Kitabı oku: «COLLEGIUM.», sayfa 6

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*

Lucas schaute der Frau in ihre braunen, mandelförmigen Augen. Seine Pupillen weiteten sich.

»Selbstverständlich«, antwortete er, ohne zu stottern, während sein Chef ungläubig fragte: »Anna?«

Die Frau wandte sich Peter zu. Musterte ihn. Keiner sprach ein Wort. Selbst das Gemurmel der Gäste schien verstummt zu sein, als herrschte Ruhe vor dem Sturm.

»Peter?!« Erstaunt schüttelte sie den Kopf. »Was für eine Überraschung. Ewigkeiten nicht gesehen.« Ihre Augen leuchteten und ein breites Lächeln umspielte ihren Mund. Sie nahm Platz.

»Anna?«, raunte Lucas seinem Chef fragend zu, als wollte er einen langen Satz in einem Wort zusammenfassen.

»Jetzt hat mich meine Vergangenheit endgültig eingeholt«, seufzte er leise und wandte sich Anna zu. »Wie geht es dir?«

»Danke der Nachfrage. Hervorragend«, gab sie knapp zurück.

Lucas zog seine Kappe vom Kopf und legte sie auf den Nachbarsessel. Mit allen zehn Fingern fuhr er sich durch sein Haar, rückte seine Nickelbrille zurecht und taxierte die junge Frau aus den Augenwinkeln.

Peters Blick wanderte ständig zwischen Anna und dem TV-Gerät hin und her. Neugierig drehte sie sich um. Just in dem Moment, als Claudia Bigler groß im Bild war.

»Schau Peter, die Claudi. Sie ist die Chefredakteurin von KURIER-TV.«

»Ich weiß.« Er kratzte sich an der Schläfe. »Ich habe sie am Flughafen gesehen. Wir waren in der Unglücksmaschine.«

»Oh Gott«, entfuhr es Anna und deutete mit dem Kinn auf Lucas' verletzte Hand. »Schlimm? Schmerzen?«

»Nein. Nur eine kleine Schramme«, flunkerte der IT-Spezialist, als sich ihre Blicke trafen.

»Das sieht aber nicht nach einem ›nur einer kleinen Schramme‹ aus.«

»Verbrennung«, mischte sich Peter ein.

Annas Neugier war geweckt worden.

Abwechselnd erzählten sie ihr, was sie am frühen Abend erlebt hatten. Langsam ging ihre Unterhaltung in einen Small-Talk über. Anna und Peter ließen die Vergangenheit wieder aufleben. Holzinger versicherte ihr, dass er nicht nachtragend sei, dass alles Schnee von gestern sei. Doch er konnte es sich nicht verkneifen, zu erwähnen, dass ihm ihre und Claudias Rolle beinahe den Job gekostet hätte.

Schließlich war es Anna, die Perez wieder ins Gespräch zog. Schnell fanden sie ihr gemeinsames Thema: die digitale Welt. Im Laufe der Unterhaltung meinte Lucas, dass er sich nach einer Auszeit von der Materie sehnte, einem ›Digital-Detox‹, und sei es nur für eine Woche.

Als dieser Ausdruck gefallen war, stützte sich Peter gegen seine Lehne und zog sich aus der leidenschaftlichen Diskussion zurück. Einzig, als sie ihre Pizza und die Thunfischsalate verzehrten, geriet das Gespräch ein wenig ins Stocken.

Holzinger fiel auf, dass Lucas, wenn er sich mit Anna unterhielt, nicht mehr stotterte und viel langsamer als üblich sprach.

Auch sie schien an ihrem Gegenüber Gefallen zu finden.

Als sich die Themen ausschließlich um Datenbanken, Firewalls, Blockchains, Transferraten, Server und Kryptografie drehten, schrieb Peter seine Adresse auf einen Zettel und schob ihn seinem Kollegen zu.

»Uns steht ein anstrengender Tag bevor. Ich werde euch beiden Hübschen verlassen. Lucas, ich lege dir den Wohnungsschlüssel auf den linken Vorderreifen. Hier ist die Adresse. Die Couch findest du im Wohnzimmer. Das Bad, erste Tür rechts.«

Perez angelte sich den Zettel, warf einen kurzen Blick darauf. Er ignorierte den Wink seines Chefs, dass es an der Zeit war, aufzubrechen.

»Du bist eingeladen.« Lucas legte seine Hand auf Peters Bon, als plagte ihn ein schlechtes Gewissen.

Holzinger erhob sich, blieb an der Stirnseite des Tisches stehen und zeigte auf den Adresszettel. »Du kennst dich aus?«

»Danke, ich nehme mir ein Taxi.«

»Anna, ich hoffe, man sieht sich in Zukunft öfter.«

Sie drückte ihm ein Küsschen auf die Wange. »Hoffentlich«, flüsterte sie.

Peter stützte sich auf seinen Flipstick und humpelte aus dem Lokal.

Anna sah ihm nach.

»Oh, hat er sich am Bein verletzt?«

»Ja, aber nicht heute. – Darf ich dich noch auf einen Drink einladen?«

Sie schenkte Lucas ein verzauberndes Lächeln. »Gerne.«

In ihrem Gespräch schmissen sie die Bits und Bytes auf den Tisch und pickten sie langsam auf. Ein Nichtfachmann hätte nur ›Bahnhof‹ verstanden.

Es war an Milan, sie aus ihrer Welt zu reißen.

»Scusi, ora di chiusura. Sperrstunde.«

Lucas beglich die Rechnung und sie verließen das Lokal.

»Habe ich das richtig mitbekommen, du übersiedelst gerade nach Wien? Du wohnst bei Peter?«, wollte Anna wissen.

»Wohnen?! Nein, nur für die heutige Nacht. Ich werde mir ein Zimmer nehmen und in den nächsten Tagen eine Wohnung suchen. Von Tomacic habe ich ein Angebot.«

»Oberst Tomacic?«, fiel sie ihm ins Wort.

»Ja, von Richard. Kennst du ihn? …« Sie nickte. » … Problem ist, er wohnt in Purkersdorf, außerhalb von Wien und mit dem Glasfaserkabel hapert's auch. Schauen wir mal.«

»Darf ich dir einen Vorschlag machen? – Meine Junggesellenwohnung, zwei Zimmer, Computerzimmer mit High-Speed-Kabelanschluss inklusive, und Nebenräume, steht leer. Möbliert. Ich würde sie dir für einen fairen Preis anbieten. Hier in der Nähe, auf der Seilerstätte. Nachteil: kein Parkplatz.«

»Super. Nehme ich. Ich besitze kein Auto.«

»Willst du sie dir nicht vorher ansehen?«

»Ich vertraue dir. Wo wohnst du jetzt?« Lucas schob seine Nickelbrille nach oben.

»In Hietzing, in der Wohnung meiner verstorbenen Mutter. Wegen des Parkplatzes«, antwortete Anna schmunzelnd.

»Also abgemacht?«

»Abgemacht.«

Sie besiegelten ihren Deal mit einem Handschlag, während erneut Schneeflocken vom Himmel tanzten.

»Gib mir dein Mobile.«

Anna streckte ihm ihren Arm entgegen.

Verwundert reichte ihr Lucas sein Smartphone.

Sie tippte mehrmals auf das Display und kurz darauf läutete ihres in der Handtasche. »Jetzt haben wir unsere Nummern. Ich schicke dir die Adresse per SMS.«

»Super. Dann leite ich sie direkt an die Spedition weiter.«

»Wo wohnt Peter? Kann ich dich mitnehmen?«

Lucas kramte den Zettel hervor.

»In Grinzing, Grinzinger Allee«, las er laut vor.

Sie schaute auf die Uhr.

»Anna, es ist viel zu spät. Ist nicht deine Richtung. Ich nehme ein Taxi. Wir sehen uns morgen.«

Sie verabschiedeten sich wie zwei langjährige Freunde.

»War ein netter Abend. Freue mich auf das Wiedersehen«, rief sie ihm nach.

7

Hajo und Craig betraten das Émile Restaurant und schauten sich um. Im Spiegel, der an einer der dunkelbraunen Säulen hing, entdeckten sie ihren Freund. Als sie auf ihn zugingen, erhob er sich, um sie mit einem strahlenden Lächeln zu begrüßen. Frederico Costa war für einen Italiener hochgewachsen, trug einen dunkelgrauen Schurwollanzug mit roter Krawatte. Seine goldene Uhr blitzte unter dem Hemdsärmel hervor. Die typische Arbeitskluft eines erfolgreichen Finanziers. Noch selten hatte ihn jemand in Freizeitkleidung gesehen.

Zu dritt bildeten sie den Vorstand des Economy-Clubs und waren für die Ausrichtung des Kongresses verantwortlich.

Sie setzten sich an den schwarz getäfelten Tisch. Der Kellner reichte ihnen die Speisekarte und informierte sie über die Speisen, die nicht auf der Karte zu finden waren.

»Wie laufen die Geschäfte?«, wollte Craig wissen.

»Danke der Nachfrage.« Frederico grinste breit. »Du weißt doch, wir sind vor drei Jahren in die Abfallbeseitigung eingestiegen. Eine Cashcow. Hätte ich mir nie träumen lassen. Und der Rest wie immer: höchst profitabel.«

Er genoss das anerkennende Nicken seiner Freunde.

»Was gibt es bei dir Neues?«, erkundigte sich Costa bei Hajo, weil ihm dessen Niedergeschlagenheit aufgefallen war.

»Hajos Tochter war in der Maschine, die heute eine Bruchlandung hingelegt hat«, antwortete ihm Craig anstelle seines Freundes.

»Oh. Ich habe davon gehört. – Ist sie verletzt?«

»Wissen wir nicht. – Niemand weiß etwas.«

»Was sagt die Airline? Die müssten doch …«

»... Fehlanzeige. Am Flughafen herrscht Chaos, seitdem noch eine Terrordrohung eingegangen ist.«

Costa rümpfte die Nase und musterte Hajo mit seinen tiefbraunen Augen.

»Abwarten und Tee trinken«, seufzte der Niederländer, griff nach dem Weinglas und prostete den beiden zu.

Während des Hauptganges stocherte Voss mit leerem Blick in seinem Teller herum, sein Smartphone im Blickfeld. Es vergingen keine zwei Minuten, ohne dass er überprüfte, ob eine Nachricht eingegangen war. Er atmete tief aus, wenn er es zur Seite schob. Im Anschluss warf er meist einen Blick auf die Uhr. Die Zeit verging im Schneckentempo. An diesem Abend schickte er sein Lieblingsgericht – Wiener Tafelspitz – nach der Hälfte zurück in die Küche. Er hatte keinen Appetit.

»Für welche Uhrzeit ist das Meeting morgen beim Personenschutz angesetzt?«, wollte er wissen.

»10:00 Uhr«, antwortete ihm Craig knapp.

»Wo?«

»Bundespolizeidirektion. Gleich nebenan, im Nachbarhaus«

Hajo starrte gedankenverloren auf sein Smartphone, das er zuweilen mit den Fingern von einer Seite zur anderen schob. Die Stimmung hatte ihren Tiefpunkt erreicht. Von Unterhaltung keine Spur.

»Vielleicht können dir die Leute an der Rezeption helfen«, meinte Craig schließlich und schlug mit beiden Händen auf den Tisch. »Kommt, ich habe Lust auf eine Zigarre. Wir begleiten Hajo zum Empfang und wir zwei stellen uns so lange vor den Eingang.«

Voss und Costa stimmten zu.

*

Gemächlich trotten sie über den Carraramarmor der Lobby zur Rezeption. Craig sah, wie sich Gerard lebhaft mit einer Rezeptionistin unterhielt. Als sich ihre Blicke trafen, hob der Kellner kurz den Arm und streckte den Zeigefinger in die Höhe, um im nächsten Augenblick mit der flachen Hand ›warten‹ zu signalisieren.

Morrison nickte ihm zu und schob seinen Freund zum Empfangspult.

»Wie kann ich helfen?«, fragte die Concierge lächelnd.

Als sie Craig erkannte, hob sie ihre Augenbrauen.

»Mr. Morrison, ich habe etwas für sie.« Sie drehte sich um, zog eine Fernbedienung aus einem Fach und reichte ihm den Autoschlüssel. »Ist wieder ›pico bello‹. Wir haben auch den Innenraum gesäubert, inklusive den großen Plastikkoffer.«

»Danke.« Craig griff nach dem Schlüssel und legte eine Zwanzig-Euro-Note auf den Tresen. »Für den Putztrupp ...«, fügte er mit einem breiten Lächeln hinzu. »... Und Herr Voss würde gerne die umliegenden Krankenhäuser anrufen, denn seine Tochter hat sich noch nicht bei ihm gemeldet.«

»War sie in dem Flugzeug?« Die Rezeptionistin verzog ihr Gesicht zu einer leidenden Miene und winkte Voss zu sich.

Craig klopfte seinem Freund ermunternd auf die Schulter. »Du findest uns vor dem Eingang.«

Hajo hob seine Hand.

Der Nordwind schob zusätzliche Kälte in die Stadt und das Grieseln war von Schneefall abgelöst worden. Die Laternen warfen ihr Licht auf die weiße Pracht und ließ die Ringstraße heller als sonst erscheinen. Der Pulverschnee dämmte die Geräusche des Verkehrs und im Sog der Fahrzeuge züngelten langen Eiskristallschleiern hinterher.

Zwischen den Eingangssäulen suchten sie sich einen windgeschützten Platz. Craig zog ein Lederetui aus der Brusttasche und bot Frederico eine Zigarre an.

»Was denkst du? War Kirstin in der Maschine?«

»Sieht so aus, ansonsten hätte sie sich längst gemeldet.«

Craig schnitt seine Corona an, reichte ihm die Guillotine und wärmte seine Zigarre mit dem Feuerzeug an.

»Ich möchte nicht den Teufel an die Wand malen.« Craig schüttelt seinen Kopf. »Aber dieses Jahr hat es in sich: Erst kommt Gerhard bei einem Verkehrsunfall ums Leben, dann verschwindet unser schwuler René Delon. Jetzt setzt sich die Serie vielleicht mit Kirstin fort. – Hat es da jemand auf uns abgesehen?«

»Zufall. Reiner Zufall. Klug hatte einen Autounfall. Laut Unfallbericht war es ein Reifenschaden. Renés Tod ist nicht restlos geklärt. Alles nur Vermutungen. Man sagt, er sei von Bord gefallen und konnte seine Jacht nicht mehr schwimmend einholen. Es sind weder Kampf- noch Blutspuren gefunden worden. Und wenn Kirstin tatsächlich in dem Flugzeug war, dann ...«, er zögerte. »Unfall. Kismet. Zufall.«

»Meiner Meinung nach, ein wenig viel Zufall. Und deine fatalistische Sichtweise der Dinge widerstrebt mir ebenso.«

Frederico sog an seiner Zigarre.

»Hajo und ich haben in der Bar Frederica getroffen. Warum hat sie nicht mit uns zu Abend gegessen?«

»Frederica wollte ins Theater – wenn ich sie richtig verstanden habe«, antwortete er und wiegte seinen Kopf hin und her.

»Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Edith hat es erwähnt.«

»Edith ist hier?«, fragte Frederico überrascht. »Mit deinem Sohn? Wie geht es den beiden Frischvermählten?«

»Ja, sie sind auf Hochzeitsreise.« Craig verdrehte die Augen und strich sich über seinen grauen Dreitagesbart.

»Probleme?«

»Sie nervt. Und mein Sohn ...« Er holte tief Luft. »... Christian, wie soll ich es sagen. Ein Schwächling. An dem ist ein Mädchen verloren gegangen. Kein Mumm. Du kennst ihn.«

Die Zigarre glühte grell auf.

»Kinder eben.« Frederico seufzte. »Deiner ist zu wenig Mann. Meine Frederica zu wenig Frau.«

»Aber dafür ungemein hübsch, und sehr intelligent, im Gegensatz zu ...«

»... sie ist achtundzwanzig und lässt kein männliches Wesen an sich ran.«

»Vielleicht wartet sie auf den Märchenprinzen, der auch dir gefällt?«, versuchte Craig zu scherzen.

»Hoffentlich nicht zu lange«, erwiderte Costa und ließ die Schultern hängen. Er steckte seine Zigarre zwischen die Zähne, als wollte er davon abbeißen.

Sie drängten sich in die Nische, die ihnen nur ungenügend Schutz vor den eisigen Windböen bot.

»Craig, Rico?«, hörten sie Hajo vom Eingang rufen.

Morrison trat in den Wind. »Hier sind wir.«

»Neuigkeiten?«

»Leider nein«, erwiderte Hajo. »Wir haben die größeren Spitäler kontaktiert: Das AKH, die Donauklinik, das Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus, das Meidlinger UKH und einige weitere, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe. Erfolglos. Entweder hieß es, dass man noch nicht über die Listen der Neuaufnahmen verfüge, oder man redete sich auf den Datenschutz heraus.«

»Möchtest du eine Zigarre?«, bot ihm Craig zum Trost an.

»Nein danke, ist mir zu kalt hier draußen.« Hajo zeigte auf seine dünnen Lederschuhe.

»Hast du keine Stiefel dabei?«, versuchte Morrison das Thema zu wechseln, um die Stimmung zu heben.

Unvermutet stand Gerard vor ihnen, über seinem weißen Hemd nur mit dem schwarzen Gilet bekleidet.

»Herr Voss, ich habe soeben erfahren, dass unser Shuttleservice die Hotelgäste abholen kann.«

Hajo fuhr herum wuchs um gut drei Zentimeter, während seine Augen hoffnungsvoll aufleuchteten.

»Ist meine Tochter dabei?«

Der Barkeeper trat von einem Bein auf das andere, die Schultern nach vorgezogen.

»Nein. Wie mir der Chauffeur mitteilte, kann er sieben Gäste abholen. Mehr oder minder unverletzt. Frau Voss ist leider nicht dabei. Soviel wir wissen, ist sie auch nicht unter den Verletzten.«

»Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?«, rätselte der Niederländer.

»Lass mich das Pferd nochmals in den Parcours reiten«, begann Craig, auf der Suche nach einer Erklärung. »Bist du dir sicher, dass Kirstin an Bord war? Ich kann mir gut vorstellen, dass sie den Flieger versäumt hat, oder sie hat es sich im letzten Augenblick anders überlegt.«

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.« Voss atmete tief durch. »Gerard, danke für Ihre Info.«

»Hajo – etwas mehr Zuversicht. Erst wenn sie Tiere paarweise nach Cape Canaveral treiben, würde ich mir ernsthafte Gedanken machen«, versuchte Frederico Optimismus zu verbreiten, ließ seine Zigarre fallen und trat die Glut aus.

Craig schnipste seine Corona in das Rinnsal und zeigte zum Eingang.

»In die Bar mit uns, bevor wir hier zu Eiszapfen erstarren.«

An der Tür hielt der Barkeeper Morrison zurück.

»Es gibt drei Tote«, raunte er ihm zu und verschwand mit ernster Miene.

*

Frederica, Edith und Christian saßen um einen Tisch in der Bar und winkten ihnen zu.

»Hallo ihr Hübschen. Wie war der Abend?«, begrüßte sie Frederico mit seiner nachdrücklichen Stimme. »Dürfen wir uns zu euch setzen?«

Christians Lächeln wirkte wie aufgemalt, als wollte er ›wenn es sein muss‹ sagen.

»Bitte«, gab er zurück und zog bedächtig einen Sessel vom Nachbartisch heran. Hajo und Craig folgten seinem Beispiel.

Gerard servierte die Longdrinks und tauschte leere Knabbergebäckschalen gegen volle aus. Die Italienerin bedankte sich, griff in die Schale und zerbiss geräuschvoll ein Stück Rohscheibe.

»... überlege es dir. Unser Angebot steht. Du bist jederzeit willkommen«, hörte Morrison im Niedersetzen seine Schwiegertochter zu Frederica sagen, während sie ihren Arm tätschelte.

Craig wollte sich nach dem Vorschlag erkundigen, doch der Barkeeper kam ihm mit seiner Frage zuvor.

»Das Übliche? Whiskey, Wein und Campari-Soda?«

Hajo streckte beide Daumen in die Höhe.

Gerard schenkte die Drinks ein, als das Haustelefon an der Theke läutete. Während des Telefonats schaute er abwechselnd zur Rezeption und zu seinen Gästen. Gemächlich stellte er die Gläser auf das Tablett.

Craig merkte die besorgten Blicke des Bartenders. Er drehte sich zu ihm. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn.

Mit schweren Schritten kam Gerard zum Tisch und verteilte die Getränke. Zuletzt beugte er sich zu Morrisons Ohr und flüsterte: »Kirstin Voss ist eine der Toten.«

Eine Garrotte umspannte Craigs Hals. Langsam schloss sie sich enger und hinderte ihn am Reden.

»Was hat er gesagt?«, wollte Frederico wissen.

Sein Freund sah ihm in die Augen, blähte seine Wangen auf, und schüttelte leise den Kopf. Costa rümpfte die Nase und öffnete einen Spalt weit seinen Mund. Er schwieg, denn er erriet bereits die Antwort. Keiner von den beiden wollte der Überbringer der Hiobsbotschaft sein.

»Weiß man schon, wo Kirstin abgeblieben ist?«, platzte es aus Edith hervor, die ständig über ihr Smartphone wischte, ohne ihren Blick zu heben.

»Nein ...«, antwortete Voss knapp. »...wir warten noch auf eine Nachricht von ihr«, fügte er flüsternd hinzu. Er zog sein Mobile aus der Tasche und legte es griffbereit auf den Tisch. Besorgt musterte Frederica sein Gesicht, als könnte sie die Antworten auf ihre Fragen daraus ablesen.

Edith streckte ihr Smartphone in die Höhe, zog Christian zu sich und schoss ein Selfie; für wen auch immer.

Craig bedachte seine Schwiegertochter mit einem abfälligen Blick, der an ihr abperlte, wie Wasser auf einem wasserdichten Stoff.

Frederico legte seinem Freund tröstend die Hand auf den Arm.

Es tat gut, seine eigene Meinung bestätigt zu bekommen. Morrison griff sich an den Hals, massierte ihn und zerbrach sich den Kopf, wie er Hajo die Nachricht übermitteln sollte. Coram publico oder unter vier Augen? Immer wieder schaute er hilfesuchend zu Frederico, den die gleichen Gedanken plagten. Wenn sich ihre Blicke trafen, zuckte sein Freund mit den Schultern und rieb sich über das Kinn.

Unbehagliche Stille herrschte am Tisch, als würde man sich im Auge eines Hurrikans befinden,

»Laut unseren Statuten müssen wir einen zusätzlichen Vorstand nominieren«, versuchte Frederico ein Gespräch zu initiieren.

»Um dem Quotenwahnsinn Genüge zu tun, schlage ich Claire oder Mathilde vor.« Craig atmete tief ein und war für den Themenwechsel dankbar, der ihm Zeit verschaffte.

»Ich bin für Claire. Vergiss Mathilde«, entschied der Italiener mit ruhiger Stimme, die jede weitere Diskussion im Keim erstickte.

Richtige Entscheidung; Craig nickte.

Hajos Smartphone brummte. Er zog es zu sich, nahm es aber nicht in die Hand. Er schaute lange auf das Display, das ihm ›Unbekannte Nummer‹ signalisierte. Er zögerte auf die pulsierende Antwort-Schaltfläche zu tippen, als hätte er Angst, dass es in demselben Augenblick explodieren würde. Nach dem vierten Brummen raffte er all seinen Mut zusammen und drückte zitternd auf den Bildschirm.

»Hajo Voss ... Ja, sie sprechen mit ihrem Vater ...« Je länger das Gespräch andauerte, desto mehr wich sein Nicken einem Kopfschütteln.

Er saß steif auf seinem Sessel, als hätte ihn der Fluch einer Hexe getroffen, der ihn zur Salzsäule erstarren ließ. Sein Kopf füllte sich mit bleiernem Nebel. In seinen Ohren dröhnten schwere Schläge, als würde auf einem Amboss glühend heißer Stahl geschmiedet. Jeder Hammerschlag ein stechender Schmerz, dem er nicht entkommen konnte.

»... Ja ... Ja ... Wo? … Sie schicken mir die Adresse auf mein Handy ... Wann?«, stammelte er ins Mikrofon.

Grußlos legte er das Mobile nieder. Hilfesuchend wanderte sein Blick von einem Freund zum Nächsten.

Keiner wagte, eine Frage zu stellen.

»Kirstin ist tot!«

Hajos Worte schlugen wie eine Bombe ein.

Nur Edith entfuhr ein gleichgültiges »Oh.« Mehr nicht. Sie hob nicht ihren Kopf, fixierte weiter ihr Smartphone und wischte in einem fort darüber. Empathie und soziales Verhalten zählten nicht zu ihren Stärken.

Der Tisch versank in dunkler Niedergeschlagenheit.

»Jetzt werde ich nicht mehr erfahren, was sie mir erzählen wollte«, schluchzte Voss und erinnerte sich an sein letztes Telefonat mit seiner Tochter. Er erhob sich schwerfällig und torkelte zur Theke.

Gerard erschrak, als er in das gramvolle Gesicht seines Gastes schaute. Es war binnen Minuten um Jahre gealtert.

In Fredericas Augenwinkel sammelten sich Tränen. Sie presste beide Hände auf ihren Mund. Schließlich schlang sie ihre Arme um den Brustkorb. Weinkrämpfe schüttelten ihren Körper.

Von ihrem Armband ertönte eine windspielartige Melodie, als würden kleine Glöckchen aneinandergestoßen, gespielt von dem Eiffelturm, dem Wiener Riesenrad und dem Halbmond.

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