen, das ist das Klügste was Sie thun können, fragen Sie nur nach Bishopriggs, so heiße ich, wenn Sie eines anständigen, respectablen Mannes bedürfen, um Ihnen ein Rath zu geben. Setzen Sie sich doch! Aber nicht in den Lehnstuhl, den braucht Ihr Mann, wenn er kommt.«
Mit diesem passenden Scherz ging der ehrwürdige Bishopriggs Augenzwinkernd zur Thür hinaus. Anne sah nach der Uhr. Nach ihrer Berechnung konnte es nicht mehr lange dauern, bis Geoffrey im Gasthof eintreffen mußte, wenn er Windygates zur verabredeten Zeit verlassen hatte. – Noch ein wenig Geduld und die Skrupel der Wirthin würden beseitigt und die harte Prüfungsstunde für sie vorüber sein. Hätte sie nicht anderswo mit ihm zusammen treffen können, als in diesem barbarischen Hause, unter diesen barbarischen Menschen? Nein, außer in Windygates hatte sie in ganz Schottland keinen Menschen, den sie kannte; es gab keinen andern passenden Ort als den Gasthof und sie mußte noch dankbar dafür sein, daß derselbe so einsam gelegen war, daß sie nicht zu befürchten brauchte, Bekannte von Lady Lundie hier zu treffen.
Wie groß die Gefahr ihres Aufenthaltes in diesem Gasthofe auch immer sein mochte, der Zweck, den sie verfolgen mußte, rechtfertigte es, daß sie sich dieser Gefahr ausgesetzt hatte; ihre ganze Zukunft hing davon ab, daß Geoffrey sie zu seiner rechtmäßigen Frau machte, nicht die Zukunft an seiner Seite, darauf war nicht mehr zu rechnen, aber die Zukunft eines Lebens mit Blanche, auf das sie jetzt ihre ganze Hoffnung gesetzt hatte. Ihr Muth sank mehr und mehr; ihren Augen entrollten wieder Thränen; sie sagte sich aber, daß es ihn nur reizen würde, wenn er bei seiner Ankunft sie weinend fände; sie nahm sich daher zusammen und versuchte sich durch eine nähere Betrachtung des Zimmers zu zerstreuen. Da war wenig zu sehen. Außer seiner sehr soliden Bauart unterschied sich das Craig-Fernie Hotel in nichts von dem Durchschnitt englischer Hotels zweiten Ranges. Da stand das gewöhnliche, mit schwarzem Haartuch überzogene Sopha, das nur dazu gemacht schien, Diejenigen, die sich auf ihm ausruhen wollten, hinabgleiten zu lassen, da stand der gewöhnliche stark lackirte Lehnstuhl, der besonders dazu fabricirt zu sein schien, die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Rückgrats zu erproben. Die Wände waren mit den gewöhnlichen Papiertapeten beklebt, deren Muster Kopfschmerz und Schwindel bereiten. Da hingen die gewöhnlichen Kupferstiche, welche die Menschheit zu betrachten nicht müde wird; das Portrait der Königin an dem Ehrenplatz, daneben an der einen Seite das Bild des nächst größten aller menschlichen Wesen, des Herzogs von Wellington, und an der andern Seite das Portrait des Vertreters von Craig-Fernie im Parlament. Endlich in einer dunklen Ecke eine Jagdscene. Eine der Eingangsthür gegenüberliegende Thür führte in’s Schlafzimmer und ein Fenster an der Seite blickte auf den freien Platz vor dem Hotel hinaus und gewährte die Aussicht auf die weite Haide von Craig-Fernie, die sich von der Höhe, auf der das Haus stand, weit hinabzog.
Verzweiflungsvoll wandte sich Anne von der Betrachtung des Zimmers zur Betrachtung der Aussicht. Seit einer halben Stunde war das Wetter schlechter geworden, dichte Wolken hatten sich am Himmel gesammelt, die Sonne hatte sich versteckt und die Landschaft lag grau und finster da. Anne wandte sich ebenso verzweislungsvoll wieder vom Fenster ab.
Eben wollte sie den hoffnungslosen Versuch machen, ihre ermatteten Glieder auf dem Sopha auszuruhen, als der Klang von Stimmen und Fußtritten vor dem Hause ihre Aufmerksamkeit erregte.
War Geoffretys Stimme dabei? Nein! Stiegen die Fremden ab?
Die Wirthin hatte es ihr abgeschlagen, ihr die Zimmer jetzt schon zu vermiethen, es war leicht möglich, daß die Fremden die Zimmer zu sehen verlangten. Und wenn sich unter Ihnen ein Bekannter befand? In ihrer Besorgniß flüchtete sie sich in’s Schlafzimmer und schob den Riegel vor die Thür.
Im nächsten Augenblick wurde die Thür nach dem Wohnzimmer vom Vorplatz aus geöffnet und Arnold Brinkworth trat von Bishopriggs geführt in’s Zimmer herein.
»Niemand hier!« rief Arnold sich umsehend aus. »Wo ist sie?«
Bishopriggs deutete auf die Thür des Schlafzimmers. »O, Ihre liebe Frau ist gewiß in? Schlafzimmer gegangen.«
Arnold fuhr zusammen. Er hatte, als er die Sache mit Geoffrey in Windygates überlegte, kein Bedenken getragen, sich im Gasthof als Anne Silvester’s Mann zu präsentiren, die Ausführung dieser Verabredung machte ihn jedoch, gelinde gesagt, im ersten Augenblick ein wenig verlegen. Da stand der Kellner, der Miß Silvester als seine Frau bezeichnete und es höchst natürlicher und schicklicher Weise dem Manne der »lieben Frau« überließ, an die Thür ihres Schlafzimmers zu klopfen, um ihr zu sagen, daß er da sei.
In seiner Verzweiflung fragte Arnold nach der Wirthin, die er bei seiner Ankunft im Gasthause noch nicht gesehen hatte.
»Die Wirthin ist gerade damit beschäftigt Rechnungen auszuschreiben«, antwortete Bishopriggs, »aber sie wird gewiß gleich kommen, die viel beschäftigte Frau, um auszuforschen, wer Sie sind, wie sie ja die ganze Last der Geschäfte des Hauses auf ihren Schultern trägt.« Mit einer geschickten Wendung ging er von der Wirthin auf sich selbst über. »Ich habe einstweilen dafür gesorgt, es Ihrer Frau so comfortable wie möglich zu machen«, flüsterte er, verlassen Sie sich ganz auf mich.«
Arnold war ganz von dem Gedanken an die Schwierigkeit erfüllt, wie er Anne seine Ankunft wissen lassen solle; wie bringe ich sie da heraus? fragte er sich mit einem verzweifelten Blick aus die Thür des Schlafzimmers. Er hatte die Worte laut genug gesagt, um von dem Kellner gehört zu werden. Arnold’s betroffener Blick spiegelte sich aus der Stelle in Bishopriggs Gesicht wieder.
Der Oberkellner von Craig-Fernie hatte eine außerordentlich umfassende Erfahrung von dem Benehmen und dem Wesen jung verheiratheter Paare auf ihrer Hochzeits-Reise. Unzähligen jung verheiratheten Frauen und Männern war er mit glänzenden Erfolgen ein zweiter Vater gewesen. Er kannte jung verheirathete Paare aller Art: Paare, die sich das Ansehen gaben, als wenn sie schon lange Jahre verheirathet wären, Paare, die keine Verstellung versuchen und die sich von älteren Leuten rathen lassen, Paare, die aus Verlegenheit vor dritten Personen sehr gesprächig sind, Paare, die aus dem selben Grunde vor Andern sehr schweigsam sind, Paare, die gar nicht wissen, was sie anfangen sollen, Paare, die wünschen, die Sache wäre vorbei, Paare, bei denen man sich hüten muß jemals in’s Zimmer zu treten, ohne vorher anzuklopfen Paare, die sich fähig fühlen in den Pausen ihrer Seligkeit etwas körperliche Nahrung zu sich zu nehmen und wieder andere Paare die dazu nicht im Stande sind. – Aber der jung verheirathete Mann, der rathlos an der einen Seite einer Thür steht, hinter welcher die junge Frau sich verschlossen hält, war eine, selbst für einem auf diesem Gebiet so erfahrenen Mann wie Bishopriggs, bisher unbekannte Spielart der Gattung jung verheiratheter Paare.
»Wie Sie sie da herausbringen sollen? Das will ich Ihnen sagen!«
Er ging so schnell, wie seine gichtischen Füße es ihm gestatten wollten, an die Schlafstubenthür, klopfte an und rief: O, Madame, er ist da, hier steht er leibhaftig. Mein Gott, wie kommen Sie dazu, die Thür ihrer Brautkammer Ihrem Manne vor der Nase zu verschließen?«
Auf diese Anrede, die nicht gut zu beantworten war, folgte eine Verschiebung des Riegels hinter der Thür. Bishopriggs winkte Arnold mit seinem einen sehenden Auge zu und legte seinen Zeigefinger bedeutungsvoll an seine ungeheure Nase. »Ich gehe, ehe Sie ihr in die Arme sinken und verlassen Sie sich darauf, ich komme nicht wieder herein, ohne vorher angeklopft zu haben.« Er ließ Arnold im Zimmer allein.
Die Thür des Schlafzimmers öffnete sich ganz langsam ein wenig, so daß man die Stimme Anne’s, die hinter derselben stand und sprach, eben vernehmen konnte. »Bist Du es, Geoffrey?«
Arnold, der voraussah, was nun gleich kommen mußte, ward es schwer um’s Herz, er wußte weder, was er sagen noch was er thun sollte. Er schwieg.
Anne wiederholte die Frage lauter: »Bist Du es?«
Natürlich mußte es sie beunruhigen, wenn jetzt keine Antwort erfolgte; da half also nichts mehr, es mochte daraus entstehen, was wolle, Arnold mußte antworten und sagte: »Ja.«
Die Thür flog weit auf und Anne Silvester stand ihm an der Schwelle gerade gegenüber. »Herr Brinkworth!« rief sie, starr und regungslos vor Erstaunen.
Einen Augenblick schwiegen Beide. Anne trat einen Schritt in’s Wohnzimmer vor und that die nächste unvermeidliche Frage mit einer plötzlichen Wandlung des Erstaunens in Argwohn: »Was wollen Sie hier?«
Die einzige mögliche Entschuldigung für Arnoldts Erscheinen an diesem Ort war in Geoffrey’s Brief enthalten. »Ich habe einen Brief für Sie«, sagte er und überreichte ihr denselben.
Aber sie nahm ihn vorsichtiger Weise nicht gleich an. Arnold war ihr, wie dieser selbst schon gegen Geoffrey bemerkt hatte, fast ganz fremd. Ein furchtbares Vorgefühl eines von Geoffrey gegen sie verübten Verrathes überkam sie, sie weigerte sich, den Brief zu lesen. »Ich erwarte keinen Brief, woher wissen Sie daß ich hier bin?« Sie that diese Frage nicht nur in einem argwöhnischen Tone, sondern auch mit einem geringschätzigen Blick, der für einen Mann nicht leicht zu ertragen war.
Arnold bedurfte seiner ganzen Selbstbeherrschung um ihr mit der schuldigen Rücksicht zu antworten.
»Werden meine Bewegungen beobachtet«, fuhr sie zornig fort, »und haben Sie die Rolle eines Spions übernommen.
»Sie kennen mich noch nicht lange, Miß Silvester«, antwortete Arnold ruhig, »aber Sie sollten mich doch schon gut genug kennen, um nicht so etwas zu glauben; ich bin der Ueberbringer eines Briefes von Geoffrey.«
Sie war im Begriff seinem Beispiel zu folgen und auch ihrerseits von Geoffrey mit seinem Vornamen zu reden, aber sie hielt inne, bevor sie das Wort ausgesprochen hatte.
»Sie meinen Herrn Delamayn?« antwortete sie kalt.
»Ja.«
»Welche Veranlassung hat Herr Delamayn, mir zu schreiben?« Sie war entschlossen sich zu nichts zu bekennen und hielt ihn beharrlich von sich fern.
Arnold that instinctmäßig, was ein Mann von großer Welterfahrung aus Berechnung gethan haben würde.
Er faßte sich in Dem was er ihr zu sagen hatte ganz kurz.
»Es nützt Ihnen nichts, Miß Silvester, hinter dem Berge zu halten; wenn Sie den Brief nicht nehmen wollen, so zwingen Sie mich zu reden; ich bin hier mit einem höchst unangenehmen Auftrag, und fange an, aus Herzensgrund zu wünschen, daß ich denselben nicht übernommen hätte.«
Ein schmerzlich krampfhaftes Zucken überflog ihr Gesicht. Sie fing an ihn zu verstehen.
Er zauderte, seine edle Natur sträubte sich dagegen, sie zu verletzen.
»Fahren Sie fort«, sagte sie mit großer Selbstüberwindung.
»Versuchen sie es, nicht böse auf mich zu sein, Miß Silvester, Geoffrey weiß, das er mir vertrauen kann.«
»Ihnen vertrauen« unterbrach sie ihn. »Warten Sie!«
Arnold hielt ein und sie sagte nicht zu ihm, sondern zu sich selbst: »Als ich im Nebenzimmer war, fragte ich, ob Geoffrey hier sei und dieser Mann antwortete für ihn.«
Mit einem Schrei des Entsetzens trat sie ihm einen Schritt näher. »Hat er Ihnen gesagt —?«
»Um Gotteswillen, lesen Sie doch seinen Brief?«
Gewaltsam stieß sie die Hand, mit der er ihr den Brief reichte, von sich. »Sie können mir nicht gerade in’s Gesicht sehen, er hat es Ihnen gesagt?«
»Lesen Sie doch seinen Brief«, wiederholte Arnold, um seinetwillen, wenn nicht um meinetwillen.«
Arnold, dem die peinliche Situation nachgerade unerträglich geworden war, hatte diese letzten Worte mit männlicher Entschlossenheit in Blick und Ton gesprochen.
Sie nahm den Brief. »Verzeihen Sie mir, Herr Brinckworth« sagte sie in einem plötzlichem ebenso überraschenden wie ergreifenden Uebergang zur tiefsten Demuth in Ton und Wesen, »jetzt erst verstehe ich meine Lage recht, ich bin ein zwiefach verrathenes Weib, verzeihen Sie mir, was ich eben gesagt habe, als ich noch einen Anspruch auf Ihre Achtung zu haben glaubte; jetzt werden Sie mir vielleicht Ihr Mitleid nicht versagen, auf etwas Anderes habe ich keinen Anspruch mehr.
Arnold schwieg. Einer so vollkommenen Verzweiflung gegenüber war jedes Wort umsonst. Kein Mensch, selbst Geoffrey nicht, hätte bei ihrem Anblick ungerührt bleiben können. Jetzt erst warf sie einen, Blick auf den Brief, sie öffnete ihn auf der verkehrten Seite. »Mein eigener Brief, sagte sie, »in den Händen eines Dritten!«
»Sehen Sie die letzte Seite an«, sagte Arnold.
Sie sah die letzte Seite an und las die eilig mit Bleistift geschriebenen Zeilen. »O, der Elende, der Elende, der Elende!« Bei der dritten Wiederholung dieser Worte ballte sie den Brief krampfhaft in der, Hand zusammen und schleuderte ihn weit von sich in eine Ecke des Zimmers, aber schon im nächsten Augenblicke hatte sich ihr Zorn wieder gelegt. Schwach und langsam streckte sie die Hand nach dem nächsten Stuhl aus, setzte sich, Arnold den Rücken zugewandt, auf denselben und sagte: »Er hat mich verlassen.« Das war Alles, was sie hervorzubringen vermochte. – unheimlich unterbrachen diese Worte die tiefe, im Zimmer herrschende Stille; sie waren der Ausdruck eines unermeßlichen Schmerzes.
»Sie haben Unrecht, Sie irren sich! Es ist keine Ausrede, es ist die Wahrheit! Ich war zugegen, als die Nachricht von seinem Vater eintraf.«
Ohne auf seine Worte zu hören, saß sie regungslos’ da und wiederholte: »Er hat mich verlassen!«
»Fassen Sie es doch nicht so auf«, bat Arnold »es ist schrecklich, Sie so reden zu hören, ich weiß gewiß, daß er Sie nicht verlassen hat.« Sie antwortete ihm nicht und gab auf keine Weise zu erkennen, daß sie ihn gehört hatte. Wie vom Schlage getroffen, saß sie da und doch konnte er in diesem Augenblick die Wirthin unmöglich rufen. In seiner verzweifelten Rathlosigkeit, wie er sie wieder zu sich bringen solle, rückte er sich einen Stuhl neben sie und klopfte ihr schüchtern auf die Schultern. Kommen Sie, sagte er in seiner einfach kindlichen, herzlichen Weise, »seien Sie doch guten Muthes.«
Langsam wandte sie den Kopf nach ihm um und sah ihn mit dem Ausdruck stampfen Erstaunens an. »Sagten Sie nicht vorhin, er habe Ihnen Alles erzählt?«
»Ja!«
»Ja? und Sie verachten mich nicht?«
Bei dieser fürchterlichen Frage mußte Arnold an das einzige Wesen denken, das ihm ewig heilig war, an das Weib, das ihm das Leben gegeben hatte.
»Wer seine Mutter geliebt hat,« erwiderte er, »kann kein Weib verachten.«
Diese Antwort brachte ihren bis jetzt zurückgehaltenen Jammer zum Ausbruch; sie reichte ihm die Hand, dankte ihm mit schwacher Stimme und fühlte sich endlich durch einen Strom von Thränen erleichtert.