Kitabı oku: «"Play yourself, man!". Die Geschichte des Jazz in Deutschland», sayfa 7

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Die erste Jazzklasse und das Musik-Echo

Bald machte ein Lehrbuch von Arthur Lange die Runde: Arranging for the Modern Dance Orchestra (1926). Indem er das Procedere im Whiteman-Orchester kodifizierte – die Abwechslung von großorchestralen und im dreistimmigen Satz gefassten Hot-Chorussen für drei Saxophone und für zwei Trompeten mit Posaune –, beeinflusste er die Arrangeure der großen Orchester auch in Europa stark. Whiteman selbst umriss seine Prinzipien 1926 in seiner Autobiographie: »Am wichtigsten ist es, dass sich, nachdem das Thema gespielt ist, die Instrumentierung jeweils nach einem halben Chorus ändert. Dazwischen gibt es Tonartenwechsel, für die ein vier- oder achttaktiges Zwischenspiel eingefügt wird. […] Vor vier Jahren konnte man noch einen ganzen Chorus mit nur einer rhythmischen Idee spielen. Heute muss es mindestens zwei, wenn nicht noch mehr rhythmische Ideen geben.«80

Mike Danzi beschreibt, wie Langes Methode, die diesen und andere Ansätze lehrbuchhaft niederschrieb, den Sound auch des deutschen Jazz verändert habe: »In den frühen 1920er Jahren hatten Bands wie die von Bernard Etté, Efim Schachmeister, Mitja Nikisch und andere zwar Arrangements, aber die klangen alle ein wenig wie Ouverturen – mit vielen Verzierungen und Kadenzen. Nachdem der Arthur-Lange-Stil in Europa populär wurde, entwickelten sich die Arrangements hin zu einem moderneren Ansatz, bei dem ein guter rhythmischer Beat, bessere Soli und Ensemble-Jazz-Passagen im Vordergrund standen. Mehr und mehr führte diese Entwicklung auch dazu, dass Bandleader sich ihre Arrangements quasi aufs Orchester schreiben ließen, anstatt gekaufte Arrangements für ihre jeweilige Besetzung umzuschreiben«.81 Wie Lange verstanden auch andere im amerikanischen und deutschen Musikgeschäft die Musik, die sie produzierten, ausdrücklich als moderne rhythmische Tanzmusik; mit Jazz assoziierten sie den etwas antreibenderen Hot Style, den sie höchstens als einen Baustein ihres Repertoires an Möglichkeiten benutzten, als eine Klangfarbe von vielen. Ihr Hauptaugenmerk galt bei aller rhythmischen Finesse der Betonung der dem Titel zugrundeliegenden Melodie.

Es gab mittlerweile also Bücher, es gab kritische Reflexionen, die zeigen sollten, wie man am besten an die Interpretation von Jazz herangeht, und so lag es nahe, dass sich auch Lehrer dieser Musik widmeten. Und da sich in Deutschland insbesondere die Konservatorien als die natürlichen Ansprechpartner für jedwede Jazzausbildung verstanden, ist es im Rückblick zwar erstaunlich, aber irgendwie auch verständlich, dass sich eines, nämlich Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main, der Aufgabe annahm – und damit weltweit die erste Jazzklasse an einer Musikhochschule etablierte.

Dessen Direktor Bernhard Sekles wies in einem vieldiskutierten Artikel 1927 auf die neue Jazzklasse hin, die ab Januar 1928 an seiner Schule eingerichtet werden sollte. Mátyás Seiber, ein junger, 1905 in Budapest geborener Cellist, der mit amerikanischem Jazz erstmals durch seine Arbeit als Musiker in Bordkapellen auf Ozeanriesen in Berührung kam, wurde zum Leiter der Klasse auserkoren und bekam fünf weitere Dozenten zur Seite gestellt. Gelehrt wurde Instrumentalbehandlung, Ensemble-Performance sowie Instrumentation fürs Jazzorchester. Der Unterricht, heißt es in der Ankündigung in der Neuen Zeitschrift für Musik, »erstreckt sich nicht nur auf die typischen Jazz-Instrumente, als da sind: Schlagzeug, Saxophon, Banjo, Trompete und Posaune, sondern vor allem auf regelmäßige Ensembleübungen. Späterhin soll dann noch eine Vokalklasse angegliedert werden.«82

Aus dem Jahr 1929 existiert ein Programmhinweis auf eine Rundfunkreportage über die Jazzklasse, bei der ein Repertoire angekündigt wird, das Hits aus amerikanischer Feder (»Ain’t She Sweet«, »Birth of the Blues«) genauso enthält wie Stücke von Theo Uden Masman und Eugen Henkel (einem der Studenten), aber auch Igor Strawinskys »Kleine Suite für Orchester« (wie es in dem Hinweis heißt, wahrscheinlich eine seiner beiden »Suiten für kleines Orchester«). 1930 tauchen in einer weiteren Programmankündigung einige Titel aus Kurt Weills Dreigroschenoper, Gershwins »Rhapsody in Blue« sowie Seibers eigene »Jazz-Kammermusik« mit dem Titel »Jazzolette« auf. 1932 verzeichnet das Programm ein Saxophonsolo von Rudy Wiedoeft, Stücke aus Erwin Schulhoffs »Hot Music« sowie mehrere Titel mit Gesang der offenbar inzwischen existierenden Vokalklasse, eine Parodie auf die Revelers, das Vorbild der Comedian Harmonists, mit einem Text von Joachim Ringelnatz. Und von 1932 stammt eine Aufnahme des Foxtrotts »Oh My« des »Jazzorchesters des Hoch’schen Konservatoriums«, besetzt mit Trompete, Posaune, Saxophonen, mindestens zwei Geigen und Rhythmusgruppe. Im Mittelpunkt der Aufnahme stehen Kontraste sowohl in der Orchestrierung wie auch im rhythmischen Ansatz der betreffenden Passagen. Zaghafte Improvisationsversuche sind nur in vereinzelten Breaks, einer längeren Posaunen- und einer weiteren Trompetenpassage zu hören, werden aber sofort wieder ins Ensemble zurückgenommen. Eine formale Entwicklung des gut dreiminütigen Ablaufs findet ebenso wenig statt, wie die Musiker versuchen, den einzelnen Refrains dramaturgische Bögen zu verleihen. Alles steht nebeneinander und wirkt höchstens aus der recht starren Rhythmik heraus.

Man ahnt: Es ging den Lehrern um Mátyás Seiber nicht wirklich um ein Aufheben der Grenzen zwischen Hoch- und Massenkultur, sondern vor allem darum, dass, wenn man schon Musiker ausbildete, man ihnen wenigstens ihr Handwerkszeug in der ganzen Breite dessen, was zurzeit gebraucht wurde, vermittelte. Nachdem die Nazis die Macht errangen, wurde die Jazzklasse geschlossen. Seiber floh nach London.

Dietrich Schulz-Köhn, der später einer der wichtigsten Jazzvermittler in Westdeutschland werden sollte, hatte von 1932 bis 1933 an Dr. Hoch’s Konservatorium studiert (wahrscheinlich Schlagzeug und Posaune). Andere Musiker, die aus der Jazzklasse hervorgingen und später eine Karriere im Jazz machten, waren etwa der Saxophonist Eugen Henkel oder der Trompeter Rudi Thomsen, seines Zeichens zugleich Vetter von Carlo Bohländer, der das Frankfurter Jazzleben nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend mitprägen sollte.

Ein weiteres Indiz dafür, wie stark der Jazz in der Zeit der Weimarer Republik Teil des deutschen Musiklebens geworden war, ist die Tatsache, dass das Berliner Musikhaus Alberti im Juni 1930 mit dem Musik-Echo eine neue Zeitschrift vorlegte, die sich vor allem an Musiker, Arrangeure und Bandleader richtete und neben Tipps zu Instrumentierung und Orchestrierung auch Hinweise zur Improvisation (oder wenigstens zur »Variation«) gab.


Unbekannte Amateurkapelle, vermutlich 1920er Jahre

Eine Variante des Jazzlernens darf nicht verschwiegen werden. In der Regel verortet man das Phänomen des Amateurjazz erst nach 1945, doch bereits in den 1920er Jahren gab es Amateurbands, die sich sogar stärker als die professionellen Tanzorchester an den Aufnahmen amerikanischer Vorbilder orientierten. Der Banjospieler Ernst Höchstötter beispielsweise berichtet, dass er und andere Mitspieler bereits 1926 in München eine studentische Jazzband gegründet hätten, mit der sie Aufnahmen von Red Nichols and his Five Pennies nachspielten.83

Paul Whitemans Gastspiel im Juni 1926 ließ Schüler der Berliner Goethe-Schule sich zu einer Band zusammentun, die sich »Die weißen Raben« nannten und zuerst vor allem deutsche, mehr und mehr aber auch amerikanische Schlager spielten. In Bigband-Besetzung mit zwei Trompeten, einer Posaune, Geige, drei Saxophonen, Klavier, Banjo, Kontrabass und Schlagzeug trat die Band bald nicht mehr nur bei privaten oder halb-öffentlichen Veranstaltungen auf, sondern organisierte eigene »Weiße-Raben-Bälle«. Nach Hitlers Machteroberung verließen die jüdischen Mitglieder die Band, die in den 1930er Jahren noch überall in Berlin zu hören war, selbst in renommierten Häusern wie im Zoo-Palast anlässlich des Olympia-Balls (1936) oder im Delphi-Palast (Silvester 1939).84

Jazz auf der klassischen Bühne

Die ernsthaftesten Reaktionen auf den Jazz kamen nicht aus der Tanzmusikszene, sondern aus der klassischen Ecke. Viele europäische Komponisten sahen im Jazz eine Chance, ihr angestammtes Handwerkszeug der Komposition zu erweitern, um neue Klänge und Erlebnisräume zu erschließen. In Frankreich befassten sich Komponisten wie Igor Stravinsky, Maurice Ravel und Darius Milhaud mit dem Jazz. In Deutschland waren Komponisten wie Paul Hindemith (geb. 1895) und insbesondere Ernst Krenek Vorreiter einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Jazz und seinen stilistischen Vokabeln.

Hindemiths »Suite 1922« für Soloklavier besteht aus fünf Sätzen, deren Bezeichnungen bereits den Jazzeinfluss benennen: »Marsch« / »Shimmy« / »Nachtstück« / »Boston« / »Ragtime«. Er bezieht sich vor allem auf die rhythmische Energie des Jazz, die klangliche Fremdheit, nutzt die Doppeldeutigkeit von Blue Notes, die sich durch einfache Cluster darstellen ließ, also das gleichzeitige Anschlagen von kleiner und großer Terz oder kleiner und großer Septime, und die mehrdeutige Harmonik erlaubte. Vielleicht fesselte ihn auch die einfache Form, die ihm eine Alternative zu den üblichen und komplexeren Formmodellen bot. Seine Faszination für die Spielpraxis des Jazz ist etwa seiner Spielanweisung für den Satz »Ragtime« zu entnehmen, in der Hindemith den Interpreten auffordert: »Nimm keine Rücksichten auf das, was Du in der Klavierstunde gelernt hast. Überlege nicht lange, ob Du Dis mit dem vierten oder sechsten Finger anschlagen mußt. Spiele dieses Stück sehr wild, aber stets sehr stramm im Rhythmus, wie eine Maschine. Betrachte hier das Klavier als eine interessante Art Schlagzeug und handele dementsprechend.« Im Vorfeld der Suite hatte Hindemith seinem Verleger 1920 in einem Brief angeboten, »Foxtrotts, Bostons, Rags und anderen Kitsch« zu schreiben, damit könne man doch »mehr Geschäfte machen als mit meiner besten Kammermusik«85. Und im Rückblick aus dem Jahr 1940 hält er in einem weiteren Brief an seinen Verleger die Komposition für eine Jugendsünde und rät, sie möglichst nicht neu aufzulegen.

Als Höhepunkt der Jazzrezeption in der klassischen Musikszene Deutschlands aber ist die bereits erwähnte Oper Jonny spielt auf des 1900 in Wien geborenen Komponisten Ernst Krenek zu sehen, die 1927 in Leipzig uraufgeführt und bald an fast allen Bühnen Deutschlands gespielt wurde. In der Oper geht es, kurz gesagt, um den Streit zwischen zwei Musikern, der darauf hinausläuft, dass der afro-amerikanische Jazzgeiger Jonny unbedingt auf der legendären Geige spielen will, die dem klassischen Geiger Daniello gehört. Es gibt Nebenhandlungen, die sich um Liebe und Eifersucht drehen, eine Liebesszene und einen Höhepunkt, bei dem Jonny auf der Bahnhofsuhr sitzt, die einen Globus darstellt, und auf Daniellos Instrument spielt, während der Zug abfährt. Gefragt, ob das denn wirklich sein Instrument sei, antwortet er: »Mir gehört alles, was gut ist in der Welt. Die alte Welt hat es erzeugt, sie weiß damit nichts mehr zu tun. Da kommt die neue Welt übers Meer gefahren mit Glanz, und erbt das alte Europa durch den Tanz.«


Notenausgabe von Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf, 1927

Was für eine Idee! Krenek verleiht hier der Furcht vieler Europäer eine Stimme, die sich neuen Moden, neuer Musik, neuen Tänzen, neuen sozialen und sexuellen Freiheiten ausgesetzt sahen, die die hergebrachte Ordnung umzustürzen drohten. Die Oper erhielt gleichzeitig höchstes Lob und vernichtende Kritiken. Dabei wurde sie – entgegen Kreneks eigenem Verständnis – meist als Jazzoper begriffen, also als eine Oper, deren musikalisches Material auf dem aufbaute, was damals als Jazzmusik verstanden wurde. Die jazzigste Passage ist »Leb wohl, mein Schatz«, auch bekannt als »Jonnys Blues«, das sofort ausgekoppelt und, gesungen vom Bariton Ludwig Hoffmann, auf Platte veröffentlicht wurde. Man hört die jazz-assoziierten Instrumente, Banjo, Saxophon und Schlagzeug, man hört blueshafte Phrasen, man hört eine Art gegenläufige Riffs. Auf der Rückseite der Schellackplatte ist die Schlusshymne zu hören, »Nun ist die Geige mein«, gefolgt von Reminiszenzen an »Jonnys Blues«, die immer wilder und mitreißender werden, bis eine nun von »Jonny« gespielte Geigenkantilene die Aufnahme beschließt.

Gleich nach der Uraufführung gab es überall empörte Reaktionen. Allein die Spielzeit 1927/28 sah 421 Aufführungen in 45 Städten. In München wurde die Aufführung an der Staatsoper »aus ästhetischen Gründen« wieder abgesagt, immer wieder wurden Stinkbomben geworfen. Ebenfalls in München warteten bei der Premiere in einem anderen Theater angeblich sogar einige »hundert irregeleitete Radaubrüder« vor dem Bühnenausgang, »um den verhaßten Schwarzen zu lynchen, wenn er erscheint«. Der deutschnationale und rassistische Protest richtete sich dabei zuallererst gegen eine Oper, in der »ein Neger die Hauptrolle spielt und in der die schwarze Rasse ihren Siegeszug über die Welt beginnt«86. Man ahnt die Einschätzung der Braunhemden, die das Werk als »undeutsch«, als »entartete Kunst« ansahen.

Einzelne Formulierungen aus Ernst Kreneks Jonny spielt auf finden sich übrigens fast wortgleich wieder in einem launigen Essay über »die moderne Tanzkapelle« von 1927, in dem Hermann Schreiber beginnt: »Es sprangen da über den großen Teich einige freche Jazzband-Spieler. Sie rasselten mit Kinderklappern, pfiffen auf Trillerpfeifen und gebärdeten sich, als sei die Hölle losgelassen. Gewittergleich fegten sie durch die Säle des alten Europas, und wo sie hinkamen, da flohen entsetzt die Ländler, die Française, die Quadrille und der Walzer. Es war ein Siegeszug ohnegleichen, der mit einem Schlag alles niederriß, was man bis jetzt im Gesellschaftstanz für schön und gut befand.«87

Ernst Krenek hatte Jazzelemente in seiner Oper kompositorisch anverwandelt, andere Komponisten engagierten tatsächliche Jazzbands für einzelne Szenen, etwa Kurt Weill für Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, für das er das 65-köpfige Berliner Symphonie-Orchester im Sommer 1930 um eine Jazzband erweiterte.88 Auch bei der Uraufführung der bekanntesten Zusammenarbeit zwischen Kurt Weill und Bertolt Brecht, der Dreigroschenoper, spielte eine Jazzbesetzung mit, die Lewis Ruth Band (mit bürgerlichem Namen Ludwig Rüth) unter Leitung von Theo Mackeben.89 Die Dreigroschenoper hatte am 31. August 1928 ihre Uraufführung im Theater am Schiffbauerdamm, ihr sofortiger Erfolg war sowohl auf die sozialkritischen Texte wie auch auf die Musik zurückzuführen, die sich einerseits bewusst auf die Modewelle des Jazz bezog, diese jedoch auch in sperrigen Melodien und Harmonien konterkarierte. Eine »Antisalonmusik« wurde sie später genannt; Brecht selbst sprach von »Misuk«, von einer Gegenmusik zu allem Opernhaften und Symphonischen.90 Die Weill’schen Kompositionen wurden schnell zu Gassenhauern; aus den gesellschaftlich aufrütteln wollenden und widerborstigen Nummern wurden entweder gefällige »Tanz-Potpourris« oder aber ernste Studien über aktuelle Stilformen, etwa in den Einspielungen durch Otto Klemperer und Mitglieder der Staatsoper Berlin unter dem Obertitel »Kleine Dreigroschenmusik für Blasorchester«91.

Theo Mackeben (geb. 1897) übrigens, der Dirigent der Uraufführung der Dreigroschenoper, hatte sich seit Anfang der 1920er Jahre einen Namen als Pianist und Dirigent gemacht. Ab 1927 nahm er unter eigenem Namen oder als John Morris oder Red Roberts Platten mit wechselnden Besetzungen auf, die immer wieder Jazzsolisten in den Vordergrund treten ließen. »You Were Meant for Me«, eingespielt im Jahr 1929 vom John Morris Jazz Orchester, beginnt mit dem Verse des amerikanischen Schlagers von Nacio Herb Brown und Arthur Freed, dem vier Chorusse folgen, ohne Soli oder Improvisation, nur durch leichte Besetzungsunterschiede voneinander abgehoben. Einzig eine kurze Klavierpassage sticht heraus, ansonsten ist dies Tanzmusik pur, die von nichts ablenkt, aber auch in nichts heraussticht. »Fünf von der Jazzband« aus dem März 1932 hat bereits erheblich mehr Jazzpotential. Der Titel entstammt dem gleichnamigen Film; die Soli von Klarinette, Saxophon und Posaune sind kurz, aber passabel. Im Film selbst wird der Titel recht klischiert dargeboten, die Schauspieler agieren klamaukig und machen allerlei Mätzchen, doch zugleich ist der Song sehr klar und sauber gespielt, und zwar nicht von den Darstellern, die wir sehen, sondern von der Band hinter der Kamera unter der Leitung von Theo Mackeben selbst.92 Mackeben schrieb ab 1930 immer mehr Musik für den deutschen Tonfilm, darunter Schlager wie »Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da« oder »Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami«.

Kreneks Jonny spielt auf muss im Zusammenhang mit anderen sogenannten »Zeitopern« betrachtet werden, die sich mit der Modernität der 1920er Jahre befassten und oft genug Anspielungen auf aktuelle Technologien, auf Flugzeuge, Züge, Maschinen oder eben auf den Jazz enthielten. Zugleich ist Jonny spielt auf aber auch eine Art kompositorisches Echo auf die ästhetische Diskussion in diesen Jahren, bei der danach gefragt wurde, wohin es denn gehen könne, wenn die bisherigen Kompositionsmethoden ausgereizt seien. Im Unterschied zu den Bühnenstücken von Bertolt Brecht und Kurt Weill, die immer politische Untertöne besaßen, war Kreneks Werk ein Kommentar der ästhetischen und musikalischen Krise der Zeit.

Der Tanz zum großen Crash

Am 24. Oktober 1929 kam es an der New Yorker Börse zu einem Kurssturz ungeahnten Ausmaßes. Mit diesem Schwarzen Donnerstag, dessen Folgen Europa einen Tag später, am Schwarzen Freitag, erreichten, begann die Weltwirtschaftskrise, und mit der Weltwirtschaftskrise gingen die scheinbar so sorglosen Goldenen Zwanziger Jahre zu Ende. Zwischen 1929 und 1933 verfünffachte sich die Zahl der Erwerbslosen, während das Realeinkommen um ein Drittel sank. Anfangs merkte man im Showgeschäft noch wenig von der Rezession, im Gegenteil neigten die Menschen sogar dazu, sich im Angesicht größter Sorge ablenken zu lassen. Die ersten Fabriken schlossen zwar, das hielt aber niemanden davon ab, auszugehen und zu tanzen.

Unter den Ensembles, die auch in diesen Jahren große Erfolge feierten, sind vor allem zwei erwähnenswert, die bis weit in die 1930er Jahre hinein einflussreich waren. Eines davon sind die Comedian Harmonists, ein Gesangsquintett mit Klavierbegleitung, deren Arrangements dicht und schwungvoll klingen, auch wenn die Mischung aus Barbershop-Gesang und Music-Hall-Boygroup nicht viel mit Jazz zu tun hat. Tatsächlich waren die direkten Vorbilder die amerikanischen Revelers. Ab 1928 hatten die Aufnahmen des Ensembles mit deutschen Texten große Erfolge. Die Titel waren meist fest durcharrangiert, und die Comedian Harmonists boten sie mit Virtuosität und einer gehörigen Portion Humor dar. Ihre Konzerte waren ausverkauft, ihre Aufnahmen wurden zu Gassenhauern, die noch Generationen später bekannt sind. »Veronika, der Lenz ist da« oder »Ein kleiner grüner Kaktus« stehen bis heute für die Unterhaltungsmusik jener späten Weimarer Republik. Drei der Mitglieder waren Juden, was dazu führte, dass die Nationalsozialisten 1935 die Auflösung des Ensembles erzwangen.

Die zweite Band, die die späten 1920er, frühen 1930er Jahre entscheidend prägte, sind die Weintraubs Syncopators, die der 1897 geborene Pianist Stefan Weintraub 1924 in Berlin gegründet hatte. Die Kapelle machte lokal von sich reden und wurde 1927 für die Bühnenmusik zu Frank Wedekinds Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten mit Tilla Durieux in der Hauptrolle engagiert. Hier war der Komponist Friedrich Hollaender so begeistert von der Band, dass er sie wiederum für seine eigenen Revuen buchte und dabei selbst als Pianist einsprang, während der Bandleader sich ans Schlagzeug setzte. Von nun an waren die Weintraubs, wie sie allseits nur genannt wurden, in den großen Revuen der Stadt präsent, wirkten bei großen Bällen mit und spielten in der Operette Fräulein Mama als Sextett auf 24 Instrumenten die Musik, die eigentlich für ein 20-köpfiges Ensemble geschrieben war. Ab 1927 ging die Kapelle regelmäßig ins Studio, spielte Instrumentals wie Vokalstücke ein und war 1930 gleich in vier frühen Tonfilmen zu sehen, darunter im Liebeswalzer mit Lilian Harvey und Willy Fritsch sowie in Der Blaue Engel mit Marlene Dietrich und Emil Jannings.

Ende 1930 stieß der Trompeter Adi Rosner (geb. 1910) zur Band, der hinsichtlich Intonation, melodischem Einfallsreichtum und rhythmischer Sicherheit seinen Kollegen weit voraus war. Als Louis Armstrong Rosner 1934 in einem Club in Brüssel hörte, bezeichnete er ihn als den besten Trompeter, den er in Europa gehört habe. Auch die Weintraubs Syncopators nahmen viele Schlager auf, die vor allem auf den populären Markt schielten. Statt es aber bei der Effekthascherei witziger Texte oder jazziger Klischees zu belassen, gelangen ihnen Schallplatten, die geschickt mit den verschiedenen Genres spielten: dem Schlager, der Tanzmusik, der Schnulze, dem Kabarett-Song, dem Jazz.

Wer versucht, die Qualität dieser und anderer Bands nur anhand der überlieferten Plattenaufnahmen zu beurteilen, liegt leicht falsch. Die Plattenfirmen schielten auf den großen Markt und befürworteten im Zweifel immer den Schlager vor instrumentalen Jazzarrangements. Neben ihren großen Hits ist es daher aufschlussreich, in die Jazztitel der Weintraubs hineinzuhören, die sie ebenfalls einspielten. So orientieren sich etwa »Jackass Blues« oder »Up and at ’Em« (um 1928) beide deutlich an der Klanggestalt des afro-amerikanischen Jazz der frühen 1920er Jahre. Obwohl es rhythmisch noch etwas holpert und die Musiker in ihren Soli nicht wirklich wissen, wie sie eine überzeugende Melodielinie improvisieren sollen, ist der Gesamteindruck des Ensemblespiels weit überzeugender als der vieler anderer Tanzorchester der Zeit. Und in »Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehen« stimmt alles: der Unterhaltungswert, die Komik, das Arrangement und die solistischen Beiträge.

Die Weintraubs waren laufend auf Tournee und befanden sich gerade in Kopenhagen, als sie davon unterrichtet wurden, dass ihnen, größtenteils »nicht-arischen« Musikern, die Einreise nach Deutschland verwehrt werden würde. Sie flogen von Dänemark in die Niederlande, wo Adi Rosner die Band verließ, dann ging es nach Italien, Wien, Prag, in die UdSSR, nach Ungarn, Rumänien, 1936 bis 1937 sogar nach Japan, dann nach China, bis sie schließlich in Australien landeten, wo die Band, die inzwischen etliche Umstrukturierungen durchgemacht hatte und zum Schluss mit Weintraub selbst, dem Klarinettisten Horst Graf und dem Pianisten Leo Weiss noch drei deutsche Mitglieder hatte, bei Kriegsbeginn auseinanderbrach. Rosner floh 1939 erst nach Polen, dann nach Weißrussland und hatte in den 1940er Jahren großen Erfolg in der UdSSR, wo er die Leitung des staatlichen Jazz- und Unterhaltungsorchesters übernahm. 1946 versuchte er nach Polen zurückzukommen, wurde verhaftet, konnte aber auch in Lagern in Sibirien und Magadan weiter Musik machen. Nach Stalins Tod kam Rosner frei und begann eine zweite Karriere als Musiker und Bandleader. Anfang der 1970er Jahre durfte er nach acht erfolglosen Anträgen nach Deutschland ausreisen und verstarb 1976 verarmt in Berlin.

Mit den beginnenden 1930er Jahren war der Jazz endgültig in Deutschland gelandet: nicht nur als Modeerscheinung, nicht nur als exotisches Faszinosum, sondern als eine Musik, die Musikern genauso wie dem Publikum weit mehr bedeutete, die sie emotional traf, die einen anderen Weg ging als klassische Musik und Schlagermusik der Zeit – und die bei alledem enorm viel Spaß bereitete. Deutschland litt zwar wie alle anderen Länder unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise; im Jazzleben der frühen 1930er Jahre aber sind zugleich eine Aufbruchsstimmung und eine Hoffnung zu spüren, die leider nicht lange währen sollte.

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