Kitabı oku: «Multilaterales Instrument», sayfa 3

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6. Bewertung

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Das BEPS-Projekt der OECD war ein wahrhaft historisches, internationales steuerpolitisches Vorhaben. Seine Umsetzung ist es auch – sowohl auf der zeitlichen Schiene als auch inhaltlich. Innerhalb kürzester Zeit haben sich die Staaten, deren individuelle Interessen teils gegensätzlicher nicht sein könnten, auf konkrete Ergebnisse geeinigt und schritten sodann nach gerade einmal zwei Jahren zu ihrer Implementierung. Dass die Sinnhaftigkeit des BEPS-Projekts durchaus bezweifelt werden darf, spielt daher angesichts seines Fortschritts heute keine Rolle mehr. Dennoch: Valide empirische/quantitative Untersuchungen zu Gewinnverlagerungen lagen, entgegen den Behauptungen des BMF, kaum vor, und auch dass die Probleme, dh die BEPS-Ursachen, zu einem Gutteil in der Steuerpolitik und Steuergesetzgebung der Staaten selbst zu suchen sind, ist nunmehr müßig zu betonen.

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Gerade Deutschland gibt hier kein gutes Bild ab. Wenn der Gesetzgeber etwa versucht, im Inbound-Fall über das Institut des Sonderbetriebsvermögens Besteuerungssubstrat in das Inland zu verlagern, dann nimmt es nicht Wunder, wenn im Outbound-Fall eben solches Besteuerungssubstrat verloren geht. Nur hat dies nichts mit BEPS oder gezielten Gewinnverlagerungen von Unternehmen zu tun, sondern ist die logische Folge einer konsequenten und systemgerechten Steuerpolitik, die von einem Staat, dessen Steuereinnahmen beständig ansteigen, hinzunehmen wäre.

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Mit anderen Worten: Das BMF ist einem klassischen, und, nota bene, vermeidbaren Paralogismus unterlegen, als es sich ohne Not zum Vorreiter im BEPS-Projekt aufgeschwungen hat, weil Ursache und Korrelation miteinander verwechselt wurden. Es mag ja sein, dass – um bei dem genannten Beispiel zu bleiben – in Einzelfällen durch Steuerpflichtige aufgrund des Sonderbetriebsvermögens ein doppelter Zinsabzug im In- und Ausland gestaltet wurde, nur liegt dies im Kern nicht in der behaupteten aggressiven Steuerplanung von Unternehmen oder ihren Beratern, sondern in der Tatsache begründet, dass der deutsche Gesetzgeber bereits auf rein nationaler Ebene sein Heil in der geradezu neurotischen Ausweitung der Gewerbesteuerbemessungsgrundlage gesucht hat.

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Zu guter Letzt wird auch die Rechtsanwendung durch das BEPS-Projekt und seine Ergebnisse nicht einfacher werden. Bereits die oben genannte, in seinem Fahrwasser am 17.6.2016 durch die Mitgliedstaaten im ECOFIN verabschiedete „Anti-Tax Avoidance Directive I“ wirft mehr Fragen auf, als sie löst, und auch das in diesem Kommentar behandelte Multilaterale Instrument wird die Lösung von praktischen, grenzüberschreitenden Steuerfällen nicht erleichtern.

II. Bedeutung des Multilateralen Instruments

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Mit Datum vom 24.11.2016 hat die OECD den finalen Text einer „Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS“ in englischer sowie französischer Sprachfassung veröffentlicht.[30] Zudem wurde ein begleitendes „Explanatory Statement“ erstellt. Eine „offizielle“ deutsche Übersetzung hatte sodann das BMF in seiner Eigenschaft als OECD-Mitglied der entsprechenden Ad-hoc-Arbeitsgruppe zeitnah vornehmen lassen,[31] die Ad-hoc-Arbeitsgruppe selbst hatte am 16.5.2017 sodann eine weitere deutsche Übersetzung angefertigt.[32] Letztgenannte Übersetzung liegt dem vorliegenden Kommentarwerk zugrunde. Der deutsche Titel des Vertragswerks lautet danach nunmehr: „Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung“.

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Ungeachtet des oben Gesagten ist das Multilaterale Instrument von immenser praktischer Bedeutung – das lässt sich heute schon absehen. Alle Steuerpflichtigen und Berater, die grenzüberschreitende Steuerfälle zu lösen haben, werden sich grundlegend damit befassen müssen, weil das Multilaterale Instrument in allen Steuerfällen, die einen konkreten DBA-Bezug haben, zu Rate zu ziehen ist. Innerhalb der Staatengemeinschaft, die das Multilaterale Instrument zeichnen wird, spricht man gar von über 1000 DBA, die potenziell durch das Multilaterale Instrument betroffen sein könnten. Aus deutscher Perspektive allein sind es aufgrund der knapp über 90 in Kraft befindlichen DBA zwar deutlich weniger, aber gleichwohl wird es – dafür muss man kein Prophet sein – die Rechtsanwendung im Internationalen Steuerrecht auf eine nie gekannte Komplexitätsstufe heben, mit der alle Beteiligten inklusive der Finanzverwaltung selbst noch lange zu kämpfen haben werden.

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Diese Komplexität ergibt sich einerseits aus der ganz praktischen Anwendung und ihren Problemen. Schon heute muss der Rechtsanwender neben zwei oder mehr nationalen Steuerrechten die Regeln eines DBA, die Auslegungshilfe in Gestalt des OECD-MA und des OECD-MK, sowie die zu einem DBA ergangenen Denkschriften, Protokolle und sonstige Nebenabreden beachten. Letztere enthalten nicht selten Überraschungen in Form von Ergänzungen zum Abkommenstext, weitere materielle Voraussetzungen oder sogar zum DBA kontradiktorische Äußerungen. Schon heute hat der Rechtsanwender zuweilen Mühe, Sicherheit über das Inkrafttreten eines DBA oder zumindest seine Ratifizierung zu erhalten. Die Website des BMF gibt hierüber, obwohl sie an sich länderbezogen aufbereitet ist und viel Wissenswertes bereithält, keine Auskunft.

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Nun also tritt daneben noch das Multilaterale Instrument als gewissermaßen neuer Regelungskomplex, welcher künftig heranzuziehen ist, um zu prüfen, ob und wenn ja, in welchen Punkten ein konkret bestehendes DBA zwischen zwei Staaten durch das Multilaterale Instrument geändert worden ist. Hinzu tritt die oben bereits genannten ATAD-Richtlinien der EU, die materiell einige wichtige Punkte des BEPS-Projekts aufgreifen und die sodann noch der Umsetzung in das nationale Recht der EU-Mitgliedstaaten bedürfen. Zudem ist auch die Umsetzung des Multilateralen Instruments selbst seitens des BMF in letzter Zeit als herausfordernd bezeichnet worden.

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Damit die vereinbarten BEPS-Maßnahmen zur Änderung von Doppelbesteuerungsabkommen in der Praxis wirksam werden können, müssen die bestehenden Abkommen entsprechend geändert werden (insbesondere hinsichtlich der Aktionspunkte 6 und 7). Die dazu erforderlichen bilateralen Verhandlungen würden sich angesichts der großen Anzahl der bestehenden Abkommen über einen (zu) langen Zeitraum hinziehen. Um diesen Prozess zu beschleunigen, sollte gem dem Aktionspunkt 15 des BEPS-Projekts und BEPS-Aktionsplans ein multilateraler Vertrag erarbeitet werden, der die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen „überschreibt“ oder ergänzt und die abkommensbezogenen BEPS-Empfehlungen flächendeckend in diese Abkommen implementiert.[33]

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In den meisten Bereichen haben die beteiligten Staaten und Jurisdiktionen einen (teilweise sehr weiten) Spielraum, welche Änderungen sie in ihre DBA übernehmen wollen. Mehr als 100 Staaten haben ab Februar 2015 bei der Erstellung des Multilateralen Instruments mitgewirkt, immerhin 68 von ihnen haben am 6.6.2017 in Paris in einem ersten Schritt gezeichnet. Bemerkenswert und zugleich bedauerlich ist es allerdings, dass es zum Aktionspunkt 15 und damit anders als bei allen anderen BEPS-Aktionspunkten keine echte öffentliche Anhörung und auch keine Veröffentlichung eines Diskussionsentwurfs gab. Welche Zwecke die OECD damit verfolgte, erschließt sich nicht. Es darf allerdings die Frage gestellt werden, ob es der Sinn einer Organisation wie der OECD sein sollte, ausgerechnet bei einem so wichtigen und für die Praxis der Vertragsstaaten relevanten Projekt quasi „im Geheimen“ zu operieren. Ein Gleiches gilt für das BMF, das in der Entstehungsphase des Multilateralen Instruments mit öffentlichen Informationen sehr zurückhaltend war und dessen Vertreter im Wesentlichen nur Allgemeinplätze von sich gegeben haben. Der – wichtige – fachöffentliche Diskurs kann so natürlich nicht geführt werden, aber möglicherweise war auch genau das beabsichtigt.

III. Aufbau und Inhalt des Multilateralen Instruments

1. Allgemeines

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Der gewählte Aufbau des Multilateralen Instruments ist aus zweierlei Gründen problematisch: Einerseits enthält es mit 39 Artikeln deutlich mehr Vorschriften als das OECD-MA selbst (und auch die meisten abgeschlossenen DBA), andererseits orientiert es sich in Aufbau und Inhalt nicht am OECD-MA (was nahegelegen hätte), sondern an den BEPS-Aktionspunkten (und auch dies leider nicht folgerichtig). Anderes wiederum hängt zwar sachlich durchaus mit den BEPS-Aktionspunkten zusammen (wie etwa die verbindliche Streitbeilegung), war aber in dieser Ausführlichkeit dort noch kein Thema.

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Auch die vom BMF in Auftrag gegebene deutsche Übersetzung des authentischen englischen bzw französischen Texts ist zu bemängeln. Warum man sich bei der Übersetzung nicht stärker an der Terminologie des OECD-Musterabkommens orientiert hat (was nahegelegen hätte), erschließt sich nicht. So wird im Multilateralen Instrument im Teil I beispielsweise von „Auslegung von Ausdrücken“ gesprochen, während das OECD-Musterabkommen von „Begriffsbestimmungen spricht“. Ferner ist nicht mehr von „verbundenen Unternehmen“, sondern von einer mit einem Unternehmen „eng verbundenen Person“ die Rede, Doppelbesteuerungen werden nicht mehr vermieden (sondern beseitigt), usw. Die Liste ließe sich fortsetzen. Es bleibt zu hoffen, dass sich für die Praxis dadurch nicht allzu viele Auslegungsschwierigkeiten, offene Fragen oder gar Wertungswidersprüche zu bestehenden DBA oder zu deren primärer Auslegungshilfe, dem OECD-Musterabkommen, ergeben werden.

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Zu beachten ist, dass nur die abkommensbezogenen Maßnahmen („treaty related issues“) aus den Ergebnissen des BEPS-Projekts in das Multilaterale Instrument Eingang gefunden haben. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Maßnahmen, die sich auf unerwünschte Steuerpraktiken beziehen, die aus der Anwendung von DBA resultieren. Fragen der Methodik der Verrechnungspreise bei immateriellen Wirtschaftsgütern etwa (BEPS-Aktionspunkt 8) sucht man hingegen beispielsweise zu Recht vergebens, weil hierfür ein DBA schlicht nicht der richtige Ort für eine Regelung wäre. Insofern werden also nationale „BEPS-Umsetzungsgesetze“ (dazu bereits oben) zum Einsatz kommen. Als abkommensbezogene Maßnahmen hingegen wurden identifiziert: Hybride Gestaltungen (Maßnahme Nr 2), Abkommensmissbrauch (Maßnahme Nr 6), künstliche Vermeidung von Betriebsstätten (Maßnahme Nr 7), Verbesserte Streitbeilegung (Maßnahme Nr 14) und Verständigungsverfahren.

2. Aufbau

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Das Multilaterale Instrument bedient sich zwei verschiedener Gruppen von Vorschriften. Die erste Gruppe enthält Vorschriften, die sich auf die Anwendung und Methodik des Übereinkommens selbst beziehen. Das sind vor allem die Schlussbestimmungen, aber auch vereinzelt andere Artikel (wie etwa Art 18 des Übereinkommens). Es handelt sich letztlich um Verwaltungs- und Verfahrensnormen. Die zweite Gruppe von Vorschriften beinhaltet schließlich das Sachrecht, dh die Normen, die bestimmte Artikel von bestehenden DBA inhaltlich ändern können.

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Der Aufbau des Multilateralen Instruments sieht im Detail wie folgt aus:


Teil 1 Geltungsbereich und Auslegung von Ausdrücken
Art 1 Geltungsbereich
Art 2 Auslegung von Ausdrücken
Teil 2 Hybride Besteuerungsinkongruenzen
Art 3 Transparente Rechtsträger
Art 4 Rechtsträger mit doppelter Ansässigkeit
Art 5 Anwendung von Methoden zur Beseitigung der Doppelbesteuerung
Teil 3 Abkommensmissbrauch
Art 6 Zweck eines erfassten Steuerabkommens
Art 7 Verhinderung von Abkommensmissbrauch
Art 8 Transaktionen zur Übertragung von Dividenden
Art 9 Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen oder Beteiligungen von Rechtsträgern, deren Wert hauptsächlich auf unbeweglichem Vermögen beruht
Art 10 Missbrauchsbekämpfungsvorschrift für in Drittstaaten oder -gebieten gelegene Betriebsstätten
Art 11 Anwendung von Steuerabkommen zur Einschränkung des Rechts einer Vertragspartei auf Besteuerung der in ihrem Gebiet ansässigen Personen
Teil 4 Umgehung des Betriebsstättenstatus
Art 12 Künstliche Umgehung des Betriebsstättenstatus durch Kommissionärsmodelle und ähnliche Strategien
Art 13 Künstliche Umgehung des Betriebsstättenstatus durch die Ausnahme bestimmter Tätigkeiten
Art 14 Aufteilung von Verträgen
Art 15 Bestimmung des Begriffs der mit einem Unternehmen eng verbundenen Person
Teil 5 Verbesserung der Streitbeilegung
Art 16 Verständigungsverfahren
Art 17 Gegenberichtigungen
Teil 6 Schiedsverfahren
Art 18 Entscheidung für die Anwendung des Teiles VI
Art 19 Obligatorisches verbindliches Schiedsverfahren
Art 20 Bestellung der Schiedsrichter
Art 21 Vertraulichkeit von Schiedsverfahren
Art 22 Regelung eines Falles vor Abschluss des Schiedsverfahrens
Art 23 Art des Schiedsverfahrens
Art 24 Einigung auf eine andere Regelung
Art 25 Kosten von Schiedsverfahren
Art 26 Vereinbarkeit
Teil 7 Schlussbestimmungen
Art 27 Unterzeichnung und Ratifikation, Annahme oder Genehmigung
Art 28 Vorbehalte
Art 29 Notifikationen
Art 30 Nachträgliche Modifikationen von erfassten Steuerabkommen
Art 31 Konferenz der Vertragsparteien
Art 32 Auslegung und Umsetzung
Art 33 Änderungen
Art 34 Inkrafttreten
Art 35 Wirksamwerden
Art 36 Wirksamwerden von Teil VI
Art 37 Rücktritt
Art 38 Verhältnis zu Protokollen
Art 39 Verwahrer

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Unschwer lässt sich die inhaltliche Nähe zu einzelnen BEPS-Aktionspunkten erkennen, auch wenn einige Aktionspunkte inhaltlich in mehrere Artikel übersetzt bzw integriert worden sind. Hier mag fürs Erste der Hinweis genügen, dass das Multilaterale Instrument in der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Artikel nicht wesentlich von den Empfehlungen der OECD aus den Ergebnissen zu den einzelnen Aktionspunkten abgewichen ist, auch wenn sich freilich auch in diesen viele ungelöste Einzelfallprobleme stellen. Insofern sei der Leser auf die einzelnen Reports zu den BEPS-Aktionspunkten bzw die nachstehende Kommentierung des Multilateralen Instruments verwiesen.

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Abseits dessen bleibt zu erwähnen, dass auch die OECD selbst allerlei Klärungs- und Präzisierungsbedarf zu sehen scheint. Allein die „Explanatory Statements“ zum Multilateralen Instrument finden auf knapp 90 Seiten Platz, und dem Vernehmen nach soll ähnlich dem OECD-MK ein eigener Kommentarteil zu dem mehrseitigen Abkommen erstellt werden. Ob darin „nur“ die BEPS-Ergebnisse Eingang finden oder diese noch freischaffend fortentwickelt werden, bleibt abzuwarten.

IV. Methodik der Anwendung

1. Allgemeines

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Anders als das OECD-MA ist das Multilaterale Instrument keine bloße Auslegungshilfe bei der Interpretation eines bestehenden DBA. Es setzt vielmehr materielles Recht insoweit, als ein konkret bestehendes DBA zwischen zwei Mitgliedstaaten durch das Multilaterale Instrument unmittelbar geändert wird. Dies geschieht rechtstechnisch allerdings nicht dergestalt, dass der konkrete Text eines bereits bestehenden DBA durch das Multilaterale Instrument geändert wird, sondern das Multilaterale Instrument legt sich gewissermaßen wie ein zweiter Regelungskreis über das bestehende DBA. Diese Methodik rührt aus der Zielsetzung her, einerseits die Ergebnisse des BEPS-Projekts nicht durch eine langwierige separate Neuverhandlung der bestehenden DBA, sondern gewissermaßen uno actu und zeitgleich umzusetzen, andererseits aber den bilateralen Vertragsparteien die Möglichkeit zu geben, ein bestehendes DBA fortzuentwickeln. Insgesamt betrachtet ist das Multilaterale Instrument ein sehr vielschichtiges Instrument, das den Vertragsparteien eine ausreichende Flexibilität gewähren soll und deshalb eine Reihe von Vorbehalten sowie die Auswahl unterschiedlicher Optionen ermöglicht.

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Anders als vor seiner Veröffentlichung kolportiert wurde, ist das Multilaterale Instrument systematisch allerdings nicht modular in der Weise aufgebaut, dass die unterzeichnenden Staaten einzelne Artikel oder einzelne Absätze innerhalb dieser Artikel positiv wählen können bzw müssen, um diese im Einzelfall auf ein DBA anzuwenden, sondern die OECD hat sich – vermutlich aus Praktikabilitätsgründen – für eine grundlegend andere Konzeption entschieden (sog Opting-out-Modell): Das Multilaterale Instrument gilt vielmehr, wenn es vorbehaltslos gezeichnet wird, im Ganzen, und nur durch die Vorbehalte („reservations“, siehe Art 28 des Abkommens) werden einzelne Artikel oder einzelne Absätze innerhalb dieser Artikel von der Geltung ausgeschlossen.

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Was dabei herauskam, ist der Sache nach eine Art Matrix der gewählten Artikel oder einzelner Absätze innerhalb dieser Artikel im Verhältnis zu anderen unterzeichnenden Staaten. Nur insoweit sich diese Wahl deckt, wird auch ein konkretes DBA geändert. Der jeweilige Artikel gibt im Abkommenstext auch klar vor, ob er ganz oder teilweise als nicht bindend gewählt werden kann. Im Übrigen schreibt das Multilaterale Instrument eindeutig fest, dass es ein rechtliches Nebeneinander von abgeschlossenen DBA und Multilateralem Instrument geben wird. Beispiel: Deutschland und Frankreich entscheiden sich bei der Unterzeichnung des Multilateralen Instruments, hinsichtlich des Art 13 keinen Vorbehalt zu machen. Die Vorschrift bezieht sich auf den Negativkatalog des Art 5 Abs 4 OECD-MA. Entsprechend wird Art 2 Nr 7 lit. b) des DBA Deutschland-Frankreich gem der gewählten Option A oder B unmittelbar durch das Multilaterale Instrument geändert.

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Mit der Option A oder B, die im Übrigen in Art 13 explizit zur Wahl gestellt sind, ist bereits ein weiteres Charakteristikum des Multilateralen Instruments angesprochen, nämlich die Flexibilität, die die OECD selbst lobend herausstellt. Flexibel ist das Instrument in der Tat, weshalb später in der Beratungspraxis auch genaues Augenmerk darauf zu legen ist, mit welcher Variante der Geltung es der Steuerpflichtige zu tun hat. Einerseits nämlich besteht für die unterzeichnenden Staaten die Möglichkeit, einzelne, bereits geschlossene DBA von dem Anwendungsbereich des Multilateralen Instruments auszunehmen. Dies wird insbesondere dann praktisch werden, wenn sich ein DBA bereits in Neuverhandlung befindet und man die Ergebnisse des BEPS-Projekts daher einfacher im bilateralen Wege umzusetzen könnte. Andererseits ist ein Opting-out hinsichtlich der Artikel oder einzelner Absätze dieser Artikel überhaupt nur möglich, soweit es sich nicht um Vorschriften handelt, die den sog „BEPS Minimum Standard“ wiedergeben oder soweit der unterzeichnende Staat nachweisen kann, dass dieser Standard bereits in dem konkret geschlossenen DBA umgesetzt ist. Bei den Minimum Standards handelt es sich um die BEPS-Aktionspunkte 5, 6, 13 und 14. Ihnen liegt die Überlegung zugrunde, dass die Möglichkeit eines vollständigen Opting-outs die Zielsetzung des BEPS-Projekts vollständig konterkarieren und das Multilaterale Instrument so zu einem zahnlosen Tiger würde. Insofern müssen dieses Standards entweder über das MLI oder durch bilaterale Verhandlungen umgesetzt werden.

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Abgesehen davon ist es, wie bereits oben angedeutet, den unterzeichnenden Staaten möglich, einzelne Artikel oder Teile dieser Artikel für sich oder gegen sich gelten zu lassen, wenn und soweit es der jeweilige Artikel vorsieht. Manchmal sehen die Artikel auch explizit mehrere Optionen oder alternative Vorschläge vor, die die unterzeichnenden Staaten wahlweise in Kraft setzen können. Im letztgenannten Fall allerdings wird nicht mit dem Vorbehalt nach Art 28 zu arbeiten sein, sondern es muss eine explizite Wahl durch die unterzeichnenden Staaten erfolgen. Auch hier aber wird ein konkretes DBA nur geändert, soweit zwischen den Vertragsparteien Deckungsgleichheit bei der Wahl der optionalen oder alternativen Vorschriften besteht.

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Mit Ausnahme der Vorschriften zur Änderung des Verständigungsverfahrens haben die unterzeichnenden Staaten damit in allen Bereichen – teilweise sehr weitreichende – Möglichkeiten, Vorbehalte zu äußern. Die Vorbehalte können so weit gehen, dass die vorgesehene Änderung in den DBA eines Staates nicht umgesetzt wird. Dort, wo mit dem Multilateralen Instrument die (politisch) verbindlichen Mindeststandards umgesetzt werden, besteht nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit, der Änderung gänzlich nicht zuzustimmen. Diesen Mindeststandard beschreibt die Pflicht zur Einführung einer Präambel, die Pflicht zur Einführung einer allgemeinen abkommensrechtlichen Missbrauchsklausel (Aktionspunkt 6 des BEPS-Aktionsplans) sowie die Pflicht zur Verbesserung von Streitbeilegungsmechanismen (Aktionspunkt 14 des BEPS-Aktionsplans). Wo dagegen verschiedene Möglichkeiten bestehen, den Mindeststandard zu erfüllen, haben die Teilnehmer die freie Entscheidung, wie sie dies bewerkstelligen wollen.

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Änderungen, die nicht im Rahmen des Multilateralen Instruments unterschrieben werden, können jedoch auch im Rahmen von bilateralen DBA-Verhandlungen aufgenommen werden. Regelungen müssen dann in eigenständigen Revisionsprotokollen zu aktuellen DBA umgesetzt werden, also im Verhandlungswege. Insoweit unterscheidet sich die Vorgehensweise nicht von der bisherigen Vorgehensweise bei Neuverhandlung oder Neuabschluss eines DBA.

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Nach alldem hat also der Rechtsanwender bei der Anwendung des Multilateralen Instruments auf einen grenzüberschreitenden Steuerfall nach Art einer mehrstufigen Prüfung wie folgt vorzugehen:


1. Stufe: Prüfung, ob der jeweilige Anwenderstaat ein Signatarstaat des Multilateralen Instruments ist (für Deutschland gegeben) – dies ist sowohl für den Ansässigkeits- als auch für den Quellenstaat zu prüfen
2. Stufe: Prüfung, ob und wann das Multilaterale Instrument in Kraft getreten ist – dies ist sowohl für den Ansässigkeits- als auch für den Quellenstaat zu prüfen
3. Stufe: Prüfung, ob und wann das Multilaterale Instrument wirksam geworden ist – dies ist sowohl für den Ansässigkeits- als auch für den Quellenstaat zu prüfen unter Beachtung möglicher Vorbehalte zur wechselseitigen Konsultation oder zur Durchführung nationaler Abstimmungsprozesse
4. Stufe: Prüfung, ob ein konkretes DBA als „erfasstes Steuerabkommen“ (covered tax agreement) unter das Multilaterale Instrument fällt und als solches auch notifiziert worden ist – dies ist sowohl für den Ansässigkeits- als auch für den Quellenstaat zu prüfen
5. Stufe: Prüfung, ob einzelne Artikel zur Gänze abgewählt worden sind – dies ist sowohl für den Ansässigkeits- als auch für den Quellenstaat zu prüfen unter Beachtung einer möglichen asymmetrischen Anwendung
6. Stufe: Prüfung, ob einzelne Absätze von Artikel abgewählt worden sind – dies ist sowohl für den Ansässigkeits- als auch für den Quellenstaat zu prüfen
7. Stufe: Prüfung, welche Optionen ein Staat gewählt hat, sofern ein Artikel mehrere Optionen vorsieht – dies ist sowohl für den Ansässigkeits- als auch für den Quellenstaat zu prüfen

8. Stufe: Im Fall späterer Änderungen eines bilateralen DBA, welches durch das MLI geändert wurde, Prüfung, ob ein Staat immer noch Vertragspartei des MLI ist und das jeweilige DBA immer noch als erfasstes Steuerabkommen notifiziert ist