Kitabı oku: «Verbergen und Suchen», sayfa 30
Fünftes Kapitel – Mr. Marksmans zweiter ländlicher Ausflug
Am nächsten Morgen nach Mats und Zacks Visite war Mr. Blyth sehr früh munter. Männlich entschlossen, sein inneres Widerstreben gegen die Reise zu überwinden, packte er seine Farben und Pinsel zusammen, nahm zärtlichen Abschied von seiner Frau und Madonna und trat seine Reise mit dem ersten Frühzug an.
Sie führte ihn in den Westen von England, in eine Landschaft, welche durch ihre malerische Schönheit berühmt ist und deren Bewohner durch ihre Gastfreundschaft ehrenvoll bekannt sind. Obgleich er nun die Hoffnung hatte, seine Zeit angenehm zu verleben und auch ein profitables Geschäft durch Porträt malen zu machen, so verfolgte ihn dennoch jene ängstliche unerklärliche Betrübnis über seine kurze Trennung von der Heimat in den Eisenbahnwagen hinein. Trotz der schnellen Bewegung und des Wechsels der Szenen presste ihn die Beklommenheit ebenso hartnäckig wie in der vorigen Nacht. Seine Gemütsunruhe würde aber noch viel größer geworden sein, wenn er zwei bemerkenswerte häusliche Begebenheiten gekannt hätte, welche ihm seine Familie am Tage der Abreise aus Politik verheimlichte.
Als Mr. Blyths Köchin ihr erstes Morgengeschäft verrichten und den Studiensaal durch Öffnen der Gartentür lüften wollte, war sie nicht wenig erstaunt und erschrocken, dieselbe weder verschlossen noch verriegelt zu finden. Sie teilte dies Ereignis vorwurfsvoll der Hausmagd mit; diese antwortete entrüstet mehrere Mal mit der Behauptung, dass sie dieselbe gestern Abend gegen sechs Uhr verschlossen und verriegelt habe. Polly appellierte an das sichtbar widersprechende Faktum und erwiderte, dass das Ding unmöglich sei. Patty hielt an ihrem persönlichen positiven Wissen fest und behauptete, dass das Ding doch getan sei. Dieser Wortwechsel steigerte sich zum heftigen Zank, dann folgte ein mürrisches Stillschweigen – hierauf eine zärtliche Versöhnung – dann der feste Entschluss, niemandem ein Wort davon zu sagen, am allerwenigsten den Autoritäten des Hauses. In Folge dessen erfuhr weder Mr. Blyth noch seine Frau etwas davon.
Obgleich jedoch Mrs. Blyth über diesen Punkt unwissend war, so wurde sie doch von einem ähnlichen, wenn nicht größeren Ereignis berührt. Während ihr Gatte sein Frühstück unten zu sich nahm, kam Madonna in ihr Zimmer und schilderte nach den gewöhnlichen herzlichen Morgenbegrüßungen alle Einzelheiten der schrecklichen Begebenheit, welche sie in vergangener Nacht beim Suchen ihrer Nadelbüchse erlitten hatte. Wie ihr Licht habe plötzlich ausgehen können, vermochte sie nicht zu sagen. Sie glaubte ganz sicher, dass niemand im Zimmer gewesen sei, als sie eintrat, und ebenso sicher, dass kein Luftzug hineingeströmt sei – kurz, sie wusste nur zu sagen, dass ihr Licht plötzlich ausgegangen, dass sie einen Augenblick halb tot vor Schreck stehen geblieben sei, und dass sie dann in der Finsternis ihren Weg nach ihrem Schlafzimmer durch Betasten habe aufsuchen müssen.
Mrs. Blyth verfolgte den Verlauf dieser wunderbaren Geschichte an Madonnas Fingern bis zu Ende. In der Meinung, dass das Licht etwa durch fehlerhafte Beschaffenheit oder durch einen Luftzug, welchen Madonna beim Suchen nicht bemerkt habe, ausgeweht worden sei, – in dieser Meinung glaubte sie, ihrem Ehegatten nichts sagen zu dürfen, als sie ihm beim Einpacken behilflich war. »Der arme Mann ist nervös und bereits untröstlich, dass er seine Familie verlassen muss«, dachte Mrs. Blyth, »und wenn er noch das Ereignis mit dem ausgegangenen Lichte erführe, so würde er noch viel trostloser werden.« Dies erklärte sie Madonna und versicherte sich dadurch ihrer Diskretion. Sie hielt demzufolge ihr Abenteuer im Studiensaale vor Mr. Blyth so geheim, dass er gar keine Ahnung davon haben konnte; ebenso wenig hatte er eine hinsichtlich des Haarbracelets, denn er war ja zu fest überzeugt, das Bureau scharf und sicher verschlossen zu haben.
Dies waren die Umstände, unter denen Mr. Blyth sein Haus verließ. Er war nicht der einzige Reisende von des Lesers Bekanntschaft, welcher um dieselbe frühe Morgenstunde abfuhr. Durch merkwürdiges Zusammentreffen fügte es sich, dass um dieselbe Morgenstunde, wo Mr. Blyth westwärts reiste, um Porträts zu malen, Mr. Matthias Marksman – jetzt als Mr. Matthias Grice bekannt – nordwärts fuhr, um eine zweite Visite in Dibbledean zu machen.
Nicht eine Visite des Vergnügens, sondern eine Geschäftsvisite – ein gefährliches persönliches Geschäft, welches Schreibern und Reisedienern nicht anvertraut werden konnte, ein »unter der Hand Geschäft«, das nicht in die Kontobücher geschrieben werden kann und welches Mat sehr geheim vor Zack halten wollte. Etwas davon hatte er freilich schon in schwachen Augenblicken gegen Zack verlauten lassen, nämlich bei jener Konversation der vergangenen Nacht in Kirk Street.
Als er aber am nächsten Morgen mit dem jungen Thorpe zusammentraf, war er sehr auf der Hut, nichts weiter davon verlauten zu lassen, was er in vergangener Nacht in einer schwachen Stunde ausgeplaudert, nachdem er eine zu starke Dosis Branntwein zu sich genommen hatte. Er verlangte in seiner plumpen Manier, Zack solle ihm alles wieder erzählen, was er ihm auf Anregung des in seinem Kopfe gewesenen Spiritus gesagt habe. Nachdem diesem Verlangen willfahrt war, fügte er nichts Neues hinzu. Er sagte einfach, das, was ihm über die Zunge geschlüpft, sei nichts mehr als die Wahrheit; aber er könne vorläufig keine nähere Erklärung darüber geben, bis er entdeckt habe, ob Arthur Carr noch am Leben sei. Auf Zacks Befragen, wie, wo und wann er diese Entdeckung zu machen gedenke, erwiderte er, dass er noch diesen Morgen aufs Land reisen werde, um den Versuch zu machen; und dass, wenn er Erfolg habe, nach seiner Rückkehr ihm alles Nähere mitgeteilt werden solle. Begünstigt mit diesem vertragsmäßigen Versprechen blieb Zack allein in Kirk Street und lebte der Hoffnung, dass er noch viel mehr über seines Freundes Geheimnis erfahren werde, wenn er von seinem ländlichen Ausflug zurückgekehrt sei.
Um noch nähern Aufschluss über dies Geheimnis zu erlangen, wird es nötig sein, sich einige Momente in das Logis zu Kirk Street zurück zu versetzen und besonders in jene nächtliche Stunde, wo Mr. Marksman allein im Vorderzimmer saß und das Haarbracelet betrachtete.
Sein erster Blick auf die eingegrabenen Buchstaben überzeugten ihn nicht nur, wem ehemals das Bracelet gehört habe, sondern benahm ihm auch jeden Zweifel über die Identität des jungen Mädchens, dessen Antlitz ihn in das größte Erstaunen versetzt hatte. Er war nicht logisch genug in seinen Schlussfolgerungen, denn, obgleich er seiner Schwester Bracelet in Valentins Bureau gefunden hatte, so war dies noch kein hinreichender Beweis, dass er auch seiner Schwester Kind entdeckt habe. Solche Zweifel entstanden gar nicht in seinem Geiste. Er war jetzt zuversichtlich überzeugt, dass Madonna, wie er gleich zuerst vermutete, – Marias Kind sei.
Aber die nächste Frage, die er sich stellte, betraf des Kindes Vater, und hierauf war die Antwort nicht so leicht zu finden: Wer war Arthur Carr? Wo ist er? Lebt er noch?
Diese wichtigen Fragen hatten sogleich sein ganzes Sinnen und Denken erfasst, als er von Johanna Grice in Dibbledean seiner Schwester Tod vernahm und die auf Carr bezüglichen Zeilen in der Erzählung gelesen hatte. Dennoch ward er durch das Begegnen mit Madonna und durch die nachfolgenden Begebenheiten wieder von seiner Richtung abgelenkt. Jetzt aber kehrte die Betrachtung dieser Fragen mit um so doppelter Heftigkeit wieder zurück. Er hatte keine andern Gedanken als: »Wer war Arthur Carr? Wo ist er? Lebt er noch?«
Sein erster voreiliger Verdacht, Valentin möchte früher den Namen Arthur Carr geführt und des Kindes Vater sein, ward durch einen Blick auf das Haarbracelet widerlegt. Denn er wusste, dass das hellere Haar am Bracelet von Carr war, weil es genau der überflüssigen Locke glich, welche der Juwelier zurückgeschickt hatte und in Johanna Holdsworths Briefe eingeschlossen lag. Er machte den Vergleich und entdeckte die Ähnlichkeit auf den ersten Blick. Diese erlangte Überzeugung belehrte ihn hinreichend, dass Arthur Carrs Haar das direkte Gegenteil von Mr. Blyths Haar war.
Der Maler war also nicht der Vater, mochte er aber nicht wissen, wer der Vater sei? Wie konnte er anders in den Besitz des Kindes Haarbracelets von Marie Grice gelangen?
Diese zwei Fragen erzeugten eine dritte in seinem Geiste. Im Fall er ihn bei Mr. Blyth entdeckte, sollte er ihn durch gute oder schlechte Mittel zwingen, alle Zweifel zu lösen und alles zu enthüllen, was er wusste?
Nein! Nicht auf einmal so plötzlich. Das würde gleich anfangs einen desperaten und gefährlichen Zug ins Spiel bringen, welcher nötigenfalls für das Ende vorbehalten werden konnte. Außerdem war es nutzlos, gerade jetzt Mr. Blyth examinieren zu wollen, da er doch frühzeitig abgereist war. Aber es war jetzt nach den gemachten Entdeckungen unmöglich zu rasten, ohne nicht in irgendeiner Richtung einen Versuch zur Auffindung Arthur Carrs zu machen. Mats Absicht, dies zu tun, entsprang aus der stärksten Entschlossenheit – aus dem Gefühl der Rache. Dieser gefährliche Charakterzug des Mannes hatte sich während der vieljährigen Wanderungen unter den wilden Völkern und noch wildern Tieren sehr stark ausgebildet und war jetzt zur vollen Herrschaft gelangt, seitdem er das Misstrauen der Elternschaft Madonnas hinsichtlich der Mutter enthüllt hatte. Ihn beseelte nur ein tödlicher Gedanke hinsichtlich des Schurken, welcher die Ursache von Marias Unglück gewesen war.
Er grübelte nur ein klein wenig über den nun zu versuchenden Cours, bevor er auf die Idee kam, nach Dibbledean zurückzukehren und Johanna Grice zu zwingen, mehr auszusagen, als es bei der ersten Zusammenkunft der Fall gewesen. Er misstraute der Stelle in ihrer Erzählung, wo sie sagte, dass sie seit ihrer Nichte Flucht und Tod niemals wieder etwas von Arthur Carr gehört, noch gesehen habe. Er hatte seine Ansicht und vorgefasste Meinung, welche er auch zu Zack geäußert, dass der Mann noch irgendwo lebe, und er fühlte zuversichtlich, dass er es in seiner Macht habe, als letzte Quelle das alte Weib durch Furcht zu zwingen, alles zu bekennen, was sie noch wusste. Daher entschloss er sich in erster Instanz nach Dibbledean zu gehen. Sollte er dort nicht irgendeinen Richtungspunkt seiner Nachforschungen finden können, so beschloss er nach Rubbleford zu reisen und sich direkt an Mrs. Peckover zu wenden. Er erinnerte sich, dass, als Zack ihr sonderbares Benehmen bezüglich des Haarbracelets in Mr. Blyths Halle schilderte, er vermutete, dass sie wahrscheinlich, wie der Maler selbst, um Madonnas Geschichte wisse und dies Wissen ebenso geheim und verschlossen halte. Diese Frau besaß unstreitig nähere Kenntnis, vielleicht war sie selbst mit darin verknüpft. Sie aufzufinden, wenn sie noch lebte, würde nicht schwer sein. Denn an jenem Abend wo sie Zack mit ihrer Mimik darstellte, hatte er ja gesagt, dass sie eine Meierei und einen Kuchenladen in Rubbleford besitze. Sollte er also seine Absicht in Dibbledean nicht erreichen, so beschloss er, in der Abendstunde dorthin zu reisen.
Und wenn er unglücklicherweise weder von Johanna Grice noch von Mrs. Peckover etwas mehr erfahren sollte, welchen Cours sollte er dann zunächst nehmen? Es würde dann nichts anders zu tun sein, als nach London zurückzureisen, das große Hasardspiel zu versuchen – und sich Mr. Blyth mit dem Bracelet als Zeugen in der Hand zu entdecken, komme was da wolle.
Dies waren seine Gedanken, als er allein in Kirk Street saß. In der Nacht hatten sie in dem fatalen Trost der Branntweinflasche geendet – in dem einsamen Exzess, welcher ihn um seine Selbstkontrolle brachte und noch als ein angewöhntes Überbleibsel aus dem früheren Wanderleben geblieben war. Er hatte den tödlichen Hass über seiner Schwester Schicksal zur lodernden Flamme angefacht und sich zum Putzen seiner Rifle angefeuert, wodurch er bei seinem halbtrunkenen Zustande sich selbst verraten und Zack ins größte Erstaunen versetzt hatte. Aber am nächsten Morgen war sein Kopf wieder klar und hielt seine gefährliche Leidenschaft unter schlauer Kontrolle. Er erklärte sich näher gegen Zack und trat dann seine Reise aufs Land mit dem ersten Morgenzuge an.
Als er auf der Station Dibbledean ausstieg, verweilte er einige Augenblicke und schaute umher, ganz so wie bei seiner ersten Visite. Dann schlug er denselben Weg ein wie damals, erreichte die bekannte Kirche und blieb ebenfalls wie bei seiner ersten Visite an der Kirchhoftür stehen.
Diesmal schien er aber nicht die Absicht zu haben, hineinzugehen – oder die Absicht irgendetwas anderes zu tun, als müßig vor dem Tore zu stehen und die Hände mechanisch rückwärts und vorwärts zu bewegen. Als er genauer auf den Totenhof blickte, gewahrte er in geringer Entfernung einige Personen, welche unter den Gräbern herumwanderten; doch schienen sie seine Aufmerksamkeit nicht näher zu fesseln, denn er nahm nicht die geringste Notiz von ihnen. Er war augenscheinlich über einen Gegenstand, von dem er gar bald mit sich selbst zu reden begann, in Gedanken versunken, – gleich allen Menschen, welche lange Zeit einsam gelebt und die Gewohnheit haben, laut zu denken.
»Ich wundere mich, wie viel Jahre es schon sind, seitdem ich mich mit ihr hier an den Eisenstacketen schaukelte«, dabei berührte er dieselben wie vorher, mit den Händen rückwärts und vorwärts.
»Die Angeln knarrten früher, jetzt gehen sie sehr sanft. Geölt – vermute ich.« Als er dies gesagt hatte, zog er die Hand vom Riegel und wanderte vorwärts zur Stadt, stockte aber bald wieder, kehrte zum Tor zurück, betrachtete es aufmerksamer und sagte dann: »Ah, nicht geölt. Neu.«
»Neu«, wiederholte er und ging langsam der hohen Straße entlang »– neu seit meiner Rückkehr, gleich allem, was ich hier sehe. Ach! ich wünsche, ich wäre nicht zurückgekommen. – Bei Gott! ich wünsche, ich wäre nie und nimmer zurückgekehrt.«
Als er in die Stadt kam, hielt er wieder vor dem Strumpfwarenladen inne, der ehemals Josua Grice gehörte. Obwohl die allgemeine Form seines Vaterhauses noch dieselbe geblieben, so war doch die Front etwas geändert, und der neue Anputz gab ihm auch einen ganz andern Anschein, so dass es nicht leicht wiederzuerkennen war. Er blickte auf und nieder, von Fenster zu Fenster und schüttelte missvergnügt das Haupt. »Auch hier wieder neu«, sagte er für sich. »Ich weiß nicht mehr gewiss, welcher Winter die Trennung zwischen mir und Marie herbeiführte, als ich aus der Schule kam – ein Jahr vorher, als ich zur See ging. – Ob es Marie war – welche der Winter brach, und ob ich den Tadel trug, —« dann ergänzte er, langsam seinen Weg verfolgend »– oder ob sie es war, welche den Tadel trug, – und ich vom Winter gebrochen ward: – ich kann mich nicht mehr recht daran erinnern. Kein Wunder – ich kann mich ja nicht einmal mehr erinnern, ob sie das Haarbracelet schon trug, als ich noch zu Hause war.« So mit sich verkehrend, erreichte er die Straße, welche zu Johanna Grices Haus führte.
Seine Gedanken schweiften in nebelgrauer Ferne längst verschwundener Zeiten, jedoch wurden sie ganz plötzlich durch eine merkwürdige Erscheinung wieder in die Gegenwart zurückgerufen, als seine Augen in der Straße etwas ganz Unerwartetes erblickten.
Er erinnerte sich, wie einsam und still dieser Ort bei seiner ersten Visite war, und jetzt musste er erstaunen über das Geräusch und die vielen klatschenden Zungen. Alle Straßenbewohner befanden sich in ihren vorderen Gärten. Alle behäbigen Städter, welche sich gewöhnlich nur in den vornehmsten Straßen bewegten, hatten sich hier unerklärlicherweise in der engen Gasse versammelt. Was wollte diese Versammlung hier verrichten? Was mochte die Ursache sein, dass sich hier Männer, Frauen und Kinder aufstellten?
Ohne still zu stehen, um etwas darüber zu hören, ohne jemand zu fragen und ohne sein Erstaunen zu zeigen, wanderte er eilig seinen Weg entlang nach dem Gartenhaus der Johanna Grice. »Zeit genug«, dachte er, »um zu erfahren, was sich hier ereignete, wenn ich erst im Hause bin.«
Als er sich dem Häuschen näherte, erblickte er zwei Wagen vor dem Tore haltend – einer sehr befremdend an Form, beide aber sehr bemerkenswert hinsichtlich ihrer Farbe. Rund um diese Wagen standen feierlich blickende Gentleman. Und um diese feierlich blickenden Gentleman bewegte sich neugierig die vagabundierende Knaben— und Mädchengeneration von Dibbledean.
Erstaunt und verdutzt über das, was er sah, obgleich er nicht wusste warum, wanderte Mat eilig dem Hause zu. Und just als er den Garten erreichte, öffnete sich die Tür desselben, es treten vier schwarz gekleidete Männer heraus und tragen einen – Sarg, gehüllt in ein schwarzes Leichentuch.
Mat erstarrte, als er den Sarg erblickte. Ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust: »Tot!« – schluchzte er.
Ein in seiner Nähe stehender Freund der verstorbenen Miss Grice richtete mit höflicher Stimme eine Frage an ihn. Aber er hörte sie nicht, denn seine ganze Aufmerksamkeit war nur auf den schwarzen Sarg gerichtet.
Hinter demselben wandelten zwei Gentleman mit schwarzen Hüten und in Trauermäntel gehüllt. In ihren Händen trugen sie weiße Taschentücher, um ihre Tränen zu trocknen, aber nicht aus ihren Augen, – sondern von ihren Lippen, von denen noch der balsamische Duft des soeben genossenen Weins herab triefte.
»Dix und Nawby – der Arzt der Verstorbenen und der Anwalt, welcher ihr einziger Testamentsvollstrecker ist«, sagte die Stimme neben Mat, aber nicht mehr inquisitorisch, sondern in höflich erklärender Form. »Das ist Millbury, der Leichenbestatter und der andere ist Gutteridge, Gastwirt zum weißen Hirsch, sein Schwager, welcher die Erfrischungen besorgt und dabei ein lohnendes Geschäft macht«, ergänzte die Stimme. »Beinah wie ein Leichenzug! Nicht einen halben Penny weniger als vierzig Pfund, wenn alles bezahlt ist. Wundervoll! Ist es nicht? —« schloss die Stimme wieder mehr inquisitorisch.
Doch Mat fixierte seine Augen fortwährend auf die Leichenprozession und ließ den hartnäckigen Schwätzer unbeachtet.
Der mit schwarzem Sammet behangene Sarg ward in den Leichenwagen gehoben. Doktor Dix und Mr. Nawby setzten sich in die für sie bestimmte Trauerkutsche. Diese nobel gekleideten Geier in Menschengestalt, welche vom Tode der Reichen leben, hatten mit dem Leichenbestatter ein recht feierliches Begräbnis angeordnet. Auf jeder Seite des Leichenwagens wurden schwarze Stäbe getragen. Der plumpe Pomp des schwarzen Samts und der Federn, die schwarz behangenen, langsam schreitenden Rosse und bezahlten stummen Leidträger entheiligten nur auf groteske Art das schauerlich ernste Faktum »Tod«. Die ganze Prozession flatterte in schwarzen Trauergewändern, um dem kalten Grabe einen abgemagerten toten Menschenkörper darzubringen.
Als die ausgestoßene und flüchtige Marie Grice starb, weinten die Bauernfrauen und irländischen Mädchen um die fremde Unbekannte, indem sie ihrem Sarg folgten, welcher auf dem Armenplatze des Kirchhofs eingesenkt ward. Aber beim Tode der Johanna Grice, welche in ihrem Geburtsorte und unter ihren Bekannten starb, wurde auch nicht eine einzige Träne geweint. Aller Augen, welche der Leichenprozession mit beiwohnten oder zuschauten, waren tränenlos. Die auf den Pferden sitzenden Männer schwatzten vergnügt über Tagesneuigkeiten – und das einzige noch lebende Familienmitglied, das der Zufall vor die Tür des Todes gebracht hatte, stand fern von den bezahlten Leidträgern und bewegte sich nicht einen Schritt, um sie zum Grabe zu geleiten. Nein, nicht einen Schritt.
Der Leichenwagen rollte langsam vorwärts, die Zuschauer in der Straße folgten; aber Matthias Grice stand am Gartenzaun, wo er bei seiner ersten Visite gestanden hatte. Was war hier tot für ihn? Nichts weiter als vielleicht der Verlust einer Spur von Arthur Carr. —
Mitleids- und tränenlos hatte sie ihres Bruders leibliche Tochter in der Fremde sterben und beerdigen lassen, mitleids- und tränenlos stand nun ihr Brudersohn am Garten und überließ die Beerdigung den bezahlten Leichenbestattern.
»Wollen Sie den Leichenzug nicht mit bis auf den Totenhof begleiten?« fragte dieselbe inquirierende Stimme, welche schon zweimal versucht hatte, Mats Aufmerksamkeit zu erregen.
Diesmal wandte er sich um, blickte den Sprecher an und fand einen weißen, flachshaarigen Mann mit scharfer Physiognomie vor sich stehen, welcher in eine leichte Reitjacke gekleidet, ein kurzes Röckchen trug und einen schwarzbraunen Dachshund zur Begleitung hatte.
»Entschuldigen Sie meine Frage«, sagte der flachshaarige Mann, »ich bemerkte, wie Sie hier ankamen, und beobachtete Ihre große Bestürzung, als der Sarg herausgetragen ward. Ein Verwandter der Verstorbenen, dachte ich —«
»Wohl«, unterbrach Mat rau, »gesetzt, ich bin es, was dann?«
»Werden Sie so gefällig sein und dies in Ihre Tasche stecken?« fragte der weiße Mann und übergab Mat eine Karte. »Mein Name ist Tatt, ich habe mich vor kurzem hier als Rechtsanwalt niedergelassen. Ich will keine unschicklichen Fragen an Sie richten, aber als Verwandter der Verstorbenen haben Sie wahrscheinlich Rechtsansprüche an deren hinterlassenes Besitztum; in diesem Falle würde ich stolz sein, Ihr Interesse wahren zu können. Es ist nicht ganz passlich, sich auf diese Art einem Klienten zu empfehlen; aber ich bin es zu meiner Selbstverteidigung genötigt zu tun. Dix, Nawby, Millbury und Gutteridge spielen alle unter einer Decke und arbeiten sich gegenseitig in die Hände; sie haben die medizinische und gerichtliche Praxis unter sich, ebenso den Viktualienhandel und die Leichenbestattung von ganz Dibbledean. Ich habe mich entschlossen, das Monopol von Nawby zu brechen, und suche so viel amtliche Geschäfte als möglich zu erlangen. Das ist’s, weshalb ich Ihnen meine Karte überreicht habe.«
Mat blickte gedankenvoll auf Johanna Grices Gartenhaus. Mag sie wohl nicht einige wichtige Briefe hinterlassen haben? Höchst wahrscheinlich. Und wenn dies – könnte er wohl mit Hilfe des flachshaarigen Mannes in deren Besitz gelangen?
»Ein Mysterium schwebt über der verstorbenen Miss Grice«, sprach Mr. Tatt weiter, während er mit seinem Dachshunde spielte. »Niemand anders als Dix und Nawby können genau sagen, wann sie starb und wie viel Geld sie hinterlassen hat. Seltsame Familie. (Ratten-Pincher!) Es existiert ein Sohn vom alten Grice, von welchem man seit langer Zeit gar keine Nachricht bat. (Eilt! Knaben, dort läuft eine Katze und dort ein Pincher.) Wenn dieser eben jetzt zurückkehrte, der würde eine verdammte Stockung in Nawbys Geschäft bringen —«
»Ich habe in diesen Tagen einige Fragen an Sie zu richten«, unterbrach Mat und ging vom Gartenzaun weg. Während der Rede seines neuen Bekannten war er auf den Gedanken gekommen, dass er wohl am besten seine Absicht erreiche, wenn er sogleich zu Mrs. Peckover reise, um von ihr Aufschluss über Arthur Carrs Spur zu erlangen. Sollte sich diese Hilfsquelle als erfolglos erweisen, dann sei es noch immer Zeit nach Dibbledean zurückzukehren, sich Mr. Tatt zu entdecken und zu versuchen, ob das Gesetz nicht dem Brudersohne der Johanna Grice gestatte, deren Briefschaften zu lesen.
»Kommen Sie mit in mein Geschäftszimmer«, rief Mr. Tatt enthusiastisch. »Ich kann Ihnen ein Glas des besten Bieres präsentieren, das Sie jemals in Ihrem Leben getrunken haben.«
Mat lehnte diese gastfreundliche Einladung entschieden ab und setzte seinen Weg zur Eisenbahnstation fort.
Alle Bemühungen Mr. Tatts, ihn zur Festsetzung eines Tages zu bewegen, blieben erfolglos. Er erwiderte nur mürrisch, dass er vielleicht in zukünftiger Zeit einige Fragen in einer Rechtssache an ihn zu richten habe und werde sich dann nur von ihm Rat und Hilfe erbitten.
Nach diesen Worten wünschten sie sich gegenseitig »guten Morgen« und schieden voneinander. Mr. Tatt wanderte mit seinem Dachshunde langsam der hohen Straße entlang und Mat sehr schnell in der entgegengesetzten Richtung nach der Eisenbahnstation.
Als er wieder an den Gottesacker kam, war auch der Leichenzug soeben angekommen und die Träger trugen den Sarg zur Kirchtür. Er verweilte einige Augenblicke, um dies mit anzusehen. »Sie war mit niemandem gut während ihrer ganzen Lebenszeit«, dachte er bitterlich, als er das schwarze Sammetleichentuch im Dunkel der Kirche verschwinden sah, »aber wenn sie nur noch einen Tag länger gelebt hätte, so wäre sie vielleicht für mich gut geworden. Mehr als ich zu wissen brauche – viel, sehr viel ist mit ihr in den Sarg vernagelt, und niemand anders kann mirs sagen. Es ist eine lange Jagd auf dunkler Spur, und ihr Tod hat sie noch mehr verdunkelt.« Mit diesen Gedanken verließ er den Totenhof.
Auf seinem Wege nach der Eisenbahn nahm er den Brief von Johanna Holdsworth aus der Tasche und betrachtete die einliegende Haarlocke. Es war wohl das vierte oder fünfte Mal, dass er dies getan hatte, seitdem er Mariens Bracelet besaß. Seit jener Zeit war in ihm die vage Vermutung entstanden, dass der Besitz dieser Haarlocke ihn zur Entdeckung Arthur Carrs führen werde. Er wusste recht gut, dass es nur ein geringer Anhaltspunkt war, aber dennoch schien ihn etwas aufs Neue zu ermutigen und zu weiteren Nachforschungen anzutreiben, trotz des unerwarteten Fehlschlagens in Dibbledean. »Und wenn ich ihn auf keinem Wege aufspüren kann, murmelte er, als er die Locke in seine Tasche steckte, so habe ich die feste Überzeugung, dass ich hierdurch auf irgendeine Art seine Spur entdecken werde.«
Mat fand es nicht so ganz leicht, Rubbleford zu erreichen. Er musste auf der Dibbledeanlinie eine Strecke zurückreisen – dann auf eine Nebenlinie abweichen – sodann wieder ziemlich lange auf einer Hauptbahn fahren, bevor er sein Ziel erreichte. Als er in Rubbleford eintraf, war es Nacht. Dessen ungeachtet fand er durch Befragen den Milch- und Kuchenladen auf und bemerkte zu seiner größten Freude, dass er noch nicht verschlossen war. Er sah zum Fenster hinein und erblickte vor dem Ladentische ein pausbäckiges, munteres Mädchen, auf eine Schiefertafel schreibend. Nach einigem Zögern trat er ein und fragte, ob er nicht Mrs. Peckover sprechen könne.
»Mutter ist vor drei Tagen zum Onkel Bob nach Bangbury verreist, um ihn zu pflegen«, antwortete das Mädchen.
Also ein zweiter Hemmstoß – ein zweites Hindernis, Arthur Carrs Spur aufzufinden. Es war eine Fatalität.
»Wann erwarten Sie dieselbe zurück?« fragte Mat. »Nicht vor einer Woche oder zehn Tagen, Sir«, erwiderte sie. »Mutter sagte, sie würde nicht gegangen sein, aber Onkel Bob sei ihr einziger Bruder und habe weder Frau noch Kind in Bangbury.«
Bangbury! – Wo hatte er den Namen schon gehört?
»Vater ist auf der Pfarre, Sir«, ergänzte das Mädchen, als sie bemerkte, dass der Fremde enttäuscht und verlegen dastand. »Wenn Sie wegen Milchgeschäften kommen, so kann ich dieselben besorgen; sind es aber Abrechnungen, so muss ich sie der Mutter schicken.«
»Mag sein, ich habe nur einen Brief an Ihre Mutter zu senden«, sagte Mat nach einigem Nachdenken. »Können Sie mir die Adresse auf ein Stückchen Papier schreiben?«
»Oh ja! Sir.« Und das Mädchen schrieb sehr bereitwillig und deutlich folgendes: »Martha Peckover bei Bob Randle 2 Dawson’s Buildings, Bangbury.«
Mat nahm sogleich das Papier, steckte es in die Tasche, dankte ihr recht sehr und verließ den Laden. Während seines Aufenthaltes darin hatte er sich vergeblich zu erinnern gesucht, wo er den Namen Bangbury gehört hatte; sobald er aber auf die Straße getreten war, kam auch die verlorene Erinnerung wieder zurück. Bangbury war ja der Ort, wo Marie nach Johanna Grices Aussage beerdigt war.
Nach einigen Schritten kam er an einen großen Leinwandladen, dessen Fenster sehr glänzend erleuchtet waren. Hier blieb er stehen, holte das Schreiben der Johanna Grice, die Rechtfertigung ihres Benehmens, aus der Tasche, um sich über seine Erinnerung zu vergewissern, denn er vermutete, dass der Teil ihrer Erzählung, welcher Mariens Tod berichte, seine Zweifel lösen könne. Richtig! auf einer Seite stand geschrieben:
»Ich sandte durch eine Person, auf die ich mich verlassen konnte, Geld genug zu einer anständigen Beerdigung nach Bangbury.«
»Ich will noch diese Nacht hinreisen«, sagte Mat zu sich selbst, steckte das Schreiben in die Tasche und ging wieder zur Eisenbahnstation.