Kitabı oku: «Der blaue Kavalier», sayfa 3
»Und königlich hat diese hohe, unglückliche Frau geirrt!« rief William eifrig. »Die Majestät wird doch gleich das Parlament versammeln, gegen den Kaiser rüsten und mit allen braven englischen Herzen ausziehn, um der beraubten Elisabeth zu ihrem Lande zu verhelfen?!«
»Ausziehn? Unser Herr? Das Parlament berufen? — Wo denkt Ihr hin, Sir? — Wisst Ihr denn nicht, wie schlimm er mit den Gemeinen steht? Dass sie ihm wohl mit den alten Forderungen und Klagen auf den Leib rücken, aber keinen Rosenoble bewilligen werden, es sei denn, er demütige sich? Dazu des Volkes Hass gegen Mylord Buckingham und dieser neue unselige Prozess Lord Bacons. Unser armer Herr kann ja nichts tun, Ihm sind die Hände überall gebunden! Hätte er aber auch Geld und Truppen, kann er denn offen gegen den Kaiser ins Feld ziehen? Würde sich denn nicht das Heiratsprojekt zwischen dem Prinzen Carl und der Infantin Maria gleich zerschlagen, das mit so vieler Mühe glücklich in Gang gekommen?!«
»Für den künftigen Vorteil des Sohnes also«, entgegnete William heftig, »lässt der König die Tochter im Elend?! O, nie hat’s ’ne herzlosere, unwürdigere Politik in England gegeben, und Schmach wie Unglück wird das Ende sein!«
»Aber Junge, Junge, was geht Dich denn das an? Kannst Du den Weltlauf ändern? Willst Du Sr. Majestät weisliches Regiment tadeln? Jeder schläft, wie er sich bettet! Ist der Kurfürst von unserem Herrn nicht gewarnt worden genug? Musste ihn denn der Teufel reiten, mit dem Kaiser anzubinden?«
»Ob der Kurfürst Recht tat oder nicht, das weiß Gott allein, er ist dafür genug gestraft, Vater! So viel aber weiß ich, dass, wenn ein Kind so in Unglück, Schmach und Trauer gekommen, wie Elisabeth, ein Vater helfen muss! Einem wahren Könige steht es wohl an, mit dem Schwerte seinem Kinde Recht zu verschaffen, statt sich hinter politische Rücksichten und jene spanische Heirat zu verkriechen, die das Volk wie die Pest hasst und verwünscht! Woher dieser Hader im Lande, der Trotz der Parteien, die man sich über den Kopf wachsen ließ, als um Günstlinge zu mästen, die da enden wie Rochester, und nun Bacon, der, groß und weise als Denker, mit greisen Haaren auf der Höhe seines Ruhms vor den Schranken der Lords zitternd bekennen muss, er sei doch nur ein Schuft und Blutsauger seines Landes gewesen?! Hatte die tote Elisabeth je Furcht vor den Gemeinen, und legte das Volk ihr nicht Gut und Blut zu Füßen, wenn’s Ehr und Glauben und eine gute Sache galt? Wenn jener Geist der Kühnheit und der Liebe, des Rittertums und Opfermuts noch wie in ihren Tagen in den Seelen unseres feigen Krämergeschlechts lebte, die Tochter Englands sollte nicht vergebens in der Fremde weinen und ihre Hände hilflos nach der Heimat strecken! Für einen Mann im Lande wenigstens steh’ ich gut!«
Damit stürmte der junge Mann hinaus. Staunend blickten ihm beide nach. —
William barg seine furchtbare Erregung in seiner einsamen Klause. Die Schlacht am weißen Berge hatte auf einmal seinem Leben die rechte Deutung, seinen nebelhaften Phantastereien ein greifbar Ziel gegeben. Durch das Unglück war ihm Elisabeth näher gerückt, menschlicher geworden. Der Wunsch, sich ihrem Dienst zu weihen, war kein fernes unbestimmtes Sehnen mehr, es war ihm Pflicht, Naturnotwendigkeit geworden. Er sah seine Liebe zu ihr, den Ritterschlag und ihr jetzig Elend als etwas Zusammengehöriges, — eine Veranstaltung Gottes an, um ihn zum Retter der Frau zu machen, welche mit ihm einen wunderbar geheimnisvollen Seelenbund geschlossen. Sein Entschluss, das Vaterhaus zu verlassen, nach Deutschland zu gehen und der Kurfürstin seinen Degen anzubieten, stand fest, er erwog nur noch die Art, das zu bewerkstelligen, und die Mittel, welche ihm hierbei zu Gebote standen.
Während dieses alles wie mit Feuerflammen noch durch sein Hirn loderte, trat der Vater bedächtig und lauernden Blickes zu ihm ein. Die Gefühlsexpektorationen seines Ältesten hatten ihn denn doch stutzig gemacht, und nach Trehearnes Weggehen sah er sich veranlasst, dahinter zu kommen, inwieweit sein Argwohn sich bewahrheite.
»Was ist denn das mit Dir, William, dass Du Worte sprichst, die sich eher für’n Puritaner, für den Pym, Elliot oder Hollis im Parlament als für’n gehorsamen Untertan schicken, den Seine Majestät obenein zum Ritter schlug?«
»Ja, zum Ritter, und ritterlich drum und treuer, als der König selbst, will ich handeln! Seit ich weiß, diese edle Frau sitzt in so namenlosem Jammern, leidet mich’s hier nicht mehr! Ich muss weg, Vater! Nach Deutschland! Und für altenglische Ehre und Stuarts Tochter das Schwert ziehen! Das ist das Rittertum, dessen ich wert bin, und das sie auf die Stirne mir geküsst hat in der Guildhall, da sie noch nicht ahnte, sie gehe lächelnd in ihr Elend!«
»Und Du glaubst, ich bin Narr genug, das ruhig anzusehen?« schrie der Hofschneider außer sich. »Ich glaube gar, er ist in sie verliebt! —Heiliger Georg, will der Mensch hinüber laufen und sich für ’ne verjagte Frau totschlagen lassen! O willst Du nicht gar auf meine Kosten ’ne ganze Rotte landloses Volk auflesen und als blauer Ritter ins Blaue reiten?«
»Warum nicht!«
»Das wirst Du bleiben lassen, Mensch!« kreischte der Alte. »Hab’ ich darum gearbeitet, darum Vermögen erworben, dass Du’s mit solcher Windbeutelei vertun darfst? Bist Du darum zu Ehre und Ansehen gekommen, um in die Welt zu rennen und wie’n deutscher Landsknecht hinter der ersten besten Hecke zu sterben, statt daheim Glück, Gunst und Gewicht zu erlangen? Wenn Dich der Ehrgeiz schon so kitzelt, gibt’s im Lande nicht genug Gelegenheit, Dich vorwärts zu bringen? Willst Du ins Parlament, sag’s, ich will Dich bei der Wahl schon durchbringen, und wenn Du halbwegs Dein Maulwerk brauchst für den König, wie vorhin gegen Trehearne, kann Dir’s nicht fehlen! Mit dem Fortlaufen in den Krieg aber bleibe mir vom Leibe, oder — so wahr ich Dich liebe, nicht ’nen Fahrding geb’ ich Dir mehr! Ich will Dir zeigen, dass Du doch noch in meiner Gewalt stehst!!«
»Ins Parlament? Ich? — Um für den König zu reden, diesen König, der sein Kind verleugnet? Der für seinen Günstling das Volk plündert? Nun, wahrhaftig, Pym und Hollis, sag’ ich Euch, würden Lämmer an Sanftmut neben mir sein! Das wäre für den — Hofschneider freilich ’n Todesstoß! Beim ewigen Gotte, dass Jakob so sein Kind verlässt, wird ihm einst fürchterlich selber heimkommen! Am eigenen Volke wird er die Untreue noch erleben, die er an Elisabeth bewiesen hat! Ich will mit ihm nichts mehr zu tun haben, will sein Ritter nicht sein! Wenn ich je durch die Tat meinem Stande und Namen Ehre mache, allein fürs Recht der verlassenen Elisabeth soll’s geschehen!«
»Schon gut, Du setzt Deinen Kopf auf! Aber ich habe auch einen, Sir, und sage Dir, Sir, bei meinem Vaterfluche, Du wirst still sitzen hier im Lande und leben, wie Du gelebt hast! Eher in den Tower wegen Deiner gotteslästerlichen Reden über die Majestät sollst Du, als dass ich so alle Hoffnungen, die ich auf Dich setzte, wie Spreu und Rauch verfliegen seh’! Das merk’ Dir. Nun tu’, was Du Lust hast!«
Der wütende Hofschneider ließ seinen verzweifelnden Sohn allein. William bestand jetzt einen Kampf mit sich, der ihn bis hart zur Narrheit führte. Nach diesem Gespräch war nur ewige Trennung vom Vater oder gehorsame Unterordnung möglich. — Die Pietät und Vernunft siegte. — Was konnte er, mittellos, verlassen von den Seinen, einer Frau nützen, die an ihrem eigenen Grame gerade genug zu tragen hatte? Was ihm vorher so hoch und heilig erschienen war, wenn er’s im Verein wackrer Herzen, von der Hoffnung des Volkes begleitet, unternahm, wie elend und lächerlich sah es nun aus, wie eine Irrfahrt, von einem einsamen, bettelhaften Abenteurer unternommen. In den Staub mit seinem brechenden Herzen sank sein nutzloses Rittertum, der hohe Minnedienst für Maria Stuarts Enkelin. —
Der Sohn des Hofschneiders beugte sich seinem Schicksale. Aber nicht leicht und willig wie ein feiger Schwächling, sondern finster, grollend über sein Geschick und mit düsterer Melancholie, die sich wie ein Bahrtuch jetzt über alle seine Wünsche legte. Teilnahmslos gegen alles, vegetierte er von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr, mit schmerzvoller Bitterkeit das Wechselspiel des Krieges in Deutschland betrachtend, und wie Georg von Baden-Durlach, Ernst von Mansfeld, der wilde Christian von Braunschweig, Graf Thurn und Christian von Dänemark vergebens den großen Ringkampf gegen Habsburg kämpften, mit jeder Niederlage, die ihnen Tillys Arm bereitete, die Hoffnung Friedrich V. von der Pfalz geringer, Elisabeths Zukunft aussichtsloser ward. Musste es ihn nicht ebenso wie die ganze englische Nation mit Verachtung erfüllen, dass Jakob mit den Summen, welche man ihm zu kriegerischer Unterstützung seiner bedrängten Kinder bewilligt hatte, die glänzenden Marmorhallen Whitehalls vollendete?
Vom Plafond des Bankettsaales, der seinesgleichen kaum in Paris hatte, blickte Rubens’ prunkvolle Apotheose des königlichen Jakob auf den Beschauer in einer Zeit herab, in der dieser Monarch die schmählichsten Beweise seiner Erbärmlichkeit und Beschränktheit als Mensch wie Monarch gab und von den Höfen zu Madrid und Wien am diplomatischen Narrenseil gelenkt wurde, um ihn politisch ganz ohnmächtig zu machen! —
Williams düstrer Seelenzustand, sein fast einsiedlerisch Abschließen, seine unverhohlene Disharmonie mit dem Vater hätten jeglichem auffallen, die Veranlassung hierzu den Insassen von Cravenhaus auch ohne weitere Auslassungen bald bekannt werden müssen. Im ersten Überwallen seines Zorns aber hatte der Hofschneider mit höchst unzarter Schwatzhaftigkeit die Pläne und Wünsche des »blauen Ritters« dem spöttischen Urteile seiner Umgebungen preisgegeben. Mit wahrer Höllenfreude stimmte Edward in den Zorn des Alten ein, begünstigte den Riss zwischen ihm und dem Bruder auf alle Weise, bemächtigte sich ganz des Vaters Vertrauens, überschüttete William bei jeder Gelegenheit mit dem spitzen Geschoss seiner Sarkasmen und demütigte das heiligste Gefühl in dessen Brust durch spießbürgerlich plumpe und lächerliche Anspielungen. Oft war William ihm gegenüber in einer Seelenverfassung, wo er des Äußersten fähig gewesen wäre, hätte nicht die Heiligkeit der Blutsverwandtschaft und das Sittengesetz in seiner Brust ihn von Dingen zurückgehalten, die nur Reue, Schmach und ewiger Bruch mit den Seinen im Gefolge haben konnten. Man lebte notgedrungen wohl zusammen, aber es war ein trauriges, liebloses Leben.
Ende des Jahres 24 trat aber ein Ereignis ein, das die drückende Schwüle zu Cravenhaus plötzlich unterbrach, seine Bewohner aufs Lebhafteste beschäftigte und das Einerlei ihres Daseins mit dem Reize des Geheimnisvollen durchflocht. Ein ziemlich zerlumpter Kerl, wie deren im Comptoir des Hofschneiders eben nicht oft gesehn wurden, trat eines Tages plötzlich in dasselbe und fragte nach Mister Craven, dem Hofschneider.
»Ihr meint Sir Craven?« entgegnete Edward trocken. »Was habt denn Ihr mit ihm zu schaffen?«
»Sir oder Mister, das ist gleich, in der Grube fault er genauso sicher, als ob er’s Hosenband am Knie hätte. Was ich von dem Hofschneider will? — Das werd’ ich ihm selber sagen.«
»Ich bin Mister Edward, sein Sohn, Freund, und das ist ebenso gut. Der Sir ist nicht für Leute Eures Schlags zu haben!«
»Hm, seht mir an! Ja, ja, beim Schneider tun’s die Kleider, aber ’s liebe Geld noch mehr. So sage ich Euch denn, dass Ihr Eurem Vater kundtut: ’n Bote von Harry Welby wolle ihn gleich sprechen! Er ist gewohnt, dass man seiner Aufforderung folgt!«
Edward machte große Augen. —
»Sir — Sir Harry Welby meint Ihr? — Den — den Esquire von Lincolnshire?«
»Na ja!«
»Den — den in der Grubstreet doch?«
»Ja doch!«
»Wartet! Seid so gut und setzt Euch! Mein Vater soll gleich zu Diensten sein!«
Damit stürzte Edward in die Werkstatt, der Bote aber lachte hell auf und machte vom ersten besten Stuhle Gebrauch.
»Vater, Vater!« eilte Edward an den Zuschneidetisch. »Denk’ nur, der reiche Esquire von Lincolnshire schickt her und will Dich sprechen!«
Alle Köpfe richteten sich staunend empor ob dieser Nachricht.
»Wer? Sir Welby, sagst Du? Der in der Grubstreet? Der reichste – lumpenhafteste Mann Londons? Schade, dass er weder ehrlich ist noch ’n adlig Haus hält, da kann er nicht viel werden. — Seit 40 Jahren, Leute, kam er nicht aus seinem alten düstern Hause. Niemand kennt ihn, doch ist er stets in aller Munde. Was in der Welt kann der mit mir haben?!« —
Der Hofschneider eilte ins Comptoir, Edward hinter sich.
»Also von Esquire Welby kommt Ihr, Freund?« redete er den Boten an. »Soll ich denn zu ihm kommen, wie?«
»Das weiß ich nicht; glaub’s kaum. Da ist ein Brief.«
Der Hofschneider erbrach hastig das Schreiben, Edward blickte ihm gespannt über die Schulter.
»Schickt mir gleich einen Eurer Söhne, den, der am besten maßnehmen, auch leidlich nähen kann, er soll bei mir arbeiten. Wie lange ich ihn brauche, weiß ich nicht, 20 Pfund auf den Tag werden wohl genug sein. Lasst es indes den Herzhaftesten sein, ’s dürfte sonst zu seinem und Eurem größten Schaden gereichen. Harry Welby.«
Vater und Sohn sahen sich starr an, lasen den Brief abermals, und ihr Staunen blieb unvermindert, ja schwankte bereits lebhaft zwischen Furcht und Begehrlichkeit. — Harry Welby war das Geheimnis von ganz London. — Man trug sich mit den schrecklichsten und zugleich abenteuerlichsten Gerüchten über ihn, die dieser Brief nur leider zu sehr zu bestätigen schien. Was dieser Mann auch Gutes oder Schlimmes getan haben oder noch tun mochte, sein ungeheurer Reichtum und seine unsichtbare Gewalt, die, wie man sagte, bis zum Throne sich erstreckte, machten ihn für die bürgerlichen Gesetze unantastbar. 20 Pfund Lohn für den Tag waren indes ein ungeheures, noch nie verdientes Geld, das sich Craven doch nicht entgehen lassen konnte. Was für ’ne Schneiderarbeit musste aber das wohl sein, welche Mut erforderte? Craven wie Edward bekamen eine gelinde Gänsehaut bei diesem Gedanken. Welby besaß jedenfalls die Mittel, der Familie Craven auf eine ebenso geheimnisvolle Art zu nützen, als zu schaden, wie es denn auch bekannt war, dass er hinter alles zu kommen verstand, was ihm eben zu erfahren beliebte.
»Na, wird’s bald? Antwort oder nicht!«
»Ja, ja!« schrak der Alte auf. — »Sag’, Edward, willst Du?«
»Jjj — nnnein! — Nein, ich nicht, Vater, so gern ich Euch sonst gehorche! — Seht, — was — was man so gewöhnlich Mut — Kriegsmut nennt, da — da ist mir der William doch voraus. Hat’s ja geübt mit seinem Fechten und Reiten. Will ich denn ’n blauer Kavalier sein? Gott behüt’ mich! Als Schneider leb’ ich und sterb’ ich! Hat er so große Lust, übers Wasser in den deutschen Krieg zu ziehen und für Frau Elisabeth seine Glieder zu wagen, wird er doch wohl für seines Vaters Beutel auch Mut genug haben, dem Esquire einmal unter die Augen zu gehen. Maßnehmen kann er, und so viel nähen am Ende auch.«
Der Bote lachte wieder. — Craven ging ganz verstört hinüber in Williams Kabinett, wo er denselben über seinen Büchern fand. Mit einer gewissen Schüchternheit, die aus dem Gefühle entsprang, den guten Willen dessen jetzt beanspruchen zu müssen, welcher mit ihm seit langer Zeit auf gespanntem Fuße stand, reichte er ihm Welbys Brief.
»Edward will nicht zu dem Esquire, er fürchtet sich. Willst Du nicht hin und mir — ausnahmsweise — das schöne Geld verdienen? ’s ist zwar unter unserer Würde, außer’m Hause zu arbeiten, und für Dich, ’nen Ritter, erst recht, aber bei ’nem Manne, der einem — so nützen und schaden kann, dacht’ ich, würdest Du’s wohl tun. Wer erfährt’s denn?«
William blickte regungslos auf die Schrift, indes der Alte in ihn liebevoll dringend hineinredete. Langsam stand er auf und blickte mit finsterem Spott auf den Vater.
»Ich gehe hin! Vielleicht trägt’s so viel ein, wie ich Euch seither gekostet habe.«
»Mein lieber Junge, wie Du so ’was nur reden kannst! — Du willst also wirklich hin? Wirklich? Sieh’ das ist schön, das macht mir Freude, Gott segne Dich!«
Damit eilte er hastig ins Comptoir zurück.
»Er geht hin, William wird gleich kommen!«
Der Bote lachte und erhob sich.
»Also in der Grubstreet, dicht bei Cripplegate, das graue hohe Haus rechter Hand. Lebt wohl.«
»Wollt Ihr denn nicht ’n Schillingsstück für den Gang nehmen? Und hört, braucht denn der Esquire kein Zeug zu dem Gewande, das er will?«
»Wer mich schickt, bezahlt mich auch. Wenn Welby bloß ’nen Schneider will, so will er kein Zeug, sonst hätt’ er’s geschrieben.«
»Aber herzhaft, Mensch, soll doch einer sein! Es – es geschieht doch nichts Gottloses da?«
»Haha, das weiß ich nicht. Wenn Euer Sohn Furcht hat, so bleibe er heim.«
William trat eben, den Brief in der Hand, ein.
»Wer spricht von Furcht? Ich habe gesagt, ich komme; das ist genug.«
»Willst Du Dir keine Waffe mitnehmen?« sagte der Hofschneider halblaut und bänglich an ihn herantretend.
»Eine Waffe? Nein. Ich gehe, um dem Esquire Dienste zu leisten, nicht mit ihm zu streiten. Ich fürchte nichts mehr im Leben, am wenigsten die Schrecken, welche mir Esquire Welby, haha, bereiten mag! Gott ist um mich überall, und dieser Mann sein Geschöpf so gut, wie ich.«
Der Bote sah William starr an.
»Hoho, Herr, habt Ihr wirklich so viel kalt’ Blut? — Desto besser, Ihr könnt es, wo Ihr hingeht, brauchen!«
»Ihr habt doch welches, da Ihr um den Esquire seid?«
»Ich um den Esquire? — Ich kenne ihn nur aus seinen Wirkungen, die aber machen Mannesseelen mürbe. Gehabt Euch wohl!«
Der Bote schritt hinaus. Der Hofschneider und Edward standen noch immer starr und träumend.
Ohne ein Wort weiter zu erwähnen, traf William seine Zurüstungen, hing den Mantel um, und dem Vater zunickend, verließ er das Haus, um dem Rufe des sonderbaren Briefes zu folgen.
Die Gedanken, mit welchen sich der Hofschneider in den ersten Stunden nach Williams Entfernung beschäftigte, waren zwischen Befürchtungen für dessen Sicherheit, der Berechnung des wahrscheinlich zu hoffenden ansehnlichen Gewinns und den Mutmaßungen geteilt, welcherlei Arbeit der reiche Sonderling wohl von seinem Ältesten verlangen könne. Edward hingegen war froh, dass er einer so fatalen Aufgabe entgangen war, und William sich durch seine trotzige Kühnheit hatte verleiten lassen, eine Weile demjenigen Gewerbe zu huldigen, für das ihn der Vater seit dem Ritterschlage zu vornehm gefunden.
Es vergingen drei, vier Tage, eine Woche, William kehrte nicht zurück. — Das Personal begann unruhig zu werden, besonders Doderidge. Man erging sich flüsternd in allerlei Mutmaßungen. Der Hofschneider begann schlecht zu schlafen und von beängstigenden Träumen gequält zu werden. Selbst Edward, der sonst nie Neigung für William hatte blicken lassen, ihm höchstens ein negatives Interesse gewidmet hatte, konnte eine steigende innere Aufregung nur mühsam unterdrücken und war einsilbig wie noch nie. War’s vielleicht eine Reaktion seiner besseren Natur, oder etwa die peinliche Erwartung einer Katastrophe, die ihn für immer von dem stolzen Erstgebornen, dem Teilhaber am väterlichen Vermögen erlöse? Er hütete jedenfalls seine Zunge und suchte eine Gleichgültigkeit zu heucheln, die niemand im Hause teilte, und welche er in Augenblicken, wo er sich nicht genug bewachte, selbst Lügen strafte. —
Die zweite Woche neigte sich ihrem Ende, und William erschien nicht wieder. Da litt es den Alten nicht länger. Eine unerklärliche Angst überfiel ihn, und er sprach laut aus, dass er nach der Guildhall oder nach Mansion-Haus gehen, in seiner Not beim Lordmayor und den Aldermans Rats holen wolle. Edward bestärkte ihn eifrig darin, und der Hofschneider machte sich auf den Weg.
Sir Baptist Hicks von Campden, der große Seidenhändler, zur Zeit mit der obersten Würde der Stadt betraut und seines menschenfreundlichen Wohltätigkeitssinns wegen berühmt, hörte die Besorgnisse Cravens mit Ruhe an und sah den Brief des Esquire.
»Dagegen, Sir, so leid mir’s tut, ist nichts zu machen. Wer mit Welby anbindet, mag sehen, wie er fertig wird. Dieser Brief ist so gut wie ein Vertrag. Trotz seiner eigenwilligen und gefahrdrohenden Bedingungen habt Ihr freiwillig Euren Sohn, großen Lohnes wegen, dem Esquire überlassen. Der junge Mann ist gleichfalls freiwillig zu ihm gegangen, hat sich also die Folgen selbst zuzuschreiben. Ihr habt auf nichts Anspruch, als das Geld, und zwar so lange, als Euer Sohn nicht in Eure vier Pfähle zurückgekehrt ist, was Euch der Esquire auch auf die erste Mahnung gewiss zahlen wird. Macht Euer Gewissen Euch darüber Vorwürfe, Freund, so kann ich wohl Eure Vaterangst mitfühlen, Euch sehr bedauern, aber weder meine richterliche Macht, noch die eines anderen Gerichtshofes reicht hin, Euch William wiederzuschaffen, wenn er nicht von selbst kommt.«
»Sagt das nicht, Mylord«, rief Craven bebend, »sagt nicht, dass ich mein Kind, den Stolz meines Hauses, das Glück meines Alters für Mammon verschachert habe! An die Sternenkammer, zum Könige selbst, will ich gehen! Mein Vaterrecht muss mir doch werden!?«
Der Lordmayor schüttelte mitleidig, ja fast verächtlich das Haupt.
»Es ist nichts damit, täuscht Euch nicht. Wollt Ihr ein Narr sein, erhebt Geschrei, so viel Ihr wollt, aber die Lords der Sternenkammer werden Euch auslachen und sagen, Esquire Welby sei ein Ehrenmann, falls es nicht gar einem seiner stillen Freunde einfällt, Euch auf Beschimpfung eines Mannes vom ältesten Adel anzuklagen. Der König weiß aber wohl am besten, dass er dem nicht an den Leib kann, der ihn in — Verlegenheit bringen und — aus Verlegenheit ziehen kann! So lange Euer Sohn nicht selbst über Gewalttat und Verletzung seiner Rechte als Engländer klagt, tut Ihr am besten, Geduld zu haben. Ich rate es Euch.«
Blass und verzweifelnd kehrte der Hofschneider in sein Haus zurück.
»Ich habe meinen Sohn verkauft, ich elender Mann! Ich habe ihn verloren, auf immer verloren! Vermaledeit alles, Glück und Wohlstand, die Zierde ist hin, die schönsten Hoffnungen, die ihm erst Wert gegeben haben!«
Tiefe Bestürzung und Ratlosigkeit herrschte im Cravenhause. Edward allein machte den eifrigen Tröster, weil er vielleicht selbst am getröstetsten war, und mit jedem neuen Tage, mit welchem die Hoffnung von Williams Wiederkehr geringer wurde, klangen Edwards Perorationen in frömmerer Zuversicht und wurden über den göttlichen Schutz beredter. Die dritte Woche begann und verrann. Alle Befürchtungen vergewisserten sich. Denn dass Welby William wirklich so lange und für 420 Pfund beschäftigen könne, war eine Verrücktheit, an die kein Schneiderkalkül glaubte.
Doderidge trat endlich tief bewegt zu dem Meister. —
»Sir, heute ist Freitag, der Tag, an dem der Herr litt, der Tag, da der Ärmste vor drei Wochen von uns wegging. Was Gott auch über Euer Haus im Zorn verhängte, nicht länger darf unsere Hand in den Schoß gelegt sein. Ich will hin und die Satansmacht, in deren Klauen er vielleicht schon unterging, zerschmeißen mit dem Worte der Kraft und die Finsternisse dieses argen Mannes Welby durchdringen! Hilft keiner uns zum Rechte, so ist eine Macht noch, die der Sternenkammer, dem Welby und dem Obersten dieser Rotte Korah noch gewachsen ist, das Parlament! Vielleicht ist der Erzfeind Williams, der ihn auf dem Gewissen hat, näher, als wir meinen!«
Doderidge schoss einen wilden, starren Blick auf Edward. Edward erbleichte und wendete sich bebend ab.
»So gehe denn, Freund, geleite Dich der Himmel! Wenn Du ihn wieder —«
Die Tür ging auf, William stand vor ihnen. Edward prallte zurück, als sähe er einen Geist.
Aufschreiend stürzte der Alte in des Wiedergekehrten Arme.
»Da? Doch da, endlich? Dir lieber, guter Junge, Du mein Herzenssohn und Kleinod? Und gesund? Wahrhaftig, und gesund ist er! Kommt her, alle, seht ihn an! Er ist wieder da! Gott sei gelobt in seiner Herrlichkeit, Amen!«
»Das sei er!« erwiderte William hellen Auges mit sanftem Lächeln. »Ihr ahnt wohl nicht, wie sehr auf mich gerade der Ausruf passt? Ja, in seiner Herrlichkeit gepriesen sei er, aber nicht jeder kann sie sehen, Vater, und das wunderbare Getriebe durchschauen, was wir Leben nennen und doch oft so wenig verstehen!«
»Aber sage mir nur, wo und weshalb bliebst Du so lange denn? Wir waren in Todesschrecken um Dich. Ich bin schon beim Lordmayor deshalb gewesen.«
»Glaubtet Ihr denn, mir könne was geschehen? Jedes Wesen hat seine abgesteckte Bahn, und aus der Welt geht keiner, der nicht das Teil erfüllt, was ihm oblag auf Erden. Wenn ich mir selber nur nichts tue, wer sollte mir dann was anhaben? Bei dem Esquire Welby bin ich gewesen, sonst nirgends. Warum so lange? — Die Arbeit, Vater, die da geübt wird«, er lächelte, »ist keine, wie Ihr hier macht, keine, die so bald fertig wird. Ich gehe drum auch wieder hin.«
»Wieder hin?« rief Edward starr. »Gott behüte mich!«
Craven faltete die Hände. »Und wann denn?«
»Wenn mich der — Esquire rufen wird!«
»Und das Geld, Junge, das Geld! Ist’s denn möglich, dass Du so viel verdient hast? Das schaffen in derselben Zeit ja die Hälfte unserer Leute nicht!«
»Ist’s Dir um das Geld, Vater, so brauchst Du nur ’ne Anweisung an Welby zu Gresham, dem Goldschmied, zu bringen, dann hast Du’s. Der Esquire meint aber, Du tätest besser, Du ließest es, bis mehr dazu kommt, dann hättest Du doch auch die Zinsen.«
»Auch die Zinsen!« echote Edward wie abwesend.
»Nein, wenn ich Dich nicht leibhaftig sähe, Willy, ich hielt’s für ’nen Traum! Welby muss Golcondas Schätze ja besitzen, wenn er das zahlen kann!?«
»Er hat mehr Schätze, als sonst das weite England fasst, verlasst Euch darauf.«
»Und welche Arbeit, beim Himmel, ist das denn?« stöhnte Edward. »Sage mir nur, Mensch, ist’s in Samt, Atlas — oder in was Kostbarem sonst ist sie denn gewesen?«
»Mein Christenwort befiehlt mir Schweigen, Bruder. Das aber glaube mir, der Stoff, den ich zur Arbeit hatte, ist der köstlichste, seltenste und zarteste, den je Menschenhand berührt. Unter rohen, gemeinen Händen wird er vernichtet. Genug, ich habe anderes mit Euch zu sprechen. Im Groll und Unmut, trübem Brüten und finsterem Trotze habe ich sonst unter Euch gelebt. Verzeih mir, Vater, Du sollst fortan ein willig Kind in allen Stücken an mir finden. Kränkte ich Dich aber jemals, Edward, vergiss es, gib mir die Hand, und — was uns am meisten Not tut, lass uns — Brüder sein.«
Er umarmte den Alten und ergriff herzlich Edwards Hand. Blöde und scheu die Augen niederschlagend, ließ dieser ihm die Rechte.
»Ich habe ja aber gar nichts wider Dich!«
Dann wendete sich Edward ab und ging wie zerschlagen in die Werkstube.
»Heiliger Dunstan, Junge, was hat der Welby denn aus Dir gemacht? ‘nen Engel!«
»Ein Engel, Vater«, lächelte William, »wird man auf Erden nicht. ’s ist schon schwer genug, ein Mensch zu werden. Nicht jeder bringt’s so weit.«
