Kitabı oku: «Volles Rohr», sayfa 3
„Ich habe Dich nicht für Hohngelächter eingekauft, Du Vollidiot!“, schrie der Blutende. Eine klaffende Platzwunde zierte seine Stirn. „Steh´ auf und wehr´ Dich!“, brüllte er erneut.
Doch der Mann am Boden krümmte sich nur vor Schmerzen und hatte große Not, Luft zu holen. „Steh auf, Arschloch! Sofort! Sonst brech´ ich Dir alle Knochen. Zehn, neun, acht, sieben …“
Der andere quälte sich, auf die Beine zu kommen. Aber das gelang ihm nicht auf Anhieb. Während er vergeblich versuchte, aus dem Vierfüßerstand hoch zu kommen, trat ihn Klaf derart heftig von unten in den Brustkorb, dass es den Mann seitlich umwarf. Plötzlich schrie er aus Angst um sein Leben. Schrill und dermaßen laut, dass zwei Männer aufmerksam wurden, die gut 20 Meter entfernt gerade ihre Skier aus dem Wagen geladen hatten.
Eigentlich hatten Carlo Brenner und Philipp Köne vor, den Abend beim Flutlicht-Funrace zu verbringen. Doch die Schreie des Mannes elektrisierten sie förmlich. Also liefen sie rüber zu dem Hummer, hinter dem sich schreckliches abzuspielen schien. Unter dem hochbeinigen Wagen hindurch sahen sie in der Parkplatzbeleuchtung den Schatten eines Beines, das wieder und wieder gegen etwas Liegendes zu treten schien. Und jedes Mal ein Aufschrei. Doch die Schreie wurden schwächer.
Die Männer umrundeten das Fahrzeug auf der Vorderseite, wo sie sich im Rücken des brutalen Treters wähnten. Und sie hatten Glück. Tatsächlich bot ihnen der in Pelz Gehüllte seine Rückseite an. Mit zwei, drei Schritten waren sie unmittelbar hinter ihm. Als er seine Lage vergegenwärtigte, traf ihn bereits ein gewaltiger Tritt in die Kniekehle des linken Standbeins. Ächzend und mit verwundertem Blick stürzte Klaf auf die Knie. In diesem Moment knallte eine Handkante gegen seine linke Kopfseite, was ihm kurzfristig einen Blackout bescherte.
Als der Drogendealer wieder wach wurde, kniete er neben seinem Hummer und spuckte Blut. Philipp Köne hatte ihm vorsichtshalber noch einen Ellbogencheck ins Gesicht verpasst. Was Lippe und Nase des Getroffenen nicht unbedingt gut getan hatte.
Neben ihm lag stöhnend sein Opfer. Der Knochenbrecher. Carlo Brenner hatte ihn auf eine Decke aus dem Protzkarren gebettet und redete jetzt mit dem Rettungsdienst. „Natürlich bleiben wir bei dem Mann. Beeilen Sie sich bitte. Es geht ihm nicht gut. Hier ist auch noch ein zweiter Mann, der Hilfe braucht. Der ist allerdings sehr gewalttätig.“ Schnell informierte er dann auch noch die Polizei.
„Und, alles klar?“, fragte Köne. „Alles klar. Rettungswagen und Polizei sind unterwegs.“
Beim Wort POLIZEI schoss Klaf wie von einem Stromschlag getroffen nach oben und rammte den am nächsten stehenden Brenner so zur Seite, dass der fürchten musste, auf den Verletzten am Boden zu fallen. Mit einem Ausweichschritt gelang es ihm jedoch, dies zu vermeiden. Klaf war für ihn damit aber schon außer Reichweite geraten. „Philipp!“, rief er, „pass auf, pack ihn.“ Aber der bekam eine derart wuchtige Gerade in die Magengrube, dass er nach vorn überkippte und würgte.
Zehn Sekunden später sprang der Hummer an und raste schlingernd und ohne Licht über die Parkplatzauffahrt in Richtung Albrechtsplatz davon.
„Diese verfluchte Drecksau, diese elende!“, brüllte Brenner. „Was für ein Unmensch. Und wir Idioten müssen mal wieder voll in die Scheiße rasseln.“
„Ja, jetzt hab´ Dich mal nicht so von wegen Idioten“, würgte Philipp nach wie vor etwas. „Wenn wir nicht aufgekreuzt wären, hätte dieser widerwärtige Mensch den Mann hier alle gemacht.“
Wenige Minuten später tauchte der Rettungswagen auf. Er kam vom Skilift in Neuastenberg und hatte einen jungen Arzt dabei, der bereits angesichts der erkennbaren Verletzungen die Stirn in Falten legte. Vorsichtig zogen die Männer den Verletzten auf eine Trage und hoben ihn in das Fahrzeug. Dann stieg einer der Rettungsassistenten wieder aus und erkundigte sich bei Carlo und Philipp nach deren Wahrnehmungen. Doch viel hatten die beiden ja nicht gesehen.
Das entwickelte sich auch zum Problem, als schließlich eine Winterberger Streifenwagenbesatzung aufkreuzte. „Wie, Sie haben nicht gesehen, was der vermeintliche Täter mit diesem Mann gemacht hat?“, fragte eine Polizeibeamtin nach den ersten Kurzberichten der zwei Männer. „Und dann schlagen Sie derart auf ihn ein, dass ihm die Nase bricht. Hielten Sie das für verhältnismäßig?“
Philipp Köne schaute die Frau in Uniform ein wenig blöde an. „Ob ich das für verhältnismäßig halte? Sagen Sie mal, geht´s noch? Schauen Sie sich doch mal das arme Schwein da drinnen an.“ Dabei wies er auf den Rettungswagen, in dem es heftig zuging, wie man an den Schemen hinter der Milchglasscheibe erkennen konnte.
„Woher wissen Sie denn, dass das der Mann war, den Sie als Täter bezichtigen?“
„Na, weil niemand sonst da war. Und außerdem haben wir dessen Schatten unter seinem Wagen hindurch gesehen, wie er ständig zutrat.“
„Schatten sind keine Beweise“, gab die Dame spitz zurück.
Carlo Brenner, der kurz an seinem Wagen war, kam jetzt dazu und bekam vor Verwunderung kein Wort heraus. Obwohl er das gerne wollte. Was war das denn, um Gottes Willen? Hatte die Polizistin nicht alle Tassen im Schrank?
Den Eindruck hatte auch Köne. Und der zog seinen Stiefel knüppelhart durch. „Haben sich Ihre Kollegen eigentlich schon um den silbernen Hummer mit der Siegener Nummer gekümmert? Ich hatte die Info in meinem zweiten Telefonat mit der Notrufzentrale durchgegeben, als der Typ gerade abgehauen war.“
„Eins nach dem anderen. Erst sehen wir mal, ob eine solche Fahndung überhaupt vonnöten ist“, ratterte sie wie eine Sprechmaschine herunter, während sie unablässig Notizen auf ein großes Klemmbrett kritzelte. „Ich bin noch keineswegs davon überzeugt. Dafür müssen Sie mehr bringen als die doch sehr dürftigen Beobachtungen.“
‚Was für eine arrogante Tucke’, dachte Carlo und schaute sich die Dame erstmals genauer an. Alles passte an ihr zusammen. Vom Kniff in der Schirmmütze über den strengen Pferdeschwanz, die knatschenge Lederjacke und die hautenge Cargohose bis zu den Stiefeln. Typ Musterbullette. Hätte aus dem Wunschkatalog des Innenministeriums stammen können.
„Wir müssen mehr bringen?“, fragte Brenner nach. „Wir? Sagen Sie mal, können Sie sich eigentlich selbst noch leiden? Wir haben hier einen Gewalttäter gestoppt und damit womöglich einem Menschen das Leben gerettet, oder ihn zumindest vor noch schwereren Verletzungen bewahrt. Und jetzt kommen Sie und sagen uns, wir müssten mehr bringen. Wo sind wir denn hier überhaupt?“ Die Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich dachte immer, wir seien zur Zivilcourage aufgerufen. Das scheint aber bei Ihnen noch nicht angekommen zu sein.“
Es blitzte in seinen Augen, als er die Polizisten so anpfiff. Und irgendwie verschaffte ihm das Erleichterung. Dann drehte er sich um und rief: „Komm, Philipp, ich glaube, wir gehen jetzt. Ich habe keine Lust, mir das Kasperletheater weiter anzutun, das dessen Hauptdarstellerin hier aufführt.“
Die Uniformierte fuhr richtiggehend zusammen. Eine solche, für eine Amtsperson wohl unerträgliche, Unverschämtheit hatte sie offenbar auch noch nicht gehört. Für Sekunden war sie sprachlos.
Die Seitentür des Rettungswagens öffnete sich. Und heraus kam der zweite Polizeibeamte, Kommissar Springer. Er steuerte schnurstracks auf seine Kollegin zu und unterrichtete sie über den Zustand des Verletzten. „Der Mann hat Riesenglück gehabt. Wenn die beiden da nicht gekommen wären, hätten wir wahrscheinlich jetzt einen Leichenfall zu bearbeiten.“
Brenner und Köne konnten beobachten und in Wortfetzen mithören, wie die Muster-Polizistin sich gegen die Theorie des Kollegen wehrte. „Die können ihre Geschichte doch gar nicht beweisen. Was ist denn, wenn sie den Mann selbst so zugerichtet haben?“
„Warum hätten sie denn dann Rettungsdienst und Polizei alarmieren sollen?“
„Was weiß ich. Schlechtes Gewissen?“
„So. Und mit dem schlechten Gewissen sind sie dann schön hier sitzen geblieben. Bis wir kamen. Jetzt lass´ mal die Kirche im Dorf, meine Liebe.“
Doch die Kollegin schien ihm nicht recht folgen zu wollen und argumentierte immer spitzer und immer lauter.
Er, Typ ruhiger Vertreter, schüttelte immer wieder den Kopf und schaute die Obermeisterin mit verständnislosem Blick an. „Sabine, Du gehst jetzt besser zum Wagen und erkundigst Dich mal über Funk, ob die Kollegen schon was über den Hummer und den Geflüchteten erfahren haben. Und lass´ bitte Deine Aufzeichnungen hier.“
Schlimmer hätte es nicht kommen können. Für Polizeiobermeisterin Sabine Holzhauer glichen die letzten Sätze des Kommissars offenbar einer ehrabschneidenden Dienstanweisung. Mit durchgedrücktem Kreuz und die drei Männer keines Blickes würdigend stolzierte sie die wenigen Schritte zum Streifenwagen und riss die Seitentür des VW-Busses mit solcher Vehemenz auf, dass sie auf dem glatten Boden ins Straucheln geriet. Bevor aber noch einer der ungeliebten Zuschauer Hilfe leisten konnte, fing sie sich wieder und verschwand mit hochrotem Kopf im Wageninneren.
„Ich bräuchte noch Ihre genauen Wohnadressen und Ihre telefonischen Erreichbarkeiten. Dann lasse ich Sie in Ruhe“, lächelte der Polizist die beiden Helfer an. „Übrigens: ganz herzlichen Dank für Ihr beherztes Eingreifen. Das hätte ja auch ganz anders ausgehen können.“
„Gerne geschehen. Auch wenn Ihre Kollegin eher Zweifel daran hat“, antwortete Köne. „Aber machen Sie sich wegen des kleinen Eingriffs unsererseits keine Gedanken. Wir haben so was mal gelernt bei der Bundeswehr.“ Der Kommissar staunte, stellte aber keine weiteren Fragen. Es gibt, wusste er, auch nach der Dienstzeit beim Militär Dinge, über die man nicht oder nur ungern redet.
Köne kam aus Diedenshausen, Brenner wohnte in Hilchenbach. Hin und wieder trafen sich die beiden ehemaligen Einzelkämpfer, um gemeinsam etwas zu unternehmen. So wie heute Abend. Ob sie sich aber nach dieser Odyssee noch auf Skiern den Hang ins legendäre ‚Bierloch‘ hinunterstürzen würden, da waren sie sich noch nicht so ganz sicher. Wobei sie dem Namensgeber der Piste, dem Bier, durchaus nicht hätten entsagen müssen. Ein Abend bei zwei, drei Pils und einem deftigen Abendessen im Gasthof Gilsbach wäre eine durchaus reizvolle Alternative. Und eine warme und trockene obendrein. Denn das Schneetreiben hatte an Intensität zugenommen und die beiden an eine ihrer Übungen im Hochgebirge erinnert.
Während sie noch unschlüssig am Kofferraum von Carlos Twingo standen, fuhr der Rettungswagen ganz langsam vom etwas unebenen Parkplatz davon. „Alles Gute, armes Schwein“, verabschiedete Philipp den Verletzten mitleidig. Nicht wissend, wie viele Menschen dieser Mann seinerseits bereits krankenhausreif geschlagen oder vielleicht sogar ins Jenseits befördert hatte.
Kommissar Springer, der sich bei der Auswertung der im Rettungswagen aufgenommenen Personalien aus den Schläger-Papieren noch wundern würde, machte noch verschiedene Fotos von den Fahrspuren und Blutflecken am Tatort. Derweil saß seine Kollegin stocksteif im Polizeiauto und rührte sich nicht einen Millimeter. Sie war zutiefst beleidigt. Die Parkplatzbeleuchtung zeichnete ein albernes Bild von ihr.
„Was für eine Frau“, grinste Brenner. „An der könntest Du mich anketten. Da würde ich so lange pinkeln bis ich losgerostet wäre.“ Köne wieherte vor Begeisterung.
Monkey hatte sich getäuscht. Auch Polizeibeamte machen Überstunden. Die meisten von ihnen übrigens ständig, schenkt man den Staatsdienern Glauben.
Jürgen Winter hatte sich den gescheiterten Drogenkurier vorgeknöpft, ihm eine Tasse Kaffee hingestellt und sein Büro „so unpolizeilich wie möglich“ wirken lassen. Winter schwor darauf. Er meinte, das könne zur Entkrampfung bei den Verdächtigen beitragen. „Wirkt wie ein Blasen- und Nierentee“, hatte er vor Monaten im Kollegenkreis verkündet.
„Sagen Sie, Herr Monkey, haben Sie eigentlich auch einen bürgerlichen Namen?“
„Ja.“
„Und der lautet wie?“
Schweigen. Monkey schaute zu Boden.
„Oh, das geht ja gut los. Sie wollen mir also nicht sagen, wie Sie heißen?“
„Ja.“
„Also doch?“
„Nein.“
„Ja? Nein? Verstehe ich jetzt nicht. Erklären Sie´s mir?“
„Sie fragten, ob ich Ihnen nicht sagen wollte, wie ich heiße. Und weil ich das nicht will, habe ich korrekt mit ‚ja’ geantwortet.“
„Och komm´, jetzt hören Sie doch mit solchen Sperenzchen auf. Sie haben ganz andere Probleme, als mit mir Ihren letzten Deutschunterricht durchzudeklinieren.“
„Deklinieren ist was anderes. Die Deklination eines Wortes oder Begriffes …“
„Hey!“, brüllte Jürgen auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Es reicht. Wenn Sie hier schon den Schlaumeier raushängen lassen, dann seien Sie mal so schlau und nennen schleunigst Ihren Namen. Den kriegen wir zwar sowieso raus, aber das dauert immer Ewigkeiten. Und so lange sind Sie auf alle Fälle unser Gast. Klar?“
Monkey schien diese Aussicht eher zu belustigen. Jürgen aber konnte dem gar nichts abgewinnen. Daher dreht er die virtuelle Daumenschraube noch ein wenig weiter an.
„Um es Ihnen noch deutlicher zu sagen: bevor ich nicht Ihren Namen kenne, werde ich das Gespräch hier immer wieder mit derselben Frage fortsetzen. Und die lautet: ‚Wie heißen Sie?’ Das wird von manchen Beschuldigten als eine Art Psychofolter wahrgenommen. Kann ich gar nicht verstehen. Aber eines verspreche ich Ihnen. Vor einer befriedigenden Antwort gehen wir beide hier nicht raus. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“
„Jetzt kommen Sie mir aber nicht mit so ‘nem fundamentalen Scheiß. Ich hab´ nichts am Hut mit dem ‚Amen in der Kirche’.“ „Das können Sie natürlich halten wie der berühmte Dachdecker. Es ändert nur nichts am Sachverhalt. Wir bleiben hier, bis ich Ihren Namen kenne. Und ich halte das aus. Ich hab´ nämlich im Gegensatz zu Ihnen schon zu Abend gegessen“, log er. „Einen herrlichen Wurstsalat mit Baguette-Brötchen. Ihrer steht übrigens in der Zelle und wartet auf Sie.“
Monkey floss das Wasser im Mund zusammen. Außer einem armseligen Kaffee heute Morgen hatte er nichts in den Magen bekommen. Und das wirkte sich in jeder Beziehung nachteilig auf seinen Gesamtzustand aus.
„Ich will meinen Anwalt sprechen“, polterte er plötzlich heraus. „Ohne meinen Anwalt sag´ ich gar nix.“ Natürlich steckte dahinter die große Hoffnung, dass damit eine Unterbrechung des Verhörs verbunden war.
„Prima. Und wer ist Ihr Anwalt?“, wollte Winter wissen.
„Ich hab´ keinen bestimmten. Aber ich hab´ ein Recht auf einen Anwalt. Das weiß ich ganz genau. Und den müssen Sie mir jetzt besorgen.“
„Mach´ ich glatt“, lächelte der Kommissar. „Und wen darf ich bitte melden?“
„Wie, melden? Mich natürlich.“
„Ach so, ich soll also einen Anwalt anrufen und ihn zu einem Festgenommenen ohne Namen bestellen. Das können Sie knicken“, log Jürgen Winter. „Sie glauben doch nicht etwa, dass ein Rechtsanwalt Ihr Mandat als Pflichtanwalt übernimmt, was ohnehin schon miserabel bezahlt wird und dann noch nicht mal im Vorfeld Ihren Namen erfährt. Vergessen Sie´s!“
Monkey verlor an äußerer Gelassenheit. Das konnte man deutlich sehen. Er sah plötzlich noch ausgemergelter aus als zuvor. Und der Spuckefluss nahm zu. Irgendein barmherziger Kollege von Winter hatte ihm eine ganze Schachtel Kosmetiktücher hingestellt. Der Papierkorb füllte sich zusehends.
Das mit dem Pflichtanwalt und der unbedingt erforderlichen Namensnennung konnte er gar nicht glauben. Das Gegenteil aber auch nicht beweisen. ‚Was für ein Spiel spielt der Bulle da eigentlich mit mir? Was hat er vor? Solange er mich nicht kennt, solange kann er mir nichts anhängen. Die Bullen haben nichts als die reine Vermutung, dass ich als Drogenkurier unterwegs war. Wenn er aber meinen Namen kennt und Akteneinsicht bekommt, dann wird´s heftig.’
Eine Reihe von Konflikten spielte sich vor seinem geistigen Auge ab. Natürlich auch der, der sich aus der drängendsten Frage ergab. ‚Was passiert, wenn ich hier rauskomme und Klaf kriegt Wind davon?’ Er wollte sich das gar nicht ausmalen.
Plötzlich wurde es still um die beiden. ‚So still, dass man eine Stecknadel fallen hören kann’, dachte Jürgen.
Und der Polizist stellte sich die unsinnige Frage, ob es wohl irgendwo im Kommissariat überhaupt Stecknadeln gäbe. ‚Widrigenfalls müsste man für die Beschreibung absoluter Stille mal eine andere Metapher finden.’ Denn was wäre denn, wenn plötzlich jemand auf die Idee käme, sich diesen Spruch beweisen zu lassen? Und dann keine Nadeln da? ‚Und überhaupt, es ist doch ziemlich bekloppt zu behaupten, dass man überhaupt den Fall einer Nadel hören kann. Wenn, dann wäre das eher deren Aufschlag.’
Am liebsten hätte er sich das aufgeschrieben. Keineswegs mit ernsthaftem Hintergrund. Nur, damit er überhaupt etwas zu tun hatte. Denn dieses Geduldspiel hier ging ihm ganz gehörig auf den Zeiger.
Monkey räusperte sich und übergab eine weitere Ladung Speichel einem Kosmetiktuch. Andere hätten jetzt einen Schweißausbruch. Er sabberte.
„Passen Sie auf“, sagte er. „Ich bin bereit, meine Personalien zu nennen und eine für Sie sicher interessante Aussage zu einem bedeutenden Dealer zu machen. Aber ich habe eine Bedingung. Die müssen Sie mir erfüllen. Ich bitte Sie sogar herzlich darum, Herr Kommissar.“
„Und was wäre diese Bedingung?“
„Ich sprach eben von einem bedeutenden Dealer. Sie müssen mich bitte vor diesem Mann schützen. Er ist nämlich ein unglaublich brutaler Hund. Und ich bin sicher, dass er mich töten wird, sobald er mich erwischt.“
„Wieso wird er Sie töten wollen?“ Jürgen widmete plötzlich all seine Sinne nur noch dieser Sache. Kein Geplänkel, keine dämlichen Wortklaubereien mehr. „Warum, glauben Sie, wird er Sie töten?“
Monkey holte tief Luft und schaute an die Decke. Wieder musste er schlucken, begann dann aber mit zitternder Stimme:
„Dieser Dealer ist der Mann, bei dem ich heute Abend eigentlich den Haschisch-Kuchen abliefern sollte. Ware im Wert von 10.000 Euro, die er nun nicht bekommen wird. Und ich bin dafür verantwortlich. Warum er sie nicht bekommt, ist für ihn zweitrangig. Selbst wenn er wüsste, dass Ihr Bullen mir den Stoff abgenommen habt, wäre ich dran. Denn ich war in seinen Augen zu blöde, sein Eigentum zu schützen. Außerdem braucht er immer einen Schuldigen, den er nach Gutdünken bestrafen kann.“
„Oh mein Gott“, flüsterte Winter vor sich hin und hasste sich gleich wieder dafür. „Ami-Schäss“, hätte sein Vater auf Wittgensteiner Platt gesagt „Oh my God“ wurde schließlich in jedem US-Spielfilm gefühlte 100.000 mal gerufen, geflüstert oder gehechelt. Zum Kotzen.
Erwartungsvoll schaute Monkey sein Gegenüber an. Würde Winter einen wie auch immer gearteten Schutzmantel für ihn schneidern oder schneidern lassen können? Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Das wusste er selbst. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Es klopfte kurz und heftig. Dann wurde die Tür sachte von draußen geöffnet und Sven Lukas streckte seinen Kopf durch den Spalt.
„Haste 'n Moment?“
„Wichtig?“
„Sehr.“
„Komme.“ Schnell stand Jürgen Winter auf, legte Monkey wieder Handschellen an und machte ihn am Heizungsrohr fest. „Sorry, geht nicht anders. Bin gleich wieder da.“
Auf dem Flur empfing ihn der ‚Freak’ mit bedeutender Miene. „Weißt Du, wen wir da gefangen haben?“
„Nee, weiß ich noch nicht. Aber er war, glaube ich, gerade auf gutem Weg, es mir zu erzählen. Und dann kommst Du, Mensch.“ Winter holte zu einer gespielten Ohrfeige aus.
„Sachte, sachte, nicht hauen“, grinste Sven. „Denn ich komme als Weihnachtsmann. Ich weiß nämlich mittlerweile, wer uns da ins Netz gegangen ist. Die Mädels und Jungs vom Drogendezernat in Siegen haben ihn für uns ausgeguckt. Nur mit unserem Bild vom Empfangskomitee. Fingerabdrücke hat der Sack ja noch keine abgegeben.“
„Ja, weiß ich. … Das mit den Fingerabdrücken. Toll, dass uns die Kollegen in Siegen geholfen haben. Aber jetzt wird es Zeit, dass Du mal Butter bei die Fische tust. Wer ist dieser Monkey?“
„Kein Geringerer als Cornelius Schneider. Seines Zeichens Ex-Millionär, weil Ex-Chef einer der größten Discotheken in der BRD, Ex-Ehemann des Models Audrey Milton und Ex-Drogendealer im ganz großen Stil.“
„Du willst mich doch auf den Arm nehmen, oder?! Dafür ist jetzt keine Zeit, Mann.“
Jürgen drehte ab und wollte wieder in sein Büro. Doch der ‚Freak’ protestierte heftig. „Ich konnt´s auch erst nicht glauben. Aber die Fakten- und die Aktenlage sprechen eindeutig dafür. Er ist es.“
„Das kapier´ ich nicht. So weit runter kann man doch aus den Positionen nicht kommen, die Du da geschildert hast.“
„Doch, kann man. Schneider ist das lebende Beispiel dafür. Zuerst hat er mit Drogen-Orgien für seine angeblichen Freunde aus der Münchner Schickeria und von sonst woher seine Disco am Frankfurter Flughafen gegen die Wand gefahren. Dann hat sich Audrey Milton von ihm scheiden und Millionen von Euro von seinem Konto abschöpfen lassen. Dabei sei eine mehrere Millionen schwere Steuerhinterziehung aufgeflogen. Und dann ist er der Bundespolizei mit ‘ner viertel Tonne Koks im Heck seines zweimotorigen Fliegers auf irgendeinem Sportflugplatz in Hessen vor die Flinte gelaufen.“
„Ach du dickes Ei. Und der sitzt jetzt vor meinem Schreibtisch. Halleluja, Herr Pastor.“
Winter überlegte einen Moment, während er sich an einem leeren Kaffeebecher festhielt. „Wie lange hat der Junge denn gesessen?“
„Dreieinhalb Jahre insgesamt.“
„Wie bitte? Schon allein für den Kokshandel hätte er mindestens acht Jahre einfahren müssen. Ich glaub´ sogar, noch länger. Das ist doch nicht zu fassen.“
„Er hat wohl einen Haufen Straferlass bekommen, weil er einen ganzen Drogenring hat auffliegen lassen. Musst Du damals eigentlich mitgekriegt haben. Eine ganze Gang von Drogenproduzenten in Medellin in Kolumbien wurde in Ketten gelegt. Und mit ihr die Logistiker, die in Westafrika, Spanien und auf kleinen Flugplätzen in Deutschland für den Weitertransport per Luft gesorgt hatten. Wie ein Staffellauf war das organisiert. Schneider hat das quasi im Alleingang aufgeschmissen.“
Jürgen Winter war geplättet. Was für eine Karriere und was für ein Absturz! Aber dieser Blödmann hatte offenbar nichts aus seinem Desaster gelernt. Er hing schon wieder in Drogengeschäften. Und musste sich, nach all dem internationalen Aufruhr, den er veranstaltet hatte, nun vor einem Provinzganoven fürchten. Die Zeiten ändern sich.
Plötzlich schoss ihm eine Frage durch´s Hirn, deren Beantwortung keinerlei Aufschub duldete. „Komm bitte mit rein“, bat er Sven Lukas und schob ihn einfach vor sich her in sein Büro.
„Sie kennen sich ja mittlerweile“, stellte er trocken fest. „Da muss ich Sie nicht extra vorstellen.“ Monkey nickte und zeigte seine gefesselten Hände vor.
„Klar, ich mache Sie jetzt los. Ich hoffe, es war nicht zu unbequem mit den Handschellen, dort an der Heizung.“
„Nee, das ging. Hab´ schon schlimmeres erlebt.“
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen, Herr Schneider“, antwortete Winter mit gespielter Selbstverständlichkeit. Als habe er den Verdächtigen schon immer bei seinem Namen genannt. Noch immer hatte er nur den Schlüssel in der Hand. Noch hing Monkey Schneider am Heizungsrohr. Und das war gut so. Denn bei der Nennung seines Namens schoss er von seinem Stuhl hoch und wollte am liebsten davon rennen. Allein, sein Bewegungsradius war nur endlich.
„Herr Cornelius Schneider, der Kollege Lukas hat Ihre Identität und Ihre Daten ausgegraben. Wir wissen Bescheid über Ihre Karriere. Und wir werden Sie mit Sicherheit heute nicht mehr mit der Vergangenheit konfrontieren.
Morgen, das verspreche ich Ihnen, werden wir mit unserem Chef und der Staatsanwaltschaft darüber nachdenken, wie wir Sie schützen können. Aber ich habe heute eine ganz dringende Bitte an Sie. Erzählen Sie uns bitte, wann und wo Sie das Kuvert mit dem Adressaten ‚Klaf’ übergeben sollten. Und an wen.“
Schneider machte große Augen. „Ich glaube nicht, dass ich Ihnen das heute sagen werde. Erst wird geklärt, ob ich von Ihnen Schutz bekomme.“
„Meine Fresse, Herr Schneider. Wenn wir heute Abend an der Kontaktstelle eingreifen und diesen ominösen Mann dingfest machen können, dann müssen Sie sich für die Zukunft nicht mehr sorgen, dass er Sie umbringen will.“
„Das ist aber´n ziemlich wackeliger Deal, den Sie mir da vorschlagen. Ich sage NEIN!“
„Und das ist Ihr letztes Wort?“
Schneider sabberte schon wieder. Hastig wischte er sich mit einem Papiertuch ab und sagte mit Bestimmtheit: „Jawohl, das ist mein letztes Wort.“
„Gut. Sven, Du hast es mitbekommen. Der Herr Schneider weigert sich, wichtige Infos weiterzugeben, die wir zu seinem eigenen Schutz bräuchten. Stimmt das soweit?“
„Das ist korrekt“, bestätigte der ‚Freak’.
„Dann packen Sie jetzt Ihre Habseligkeiten zusammen, Herr Schneider. Sie können gehen.“
„Was, wie gehen?“
„Ja, Sie sind ein freier Mann. Außer der Mutmaßung, dass Sie womöglich in Hoheleye eine Drogenkurierin getroffen hätten, haben wir ja nichts gegen Sie in der Hand.“
„Haben Sie wohl.“
„Ach ja. Was denn?“
„Mein Geständnis, dass ich dem Dealer den Haschischkuchen überbringen sollte. Wenn ich ihn denn gehabt hätte.“
„Geständnis? Dass ich nicht lache. Nix Konkretes, dafür aber jede Menge Konjunktive, verehrter Herr. Sollte, wollte, hätte. Damit kann ich nichts anfangen.“ Winter wurde jetzt richtig fuchtig. „Dieses angebliche Geständnis haut mir jeder Staatsanwalt um die Ohren. Und wissen Sie mit was? Mit Recht! Mit so was trete ich gar nicht erst an. Und jetzt Adieu. Raus hier!“
„Das können Sie nicht machen“, jaulte Schneider richtiggehend auf. „Der macht mich kalt, sobald er mich gefunden hat. Oder einer seiner Helfershelfer. Ich hab´ ein Recht darauf, dass Sie mich schützen.“
Jetzt war Sven Lukas an der Reihe. „Hören Sie mal, Herr Schneider. Haben Sie damals die vielen Tausend Drogenkonsumenten geschützt, die von Ihnen teilweise den übelsten Drogen-Dreck bekommen haben? Schämen Sie sich nicht manchmal vor sich selbst, wenn Sie darüber nachdenken, wie viele Menschen, vor allem Kinder, durch diesen Scheiß süchtig geworden oder gar daran elendig verreckt sind?“
„Dafür hab´ ich gesessen und gebüßt“, bellte der Angeschissene zurück.
„Und andere dafür drangehängt. Was Ihnen jede Menge Straferlass eingebracht hat. Wissen wir. Wissen wir. Aber wir wissen auch, dass Sie wieder gerne dick ins Geschäft wollen. Wieder Leute süchtig machen. Wieder den dicken Reibach machen mit der Abhängigkeit anderer.
Ist aber leider schiefgegangen, Ihr Plan. Das System schießt zurück. Und Sie stecken bis Oberkante Unterlippe in der Scheiße. Kommt Ihnen das eigentlich nicht selbst komplett bescheuert vor, dass Sie jetzt wie ein Jammerlappen ausgerechnet die Polizei um Schutz für Leib und Leben bitten?“
Das war zu schnell und zu viel für ‚Monkey’ Schneider. Sabbernd suchte er Halt und eine Sitzgelegenheit. Denn ihm schlotterten die Knie wie Espenlaub. Stehen ging in dem Moment gar nicht. Außerdem brauchte er dringend die Papiertücher, die vor seinem Stuhl auf dem Tisch standen. Gierig griff er zu.
‚Oh mein Gott’ hielt Winter nun doch in Gedanken Zwiesprache mit seinem Herrn im Himmel, ‚nur Du allein weißt, wo der Mann die ganze Flüssigkeit gebunkert hat, die da aus ihm herausfließt. Hoffentlich sind die Speicher bald leer. Das ist so widerlich. Und Du weißt sicherlich auch, ob er sich diesen Schaden beim Kiffen oder Koksen geholt hat. Wenn ja, dann geschieht´s ihm recht’.
„So, was ist jetzt? Raus hier. Aber sofort. Ich habe nicht die geringste Lust, mir wegen Ihnen noch den kompletten Abend zu verderben. Also Tschüss!“ Der Kommissar wies auf die Tür. Doch Cornelius Schneider blieb sitzen. Mit glasigem Blick und vorgehaltenem Papiertuch.
„Ich glaube, Sie brauchen Hilfe beim Abmarsch.“ Sven Lukas steuerte auf den leichenblassen Mann zu und griff unter seinen rechten Arm, um ihm aufzuhelfen. Doch der schüttelte den ‚Freak’ ab. „Lassen Sie das.“
„Wie bitte? Ich glaube, Sie sind der einzige hier, der nichts zu befehlen hat. Also los jetzt, sonst wenden wir körperliche Gewalt an.“ Beide Polizisten wussten, dass sie hier mit relativen Unmöglichkeiten operierten. Doch bis auf Gewaltanwendung war ihnen so gut wie jedes Mittel recht, um endlich zu erfahren, wer wann und wo das Drogenpäckchen in Empfang nehmen wollte.
„Okay, scheiß was drauf. Ich bin eh geliefert. So oder so.“ Schneider hatte sich auf seinem Stuhl aufgerichtet und plötzlich einen klaren Blick bekommen. „Wenn Sie mir versprechen, dass ich heute Nacht hier bleibe und morgen, wie verabredet, ernsthaft über meinen Schutz geredet wird, bin ich bereit, Ihnen die nötigen Informationen zu geben.“
Winter und Lukas wechselten einen kurzen Blick und nickten. „Das verspreche ich Ihnen. Der Kollege wird es nötigenfalls bezeugen“, sagte Jürgen schon fast feierlich.
„Also, abgemacht war, dass ich heute Abend um 18:30 Uhr auf dem Liftparkplatz am Bierloch in Langewiese sein werde.“
In Synchronbewegung schauten die beiden Polizisten auf ihre Armbanduhr. „Mist, ‘ne Dreiviertelstunde zu spät“, merkte Jürgen an und stürzte zum Telefon. „Aber erzählen Sie weiter“, ermunterte er Cornelius Schneider, während er die Nummer der Polizei in Winterberg aus dem Speicher suchte. „Wer war Ihr Adressat? Wer wollte das Päckchen übernehmen?“
„Der Mann heißt Klaf. Mehr weiß ich nicht über ihn. Hab´ ihn nur ein- oder zweimal gesehen. Ein ausgesprochen brutaler Hund und ein Showman. Er kleidet sich wie ein Puffbesitzer und fährt das entsprechende Auto. So´n silbernen Hummer. Oder wie heißen diese Nuttenpanzer?“
„Ja, Winter hier, Kripo Bad Berleburg. Grüß Dich“, meldete sich Jürgen bei dem Kollegen in Winterberg. In kurzen Zügen erläuterte er sein Anliegen und wollte um Hilfe bitten. Aber der Schutzmann auf der anderen Seite stoppte ihn und meinte: „Ich vermute, wir suchen denselben Wagen mit demselben Typen drin. Der hat vor gut einer Viertelstunde auf dem Parkplatz einen Mann halb tot getreten und geschlagen und ist dann abgehauen. Wir haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben.“