Kitabı oku: «Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I», sayfa 3
Die Fahrt dauerte lang. Eilig betriebsam schleppten Menschenmassen ihr Hab und Gut in Koffern und Paketen mit sich: erschöpfte Menschen. Es war eine Völkerwanderung! Nach mehrmaligem Umsteigen und einem wunderbaren, heißen Tee mit darin umher tanzenden Zitronenflocken, setzte sich unser Zug Szczecin-Stargrad für die letzte Etappe unserer Reise in Bewegung. Bei jedem Halt wurden die Abteilstüren sperrangelweit geöffnet. Fahrgäste kamen und gingen mit ihrem ungewöhnlichen Gepäck. Gregorz und ich setzten uns ans Fenster, dennoch ließ uns dieses Gewusel nachts nicht schlafen. Tagsüber sogen wir dafür förmlich die sich vor unseren Augen verschiebenden Landschaften auf. Ich konnte nicht mehr sitzen und musste auf die Toilette, also kämpfte ich mich den Durchgang entlang durch die aneinander gedrängten Reisenden und ihr Gepäck. Durch das Türfenster des letzten Waggons beobachtete ich die Gleise. Wir fuhren über eine Brücke - über die Oder; eine furchteinflößende Brücke. So unendlich lang, nur aus Gleisen, die nur auf einer schmalen Unterlage befestigt waren. Wie wenn diese Unterlage schweben würde über dem faul dahinließenden grauen Fluss. So zart war diese kunstvolle Konstruktion, dass sie unter dem tosenden Zug jeden Augenblick mit uns in den Fluss stürzen könnte. Ich hatte ganz vergessen wofür ich mich bis hierher durchgekämpft hatte. Es war eine lange Reise, meine Erinnerungen daran verschwimmen mit dem monotonen Zugrattern. Das letzte Stück nach Kamień Pomorski, bis zur verlassenen Ruine seines stilechten Bahnhofs fuhren wir mit dem Pferdewagen. Die Russen hatten die Bahngleise, welche die Ortschaft mit der Welt verbindeten mitgehen lassen.
Mein geliebtes Kamień Pomorski
Mama und Rysia erwarteten uns. Nach einem kurzen Marsch durch die menschenleeren Straßen erreichten wir unsere Wohnung: drei Zimmer und eine Küche im zweiten Stock; in einem der drei Grundschulgebäude – gegenwärtig die Jan-Długosz-Str. Nach einiger Zeit wurde Grzegorz abgeholt, zurück zu seiner Mutter, die nicht nach Warszawa zurückgekehrt war, sondern sich in Wrocław wiedergefunden hatte. Zwar verliefen entlang der Schule Bahngleise, doch hier fuhren keine Züge. Etwas weiter entfernt befanden sich Gebäude und Anlagen der Lokschuppen. Die Gebäude standen leer. Genau hierhin zog es uns Jungs, umso mehr, da es beim Lokschuppen ein Kran zum Beladen der Dampflokkohlewägen gab. Er erinnerte an ein Karussell und so nutzen wir ihn auch. Eine Reihe Wägelchen stand auf der Schmalspur, die zur Kohleverladestelle führte. Wir hoben das mit einem Stahlseil an den Kran befestigte Wägelchen an. Wie man einen Eimer aus dem Brunnen mit einer Kurbel herauszieht, gab es hier zwei Kurbeln, an denen je zwei Jungs benötigt wurden, um das Wägelchen, in dem der Glückliche saß, anzuheben und das Karussell drehen zu können. Mit Sperrklinken wurden die Kurbeln gesichert. Aus ganzer Kraft schoben wir nun den Wagen an. Jeder wartete auf seine Reihe, um dieses faszinierende Kettenkarussell zu erleben. Doch eines Tages rutschte mir beim Anheben des Wagens die Kurbel aus den Händen, brach mir die Finger meiner linken Hand und schnitt die Haut auf. Mit einem Lappen verband ich meine Hand, damit man das Blut nicht sah, damit die Eltern davon nicht erfuhren. Ihr Gerede, ihre Verbote und Einschränkungen meiner Freiheit brauch ich nicht. Meine Hand verheilte, doch ein Finger ist bis heute krumm gebliben, denn so wollte es die Natur. Meine Eltern haben nichts von alledem mitbekommen. Sie waren von den außergewöhnlichen Nachkriegsjahren vollends in Anspruch genommen.
Rysia und ich besuchten die nahe gelegene Schule. Ich kam in die zweite Klasse, jedoch beschlossen die Lehrer nach einiger Zeit mich in die dritte Klasse zu versetzen. Zwar war ich viel jünger als die anderen Drittklässler, doch der Unterbrechung ihrer Schulzeit des Krieges wegen, hatten sie viel aufzuholen. Außerdem versprachen sich die Lehrer von meiner Höherstufung, dass mich der Einfluss meiner älteren Mitschüler zügeln würde. Und tatsächlich, in der Schule trieb ich keinen Unfug mehr, dafür boten mir die älteren Jungs Zigaretten an. Doch es sollte nicht sein, dass ich in die Fänge der Sucht falle. Den stickigen und brennenden Rauch empfand ich abstoßend.
Papa war nur selten zu Hause. Er hatte viel zu tun, da er in der Aufsichtsbehörde des Bildungswesens Szczecin den Wiederaufbau des Schulwesens in der gesamten Wojewodschaft verantwortete. Außerdem organisierte er Lehrerseminare für zukünftige Pädagogen. Währenddessen erwartete Mama ein weiteres Kind. Niemand hatte Zeit, auf mich aufzupassen. Einem Jungen gefällt das natürlich. Denn damals war ich wie all meine Freunde in den Fängen einer neuen Leidenschaft gefangen. Gleich nach der Schule hörte man es flüsternd: „Wir gehen schabern (na szaber)!"
Einige Quellen besagen, dass die Kriegshandlungen Kamień Pomorski zu 70% zerstört haben. Tatsache ist, dass das Rathaus ausgebrannt war, der Bahnhof zerstört war sowie die Molkerei und am meisten sichtbar war das Bombeneinschlagsloch in der örtlichen Brauerei unten am Kai. Kamień Pomorski war wie ausgestorben. Die leerstehenden Wohnungen waren noch vollständig eingerichtet, wie wenn sie auf neue Bewohner warten würden. In leeren Sraßen standen die Türen der verlassenen Häuser offen. Es machte großen Spaß, die Straßen entlang zu gehen und Fensterscheiben mit Steinschleudern einzuschlagen. Wir betraten die Wohnungen und zerrissen wunderschön gebundene, mit deutscher Gotik bedruckte Bücher. „To szwabskie - das ist deutsch!" Diese Worte waren die einzige Rechtfertigung unserer jugendlichen Gedankenlosigkeit. Wir gingen in die Keller, in denen reihenweise Eingemachtes in den Regalen stand. Mit Stöcken, die unabdingbare Gesellschafter unserer Expeditionen waren, schlugen wir enthusiastisch in Gläser voll mit Gutem aus Sommertagen.
Wenn wir etwas fanden, was uns gefiel, nahmen wir es mit, wie wenn es uns gehörte. Nicht selten trafen wir auf Erwachsene. Sie verjagten uns, nahmen aber selbst auch was sie irgendwie gebrauchen könnten. Die Szabersleut wüteten in den verlassenen Wohnungen und Häusern. Sie trugen alles heraus, womit man nur handeln konnte. Daher stammt das Wort „Szaberplac", also ein Platz, auf dem geplünderte Güter verkauft wurden. Auch die russische Armee trug zur Verwüstung dieser Gebiete bei. Sie eigneten sich alles an: Eisenbahngleise, eiserne Brücken, Maschinen, doch am liebsten nahmen sie ganze Fabriken auseinander, die sie bei sich wieder aufbauten. Doch zurück zu den ehemals deutschen Mietshäusern in Kamień Pomorski. Scheibenlose Fenster und Dächer, die nicht selten ihrer guten Dachziegel oder Bleche beraubt waren, konnten die Gebäude nicht mehr schützen vor Wind und Wetter. Sie verkamen zu Ruinen, bis schließlich die kommunistischen Herrscher die Überreste dieser Altbauten dem Erdboden gleichmachten und an gleicher Stelle sozialistische Wohnblöcke erbauten, wie sie bis heute stehen.
Es war Anfang Dezember 1945, Schnee war gefallen. Eines Abends durften wir unsere Wohnung nicht betreten. Unsere Nachbarin nahm uns zu sich und sagte, dass wir bei ihr schlafen würden, weil Mama krank sei. „Aber macht Euch keine Sorgen. Morgen gibts eine Überraschung", fügte sie geheimnisvoll hinzu. In der Früh des 5.Dezember kamen wir ins elterliche Schlafzimmer. Mama lag im Bett. Sie winkte uns zu, uns vorsichtig ihrem Bett zu nähern. „Ihr habt ein kleines Schwesterchen", flüsterte sie uns zu. „Wollt ihr sie sehen", schaute sie uns fragend an. Ich nickte. Mama beugte sich über das kleine Bettchen neben dem elterlichen. Zuerst beugte sich Rysia hochgespannt drüber, richtete sich aber sofort wieder auf und auf ihrem Gesicht erschien eine Grimasse: „Ganz schön hässlich und klein", sagte sie und ging zu ihren schönen und großen Puppen. Nach einem Augenblick erblickte auch ich das kleine Geschöpf. So winzig und so wehrlos! Und was für große Äuglein sie hat. Ich lächelte Mama zu. „Mami, sie ist wie ein kleiner Frosch (Żaba)", flüsterte ich. Żabcia, Żaba, Żabulek. Damals nannte niemand unser kleines Schwesterchen anders. Unser Mädchen sollte den Namen Joanna erhalten. In der Behörde schrieb der Sachbearbeiter Johanna auf und der nächste korrigierte den Fehler auf Hanna. Und so ists geblieben.
Schnell waren die ersten Nachkriegs-Weihnachtsfeiertage vergangen und das Neue Jahr 1946 wurde mit einem Knall aus von uns inszenierten Explosionen begrüßt. Überall lag Munition! Damals wühlten alle Jungs in Munition. Einige gingen an die Bucht und warfen die Ladungen ins Wasser, um die Fische zu ertauben. Schießpulver gab es im Überfluss - man musste es lediglich aus jeglicher Art von Geschossen aushülsen, die auf den Straßen, Höfen und in verlassenen Gebäuden zuhauf umherlagen. Warnungen unserer Eltern und Lehrer überhörten wir, solange es zu keiner Tragödie gekommen war.
Doch eines Tages kam es in unserer Straße zu einer ungeheueren, von einer riesigen Staubwolke begleiteten Explosion. Unweit der Schule stand ein langes, gemauertes Haus. Zwei Burschen, die in desem Haus wohnten hatten eine Panzerfaust gefunden. Sie nahmen sie mit in den Keller, wo es zur Tragödie kam. Beinahe gänzlich wurde das Haus zerstört. Die gesamte Nachbarschaft kam zusammengelaufen. Ich lief voraus, dort waren schließlich meine Freunde! Ätzender Rauch verschloss den Kellereingang. Lange konnten wir den Keller nicht betreten. Jedoch fand ich mich als erster unten und was ich dort vorfand, kann man nur schwer vergessen. Auch Rysia war unter den herbeigelaufenen Schulkindern. Von diesem Tag an fürchtete sie sich alleine einen Keller zu betreten. Dieser Unfall führte uns vor Augen, wie gefährlich unsere Spielchen waren. Trotzdem verschwanden die Schießpulversäckchen nicht aus unseren Hosentaschen.
Mit dem ersten Frühlingstauwetter zogen wir um in ein Zwei-Familienhaus mit abschüssigem Dach in der Konopnicka-Str. 12. Die andere Hälfte bewohnten die Herrschaften Wiśniewski. Den Innenhof teilte eine hohe, rissige Mauer. Parallel zum Wohnhaus befanden sich Wirtschaftsgebäude, die ebenfalls an die Mauer anlagen. Hinter dem Gebäude breitete sich der Obstgarten aus; mit einer Hecke vom Feld abgetrennt, welches auch zu uns gehörte. Zwei Stufen führten zur Eingangstür. Die Nachbarn waren sehr herzlich und ein breiter Riss in der Mauer erleichterte den Austausch der neuesten Nachrichten. Rysia und ich hatten zwei Zimmer im oberen Stockwerk: ein Spiel-, ein Schlafzimmer. In unserem Stock befand sich außerdem ein Badezimmer und eine ungenutzte Küche. Im Erdgeschoss befand sich die zweite Küche, das Speisezimmer und das Elternschlafzimmer. Am Flurende ging es in Papas wunderschönes Arbeitszimmer. Unter der Treppe in einer hölzernen Wand befanden sich zwei Türen. Eine führte in den Keller, die andere in eine beträchtliche, reich sortierte Speisekammer. Nach den hungrigen Kriegszeiten begannen wir nun wirklich herrlich zu essen. Wie Pilze nach dem Regen waren private Metzgereien, Bäckereien, Konditoreien und Geschäfte mit den schmackhaftesten Leckereien aus dem Boden gesprossen.
Mama hatte eine Unmenge an Verpflichtungen mit der Betreuung der kleinen Żaba sowie der Haushaltsführung und Papa - wie üblich - war wochenlang nicht da. Er beschäftigte sich nicht nur mit dem Schulwesen, sondern engagierte sich ebenfalls politisch. Im Namen des PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe, welches für ein unabhängiges, demokratisches Polen einstand) gründete er WICI-Kreise, also die Jugendorganisation der PSL. Nach Hause kam Papa zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten, doch meistens nachts, wenn wir schon schliefen. Nur selten sahen wir ihn. Wenn er mal da war, hielt er sein Motorrad immer im Garten hinter dem Wirtschaftsgebäude versteckt. Warum nicht im Schuppen, fragte ich mich.
Es war das Jahr 1946. Auf den Straßen lag noch schmutziger Schnee, doch es roch schon nach Frühling. Ich war auf dem Weg zum Schulsportplatz. Im Schulgebäude standen die Fenster weit offen. Plötzlich traf mich ein Schneeball. Auf solch eine Provokation musste ich reagieren, also packte ich in die Mitte meines Schneeballs einen Stein und warf ihn in Richtung der Provokateure in den Fenstern. Und wieder schlug ich eine Fensterscheibe ein. Zur Strafe durfte ich nicht am Unterricht teilnehmen. Ich war sauer, denn ich fühlte mich ungerecht behandelt. Ich hab doch nicht angefangen! Ich zeigs ihnen, dachte ich mir. Also ging ich zu den hölzernen Schultoiletten (Plumpsklos) am hinteren Ende des Sportplatzes. Aus meiner Hosentasche holte ich eine große, aufgerissene Patrone und ein Schießpulversäckchen, mischte eine kleine Sprengstoffladung zusammen und zündete sie an. Ich wusste: sobald dünne Flammen aus dem Geschoss zu sprühen begannen, heißt es werfen und sofort weglaufen. Also ließ ich das Geschoss in der ersten Kabine fallen und versteckte mich hinter der nahe gelegenen Böschung ... Bumm!!! Die Explosion war unerwartet effektiv: Holzstücke und brauner Brei flogen durch die Luft, es stank furchtbar. Lehrer und Schüler kamen aus der Schule gelaufen; ich lief heim. Der besorgten Mama habe ich schnell etwas geantwortet und ging von selbst brav Holz hacken, um mein schlechtes Gewissen rein zu waschen. In der Schule konnten sie sich schnell zusammenreimen, wer die Toiletten in die Luft gejagt hat. Boshaft winkte mir eine Schulfreundin mit einem Briefumschlag zu, als sie mir auf der Straße begegnete: „Ha! Ich habe von der Schule einen Brief an Deine Eltern! Du wirst schon sehen, was für eine Tracht Prügel Du bekommst! Das wirst Du noch bereuen! Hahaha", verspottete sie mich. Das konnte ich nicht ertragen. Mit Fäusten warf ich mich auf das Mädchen, riss ihr den unglückseligen Brief aus der Hand und riss ihn in Fetzen.
Ich im Jahr 1946
Abends rief mich Papa mit keinen Widerspruch duldender Stimme in sein Arbeitszimmer: „Was hast Du heute angestellt?"
„Ich habe eine Fensterscheibe eingeschlagen", sagte ich leise.
„Und was noch", fragte er weiter in unangenehm amtlichem Tonfall.
„Das Klo habe ich in die Luft gesprengt."
„War das alles", fragte Papa weiter.
„Nein, Krysia habe ich geschlagen."
„Und was noch?"
„Den Brief habe ich zerrissen", antwortete ich.
Ich wusste: das Maß war voll. Papa befahl mir einen Stuhl zu holen, er holte aus dem Schrank einen Ledergürtel. Naja, ich habs abbekommen. Drei brennende Streifen spürte ich am Hintern. So sehr hats gar nicht weh getan, aber mein Stolz und meine Würde litten. Nach der „Exekution" hörte ich: „Geh zu Mama und entschuldige Dich bei ihr."
Im Jahr 2007 besuchte ich Kamień Pomorski und meine alte Schule. Die Gebäude standen noch, doch waren sie nun Wohnhäuser. „Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie vielleicht jemanden", sprach mich eine ältere Dame an, die in ihrem Garten arbeitete. Wir unterhielten uns eine Weile über die Nachkriegsjahre und die Schule: „Ja, irgendein Schüler hatte mal die Toiletten in die Luft gejagt. Daran kann ich mich gut erinnern", bestätigte meine Gesprächspartnerin. So viele Jahre waren vergangen seit dieser Explosion und dennoch fand sich eine Zeugin meiner Leistung – kaum zu glauben!
Wie ich nur konnte nutzte ich die fehlende Beaufsichtigung meiner Eltern aus. Mich begann der Yachthafen zu interessieren bzw. eher die ausgebrannten Boote und Yachten. Am zerstörten Steg standen die Längsseiten und Maste der versunkenen Wasserfahrzeuge aus dem Wasser. Einige waren stark beschädigt und flösten Angst ein mit ihren von Geschossen hineingerissenen Löchern. Offene Kabinentüren offenbarten ihr dunkles, mit Wasser angefülltes Innere. Das einzige fahrtüchtige Schiff oder Boot war ein Zweimaster der Seefahrer-Pfadfindergruppe (Trotz meines Alters wurde ich anstatt bei den Wölflingen, in die Pfadfinder oder genauer in die Gruppe der Wassersportler aufgenommen). Durch die Bucht werden wir segeln und am Ufer biwakieren. Doch ich konnte die Segeltörns nicht erwarten. Ziutek, mein Kumpel aus der Schulbank, und ich wollten sofort unser eigenes Boot haben. An der Hafenmole unweit des Ufers machten wir ein versunkenes, kleines Beiboot aus. Die Schwierigkeit bestand darin, dass es mit einer Kette an einen Pfahl befestigt war. Wir zogen uns aus und gingen ins Wasser. Mit meinem Taschenmesser, das ich immer bei mir habe, höhlte ich aus dem Holzbalken die Metallöse: Das Boot war unser. Mit alten Dosen begannen wir, das Wasser herauszuschöpfen. Dann zogen wir es an Land. Eine Unmenge an Arbeit lag vor uns. Nachdem wir es vom Schlamm sauber gewaschen und dann getrocknet hatten, zeigte sich, dass es sogar dicht war. Wir suchten uns Ruder zusammen und konnten endlich „auf große Fahrt“ gehen, während uns die anderen Jungs beneideten.
Der erste Törn des Pfadfinder Segelschiffs stand bevor. Aufgeregt erzählte ich Mama vom morgentlichen Appell an der Mole. Doch Mama hatte Angst um mich und wollte mir nicht erlauben in See zu stechen. Dennoch stimmte sie schließlich zu: „In Ordnung, Du darfst zum Appell, aber davor musst Du Holz hacken. Alleine schaffe ich das alles nicht und Papa ist nicht da." Sie hoffte natürlich mich mit dieser zusätzlichen Beschäftigung davon abzuhalten, pünktlich zum Appell zu erscheinen und auf diese Weise zu verhindern, dass ich mit dem Pfadfindersegelboot davon segel. Zufälligerweise hatte auch Ziuteks Mama eine unerwartete Arbeit für ihn, so dass wir beide verspätet durch die leeren Straßen zum Hafen eilten. Wir hofften so sehr, dass sie auf uns warten würden. Leider haben sie nicht gewartet. Als wir an der Bucht ankamen, sahen wir den majestätisch, vollgetakelten Zweimaster nur noch aus der Ferne. Erschöpft und enttäuscht, aber richtig enttäuscht, setzten wir uns nieder. Der leichte Wind kühlte unsere vom Laufen erhitzten Körper und runzelte das Wasser ein wenig.
Der Wind wurde stärker, aus Westen zogen dunkle, regengetränkte Wolken heran. Auf dem Wasser wälzten sich schon recht gehörige Wellen. Plötzlich bemerkten wir, dass das Segelschiff mit den Pfadfindern auf der Stelle stand, stark schaukelte und die Segel willenlos flatterten. „Etwas schlimmes ist passiert! Irgendwas ist nicht in Ordnung! Wir müssen helfen, das Schiff ist doch voller Kinder!" Unterschiedlichste Gedanken schwirrten in unseren Köpfen. „Ziutek, schnell, lassen wir unser Beiboot zu Wasser und fahren ihnen zu Hilfe, sie ertrinken sonst", rief ich. „Wir müssen sie retten! Ich werde rudern und Du schüttest das Wasser über Bord", fügte ich eilig hinzu als ich merkte, dass über eine Bordseite Wasser eindrang. Mühsam kämpfte sich unser Boot durch immer größer werdende Wellen. Aus ganzer Kraft lehnte ich mich in die Ruder, die Wellen schaukelten unsere Nussschale, so dass Wasser nicht nur über die beschädigte Bordseite eindrang. Ziutek arbeitete mit der Blechdose immer schneller, trotzdem wurde das Wasser mit jeder Schräglage mehr. Noch ein bischen! Wir kommen näher und gleich können wir helfen! Wir sind da, endlich! Ich blickte in Richtung Segelschiff. Die Segel flatterten weiterhin im Wind, doch die Gesichter der Kinder waren entspannt. Einer der älteren Gruppenleiter winkte uns freundlich zu: „Wie gut, dass Ihr gekommen seid, ich muss möglichst schnell ans Ufer. Ich habs eilig in die Arbeit. Das hier dauert doch länger als gedacht“, rief er freudig zu uns rüber und wir schauten ihn verwundert an. Unsere Aufregung ließ uns kein einziges Wort über die Lippen bringen. Schließlich schrie ich: „Aber wir sind für die Kinder … die Kinder müssen wir retten! Also was jetzt? Wer kehrt mit uns zurück?“ Doch die Kinder sahen keineswegs erschrocken aus. Sie waren begeistert vom Geschaukel. „Ihr bewegt Euch doch nicht von der Stelle ...“, fügte ich hinzu. „Alles ist in Ordnung. Wir müssen nur das Tauwerk richten und dann kommen wir ruhig ans Ufer zurück. Macht Euch keine Sorgen um uns“, erwiderte ein anderer Gruppenleiter. „Nehmt nur den Kollegen mit, denn er hats eilig!“ Der erste Gruppenleiter sprang in unser Boot, welches dadurch so ruckartig aufschaukelte, dass schon wieder Wasser eindrang. Er griff die Ruder und schnell fuhren wir Richtung Yachthafen. Es wurde kalt und es begann zu regnen. Durchnässt und durchgefrohren legten wir am Ufer an. Auch der Zweimaster näherte sich nun dem Hafen.
Als wir abends durch die dunklen, nur vom Mond beleuchteten Straßen nach Hause eilten, hallte das Echo unserer Schritte in den leeren Straßen wider. Zu Hause brannte Licht, Mama saß über den Küchentisch gelehnt. Ganz leise ging ich hinein, denn ich spürte schon, dass ich mal wieder was ausgefressen habe. „Ist Papa da“, fragte ich in der Hoffnung, dass er noch nicht von der Arbeit zurückgekehrt war. Mama schaute mich streng an, doch man konnte ihre Erleichterung über meine Rückkehr ekennen. „Papa ist da. Dychu, zieh Dir trockene Sachen an und dann sollst Du gleich zu ihm ins Arbeitszimmer kommen.“ „Na toll“, dachte ich mir, „genau heute muss er nach Hause kommen.“ Ich klopfte an die Tür und hörte ein leises „bitte“; ich betrat das Arbeitszimmer. Das Fenster war mit fleischigen, Plüschvorhängen zugezogen. Kein Wunder, dass ich von draußen nicht bemerkt hatte, dass Papa da ist. Eine stilechte Tischlampe aus Messing mit Lampenschirm beleuchtete das Zimmer sanft. Papa saß neben dem Bücherschrank voller in Leder gebundener Bücher. Schüchtern stellte ich mich neben den ledernen Klubsessel. Papa sah mich an und fragte: „Sag mir bitte, warum kommst Du so spät nach Hause?“
Ich begann zu erzählen: wie ich mich zum Appell verspätet hatte, dass ich die Kinder retten musste, dass die Wellen sich so aufgetürmt hatten und dass es so schnell dunkel wurde … . Ich sprach und sprach, aber Papa war in Gedanken und hörte mir irgendwie gar nicht zu. „Hast Du auch mal an Mama gedacht, dass sie sich Sorgen macht, weil Du so lange von zu Hause weg bist“, fragte er. Ich ließ den Kopf hängen und Papa sprach weiter: „Wenn Du nur an Dich denkst, dann wirst Du jetzt Gelegenheit haben, in Ruhe und Abgeschiedenheit über Dein Vorgehen nachzudenken. Ich will von Mama keine weiteren Beschwerden über Dein Verhalten hören. Und jetzt folgst Du mir.“ Wir verließen das Arbeitszimmer, Papa schritt die Treppe hinab in den Keller. Er öffnete ein Kellerabteil. Lauter leere Kartone lagen umher. Er wies mich an, in das Abteil zu gehen und sperrte die Tür hinter mir mit einem Schloss ab. „Hier bleibst Du und hier wirst Du schlafen“, sagte er und löschte das Licht als er den Keller verließ. Obwohl ich Strafe verdiente, hegte ich gegen Papa Groll, weil er meine noblen Motive nicht wertschätzte. Tastend aber geschickt machte ich mir aus den Kartons ein sogar recht bequemes Bettenlager, auf das ich mich legte und mit einem anderen Karton zudeckte. Hungrig war ich wie ein Wolf, doch zum Abendessen rief mich niemand. Ich war gerade dabei einzuschlafen, als plötzlich das Licht anging. Ich hörte leise, schmächtige Schritte, die sich meinem „Gefängnis“ näherten. Nach einer Weile erkannte ich Rysia. Sie hielt ein belegtes Brot in Händen, welches sie mir durch die Holzplanken hindurch reichte. „Das ist von Mama“, sagte sie, lief aus dem Keller und machte das Licht wieder aus.
Dass sie sich ganz alleine in den Keller wagte!? Bestimmt stand Mama an der Tür und wartete auf sie. In völliger Dunkelheit schlang ich das leckere Canapé herunter und zufrieden legte ich mich wieder aufs Bettlager aus Karton. Nach einigen Minuten ging das Licht an. Mama öffnete das Schloss. Auf ihren Lippen zeigte sich ein zartes Lächeln, sie streckte mir ihre Arme entgegen und flüsterte: „Komm zu mir, mein Armer. Wir gehen jetzt ins Bett.“ Sie drückte mich an sich und ich spürte, dass es wieder gut war.
Am nächsten Tag redeten in der Schule alle über unsere waghalsige Rettungsaktion im aufgewühlten Meer: wie wir uns mit unserem winzigen Boot durch die riesigen Wellen hindurchschlugen, um schließlich den Gruppenleiter mit ans Ufer zu nehmen. Auch meine Eltern erreichten diese Erzählungen. Erst dann begannen sie mir zu erklären, welch großer Gefahr wir uns ausgesetzt hatten. Da Mama Wasser fürchtete, warnte sie mich häufig, nicht an die Bucht und schwimmen zu gehen. Natürlich hörte ich nicht auf sie. Doch ich gelangte zu dem Schluss, dass unser Beiboot nicht optimal war und wir etwas solideres brauchten. Im Schilf unweit des Hafens entdeckte ich eine verlassene Holzyacht. Wasser war in ihre Kabine eingedrungen, aber an Deck konnte man sich problemlos bewegen. „Vielleicht bekommen wir das Wasser raus, so wie beim Beiboot“, dachte ich. Vor meinen Augen sah ich schon meine wunderschöne, mit Messingbeschlägen glänzende Yacht, wie der Wind ihre Segel ausfüllte.
Zwischenzeitlich fand ich am Świniec-Kanal an der Landstraße nach Dziwnów einen metallenen Militär-Ponton - ca. 2m x 2m groß. Bis heute frage ich mich, weshalb er in weiß-rot bemalt war?! Sofort erzählte ich Ziutek von meinem Fund. Gleich nach der Schule inspizierten wir ihn. Einvernehmlich beschlossen wir, ihn an den Kai zu bringen. „Wir müssen ihn an Land transportieren“, entschied Ziutek. „Bei meinem Onkel habe ich einen Anhänger gesehen, sicherlich borgt er ihn uns aus“, fügte er hinzu. „Super! Sprich mit ihm gleich heute. Am besten wäre es, ihn übermorgen zu transportieren, da haben wir nur drei Schulstunden“, sagte ich. „Ich denke, bis zum Abend sollten wir es schaffen.“ Gleich nach der Schule zogen wir den Anhänger an den Kanal. Der Ponton war höllisch schwer. Wir zogen ihn ans Ufer und mit fast übermenschlicher Kraftanstrengung gelang es uns ihn auf das Wägelchen zu schieben. Doch er rutschte immer wieder runter, also zog einer von uns den Wagen, während der andere hinten aufpasste und schob – immer abwechselnd. Die mühselige Reise zum Hafen begann: ständig mussten wir Schlaglöchern ausweichen oder Steigungen bezwingen. Schließlich hatten wir unseren Schatz am Ziel: im Hafen, wo unser „Wasserfahrzeug“ unter unseren Freunden großes Aufsehen erregte. Wir planten eine Yacht draus zu machen. Doch zweifelnde Mienen und negative „Expertenmeinungen" ließen uns diese Idee schnell wieder fallenlassen. Im Schilf wartete doch meine echte, wunderbare Yacht – aber leider voller Wasser. Doch der Ponton erwies sich als äußerst hilfreich, denn er war unversenkbar. Wir machten ihn an der Yacht fest und begannen von ihm aus, das Wasser aus der Yacht zu schöpfen. Naiv glaubten wir, es mit Eimern zu schaffen. Doch im Rumpf musste ein großes Loch sein, denn trotz unserer Bemühungen wurde das Wasser nicht weniger. Schließlich fanden wir uns damit ab, dass wir die versunkene Yacht nicht bergen werden. Zum Trost kam uns unsere kindliche Vorstellungskraft: Dank ihr fanden dennoch Expeditionen zu den entlegensten Orten statt … .
Die Schule fiel mir leicht, dennoch musste ich unseren Referendar um Hilfe bitten. Er zeichnete herrlich, während ich für die Abschlussnote keine einzige Zeichnung abgegeben hatte, welche ich eigentlich im Laufe des Schuljahres hätte zeichnen sollen – ungefähr zehn Stück. Meine künstlerischen Fähigkeiten waren erbärmlich. Ich spürte das Messer an der Kehle. Franciszek wohnte neben der Schule, also lief ich zu ihm mit einem Stapel leerer Blätter Papier. Außer Atem kauerte ich auf dem Stuhl neben dem Tisch, an welchem er saß und zeichnete. „Na, was versteckst Du da, Dychu“, fragte er und sah mich an. Ich zog die Blätter raus und erklärte ihm mein Problem. Franek lachte, nahm einen Bleistift und fragte: „Was soll ich zeichnen?“ Schnell zauberte er mit seiner geübten Hand schneebedeckte Berge und Fichten mit Schneemützen, auf gefrohrenen Seen Schlittschuh laufende Kinder, ein Mädchen mit Hund und einen auf einer Parkbank sitzenden Schneemann hervor. Im Handumdrehen entstand eine Zeichnung nach der anderen. Nun durfte ich in die vierte Klasse!
Endlich waren meine ersten echten Sommerferien da! Auf uns Pfadfinder wartete ein Törn nach Dziwnów und dort das Pfadfinderlager: – echte Militärzelte mit Pritschen. Es gab auch eine militärische Feldküche; am Rand des Lagers befand sich im Wald die Latrine, d.h. ein im Sand ausgehobener Graben und darüber eine lange Holzlatte, auf die man sich setzte. Eine weitere Latte etwas höher, diente als Rückenlehne. Das Lager bestand im Grunde aus einem Jungen- und einem Mädchenlager. Nachts pirschten wir uns ins Mädchenlager, um ihnen die Seile ihrer Zelte loszumachen. Das Geschrei war unglaublich und wir hatten einen Heidenspaß. Unsere Freundinnen wollten es uns heimzahlen, doch wofür gibt es Wachmänner!?
Am meisten Spaß machten Nachtwanderungen, bei denen wir mit dem Kompass navigierten. Wald- und Strandwanderungen sowie Übernachtungen in eigenhändig erbauten Hütten waren fantastische und unvergessene Abenteuer. Hier verliebte ich mich in das Vagabundenleben - eines echten „Włóczykij“ [wutschickie-j].
Das Sommerlager ging zu Ende, doch Ferien in Kamień Pomorski boten unabhängig davon eine Menge Attraktionen. Meine schwimmerischen Fähigkeiten perfektionierte ich von Tag zu Tag. Das war nicht mehr so ein Schwimmen wie im Głęboczek, als ich Papa zeigen wollte, wie gut ich schwimmen kann. Damals im „Känguru-Stil“: dabei stößt man sich mit einem Bein vom Boden ab und springt wie ein Känguru, während man mit den Armen das Wasser auseinander treibt. Interessiert beobachtete Papa meine Anstrengungen, während Rysia mich boshaft auslachte. Diesen Stil kannte sie hervorragend. Sie schwamm genauso.
Jeden Tag waren wir an der Hafenmole, zogen uns aus, legten unsere Sachen sorgsam auf einen Balken der Molekonstruktion und sprangen nackt ins Wasser. Wir sprangen von den hervorstehenden Brettern kopfüber oder auch mit dem Gesäß voran. Das Wasser spritzte nur so. Wir lachten viel. Doch als wir mal wieder im Wasser herumtobten, hatte unser Kumpel Jakub eine blöde Idee. Als er eine Gruppe Mädchen in Richtung Mole gehen sah, versteckte er unsere Sachen, doch was noch schlimmer war, er verriet es den Mädels. Wir sahen die Mädchen kommen und wollten uns anziehen ... . Kichernd ärgerten sie uns und wir Armen, versteckten uns im Wasser, im Schatten der Mole. Lange dauerte es, bis Jakub uns die Sachen zurückbrachte. In der Zwischenzeit war uns ordentlich kalt geworden. Daraufhin schlossen wir den Verräter aus unserer Klicke aus. Dennoch folgte er uns die ganzen verbliebenen Sommerfeien, langweilte sich jedoch ungemein.