Kitabı oku: «Umgelegt vom Killer: Krimi Koffer 9 Romane», sayfa 6
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Claire kam gegen achtzehn Uhr nach Hause. Mel Kowalski empfing sie mit einem eiskalten Blick. „Wie war‘s?“, fragte er knurrend.
„Wie war was?“ Claire musterte ihren Bruder beunruhigt. Sie kannte diesen Blick von früher. Jedes Mal, wenn Mel so dreingesehen hatte, waren kurz darauf die Fetzen geflogen. Sie fragte sich, was ihn so verstimmt haben mochte, und sie nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Besser, sie kam Mel nicht zu nahe, denn wenn er explodierte ...
Er sah sie an. „Du weißt nicht, wovon ich rede?“
„Nein.“
„Dann muss ich eben deutlicher werden: Zu wie vielen Herrn warst du denn heute nett?“
Claire blickte ihren Bruder betroffen an.
Mel Kowalski lachte zornig. Er erhob sich. In Claire verkrampfte sich alles. Sie hatte plötzlich Angst vor ihrem Bruder.
„Ich weiß Bescheid“, sagte Kowalski aggressiv. „Lester McIntosh war hier. Der Drecksack wollte mit dir ein bisschen spielen. Ich hab‘s ihm tüchtig gegeben und hab ihn anschließend hinausgeworfen.“
„Dazu hattest du kein Recht!“, presste Claire heiser hervor.
„Ich hör wohl nicht richtig!“, fauchte Kowalski gereizt. „Was heißt hier, ich habe kein Recht? Du bist meine Schwester!“
„Ach. Jetzt auf einmal. Aber ein Jahr lang hat es mich für dich nicht gegeben!“
Kowalski wies auf die Tür. „Ich habe diesem Schwein gesagt, dass du ab sofort nicht mehr im Geschäft bist, und sag bloß nicht wieder, dazu hatte ich kein Recht, Claire!“
„Hattest du auch nicht!“
Kowalski starrte seine Schwester zornig an. „Sag mal, schämst du dich denn nicht?“
„Das geht dich nichts an, Mel. Es ist mein Leben. Und es ist mein Körper. Ich kann damit machen, was ich will.“
„Verdammt noch mal, da bist du aber gewaltig im Irrtum. Ich will nicht, dass meine Schwester eine Nutte ist. Für mich ist das das widerlichste Gewerbe, das es gibt!“
Claires Zorn drängte ihre Angst in den Hintergrund. Mit blitzenden Augen schrie sie: „Sag mal, was glaubst du denn, wer du bist?“
„Ich bin dein Bruder – ob dir das nun gefällt oder nicht!“
„Du hast mir trotzdem keine Vorschriften zu machen.“
„Das wollen wir doch mal sehen!“
„Du gottverdammter, scheinheiliger Mr. Saubermann!“, schrie Claire mit roten Wangen. „Zwölf Monate lang hatte ich keinen Bruder. Und plötzlich habe ich wieder einen. Und was für einen. Platzt hier in mein Leben, erteilt mir Befehle, stellt meine ganze Ordnung auf den Kopf, verprügelt meine Freunde und versaut mir meinen Job!“
„Du nennst diesen Kerl deinen Freund? Bist du denn noch zu retten?“
„Ich hätte ihn zehnmal lieber zum Bruder als dich!“, zischte Claire wild, obwohl sie wusste, dass sie mit Streichhölzern neben einem offenen Pulverfass spielte.
Mel Kowalski war nahe daran, zuzuschlagen. Er beherrschte sich nur mühsam. „Sag das nicht noch mal!“, fauchte er böse. „Verdammt, sag so was nicht noch mal, Claire.“
„Mel Kowalski“, sagte Claire spöttisch. „Mein Vormund, mein Beschützer. Wo warst du denn, als ich dich gebraucht habe, he? Wo warst du, als es mir dreckig ging? Da war ich dir egal. Da hattest du keine Schwester, was? Ich hätte vor die Hunde gehen können, du hättest es nicht einmal gewusst. Und nun tauchst du plötzlich wieder aus der Versenkung auf und willst mir sagen, was ich tun soll.“ Claire schüttelte heftig den Kopf. „Nein, mein Lieber. Da mache ich nicht mit. Jetzt brauche ich dich nicht mehr. Ich habe mir selbst geholfen, und du kannst dich zum Teufel scheren!“
Kowalski erdolchte seine Schwester mit den Augen. „Was hattest du für Schwierigkeiten?“
„Ich will nicht darüber reden.“
„Aber ich!“, schrie der Killer seine Schwester an. „Also heraus mit der Sprache. Wieso ging es dir dreckig?“
Claire holte sich einen Drink. Mel Kowalski packte sie am Arm. Er drückte fest zu. Es musste weh tun, aber Claire verzog keinen Augenblick das Gesicht.
„Willst du jetzt endlich reden?“, herrschte er sie an.
Ein stummer Vorwurf lag in ihrem Blick, als sie auf seine Hand schaute. Er ließ sie los. Dann sagte sie: „Eine Verkettung verschiedener unangenehmer Dinge ... Ich wurde krank, verlor meinen Job, konnte keinen neuen mehr finden. Die dürftigen Ersparnisse waren sehr schnell aufgebraucht, ich fing an, mir Geld zu borgen, konnte es aber nicht mehr zurückzahlen, hatte bald keine Freunde mehr. Ich ging Tag für Tag mit knurrendem Magen ins Bett, hoffend, dass am nächsten Morgen das Wunder geschehen würde, auf das ich so sehr angewiesen war, aber das Wunder blieb aus. Und als ich den absoluten Tiefpunkt erreicht hatte – zu dieser Zeit gab es nichts mehr, was ich nicht getan hätte, um wieder zu Geld zu kommen – lernte ich einen Mann kennen, der sofort erkannte, wie mies es mir ging und der mir, ohne viele Fragen zu stellen, einfach half. Er wollte nicht, dass ich ihm für das Geld, das er mir gab, irgendeinen Gefallen tat. Als das Geld alle war, das ich von ihm bekommen hatte, gab er mir neues. Ich fragte ihn, warum er das für mich tat, doch er sagte nur, ich solle keine Fragen stellen, sondern das Geld einfach nehmen und es so ausgeben, wie ich es für richtig halte.“
Mel Kowalski schüttelte den Kopf. „Bist du denn nicht auf die Idee gekommen, dass dir dieser Kerl eines Tages die Rechnung für seine Hilfsbereitschaft präsentieren würde?“
„Nein. Und wenn ich daran gedacht hätte, wär‘s mir auch egal gewesen.“
„Wie heißt der Mann?“, wollte Kowalski wissen.
„Randy Gill.“
„Erzähl weiter!“, verlangte Kowalski.
Claire zuckte die Achseln. „Da gibt‘s nicht mehr viel zu erzählen. Randy kam nach zwei Monaten zu mir und sagte mir, er hätte über das Geld, das er mir gegeben habe, genau Buch geführt. Er teilte mir mit, dass es nun an der Zeit wäre, dass ich meine Schulden samt den aufgelaufenen Zinsen zurückzahle. Ich fragte ihn, womit ich denn bezahlen solle. Er sagte, dass ich, selbst wenn ich keinen einzigen Cent besitze, über ein unschätzbares Kapital verfüge. Er meinte meinen Körper. Ich konnte Randy das Geld, das ich ihm schuldete, nur dann zurückzahlen, wenn ich für ihn arbeitete. So fing ich an, meine Schulden nach und nach abzuarbeiten ...“
Kowalski ballte die Hände. „Ich kauf mir den Kerl!“
„Das wirst du nicht tun. Misch dich gefälligst nicht in meine Angelegenheiten!“
„Verflucht noch mal, du hast anscheinend immer noch nicht begriffen, dass von jetzt an nur noch das geschieht, was ich sage!“
„Ich lass mit mir nicht herumkommandieren!“
Kowalski konnte sich nicht mehr länger beherrschen. Er fiel über seine Schwester her. Und jedes Mal, wenn er zuschlug, knurrte er: „Du Hure! Du miese, kleine, dreckige Hure!“
Er ließ erst von Claire ab, als sie auf dem Boden lag und sich aus eigener Kraft nicht mehr erheben konnte.
Schwer atmend stand er über ihr.
„Ich werde deine Schulden bezahlen!“, sagte Mel Kowalski scharf. „Und wenn ich danach erfahre, dass du weiter arbeitest, bringe ich dich um!“
20
Roberto Tardelli versuchte sich in Mel Kowalskis Lage zu versetzen. Der Vertragskiller von „Black Friday“ war verletzt. Die Wunde war für ihn ein Handikap. Ein paar Tage Ruhe würden Kowalski gut tun. Und wo konnte Mel Kowalski besser ausspannen als bei seiner Schwester Claire? Diese Überlegung veranlasste Roberto, sich mit der COUNTER CRIME-Zentrale in Washington in Verbindung zu setzen. Er verlangte das Büro von Colonel Myer und hatte den Chef der Geheimorganisation wenige Augenblicke später an der Strippe.
Der Colonel meinte, nachdem Roberto geendet hatte: „Könnte durchaus sein, dass Sie mit Ihren Überlegungen den Nagel haargenau auf den Kopf getroffen haben, Roberto.“
„Wenn Sie mir die Adresse des Mädchens verschaffen, sehe ich nach, ob mein Tipp richtig ist“, sagte Roberto Tardelli.
„Hm. Ja. Ich würde Ihnen schrecklich gern helfen, aber soviel mir bekannt ist, haben wir das Mädchen vor ungefähr dreizehn Monaten aus den Augen verloren.“
„Wie ist denn das passiert?“
„Ganz einfach. Sie packte in Atlanta ihre Sachen und verließ die Stadt, ohne jemandem zu sagen, wohin sie ziehen wollte.“
„Ich habe von Ihnen auch schon erfreulichere Auskünfte erhalten“, sagte Roberto missmutig.
„Noch kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, Roberto. Ich werde sofort alle Hebel in Bewegung setzen, um die Anschrift des Mädchens ausfindig zu machen.“
„Darf ich dazu noch was sagen, Colonel?“
„Aber sicher.“
„Es eilt.“
Myer lachte gepresst. „Wie immer.“
21
Als die Soldati kamen, war Claire Kowalski allein zu Hause. Alfredo Sevardo und Bingo Celentano bauten sich beiderseits der Tür auf. Ihre Hand steckte in der Außentasche des Jacketts. Die Waffe, um die sich ihre Finger schlossen, war entsichert. Celentano nickte Sevardo kurz zu. Dieser hämmerte mit der Linken an die Tür. Claire machte die Tür einen Spalt auf. Celentano trat blitzschnell dagegen. Das Mädchen stieß einen heiseren Schrei aus und flog gegen die Wand.
Sevardo richtete seine Walther P 38 auf das verstörte Mädchen. „Keine Bewegung!“, zischte er, während Bingo Celentano mit gezogener Waffe an Claire vorbeistürmte und in alle Räume einen kurzen, aber dennoch gründlichen Blick warf.
Als er zurückkam, schloss er die Tür.
Dann schüttelte er mit grimmiger Miene den Kopf.
Sevardo bedrohte Claires weiter mit der Waffe. „Wo ist er?“
Das Mädchen starrte den Soldato mit großen Augen an. Eine Menge Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. Als Mel sie so brutal zusammengeschlagen hatte, hatte sie sich geschworen, sich eines Tages an ihm dafür zu rächen. Sie hatte nicht geahnt, dass sich eine solche Chance so bald schon bieten würde. Diese beiden Männer sahen nicht so aus, als wollten sie mit Mel bloß reden. Die hatten anderes vor! Weshalb? Was hatte Mel verbrochen?
Claire wusste, wo Mel sich zur Zeit befand.
Zwei Stimmen waren plötzlich in ihr. Die eine drängte sie, sich von ihrem brutalen, tyrannischen Bruder zu befreien. „Sag‘s ihm!“, befahl ihr diese Stimme ungeduldig. „Nimm deine Chance wahr! Sag ihm, was er wissen möchte!“
Doch die andere Stimme sagte: „Das kannst du nicht tun. Mel ist trotz allem dein Bruder! Du darfst ihn nicht ans Messer liefern!“
Sie brachte es nicht fertig, Mel zu verraten.
„Wo ist er?“, bellte Sevardo noch einmal.
„Wer?“, fragte Claire krächzend.
„Mel Kowalski!“
„Ich –ich weiß es nicht!“, stotterte Claire.
„Mädchen, mach uns keinen Ärger!“
„Ich ... weiß es wirklich nicht.“
„Zwing uns nicht, dir wehzutun!“, warnte Alfredo Sevardo das Girl. „Entweder du sagst uns jetzt auf der Stelle, wo dein verdammter Bruder ist, oder du lernst uns von unserer bösesten Seite kennen!“
Claire schüttelte verzweifelt den Kopf. „Was soll ich denn machen, wenn ich nicht weiß, wohin Mel gegangen ist?“
„Du lügst leider nicht überzeugend genug, Baby!“, sagte Bingo Celentano mit einem eiskalten Grinsen. Er klebte dem Mädchen blitzschnell den Mund mit einem breiten Pflasterstreifen zu.
„Damit du mit deinem Geschrei nicht die Nachbarschaft alarmieren kannst“, erklärte Sevardo höhnisch.
Er steckte die Walther weg. Claire stemmte sich von der Mauer ab und warf sich nach vorn. Sie prallte gegen Sevardo und Celentano. Die Soldati griffen gleichzeitig zu. Claires Fluchtversuch wurde im Keim erstickt. Das Mädchen wand sich wild, trat nach den Mafiosi, versuchte, freizukommen.
„He, he, he, wohin willst du denn?“, fragte Bingo Celentano amüsiert. „Dort geht‘s doch ins Schlafzimmer.“
Claire riss verstört die Augen auf.
Sevardo und Celentano hoben sie hoch. Sie strampelte in der Luft, während sie von den Killern ins Schlafzimmer getragen wurde. Tränen glitzerten in ihren Augen. Die Soldati warfen das Mädchen aufs Bett. Bingo Celentano machte sich ein Vergnügen daraus, die Bluse des entsetzten Girls aufzureißen. Indessen brannte sich Alfredo Sevardo eine Zigarette an.
„Hübscher Busen“, sagte er anerkennend. „Jammerschade, dass er bald nicht mehr so schön anzusehen sein wird. Und die Narben der Brandwunden wird man bis an dein Lebensende sehen. Mädchen. Aber du hast es ja nicht anders gewollt.“
Er zog an seiner Zigarette.
Die Glut leuchtete hell auf.
Sevardo beugte sich über das zitternde Mädchen, das von Celentano niedergepresst wurde.
Claires Herz schlug hoch oben im Hals. Sie hatte wahnsinnige Angst vor den Schmerzen, die ihr dieser Mann zufügen wollte.
War Mel das denn überhaupt wert? Sollte sie sich für Mel foltern lassen? Die Tränen quollen aus ihren Augen und rollten über ihre Wangen. Es war das zweite Mal, dass sie Mels Hilfe ganz dringend gebraucht hätte, und Mel war wieder nicht da.
Sevardo sagte: „Gib uns ein Zeichen, wenn du reden möchtest, Baby.“ Er schnippte die Asche auf den Boden und kam näher.
22
Colonel Myer war vier Stunden später bereits in der Lage, Roberto Tardelli mitzuteilen, was dieser wissen wollte. Der CC-Agent bekam die genaue Anschrift von Claire Kowalski, und Myer konnte Roberto mit einer weiteren Information Freude machen: Ein COUNTER CRIME-Kontaktmann hatte vor dreißig Minuten gemeldet, dass er Mel Kowalski in Baltimore kurz gesehen, aber gleich wieder aus den Augen verloren hatte.
„Damit ist Ihre Annahme einwandfrei bestätigt, Roberto“, meinte der Colonel. „Der Killer hält bei seiner Schwester seinen kleinen Erholungsurlaub.“
„Hoffentlich bricht er ihn nicht ab, bevor ich in Baltimore eingetroffen bin“, sagte Roberto.
„Da er keine Ahnung hat, dass Sie bereits wissen, wo er untergekrochen ist, ist das wohl kaum zu befürchten.“
„Ich bedanke mich für die rasche Auskunft, Chef.“
„Keine Ursache. Dafür bin ich ja schließlich da.“
Roberto warf den Hörer in die Gabel. Er stopfte seine Sachen in die große Reisetasche, ließ die Rechnung fertigmachen und kehrte Chicago sodann den Rücken. Natürlich hätte es in dieser Stadt für ihn noch viel zu tun gegeben, doch im Augenblick hatte Mel Kowalski Vorrang.
Um alles anderes würde er sich zu einem späteren Zeitpunkt kümmern.
Roberto lieferte am O'Hare Airport den Plymouth Fury bei der Firma ab, von der er ihn geliehen hatte, holte sich anschließend sein Ticket, und war wenig später einer der ersten, die den Jet bestiegen, der in Kürze nach Baltimore fliegen würde.
Baltimore. Roberto Tardellis Backenmuskeln zuckten. Sein Blick nahm einen ungewöhnlich harten Ausdruck an. Er war entschlossen, dafür zu sorgen, dass dies Mel Kowalskis letzte Station war.
23
Kowalski hatte in der Nähe des Fort McHenry – einer der wesentlichsten Sehenswürdigkeiten von Baltimore – in einer kleinen Pizzeria einen guten Freund von früher getroffen. Zwei volle Stunden hatten sie ausschließlich über die Vergangenheit, ihre gemeinsame Jugend, geplaudert, und die Zeit war wie im Flug vergangen. Danach hatte sich Kowalskis Freund wegen dringender Geschäfte, die sich nicht aufschieben ließen, hastig verabschiedet. Der Killer war noch eine Weile in der Pizzeria geblieben und verließ sie nun, um zu seinem Mietwagen zurückzukehren und heimzufahren.
Der Chevrolet stand in einer schmalen Seitenstraße.
Als Kowalski die Tür aufschließen wollte, gewahrte er hinter sich eine Bewegung.
Er zuckte herum und erkannte Alfredo Sevardo und Bingo Celentano.
„Hallo, Mel“, sagte Sevardo. Es klang beinahe freundlich, aber Kowalski hatte gute Ohren und hörte die gefährlichen Schwingungen dahinter.
„Was sucht ihr in Baltimore?“, fragte Kowalski lauernd.
„Dich“, sagte Sevardo.
Kowalski blickte die beiden Soldati misstrauisch an. Er wusste nicht recht, was er von dieser unverhofften, jedoch keineswegs zufälligen Begegnung halten sollte.
„Wir nehmen unseren Wagen“, sagte Bingo Celentano. Es klang nicht nur wie ein Befehl. Es war auch einer. „Er steht gleich um die Ecke.“
„Verdammt noch mal, wollt ihr mir nicht verraten, was das soll?“, fragte Mel Kowalski aufbrausend.
„Mach keine Zicken, komm mit!“, brummte Sevardo.
Jetzt begann es bei Mel Kowalski allmählich zu dämmern. Er starrte die beiden Kerle fassungslos an. „Das ... das darf doch wohl nicht wahr sein!“, murmelte er wütend. Er wollte seinen Revolver aus dem Schulterhalfter reißen, doch Sevardo und Celentano waren schneller als er. Sie rammten ihm ihre Kanonen in den Bauch und nahmen ihm seinen Colt Python ab.
Dann stießen sie ihn zu ihrem Chrysler.
Er musste sich in den Fond setzen.
Bingo Celentano nahm neben ihm Platz.
Sevardo übernahm das Steuer.
Als der Wagen anfuhr, sagte Kowalski heiser: „Jungs, ihr macht einen schweren Fehler!“
„Ganz und gar nicht“, gab Sevardo knochentrocken zurück.
„Wohin bringt ihr mich?“
„Wir fahren ein Stückchen raus aus der Stadt.“
„Und dann?“
„Tja dann ...“,sagte Sevardo und hob die Schultern.
„Hört mal, das könnt ihr mit mir doch nicht machen!“, stieß Kowalski aufgeregt hervor. „Ich gehöre zur Spitze von Black Friday. Da muss ein Irrtum vorliegen!“
„Bestimmt nicht“, sagte Sevardo gelassen.
„In wessen Auftrag handelt ihr?“
„Kannst du dir‘s nicht denken?“
„Halt an!“, verlangte Kowalski schroff. Er wies auf eine Telefonbox, auf die sie soeben zurollten. „Halt an, Alfredo. Lass mich mit Sergio Patana reden. Ich bin sicher, dass sich die ganze Sache nach einem kurzen Telefonat in Wohlgefallen auflösen wird.“ Insgeheim schwor sich Mel Kowalski, Patana für diesen verdammten Befehl büßen zu lassen. Aber dazu musste er zuerst einmal diese gefährliche Klippe umfahren haben.
Sevardo schüttelte langsam und unnachgiebig den Kopf. „Kein Telefonat, Mel.“
„Zum Teufel, was denkst du denn, wer du bist? Hältst du dich für den Lieben Gott? Wenn ich sage, dass ich mit Patana telefonieren will, dann hast du meinem Wunsch zu entsprechen.“
„Die Zeiten, wo du etwas zu sagen hattest, sind vorbei. Mel. Tut mir leid für dich. Du warst ein fähiger Mann.“
„Wodurch bin ich bei Patana denn in Ungnade gefallen?“, fragte Kowalski heiser. Kleine Schweißtröpfchen bildeten sich auf seiner Stirn. Die Telefonbox war längst nicht mehr zu sehen. „Ich habe den Staatsanwalt erledigt und ich habe Fatty Booger fertiggemacht. Patana hat allen Grund, mit meiner Arbeit zufrieden zu sein!“
„Er meint, du bist über Nacht für Black Friday zum Risiko geworden“, sagte Sevardo.
„Ich? Zum Risiko? Hat er denn nicht mehr alle Tassen im Schrank? Wie kommt er denn auf diesen Blödsinn?“
„Es war ein Fehler, ihm zu erzählen, du seist von Roberto Tardelli angeschossen worden, Mel. Tardelli ist ein verdammt gefährlicher Bursche ...“
„Quatsch, mit dem werde ich doch fertig!“
„Tardelli könnte unserer Organisation großen Schaden zufügen“, sagte Sevardo.
„Herrgott noch mal, Tardelli weiß doch überhaupt nicht, wo ich bin!“, schrie Kowalski wütend.
Sie hatten die Stadtgrenze bereits hinter sich gelassen.
„Irgendwann könnte es Tardelli herausbekommen, wo du steckst“, sagte Sevardo ernst.
„Na, wenn schon. Dann kriegt er von mir eben eine Kugel in den Bauch, und die Sache hat sich.“
„Du hattest in Chicago deine Chance, ihm diese Kugel zu verpassen, Mel, hast sie aber nicht wahrgenommen. Im Gegenteil, du hast dich sogar von Tardelli anschießen lassen.“
„Der kleine Kratzer ist doch nicht der Rede wert!“
„Der Boss befürchtet, dass du auch beim zweiten Mal nicht über Tardelli hinwegkommen würdest“, sagte Sevardo. „Patana ist ein vorsichtiger, umsichtiger Mann, wie du weißt. Er bricht gefährlichen Lanzen rechtzeitig die Spitzen ab. Noch bevor sie ihm schaden können. Ihm ist bekannt, dass du nicht sehr viel von Omertà hältst. Also muss er rechtzeitig dafür sorgen, dass du den Mund hältst.“
Der Chrysler war über eine holprige Straße gefahren.
Nun hielt er.
Alfredo Sevardo stellte den Motor ab. Er drehte sich mit einem eisigen Grinsen um. „Pech für dich, mein Junge. Die Rückfahrt werden wir ohne dich machen.“
Mel Kowalski überlegte fieberhaft, wie er sich selbst aus dieser tödlichen Klemme heraushelfen konnte. Der Chrysler war an drei Seiten von einem Steinbruch umgeben, dessen schroffe Wände steil dem Himmel ragten.
Niemand würde die kaltblütige Hinrichtung miterleben.
Das war eine Situation, wie Mel Kowalski sie bevorzugt hatte, wenn er einen Auftrag erledigte.
Doch diesmal war er nicht der Killer, sondern das Opfer!
Eine brennende Wut stieg in ihm hoch. Er hasste Sergio Patana, der so leichtfertig das Todesurteil gesprochen hatte. Sein Inneres bäumte sieh gegen dieses schmähliche Ende auf. Er flehte den Himmel und die Hölle an, ihm die Möglichkeit zu bieten, Patana für das an ihm begangene Verbrechen mit aller Härte zu bestrafen.
Bingo Celentano, der die ganze Zeit mit seiner Walther auf Kowalski gezielt hatte, wies mit dem Kinn nun auf die Tür. „Mach sie auf und steig aus, Mel.“
Kowalski versuchte sich mit den Soldati zu arrangieren. Er bot ihnen einen Haufen Geld. Geld, das er ihnen zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgenommen hätte, doch Sevardo und Celentano waren nicht bestechlich.
„Trag dein Schicksal wie ein Mann“, sagte Sevardo hart. „Steig aus, Mel. Es gibt keinen mehr, der noch etwas für dich tun könnte.“
Doch! Einen gibt es noch!, dachte Kowalski aufgeregt. Ich selbst bin das. Noch bin ich nicht geschlagen. Noch hat mir keine von euren verfluchten Kugeln das Leben genommen. Noch besitze ich meinen Hass und den Willen, Rache zu nehmen, und weder ihr, noch sonst jemand wird mich davon abhalten können.
Er tat so, als würde er sich in sein Schicksal ergeben, als hätte er die Ausweglosigkeit seiner Lage erkannt und würde endgültig resignieren.
Es gelang ihm, durch Gestik und Mimik die Soldati zu täuschen.
Er machte auf sie einen geknickten, erledigten Eindruck, als er müde nach dem Türgriff langte. Er seufzte schwer. Vorne öffnete Alfredo den Wagenschlag. In dem Augenblick, wo der Soldato seinen Fuß auf den Boden setzte, handelte Mel Kowalski.
Er zuckte herum.
Die lädierte Schulter schmerzte sofort höllisch, doch er biss die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz. Wenn das Leben in Gefahr ist, verliert die schlimmste Qual ihre Bedeutung.
Aus der Drehung heraus schlug er zu. Seine Handkante traf Bingo Celentano. Der Soldato röchelte und sackte zur Seite. Er verlor augenblicklich die Besinnung. Die Walther entfiel seiner Hand. Kowalski ergriff sie, stieß die Tür auf und ließ sich nach draußen fallen. Alles in allem ging es so schnell, dass Alfredo Sevardo kaum mit dem Denken mitkam.
Jetzt stieß er einen wütenden Fluch aus.
Seine Hand zuckte zur Waffe, doch zu spät.
Mel Kowalski rollte über den Boden und feuerte kurz hintereinander zweimal.
Sevardo schrie getroffen. Die zweite Kugel hob ihn aus. Er kippte nach hinten und landete mit dem Kreuz auf der Motorhaube des Chrysler. Von dort glitt er langsam nach unten. Ein dünner Blutfaden sickerte aus seinem Mund. Seine Beine knickten ein. Er fiel um ... tot.
Mel Kowalski erhob sich. Ein triumphierendes Grinsen lag auf seinem Gesicht. „Ihr Idioten! Dachtet ihr wirklich, mit Mel Kowalski fertig werden zu können?“
Bingo Celentano regte sich im Fond. Kowalski begab sich zu ihm. Der Soldato riss erschrocken die Augen auf, als er in die Mündung seiner eigenen Kanone blickte. „Komm raus, Bingo!“, sagte der Killer frostig.
Der Mafioso glotzte verstört. „Dio mio, Mel, du wirst doch nicht ...“
„Raus aus der Blechschleuder!“, bellte Kowalski ungehalten.
Celentano quälte sich zitternd aus dem Wagen. Er massierte seinen schmerzenden Hals und hob dann langsam die Hände. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er schwitzte so stark, dass Kowalski es riechen konnte.
„W-wo ist Alfredo?“, stammelte Bingo Celentano.
„Den musste ich umlegen“, antwortete Kowalski mit einem höhnischen Grinsen.
Celentano gluckste: „Hör zu, Mel, das Ganze war nicht meine Idee. Du weißt, wie‘s in der Organisation zugeht. Sergio Patana erteilt einen Befehl, und wir müssen ihn ausführen. Egal, ob uns die Sache unter die Nase geht oder nicht. Patana ist der Boss. Was er anschafft, hat zu geschehen, Mel, das weißt du doch! Du hast ja selbst lange Zeit von ihm Befehle entgegengenommen. Ich hätte unmöglich nein sagen können. Patana wäre wütend geworden und hätte mich noch in derselben Stunde umlegen lassen. Ich war gezwungen, zu gehorchen, Mel, das verstehst du doch, oder?“
Kowalski zeigte die Zähne. „Mann, mir kommen gleich die Tränen. Verdammt noch mal, tu jetzt nicht so, als wär‘s dir lieber gewesen, wenn Patana jemand anders damit beauftragt hätte. Du warst sicherlich ganz versessen darauf, mal wieder unter Beweis zu stellen, was du auf dem Kasten hast. Und woran kann man sich besser messen als an Mel Kowalski, he? Nun, du siehst, dass du nicht mal halb so gut bist wie ich. Alfredo musste das inzwischen auch einsehen!“
Celentanos Miene wurde weinerlich. „Mel, ich flehe dich an, gib mir noch eine Chance.“
„Hättest du mir eine gegeben?“
„Mel. bitte!“
Kowalski zielte auf Bingo. Der Soldato wurde mit dieser enormen Nervenbelastung nicht mehr fertig. Er stieß einen heiseren Schrei aus, der von den Steinbruchwänden als zitterndes Echo zurückkam, wirbelte gleichzeitig herum und fing zu rennen an, ohne zu wissen, wohin er laufen sollte.
Kowalski schenkte ihm fünf Schritte.
Dann schoss er ihn eiskalt in den Rücken!