Kitabı oku: «Kreuzweg zu anderen Ufern», sayfa 4

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DER ROLLENDE BEICHTSTUHL

„Hast du schon mal was vom PS gehört, oder vom rollenden Beichtstuhl?“, wollte er wissen. „PS sollen wohl Pferdestärken sein, und ein rollender Beichtstuhl? Dabei kommt mir eher ein Rollstuhl in den Sinn, ein beichtender Rollstuhl, finde ich lustig!“ „PS heißt Pankraz Schmid, das ist der Name meines Religionslehrers in der Berufsschule. Und der kommt auf Anruf mit seinem Auto hier raus und nimmt die Beichte ab. Nächsten Freitagnachmittag um drei Uhr kommt er. Ich habe schon alles organisiert, wenn du Lust hast, dann komm um diese Zeit auf den Parkplatz vorm ‚Hasen‘“. „Ist denn so eine Beichte überhaupt gültig? Ich könnte mir denken, dass unser Pfarrer ganz und gar nicht mit einer Konkurrenz in seinem Revier einverstanden ist! Der bringt es fertig und verweigert dir die Kommunion, weil du nicht hier gebeichtet hast“. „Das baucht der ja gar nicht zu wissen. Du kannst ja genauso gut in der Stadt zum Beichten gehen!“

Alleine schon aus Neugierde fand ich mich am Freitag auf dem Parkplatz ein. Und dann kam ein weißer VW-Käfer angefahren. Ihm entstieg jemand, den ich auch kannte, gesellte sich zu uns, und schon war es an mir. Etwas zögernd stieg ich ein, wusste ich doch nicht, wie das ablaufen würde. Außerdem hatte einer meiner evangelischen Freunde gesagt, als ich ihm vom rollenden Beichtstuhl erzählt hatte: „Pass ja auf, dass der dir nicht an die Eier fasst! Ich habe von einem Kumpel an der Berufsschule gehört, dass der PS ein Schwuler ist, einer ‚vom anderen Ufer‘!“ Und schon ging die Fahrt los. Ich suchte noch nach den formelhaften Worten, mit denen man eine Beichte beginnt, als der Pfarrer, ein eher kleiner, etwas dicklicher Mann, schon die erste Frage stellte, ganz locker, ohne sich an die Regeln, die in einem Beichtstuhl gelten, zu halten. Das fand ich toll und das Beichten verlief eher wie eine Unterhaltung. Vor allem stellte er keine blöden Fragen.

Er war in Zivil gekleidet, hatte aber eine Stola um den Hals gelegt, wohl als legales Zeichen seines Amtes. Wir fuhren die B 19 in Richtung Oberdorf. Beim Schalten näherte sich seine Hand verdächtig meinem linken Knie, das ich bewusst weit zur anderen Seite gelegt hatte, um auch nicht zufällig berührt zu werden. Außerdem hatte ich mir vorsichtshalber eine Jeans angezogen und keine Short. An der Abzweigung nach Niedersonthofen angekommen, war ich schon mit dem Beichten fertig. Er bog ab, drehte um. Während er die Absolution sprach, schaltete er hoch und seine rechte Hand beschrieb das Kreuzzeichen, während er den Schalthebel betätigte. „Ego te absolvo a peccatis tuis, in nomine patris, et filii et spiritus sancti!“ „Aha, H-Schaltung!“, kam es mir ungewollt in den Sinn, während ich „Amen!“ sagte. Die Buße bekam ich auf der Rückfahrt auferlegt. Auf dem Parkplatz angekommen, hatte ich schon meine drei ‚Vater Unser‘ und ‚Gegrüßet seist du Maria‘ abgeleistet und stieg irgendwie erleichtert aus. Nicht nur, weil nichts passiert war. Endlich mal wieder frei von Sünden! „Wenn du jetzt sterben würdest, kämst du gleich in den Himmel!“, empfing mich mein Freund und stieg selber in den Wagen. Doch mit dem Himmel hatte ich es in keiner Weise eilig! Momentan war mir die Erde lieber! Und ganz frei von Sünden zu sein, machte das alles noch schöner.

Weiter entfernt, unter den Kastanienbäumen sah ich meine evangelischen Freunde stehen, mit denen ich über mein Vorhaben gesprochen hatte. „Na, wie wars?“, feixten sie. „Dufte, besser als eine normale Beichte. Aber davon versteht ihr ja nichts!“ „Und, hat er?“ „Natürlich hat er mir meine Sünden nachgelassen, und bei der Menge ist das schon eine schöne Leistung!“ Ich dachte an das, was mir die Freunde über die Gemeinschaftsbeichte bei ihnen erzählt hatten. Alle zusammen im Gemeindesaal. In meinen Augen war das eine ‚Trockenbeichte‘, wie ein Pauschalangebot für eine Reisegruppe. Dahingegen war eine katholische Beichte im Beichtstuhl wie eine Inquisition. Denn hauptsächlich ging es da, unserem Alter entsprechend, um das sechste Gebot. Vor allem, wie oft man ‚Es‘ gemacht hatte. Nach einer Stunde Beichte hören musste dem Priester die gebeichtete Wichse schier bis zu den Knöcheln stehen (natürlich im übertragenen Sinn)! Für mich war das eine ‚feuchte Beichte‘, so wie er uns ja auch nach ‚feuchten Träumen‘ ausfragte. Anfangs wusste ich nicht, wovon er redete. Vielleicht wenn man beim Träumen schwitzte? Meine evangelischen Freunde konnten mich aufklären, die waren ja auch etwas älter als ich und deren Pastor pflegte eine offene Sprache, er redete nicht um den Brei herum. „Das ist, wenn du was richtig schön Schweinisches träumst und dir dabei einer abgeht. Wenn dir in der Früh das Nachthemd am Bauch festklebt“, meinte Berndi, „Aber das kann doch keine Sünde sein“, sinnierte er weiter, „das ist doch nur ein Traum und keine Absicht!“ „Aber in unserem Beichtspiegel steht ‚Unkeusches zugelassen, in Gedanken, Worten und Werken‘. Und was ist ein Traum anderes als Gedanken?“, erklärte ich. „Frag deinen Pfarrer doch mal danach!“, feixte Nori. „Sonst noch was! Das wäre sicherlich gleich eine ‚Zulassung von Unkeuschem in Worten‘!“

„Dazu fällt mir gerade etwas ein, kennt ihr den Witz mit dem 3-5-er ?“, meinte Milou, der schon im zweiten Jahr einer Klempnerlehre steckte und angeblich schon mal richtig ‚Löchle gestopft‘ hatte, „bis auf den Knochen!“, wie er stolz erklärte. „Knochen“? In einer Möse ist doch kein Knochen!“, hatte einer bemerkt. „Doch, wenn dein Schwanz lang genug ist, so wie meiner, dann stößt er an einen Knochen, wohl das Steißbein!“, „Das Scheißbein, willst du wohl sagen, weil es gleich beim Arschloch sitzt!“, hatte Nori ihn berichtigt und war vor Freude über seine treffende Bemerkung herumgehüpft. „Hört zu, den Witz hat mein Geselle letztens bei der Brotzeit erzählt: Also, es treffen sich zwei beim Pissen an der Pissrinne in einer Kneipe. Der eine sieht, wie der andere sich auf die Hose pisst. „Das ist mir früher auch oft passiert“, tröstet er ihn, „Deshalb mach ich das jetzt ganz systematisch: 1. Hosenladen auf, 2. Schwanz raus, 3. Vorhaut zurück, 4. Wasser lassen, 5. Vorhaut wieder nach vorne, 6. Pimmel in die Hose, 7. Hosenfalle zuknöpfen!“ Darauf meint der andere: „Das ist mir alles zu lang. Da mache ich lieber nur das 3-5, 3-5, 3-5. Das ist viel schöner!“ Alle, auch ich, brachen in so grölendes Gelächter aus, dass sogar die auf den rollenden Beichtstuhl Wartenden sich nach uns umdrehten. Ich versuchte verzweifelt, den Witz zu begreifen. „Was ist denn daran so witzig?“, fragte ich Nori, mit dem ich am vertrautesten war, „so ungefähr mache ich es doch auch!“ „Geht mal etwas auf die Seite!“, rief Nori den anderen zu, „ihr steht auf der Leitung von ‚Kleen-Bendick‘! Also gehen wir nochmal alles der Reihe nach durch, was ist 1., 2. usw. Und nun überlege mal, was ist, wenn du nur 3 und 5 machst!“ „Wichsen!“ entfuhr es mir wie damals das „Heureka“ dem Archimedes. Alle kugelten sich schier vor Lachen.

„Und ein 1-7-5-er, ist das auch einer, der wichsen tut? “, fragte ich sie etwas zögernd. „1.Hosenladen auf, 7. Hosenladen zu, 5. Vorhaut zurück. Das find ich komisch!“ Dieses Wort, besser diese Zahl, die ich öfters in einer Unterhaltung zwischen Erwachsenen aufgefangen hatte, lag mir schon lange auf der Zunge. Die Kumpels schauten sich an, dann brachen sie wieder in ihr ordinäres Lachen aus, was sonst einen schweinischen Witz begleitete. „Das kannst du ruhig laut sagen! Das ist die Bezeichnung für einen Schwulen, einen Homo, einen von jenen Erwachsenen, die es mit Gleichen treiben. Im dritten Reich unter Hitler, wurden diese als Untermenschen betrachtet. Um die deutsche Rasse rein zu halten, wurde da so ein Paragraph erlassen, der §175, der solches Treiben verbot und mit Gefängnis, später sogar KZ oder Kastrieren bestrafte. Kastrieren war eh eine Weile große Mode, vor allem bei euch Katholiken. Oft entmannte man Kinder, damit sie im Kirchenchor oder später an der Oper weitersingen konnten. Euer heiliger Augustinus hat sich selbst entmannt, um nicht mehr den sexuellen Versuchungen ausgeliefert zu sein. ‚Lieber als Eunuche in das Himmelreich eingehen‘, soll er gesagt haben, ‚als als Sünder in die Hölle!‘“ „Aber wie hat er das gemacht?“, fragte Jürgen. „Vielleicht mit zwei Ziegelsteinen? Paff!...“, vermutete Bernd. „Brr! Wenn ich mir sowas vorstelle, da kommt mir keiner mehr hoch!“, meinte Milou.

„Und wenn wir zusammen wichsen, sind wir dann nicht auch 175-er?“, entfuhr es mir. Es folge ein kurzes Schweigen. Jeder überlegte. „Ich glaube nicht!“, meinte Milou, der älteste von uns nach einer Weile. „Dazu muss man erwachsen sein, hatte man uns in der Berufsschule gesagt. Offiziell, das heißt, nach dem Gesetz, sind wir ja noch Kinder, solange wir keine 21 sind“. „Wie kommt es dann, dass du schon im Jugendknast warst, du bist doch erst 18?“ „Das heißt ‚sonniger Süden mit gesiebter Luft‘, das ist eine andere Art von Urlaub“, lachte er, „gewissermaßen ein Zwangsurlaub in einem Kellerraum der Residenz in Kempten. Als Kind darfst du allen Scheiß machen und man kann dich nicht einsperren. Die Eltern sind für alles haftbar. Ab 18 bist du ‚beschränkt haftbar‘ für den Unsinn, den du machst (erst seit 1974 ist man mit 18 volljährig und auch wahlberechtigt). Da man dich nicht dauerhaft einsperren darf, alleine schon wegen deiner Lehre oder dem Schulunterricht macht man das an mehreren Wochenenden. Da geht es manchmal ziemlich lustig zu!“, schnitt er auf. „Dort unterrichtet man dich auch, wie die einzelnen Missetaten einzuordnen sind. Die kleinen nennt man Ordnungswidrigkeiten, dafür muss man nicht ins Gefängnis, die großen Straftaten oder Delikte, die wiederum in Vergehen und Verbrechen unterteilt werden. Für Verbrechen wie Raub, Mord oder Vergewaltigung gibt es da ganz happige Strafen. Die happigste war die Todesstrafe. Die ist aber seit 1945, meinem Geburtsjahr, abgeschafft. Diese grausame Art der Bestrafung geht noch auf das Alte Testament zurück, ihr kennt die Bibelstelle sicherlich alle, wo es heißt ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘! Also wer getötet hat, muss gleichfalls sterben. Anfangs, im alten Rom, waren die ersten Christen gegen die Todesstrafe, da es ja meist ihnen selber an den Kragen ging. Als das Christentum dann Staatsreligion wurde, waren sie plötzlich dafür, um die Heiden zu bekämpfen und zur Bekehrung zu zwingen, hat unser Pastor erzählt. Grausam! Deshalb halte ich nicht mehr viel von Religion und dem Drumherum. Und auch nicht von Politik. Die drehen alles so hin, wie es ihnen am besten passt!“

„Das ist ja richtig gruselig. Hast du schon mal echte Verbrecher getroffen? Wie sehen die denn aus?“, wollte Gustav wissen. „So wie du und ich. Wie ganz normale Menschen. Nur in den Kriminalfilmen erkennt man sie gleich an ihrem Aussehen!“ Das wenn meine Mutter wüsste, dass der Milou schon mal im Bau war! Die ließe mich gar nicht mehr auf die Straße raus! Ich überlegte, ob ich nach einer solchen Unterhaltung und diesem Umgang nicht gleich nochmal in den rollenden Beichtstuhl einsteigen sollte, um meine neuesten Sünden zu beichten. Aber war es überhaupt eine Sünde, wenn man etwas Schweinisches gehört hatte? Eigentlich müsste das doch nur den betreffen, der einen solchen Witz erzählt… Das müsste ich mal den PS fragen. Aber der war schon endgültig abgefahren und diejenigen, die gebeichtet hatten, waren auch weggegangen, wohl um sich nicht wieder mit Sünden anzustecken, indem sie uns zuhörten, zu schlecht war der Ruf der Buben, bei denen ich mich befand!

Durch meinen Freund Toni erfuhr ich auch, was ein Ablass ist. Das ist der Nachlass von Sündenstrafen, die man durch Gebet, meistens ein kompletter Rosenkranz, für andere erreichen kann. Vorher muss man aber gebeichtet haben. Ablässe mit der Spende einer bestimmten Geldsumme zu verbinden (was den Anlass zu Luthers Reformation gegeben hatte), war nicht mehr erlaubt. Nur durch Gebete konnten Sündenstrafen nachgelassen werden, besonders für diejenigen, die ohne vorherige Beichte gestorben waren und deshalb im Fegfeuer brutzelten. Die Möglichkeit dazu boten die Kirchenfeste, zum Beispiel das Fest des heiligen Martins, des Schutzherrn unserer Pfarrkirche und der 2. August, das Fest der heiligen Portiunkula. Da drängten sich die alten Weiblein um und in der Kirche um einen Ablass für einen lieben Verstorbenen zu erwirken. Aber auch Kinder kamen zur Kirche, geschickt von ihren Eltern, um das Seelenheil eines verstorbenen Angehörigen zu erflehen. Da nur ein Ablass pro Kirchenbesuch und Person möglich war, hatte das Volk einen kleinen Trick erfunden: Man betrat die Kirche jedes Mal durch einen anderen Eingang und verließ sie durch einen Seiteneingang oder die Sakristei. So konnte man mehrere Ablässe an einem Tag erlangen und einer armen Seele zukommen lassen.

Ja, der Toni meinte es richtig gut mit mir! Manchmal schien es mir, er wolle mich wieder auf den rechten Weg bringen. Gut, wir verstanden uns, hatten immer was zu bequatschen. Er war das, was man einen anständigen Buben nennt. Er hatte noch etliche Geschwister, die auch regelmäßig in die Kirche gingen. Doch waren sie auch Flüchtlinge und zudem eine kinderreiche Familie. Das machte sie schon fast zu Asozialen, und meiner Mutter war es gar nicht so recht, dass ich auch bei diesen aus- und einging. Aber immer noch besser als die Protestanten-Clique!

DAS MAIENWUNDER

Es war Mai. Der Wonnemonat Mai. Wo alle Blütenknospen aufgehen, auch die der Mädchen. Deshalb war dieser Monat der Jungfrau Maria geweiht. Jeden Abend fanden in allen Kirchen weltweit Maiandachten statt, bei uns im Dorf kam einmal wöchentlich eine Andacht in der ‚Grotte‘ im ‚Rauns‘ dazu. Dieses Bauwerk ähnlich einem nach einer Seite offenen Gewölbe hatte ein Bauer nach dem ersten Weltkrieg erbaut aus Dankbarkeit, dass er auf der Einzugsliste der Soldaten vergessen worden war. Es ist eine Art Nachbau einer Tropfsteinhöhle im ‚Zuckerbäckerstil‘ mit viel Beton, aber gut gemacht. Bisweilen stiegen wir die engen Treppchen hoch zum ‚Auskundschaften‘ und stibitzten ein paar Kerzenstummel, um an der Iller mit Schwemmholz ein Feuer zu machen…

Hier im Freien waren die Maiandachten, die abends stattfanden, so bei Sonnenuntergang, sehr romantisch. Es war hauptsächlich junges Volk anwesend, vielleicht, weil für die Älteren der Weg zu weit war. Hier traf man sich unter einem religiösen Vorwand, um mal etwas zu schwofen, Händchen zu halten, oder einen ersten Kuss zu wagen. Denn über allem wachte ja die heilige Jungfrau Maria, sicherlich etwas wehmütig, wenn sie sah, was sie wegen ihrer Jungfrauschaft alles verpasst hatte… Ihr zum Lobe wurden in eintöniger Weise Rosenkränze gebetet. Fünf mal zehn Ave-Maria, wobei man hinter der Nennung des Namens Jesu einen Zusatz einfügte, während die Fingerspitzen der Betenden langsam eine Perle nach der anderen weitergleiten ließen, um im Einklang mit den anderen Betenden zu bleiben. Wie ein Windhauch in den Wanten eines Schiffes schwoll der Klang der vielen Stimmen mal mehr, mal weniger an, um dann, nach einer kurzen Pause erneut zu beginnen, während die Finger eine neue Perle ertasteten. Oft wurde anschließend noch eine Litanei angehängt, weil sich die Betenden einfach nicht aus dieser inbrünstigen Atmosphäre lösen konnten. Das passte natürlich den jungen Leuten. Während im Sonntagsgottesdienst nach einer Stunde schon alle Hinterteile ungeduldig auf den Bänken herumrutschten, um endlich die Kirche verlassen zu können, war hier jede Verlängerung willkommen. Denn gut behütete Töchter aus katholischen Familien hatten nicht viele Gelegenheiten um Buben zu treffen.

Und hierher schleppte mich Toni. Und landete einen Volltreffer! Denn die hier herrschende Stimmung, diese Mischung von Sonnenuntergang, Kerzenflackern, Weihrauch und Gebetsrauschen drang bis in den Kern meiner Seele ein. Irgendwie war da entweder ein Vakuum gewesen, das sich jetzt auffüllte, oder aber ein Saatkorn von Mystik gelegen, das jetzt zu keimen begann. Vielleicht hat jeder Mensch diese Anlage in sich, wie ein Rettungsring für die Seele, wenn sie droht, im Sturm der materialistischen Welt unterzugehen.

Nicht genug der Maiandachten in der Grotte, von jetzt an ging ich jeden Maienabend auch in die Andachten in der Pfarrkirche. Mein Freund war immer dabei, sichtlich erfreut über meinen Wandel vom Saulus zu einem Paulus! Auch hier half das anfänglich von den bunten Kirchenfenstern getönte Dämmerlicht, welches sich dann, während des Betens langsam in tiefes Dunkel verwandelte, wohlig erleuchtet von den leicht im Lufthauch flackernden Kerzen, den mystischen Keim in mir wachsen zu lassen. Ich labte mich an dieser Atmosphäre, wie ein Opiumraucher an seiner Pfeife, wollte sie andauern lassen.

Natürlich hatte ich nie Opium geraucht, kannte das Wort nur aus Abenteuerromanen. Hatten wir kein Geld für Tabak, dann lasen wir Kippen auf und bröselten sie in unsere Pfeifen. Oder schnitten im Wald ‚Judenstricke‘ ab und zündeten sie an, diese langen Lianen, an denen wir uns manchmal wie Tarzan durch das Unterholz hangelten, laute Schreie von uns gebend, wie Jonny Weissmüller, wenn er Jane verfolgte. Mit ihrem Rauch husteten wir uns schier die Lunge aus dem Leib. Meine Mutter, die im Krieg als Krankenschwester im Lazarett das wieder zusammenflickte, was die Produkte der Waffenfabrikanten zerstückelt hatten, erzählte mir manchmal, dass sie den Verletzten Opium oder Morphium verabreicht hatten, wenn die Schmerzen unerträglich wurden. „Du hättest sehen sollen, wie friedvoll dann ihr Gesichtsausdruck war!“ Plötzlich verstand ich den Ausspruch Karl Marx, der Religion als Opium für das Volk bezeichnete! Eine Droge, um den Weltschmerz und die Sorgen des Alltags ertragen zu können. Bevor man davon durch den Tod erlöst wurde. Nie hatte ich einen solchen süßen Rausch erlebt wie an diesen Andachts-Abenden! Alkoholrausch kannte ich schon und ich schüttelte mich allein bei dem Gedanken, wie mir danach am nächsten Morgen zumute war. Der Rausch einer Andacht aber kannte keinen Kater am nächsten Morgen, mein Geist sehnte sich erneut nach diesem Zustand. Ich konnte ohne nicht mehr sein!

Der Mai und seine speziellen Marienandachten ging zu Ende und der Alltag mit dem üblichen abendlichen Rosenkranz um 20 Uhr trat an seine Stelle. Ich ging weiterhin abends in die Andacht, oft begleitet von meinem Freund Toni und bisweilen anderen, die wir für diese fromme Sache hatten gewinnen konnten. War das ein Anzeichen, dass ich süchtig geworden war? Waren die Rosenkränze bisher fast ausschließlich Altweibersache gewesen, so verjüngte sich jetzt das Publikum. Ich hatte bemerkt, dass eine alte Frau, die Mina, wohl ihr Leben lang Jungfer geblieben, sei es aus Hingabe zu Gott oder wegen eines zu kurzen Beines, vor den Andachten die Kerzen anzündete und sie nachher auslöschte. War sie verhindert, machte das der Pfarrer selber. Da ich ja inzwischen zu den ‚Regelmäßigen‘ gehörte und kaum eine Andacht ausließ, bot ich dem Pfarrer an, diese Tätigkeit zu übernehmen.

Der nahm mein Angebot erfreut an, sicherlich froh über meine plötzliche Begeisterung. Er erklärte mir, wie man die langen Stangen mit dem dicken Docht oben dran beim Anzünden handhabt und wie man beim Ausmachen mit dem gegenüber angebrachten Hütchen langsam die Flamme erstickte oder mit einem anderen Gerät, das eigentlich ein langes Rohr war, an dem sich unten ein Gummiball befand und oben ein Ring, auf der Innenseite mit Löchern versehen, ausblies. Man musste nun mit ruhiger Hand das lange Rohr zur Kerze führen, langsam den Ring um die Flamme postieren und auf den Gummiball drücken, um die Kerze auszublasen. Langsam verglühten die Dochtenden und verteilten ihren speziellen, mich schier berauschenden Duft im Kirchenschiff. Und wenn dann die schlurfenden Schritte der letzten Rosenkränzler draußen verstummt waren, gehörte die Kirche mir. Mir und Gott. Der Pfarrer war schon verschwunden oder werkelte noch in der Sakristei rum. Ich genoss diese Augenblicke wie ein Derwisch seine Trance. Mir war, als hätte ich mich nie zuvor so wohl gefühlt, sogar eine Selbstbefriedigung und der Orgasmus, der folgte, war nichts im Vergleich mit meinem jetzigen euphorischen Zustand! Vielleicht trug dazu bei, dass jetzt das Damoklesschwert der Todsünde und der ewigen Verdammnis nicht mehr über mir schwebte. Was ich tat, war ja in den Augen Gottes wohlgefällig, wie es irgendwo in der Bibel steht.

Um mich noch nützlicher zu machen und vielleicht auch um diese Atmosphäre länger andauern zu lassen, ließ ich mir vom Pfarrer zeigen, wie man die Frühmesse des nächsten Tages vorbereitet, wie man nach dem liturgischen Kalender des Bistums im Messbuch die richtigen Seiten ausfindig macht und mit Bändeln markiert, die Messgewänder in den entsprechenden Farben vorbereitet, den Wein bereitstellt oder öffnet und was sonst noch hinter den Kulissen zu tun ist, damit das Zeremoniell der heiligen Messe reibungslos abläuft. Somit wurde ich im Laufe der Wochen zum ‚Rosenkranz-Mesner‘ ernannt. Ich war irgendwie stolz darauf, obwohl mir bewusst war, dass Stolz eine der Kardinalsünden ist. Aber jetzt fühlte mich als vollwertiger Teil der Kirche und ging das erste Mal dem Gedanken nach, vielleicht eines Tages selber Priester zu werden. Ich erlegte mir selbst eine Prüfung auf: Da ja der Zölibat, also die Ehelosigkeit eine, vielleicht sogar die Hauptvoraussetzung für diesen Beruf ist, nahm ich mir vor, keusch zu leben. Würde ich das schaffen, sagte ich mir, wäre ich für diesen Weg geeignet. Wie hieß es in der Bibel? „Viele sind berufen, aber wenige nur sind auserwählt“ Und: „Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich, verleugne sich selbst und folge mir nach“. Natürlich ging ich vormittags weiterhin zur Oberschule, stand doch die mittlere Reife an, die ich unbedingt schaffen wollte. Wenn die Zeit es zuließ, ging ich sogar werktags in die Frühmesse und fuhr nachher mit dem Moped, welches ich mir heimlich von meinem in den Ferien verdienten Geld gekauft hatte, in die Schule.

Meine evangelischen Freunde traf ich weniger, vor allem, da ich abends dermaßen beschäftigt war und keine Zeit mehr für den üblichen Unsinn hatte. Auch meine anderen Freunde sah ich jetzt etwas seltener, außer die katholischen, die vor allem am Freitag- und Samstagabend während der Rosenkranzandacht zum Beichten gingen. Dann überließ der Pfarrer das Vorbeten einer der ihm und Gott voll ergebenen Frauen und zog sich in den Beichtstuhl zurück.

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