Kitabı oku: «Kopf über Wasser», sayfa 2
2.
Am Nachmittag brauchen dann alle Abstand, und den suchen sie über das gesamte Gebäude verstreut. Marina Antl lässt das Geschäft für eine Stunde ruhen und legt sich in die Dienstwohnung – eine Küche, ein WC und ein kleines Zimmer, das sie mittlerweile genau nach ihren Vorstellungen eingerichtet hat (man weiß ja nie). Dort fällt sie in ihr Bett, liest ein paar Seiten oder sieht eine sinnlose Sendung an, bis sie einschläft. Die Dienstwohnung liegt über dem Technikraum, und an das Brummen und Poltern hat sich Marina langsam und schließlich ganz gewöhnt. Das hilft ihr sogar beim Einschlafen.
Werner Antl ist am frühen Nachmittag auch gerne allein im Büro. Er stellt seine Hausschuhe ab, zieht die Socken aus und wartet, bis das Mittagessen wirkt. Er drückt die Knöpfe, sitzt vor zwölf kleinen Bildschirmen und sieht sich die Übertragung der Überwachungskameras an, die er vor einigen Jahren in den interessantesten Ecken des Hallenbads hat installieren lassen.
Kamera 1 – Eingang außen
Kamera 2 – Eingangshalle
Kamera 3 – Schwimmbad
Kamera 4 – Gang
Kamera 5 – Umkleidekabinen Herren
Kamera 6 – Umkleidekabinen Damen
Kamera 7 – Gang
Kamera 8 – Eingang Kantine
Kamera 9 – Eingang Sauna
Kamera 10 – Sauna
Kamera 11 – Keller / Gang
Kamera 12 – Technikraum
Werner kennt all die anderen besser als sie sich selbst, denn er weiß, was sie tun, wenn sie allein sind.
Kamera 1 – Eingang außen
Vor der Tür sitzen manchmal Jugendliche und rauchen, vielleicht weil sie glauben, dass sie dort keinesfalls erwischt werden. Heute, Dienstag, kurz nach 2, sind die Stiegen aber leer. Keiner kommt, keiner geht, kein Auto bleibt stehen. Werner könnte diesen Bildschirm genauso gut ausschalten.
Kamera 2 – Eingangshalle
Die unnötigste Überwachungskamera ist trotzdem Kamera 2, denn alles, was in der Eingangshalle passiert, kann man auch durch das riesige Panoramafenster vom Büro aus sehen. Der Vollständigkeit halber läuft Kamera 2 aber. Die Übertragung ist meist spannender als der Blick durch das Fenster. Es ist immer aufregend, über einen Bildschirm live dabei zu sein.
Rose Antl geht durch die Halle, die eigentlich nur ein größerer Raum ist. Verzogener Teppich, verschobener Tisch – Rose gibt ihm mit dem Fuß einen Stoß, und er steht noch verschobener da. Werner lächelt. Sogar wenn sie nicht weiß, dass sie beobachtet wird, rebelliert sie. Rose nimmt ihren Platz hinter der Kassa ein und zählt das Schülergeld vom Vormittag. Werner beugt sich vor zum Bildschirm und beißt in seinen Daumen. Sie steckt nichts ein. »Gutes Mädchen«, sagt er. Während sie das Geld zurück in die Kasse legt, dreht sie der Kamera den Rücken zu und das verdeckt Werner die Sicht. Es dauert viel zu lange, bis Rose sich wieder umdreht und die Kassenlade schließt. »Dieses kleine Luder …«
Kamera 3 – Schwimmbad
Nach dem Mittagessen ist Fred immer am motiviertesten. Lange hält es ihn nicht auf seinem Plastiksessel. Er ist gewissermaßen allein, kein Mensch schwimmt um diese Zeit, heute nicht. Der alte Nazi ist zwar noch da, aber nach dem Essen muss er schlafen, dieses Bild kennt Werner – den alten Nazi (Werner selbst nennt ihn nicht so, er weiß, dass er Hermann heißt) am oberen Bildschirmrand, auf der Liege, mit dem Handtuch über dem Kopf.
Fred springt plötzlich aus seinem Sessel auf. Auch das kennt Werner, das ist die Nachmittagsvorstellung. Fred beginnt langsam mit den Beinen zu wippen, er tänzelt, dann tanzt er los. Über den feuchten Fliesenboden bewegt er sich in Zeitlupe rückwärts, ohne dass seine Füße den Kontakt zum Boden verlieren. Moonwalk nennt er das; er hat Werner erzählt, dass er den erfunden hat. »Das stimmt nicht.« – »Oh doch!«, hat er gerufen. »Moonwalk, Moonwalk …« Und dabei ist er immer weiter rückwärtsgelaufen, wie auf Schienen, bis er durch die Tür und auf dem Gang draußen war. Dass Fred seine Lippen bewegt, sieht Werner jetzt auch auf dem Bildschirm. Sieht aus, als ob er singt. »Moonwalk, Moonwalk, Moonwalk …« Die Kamera überträgt nur das Bild und keinen Ton. Und außer dem Wasser gäbe es überhaupt nichts zu hören, denn Fred singt sein Lied tonlos, um den alten Nazi nicht zu wecken. Mit dem macht er sich lieber einen Spaß, tanzt rechts aus dem Bild und kommt am oberen Bildschirmrand wieder raus, singt lautlos »Moonwalk« und gleitet in Zeitlupe rückwärts am alten Nazi auf seiner Liege vorbei, ohne dass seine Füße den Kontakt zum Boden verlieren. Fred wäre wohl ein guter Tänzer, denkt Werner, wäre er nicht so hoffnungslos in diesem Schwimmbad gefangen.
Kamera 4 – Gang
Es ist nur ein Gang, sagt sich Werner und sieht kurz zu Bildschirm 4 hin. Eine Tür links, zwei Türen rechts, weiße Wände und am Ende kommen die Umkleidekabinen. Niemand ist zu sehen. Natürlich nicht. Gott sei Dank.
Kamera 5 – Umkleidekabinen Herren
Kamera 6 – Umkleidekabinen Damen
Die Kameras in der Herren-Umkleide und in der durch eine dünne Wand getrennten, spiegelverkehrten Damen-Umkleide sind so ausgerichtet, dass die beiden Bildschirme nur eine Reihe von Kabinentüren und Kästchen zeigen und keiner sich beim Umziehen beobachtet fühlen müsste. Werner und auch Marina würden das nicht so eng sehen, die Behörden aber schon.
Selbst wenn wenig Betrieb ist, liegt oder hängt immer irgendwo ein vergessenes Handtuch herum. Das ist auch heute so. Im Keller gibt es einen Raum, der ausnahmslos mit vergessenen Handtüchern, Badehosen, Badeanzügen, Unterhosen und Socken gefüllt ist. Auch dort wird der Platz schon eng, denn nach den Sachen sucht keiner mehr. In der Damen- und in der Herren-Umkleide stehen alle Kästchen bis auf eines offen – mit einem Blick weiß Werner somit, dass nur der alte Nazi, also Hermann, im Schwimmbad ist, denn der nimmt alles in einer Tasche mit, die er dann unter seiner Liege versteckt.
Kamera 7 – Gang
Diesen Gang mag Werner lieber. Er ist hell, in freundlichem Gelb gestrichen und führt von den Umkleidekabinen direkt ins Schwimmbad. Wenn viel los ist, ist hier am meisten los. Die Kinder laufen zwischen Bad und Kabinen herum und die Erwachsenen warten auf den Aufzug, der sie ein Stockwerk tiefer in die Sauna bringt.
Um die Ecke kommt Robert Anker und beendet seinen Verdauungsspaziergang durchs Bad, auf dem er nach dem Mittagsmenü besteht. Er drückt den Aufzugknopf, zieht am Handtuch und beendet seinen Spaziergang nackt, wie sich das aus seiner Sicht gehört. Im Aufzug gibt es keine Kamera, das sei technisch nicht möglich, hat man Werner gesagt.
Kamera 8 – Eingang Kantine
Lange Zeit die umstrittenste Kamera. Werner hat sie an einem denkwürdigen Abend in einem harten Kartenspiel gegen Bella erkämpft, und trotzdem wirft Bella noch heute mit Bierstoppeln oder Brotscheiben danach, wenn sie einen schlechten Tag hat. Wäre es nach Werner gegangen, dann würde er auf einem seiner Bildschirme jetzt auch sehen, was hinter der Kantinentür vor sich geht; aber mehr war nicht drinnen: Bella ist eine brutale Kartenspielerin und auch im Verhandeln gnadenlos.
Dennoch hat Bildschirm 8 einiges zu bieten, die Tür zur Kantine geht laufend auf und zu. Das liegt zum einen daran, dass das Klo draußen in der Eingangshalle ist, das bringt reichlich Bewegung. Zum anderen tauchen neben den immer gleichen immer wieder auch neue Gesichter auf, die zumindest bis zum ersten Klobesuch bleiben. Und im Grunde ist Werner froh darüber, dass er nicht sieht, was in der Kantine so alles los ist – wenn er beobachtet, wie vormittags einer der Stammgäste reingeht und am späten Nachmittag völlig verändert wieder herauskommt. Dann ist Werner auch froh, dass es Bella gibt. Zum einen, weil sie ihm die Kamera in der Kantine verboten hat und zum anderen, weil sie die Saubande da drinnen wirklich im Griff hat.
Die Kantinentür schwingt auf und Grant kommt heraus, kratzt sich lange im Schritt und verschwindet dann am rechten Rand des Bildschirms. Auf Bildschirm 2 erscheint er wieder und geht aufs Klo.
Kamera 9 – Eingang Sauna
Nach der Kantinentür und der Klotür ist der Eingang zur Sauna der am stärksten frequentierte Bereich im Hallenbad. Deshalb ist Kamera 9 eine der wenigen, die behördlich vorgeschrieben wurden, aus Sicherheitsgründen. Außerdem sind die Fliesen hier besonders rutschig; das kommt von jenen Gästen, die sich bereits im Aufzug ausziehen und das Wasser noch vor der Saunatür aus ihren Badesachen drücken. Keiner weiß, wer damit angefangen hat, aber diese Angewohnheit hat sich im Lauf der Jahre durchgesetzt, ist unter den Sauna-Insidern sozusagen Hausbrauch.
Wenn Werner auf seinem Bildschirm sieht, wie ein Nackter oder halb Nackter gefährlich über den Boden rutscht, ruft er sofort im Schwimmbad an (der heiße Draht) und schickt Fred mit dem Aufwaschkübel nach unten. Von Stürzen, Knochenbrüchen und all den unangenehmen Folgen will Werner gar nichts hören, und das hat auch Fred schon in seinen Kopf gekriegt. Deshalb fragt er im Falle eines solchen Anrufs nicht lange, nimmt den Kübel und geht los.
Kamera 10 – Sauna
Wie in den Umkleidekabinen gilt auch hier: Die zur Überwachung der Sicherheit installierte Überwachungskamera darf den höchst privaten Bereich der Gäste in keinster Weise einengen oder gefährden! So steht es wörtlich in den behördlichen Richtlinien. Also keine Aufnahmen von Penissen, Hoden, Brüsten, Vaginas oder Schamhaar jeglicher Art. Und obwohl die Kamera von der hintersten Ecke aus nur auf die Türen der drei Saunakabinen und den Ruheraum ausgerichtet ist, lässt es sich nicht so leicht vermeiden, dass nicht auch einmal ein Penis oder ein Paar Brüste durchs Bild spazieren. Soll so sein, sagen die Behörden, oder zumindest die meisten von denen, die sich als die Behörden aufspielen dürfen. Werner hält es da genauso wie Fred: Wenn er Nackte sehen will, kann er gleich selbst in die Sauna runtergehen.
Was Werner nicht weiß: András sieht das anders. Und was Werner auf seinem Bildschirm nicht sieht: Dass András in diesem Moment die allgemeine Mittagsruhe ausnützt und in der finnischen Sauna unter den Bänken herumkriecht, um seine eigene kleine Kamera abzumontieren, die er dort versteckt hat. Die Bilder von heute Vormittag versprechen für heute Abend einiges.
Kamera 11 – Keller / Gang
Im Wettbewerb um die unnötigste Kamera im Hallenbad liegt Kamera 11 unter den Top-3-Plätzen. Denn Bildschirm 11 bleibt die meiste Zeit schwarz. Das Licht im Gang hinter der Kellertür mit der Aufschrift Zutritt für Unbefugte verboten! (direkt neben dem Eingang zur Sauna) geht nur an, wenn dort jemand unterwegs ist. (Diese Bewegungssensoren sparen Energie und irgendwo muss man ja anfangen zu sparen.) Trotzdem bleibt Werners Blick viel zu oft und viel zu lange an diesem Bildschirm hängen. Es könnte ja sein, dass sich dort jemand bewegt, und wenn, dann will Werner sehen, wer das ist.
Kamera 12 – Technikraum
Diese würde dann wohl Platz vier belegen, gäbe es den Wettbewerb der unnützen Kameras wirklich und nicht nur in den Diskussionen, die Werner und Marina beinahe täglich über Sinn und Unsinn (und vor allem Kosten) der Kameras führen. Ob die Technik mitspielt und alle Anzeigen im grünen Bereich sind, kann man auf dem Bildschirm nämlich nicht erkennen. Wohl aber – und das ist Werners Argument in den Diskussionen, zumindest in jenen um Kamera 12 –, ob András auf seine Anweisungen hört und kontrolliert, warum das Warmwasser ausbleibt, wenn es darüber Beschwerden gibt, oder der Frage nachgeht, ob das mit der Heizung wirklich so schwer sein kann. Derzeit gibt es keine Beschwerden (weil keine ernst zu nehmenden Badegäste), und die Temperatur im Hallenbad stimmt so halbwegs. András scheint es sich aber nicht nehmen zu lassen, in seiner Mittagspause nach dem Rechten zu sehen, denkt Werner, denn hinter den Boilern im Technikraum sieht er jemanden auf und ab gehen und das kann nur András sein.
Daran zweifelt Werner auch nicht und seine Augen reibt er, weil es keine leichte Aufgabe ist, alle zwölf Bildschirme auf einmal zu überwachen. Mit den Fingerknöcheln in den Augen sieht er kleine Sterne und Lichtblitze und übersieht dabei beinahe, dass auf Bildschirm 1 etwas los ist. Dass ein großer Wagen vor dem Hallenbad vorfährt, aus dem Hofrat Spreitzer steigt. Diese Ratte.
3.
Marina Antl versucht noch, das Telefonklingeln in ihren Traum einzubauen, dann ist sie wach und hebt ab. »Der Spreitzer ist da! Der will irgendwas!«, ruft Werner in den Hörer, legt auf, sucht mit den Füßen unter dem Schreibtisch seine Hausschuhe, schlüpft hinein, springt vom Sessel und läuft nach unten. Seine Hausschuhe machen lustige Geräusche, als er Hofrat Spreitzer entgegengeht. Dabei behält er die Geschwindigkeit bei. Wie immer steht direkt hinter dem Hofrat sein Assistent, Kaufmann, der demonstrativ Ausschau hält und in einem kleinen Buch herumkritzelt. Kaufmann sieht genauer hin, sieht Werner Antl ungebremst auf seinen Hofrat zuhalten, unterbricht seine Notizen, macht einen Schritt nach vorn und baut sich schützend zwischen den beiden auf.
»Nicht so schnell«, sagt er mit einer Stimme, die aus seinen Nasenlöchern kommt, »nicht so schnell, guter Mann.« Werner bremst, schnauft und kämmt mit den Fingern seine Haare. »Was schreibt er da?!« – »Man wird sich ja noch Notizen machen dürfen«, kommt es aus den Nasenlöchern.
»Zuerst einmal: Guten Tag«, sagt Hofrat Spreitzer und geht ein paar Schritte durch die Eingangshalle. Werner und Kaufmann gehen ihm hinterher. Spreitzer bleibt stehen, fährt herum und hält Werner die Hand hin. Der nimmt sie widerwillig und schüttelt sie. »Wir kommen nur auf einen Sprung vorbei«, sagt Spreitzer und lässt Werners Hand nicht los. Kaufmann grinst. Werner drückt mit der Hand stärker zu, Spreitzer macht es ihm nach; Gesicht an Gesicht stehen sie da.
»Meine Herren, das erledigen wir besser gleich in der Sauna!« Werner und Spreitzer drehen die Köpfe zur Seite und sehen fragend Marina Antl an, die mit deutlich schwingenden Hüften die Stiegen runtergeht und dabei lächelt: »Euren Schwanzvergleich, meine ich.« – »Können wir gerne machen«, sagt Spreitzer. »Darauf kannst du wetten«, antwortet Marina. Werner nickt mit geschlossenen Augen und zieht seine Hand aus Spreitzers Hand. Genau deshalb hat er sie zur Hilfe gerufen – wegen ihres Charmes. Dass Marina den Hofrat einfach per Du anspricht, ist auch für Werner neu, aber es scheint zu funktionieren: Jetzt grinst Spreitzer auch, und Werner findet seinen anzüglichen Blick ganz und gar nicht gut. Kaufmann redet mit: »Die Sauna kontrollieren wir sowieso auch.« Alle drei sehen ihn an, und jetzt ist es Marina, die anzüglich wird: »Kannst gerne mitmachen.« Kaufmanns Gesicht läuft rötlich an. Spreitzer sagt: »Ach, Kaufmann, entspann dich endlich.« Kaufmann blättert verärgert in seinem Notizbuch, Spreitzer schüttelt den Kopf und wendet sich wieder den Antls zu: »Ist heute ja nur ein Freundschaftsbesuch, sozusagen.« – »Was heißt hier kontrollieren?«, fragt Werner. »Stadtratssitzung«, murmelt Kaufmann. »Und was ist da?!« – »Nächste Woche«, sagt Spreitzer, »da geht es wieder um euer Bad. Haben Sie den Bescheid nicht bekommen?« – »Lesen wir nicht.« – »Sollten Sie aber. Noch nicht nächste Woche, aber irgendwann wird’s knapp.«
Werner schnauft, Marina ist inzwischen angekommen und legt ihre Hand auf seine Schulter. Spreitzer wiederum greift auf Kaufmanns Schulter, und dem ist das sichtlich unangenehm. »Ich würde sagen, wir gehen unsere Runde, und dann besprechen wir alles beim Kaffee in der Kantine.« Werner und Marina nicken widerwillig. »Den bezahlen wir natürlich«, sagt Spreitzer, und Kaufmann klappt unnötig laut sein Notizbuch zu.
Zu viert gehen sie los. Während Marina an der Kassa eine kurze Diskussion schlichten muss, weil Rose Antl Eintritt verlangen will, wirft Werner durch das Fenster einen besorgten Blick in die Kantine, wo Georg mit der Hand in seinem Bierglas nach irgendetwas zu suchen scheint und Grant aufgestanden ist und auf den Zehen wippend mit Bella streitet.
»Straßenschuhe gibt’s hier drinnen eigentlich nicht«, sagt Fred, und von seinem Plastiksessel aus zwinkert er Werner mit einem Auge zu. »Schon gut«, sagt Werner und zeigt mit dem Finger nach oben an die Decke: »Und dort ist die Lüftung.« Hofrat Spreitzer nickt, Kaufmann schlägt sein Buch auf und notiert etwas. »In Ordnung«, sagt Fred, »dann machen wir heute eine Ausnahme.« Er meint es gut und lehnt sich demonstrativ entspannt zurück. Dabei weiß er nicht, dass alle den randvollen Aschenbecher unter seinem Sessel sehen können. Kaufmann macht Notizen, Spreitzer nickt ihm zu, Marina stößt Werner inzwischen mit dem Ellbogen, und da sieht er es auch: Der alte Nazi hat zwar immer noch sein Handtuch über dem Kopf, aber auch eine Hand in der Badehose und die bewegt sich langsam auf und ab.
»Wir machen hier weiter«, sagt Werner und dirigiert die Gruppe in die andere Richtung, weg vom Becken, zurück auf den Gang. Dabei sieht er noch einmal über die Schulter, und auch von der anderen Seite macht ihm der Blick durchs Kantinenfenster keine Freude: Dort versucht Grant gerade über die Schank zu klettern, Bella schwingt mit dem Besen einmal durch und trifft ihn am Kopf. Werner schiebt Spreitzer vor sich her, der lässt es zu: »Da geht es in die Sauna.« – »Haben Sie hier eigentlich ein Kinderbecken?«, fragt Kaufmann. – »Ja, warum?« – »Nur so.«
Als sie zu viert auf dem Gang stehen und der Aufzug nicht kommt, geht es endlich allen gleich. Jeder wartet darauf, dass endlich die Türen aufschwingen, jeder wackelt ein wenig mit dem Kopf und summt seine eigene Melodie. Ein altmodischer Klingelton, die Türen gehen auf und Spreitzer sagt: »Nach Ihnen.«
Der Aufzug ist alt und eng. Werner drückt sich an Marina, Kaufmann steht neben Spreitzer, Werner drückt den Knopf, die Türen rattern und keiner sagt ein Wort, obwohl das alles ewig dauert. Die Fahrt nach unten ebenso. Als Kaufmann versucht, Spreitzer etwas ins Ohr zu flüstern, versetzt der ihm einen Stoß, dass die Aufzugkabine wackelt. Werner schwitzt, Marina lässt es sich trotzdem nicht nehmen, ihm von hinten zwischen die Beine zu greifen; da grinst er. Kaufmann sieht das Grinsen, kann damit aber nichts anfangen.
Endlich der Klingelton, und sie kommen ein Stockwerk tiefer an. »Nach Ihnen«, sagt Spreitzer wieder. Werner und Marina steigen aus dem Aufzug, die Luft ist rein. Nein, doch nicht. Als Spreitzer und Kaufmann den Gang betreten, biegt Robert Anker um die Ecke. Nackt – und sein Ding steht leicht vom Körper weg. »Also, das ist ja …«, stottert Kaufmann. »Robert Anker«, fällt ihm Marina ins Wort, »der beste Saunameister von hier bis Bad Gastein!« – »Immer zu Diensten! Einen Aufguss, meine Herren? Den werden Sie nie vergessen.« – »Nein, danke«, antwortet Kaufmann und sieht noch einmal genauer hin. Spreitzer lächelt. »Keine Sorge«, sagt Robert Anker, »ist nur vom Duschen.« Er schnalzt mit seinem Handtuch vor ihren Köpfen einmal durch die Luft und bindet es um seinen Bauch. Auch das Handtuch steht vorne weg. »Sehr gut, Herr Robert. Sie können Pause machen.« – »Warum so förmlich, Frau Antl?«, fragt er und geht mit wedelndem Handtuch den Gang entlang. Alle vier sehen ihm hinterher.
Keine Überraschungen in der Sauna, außer dass es im Aufenthaltsraum unangenehm kühl ist. Wie gehabt macht Kaufmann seine Notizen, Spreitzer lächelt, Werner fragt: »Ist das Buch noch nicht voll?« – Kaufmann schreibt schneller. Sie öffnen alle Saunatüren, stecken die Köpfe rein und schließen sie wieder. »Hier riecht’s gut«, sagt Hofrat Spreitzer und Werner weiß nicht, ob das ernst gemeint ist oder wieder nur ein übler Scherz. Marina fragt laut in die Runde: »Sollen wir uns auch ausziehen?« Das irritiert Werner, sie war schon einmal kreativer. Spreitzer lächelt anzüglich. »Bitte, hier geht’s raus«, sagt Marina.
»Und was ist da drinnen?«, fragt Spreitzer, während sie wieder auf den Aufzug warten. »Der Keller. Zutritt für Unbefugte verboten.« – »Ja, da dürfen wir selbst nicht rein«, lächelt Marina, und das findet Werner jetzt doch lustig. »Aber wir würden’s sehr gerne sehen.« – »Meinetwegen. Ist aber nicht besonders spannend.«
Sie betreten den Gang, das Licht geht an, niemand ist da. Vor der Tür zum Technikraum zieht Werner seinen Schlüssel hervor und steckt ihn ins Schloss. Das funktioniert nicht. Werner klopft gegen die Tür. »András!«, ruft er, und das mehrmals hintereinander. Erst viel später kommt eine Antwort: »Was ist los?« – »Bitte aufsperren!« – »Nein, geht schon!« – »Bitte aufsperren!« – »Ich komme dann rauf!« – »Nein, jetzt bitte gleich aufsperren!« – »Riecht’s hier nach Rauch?« – »András raucht nicht.« – »Wer ist eigentlich András?« – »Unser Haustechniker.« – »Nein, ich meine, ob es da drinnen brennt.« – »András?!« – »Ja?!« – »Brennt es bei dir?!« – »Wie?!« – »Ob es da drinnen brennt?!« – »Nein!« – »Wir kommen später wieder!« – »Alles klar, Chefin!«
Im Aufzug schweigen alle oder sehen betreten zu Boden. Es klingelt, sie kommen ein Stockwerk höher an und gehen langsam durch die Eingangshalle. »Schon spät«, murmelt Kaufmann und zeigt Spreitzer seine Armbanduhr. »Ich weiß«, antwortet Spreitzer und dreht sich zu Werner und Marina um: »Wie sieht es mit unserem Kaffee aus?«
Als sie die Kantine betreten, ist es noch schlimmer, als Werner erwartet hat. Georg und Grant haben wieder ihre bescheuerte Musik durchgesetzt: Grant grölt in einen Zuckerstreuer, den er als Mikrofon benutzt, und Georg steht auf dem Tisch, an der Schank klatschen alle mit. Susi räumt die Gläser ab und humpelt merklich. Bella kommt auf Werner zu und flüstert – so laut, dass alle es hören können: »Der Willi, der hat sich im Kühlraum eingesperrt.« – »Ja«, sagt Werner, »ist in Ordnung. Könnten wir bitte vier Kaffee haben? Gleich?« Bella antwortet nicht, bleibt aber vor ihnen stehen. Zwischen ihren Zähnen steckt ein Zahnstocher, den sie im Mund vor und zurück bewegt. »Fräulein Susi«, ruft Marina, »vier Kaffee, bitte!« – »Sie sollen mich doch nicht so nennen«, ruft Susi und schafft es, dabei noch freundlich zu klingen. »Wir sitzen da drüben!«, ruft Werner und schiebt Hofrat Spreitzer wieder vor sich her.
Kaufmann klappt sein Notizbuch zu. Die Musik verstummt, Grant singt weiter in seinen Zuckerstreuer, Georg klettert vom Tisch. Dabei fällt ein Bierglas runter und zerspringt auf den Fliesen. »Das räumst du selbst weg!«, brüllt Bella. – »Leck mich!«, brüllt Georg zurück, nimmt dann aber doch den Besen, nachdem Bella ihm damit auf den Rücken geschlagen hat. Kaufmann und Spreitzer beobachten die Szene mit offenem Mund, ebenso Werner und Marina – in gewisser Weise aber auch fasziniert davon, dass es Bella und den anderen schlichtweg egal ist, dass sie hier die Besitzer des Hallenbads mit zwei Gästen der Stadtverwaltung am Tisch sitzen haben. »Kaffee kommt gleich!«, brüllt Bella und spuckt ihren Zahnstocher auf den Boden: »Aufwischen!«
»Also?«, Marina lächelt, und Spreitzer lächelt zurück. »Alles bestens«, sagt er. »Was passiert jetzt als Nächstes?« – »Nicht viel. Keine Angst.« – »Wir haben keine Angst.« Kaufmann sagt: »Das war nur eine Routinekontrolle.« Spreitzer sieht ihn eindringlich an. »Stimmt ja«, murmelt Kaufmann. »Komisch«, sagt Werner.
Susi humpelt auf den Tisch zu und kämpft mit dreimal Kaffee, der auch in den Untertassen schwimmt. »Der vierte kommt gleich.« Noch einmal wird es laut in der Kantine, Bella hat den Knopf der Kaffeemaschine gedrückt. Dann ist es wieder still, die Biergeister sitzen an der Schank, rauchen und benehmen sich. Es ist zu still, findet Werner und klappert mit seiner Tasse.
»Ich kann Sie wirklich beruhigen«, spricht Hofrat Spreitzer mit gedämpfter Stimme. »Mit Ihrem Hallenbad ist alles in Ordnung, das werde ich in der Stadtratssitzung noch einmal betonen. Es wird nichts passieren, was Sie nicht auch wollen.« Klingt wie aus einer Wahlkampfrede; Werner sucht nach den Falltüren. Er ist und bleibt eine Ratte, denkt er, aber leider auch ein Fuchs. »Bleiben Sie ganz entspannt, und gemeinsam finden wir eine Lösung.« – »Eine Lösung wofür? Ich wusste nicht, dass wir eine Lösung brauchen«, fällt ihm Marina ins Wort. Sie ist bereit, die Nerven zu verlieren. Spreitzer bewegt seine Hand unbeholfen über den Tisch, und bevor er sie auf Marinas Hand legt, erscheint Susi zur richtigen Zeit mit dem vierten Kaffee. »Bitte sehr.« Spreitzer gießt die Milch aus dem kleinen Kännchen in die Tasse, macht einen Schluck und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. »Wir müssen jetzt wirklich«, sagt er, »vielen Dank für den aufschlussreichen Nachmittag.« Er steht auf und nickt übertrieben zum Abschied. Kaufmann steht ebenfalls auf und flüstert Spreitzer etwas ins Ohr. Der hört zu, verzieht noch einmal sein Gesicht und wird laut: »Na, dann geh doch, Mensch!« Kaufmann fragt Werner: »Die Toiletten …?« – »Draußen in der Halle.« – »Ich warte beim Wagen«, sagt Spreitzer genervt, winkt, geht um den Tisch herum und beugt sich zu Marina, um tatsächlich einen Handkuss anzudeuten. Wäre sie besser aufgelegt, würde sie kichern und mitspielen; dazu sieht sie jetzt aber keinerlei Anlass. Werner schnauft, Spreitzer nickt ein weiteres Mal und geht.
Nicht einmal eine halbe Minute später wird an der Schank das Gemurmel merklich lauter, ebenso die Musik. Werner und Marina Antl sitzen immer noch auf ihren Plätzen, mit kaltem Kaffee in ihren Tassen, und über die steigende Lautstärke hinweg versuchen sie, ein paar grundlegende Fragen, die dieser Nachmittag aufgeworfen hat, zu klären. »War es so schlimm?« – »Was meinst du?« – »Hätte besser sein können.« – »Oh ja.« – »Was wollen die eigentlich?« – »Weiß ich nicht. Aber ich traue ihm kein bisschen.« – »Denkst du, ich?« – »Was machen wir jetzt?« – »Wir machen weiter.«
Werner und Marina schweigen und bleiben noch eine Weile nebeneinander sitzen. Es ist kurz nach sechs und jemand springt ins Becken. Bewegung im Wasser; am späten Nachmittag kommen die Nach-der-Arbeit-Schwimmer. In zwei Stunden ist Badeschluss. Die Kantine hat offiziell bis neun geöffnet, das ist aber selbstverständlich nur ein Richtwert. In Wahrheit hängt es von Bellas Laune und von der Leistungsfähigkeit ihrer Gäste ab. Also eigentlich doch nur von Bellas Laune, denn die Leistung ihrer Gäste ist auch deren einzig gute Eigenschaft – und schlechte zugleich (und hat jedenfalls keinen Einfluss auf Bellas Laune).
Hinter Werner und Marina machen sie sich bereit für den Abend. Sie versuchen, die Musik mit ihrem Gemurmel zu übertönen; das Ergebnis ist Kantinenlärm.