Kitabı oku: «Die neun», sayfa 3
„Spürst du es?“
Miguel lacht leise. Er klingt ebenfalls etwas angespannt. „Ja. Sie freuen sich wie Kinder auf ein Geschenk, von dem sie nicht wissen, ob sie es lieben oder fürchten sollen.“
„Sie glauben es zu lieben, aber sie werden es noch früh genug fürchten. Sie haben immer noch nicht verstanden, worum es hier wirklich geht.“
„Vielleicht ist es besser so. Du erwartest von den Menschen oft zu viel, mein Freund.“
Qori schickt ihm einen amüsierten Blick. „So? Tue ich das? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“
„Sie sind alle Kinder des Göttlichen.“
„Wir sind sein Ebenbild. Wir sind das Göttliche“, hält Qori dagegen.
„Und du bist der Göttlichste von uns“, meint Miguel lachend.
Qoris Stirn schlägt tiefe Falten. „Hör auf damit. Jeder trägt die Möglichkeit dazu in sich.“
„Richtig. Aber nur wenige Menschen wissen das und können das Wissen auch nutzen. Lass ihnen die Verschiedenartigkeit, Qori. Den freien Willen. Auch vom Göttlichen gegeben. Er erst macht das Menschsein aus.“
Qori seufzt tief, dann blickt er Miguel nachdenklich an. „Und was ist mir dir, mein Lieber?
Was macht dir Kummer?“
„Der Zeitpunkt.“ Miguel seufzt ebenfalls. „Schau dir diese Maschine an. Sie erinnert mich an eine alte Fernsehserie, die vor etwa dreißig Jahren lief. Dort schickte man immer dieselbe Gruppe durch eine ähnliche Maschine in fremde Welten. Wir brauchen zwei dieser mächtigen Ringe, um auch die Zeit besiegen zu können. Sie wussten es damals noch nicht, aber ihre Vorstellung von der Zukunft hatte etwas Prophetisches.“
„Vieles von damals hat sich inzwischen erfüllt.“ Qori zeigt auf die ovalen Metallringe von etwa drei Metern Höhe. „Sie stehen sich gegenüber wie Freund und Feind. Der eine beeinflusst den anderen Ring positiv und negativ. Beides gleichzeitig. Und alles, was ihnen
dabei in die Quere kommt, verliert seinen Bestand, weil Positiv und Negativ nicht gleichzeitig an einem Ort zur selben Zeit existieren können.“
Titel - 1
Titel
„So funktioniert sie, ja“, stimmt Miguel zu. „Einfach ausgedrückt.“
„Verändert man jetzt das Feld, kann man die aufgelösten Moleküle in jede gewünschte Zeit schicken. Vergangenheit, Zukunft ... wohin man will.“
„Wer wird gehen?“ Miguel lehnt sich gegen die Scheibe und mustert seinen Freund. „Wer ist der erste Mensch, der das Portal durchschreitet?“
„Willst du es sein?“
Miguel lacht. „Liebend gern würde ich alles selbst erleben, was ich nur aus den Überlieferungen kenne! Aber jeder Ausflug in die Vergangenheit verändert die Zukunft. Das Risiko ist einfach viel zu groß, nur um persönliche Neugier zu befriedigen.“
„Ich weiß nicht, wen sie schicken werden.“
„Pria will gehen“, meint Miguel, ohne Qori aus den Augen zu lassen.
„Pria?“ Qoris Miene versteinert sich. „Nein.“
„Lass sie gehen, mein Freund. Sie hat das Göttliche auf ihrer Seite. Sie ist stark, sie wird es schaffen.“
Qoris Blick reicht bis auf den Grund von Miguels Seele. Dieser lässt ihn gewähren. Doch dann schüttelt Qori nur den Kopf, wendet sich ab und verlässt wortlos den Beobachtungsraum.
Miguel seufzt und blickt auf die Zeitmaschine.
Tage vergehen. Bald ist der Zeitpunkt gekommen, die Eizelle reif genug, um in eine lebende Gebärmutter gepflanzt zu werden. Sie alle fiebern diesem Ereignis mit den unterschiedlichsten Gefühlen entgegen.
Schräg vor ihnen steht der große Monitor. Das Zeitfenster, in dem sie die Vergangenheit beobachten können. Von hier aus können sie auch Kontakt mit den Reisenden halten, so hoffen sie.
Der Bildschirm zeigt eine Weltkarte. Miguel weist auf einen Punkt im Nahen Osten. „Hier ist nach meinen neuesten Erkenntnissen - und den Berechnungen unseres lieben Professors - der ideale Ausgangspunkt für das Experiment.“
Pria reibt sich nachdenklich die Nase. „Warum so abgelegen? Dort gibt es mehr Sand als Bewohner, kaum Zivilisation – sofern man das von dieser Zeit behaupten kann. Die Sterblichkeitsrate ist vermutlich immens hoch – wir haben keine Zeit mehr für einen weiteren Versuch.“
„Der Ort gefällt mir.“ Qori drückt mit den Fingern auf den Touchscreen und vergrößert den Ausschnitt. Seine Hand wandert suchend über den Bildschirm, um an einer bestimmten Stelle Halt zu finden. „Hier. Genau hier findet ihr die Frau, die ihr sucht.“
Pria schaut ihn fragend an. „Woher nimmst du diese Sicherheit?“ Qori lächelt sanft. „Ich kann sie spüren.“
„Durch die Zeit hindurch?“ Professor Zulgor sucht Qoris Blick. „Du erstaunst mich immer wieder, Qori.“
„Aber sie muss im passenden Zyklus sein, damit ich - ich meine, damit wir den Embryo verpflanzen können.“ Prias Blick flüchtet sich in ihre Handakte.
„Sie ist es“, erwidert Qori. „Und zwar genau an diesem Tag ...“ Er gibt weitere Daten ein.
Miguel notiert sich die neuen Daten und ergänzt seine Berechnungen. „Wieso überrascht mich das voraussichtliche Geburtsdatum nicht? Dann müssen wir nur noch herausfinden, wer sie ist. Aber das sollte nicht allzu schwierig werden.“
Qori justiert den Monitor neu. Die Karte verschwindet und Einzelheiten einer Welt, die seit über zweitausend Jahren vergangen ist, werden wie auf einem Film schlechter Qualität sichtbar.
Sein Weg führt sie hinein in einen kleinen, staubigen Ort, in eine ebenso kleine, von einer großen Familie bewohnten Hütte mit nur einem Zimmer, zu einem jungen Mädchen, das einer älteren Frau beim Brotbacken hilft. Alles in diesem Ort wirkt karg und ärmlich.
„Da ist sie.“ Zärtlichkeit liegt in Qoris Stimme.
„Aber das Mädchen ist vielleicht grade mal dreizehn Jahre alt!“, wirft Pria erschrocken ein.
„Das war damals das Alter, in dem die jungen Leute heirateten, Pria. Die Zeiten haben sich geändert.“ Miguel zwinkert ihr zu. „Wer heiratet heute noch?“
„Und wir ändern sie jetzt noch einmal“, erklingt Professor Zulgors Stimme im Hintergrund.
„So sei es!“
Er verlässt mit den Anderen den Raum.
Qori hält Pria, die ihm folgen will, zurück. „Sie hat einen Verlobten. Du wirst ihn einweihen müssen, denn sie ist noch unberührt.“
Pria schüttelt verwirrt den Kopf. „Eine Jungfrau? Weißt du, was du ihr damit antust?“
„Ja.“
„Und was soll ich ihm erzählen? Du verlangst, dass ich mit ihm Kontakt aufnehme? Und wieso denkst du überhaupt, dass ich gehen werde?“ Sie kann seinem intensiven Blick kaum standhalten.
„Weil du es willst, Pria. Es ist dein Kind. Du wirst es beschützen wollen wie jede Mutter.“ Er streicht ihr lächelnd übers Haar. „Aber dafür wirst du auf dein wunderschönes, goldenes Haar verzichten müssen. Blondinen waren dort zu der Zeit sehr selten.“
Pria schnauft empört. „Kommt ja gar nicht in Frage!“
Der halbe Inhalt ihres Kleiderschrankes liegt über dem Bett verstreut. Pria sitzt an ihrem Schreibtisch, den Kopf tief vergraben über aufgeschlagene uralte Bücher, die Hände ebenso in den blonden Haaren.
Qori angelt schmunzelnd einen Büstenhalter aus dem Wäscheberg. „So etwas gab es meines Wissens nach zu der Zeit nicht.“
Aus den Augenwinkeln schult sie kurz zu ihm. „Ich habe nicht vor, mich dort auszuziehen.“ Sein Lachen lässt sie kurz aufblicken. „Hör zu, Qori, ich muss noch lernen. Die Hypnoschulung kann mir zwar die Grundlagen der Sprache vermitteln, aber das reicht nicht, um authentisch zu wirken. In drei Tagen breche ich auf. Bis dahin ...“
„Vergeht noch viel Zeit“, erwidert Qori sanft. „Hast du dir schon eine Geschichte für ihren Verlobten ausgedacht?“
„Bin dabei. Hier.“ Achtlos hält sie ihm einen Bogen Papier hin.
Qori nimmt ihn, überfliegt den Text. „Nicht schlecht. Aber ob die Menschen dieser Zeit ihn verstehen?“
„Miguel meint, sie werden. Die alten Schriften werden bis zum Tag unseres Eingreifens Bestand haben. Aber ...“ Pria richtet sich seufzend auf und blickt Qori nachdenklich an. „... ob er sich alleine durch meine Worte daran hindern lässt, sie zu verstoßen? Wie soll sie es ohne Mann mit einem nichtehelichen Kind schaffen? In dieser Zeit? Sie wird eine Ausgestoßene sein. Niemand wird ihr die Geschichte glauben, die wir ihr erzählen werden.“
Qori fährt mit den Fingern durch ihr langes Haar. „Locken würden dir gut stehen.“ Pria mustert ihn verständnislos. „Locken?“
Qori nimmt eines der Bücher von ihrem Tisch, findet nach kurzem Suchen die gewünschte Seite und zeigt ihr die Stelle. „Wenn du dir dies hier zu Nutze machst, mein Engel, dann werden sie dir alles glauben, was du ihnen erzählst.“
Pria nimmt wirft einen Blick in das Buch. „Das könnte sogar funktionieren! Miguel hat sicher noch ein paar alte Bilder für mich – als Inspiration.“ Sie springt auf und wühlt in den Kleidungsstücken auf dem Bett herum. „Ich hab bestimmt auch noch etwas Passendes zum Anziehen. Und zum Frisör muss ich sowieso mal wieder ...“
Qori lacht über ihren Eifer. „Hoffentlich hast du auch die passende Sprache gelernt, sonst nützt dir dein hübsches Köpfchen diesmal überhaupt nichts!“
„Natürlich hab ich - oh, du ...“ Sie wirft lachend mit einem Pullover nach ihm.
Qori fängt ihn auf, wirft ihn zurück aufs Bett und zieht Pria an sich. „So gefällst du mir schon viel besser.“ Er schickt einen schrägen Blick aufs Bett. „Aber das da gefällt mir überhaupt nicht. Wo soll ich denn heute Nacht schlafen?“
„Wie wäre es denn zur Abwechslung mal in deinem eigenen Bett?“ Pria zwinkert ihm zu.
„Ich komme auch mit.“
Hand in Hand schlendern sie durch den Stützpunkt. Es ist spät und nur noch wenige Menschen sind in den taghellen Gängen unterwegs. Zeit ist hier ebenso künstlich wie Sonnenlicht, doch ist gerade die Zeit ihr wichtigstes Orientierungsmittel. Und sie läuft ihnen davon. In jeder Sekunde. Immer schneller.
„Wir werden die einzigen Menschen sein, die sich gefahrlos nach draußen bewegen können, wenn das Experiment abgeschlossen ist“, meint Pria leise, den Blick auf die zahlreichen
Türen gerichtet, hinter denen andere Quartiere liegen. „Viele werden diese Welt nie wieder verlassen dürfen.“
„Sie dürfen“, erwidert Qori ebenso leise. „Sie selbst werden darüber entscheiden, welches Leben sie führen wollen. Ob sie das Risiko eingehen und auf das Göttliche vertrauen, oder ob sie hier in der Dunkelheit die trügerische Sicherheit eines längst vergangenen Lebens führen wollen.“
„So einfach ist es nicht, Qori.“ Pria schmiegt sich enger an ihn. „Wir hängen doch alle an unserem Leben, sei es auch noch so kümmerlich. Niemand weiß wirklich, was nach dem Tod kommt.“
„So wie niemand weiß, was nach dem Experiment kommen wird. Wir hoffen auf ihn, aber er kann sich auch ganz anders als geplant entwickeln. Auch wenn er mein Klon ist, so hat er doch seinen eigenen, vom Göttlichen gegebenen Willen, und der kann sich von meinem ganz erheblich unterscheiden.“ Qori schickt ihr ein schiefes Grinsen. „Das hoffe ich jedenfalls.“
Lachend schiebt Pria ihn von sich, nur um ihn gleich wieder zu sich zu ziehen. „Ich hoffe nur, er hat nicht deinen Galgenhumor geerbt!“
„Nein“, schmunzelt Qori, „der ist hart erarbeitet.“
Pria bleibt stehen und zieht ihn zu sich. Ihre Lippen suchen die seinen auf dem menschenleeren Gang.
Doch die Stille wird unterbrochen von einem lauten Knall aus einer der Türen im abzweigenden Nebengang.
Erschrocken fahren die Zwei auseinander.
„Was war das?“ Pria blickt sich aufgeregt um. „Dort! Im Labor! Oh nein!“
„Komm!“ Qori greift nach ihrer Hand und rennt zum Labor.
Türen öffnen sich, erschreckte, verschlafene Mitarbeiter schauen auf den Gang. Sie begreifen und eilen ebenfalls zum Labor, verstopfen den Gang.
Die Tür ist halb aus den Angeln gerissen. Scherben bedecken den Boden. Das Metall der Tische und Schränke zerfetzt wie Aluminiumfolie. Ätzende Gase steigen ihnen in die Nasen, zwingen sie zum Husten.
Die Menge verharrt vor der Tür.
Qori drängt sich durch die Gaffer. Zwischen den Trümmern liegt Bernard, Prias Assistent. Die Augen weit aufgerissen, kaum noch Leben in ihnen. Der Körper blutend aus unzähligen Wunden, gerissen von den umherfliegenden Splittern.
Pria eilt an Qoris Seite, der bereits neben dem Verletzten am Boden kniet. Ihr reicht ein Blick, um zu wissen, das spärliche Antworten alles sind, was das Leben in Bernard noch zu geben bereit ist.
„Bernard! Was ist passiert? Was ist denn nur passiert?“ Doch nur ein leises Stöhnen antwortet ihr.
„Halte seinen Kopf!“, verlangt Qori, während er ihm Kittel und Hemd aufreißt.
„Es ist zu spät, Qori“, flüstert sie erstickt. „Wir können ihm nicht mehr helfen. Er stirbt ...“
„Es ist niemals zu spät, solange noch Leben in ihm ist!“ Qori zieht einzelne Splitter aus den Wunden.
Pria zieht seine Hände zurück. „Du machst es nur noch schlimmer.“ Ihr Blick gleitet an ihm vorbei. „Holt die Sanitäter!“
Pria schreit es den Starren an der Tür zu.
Noch nie gab es einen derartigen Unfall. Sie sind zwar für den Ernstfall ausgebildet, aber sie haben nie damit gerechnet. Sie wissen nicht zu handeln. Sie stehen nur da. Unfähig zu erkennen. Zu reagieren.
Einer löst sich schließlich zögernd aus ihrer Mitte. Seine lauten Schritte durchdringen die tödliche Stille und verheißen Hoffnung für den Verletzten.
Qori blickt auf den zerfetzten Oberkörper des Mannes. Helles Blut pulsiert in Strömen über die nackte Haut. Ein letztes Zucken geht durch den Körper, dann fließt das Blut nur noch wie ein Rinnsal, der Kraft des treibenden Herzschlages beraubt.
„Ich kann ihm nicht mehr helfen! Tu du etwas, Qori, bitte!“, flüstert Pria eindringlich. „Lass ihn bitte nicht sterben!“
„Ich - ich kann nicht ...“ Qoris Blick wandert ins Leere.
„Doch, du kannst! Ich weiß, dass du es kannst! Bitte, Qori! Bitte!“ Sie sucht und findet seinen Blick.
Qori kann sich ihrem Flehen darin nicht entziehen. Er atmet tief durch und schließt die Augen. „Also gut. Aber bring die Leute hier raus!“
Pria springt auf und schiebt die Menge energisch aus der Tür. „Macht Platz, Leute, verschwindet! Geht wieder in eure Quartiere! Nun geht schon! Ihr könnt hier nicht mehr helfen! Geht!“
Widerwillig setzt sich die Menge in Bewegung.
Pria bleibt in der Türzarge stehen, den Blick auf Qoris Rücken gerichtet. Seine Hände liegen auf dem Brustkorb des Verletzten, seine Haltung spannt sich. Leise Worte einer unverständlichen Sprache vor sich hinmurmelnd, spürt auch Pria die starken Energieströme, die von ihm ausgehen.
Der Körper unter seinen Händen zuckt und bebt. Das Leben will aus ihm entweichen. Qori lässt es nicht zu. Er verschließt die Aura des Sterbenden und gibt der Seele keinen Raum zur Flucht.
„Nein, deine Zeit hier ist noch nicht vorbei“, flüstert er zu der fremden Seele in der Sprache, die nur sie beide verstehen. „Wir brauchen dich noch. Bleib und führe dein Leben zu Ende, wie es von Anfang an geplant war!“
Wer bist du, dass du zu wissen glaubst, wie der Große Plan aussieht?, hört er das Wispern der gequälten Seele.
„Ich befehle dir – geh zurück!“ Qoris Finger verkrampfen sich unter der aus ihm hervorbrechenden Energie und versetzen dem aussetzenden Herzen unter ihnen einen kräftigen Schlag, der es zurück ins Leben holt. „Du kannst ihn nicht verlassen, solange sein
Herz dich noch bindet!“
Nur er hört das gepeinigte Seufzen der Seele, die keine Wahl hat und dem Ruf des schlagenden Herzens folgen muss. Zurück in den vor Schmerz schreienden Körper.
Qori bricht erschöpft zusammen, als die Sanitäter endlich da sind und sich des Verletzten annehmen.
Pria zieht ihn an den Handgelenken sanft mit sich, dreht seine Hände um. „Meine Güte – das sind Brandblasen!“
Qori zieht sie mit sich aus dem Trümmerfeld ihrer Hoffnung.
„Alles vorbei ...“ Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Gebrochen. Entsetzt.
Gescheitert. Ein letztes Mal. Vorbei. Endgültig. Alles umsonst ...
Pria wischt vorsichtig das Blut von seinen Händen. Schnelle, geschickte Finger, die wissen, was sie tun, versorgen die Brandwunden. Ihre Hände zittern nicht, aber ihre Stimme. „Wie konnte das nur geschehen?“
Teilnahmslos lässt Qori ihre Fürsorge über sich ergehen.„Ich weiß es nicht. Aber es war der Göttliche Wille. Wir wurden zu anmaßend. Wir haben geglaubt, einfach so in seinem Namen handeln zu dürfen! Statt Leben zu retten – statt Leben zu erschaffen! - haben wir heute fast
eines getötet!“
Qori springt auf. Nichts hält ihn mehr auf diesem Stuhl. Genauso wenig wie an diesem Platz. Er muss hier raus! Er braucht Luft zum Atmen!
„Qori – beruhige dich bitte!“ Pria stellt sich ihm in den Weg. „Nichts ist verloren! Bitte glaube mir! Wir ...“
„Nein, Pria!“ Zornig packt er sie an den Armen. „Nein! Es ist vorbei! Endgültig vorbei! Es gibt keinen neuen Versuch mehr! Ich stehe nicht mehr zur Verfügung!“
Qori schubst sie beiseite und stürmt zur Tür des Versorgungsraumes.
Pria fängt den Sturz gerade noch ab. „Qori! Es geht ihm gut! Ihm ist nichts geschehen! Er war nicht mehr im Labor!“
Wie erstarrt dreht er sich zu ihr um. „Was sagst du da?“
„Er war nicht im Labor.“ Pria versucht ein Lächeln. „Ich dachte heute Nachmittag an deine Worte. In Liebe gezeugt. Ich wollte ihn in einer liebevolleren Umgebung sehen. Nicht in der Sterilität des Labors.“
Sein Blick verrät Angst, aber auch Hoffnung. „Du hast ihn hoffentlich nicht in dein Quartier gebracht?“
„Nein.“ Pria lächelt zärtlich und entspannt sich. „Nein, nicht in mein Quartier. Komm mit.
Ich bring dich zu ihm.“
Die Täuschung ist nahezu perfekt. Subtropische Bäume und Sträucher, verwachsen mit dem Vulkangestein des Untergrundes. Ein Bach plätschert über die natürliche Erhebung als Wasserfall und sammelt sein Wasser der unterirdischen Quelle in einem kleinen See.
Versteckte Wege laden zu einem vergessenen Spaziergang durch scheinbar unberührte Natur ein. Und doch ist sie so widernatürlich wie das künstliche Sonnenlicht.
Pria führt ihn durch dichtes Unterholz tief in den kleinen Hain aus Palmen. Im Herzen des Dickichts steht eine gläserne Säule, deren unterer Teil alle lebensnotwendigen Aggregate beherbergt, die ihrer Hoffnung das Leben schenken.
Qori starrt auf die Petrischale in der Mitte der gläsernen Kugel, die den oberen Teil der Säule bildet. Zu winzig, um das Leben mit bloßem Auge zu erkennen. In ihr ihrer aller Hoffnung.
„Du hast ...“ Qori versagt die Stimme.
Pria überprüft flink die Werte. „Alles in Ordnung! Es geht ihm gut.“ Auch ihr ist die Erleichterung anzuhören.
Sie wendet sich Qori zu, der erschöpft auf die Knie gesunken ist, kniet sich zu ihm. „Es geht ihm gut, hörst du?“
Qori schüttelt fassungslos den Kopf. „Ich begreife es nicht ... - Wie konntest du das alles nur geschehen lassen?“
„Was? Wieso? Was habe ich denn ...“ Pria versteht nicht. Sie sucht seinen Blick, doch dann erkennt sie, dass seine Worte nicht an sie gerichtet sind.
Leise erhebt sie sich und lässt ihn alleine. Alleine mit sich und mit dem Göttlichen. Und mit der Hoffnung der Welt, dessen kleine gläserne Welt ebenso zerbrechlich ist wie ihre große harte Welt dort draußen.
Tief horcht Qori in sich hinein und lauscht auf die leise Stimme in seinem Inneren, die ihm erlaubt, Dinge zu erkennen und zu verstehen, die so vielen anderen verschlossen bleiben. Er weiß um seine Fähigkeiten und seine Macht. Um seine Verantwortung und sein Wirken. Er hat Angst.
Immer tiefer, bis auf den Grund seiner eigenen Seele, die es ihm ermöglicht, Verbindung mit anderen Seelen aufzunehmen. Er konzentriert sich auf die Petrischale, auf das kaum begonnene Leben, auf die Seele, die schon in ihm steckt. Sie haben auf das kosmische Gesetz der Anziehung vertraut. Bedingungen geschaffen, die die richtige Seele anlocken sollen.
Wessen Seele? Wie ist dein Name? Woher kommst du und wer warst du? Ich kann dir nur meinen Körper als Klon zur Verfügung stellen, mit all seinen Fähigkeiten und Gaben, aber meine eigene Seele kann ich nicht teilen. Wer also bist du? Sprich mit mir und lass mich verstehen.
Doch so sehr er auch lauscht – Schweigen ist die einzige Antwort, die er bekommt.