Kitabı oku: «Verirrungen», sayfa 4

Yazı tipi:

Zumindest wusste er jetzt, dass jemand da war, dass jemand die ganze Zeit dagewesen oder in der Nacht gekommen war und dann weggefahren ist. Obwohl immer noch kein Mensch auf der Straße war, fühlte er sich beobachtet und traute sich nicht, auszusteigen und zu pinkeln. Er öffnete die Tür gerade soweit wie nötig und pinkelte ins Freie. Der Mund war nun völlig ausgetrocknet, er hatte Hunger, aber es musste ohne Kaffee, ohne Frühstück gehen. Dummerweise hat er nicht daran gedacht, sich etwas mitzunehmen, nicht einmal eine Flasche Wasser und um diese Zeit war kein Geschäft auf. Es war Sonntag und außerdem würde er in diesem Kaff sowieso nichts finden. Er war frustriert und auf einmal hatte er von dem Warten und dem Beobachten die Nase voll, von diesem überaus lästigen und langweiligen Warten. Er war absolut kein Wartetyp. Was würde er denn noch herausfinden, wenn er weiter hier bliebe. Ja, vielleicht würde er die Frau sehen und wiedererkennen, den Mann bestimmt nicht, den hatte er ja gar nicht richtig gesehen. Dann fiel ihm ein, dass er sich den Namen auf der Haustürklingel notieren sollte, um zu prüfen, ob er mit dem auf der Liste übereinstimmte, die er von dem Detektiv erhalten hatte. Er stieg nun doch aus und ging, wie zufällig, die Straße entlang. Ein Blick auf das Schild neben der Klingel zeigte, dass der Name Joachim G. tatsächlich derselbe war. In großem Bogen ging er zurück zu seinem Auto und dann machte er sich auf den Weg nach Hause, überzeugt, dass er gefunden hatte, wonach er so dringend gesucht hatte, überzeugt, dass hier der Täter zu Hause war, auch ohne den letzten Beweis, ohne die schwarze Schöne gesehen zu haben. Drei Stunden Fahrt lagen vor ihm. Seine Frau wunderte sich, dass er so früh wieder da war, stellte aber keine Fragen.

Die erneute Annäherung

Gleich am Montag früh rief er den Detektiv an und sie verabredeten sich für den späten Vormittag. Er berichtete von seinem teilweisen Erfolg, übergab selbst angefertigte Ausdrucke der aufgenommenen Bilder, wenn auch in schlechter Qualität und gab eine umfassende Recherche in Auftrag. Er wolle möglichst viel über die Zielpersonen wissen. Der Detektiv solle ermitteln, aber ohne Verdacht und ohne die Neugier der Dorfbewohner zu erregen. Die beiden Verdächtigen dürften auf keinen Fall merken, dass sie ausgekundschaftet werden, schärfte er dem Detektiv ein, lieber weniger zusammentragen als auffallen. Der Detektiv war durch diese Belehrung etwas verschnupft, das sei doch selbstverständlich, er sei schließlich Profi. Eine Woche später trafen sie sich erneut und der Detektiv berichtete, was er in Erfahrung gebracht hat.

Der Mann, Joachim G., ist 41 Jahre alt und stammt aus Franken, daher der Akzent. Er ist in dem Dorf aufgewachsen, in dem er wohnt. Nach der Schule hatte er eine Banklehre begonnen, sie aber ohne Abschluss abgebrochen. Kurz danach wurde er zur Bundeswehr eingezogen und verpflichtete sich für vier Jahre. In dieser Zeit kam er auch im Ausland in Einsatz, angeblich auf dem Balkan und in Afrika, Einzelheiten hierzu waren nicht in Erfahrung zu bringen. Nach dem Bund übte G. diverse Tätigkeiten aus, nichts Festes, nichts Längeres, nichts, was ihm eine solide ökonomische Basis verschafft hätte. Auch hier waren die Erkenntnisse lückenhaft. Er habe sich angeblich mit Gelegenheitsjobs und Zeitverträgen durchgeschlagen, unter anderem als Animateur oder Manager in einem Ferienklub in Afrika, in dem sich sonnenhungrige Mitteleuropäer, vornehmlich alleinstehende Männer, mit allem auftanken, was exotisch ist und was ihr Leben bereichert. Ein Club, der Relax pur anbietet. Er wisse doch, was das sei. Der Detektiv schaute ihn fragend an. So hätte sich eine Nachbarin ausgedrückt, die über die Umstände im Leben ihres Nachbarn ziemlich genau Bescheid wusste. Sie habe aber gleich eingeschränkt, dass G. über diese Zeit nie viel erzählen würde, irgend etwas Unangenehmes muss dort passiert sein, mutmaßte sie. Während er in Afrika war, sind seine Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und deshalb sei er wieder zurückgekommen und lebe seitdem in dem geerbten Elternhaus. Für einige Aufregung im Dorf hatte die Tatsache gesorgt, dass G. eine Frau mitgebracht hatte, eine dunkelhäutige Schönheit, die natürlich das allgemeine Interesse erregte und Anlass für Fragen, Gerüchte und allerlei Spekulationen bot. Seit er wieder da ist, sei es sicher, dass G. freiberuflich tätig und in diesem Zusammenhang auch viel unterwegs sei. Er verdiene sein Geld mit Internethandel und nutzte das Haus und die Garage als Lager für Waren aller Art, vornehmlich technische Geräte und Gegenstände, die er sich von Werthöfen, bei Haushaltsauflösungen und Zwangsversteigerungen oder auf Flohmärkten besorge. Er reinige sie, repariere sie wenn nötig, hübsche sie perfekt auf, verpacke sie fachgerecht und sorgfältig und verschicke sie dann per Paketdienst an seine Kunden. Freischaffender Händler, das würde er sagen, wenn man ihn nach seiner Arbeit frage und das sei es auch, was er bei der Steuer angebe, so die wissende Nachbarin, aber vermutlich befasse er sich auch mit illegalen Dingen, ganz bestimmt mit Hehlerwaren, möglicherweise auch mit Geldwäsche und mit Drogen. Man wisse nichts Genaues, aber man würde da so einiges munkeln. Ein anderer Nachbar war sich sicher, dass er „einen Fuß in der Internetkriminalität habe“, doch um diese zwielichtigen Geschäfte genauer zu recherchieren, hätte sich der Detektiv weiter hinauslehnen müssen und das sollte er ja nicht tun. Aktenkundig straffällig sei G. jedenfalls nie geworden, wenn es auch auf manchen Portalen Beschwerden über die Qualität der gelieferten Waren gab. Das könne er leicht selbst nachlesen, sagte der Detektiv und schrieb ihm die entsprechenden Links auf ein Blatt Papier. Jedenfalls war er bei seinen Aktivitäten, auch bei denen die nicht koscher waren, nie erwischt und angezeigt worden.

Nun zu der Frau, fuhr der Detektiv fort, einer gewissen Myra, geborene V., jetzt verheiratete G. Sie ist Mitte zwanzig und stammt aus Westafrika, aus dem Land, in dem G. sich einige Zeit aufgehalten hatte. Dort, in Afrika, hatten sie auch geheiratet. Sie seien rechtmäßig verheiratet, betonte der Detektiv, ob es aber eine Scheinehe sei, mit dem Ziel, die Frau nach Deutschland zu bringen, sei für die Nachbarn nicht so ganz klar. Jedenfalls lebt diese Myra mit ihm zusammen, hat als Ehefrau eine Aufenthaltserlaubnis und einen deutschen Pass. Der Detektiv hielt kurz inne und verbessert sich, das könne so nicht ganz stimmen, sie könne allenfalls einen Reiseausweis für Ausländer haben, einen sogenannten e-Reiseausweis, denn einen richtigen Pass könne sie erst nach der Einbürgerung erhalten und das sei frühestens nach acht Jahren möglich. Um im Land bleiben zu können, genüge ein sogenannter e-Aufenthaltstitel und um den zu behalten, müsse sie mindestens drei Jahre verheiratet sein und mit dem Ehepartner zusammenwohnen. Er habe sich extra im Internet schlau gemacht, so der Detektiv, weil er sich mit diesen Formalien auch nicht auskenne. Was diese Myra G. betreffe, fuhr er fort, müsse sie darauf achten, dieses Zusammenleben glaubhaft nachzuweisen, denn sonst gelte die Beziehung in der Tat als Scheinehe und dann könnte sie ausgewiesen und er bestraft werden. Diese Zeit müssen sie also unbedingt durchhalten, erklärte der Detektiv, erst dann sei auch eine Scheidung wieder problemlos möglich. Es gäbe noch eine pikante Besonderheit, wenn ihr Ehemann in dieser Zeit stürbe, dürfe sie auch im Land bleiben und auch, wenn er ins Gefängnis käme. Soweit sei alles klar, aber irgendwie problematisch sei diese Ehe doch, denn es ist anscheinend ein offenes Geheimnis, dass Myra anschaffen geht. G. habe wohl erst versucht, seine Frau in dem Wohnmobil „an den Mann zu bringen“, jemand aus dem Dorf hatte den Bus auf einem dafür spezialisierten Parkplatz gesehen und Myra zweifelsfrei erkannt, aber das habe wohl nicht geklappt. Jetzt habe Myra im Rotlichtviertel der nah gelegenen Großstadt ein Zimmer in der Fensterstraße, er wisse doch, was das sei, und würde ihre Dienste unter dem Künstlernamen Spyder anbieten. Aber nachdem Prostitution in diesem Land ein legaler Beruf sei, der Detektiv seufzte vielsagend, könne man ihr das nicht verwehren und es hätte auch keinen Einfluss auf ihre Aufenthaltsgenehmigung. Im Übrigen wurde Myra von denen, mit denen er gesprochen hatte, als freundlich und hilfsbereit und sehr intelligent geschildert, aber da sie kaum Deutsch spricht und exotisch aussieht, besser gesagt, zu gut aussieht und von ihrem Aussehen lebt, habe sie Probleme in dem konservativen Dorf, in dem es einige Neider gäbe, wie er herausgehört habe. Vor allem seien viele Frauen skeptisch, weil sie wohl um die Treue ihrer Ehemänner fürchten, wenn sie dieser Myra nachts auf der Dorfstraße begegneten.

Aber noch einmal zurück zu G., der im Dorf allgemein Fat Joe genannt würde. Auch er komme bei den Nachbarn ganz gut weg. Das sei kein Wunder, denn er stamme aus einer alteingesessenen Familie, habe reichlich Verwandtschaft hier und zahlreiche Freunde seit seiner frühesten Jugend. In seiner vertrauten Umgebung habe er sich auch nie etwas zuschulden kommen lassen, keine Betrügereien, keine Schlägereien oder Ähnliches, Dinge, die in seinem Leben jedoch durchaus eine Rolle gespielt hätten, wie ein anderer Nachbar ihm hinter vorgehaltener Hand gesagt hatte. Im Gegenteil, er gilt als hilfsbereit und guter Typ, der für manch einen Tipp gut sei, wenn man auf der Suche nach einem Schnäppchen sei. Ein etwas mürrischer Brummbär, so die allwissende Nachbarin, dem man allenfalls krummgenommen habe, dass er diese schwarze Nutte mitgebracht hatte. Die gehöre einfach hier nicht her und heiraten könne man eine solche schon gar nicht, heiraten und anschließend auf den Strich schicken, das gehe zweimal nicht. Das komme nur daher, dass ihn die Bundeswehr versaut habe und die Fremdenlegion, in der er angeblich auch gedient habe, was aber nachweislich nicht stimmen würde, so der Detektiv. Auch dass er seinen Lebensunterhalt mit diesen dubiosen Internetgeschäften verdiene, diesem Second-hand-Handel, der doch nichts Rechtes sei und dass er seine solide Ausbildung nicht abgeschlossen habe, hatte ihm diese Nachbarin krummgenommen und war sich damit wohl mit vielen anderen einig. Aber davon abgesehen, war er auch in ihren Augen ein guter Nachbar, wenn auch ein wenig verschroben und zu cholerischen Ausbrüchen neigend. Die Meinungen schwanken, so resümierte der Detektiv, zwischen taffem Typ und armer Sau. Materiell sei es ihm jedenfalls nie gut gegangen und auch die Ehe muss wohl alles andere als harmonisch sein. Man höre gelegentlich lautes Geschrei, so wieder die Nachbarin, und danach verschwände die Myra für ein paar Tage, aber sie komme immer wieder zurück. Wo solle sie auch hin? Sie habe ja niemanden, und wenn sie sich scheiden lasse, müsse sie ja das Land verlassen und zurück in ihren Kral. Diese Frau will auch beobachtet haben, dass gelegentlich Kontrollen „vom Amt“ kämen, um zu überprüfen, ob das mit der Ehe auch tatsächlich stimme. Man höre ja da so viel über Scheinehen und diesen Asylanten müsse man ja alles zutrauen. Aber so verliebt, wie der Fat Joe dann wieder mit ihr täte, hätte sie, die Nachbarin, in der Hinsicht keine Bedenken, mit dem regelmäßigen Vollzug der Ehe, wie sie kichernd bemerkte. Die Myra, so die Frau weiter, sei im Grunde genommen eine genauso arme Sau wie ihr Mann, mit dem Unterschied, dass sie schwarz sei und dass sie als Asylantin jederzeit abgeschoben werden könne. Zum Schluss habe diese besonders auskunftswillige Nachbarin nicht ganz ohne Neid noch gesagt, dass sie schon verdammt gut aussehen täte, diese Myra, und dass sie die Männer anlocken würde, wie ein Fliegenfänger und bestätigte damit die latente Angst der Dorffrauen vor dieser exotischen Konkurrenz.

Wie er das alles herausbekommen habe, so viel und so detailliert, fragte er den Detektiv. Der zuckte mit den Achseln. Das sei sein Beruf und die Leute seien sehr mitteilsam, und wenn man sie geschickt in ein Gespräch verwickele, könne man fast alles erfahren, nicht nur das, was sie wissen, sondern auch das, was sie nur vermuten, aber auch das sei oft wichtig und richtig. Dann wollte er wissen, ob er Fotos gemacht habe, von dem Mann und der Frau. Der Detektiv schaute ihn etwas verlegen an. Zu seiner Schande müsse er gestehen, dass die Bilder, die er gemacht habe, es seien ziemlich viele und auch ziemlich gute gewesen, nichts geworden seien. Zu Hause habe er festgestellt, dass seine Speicherkarte defekt war. Somit seien alle Bilder verloren, unrettbar, wie er betonte. Wenn der Kunde es wolle, würde er noch einmal hinfahren und Bilder machen, aber das müsse er leider extra berechnen. Wenn es ohne Bilder gehe, würde er ihm einen Nachlass auf den vereinbaren Preis gewähren. Sie einigten sich auf letztere Version und er gab dem Detektiv das Honorar in bar, trotz des Nachlasses eine hübsche Summe, und nahm dafür die schriftliche Fassung des Berichts entgegen. Er war zufrieden, auch ohne Bilder und auch der Detektiv war zufrieden und bot ihm an, ihm jedezeit wieder behilflich zu sein, zu Sonderkonditionen, die er nur Stammkunden gewähre.

Jetzt hat er die Informationen, die er braucht und nach ein paar Tagen intensiven Nachdenkens, eröffnet er zunächst seiner Frau, dass er wieder für ein paar Tage verreisen müsse, selbstverständlich wieder beruflich und leider wohl auch wieder am Wochenende. Er würde zwar am Freitag fahren, müsse aber, wenn es nicht anders ginge, bis Sonntag bleiben. Dann erläutert er ihr wortreich, dass die Aussichten auf eine Erweiterung des Geschäftsbereichs ganz gut seien. Als Immobilienmakler ist er zwar oft unterwegs, aber immer in der hiesigen Gegend und höchstens nur einen Tag. Sofort keimt in ihr der Verdacht von wegen der Rivalin erneut auf.

„Wo wollt ihr euch den diesmal durchvögeln? Erzähl mir bloß nicht, dass es geschäftlich ist. Erst diese Fahrten an den Wochenenden und jetzt machst du wohl Jahresurlaub zusammen mit so`ner Schlampe. Domrep oder Türkei, du falscher Fuffziger. Aber warte, ich krieg das noch raus und dann.…"

Sie sagt nicht, was dann passiert. Er kann sich aber ausmalen, was geschehen würde, wenn sie es tatsächlich ernst meinte und ihn verließe. Das wäre eine Katastrophe, der GAU, der Super-GAU. Ohne ihr Kapital, ohne die Wohnung, die ihr gehörte, wie sollte da sein Leben weitergehen, wie sollte alles funktionieren? Er beruhigt sie, besänftigt sie, verspricht ihr ein teures Kleid, „das, was du schon immer wolltest, das blaue“ und erklärt ihr zum wiederholten Mal, dass es nur darum gehe, auszukundschaften, ob er sein Geschäft ausdehnen solle und dazu müsse es sich unbedingt selbst ein Bild von der Immobilienlage in den Regionen verschaffen, die in Frage kämen. Er habe schon immer mit dem Gedanken an Ausweitung gespielt, habe aber noch nie etwas gesagt, weil er keinen Überblick hatte, denn dann käme mehr Geld rein und davon würden sie alle beide schlussendlich profitieren. Es sei rein geschäftlich, versichert er ein um das andere Mal nachdrücklich, in den Augen seiner Frau ein um das andere Mal zu oft und zu nachdrücklich, und er würde allein fahren, ganz allein. „Ich schwöre es“, so seine kaum noch zu überbietende Bestärkung und sie solle ja nicht glauben, dass solche Reisen angenehm seien, immer in diesen miesen Hotels übernachten, immer das karge Frühstück, immer allein, immer unterwegs, die Bequemlichkeit eines festen Zuhauses sei doch, bei Gott, Gold wert. Sie schnaubt nur verächtlich und lacht bei dem „immer allein“ höhnisch auf und fragt spitz, was für Nachforschungen er denn an den Wochenenden machen würde. An Wochenenden sei doch auf dem Immobiliensektor nichts los, soviel habe sie doch auch schon mitbekommen. Immer an den Wochenenden, nölt sie noch herum, das sei doch ganz klar, dass es da um andere Geschäfte gehe und überhaupt, dass da eine andere dahinter stecke, das könne er ihr nicht ausreden.

Er fährt am nächsten Freitag in die besagte Großstadt und nimmt sich ein Zimmer in einem mittelprächtigen Hotel. Das Frühstück ist, wie er es seiner Frau gesagt hatte, in der Tat sehr bescheiden, aber das Haus liegt zentral in der Innenstadt, nicht weit weg vom Rotlichtviertel. Den Tag verbringt er sogar damit, die Immobilienangebote und die Preise zu studieren und er schaut sich auch das eine und andere Objekt von außen an, quasi eine Alibifunktion seiner Frau gegenüber. Am späten Nachmittag geht er in eine der Bars am Rande des Viertels und erkundigt er sich nach einer gewissen Spyder, einer hübschen, rasanten Schwarzen. Er habe von ihr gehört, ein Freund sei sehr angetan gewesen, aber der wisse nicht mehr, wo diese Traumfrau arbeitet, er war wohl zu besoffen. Man verweist ihn an eine Agentur, die Zimmer vermittelt, spezielle Zimmer mit großen Fenstern. Er geht hin und gibt sich als Geschäftsmann aus, der in einer anderen, weit entfernten Großstadt, ein ähnliches Gewerbe betreibe und der zufällig hier sei und Kontakt zu Frauen suche, die sich vielleicht verändern möchten. Dezent bringt er den Namen Spyder ins Spiel, von der er gehört habe. Der Zimmervermittler gibt großzügig Auskunft, gute geschäftliche Beziehungen können in der Branche ja nicht schaden. Ja, eine Spyder würde er kennen, sie käme einigermaßen regelmäßig und sei dort und dort zu finden. Aber, so der künstlich gebräunte Mann mit Halskettchen, weg wolle die bestimmt nicht, sie sei ja mehr so eine Feierabendnutte und habe bestimmt Familie in der Gegend.

Er bedankt sich, geht zurück in sein Hotel und wartet, bis es dunkel ist. Dann schlendert er durch das besagte Viertel und die Fenstergasse. Unterwegs hatte er sich auf einer Toilette ein wenig verändert, Perücke, Bart, Brille, alles ziemlich primitiv und dilettantisch, aber es ist ja dunkel und es muss auch nicht lange halten. Wichtig ist nur, dass ihn diese Spyder nicht auf Anhieb erkennt und sofort den Kontakt abbricht. Er muss nicht lange schlendern und auch nicht lange suchen. Es gibt nur wenige dunkelhäutige Damen und hinter einem der Fenster sitzt sie, unverkennbar die Frau, die ihn in den Bus gelockt und so schmählich hereingelegt hatte. Selbst im Sitzen ist sie groß und schlank und ihr Busen steckt wieder in einem Push-BH, doch diesmal nicht unter einem schwarzen T-Shirt, sondern frei sichtbar, feinste Schokoladehügel in pink-rosa Körbchen mit schwarzen Punkten. Er stellt sich in einiger Entfernung in eine schattige Ecke und beobachtet. Spyder wirkt entspannt, lehnt sich nicht aus dem Fenster, ruft den Männern nicht nach. Sie gibt sich fast desinteressiert, wartet, bis sie angesprochen wird. Sie weiß wohl, wie sie auf Männer wirkt, dass sie Männer anzieht. Es herrscht reger Verkehr auf der Gasse und es kommen auch einige Kunden an Spyders Fenster, aber niemand geht hinein. Um nicht als Spanner unangenehm aufzufallen, geht er, nachdem er sich seiner Sache sicher ist, in eine nahe Kneipe und bestellt ein Bier. Er will nachdenken und auch prüfen, ob seine amateurhafte Verkleidung noch sitzt und nicht zu auffällig ist. Niemand stört sich daran, niemand spricht ihn an. Viel Grund zum Nachdenken hat er auch nicht. Er hatte sich in den vergangenen Wochen immer und immer wieder die Situation vorgestellt, wie er vor dieser Frau steht und was er sagen und tun wird. Sein Wunsch nach Rache hatte gewaltige Kapriolen geschlagen, aber, da er sich selbst nicht gefährden will und schon gar nicht in diesem Milieu Krach mit irgend welchen Ordnungshütern bekommen will, hatte er beschlossen, sich der Frau als Kunde zu nähern, ihr aber dann die Wahrheit zu sagen, um auf diese Weise an ihren Mann, den Drahtzieher, die treibende Kraft, heranzukommen und sich den dann vorzuknöpfen.

Er war dann doch ziemlich lange in der Kneipe geblieben und hatte einige Bier getrunken, um seine Nervosität einzudämmen und so ist es schon bald Mitternacht, als er in die Gasse zurückkehrt. Der „Verkehr“ hat nachgelassen, einige Frauen, an denen er vorbei gehen muss, versuchen ihn anzulocken. Aber dieses Mal schlendert er nicht, sondern geht zielstrebig direkt zu Spyders Fenster und bleibt dicht davor stehen. Die Frau schaut scheinbar sehr interessiert auf ihr Handy und hebt nur langsam den Kopf, als sie ihn bemerkt. Er schaut sie nicht direkt an. Vielleicht erkennt sie ihn trotz der Verkleidung und lässt ihn erst gar nicht rein. Aber nein, als sie das Handy weglegt und das Fenster öffnet, ist sie ganz die etwas gelangweilte Nutte, die einen mittelprächtigen Freier bedienen muss. Das ist offensichtlich kein Spaß für sie, bringt aber Geld. Schönheit allein reicht nicht zum Überleben. Er gibt sich etwas zögerlich, täuscht Schüchternheit vor, schaut bewusst an ihr vorbei und erkundigt sich leise und heiser, wie viel sie denn wolle und was sie so zu bieten habe und lässt durchblicken, dass er auch für eine halbe Stunde, vielleicht sogar für eine Stunde bezahlen würde, wenn sie es gut machen würde. Nun ist sie doch interessiert, eine Stunde ist schon etwas, wofür es sich lohnt, nett zu sein. Sie erklärt kurz, in einer Mischung aus Deutsch und Englisch und wieder mit dieser rauchigen, sexy Stimme, was er zu erwarten habe, was es koste, dass er ganz bestimmt nicht enttäuscht sein würde, dass sie es gut machen würde, und endet mit einem:

„Come on Schatzi. Hereinspaziert. It will be nice. Let's go.“

Ja, es ist dieselbe erregende Stimme, dieselbe unmiss-verständliche Aufforderung, dasselbe Versprechen, wie hinter dem Bahnhof. Er nickt, geht zur Tür. Sie betätigt den Öffner, erwartet ihn im Flur. Wieder umgibt sie ein intensiver Duft, wieder ein reichlich billiges Parfüm, aber diesmal ohne die ausgeprägte Schweißkomponente. Nur mit seinem inneren Auge sieht er noch einmal die vielen Schweißperlen auf ihrer Stirn. Mit seinen richtigen Augen sieht er die beiden Narben, die Zeichen ihrer etwas unvollkommene Schönheit. Und diese erregende Unvoll-kommenheit fasziniert ihn wieder, genauso wie diese Stimme, die sich in sein Gehirn eingeprägt hat. Sie gibt ihm flüchtig die Hand, sieht ihn kaum an, steigt sofort die Treppe hoch in den ersten Stock, in ihr Arbeitszimmer, ihr Studio, den Beischlafraum. Beim Hochsteigen wackelt ihr perfekt geformter Hintern dicht vor seinen Augen. Das rosa Bikiniunterteil mit den schwarzen Punkten verbirgt hinten so gut wie gar nichts. Die braune Haut, die unter den Haaren beginnt und an den goldfarbenen High-heels endet, ist nur von zwei schmalen, horizontalen Stoffstreifen unterbrochen und von einem dunklen Korsett zwischen diesen Streifen. Fast widerwillig merkt er beim Hochsteigen, dass er schon wieder beginnt, sich zu erregen, dass diese Frau schon wieder dabei ist, ihre Macht auf ihn auszuüben.

Der Arbeitsraum ist eine in Rot getauchte Grotte. An den Wänden dunkelrote Tapeten, auf dem Bett, das auf einem schwarzen Podest steht und fast den ganzen Raum einnimmt, eine ebenfalls dunkelrote Decke. An der Wand mit dem Bett ein Spiegel, genau so lang wie das Bett und ab der Bettkannte etwa einen Meter hoch. Darüber ein großes Plakat mit Strichmännchen und Strichweibchen, Figuren, wie sie die den Weg zu Toiletten und Notausgängen weisen, aber hier in allen möglichen Posen der Kopulation. Wenn der Blick noch höher wandert, über das Plakat hinaus, bis zur Decke, sieht man den zweiten Spiegel, der, genauso groß, dort oben angebracht ist. Auf dem Nachttischchen steht ein kleiner Fernseher, ein altmodisches Röhrengerät. Es läuft ein Musikvideo, der Ton ist leise, die Bildqualität schlecht. Neben dem Fernseher eine kleine Schale voller Kondome in roten Plastikhüllen. Spyder hat ihn immer noch nicht angesehen, denn kaum hat sie das Zimmer betreten, geht sie an das einzige Fenster, öffnet es, bleibt eine Weile sehen und lässt dann die Jalousie herunter. Das ist der Moment für ihn, und noch während sie mit dem Fenster beschäftigt ist, bevor sie sich ihm zuwendet, sie ihn wieder auffordern kann, die Kleider auszuziehen, sagt er mit normaler, unverstellter Stimme:

„Hello Spyder. How are you?“

Sie dreht sich abrupt um und starrt ihn ratlos an. Er sieht die Narben auf ihrer Stirn leicht hervortreten, schaut ihr direkt, in die nachtschwarzen Augen, in denen er die Irritation erkennt. Nun nimmt er erst die Brille ab, dann die Perücke, zuletzt reißt er sich den Schnurrbart von der Oberlippe. Wenn schwarze Haut erbleichen kann, dann jetzt. Spyder ist fassungslos, aber sie fängt sich schnell und sagt mit ihrer rauchigen Stimme, die einen Tick heiserer geworden ist:

„You? What are you going to do here?“

„Ich komme, um meine Schuld zu bezahlen. Verstehst du? I will pay for the last time. Kapierst du? Letztes Mal ging alles so schnell. Last time so quickly. Viel zu schnell. Ich schulde dir noch Geld. I must give you money. Kapiert?.“

Sie schaut ihn noch ungläubiger an. Die Augen kreisrund, der Mund leicht geöffnet. Jetzt sieht er wieder ganz deutlich die Zahnlücke in der Mitte der Reihe der oberen Schneidezähne, das zweite Zeichen der Unperfektheit.

„I do not understand. What are you going to do? Police? Du willst Polizei. Mich ins Gefängnis. Willst du?“

Er spürt, dass ihre Unsicherheit in Angst übergegangen ist, aber dass sie zugleich erleichtert wirkt. Auch er fühlt sich wohler, nachdem er seine Identität preisgegeben hat. Er setzt sich auf das Bett. Sie bleibt stehen. Beide schweigen, schauen sich nur skeptisch an. Und in diesen wenigen Sekunden beginnt eine Verwandlung, eine Annäherung, wie bei Marionetten, die von unsichtbaren Fäden dirigiert, sich aufeinander zu bewegen. Bei ihm fängt die Wut auf diese Frau, die er all die Wochen gehegt und gepflegt hatte, an zu verrauchen, zu verebben, dahinzuschwinden. Seine Rachegelüste werden von anderen Gefühlen verdrängt. Von Gefühlen, die schon beim ersten Mal aufgekommen waren, als sie sich hinter dem Bahnhof begegneten, als sie ihn anmachte und er ihr kopflos in der Gluthitze zu diesem verdammten Parkplatz folgte. Auch jetzt spürt er wieder dieselbe Sehnsucht und Geilheit, dieselbe drängende Lust, die ihn damals angetrieben hatte. Schon als er sie im Fenster sah, hatte es angefangen, und als er ihr auf der schmalen Treppe nachstieg, den wackelnden Hintern dicht vor der Nase, waren diese Gefühle immer stärker aufgewallt. Und jetzt, als sie immer noch am Fenster verharrt, sieht er nur noch eine attraktive Frau, die ihn ängstlich anschaut, anscheinend bereit, um Verzeihung zu bitten und wieder gut zu machen, was sie ihm angetan hat.

Sein drastischer Stimmungsumschwung wird auch von ihrem Verhalten bestimmt, das sich in der kurzen Zeit ihres Zusammenseins deutlich verändert hat. Eben noch eine professionelle Liebesanbieterin, die einen Kunden mit routinierter Gelassenheit empfing, einen unter vielen, den sie genau so bedienen würde, wie alle anderen, den sie zufriedenstellen würde, damit er wieder kommt, ihr Erfolgsrezept, dann auf einmal maßloses Erstaunen, als sie erkennt, wer da in ihr Studio gekommen ist. Erstaunen, das sich rasch in Verunsicherung und Angst verwandelt, weil sie nicht weiß, was dieser Mensch, dieser Schatten aus der Vergangenheit, von ihr will. Aber auch die Verunsicherung ist rasch verflogen, den instinktiv erkennt sie, dass sie erneut Macht über diesen Mann gewinnen kann, wie schon einmal, dass er schon wieder drauf und dran ist, ihrem Charme, ihrer Weiblichkeit zu unterliegen. Sie weiß, dass es nur an ihr liegt, dass sie nur ihre Talente, ihre Verführungskünste einsetzen muss, um ihn umzustimmen. Rasch spielt sie in Gedanken die wenigen Möglichkeiten durch, die sie hat, um diese gefährliche Situation glimpflich zu überstehen. Soll sie sich dumm stellen? Das Ganze als läppischen Ausreißer darstellen? Ignorieren kann sie weder den Mann noch das Geschehen in dem Campingbus. Sie kann nicht mehr alles ableugnen, nachdem ihr das Erkennen so herausgerutscht ist. Oder soll sie alle Schuld auf ihren Mann schieben, der sie verleitet und missbraucht hat? Ja, das ist wohl der beste Weg. Schuld von sich weisen und mit großem Einsatz die Verführte und zugleich die Verführerin mimen. Nach einer kurzen Phase des sich gegenseitigen Anstarrens hat sie sich durchgerungen, aber dann merkt sie auf einmal, wie ihre Beine weich werden. Die unerwartete Begegnung, die Heimsuchung, das Auftauchen dieses Mannes ist ein Schock, selbst für eine abgebrühte Frau wie Myra, die nur noch wenig erschüttern kann. Sie muss sich setzen, durchatmen und dann diesen Mann umstimmen, umpolen, instrumentalisieren. Sie geht langsam, zögerlich zu dem großen Bett und setzt sich neben ihn.

Dem Mann auf dem Bettrand kommt es auf einmal vor, als säße er wieder in dem stickigen Wohnwagen und seltsamerweise wünscht er sich, dass sie wieder seine Schenkel streicheln möge und dass sie ohne viel Worte, ohne die ganze Aufarbeitung der unerfreulichen Vergangenheit, anfangen möge, ihn zu liebkosen, sein Glied zu malträtieren, das sich regt und mächtig zuckt. Die simplen, aber mächtigen biologischen Bedürfnisse haben alle Vernunft, alle Vorsicht, alle Lehren aus der Vergangenheit verdrängt und wollen befriedigt werden. Doch die Frau hält Distanz, fasst ihn nicht an, rückt nicht näher. Sie merkt natürlich, wie dieser Mann nach ihr giert, spürt sein Verlangen, weiß, dass sie für den Augenblick leichtes Spiel hätte. Aber sie will mehr, will sich ihrer Sache sicher sein, will, dass er seine Rache an ihr nicht weiter verfolgt, dass er nicht die Polizei einschalten wird. Deswegen will sie ihm keine rasche Befriedigung verschaffen, will erst sein Vertrauen gewinnen, um mit ihm auf einer emotionalen Ebene in Kontakt zu kommen. Erst müsse er zuhören und ihre Version des Geschehens akzeptieren, erst dann könnte er den Sex bekommen, den er zweifellos suchte, erst dann könnte die körperliche Vereinigung beginnt. Das alles sagt sie ihm nicht, sie sagt nur, dass sie erst miteinander reden müssten, dass er ihre Version des Geschehens kennen müsse. Und dann müsse sie noch wissen, wie es ihm ergangen sei, wie er aus der misslichen Lage heraus gefunden habe, was er danach gemacht habe und wie er sie aufspüren konnte. Und sie wolle wissen, was er denkt und was er vorhat. Wenn sie nicht als erstes reden würden, würde sie umkommen vor Neugier, erst dann könnte sie sich auf ihn konzentrieren und er könne von ihr alles bekommen, was sie geben könne. Ganz bestimmt, er könne sich darauf verlassen.

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