Kitabı oku: «Kopf über Wasser», sayfa 4

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Verzauberung am Meeresgrund Fische, Tanz & Party mit DJ Freddy F(r)esh Samstag, 24. Februar (20 Uhr bis ?) Bellas Kantine

7.

Nach dem Essen, allesamt Knödel und Tiefkühl-Pilzmischung im Bauch, kommt jeder nur zu gerne seiner Verpflichtung nach, die anderen in Ruhe zu lassen. Werner Antl ist mit seinen Bildschirmen beschäftigt, nickt dabei kurz ein, Marina ringt sich eine Einheit Yoga in der Dienstwohnung ab. Robert Anker wäscht und poliert sein Aufguss-Werkzeug und denkt über Temperaturen nach; das ist es tatsächlich, was ihn einen Großteil seiner Zeit beschäftigt: Temperaturen – nicht eine oder die Temperatur, sondern alle möglichen. Die finnische Sauna ist leer, bis auf András, der unter die Bank kriecht, um seine Kamera zu positionieren und dabei einen Schlüssel findet, der gestern noch nicht da war. Fred schläft. Bella trinkt Kaffee, nachdem sie Piratenhut und Augenklappe in den Mistkübel gestopft hat. Susi löst Kreuzworträtsel, und Koch Willi beobachtet sie heimlich dabei. Georg und Grant schlafen noch immer; zwei, drei Unbeteiligte blättern an der Schank in alten Illustrierten, und zwei weitere knallen abwechselnd Spielkarten auf eine Tischplatte.

Rose Antl ist abgetaucht, ab durch die Gänge, hat Türen geöffnet und wieder versperrt und raus durch den Hinterausgang. Sie atmet auf, auch wenn der Geruch von Chlor sich längst in ihre Kleidung und in die Haare gefressen hat. Hier unten, in einem schmalen Hof, den sie mit ein paar Mülltonnen teilt, hat sie vor ein paar Wochen ihr Versteck eingerichtet, hat einen weißen Plastiksessel hingestellt, auf dem sie im Schatten des Hallenbads sitzt und raucht und wie eine Wilde ihr Mobiltelefon bearbeitet. Es läutet, sie drückt drauf, hält das Telefon an ihr Ohr und beginnt zu flüstern.


András sitzt auf einem der orangen Sofas in der Eingangshalle und dreht den Schlüssel, den er zuvor in der finnischen Sauna unter den Sitzbänken ganz hinten bei der Wand gefunden hat, zwischen den Fingern hin und her. Ein herkömmlicher Schlüssel, an einem Ring ein kleines Metallschild mit der Nummer 25; der Schlüssel zu einem Hallenbadkästchen. Und auch wenn András bis auf seine Saunakamera so ziemlich alles hier drinnen ziemlich egal ist, und er auf die alten Legenden nichts gibt, so weiß er, dass es nur der Schlüssel sein kann, der eine, Kästchen 25, seit Jahren verschwunden, das Kästchen versperrt und auch mit äußerster Gewalt nicht aufzukriegen. András hat ihn jetzt – den Schlüssel. Er wird ihn benutzen, bald schon.


Zwei Uhr nachmittags ist es mit der Ruhe vorbei: Babyschwimmen. Im allgemeinen Gebrüll läuft Fred planlos mit dem Schlauch durchs Bild, und hinter dem Kantinenfenster hält sich Susi mit beiden Händen die Ohren zu. Willi findet das befremdlich, würde ihr gerne über den halb nackten Rücken streicheln, muss aber zurück hinter den Küchenvorhang, um literweise Brei zu kochen. Eine Idee, die ihm eines Nachts gekommen ist und die ihm anfangs wenig Begeisterung und sogar den Zorn Unbeteiligter einbrachte. Jetzt aber verdankt Bella an Babyschwimm-Tagen ihren Reichtum, wie sie sagt, Willis Brei und nicht den Mittagsmenüs, abgesehen natürlich von der Bier-Flut der Marke Georg, Grant oder X-Y – die Schecks jedoch nicht immer gedeckt.

Also dürfen über Babyschwimm-Tage sowohl in der Kantine als auch im Hallenbad keine abschätzigen Bemerkungen fallen – es ist zeitweise zwar die Hölle, aber es funktioniert. Und sie haben noch etwas Gutes, das denkt vor allem Fred: Sie vertreiben den alten Nazi aus dem Bad, denn gegen Babys kommt das Böse nicht an. Ganz aber gibt er nicht auf, der zähe alte Sack, sitzt in der Umkleidekabine oder in der Eingangshalle herum und liest in zweifelhaften Geschichtsbüchern. Heute sitzt er in der Umkleidekabine, und plötzlich steht András vor ihm – in der Hand den Schlüssel mit der Nummer 25, bereits in Aufsperr-Position. Der alte Nazi sieht von seinem Buch auf und fragt: »Was gibt’s, junger Mann?« – »Kontrollgang«, murmelt András und steckt den Schlüssel schnell in die Tasche seiner Arbeitsweste.

Gerade rechtzeitig, denn über den Bildschirm zu Kamera 5 ist Werner soeben die seltene Szene zwischen dem alten Nazi und András aufgefallen, und hätte er den Schlüssel gesehen, dann hätte er ihn zwar nicht als solchen erkennen können, wäre der Sache aber vielleicht nachgegangen, und das hätte wieder eine neue Spirale an Ereignissen ausgelöst. Denn eines steht fest: Werner ist nicht der Einzige, der so einiges dafür geben würde, an diesen Schlüssel und hinter die Tür zu Kästchen 25 zu kommen.

8.

»Wie geht’s?« – »Alles klar hier. Rose hab ich eine Zeit lang nicht gesehen.« – »Und?« – »Jetzt sitzt sie wieder hinter der Kassa.« – »Wie es dir geht, wollte ich wissen.« Marina Antl klingt genervt, das kennt er. Sie ist auch genervt. »Mir geht es gut«, sagt Werner und macht das einzig Richtige: Er schenkt seine Aufmerksamkeit Marina und nicht den Bildschirmen. »He«, winkt sie, »schon lang nicht gesehen.« – »Stimmt«, sagt Werner und klopft mit beiden Händen auf seine Oberschenkel. Sie geht langsam zu ihm hin, dann lässt sie sich in seinen Schoß fallen. »Na also«, sagt Werner Antl. »Na also«, sagt Marina Antl.

»Und, wie hat dir das Pilzgulasch geschmeckt?«, fragt Werner und sein Atem riecht nach Pilzen. Marina schüttelt den Kopf: »Komm schon, W., streng dich ein wenig an.« Und das mit einem Augenaufschlag und einem Blinzeln, dass bei Werner gleich alles aus ist. Er denkt kurz nach und sagt: »Februar ist der Unnötigste von allen. Den braucht wirklich keiner.« – »Schon besser, aber noch laaange nicht gut.« – »Na, was denn?!«, schnauft Werner, und dann sagt er: »Ein guter Tag beginnt mit einem Kuss von dir.« Sie blinzelt, küsst ihn aber immer noch nicht. Er singt: »Marina, Marina, Marinaaa!« Sie hebt die Hand und er singt nicht weiter, stattdessen fragt er: »Bist du untenrum rasiert?« – »Bin ich ein Pornostar?« – »Manchmal.« Werner grinst und ja, ja, ja – da kommt sie näher, mit ihrem Mund an seinen und ja, ja – da kommt ihre Zunge raus und leckt über seine Lippen und er drückt seine fest auf ihre und weiter unten kommen die alten Hausschuhe in Gang und sie rollen mit dem Drehsessel durchs Büro und küssen einander, auf und ab zwischen den beiden Schreibtischen und all den Bildschirmen. Ta-da-da-da-damm-damm-damm-damm-damm!

»Was schmeckst du gut!«, stöhnt Werner. »Und du nach Pilzen«, lacht Marina und drückt ihm noch einen Kuss rein. »Schmatz nicht so!«, sagt Werner, und sie: »Ich mach, was ich will …« Und das macht sie auch. Und er macht mit.


Das Babyschwimmen ist zu Ende und durch die Eingangshalle rollen die Kinderwägen Richtung Ausgang. Hinter der Kassa zählt Rose das Eintrittsgeld und steckt nichts davon ein, denn so viel ist das nicht. Im Hallenbad wischt Fred den Boden trocken, und zu wischen gibt es viel. Babys können zwar selbst nicht gehen, machen aber jede Menge Unordnung, und zum Schluss ist immer alles nass und Rutschgefahr ohne Ende. Fred wischt den Boden, und aus den Augenwinkeln und weil er es spürt, bemerkt er, dass der alte Nazi ihn dabei beobachtet. »Was?!« Fred hört zu wischen auf und brüllt quer übers Becken. Der alte Nazi hebt die Hand zum Gruß. »Was ist das mit dem alten Arsch«, sagt Fred mehr laut als leise, »wohnt der eigentlich hier?« Nazi Hermann imitiert mit seinen runzligen Lippen perfekt den Klang einer Trompete und verschwindet unter seinem Handtuch. Würde Fred es nicht besser wissen, könnte er glatt denken, der Alte habe Humor. Hat er aber nicht. Er hat auch keine nennenswerten Freunde und keinen, der zuhause auf ihn wartet.

Also bleibt er unter dem Handtuch liegen und spielt sich mit seiner imaginären Trompete selbst einen Marsch. Fred tanzt vor dem alten Nazi auf und ab und zeigt ihm abwechselnd den linken und den rechten Mittelfinger. Niemand ist da, der das sieht, denn das Hallenbad ist nach dem Babyschwimmen so verlassen wie davor. Werner Antl hat ausnahmsweise Besseres zu tun, als seine Bildschirme zu beobachten, und in der Kantine haben sie im Moment ganz andere Sorgen.

In der Kantine ist Grant kurz davor, wie ein Pirat am Luster zu schwingen und mit Fußtritten die Feinde abzuwehren. Da es keinen passenden Luster gibt, beschränkt er sich darauf, mit Gläsern zu werfen und zu brüllen: »Kommt mir nicht zu nahe! Ich warne euch!« Und dass er eigentlich keine Feinde in dem Sinn, sondern seine Kantinenkollegen anbrüllt und bewirft, darüber denkt Grant nicht nach, denn er denkt selten und im Moment überhaupt nicht über das, was er tut, nach, sondern tut es einfach, wenn es an der Zeit ist, etwas zu tun – und außerdem haben sie es nicht anders gewollt. Also brüllt er und wirft mit Gläsern. Den Nachschub holt er sich hinter der Schank; mindestens zwanzig Gläser, wenn nicht mehr, sind schon quer durch die Kantine geflogen, an der Wand zersprungen oder einfach auf den Boden gefallen. Grant brüllt weiter, und alle anderen brüllen gegen ihn an. Nur Bella nicht. Sie sitzt ganz still an der Schank, vor ihr springt Grant auf und ab, rauf und runter, wirft und verursacht Chaos. Und Bella sieht ihm dabei zu und schwört sich selbst, dass niemand anderer als Grant persönlich jede Einzelne dieser Scherben zusammenkehren wird; wenn es sein muss, mit seiner Zunge.

Die Rolle des betrunkenen Piraten bekommt Grant jetzt immer schlechter hin, denn das Aufwachen und Von-der-Bank-Aufspringen aus vollem Rausch, das Auf-die-Bar-Hinaufspringen und Tanzen und Brüllen und Gläserwerfen hat ihn derart viel Kraft gekostet, dass seine Energiereserven, die er im Schlaf immerhin halbwegs aufladen konnte, wieder verbraucht sind. Aber er gibt nicht auf, das muss man ihm lassen. Er brüllt und wirft mit Gläsern und seine Schimpfwörter werden immer absurder.

Es sieht fast so aus, als würde er gewinnen, denn langsam verlieren selbst die Unbeteiligten das Interesse an der Action. Langsam ist es an der Zeit, beschließt Bella, die weiß, dass Grant nichts zu gewinnen hat, nur verlieren kann, heute und hier drinnen ab sofort nur noch. Das beschließt sie und sagt: »Besen.« Streckt die Hand aus und brüllt: »Besen!« Susi läuft und humpelt hinter den Küchenvorhang und wieder zurück und drückt Bella den Küchenbesen in die Hand. »Danke!«, brüllt Bella und holt weit aus. Auf der Bar vollführt Grant einen lächerlichen Tanz und wirft mit Strohhalmen, weil ihm die Gläser ausgegangen sind. Diesem Jammer muss ein Ende gemacht werden, Bella ist kurz davor, den Besen zu schwingen.

»Es wäre mir«, steht plötzlich der alte Nazi neben ihr, »eine große Ehre wäre mir das«, schnauft er Bella ins Ohr, und sie sieht ihn nicht einmal an: »Das kann ich mir vorstellen. Und warum sollte ich dir den Gefallen tun, alter Mann?« – »Hm«, macht Nazi Hermann, »ich weiß nicht … soll ich einmal die anderen fragen?« Er kichert und Bella ist sich ziemlich sicher, von unten her aus seiner Richtung auch einen Furz gehört zu haben. »Scheiß auf dich«, sagt Bella und gibt den Besen weiter an den alten Nazi. Der nimmt ihn, hört gar nicht auf zu kichern, steht auf seinen dünnen Beinen breitbeinig da, hebt den Besen hoch in die Luft und stößt einen schrillen Schrei aus: »Yyaaayyy!«, schreit er und zieht voll durch, trifft Grant an der Wade oder in der Kniekehle. Es klatscht, Grant brüllt vor Schmerzen auf und lässt seinen Körper von der Bar einfach nach vorne fallen. Als er ungebremst auf dem Boden aufschlägt, verziehen selbst die Härtesten kurz das Gesicht; zu hässlich ist das Geräusch. Dann ist es vollkommen still in der Kantine. Nur das zufriedene Schnaufen des alten Nazis ist zu hören. Mit dem Besen in den Händen steht er da.

Steht da und jetzt grinst er wieder, seine Oberlippe mit dem dünnen Schnauzbart zieht er hoch und zeigt ein paar spitze, alte Zähne; es ist ein gemeines Grinsen. Alle sehen ihn an, und er überlegt, ob eine Verbeugung angebracht wäre. Vom Boden, wo Grant liegt, kommt kein Laut. Der alte Nazi sieht in die Runde und sucht nach Georg, findet ihn und schickt ihm einen Blick, der besagt: Der Nächste bist du!, oder Leg dich nicht mit Hermann an!, oder etwas in der Art. Georg versteht und hebt die rechte Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger. Mit den Lippen formt er stumm eine Reihe von Beschimpfungen: »A-l-t-e-r-D-r-e-c-k-s-a-c-k …« Und da er diesen Moment, den Moment, in dem das Glas fliegt, Auge in Auge mit Hermann verbringt, ist ausgerechnet der sein bester Zeuge: dass es nicht Georg war, der dem Alten das Bierglas an den Kopf geworfen hat, mitten ins Gesicht. Georg hat zwar nicht geworfen, ist aber der Einzige, der laut auflacht, als das Glas auf dem Kopf des alten Nazis zerplatzt. Georg lacht und hätte erwartet, dass der Alte etwas sagen würde wie »Schwere Artillerie!« – aber er sagt nichts. Mit dem gemeinen Grinsen noch immer im Gesicht fällt er einfach um. Jetzt lacht gar keiner mehr.

Da liegen sie, friedlich nebeneinander, Grant und der alte Nazi, wie zwei Freunde nach einer langen Nacht. Unter den beiden rinnt Blut hervor. Immer noch sitzen und stehen alle still, sehen dem Blut beim Rinnen zu. Im ersten Moment könnte keiner sagen, aus welchem der beiden das Blut kommt, das fragt sich zunächst auch niemand und niemand sagt ein Wort. Ein »Ähm« ist die erste Reaktion nach langer Zeit, gefolgt von einem Räuspern, dann noch ein Sesselrücken und endlich die Frage: »Ähm, sollten wir nicht einen Arzt rufen?« Es kommt von Georg, der den alten Nazi zwar ebenso hasst wie sein Barbruder Grant und insgeheim davon ausgeht, dass der Alte jener der beiden ist, der blutet, aber mit Sicherheit kann er das auch nicht sagen, und Blut ist eben Blut, und nicht lustig. Das sieht sogar Georg ein, und noch immer rühren sich die zwei auf dem Boden nicht, und Bella nickt und sagt: »Das könnten wir machen.«

Und weil niemand reagiert, wird Bella lauter: »Ja, dann macht das doch! Wer bin ich hier?! Bin ich eure Königin?« – »Irgendwie schon«, murmelt Willi und sucht in seiner Jacke nach dem Mobiltelefon. Susi greift inzwischen zum echten Telefon, und ein Bargast läuft raus zum Münzsprecher, und während er läuft, holt er ein paar Münzen hervor, und so rufen mindestens drei zugleich die Rettung, die eine Viertelstunde später mit vier Leuten und zwei Tragbahren in der Kantine erscheint, wo Bella und die anderen sich inzwischen vorsichtig und doch halbherzig um Grant und Nazi Hermann gekümmert haben, aber immer noch überall Blut und kaum sichtbare Wunden und kein Wort ist aus den beiden herauszukriegen, also sind am Ende alle – sogar Bella – erleichtert, als eben die Rettung auftaucht mit vier Leuten und zwei Tragbahren, die je zwei von ihnen auf Rollen in die Kantine schieben. Dass jetzt Profis hier sind, sorgt unter den Kantinengästen augenblicklich für Entspannung und für ein kollektives Gefühl von Gleichgültigkeit; die Sache ist erledigt und bald schon werden alle gemeinsam darüber lachen, Grant oder der alte Nazi, je nachdem, wer von den beiden jetzt wirklich blutet, wird dann einen Kopfverband tragen und sich lachend an den Kopf fassen, denn so geht das in der Kantine – man hat Spaß mit den eigenen Fehlern, und Spaß mit denen der anderen, und Spaß gibt es immer genug.

Aber nein, dieses Mal wohl nicht, denn die Rettungsleute haben die Polizei mitgebracht, und mit den Uniformen schlägt die allgemeine Stimmung wieder in eine allgemeine Anspannung um, denn jetzt sind sie alle Zeugen und sogar zwei Täter unter ihnen, und alle haben es irgendwie genau gesehen und wollen doch nur endlich wieder ihre Ruhe haben und frischen Schaum im Glas.

»Das wollen wir uns ansehen, haben wir gesagt«, lacht auch die Polizei, und dann sehen sie das Blut auf dem Boden und lachen nicht mehr, greifen an ihre Gürteltaschen und Inspektor Wels zieht den Schreibblock heraus. »Und geht schon los!«, sagt die Polizei, während die Rettungsleute Grant auf die Tragbahre legen – ja, eindeutig, Grant ist der, der blutet, und Nazi Hermann lehnen sie gegen die Schank. Er röchelt ein wenig und beginnt dann sofort wild zu schimpfen: »Dreckiges Dreckspack!« und »Mörder!«, brüllt er. »Na, na, na«, sagt Inspektor Wels und zeigt mit dem Finger auf seine Kollegin und dann auf Hermann. Kollegin Fritz geht vor der Schank in die Hocke und redet auf Nazi Hermann ein.

Hinter dem Rücken von Inspektor Wels versucht ein Unbeteiligter in aller Stille den Raum zu verlassen, und Georg folgt ihm. Bis zur Tür schaffen sie es, dann fährt Inspektor Wels herum und brüllt: »Stehen bleiben! Sofort stehen bleiben!« Man merkt ihm an, dass er erfreut ist, das endlich wieder einmal brüllen zu können. Und: »Wo soll’s denn hingehen, die Herren?« – »Aufs Klo«, murmelt der Unbeteiligte, und Georg sagt fast die Wahrheit: »Ich will wissen, wie es ihm geht.« Damit meint er Grant, den zwei der Rettungsleute inzwischen auf der Trage hinausgeschoben haben. Die anderen zwei behandeln den alten Nazi und der kreischt noch einmal: »Mörder!« und zeigt auf Georg, worauf Kollegin Fritz aufspringt und zur Tür läuft. »Langsam, langsam!«, wird jetzt auch sie streng, und Georg schreit den alten Nazi an: »Das stimmt nicht!«, und Inspektor Wels greift wieder an seine Gürteltasche.

So geht es hin und her und jeder Kantinengast wird befragt, und jeder stolpert durch seine eigene Geschichte, wobei alle versuchen, es so zu drehen, als seien Grant und der alte Nazi unglücklich gestürzt oder in einem Gerangel umgefallen oder ausgerutscht oder was weiß ich – blöde Sache eben, und am Ende glaubt keiner dem anderen nur ein Wort. Dass es Bella dabei gelungen ist, sich tatsächlich rauszuschleichen, hat niemand mitbekommen, und als Inspektor Wels fragt: »Wo ist denn eigentlich die Chefin?«, halten mindestens zwei Gäste ihre Bierkrüge vors Gesicht, damit man ihr Grinsen nicht sieht. Einen erwischt Kollegin Fritz beim Grinsen: »Finden Sie das lustig? Was ist so lustig? Wir wollen es auch lustig haben.« – »Nix, nix.« Und so geht es hin und her mit wechselnden Darstellern und Angebrüllten. »Was hast du da? Was versteckst du da?« – »Nichts, nur den Autoschlüssel.« – »Ach so.« – »Also, was ist so lustig? Wie heißen Sie?!« – »Immer nur eine Frage auf einmal.« – »Ich geb dir gleich eine Frage auf einmal, du … du …« Und Willi überlegt kurz, ob er sich in Kollegin Fritz verschauen soll, bleibt dann aber Fräulein Susi treu, die wiederum von Inspektor Wels auffällig oft beobachtet wird, aber bestimmt nur, weil sie ihm verdächtig erscheint.

»Ich habe nichts gesehen«, lügt Susi, als sie befragt wird, »war da drinnen«, zeigt sie auf den Küchenvorhang. »Und da war kein Lärm, der Sie vielleicht neugierig gemacht haben könnte?« – »Was hier so alles passiert, interessiert mich schon lang nicht mehr.« Inspektor Wels nickt, und auch Susi nickt, und Willi sieht ihnen dabei zu. »Das bringt nichts!«, schnauft Inspektor Wels plötzlich und steckt seinen Notizblock in die Gürteltasche zurück und brüllt: »Ausschwärmen!« – »Wie jetzt?«, fragt Kollegin Fritz. »Na, ausschwärmen eben!« – »Wir beide?« – »Ja, sofort!«, befiehlt Inspektor Wels und schiebt Kollegin Fritz in Richtung Tür. »Sie da, ich da!« – »Alles klar!« Bevor sie loslaufen, fährt Inspektor Wels noch einmal herum und zeigt mit seinem Finger auf jeden einzelnen Bargast und auf Willi und auf Susi: »Wir haben hier eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Verdächtige. Und wenn ich zurückkomme, sehe ich hier drinnen eure neun …« – »Visagen«, schlägt Kollegin Fritz vor. »Neun Visagen!«, schnauzt Inspektor Wels, und bevor er und Kollegin Fritz ausschwärmen, sagt er, mehr zu sich selbst als zu Kollegin Fritz, und so laut, dass alle es hören können: »Wir sollten so nicht mit den Leuten reden.« Sie nickt und rennt los, durch die Tür in die Eingangshalle, wo sie mit Werner und Marina Antl zusammenstößt. Er nimmt die andere Tür, und als Ersten nimmt er sich Fred vor, der nicht nur vorgibt, vom ganzen Chaos nichts mitbekommen zu haben, denn er hat es wirklich nicht mitbekommen. »Junger Mann«, sagt Inspektor Wels, und dann noch einmal lauter: »Junger Mann!«

Nachdem Marina Antl Inspektor Wels den Grund ihres späten Erscheinens in der Szene plausibel erklärt hat, unterstützt von Werners Kopfnicken – den Grund nämlich, dass Bellas Kantine eine Insel und Bella selbst die irre Königin derselben sei, und sie beide, die Antls, das eigentliche Königspaar des Hauses, aufgrund dieses ungeschriebenen und doch in Stein gemeißelten Gesetzes gar nichts bemerken hätten können von dem, was sich da so rund um die Schank zugetragen hat, geschweige denn etwas dagegen unternehmen. Außerdem seien sie, die Antls, heute Mittag besonders abgelenkt gewesen – ein Augenzwinkern hier, ein beschämtes Kopfnicken Werners da –, und über kurz oder lang gehe sie beide das, was Bella in ihrer Kantine so treibe und wer da mitmache und schlimmstenfalls zu Schaden komme, auch wenn diese Kantine Teil ihres Hallenbads sei, gehe sie das alles eigentlich überhaupt nichts an. »Verstehen Sie?!« Und der Inspektor nickt, und nachdem sie all das geklärt haben, geht Inspektor Wels leicht verwirrt weiter und taucht in die Gänge ein und verschwindet hinter der nächsten Ecke.

Zwei Glastüren weiter, auf der anderen Seite der Kantine, im Hallenbad, ist Kollegin Fritz drauf und dran, in Freds Erklärungen verloren zu gehen, wobei dieser nichts zu befürchten hat, weil er von den Ereignissen, vom Tumult, tatsächlich nichts mitbekommen hat, aber gerade deshalb umso motivierter und zugleich verdächtiger erscheint und sich und Kollegin Fritz einen Knoten ins Hirn macht, wonach er auch sie in die Gänge entlässt und selbst ratlos stehen bleibt, und nur das Wasser, das gegen den Rand schlägt und angesaugt wird, mit diesem beruhigenden Sauggeräusch, nur das Wasser hält ihn zurück, aber da ist Kollegin Fritz schon verschwunden. Also alles wieder von vorne, aber – verflixt, wenn man so sagen darf – da hört längst keiner mehr zu. Gut so.

»Und jetzt rennen hier auch noch zwei Polizisten durchs Haus«, sagt Werner zu Marina, weil er genau weiß, was Inspektor Wels und Kollegin Fritz gut eine Stunde lang machen werden: herumirren nämlich – ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchen.

Und da geht’s schon los: Um die Ecke, links, dann rechts, und der andere geradeaus, und die Hand immer an der Gürteltasche und um die nächste Ecke, und kaum einer trifft einmal auf Badegäste, nur das gut aussehende Pärchen, eingewickelt in Saunatücher, fällt auf; man nickt einander zu und sieht einander heimlich hinterher, und wenn einer fragen würde, könnte keiner den anderen ausreichend beschreiben, egal ob geschultes Auge oder nicht. In den Gängen des Hallenbads ist jeder immer nur allein.

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