Kitabı oku: «Volles Rohr», sayfa 2
Wie mit einer Eisenhand riss er den federleichten Pröger hoch und schob ihn vor sich her. Mit seinem massigen Körper gab er dem Mann Deckung. Dabei dreht er sich ständig und richtete dabei seine Waffe stets in die Richtung, aus der er die Schüsse vermutete.
Da pfiff ein Geschoss an seinem rechten Ohr vorbei und knallte neben der Hauptstraße in den Asphalt. „Ptschuuu“ machte es hinter den beiden. ‚Dieser Drecksack hat nur frisch geladen’, schoss es Mertz durch den Kopf.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Kurz nach dem nächsten Einschlag in unmittelbarer Nähe war jenseits des Marktes plötzlich eine andere Schussfolge zu hören. „Prrrrrrrrtschuuu, prrrrrrrrtschuuu“, eine Maschinenpistole. Claudia Siegemund hatte die MP 5 aus dem Türtresor geholt und war zur Gegenoffensive übergegangen. Hinter dem Polizei-Mondeo Deckung suchend, rotzte sie ein ganzes Magazin in kurzen Feuerstößen leer. Auf der gegenüberliegenden Seite des Bahndammes hatte sie als einzig denkbare Deckung für einen Angreifer einen dicken Baum ausgemacht. Und bei näherem Hinsehen dort kleine Mündungswölkchen gesehen, wenn es gerade krachte.
Da drüben musste es jetzt besonders ungemütlich sein. Auch wenn auf diese Entfernung mit der Maschinenpistole keine präzisen Treffer zu landen waren, so machten die Einschläge im Acker rechts und links neben dem Baum der Schützin doch alle Ehre. Dann war es verdächtig still. Von der anderen Seite kam kein Schuss mehr. Außer einer Polizeisirene, die sich von der Ortsmitte her näherte, war ohnehin kein Ton zu hören. Aber auch eine Bewegung war nicht auszumachen.
„Sag bloß, Du hast ihn erwischt!“, rief Rüdiger aus sicherer Deckung zu der Kollegin hinüber.
„Kann ich mir nicht vorstellen. Aber er weiß, dass er keine Chance hat. Sobald der die Rübe hinter´m Baum raus streckt, gibt´s Saures. Da müssen wir bloß jetzt rüber und den Typen festnageln.“ Noch immer kniete sie hinter dem Wagen.
„Kommt nicht in Frage. Du bleibst auf alle Fälle hier“, bestimmte Mertz. Plötzlich stoppte ein Streifenwagen neben ihm und Harald Pröger, der mit dankbarem Blick dicht bei ihm geblieben war.
„Bei Euch wird geschossen?“, rief Sam Weinrebe zum Beifahrerfenster hinaus. „Wo denn?“
„Poff!“ Das linke hintere Seitenfenster des Wagens löste sich in seine Bestandteile auf.
„Runter!“, brüllte Mertz. „Und zurück in Deckung vor dem Markt.“
Wieder lag der Kiffer auf dem Bauch. Nur diesmal robbte er zurück in den Schatten des Discounters. Auch der Streifenwagen setzte zurück. Drinnen zwei leichenblasse Polizisten.
„Prrrrrrrrtschuuu, prrrrrrrrtschuuu.“ Die Kollegin hatte ihrerseits den Beschuss des vermeintlichen Verstecks wieder aufgenommen. Nur diesmal folgte auf die zweite Salve ein langgezogener Schrei, der gar nicht mehr aufhören wollte. Irgendwie schrill, laut und kläglich.
„Der verarscht uns doch“, rief die Siegemund zu Rüdiger Mertz rüber. „Wenn ich den getroffen habe, dann fress´ ich einen Besen. Das wäre ein Wunder mit der Knarre hier.“ Aber das Geschrei hörte einfach nicht auf.
„Komm, gib Gas“, rief Weinrebe seinem Kollegen am Steuer zu, als er sich wieder gefangen hatte. „Da vorne geht rechts ein Weg rein, der unter der Bahn durchführt. Den Typen holen wir uns.“
„Und wenn der wieder schießt?“
„Wird er nicht. Weil Claudia uns Feuerschutz gibt, bis wir da sind.“
„Ihr seid ja wahnsinnig“, rief Rüdiger Mertz. „Hierbleiben!“
Aber da war der silber-blau-gelbe BMW schon losgerast und gerade mal hundert Meter hinter dem Markt rechts in den Weg abgebogen.
Claudia schoss zwei, dreimal deutlich am Baum vorbei. Nur um Eindruck zu machen, bei dem Schützen auf der anderen Seite. Aber weil der weiter vor Schmerzen brüllte, musste man nicht annehmen, dass er noch sonderlich wehrhaft wäre.
Vorsichtig näherten sich die beiden Kollegen mit ihrem Streifenwagen. Bis auf etwa 30 Meter. Dann stieg Sam Weinrebe aus. Seinerseits mit der Maschinenpistole bewaffnet. Und auf der Fahrerseite bezog Bernd Kleinheisterkamp mit gezückter Pistole Position hinter der Fahrertür.
Langsam näherte sich Sam dem Baum. Schritt für Schritt sichernd und immer mit der MP im Anschlag. Bis er schließlich schneller wurde und direkt neben dem Baum stehen blieb. Dann winkte er heftig und rief etwas. Aber unter dem Lärm einer gerade einfahrenden Bahn war das nicht zu verstehen.
„Wir brauchen dringend einen Notarzt und einen Rettungswagen“, kam es kurz darauf über den Funk. Die Frau hat zwei Einschüsse im rechten Oberschenkel und verliert sehr viel Blut. Wir binden jetzt ab.“
„Die Frau?“ Rüdiger Mertz stierte erst seine Kollegin, dann Harald Pröger an. „Das war eine Frau, die hier rumgeballert hat?“
„Scheiße, das ist wahrscheinlich Fine.“ Pröger holte tief Luft und streckte sich, als wolle er abheben. Die Arme nach hinten geworfen brüllte er: „Um Gottes Willen, dieses wahnsinnige Weib! Hoffentlich ist das nicht wahr.“
„Wer ist diese Fine? Und was will die von Ihnen?“
„Das ist meine Ex. Josephine Meierling aus Dessau. Wir haben uns schon vor zehn Jahren scheiden lassen.“
„Warum das denn?“
„Hören Sie. Das spielt doch im Moment gar keine Rolle. Helfen Sie ihr bitte. Bitte!“
„Rettungswagen und Arzt sind unterwegs. Die Wache in Berleburg hat ja den Funkspruch der Kollegen mitbekommen.“
Claudia Siegemund hatte sich auf den Beifahrersitz des Mondeo gesetzt. Ihr war etwas schummerig zumute. Eigentlich wollte sie zu der Frau, die sie angeschossen hatte.
„Kommt nicht in Frage“, hatte Mertz beschieden. „Du bleibst hier sitzen, erholst Dich und trinkst etwas von Deinem Tee. Die MP schließe ich schon mal im Kofferraum ein. Du weißt, wegen der Beschlagnahme.
Rüdiger schaute auf den gescheiterten Juristen herunter, der fast einen Kopf kleiner war. Ein richtiger Spargeltarzan, der unruhig geworden war und wohl am liebsten quer über die Bahn zum Tatort gelaufen wäre. Obwohl er seine dämliche Frage nach dem Warum heftig bereute, interessierte Mertz brennend, warum eine Frau auf ihren ehemaligen Ehemann schießt. Zehn Jahre nach der Scheidung.
„Weil sie mir kurz nach der Scheidung schon damit gedroht hat, mich ‚abzuknallen’, wie sie das damals formuliert hat.“
„Und warum kann die Frau so gut schießen?“
„Sie war Scharfschützin bei der NVA.“
„Scharfschützin bei der NVA?“
„Ja, bei der Nationalen Volksarmee. Majorin. Meine Fr…, äääh Fine stammt aus Dessau. Also aus der DDR. Und genau dorthin wollte sie mit mir zurück. Aber mich hätten dort keine zehn Pferde hin bekommen. Ein Umsiedeln in diese Ecke der Republik kam für mich schlicht nicht infrage. ‚Gut, hat sie gemeint. Dann gehe ich eben allein. Dafür musst Du aber bluten, mein Lieber.’
Wissen Sie, damals war ich noch ein gut verdienender Jurist. Als ich aber kurz vor der Scheidung meinen Job verlor und ziemlich mittellos dastand, drehte Fine fast durch. Da war plötzlich nix mehr mit feinem Leben, das sie sich ausgemalt hatte. Arbeiten wollte sie nämlich nicht mehr.“
Von Alt-Aue her kam ein weiterer Streifenwagen angeschossen und bog auf den Parkplatz am Supermarkt ein. Mit knarzenden Reifen hatte er neben dem Trio angehalten. Bernd Dickel war auf der Beifahrerseite herausgesprungen und rasch zu der Gruppe herübergekommen.
„Oh, grüße Sie Herr Pröger. Alles in Ordnung bei Ihnen? Jemand verletzt bei Euch? Wo sind denn die anderen beiden?“
Um den Fragenhagel zu beantworten, hatte sich Claudia Siegemund aus dem Wagen herausgeschält und zu den anderen gesellt. Mertz und sie gaben in jeder Hinsicht Entwarnung und erzählten, was sich da gerade abgespielt hatte. Und der Alt-Kiffer gab unumwunden zu, dass er um ein Haar seine Hosen gestrichen voll gehabt hätte. „Ohne Ihre Bul…, ‘tschuldigung, ohne Ihre Kollegen wäre ich da wohl nicht lebend rausgekommen.“
„Freut mich, wenn Ihnen geholfen wurde. Da wird es Ihnen sicher nicht schwer fallen, uns zu erzählen, auf wen Sie eigentlich an der Haltestelle gewartet haben.“ Nachdem den Kollegen am Vormittag dieser kapitale Marihuana-Fang gelungen war, lag eigentlich für jeden Polizisten der Verdacht nahe, dass auch solch altgedienten Hasch-Konsumenten wie Pröger der Nachschub abgeschnitten wurde, der eigentlich per Bahn hätte kommen sollen. Und vielleicht wartete der ja sogar auf das besondere Päckchen.
„Auf wen ich gewartet habe?“
„Ja. Wer wollte da mit dem Zug kommen?“
„Weiß ich nicht. Ich habe keine Person erwartet.“
„Ja, aber warum haben Sie denn bei diesen unwirtlichen Temperaturen dort herumgesessen?“
„Weil ich nicht auf irgend jemanden gewartet habe, sondern auf den Rothaar-Express.“
„Wie bitte? Wollen Sie mich veräppeln? Wo ist denn da der Unterschied.“
„Kann ich Ihnen erklären. Ich überprüfe derzeit, wie pünktlich die Züge sind. Und ob sie überhaupt fahren. Sie wissen vielleicht, dass es da in der Vergangenheit immer wieder zu beklagenswerten Verspätungen und Zugausfällen gekommen ist. Ich vertrete eine Gruppe von Bürgern, die die Betreibergesellschaft womöglich verklagen wollen. Weil sie wegen dieses Desasters wiederholt zu spät zur Arbeit kamen und ihre Kinder zu spät zur Schule. Und mit dem Nachhausekommen gab es ähnliche Probleme.“
„Mein Gott. Und dabei wird man um ein Haar auch noch erschossen“, sinnierte Dickel. Aber da wusste er noch nichts von Prögers Ex und ihren Drohungen.
Drüben beim Baum fuhren gerade der Notarzt und ein Rettungswagen vor. Und es begann mal wieder zu schneien.
Pattrick Born hatte Anna Berg weich geklopft. Die frisch geduschte junge Frau begann zu reden. Zu schwer lastete auf ihren Schultern die Verantwortung für das Drogenpaket, das sie in ihrem Rucksack zur nächsten „Station“ transportieren sollte.
Das hatten sich die Hintermänner gut ausgedacht. Auf der Liefertour mehrere Einzelpersonen auf der Strecke vom Versender zum Empfänger zwischenzuschalten. So ließen sich falsche Spuren legen und andere verwischen. Und immer waren die Kuriere Leute, die von den Auftraggebern nach Belieben gegängelt werden konnten. Weil sie sie wegen säumiger Zahlungen oder unterschlagenen Stoffs in der Hand hatten.
Für Anna hatte sich der Oberguru am Ende der Lieferschlange etwas Besonderes ausgedacht. Und das konnte wirklich nur einem kranken Hirn entspringen. Denn sie sollte nicht nur den kiloschweren Haschischkuchen von A nach B bringen. Sie sollte auf dem Weg dorthin auch noch den Bedarf am Bahnhof in Bad Berleburg stillen. Mit fertig abgefüllten Grammpäckchen. Dass damit die Gefahr um ein vielfaches größer war, gleich mit dem ganzen Marihuana-Gepäck aufzufliegen, schien er irgendwie außer Acht gelassen zu haben.
Prompt war sie hochgegangen – samt ihrer Identität. Und ihr schwante, dass das aufgrund eigener Dusseligkeit passiert war. Zu groß war wohl ihre Gier, an dem Tütchen-Geschäft noch ein wenig mitzuverdienen. Sie war nämlich dauerklamm. Aber dafür wäre wohl eine bessere Deckung vonnöten gewesen. Sie hatte das alles einfach der Gunst und dem Ansturm der Stunde überlassen.
Sei´s drum, jetzt war eh alles zu spät. Und jetzt wollte sie sich den ganzen Scheiß von der Seele reden. ‚Geständige bekommen manchmal einen Strafnachlass’, dachte sie. Eine durchaus verlockende Option, die ihr im Moment eher sympathisch erschien – im Vergleich zu dem, was ihr in „Freier Wildbahn“ nach dem Verlust der Drogen drohte. Alles sollte auf den Tisch. Bis auf den Bezugsweg für die Ware. Und die Hintermänner. Glaubte sie etwa, daraus ließe sich ein eigenes Geschäft entwickeln?
„Wer ist denn eigentlich der Mensch, der das Kuvert von Ihnen hätte übernehmen sollen?“ Pattrick war ganz wild darauf, die Geschichte in trockene Tücher zu bekommen. Denn der Anschiss des Chefs von vorhin saß tief.
„Der heißt Monkey. Mehr weiß ich nicht. Ich bin dem schon zwei-, dreimal bei solchen Aktionen begegnet. Nur waren die Lieferungen damals nicht so groß.“
„Und wo sollten Sie Monkey treffen? Etwa hier irgendwo in der Stadt?“
„Nein, nein, ich hätte den Bus um 13:30 Uhr nach Winterberg nehmen und in Hoheleye ‚Sanatorium’ aussteigen sollen. Dort wollte er auf mich warten und das Kuvert übernehmen. Ich hätte dann gleich mit dem Gegenbus wieder runter nach Berleburg fahren können.“
„Gibt´s da auch so ‘ne Art ‚Rettungsweg’, falls Sie zu spät oder gar nicht mit dem genannten Bus gekommen wären?“
„Natürlich. Einen Bus später. Wobei das schon mal ganz gewaltig übel genommen werden kann. Wir dürfen nämlich keine Handys dabei haben. Können uns also gegenseitig nicht verständigen.“
„Wie sieht denn dieser ominöse Kollege namens Monkey aus?“ Anna Berg beschrieb ihn, soweit sie das vermochte. Konnte sich aber nicht mehr so ganz genau erinnern. Immer wieder schaute sie aus dem Born´schen Bürofenster heraus und sah dem Flockenwirbel zu. ‚Gut, dass du nicht dort draußen sein musst’, dachte sie. Sie hätte nämlich nicht gewusst, wo sie die nächsten Nächte hätte verbringen können. Ihr Dauerquartier war ihr zu gefährlich, für einen Gasthof hätte ihr Geld nicht ausgereicht und die Kohle aus dem Drogenverkauf hatte die Polizei konfisziert. „Aber dass er auch beim nächsten Bus in Hoheleye am Sanatorium steht, das ist absolut sicher.“
Born hatte es plötzlich sehr eilig. „Alles Weitere besprechen wir später“, entschied er und stand auf. „Bitte bring sie wieder in ihre Zelle“, bat er den Beamten, der auf einem Stuhl neben der Tür der Vernehmung beigewohnt hatte.
Das Wartehäuschen beim „Sanatorium“ war eine Farce. Zumindest bei diesem Wetter. Ohne Unterlass pumpte der Nordwestwind neue Schneeladungen auf den dick vermummten Mann, der in der nach vorne offenen Hütte Schutz gesucht hatte. Gegenüber hätte er zwar ein lauschiges Plätzchen im „Graberhof“ finden können. Aber dafür hatte er weder das Geld, noch hätte er seinen Gast dort abpassen können.
Der Bus in Richtung Winterberg hätte eigentlich seinen Besuch mitbringen sollen. Der hielt zwar auch pünktlich nach Fahrplan um 14:03 Uhr. Aber es stieg niemand aus. Und drinnen saßen gerade mal vier Leute, von denen niemand auch nur ansatzweise nach Frau aussah.
Der verärgerte Busfahrer, der gemeint hatte, der Mann in der Hütte wolle mitfahren, hatte mächtig Probleme, sein schweres Gefährt auf der Steigungsstrecke in Richtung Rothaar-Höhenstraße wieder in Gang zu bringen. Mit grimmigem Gesicht schaute er zur Haltestelle herüber, während der MAN sein Hinterteil schlingernd über die Straßenmitte herüberschob. Nur allmählich griffen die immer wieder durchdrehenden Zwillingsräder der Hinterachse.
Hier oben, dicht am Rothaarkamm, war noch richtig Winter. Gardinen aus Pulverschnee jagten über die Freiflächen und türmten Schneewechten an den Straßenrändern und Ackerrainen auf. Gut zwei Kilometer weiter in Langewiese liefen noch die Skilifte. Deren Betreiber versuchten noch reinzuholen was möglich war. Denn das Weihnachts- und Neujahrsgeschäft hatte so gut wie nicht stattgefunden.
Leise fluchend stand der Wartende auf und ging herüber zum Fahrplan, der als solcher nur an der farbigen Umrandung des Kästchens zu erkennen war, in dem er aushing. Mit seinen Fäustlingen kratzte er Eisstreifen für Eisstreifen das Glas frei. In gut einer Stunde würde der nächste Bus kommen und um 16:03 Uhr der letzte, der noch bei Tageslicht zu erwarten war.
‚Verdammte Hacke, Klaf macht mich fertig, wenn ich ohne die Ware komme.’ Ein Schauer schoss ihm über den Rücken. Und der hatte nun wirklich nichts mit dem Wetter zu tun. Es war nichts als die nackte Angst. Denn dieser legendäre „Klaf“, von dem niemand den richtigen Namen kannte, war ein ausgesprochen brutaler Hund. Einer, der angeblich bereits über Leichen gegangen war. Abends um halb sieben hatten sie sich auf dem Bierloch-Parkplatz in Langewiese verabredet.
Niemand wusste, wo dieser Typ wohnte und niemand hätte sagen können, ob er wirklich der Drogenbaron der Region war. Die Szene zumindest hielt ihn dafür. Fakt war lediglich, dass er offenbar alles und jeden in der Hand hatte. Und dass er vor allem vom Geschäft mit den Tausenden von Holländern lebte, die Winterberg und Umgebung jahrein, jahraus mit Skiern, Bikes und Walkingstöcken heimsuchten. Deren Stoffkonsum musste gewaltig sein.
Gäbe es nicht solche Leute wie ihn, Monkey, wäre Klaf aufgeschmissen. Denn dann müsste er sich den Stoff an weitaus pikanteren Stellen abholen, als auf einem unverdächtigen Liftparkplatz. Aber er hatte halt solche Kuriere rekrutiert. Durch Köder-Aktionen, von denen er ganz genau wusste, dass sie für den Betreffenden schiefgehen mussten.
Monkey hatte er drangekriegt, indem er ihn beauftragte, Hasch-Tütchen an Disco-Besucher in Schmallenberg zu verkaufen. Bei fünfzehn Prozent Gewinn. Und das just in einer Zeit, in der Monkey besonders klamm und seine Monatsmiete seit drei Monaten offen war. Schon dessen Getränkerechnungen in den Discos schluckten den Gewinn aus den Verkäufen. Der Rest ging an seinen Wohnungsvermieter drauf. Sonst hätte sich Monkey das Wartehäuschen als Dauerbleibe ausgucken können.
Er war also in Klafs Hand. Und das hatte der ihm überaus deutlich gemacht. Mit brutalen Schlägen in die Magengrube und Tritte in die Weichteile. „Dabei forderte er ihn immer wieder auf: „Wehr´ Dich doch. Schlag zurück und mach´ mich fertig. Dann kannst Du ja zur Polizei gehen.“ Doch er war machtlos.
Diese Kurier-Mission sollte eine Art „zweiter Versuch“ sein. Im Erfolgsfall wollte ihm sein Auftraggeber 25 Prozent seiner Schulden erlassen und ihn dauerhaft in seine Dienste aufnehmen. Was ihm aber widrigenfalls blühte, wollte sich Monkey erst gar nicht ausmalen. Er musste also handeln. Bevor er um 18:30 Uhr mit leeren Händen vor seinem brutalen Auftraggeber stünde. Er ahnte, dass er das nicht überleben würde. Denn für 10.000 Euro gäbe es von Klaf mit Sicherheit nicht nur ein paar Fausthiebe und Tritte.
Auf der gegenüberliegenden Seite hielt der Bus auf der talwärtigen Strecke nach Bad Berleburg. Drei Leute stiegen aus und kamen zu ihm herüber. Allerdings ohne Notiz von ihm zu nehmen. Sie bahnten sich einen Weg in Richtung Sanatorium. Wobei das längst eine andere Funktion hatte und in ein Seniorenheim umfunktioniert worden war. ‚Die armen Alten hier oben’, dachte sich Monkey, ‚die haben in solchen Wintermonaten nicht die Spur einer Chance, mal an die frische Luft zu kommen.’
Versonnen schaute er dem abfahrenden Bus nach, als ihm plötzlich eine Idee kam. Er wollte noch den nächsten Bus abwarten. Wenn der aber wieder nichts und niemanden für ihn dabei hatte, würde er die nächste Gelegenheit wahrnehmen und runter nach Berleburg fahren. Und diese Gelegenheit wäre, er schaute auf den Fahrplan, um 15:12 Uhr. ‚Diese Scheißwarterei bei der Kälte hier. Wo bleibt dieses dämliche Weib nur?’
Ob die Frau sich wohl mit ihrem Kuriergut durch die Äste gemacht hatte? ‚Dann gnade ihr Gott. Das lässt sich Klaf auch von einer Frau nicht gefallen’, überlegte Monkey, der diesen Spitznamen seinen etwas zu groß geratenen Ohren zu verdanken hatte. ‚Du musst versuchen rauszubekommen, was da schiefgelaufen ist.’
Insgeheim bewunderte er die beiden Typen, die gerade mit ihrem Mondeo eingebogen und in Richtung Seniorenheim gefahren waren. ‚Die haben´s wenigstens warm in der Karre.’
Auch der nächste Bus kam auf die Minute pünktlich. ‚Unten im Tal haben sie offenbar keine schneebedeckten Fahrbahnen’, dachte Monkey, als das Fahrzeug der „Busverkehr Ruhr-Sieg“ haltmachte. Diesmal stiegen hinten zwei Männer aus. Die einzigen Fahrgäste. Und der Fahrer stand auf und öffnete die Vordertür. „Sind sie Herr Monkey?“, fragte er von der oberen Stufe aus, als der Angesprochene zu ihm rüberschaute.
Er erschrak. „Ääääh …, ja. Wieso fragen Sie?“
„Weil ich was für Sie habe.“ Mit einem Griff in seine große schwarze Arbeitstasche beförderte der Fahrer ein großes, etwas schwereres Kuvert zutage und reichte es zur Tür heraus. „Müssen Sie mir aber quittieren“, merkte er an. „Kleinen Moment, ich hole den Block.“
Monkey dachte gar nicht daran, seine Unterschrift unter den Lieferschein für ein Päckchen Gras zu setzen und drehte ab. Aber da standen ihm die beiden Männer im Weg, die gerade erst aus dem Bus ausgestiegen waren.
„Kripo Bad Berleburg, Born mein Name. Und das ist mein Kollege Lukas. Geben Sie das Päckchen ruhig wieder her, Monkey.“
Dem Drogenkurier fiel die Kinnlade herunter. Und eine Art Schockstarre schien ihn befallen zu haben. Er stand wie angefroren vor den Kripo-Männern. Hinter ihm schloss sich die Bustür. Der Chauffeur wollte offenbar seinen Fahrplan einhalten und fuhr an.
‚Was für eine Riesenchance’, dachte Monkey, der in dem Moment, als sein Rücken frei war, kehrtmachte und losrennen wollte. Aber da standen weitere vier Männer. Und zwei Streifenwagen. Einer bergwärts und einer talwärts. „Scheiße!“, brüllte Monkey und hob die Hände – samt Päckchen.
„Das können Sie getrost wegwerfen. Da ist eh nichts drin, was Ihnen Freude bereiten könnte“, meinte Sven Lukas, während er ihm bereits an der linken Hand eine Handschelle anlegte. „Es sei denn, Sie rauchen Rosshaar aus einer alten Matratze. Muss aber dann das sein, was man ‚hard stuff’ nennt“, feixte der junge Beamte.
„Okay, Euer Mann“, sagte einer der beiden bergwärts stehenden Beamten in Zivil. Es war Jörg Beuter, der Kripo-Chef von Winterberg, der jetzt auf Klaus Klaiser zuging und ihm die Hand drückte. „Hat ja prima geklappt. Solche Operationen sollten uns häufiger mal zusammenführen. Da würden die Großen im Ruhrgebiet oder sonstwo mal so richtig ins Staunen kommen.“
„Da sagste was“, antwortete Klaiser lachend. „Ich bin ja schon froh, wenn die uns überhaupt zur Kenntnis nehmen. Ich danke Euch auf jeden Fall heftig für Eure Hilfe. Übrigens …?“, fragte er im Abdrehen, „wie machen wir das jetzt mit den Protokollen?“
„Lassen wir uns am besten gegenseitig per Mail zukommen.“
„Okay. Aber das ist ja verdammt knapp hier mit dem Grenzverlauf zwischen Siegen-Wittgenstein und Hochsauerlandkreis.“
„Verbuch´s unter ‚Nacheile’ in unser Gebiet. Da gibt´s keine Probleme. Im Übrigen war das mal Euer Beritt. Kannst Du aber nicht wissen. War lange vor Deiner Zeit. Bis Januar 1975 gehörte Hoheleye noch zum Landkreis Wittgenstein.“
„Wow. Also Wildern auf einst eigenem Territorium“, grinste Klaus und verabschiedete sich, wie auch die anderen, von den Kollegen aus Winterberg. „Macht´s gütt!“, rief ihnen Beuter gut gelaunt zu. Er stammte aus Langewiese. Auch der Ort hatte einmal zu Wittgenstein gehört.
„Das war ja mal ‘ne absolut geile Nummer, wie wir den abgegriffen haben.“ Pattrick Born, hinten im Mondeo, kriegte sich vor Begeisterung kaum ein. „Besser hätten wir den Zugriff ja kaum planen können.“
„Da hast Du völlig recht“, antwortete Klaus Klaiser. „Alles stand und fiel allerdings mit dem Busfahrer. Wenn der nicht bereit gewesen wäre mitzuspielen, hätten wir arg dumm ausgesehen und womöglich Jagdszenen im Tiefschnee veranstalten können.“
„Aber er war ja durch uns geschützt.“ Zufrieden lächelnd steuerte der ‚Freak’ den Wagen bergab und bog an der Schmelzhütte rechts ab, in Richtung Girkhausen.
„Wie geht´s eigentlich Corinna? Von der hab´ ich schon ewig nichts mehr gehört“, brachte er Klaus auf dem Beifahrersitz gewaltig in Schwulitäten. „Die wohnt doch noch immer da vorne in Girkhausen, oder?“
Für Klaiser war das Thema „Corinna“ zu einem echten Wackerstein geworden. Der Name der Kollegin, die sich nach offizieller Lesart im Sommer vergangenen Jahres in einer ‚psychischen Ausnahmesituation’ befunden hatte, bewirkte bei Klaus Schweißausbrüche. Kollegin und beste Freundin seiner Frau. Das war eine tolle Kombination. War, leider. Doch Corinna hatte sich durch mehrere Ausraster und dienstliche Entgleisungen derart ins Abseits geschossen, dass es im gesamten Kommissariat als allgemeine Erleichterung angesehen wurde, als sie plötzlich nicht mehr zum Dienst erschienen war.
Einzig Klaus hatte es die Kollegin aus Girkhausen zu verdanken, dass sie keinerlei disziplinarische Konsequenzen hatte ertragen müssen. Dafür musste sie sich im Gegenzug verpflichten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Seither war sie im Krankenstand. Genauer: jetzt müsste sie eigentlich im Mutterschutz sein und vor gut fünf, sechs Wochen ihr Baby geboren haben. Aber darüber gab es null Information.
„Ich kann Dir nicht sagen, wie es ihr geht“, antwortete Klaiser schließlich. „Sie war ja ziemlich krank. Aber über den Verlauf ihrer Genesung habe ich keine Infos. Schade drum. Unser Kontakt ist bedauerlicherweise total zusammengebrochen.“
„Soweit ich weiß, ist Corinna vor einiger Zeit Mutter geworden. Sie hat ´nen kleinen Jungen bekommen. Der ist wohl ´n properes Kerlchen und die Mama topfit“, verkündete Jürgen Winter, der sich die ganze Zeit aus der Unterhaltung herausgehalten hatte. „Wundert mich schon, dass Ihr alle nichts davon mitbekommen habt.“
„Oh, das ist ja klasse. Schön, dass sie jetzt auch ihr Baby hat.“ Klaiser wirkte irgendwie erleichtert. Natürlich war ihm sehr an dieser guten Nachricht gelegen. Denn Corinna war eigentlich nicht nur eine gute Kriminalistin, sondern auch ein prima Kumpel. Allerdings musste nach all den Vorkommnissen im vergangenen Jahr mal ein vorläufiger Schlussstrich gezogen werden.
Als er sich zu Winter herumdrehte und ihm seine Freude mit einem Lächeln quittieren wollte, fragte er eher beiläufig: „Woher weißt Du das, wenn ich fragen darf? Habt Ihr engeren Kontakt?“
„Nee, enger nicht. Aber ich hab´ vor ein paar Wochen mal bei ihr angerufen, weil ich nicht begreifen konnte, warum sie mich bei der Stünzel-Geschichte so unheimlich attackiert hat. Ich kannte sie so ja nun wirklich nicht. Und das hat mir richtig wehgetan. Daher wollte ich endlich mal Klarheit. Seitdem sind wir in lockerem Kontakt.“
„Aha. Und was sagt sie so?“
„Du willst mich doch jetzt nicht wirklich über ein privates Telefonat ausfragen. Oder?“
„Naja, so ganz privat kann´s ja nicht gewesen sein. Denn immerhin war ja ein dienstlicher Disput die Ursache. Sagst Du ja selbst.“
Jürgen Winter war es plötzlich unwohl in seiner Rolle. Denn was immer er erzählen würde, es wäre eine Art Verrat gewesen. ‚Eigentlich’, dachte er, ‚eigentlich wäre es besser gewesen, du hättest den Mund gehalten, du Blödmann.’
„Sie hat sich halt wahnsinnig gegrämt, dass bei ihr alles so aus dem Ruder gelaufen ist. Das tut ihr leid. Sie weiß aber nicht, wie sie Dir das beibringen soll. Ich glaube, ihre Scham ist größer als ihr Mut“, endete Jürgen seinen Kurzrapport. „Mehr werde ich dazu nicht sagen.“ ‚Und damit habe ich sie auch nicht verraten’, dachte er.
Klaus Klaiser schwieg und schaute wieder nach vorn. Gerade durchfuhren sie die lange Rechtskurve, wo man links die außergewöhnliche Kirche von Girkhausen sehen konnte. Hier stand nämlich der wuchtige Kirchturm um einiges entfernt von der eigentlichen Kirche. Was die Bauherren im 13. Jahrhundert zu dieser eigenwilligen Konstruktion getrieben hatte, dazu, hatte Klaus gehört, stritten sich Wissenschaftler noch bis zum heutigen Tage. Manche behaupten, die Kirche habe einst bis an den Turm herangereicht und nach der Reformation als „Steinbruch“ gedient. Um aus dem gewonnenen Baumaterial andere Häuser errichten zu können.
Irgendwie, dachte er, sei der Sakralbau Sinnbild für den Zustand seiner Kollegin. ‚Manchmal steht man auch mal neben sich. Wäre schön, wenn Corinna den Zustand beenden würde. Denn sie wäre dazu in der Lage. Der Kirchenbau sicher nicht.’
Im Streifenwagen dahinter saß der Gefesselte neben einem Beamten im Fond. Ihm ging dermaßen der Stift, dass er laufend sabberte. Schon kurz nach der Abfahrt hatte er den Polizisten nebenan um ein Papiertaschentuch gebeten. Doch das hatte längst seine Aufnahmekapazität überschritten. Monkey schluckte Unmengen an Spucke runter. Immer wenn er Druck hatte, war das so bei ihm. Und heute war der Druck unerträglich.
‚Scheiße, Scheiße, was mach´ ich bloß? Wenn ich heute Abend nicht pünktlich in Langewiese auftauche, bringt mich Klaf um, sobald er mich zu packen bekommt. Wenn ich aber den Bullen die ganze Geschichte stecke, fahre ich erst mal für ‘ne Weile ein. Das bewahrt mich zwar zunächst vor dem Zugriff dieses Wahnsinnigen. Aber noch mal für längere Zeit im Knast? Nee. Das wird nix. Also Maul halten, Alter. Erst mal.’ Außerdem konnte er sich kaum vorstellen, dass es heute noch zu einem Verhör kommen würde. Es war fast halb fünf. ‚Irgendwann müssen auch die Bullen mal Feierabend machen.’ Es gab also noch Bedenkzeit.
In Langewiese herrschte dicke Luft. Bis 18:50 Uhr hatte Klaf in seinem Hummer H2 auf Monkey gewartet. Bei laufender Standheizung und mit einem angeheuerten Knochenbrecher auf dem Beifahrersitz. Dann rastete er aus.
„Das wird mir dieser verfluchte Gangster büßen! Jetzt hat er mich zum zweiten Mal gelinkt! Was glaubt der eigentlich, was für Spielchen er mit mir spielen kann? Ich dreh´ ihn durch den Wolf, diesen Drecksack!“
Mit einem Satz war der in Pelz gepackte Dealer aus dem Ami-Gefährt heraus und wie Rumpelstilzchen drum herum gesprungen. Dann haute es ihn dermaßen auf die Schnauze, dass plötzlich nur noch ein Winseln zu hören war. Der große Klaf war mit seinen Cowboystiefeln ohne Profilsohle auf dem arschglatten Boden des Liftparkplatzes ausgerutscht und voll mit dem Schädel aufgeschlagen.
Der Schläger drinnen bekam sich kaum mehr ein vor Lachen. Besser wäre es für ihn aber gewesen, wenn er sich gleich fürs Aussteigen und für Erste Hilfe entschieden hätte. Denn als Klafs blutverschmiertes Gesicht plötzlich wie Kasperle in einem Puppentheater hinter der Scheibe der Beifahrertür auftauchte, war es für andere Überlegungen des Mitfahrers zu spät. Mit einem Ruck riss der arg lädierte Oberdealer die Tür auf, packte den total verdutzt dreinschauenden Mann am Kragen seiner gefütterten Bomberjacke und beförderte ihn fast fliegend nach draußen.
Einem Entsetzensschrei des Mehrfachtätowierten folgte ein dumpfer Aufschlag. Eine Weile hörte man nur noch den unermüdlich arbeitenden Liftmotor und parlierende Skifahrer. Aber wenig später wurde es laut auf dem Parkplatz. Der Schlägertyp schrie plötzlich wie am Spieß. Als ihm Klaf nämlich mit seinen spitzen Stiefeln ein ums andere Mal in die Seite trat und ihm dabei mindestens drei Rippen brach.