Kitabı oku: «Verbergen und Suchen», sayfa 29
»Wohl an, ich will Sie nicht gegen Ihren Willen zwingen, noch länger zu verweilen«, sagte Mr. Blyth etwas verstimmt. »Ich will Ihnen nur danken für Ihre herzliche Güte, die Sie mir bewiesen haben, und lebe der Hoffnung, dass wir uns nach meiner Rückkehr vom Lande wiedersehen werden. Lebe wohl, Zack; ich werde morgen mit dem Frühzuge reisen. Je früher ich die neuen Porträts beendige, desto eher werde ich wieder vergnügt nach Hause kommen. Bitte, mein lieber Knabe, sei beständig und erinnere Dich Deines Versprechens, das Du Deiner Mutter gabst; geh morgen zu gehöriger Zeit zu Mr. Strather und halte Dich an Deine Arbeit, Zack – um unser aller Wohl – halte Dich zu Deiner Arbeit!«
Beim Verlassen des Saales warf Mat noch einen scheidenden Blick auf die Gartentür. Wird vielleicht der Diener, welcher sie in der Abendstunde verschloss und verriegelte, noch einmal nachsehen, bevor er zu Bett geht? Oder wird Mr. Blyth, bevor er das Kaminfeuer löscht zur Tür gehen und sich von deren Verschluss versichern? – Wichtige Fragen, welche nur die Ereignisse der Nacht beantworten werden.
Zack war noch nicht auf die Straße gelangt, als er seines Freundes plumpes und ungeschicktes Benehmen in Gegenwart Madonnas gehörig zu verspotten und mit den maliziösesten Sarkasmen lächerlich zu machen begann. Mr. Marksman ließ ihn so lange schwatzen, als es ihm beliebte, und begnügte sich damit, ihm nicht eine einzige Silbe zu erwidern. Das gewöhnliche Resultat des Unbeachtetlassens der Zackschen Witze ward gar bald erreicht. Die satyrische Ader des jungen Thorpe strömte sich aus, bevor sie nur ihre Wohnung erreichten.
Ein klein wenig von Kirk Street entfernt, stand ein Theater, glänzende Gaslichter erhellten das Innere. Als sie an dessen Säulenhalle kamen, hielt Zack an.
»Es ist nur halb elf«, sagte er. »Ich gehe hinein und sehe den Schluss der Vorstellung. Wollt Ihr nicht mit?«
»Nein«, sagte Mat, »ich bin zu schläfrig; ich werde nach Hause gehen.«
Sie schieden. Während Zack in das Theater trat, richtete Mr. Marksman seine Schritte nach dem Tabakladen. Sobald er aber aus dem Schimmer des Gaslichtes vor der Theatertür war, kreuzte er die Straße und ging hurtig auf der andern Seite wieder nach Valentins Hause zurück.
Viertes Kapitel – Das Haarbracelet
Auch Mr. Blyths Geist versank schnell in Schläfrigkeit, als ihn seine Gäste verlassen und er die Vordertür seines Studiensaales verschlossen und verriegelt hatte. Er war überhaupt nicht so lebhaft wie zu andern Zeiten, wenn er eine kleine Reise antreten musste. Aber noch niemals hatte sich seiner eine solche beklommene Gemütsstimmung bemächtigt als diesmal am Vorabend seines ländlichen Ausflugs. Er seufzte sogar, als er einige Mal im Saale auf und ab ging.
Dreimal trat er der Gartentür ziemlich nahe, indem er von einem Ende des Zimmers zum andern ging. Aber seine Gedanken wanderten hinter seinen Gästen her und verweilten in ihrer Gesellschaft.
»Wer auch immer dieser Mr. Marksman sein mag«, dachte Valentin nach seinem vierten Rundgange, indem er sich dem Kaminfeuer näherte, »ich glaube nicht, dass auch nur ein schlechtes Haar an ihm ist; und das werde ich nächstens Mrs. Thorpe sagen, sobald ich sie zu sprechen bekomme.«
Er trat zum Kamin, um das Feuer auszulöschen, scharrte es zusammen und ließ nur noch einige Kohlen auf dem Rost. Als er dies getan, wärmte er sich einige Minuten und versuchte dann, ein Schlückchen seines Lieblingsgetränkes zu vertilgen, vermochte es aber nicht. Er brach zusammen und hauchte wieder einen recht kläglichen Seufzer aus.
»Was ist die Ursache meiner Betrübnis? Ich fühlte mich noch vor keiner Abreise so niedergedrückt wie jetzt.« Mit diesen nutzlosen, selbstquälerischen Reflexionen ging er zur gedeckten Tafel, trank ein Glas Wein, nahm ein Stückchen Sandtorte, zerschnitt unnötigerweise zwei Schwammkuchen und brach von jedem ein Stückchen ab. Aber er konnte weder essen noch trinken; daher beschloss er weislich, sein Licht anzuzünden und zu Bett zu gehen.
Nachdem er die Tafellichter ausgelöscht hatte, leuchtete er noch einmal mit seiner Handlampe im Saale umher und war eben im Begriff, denselben zu verlassen, als seine Augen auf die für Mat heruntergeholte Zeichnung »das fünffach verriegelte Tor« stießen. Er ging einige Schritte darauf zu, um es aufzuhängen, hielt aber auf halbem Wege inne, zauderte – gähnte – schauerte ein wenig – dachte dann, dass es doch nicht der Mühe wert sei, das Ding heute Nacht noch über die Gartentür zu hängen, und so abermals gähnend, verließ er den Studiensaal.
Mr. Blyths zwei Domestiken schliefen in der Dachstube. Zehn Minuten, nachdem ihr Herr sein Schlafgemach betreten hatte, verließen sie die Küche, um sich ebenfalls nach ihrer Ruhestätte zu begeben. Patty, die Hausmagd, ging erst noch einmal durch den Gemäldesaal, um sich zu vergewissern, ob Feuer und Licht gehörig ausgelöscht sei. Polly, die Köchin, wanderte mit dem Lichte zum Schlafzimmer, als sie einige Treppen gestiegen, dachte sie noch einmal sorgsam an die Gartentür, deren Verschließung ihr übertragen war.
»Hast Du nach der Gartentür gesehen?« rief Polly zu Patty.
»Ja, ich tat es, als ich des Herrn Tee besorgte«, sagte Patty zu Polly und warf einen schläfrigen Blick in den dunklen Studiensaal.
»Tätest Du nicht besser, noch einmal hinzusehen, um sicher zu sein?« fügte die vorsichtige Köchin hinzu.
»Ist’s nicht dein Geschäft? – blick Du hin«, erwiderte die sorglose Hausmagd.
»Still!« wisperte Valentin, welcher im Flanellschlafrock und Nachtmütze erschien; »schwatzt nicht hier, Ihr stört Eure Herrin. Geht zu Bett und plappert dort. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Sir!« antwortete der treu ergebene weibliche Anhang des Hauses Blyth. Gehorchend ihres Herrn Befehl, mit dumm lächelnder Folgsamkeit, verschoben sie ihre Betrachtungen über die Gartentür auf zukünftige Gelegenheit.
Das Kaminfeuer im Studienzimmer erstarb allmählich. Nur dann und wann flammte noch eine dünne Flamme auf einen Augenblick empor und versank dann plötzlich wieder in das Dunkel der Nacht. Die ruhige nächtliche Stille ward nur zuweilen von jenen kleinen Wesen unterbrochen, welche leben im Dunkel der Nacht und sterben am Lichte des Tages; welche in der Wand krabbeln, mysteriös an den Möbeln nagen und eilig hin und her huschen. Ausgenommen dieses nächtlichen Geräusches, herrschte im Studiensaale vollkommene Stille. Auch in der ganzen Nachbarschaft war es ruhig. Man hörte keine Nachbarn in der Droschke nach Hause fahren; keine lärmenden Trunkenbolde durchwanderten die einsam gelegene Straße der Vorstadt, und der von den Feldern hereinwehende Nachtwind war zu sanft, um gehört zu werden. Selbst sogar der Hofhund des benachbarten Kunstgärtners war so ruhig in dieser Nacht, als wenn er stumm geworden wäre.
Diese Ruhe und Stille der Nacht währte, bis die Glocke ein Viertel auf zwölf geschlagen hatte; dann tönte aus den eisernen Stufen, welche an der hinteren Gartentür zum Saale führen, ein Geräusch von Fußtapsen. Als es verschwand, ward die Saaltür leise geöffnet und die schwarze schwerfällige Statur des Mr. Marksman erschien auf der Schwelle; es war eine düstere, finstere Gestalt – aber im Hintergrunde strahlte hoffnungsvoll der Sternenhimmel. – Er trat in den Gemäldesaal und schloss die Tür hinter sich zu und stand dann einige Minuten ängstlich horchend im Dunkel; hierauf holte er sein Wachslicht und die Zündhölzer aus der Tasche und zündete sich sogleich ein Licht an.
Nachdem dies geschehen war, horchte er noch einige Sekunden. Ausgenommen den Atem in seiner Brust, war alles ringsherum ruhig. Er schritt zum Bureau, erschrak aber plötzlich, als er an Mr. Blyths Statue mit römischer Toga und spanischem Hut anstrich; sie stand im Wege wie ein lebender Mensch. Er fluchte innerlich darob. Die Saaltür, welche ins Haus führte, war nicht ganz geschlossen; aber er nahm keine Notiz davon, sondern ging dicht vors Bureau. Dasselbe war dicht an dem Türpfosten. Schon hatte er den falschen Schlüssel in der Hand, und ohne weder rechts noch links zu sehen, steckte er ihn in das Schloss.
Eben hatte er das Bureau und die innere Schublade geöffnet, das Haarbracelet herausgenommen und das Bureau wieder verschlossen, – da ertönte ein leises Geräusch auf der Haustreppe an sein Ohr. In demselben Augenblick erschien ein dünner Lichtstrahl durch die Türspalte. Er wurde schnell viel stärker, als sanfte Fußstapfen draußen auf dem Hausflur ertönten und sich dem Saale näherten.
Er hatte die Geistesgegenwart, sein Licht sogleich auszulöschen, das Haarbracelet in die Tasche zu stecken und sich leise von dem Bureau weg zu bewegen, welches an der Verschlussseite des Türpfostens stand; er trat dann an die Angelseite der Tür, so dass er durch deren Öffnen gedeckt und verborgen ward.
Vermöge seiner Geistesgegenwart hatte er diese Vorsicht gebraucht; aber er besaß nicht Selbstbeherrschung genug, einen unfreiwilligen Aufschrei zu unterdrücken welcher seinen Lippen entströmte, sobald der Lichtstrahl in seine Augen fiel. Ein heftiger Krampf zog plötzlich seine Halsmuskeln zusammen; er presste seine Faust gewaltsam gegen dieselben, um seine Stimme zu unterdrücken, welche zum Verräter an ihm selbst wurde. – Das Licht kam näher, die Tür öffnete sich – öffnete sie sanft und weit, bis sie ihn selbst berührte, während er an der Wand angelehnt stand.
Sein Herz schien augenblicklich zu stocken, aber im andern Moment stürmte es wieder umso heftiger weiter und das Blut rauschte fieberhaft durch alle Adern seines Körpers, vom Kopf bis Fuß; dann aber erschlafften seine Nerven unter einem ganz unaussprechlichen Gefühl der Erleichterung. Er ward beinah durch ein Wunder von den Folgen seines Aufschreis gerettet, denn als die Tür geöffnet war – erschien Madonna – das taubstumme Mädchen wandelte herein in den Saal.
Sie hatte den Tabaksbeutel in ihrem Zimmer geöffnet, das Arbeitsmaterial herausgeholt und ihre Perlmutthaarnadelbüchse vermisst. Sie vermutete sogleich, dass sie dieselbe im Studiensaale verloren haben müsse, und fürchtete, dass sie dort zertreten werden könnte, wenn sie bis morgen früh liegen bliebe; sie hatte sich deshalb herunter gestohlen, um sie zu suchen. Ihr Haar war zurückgekämmt, aber noch nicht aufgerollt für die Nacht, sondern hing leicht über ihre Schultern herab. Ihr ganzes Wesen erschien jetzt viel reiner und klarer denn je; der Reiz der Unschuld ward noch durch ihr schönes weißes Nachtgewand erhöht. In ihrer Hand trug sie einen von Mrs. Blyth empfangenen schönen roten und blauen Leuchter. Sie bewegte sich langsam von der Tür in den Saal, beständig zur Erde gebückt und die Nadelbüchse suchend.
Mats Entschluss war gefasst, sobald er ihrer ansichtig wurde. Er verharrte so lange auf einer Stelle, bis sie etwa drei oder vier Schritte im Zimmer vorgeschritten war und ihm noch den Rücken zukehrte. Dann ging er ruhig und leise einige Schritte nach ihr zu, sich stets hinter ihrem Rücken haltend, und blies just in dem Augenblick ihr Licht aus, als sie es empor hob, um in der entgegengesetzten Richtung zu suchen.
Er hatte ganz richtig kalkuliert, dies Manöver unentdeckt ausführen zu können, denn er wusste, dass sie seinen Atem nicht zu hören vermochte und dass die Dunkelheit ihn verbergen und sie genötigt sein würde, das Zimmer zu verlassen, um ihr Licht wieder anzuzünden. Er hatte aber nicht berechnet, welche nachteilige Einwirkung diese Taktik auf ihre Nerven hervorbringen würde, denn er kannte den Schrecken nicht, der sie befiel, wenn sie in der Dunkelheit allein gelassen wurde, ein Schrecken, der durch den Verlust ihres Gehörs auf ihr Gefühlsleben viel stärker wirkte, als bei andern Personen. Auch hatte er nicht bedacht, dass er sie ihres einzigen mächtigsten Führers, des Gesichts, beraube, den sie nicht, wieaAndere, durchs Gehör ergänzen konnte.
Im Augenblick, als er ihr Licht ausblies, fiel der schöne chinesische Leuchter zur Erde, ein Todesschreck hatte sie ergriffen. Er fiel und zerbrach, verursachte aber nur ein dumpfes Geräusch, weil er auf eine auf der Diele liegende Decke traf. Kaum hatte er diesen Fall gehört, als auch sogleich ein dumpfes Gewimmer, ein unartikulierter Schrei wie: Feuer! sein Ohr traf; es war dies die einzige Äußerung, welche das arme erschrockene Mädchen zu tun vermochte. Das zitternde Geschrei ertönte so nah an seinem Ohre, dass er ihren Atem an seiner Wange zu fühlen glaubte.
Wenn sie ihn nun berührte? Oder wenn sie den Gang seiner Schritte fühlte, wie es vorhin bei Zack geschah, als er ihr ein Glas Wein anbot? Es war gleich gefahrvoll stehen zu bleiben – als sich zu bewegen. Er stand ebenso hilflos als das hilflose Geschöpf neben ihm. Das dumpfe, fortwährende, gleichmäßige Wimmern traf sein Herz sehr peinvoll und erregte wieder jene unheimlichen Gedanken an die tote Marie Grice. Der Angstschweiß trat hervor, Kälte durchrieselte seine Glieder, ein Fieber folgte und trocknete ihm Hals und Mund aus, und zum ersten Mal in seinem Leben durchrieselte ein kalter Todesschauer seine Seele. – Er, der noch nie gezittert unter den schrecklichsten Gefahren des Seelebens und der Wildnis, der seit mehr als zwanzig Jahren mit ihnen gespielt, wie ein Kind mit altem Spielzeug, – ward jetzt von Todesangst durchschauert, als ob er am Sterben läge.
Doch schien es ihm, als ob das dumpfe Gewimmer allmählich schwächer würde und nicht mehr dicht in seiner Nähe sei. Und dann glaubte er eine Bewegung ihres Körpers und ein Rauschen ihres Kleides zu hören. Auch vernahm er ihre leisen Schritte und das Tasten ihrer Hände am Tische auf der entgegengesetzten Seite. Dann hörte er ihre Fußtritte nach der Tür zu und endlich ihr Kleid an der halb geöffneten Tür anstreichen. Jetzt erschallte der erste Fußtritt vom Hauspflaster außerhalb des Saales, dann das Wischen ihrer Hände an der Wand – und all dieses Geräusch verschwand allmählich, je höher sie die Treppe stieg.
Als sie verschwunden und gänzliche Stille eingetreten war, überkam ihn auch das Gefühl der Sicherheit wieder – seine Schlauheit und Entschlossenheit kehrte zurück. Er horchte noch ein klein wenig, und als er keine Störung unter den Schläfern, des Hauses gewahrte, wagte er ein Zündhölzchen anzuzünden, um so geräuschlos die Gartentür zu gewinnen. In einer Minute befand er sich in freier Luft, und in der zweiten außerhalb des Garten. Mit leichtem Herzen wanderte er die einsame Straße entlang und sah das Haarbracelet wohlverwahrt in seiner Tasche.
Er wagte nicht, es aus der Tasche zu holen und zu betrachten, fühlte aber auch nicht den geringsten Skrupel, nicht die geringsten Gewissensbisse über seine Tat und die Art, wie er zum Besitz des Haarbracelets gelangt war. Obgleich sehr gewissenlos in dieser Hinsicht, war er doch andererseits außerordentlich gewissenhaft. Denn als er an das arme, taubstumme Mädchen und den ihr verursachten Todesschrecken dachte, überkam ihn tiefes Bedauern und schmerzliche Reue. Wie geduldig und artig hatte sie sich bemüht, ihre Dankbarkeit für seine Gabe auszudrücken und anzudeuten, wozu sie dieselbe gebrauchen wolle. Und wie grausam hatte er sie in Furcht und Angst versetzt! »Ich wünsche, ich hätte sie nicht so erschrocken«, dachte Mat und eilte mit schnellen Schritten nach seiner Wohnung. »Ich wünsche, ich hätte ihr den grausamen Schrecken nicht verursacht.«
Aber die große Ungeduld, das Bracelet zu besehen, bekam gar bald die Übermacht über alle seine Gedanken und Gefühle. Er blieb unter einer Gaslaterne stehen und zog es aus der Tasche. Er konnte bemerken, dass es aus zweierlei Haaren verfertigt und auf dem goldnen Reif einige Buchstaben eingegraben waren. Aber seine Hand zitterte, seine Augen waren trüber als gewöhnlich und das Gaslicht hing zu hoch, um die Schriftzüge klar erkennen können.
Er steckte demzufolge das Bracelet wieder in die Tasche, murmelte etwas ungeduldig für sich hin und eilte dann mit noch größerer Schnelligkeit auf Kirk Street zu. Als er die Tür öffnete, traf er in der Hausflur die Frau des Tabakhändlers. Ohne ein Wort der Höflichkeit oder Entschuldigung nahm er ihr zu ihrem größten Erstaunen das Licht aus der Hand und wanderte zur Treppe hinauf. Da Zack noch nicht aus dem Theater zu Hause war, so konnte er jetzt das Haarbracelet ganz ungestört betrachten.
Sein erster Blick fiel auf den Goldreif, und als er denselben näher an das Licht hielt, vermochte er die eingegrabenen Buchstaben zu lesen:
»M. G. Zur Erinnerung an S. G.
Marie Grice Zur Erinnerung an Susanna Grice.«
Bei Äußerung dieser Worte erfasste seine Hand krampfhaft das Bracelet und sank dann schwerfällig aufs Knie.
Die Theatervorstellung, welcher Zack beiwohnte, ward durch Wiederholung einzelner Gesänge und Tänze so ausgedehnt, dass sie erst nach Mitternacht zu Ende ging. Als er das Theater verließ, machten sich sogleich die physikalischen Konsequenzen des Einatmens einer verdorben Atmosphäre im Mund, Halse und Magen geltend und fühlbar. Dagegen dufteten die Wohlgerüche des Schellfisches und Liqueurs recht einladend in seine Nase, als er in die frische Luft trat, und bewirkten eine Inklination zum Austernladen, der er auch sehr gern Folge leistete.
Hier dachte er aber auch recht ernstlich an die Zukunft, denn er hatte ja die Aussicht in der Tasche, Schüler des »British Museums« und der »Little Bilge Street Drawing Academy« des Mr. Strather zu werden. Daher setzte er auch seine alten Bekannten unter dem Dienstpersonal des Austernladens in Erstaunen über seine große Mäßigkeit hinsichtlich der feinen Delikatessen. Als er seinen Appetit gestillt und sich auf dem Wege nach dem Tabakladen befand, unterwarf er sich mit vollständiger Resignation dem »Council der Royal Academy« als Student der schönen Künste.
Es überraschte ihn, dass er seinen Freund nicht schnarchen hörte, als er vor der Wohnstube anlangte; aber noch mehr ward er durch die Beschäftigung überrascht, welche er an Mr. Marksman bei seinem Eintritt in das Vorderzimmer gewahrte. Mat saß an der Tafel und reinigte den Lauf seiner Büchse mit Sandpapier. An seiner Seite stand ein ungeputztes Licht, eine leere Flasche und ein Glas mit nur einer geringen Quantität Branntwein. Als er aufblickte, sah man an seinem Gesicht, dass er stark getrunken hatte. Seine Augen hatten etwas Wildes und Starres und um seine Lippen schwebte ein beständiges unnatürliches Lächeln, wie es Zack noch nicht gesehen hatte.
»Ei, Mat, alter Knabe!« sagte er schmeichelnd, »Ihr seid ja so, ganz außer Fassung. Was ist Euch Unrechtes passiert?«
Mat scheuerte ununterbrochen seine Rifle fort und gab gar keine Antwort.
»Was Wunder kann Euch bewegen, Eure Büchse in der Nacht zu putzen?« ergänzte der junge Thorpe. »Ihr habt sie ja niemals berührt, seitdem Ihr sie ins Haus brachtet. Was wollt Ihr jetzt damit beginnen? – Wir schießen hier in England keine Vögel mit Büchsenkugeln, Hört Ihr’s!? —«
»Eine Riflekugel ist für mein Wild bestimmt, sobald ich’s auffinde«, sagte Mat, indem er Zack plötzlich sehr verwegen anblickte.
»Was für ein Wild mag er meinen?« dachte Zack. »Es scheint, als ob er sich beinah betrunken hat. Kann ihm irgendetwas passiert sein, seitdem wir uns vor dem Theater trennten? – Ich gedenke es aufzufinden, aber er ist solch ein alter dummer Wilder, wenn der Branntwein ihm in den Kopf gestiegen ist, dass ich es gar nicht wagen kann, ihn zu —«
Hier wurden Zacks Reflexionen durch die Stimme seines exzentrischen Freundes unterbrochen.
»Bist Du jemals mit einem gewissen Carr zusammengetroffen?« fragte Mat und blickte dabei fortwährend auf die Rifle, die er noch stärker rieb, als er diese Frage stellte.
»Nein«, sagte Zack. »Ich kann mich dessen nicht erinnern.«
Jetzt hielt er beim Reinigen seines Gewehrs inne und begann etwas ungeschickt in einer seiner Taschen zu suchen. Nach einigen Momenten brachte er einen unordentlichen langen Brief hervor, mit einer kleinen schwer leserlichen Handschrift, welche anstatt einer Adresse zwei lange Zeilen als Aufschrift enthielt. Dieses befremdliche Schreiben öffnete Mat und las auf der ersten Seite, während er mit dem Finger auf den Zeilen hinzeigte, um hierdurch den Blick sicher zu führen. Er stockte zuweilen, las dann unruhig weiter, aber nicht ohne Schwierigkeit – dann steckte er den Brief in die Tasche, blickte wieder starr auf sein Gewehr und rief dann mit großer Emphase den Namen:
»Arthur Carr? —«
»Nein«, erwiderte Zack. »Ich traf niemals mit einem Manne dieses Namens zusammen. Ist es einer Eurer Freunde?«
Mat begann abermals die Flinte zu putzen. – Auch der junge Thorpe schwieg, als Mat nicht antwortete. Er war am Abende ein klein wenig erstaunt gewesen, als sein Freund den Fächer und Tabaksbeutel hervorholte – was früher niemals geschehen war – und zu Mr. Blyth sagte, dass beide ehemals für ein Frauenzimmer bestimmt gewesen, welches nun tot sei. Für welches weibliche Wesen, hatte Mat niemals gesagt, selbst nicht an jenem familiären Bacchusabende in der Wohnung zu Kirk Street. Zack hatte jene Äußerung damals unbeachtet gelassen; aber jetzt, – die befremdende plötzliche Bezugnahme auf den Namen Carr, – das mysteriöse Rifleputzen und desperate Branntweintrinken in der nächtlichen Einsamkeit – dieses im höchsten Grade sonderbare Benehmen Mats machte doch auch den leichtsinnigen Zack perplex.
»Ist diese Bezugnahme auf Arthur Carr ein Geheimnis des alten Knaben?« So fragte sich Zack selbst in ängstlicher Bestürzung. »Wenn er sich jetzt etwas mehr auslässt als gewöhnlich, so wundert’s mich nicht, er hat auch einmal mehr getrunken!«
Während Zack so für sich nachgrübelte, putzte Mr. Marksman fortwährend eifrig an seiner Rifle. Nach einigen Minuten Stillschweigens warf er plötzlich sein Stück Sandpapier weg und begann wieder zu sprechen.
»Zack«, sagte er vertraulich, während er beständig aufs Gewehr blickte und mit dem Ladestock leise drauf schlug, »ich und du sollten einmal übers Meer in jenes wilde Land gehen. Ich bin bereit zu segeln, wenn —« Bei diesen Worten blickte er mit seinen blutrot unterlaufenen Augen zu Zack empor, schlug sie aber sogleich wieder nieder und starrte auf die Rifle.
»Wenn was? —« fragte Zack.
»Ich muss erst Arthur Carr auffinden«, antwortete Mat mit ungewöhnlicher Niedergeschlagenheit des Tones. »Nur das lass mich tun, und nach Verlauf einer Stunde werde ich abreisen. Er soll sterben und begraben werden —«
»Aus welchen Gründen soll er gesucht werden?« unterbrach Zack.
»Ich habe mir in den Kopf gesetzt, dass er noch lebt und dass ich ihn finden werde«, erwiderte Mat.
»Wohl an!« sagte der junge Thorpe ärgerlich.
Es trat wieder Stillschweigen ein. Mats Kopf neigte sich abwärts und sein Oberkörper folgte soweit, dass der Ellenbogen auf das Gewehr zu liegen kam. In dieser seltsam gebückten Stellung, begann er sich damit zu amüsieren, dass er das Schloss der Rifle auf und zuschnappen ließ. Zack, welcher glaubte, dass er vom Branntwein etwas stupide geworden sei, begann mit seiner leichtsinnigen Manier ihn zu reizen.
»Was der Teufel soll all das Mysteriöse an Euch?« rief er keck. »Ich lasse mich hängen, wenn ich Eure nächtlichen Ausflüge begreifen kann! Seit Ihr den Federfächer und Tabaksbeutel holtet —«
»Wohl! was ist’s damit?« unterbrach Mat und starrte ihn mit einem wilden misstrauischen Blick ins Gesicht.
»Nichts Besonderes«, erwiderte Zack unerschrocken, »außerdem, dass es nicht artig von Euch ist, mir dieselben nicht vorher gezeigt zu haben; auch über das, was Ihr zu Mr. Blyth sagtet, habt Ihr noch kein Wort zu mir gesprochen, dass Ihr den Fächer und Beutel für ein Frauenzimmer bestimmt hättet, welches —«
»Was ist mit ihr?« unterbrach Mat, erhob sich und ging hastig mit glühenden Wangen und drohenden Blicken im Zimmer umher, sein Gewehr zur Erde stoßend.
»Nichts, als ein Freund sagen muss«, erwiderte Zack, welcher fühlte, dass er bei Mats gegenwärtigem Zustande doch zu weit gegangen war und zu viel gesagt hatte. »Es tut mir leid um Euch, dass sie Eure Rückkehr nicht erlebt hat. Ich kann Euch nicht beleidigen und sage auch nicht zu viel, wenn ich frage, ob ihr Tod schon lange —«
»Er erfolgte, bevor du geboren warst.« Diese Antwort, über welche Zack mehr erstaunte, als über alles andere, gab er mit gedämpfter Stimme, als wenn er zu sich selbst spräche. Jetzt stellte er die Büchse zur Seite, setzte sich an die Tafel und legte den Kopf in die Hand. Der junge Thorpe stellte einen Stuhl in seine Nähe, enthielt sich aber in diesem Moment jeder Frage. Dieses Stillschweigen schien einen Wechsel in Mats Gemüt zu begünstigen. Er blickte auf und betrachtete Zack mit scharfer ängstlicher Besorgnis. »Ich liebe Dich, Zack«, sagte er, legte die Hand auf dessen Arme und streifte mechanisch den Ärmel empor. »Lass uns stets brüderlich und vergnügt zusammen leben, so gut wir können.« Jetzt schwieg er wieder, während seine Hand Zacks Arm fest umschloss. Sein wilder, herber, tränenloser Blick wurde allmählich sanft, als er hinzufügte: »Ich freue mich über dich, Zack, auch du bist besorgt über sie. Ach! Sie starb schon längst vor vielen Jahren, als du noch nicht geboren warst.« Seine Hand ließ nach, und als er die letzten Worte noch einmal wiederholt hatte, wandte er sich seitwärts und versank in trauriges Sinnen über längst vergangener Tage Leid und Schmerz.
Zacks große Verwunderung trieb ihn zu einer andern Frage.
»War’s eine Geliebte von Euch?« fragte er, unbewusst seine Stimme zu einem Geflüster herabsinken lassend »oder eine Verwandte, oder —«
»Verwandt mit mir. Verwandt«, sagte Mat schnell und ergriff wieder Zacks Arm, aber ohne aufzublicken.
»War’s Eure Mutter?«
»Nein.«
»Schwester?«
»Ja.«
Zack war einige Minuten stumm. Als er wieder zu sprechen begann, ergriff Mat seinen Arm – aber etwas heftig und hielt ihn.
»Schweig nun«, sagte Mr. Marksman befehlend. »Lass uns nicht mehr darüber reden, mein Kopf —«
»Leidet Ihr am Kopfe?« fragte Zack
Jetzt erhob sich Mat wieder und es trat ein abermaliger Wechsel seiner Gesichtsfarbe ein. Das Rot seiner Wangen wurde immer stärker und erstreckte sich übers ganze Gesicht bis auf seine Hirnschädelkappe. Es bemächtigte sich seiner eine Konfusion, die Augen wurden trübe und düster, die Stimme dumpf und schwerfällig.
»Ich habe zu viel Branntwein getrunken«, sagte er, »mein Kopf wird mir zu heiß an jener alten Wunde, wo sie mich skalpiert haben. Gib mir meinen Hut und leuchte mir, Zack; ich kann nicht länger im Zimmer bleiben. Halt’ mich nicht! Lass mich aus dem Hause.«
Der junge Thorpe nahm ein Licht und führte ihn zur Treppe hinunter bis auf die Straße, ohne ihn durch ein Wort zu irritieren, wartete aber auf der Hausschwelle noch einige Zeit, um ihn forteilen zu hören. Er war bald außer Sicht, und Zack vernahm nur noch das Geräusch seines Stocks auf dem Pflaster, aber nach kaum einer Minute schon kehrte er wieder zurück.
»Zack«, wisperte er, »Du fragst unter Deinen Freunden, ob irgendeiner den Mann kennt, dessen Namen ich nannte.«
»Meint Ihr den Arthur Carr?« fragte Zack.
»Ja, Arthur Carr«, sagte Mat sehr ernst. Und bevor Zack nur noch ein Wort zu sagen vermochte, hatte Mat sich schon wieder gedreht und war im Dunkel der Nacht verschwunden.