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C. Historische Valenz. Forschungsüberblick und Problembereiche
1. Forschungsüberblick
Noch im Jahr 2007 konstatierte MECHTHILD HABERMANN (2007, 85), dass es zur historischen Valenz des Deutschen nur wenige Forschungsbeiträge gebe, und zählte folgende Arbeiten auf: Greule (1973), Korhonen (1978), Maxwell (1982b), Greule (1982a), Ágel (1988). Ein Blick auf das Literaturverzeichnis zur Historischen Valenz (S. 207‒221) beweist, dass es bis 2007 und erst recht bis heute (2021) eine weit größere Zahl an Forschungsbeiträgen gibt. Die Idee der Übertragung des Valenzkonzepts auf die deutsche Sprachgeschichte und auf historische deutsche Texte kam – unabhängig voneinander – in der deutschen und in der finnischen Germanistik auf. Wichtige Anregungen gingen von den Arbeiten HANS JÜRGEN HERINGERS (Heringer 1967; 1968a; 1968b; 1968c; 1969) aus. Eine erste Zusammenfassung der Forschungslage nach gut zehn Jahren lieferte der Sammelband „Valenztheorie und historische Sprachwissenschaft“ (Greule 1982b).
Die – mit den von Habermann genannten Arbeiten charakterisierte ‒ Forschungslage war streng synchronsynchron auf einzelne historische Sprachdenkmäler (z.B. Otfrid von WeißenburgOtfrid von Weißenburg, NibelungenliedNibelungenlied, LutherLuther, Martin) konzentriert (vgl. auch Habermann 1994, 65‒70, zu Albrecht Dürer). Erst JARMO KORHONEN befasste sich 1995 unter dem Terminus „Polyvalenz“ explizit mit dem ValenzwandelValenzwandel (siehe dazu Kapitel F).1 Bereits ein Jahr nach dem Statement von Habermann (2007) erschien 2008 die Dissertation von NÁNDOR CSIKY, in der die Geschichte eines ganzen WortfeldsWortfeld, nämlich des Wortfelds WACHSEN, vom Ahd. bis zum Nhd. ausgearbeitet wurde. Der ValenzgrammatikValenzgrammatik der historischen Sprachstufen des Deutschen sind im Handbuch „DependenzDependenz und Valenz“ mehrere Artikel gewidmet. Während Greule (2014) diachronediachron Perspektiven im historischen ValenzwörterbuchValenzwörterbuch skizzierte, behandelte HANS-WERNER EROMS in der 4. Auflage der „Kurzen deutschen Syntax auf historischer Grundlage“ (Dal/Eroms 2014, 4‒31) die Entwicklung der Valenz im Kontext von „Kasus und Kasusfunktionen“. Den Abriss einer historischen ValenzsyntaxValenzsyntax, konzentriert auf den EinfachsatzEinfachsatz, enthält die 3. Auflage der „Einführung in die deutsche Sprachgeschichte“ von Hans Ulrich Schmid (Schmid 2018, 185‒201).
Die neueste Forschung ist vorrangig auf den Entwurf und die Realisierung eines Historisch syntaktischen Verbwörterbuchs (HSVW) konzentriert (vgl. Greule/Korhonen 2016), siehe dazu Kapitel E.
Folgende historische Schriften sind bislang zur Beschreibung der historischen Valenz ausgewertet worden:
Gotische BibelGotische Bibel (Korhonen 1995a); AlthochdeutscheAlthochdeutsch Exhortatio ad plebem christianam (Greule 1982c); HildebrandsliedHildebrandslied (Greule 1987); OtfridOtfrid von Weißenburg, EvangelienbuchOtfrid von Weißenburg (Greule 1982a; Thornton 1984); ahd. IsidorAlthochdeutscher Isidor (Eichinger 1993); ahd. GebeteAlthochdeutsche Gebete (Braun 2016); ahd. Rezepte und ZaubersprücheAlthochdeutsche Rezepte und Zaubersprüche (Riecke 2016); Hartmann von AueHartmann von Aue (grüezen im Gesamtwerk) (Greule 2016); NibelungenliedNibelungenlied (Maxwell 1982a; 1982b); Heinrich von MorungenHeinrich von Morungen (Schütte 1982); Österreichische ReimchronikÖsterreichische Reimchronik (Lénárd 1996); mhd./mnd. KochbuchtexteMittelhochdeutsche/Mittelniederdeutsche Kochbuchtexte (Ehnert 1982); Handschriften des Rechtsbuchs „Schwabenspiegel“ (Uhlig 1983); mhd. Prosa-Lancelot (Keinästö 1986; 1990; 2016); fnhd. „Legenda aureaLegenda aurea“ (Wegstein/Wolf 1982; Wolf 1985); Bruder BertholdBruder Bertholds „Rechtssumme“sBruder Bertholds „Rechtssumme“ „Rechtssumme“ (Wegstein/Wolf 1982; Wolf 1985); „Denkwürdigkeiten der Helene KottannerinDenkwürdigkeiten der Helene Kottannerin“ (Ágel 1988); fnhd. BenediktinerregelFrühneuhochdeutsche Benediktinerregel (Simmler 1982); Texte Albrecht Dürers, Heinrich Deichslers und Veit Dietrichs (um 1500) (Habermann 1994); Martin LutherLuther, Martin, Schriften (u.a. Korhonen 1978); Luthers BibelübersetzungLuther-Bibel (Thornton 1984; Wolf 1984; Funk 1995; u.a. Korhonen 2016); Reiseberichte der frühen Neuzeit (Aehnelt 2016); Leipziger ZeitungLeipziger Zeitung (1660‒1914) (Anttila 1997); Leipziger Frühdrucke (Fischer 1987).
2. Probleme bei der Analyse der historischen Valenz
Die folgenden Problembereiche, die bei der Übertragung des gegenwartssprachlichen Valenzmodells auf historische deutsche Texte zu beachten sind, wurden zuerst im Zusammenhang mit der Valenzanalyse der mhd. Lieder Heinrichs von MorungenHeinrich von Morungen dokumentiert (Schütte 1982, 32‒40).
2.1 Allgemeine Probleme
a) Man muss zwischen (freien) AngabenAngabe und ErgänzungenErgänzung unterscheiden, die nach Helbig/Schenkel (1973, 33ff.) in der „Tiefenstruktur“ begründet sind und durch eine Eliminierungs- und Substitutionsprobe unterscheidbar sein sollen. Die Unterscheidung in obligatorischeobligatorisch und fakultative ErgänzungenErgänzungobligatorische wird dadurch getroffen, dass fakultativefakultativ ErgänzungenErgänzungfakultative weggelassen werden können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird oder sich die Verbbedeutung wesentlich ändert.
b) Es ist nicht angebracht, die GenitivobjekteGenitivobjekt – bei einer Analyse mhd. Texte – als veraltet anzusehen, weil die Genitive im Mhd. eine größere und natürlichere Rolle spielen als im Nhd.
c) Bei FunktionsverbgefügenFunktionsverbgefüge wird dem Funktionsnomen nicht der Rang eines AktantenAktant zuerkannt. Funktionsverbgefüge sind erwartbar bei semantisch indifferenten Verben wie mhd. tuon ‚tun‘ und hân ‚haben‘ (s.u.).
d) Die Valenz eines Verbs ist nicht unabhängig vom Genus VerbiGenus Verbi (AktivAktiv oder PassivPassiv). Die Passivierung ist ein Verfahren der ValenzminderungValenzminderung, weil der Erstaktant im Passiv fakultativfakultativ wird.
e) Die WertigkeitWertigkeit eines Verbs kann durch Reflexivierung erhöht werden, z.B. mhd. vröiwe ich mich ‚…freue ich mich‘ mit zwei referenzidentischen AktantenAktant.
f) Die Valenz eines Verbs kann auch mit dem Verbinhalt wechseln, z.B. mhd. kommen 1 ‚gehen nach‘ mit PräpG mit in oder einem Dativ; kommen 2 ‚gereichen‘ mit PräpG mit ze.
g) Es ist sinnvoll, keine nullwertigennullwertig Verben anzusetzen und referierendes mhd. ez von „inhaltsleerem“ ez (z.B. bei Witterungsverben, mhd. dô tagte ez) nicht zu unterscheiden.
2.2 Methodologische Probleme
a) Da bei der Anwendung der muttersprachlichen Kompetenz auf die Valenzbestimmung historischer Verben die Gefahr intuitiver Fehlschlüsse besteht, sind der Ansatz einer „ErsatzkompetenzErsatzkompetenz“ (siehe Kapitel D.3) und statistische Methoden (z.B. die Häufigkeit bestimmter Syntagmen bei verschiedenen Verben) erforderlich (s.u.).
b) Linguistische Tests können nur beschränkt angesetzt werden.
c) Notwendig ist die Übertragung der gegenwartssprachlichen Kompetenz des Deskribenten auf die gewünschte Sprachstufe (siehe Kapitel D.3).
2.3 Grundsätzliche Unsicherheiten
Indem sie sich mit der historischen ValenzsyntaxValenzsyntax generell kritisch auseinandersetzt, führt MECHTHILD HABERMANN sechs „Unsicherheiten“ auf, die bei der Feststellung der historischen Valenz beachtet werden sollten.
a) Die Unsicherheit bei der Abgrenzung der Sätze: „Uncertainty as to the limits of the clause. Punctuation is often missing as a clause is punctuated according to pauses in speech, hence there are no criteria for identifying the beginning and the end of sentences.“
b) Die Unsicherheit in Bezug auf den Status der Sätze: „Uncertainty as to the status of the clause. Subordinate clauses are, as such, not unequivocally identified in every case, since the end position of the finite verb first appears as a rule in New High German. In addition, many conjunctions can just as well be read as hypotactic subordinators or coordinating elements. […] To sum up: the difference between parataxis and hypotaxis is nowhere as clear and unequivocal as in Modern German.“
c) Die Unsicherheit in Bezug auf den Verbstamm: „For a long time, noun compounds and […] verb compounds were not usually written as one word. With regard to the stem and its valency, it is essential to determine whether Middle High German adverbs such as an, auf, durch, or heran, hinauf, herum have the status of phrases or not and whether, as a consequence, they could be complements or adjuncts; or whether we are dealing with verb particles, and thus with verbs which take a particle“ (z.B. ankommen, aufsteigen, durchfahren).
d) Die Unsicherheit in Bezug auf die morphologische Identifikation der Kasus: „Because of early syncretism of form, especially since Middle High German, certain cases are no longer identifiable. […] It is very risqué to transpose conventional valency schemata of New High German to historical language.“
e) Die Polyvalenz der Verben: „In contrast to New High German verbs, Old and even Middle High German verbs do not have a stable, or should I say prototypical valency. In New High German the meaning of the verb introduces a valency framework which, although it is slightly modifiable, as for instance in the case of optional complements, is quite stable for this particular meaning of polysemic lexemes. A wider range of structures is often recognisable in historical periods of language, so that prototypes cannot easily be defined. Thus here […] historical valency is greatly influenced by co-textual and contextual factors“ (siehe Kapitel D.12).
f) Nachwirkung der indoeuropäischen Kasus-Bedeutungen: „It seems that the meanings of the case in Old and Middle High German are still strongly influenced by their ancient Indo-European meanings […] – Basically, the three morphological cases genitive, dative and accusative can appear as adverbial phrases. The disparity and diversity of meanings of genitive and dative render the assignment of semantic roles difficult.“
(Habermann 2007, 86‒88)
Kommentar: Die vor der Analyse zu bedenkenden Unsicherheiten (a) – (c) betreffen nicht nur die historische Valenzanalyse, sondern syntaktische Analysen und Beschreibungen der Sätze in historischen Texten gleich welcher Art. Bei (a) und (b) kommt man um eine syntaktische Interpretation einer Textstelle nicht herum. Entweder übernimmt sie der Deskribent aus der Edition des historischen Textes (und folgt der Interpretation des Herausgebers) oder er interpretiert unter Beachtung von Textgliederungs-Signalen in der Handschrift die Interpretation selbst. (d) entspricht der Warnung, nhd. SatzbaupläneSatzbauplan auf die historischen Texte einfach zu übertragen. (e) betrifft die bekannte Tatsache, dass vor der grammatischen und lexikalischen Regelung der deutschen Standardsprache sich aus den historischen Texten nicht immer ‒ wie im Nhd. ‒ eine stabilestabil, prototypische Valenz ermitteln lässt (siehe Kapitel D.7). (f) zielt auf die Schwierigkeit des Ansatzes der semantischen RollenValenzsemantische generell und auf die „Ableitung“ der semantischen Rollen aus den morphologischen Kasus (siehe Kapitel B.1).
3. Herausarbeitung der Verb-Aktanten-Konstellationen aus historischen Texten
Die Abstraktion von Verb-Aktanten-KonstellationenVerb-Aktanten-Konstellation (auch SatzmusterSatzmusterSatzbauplan, SatzbaupläneSatzbauplan, SatzmodelleSatzmodellSatzbauplan) (vgl. Kapitel B.2) erfolgte – anders als in der Grammatik der Gegenwartssprache ‒ im Rahmen der historischen Grammatik abhängig von der Methode, unter unterschiedlichen Begriffen und mit unterschiedlicher Markierung (vgl. Kapitel D.5).
Als Erster hat JARMO KORHONEN den Begriff des SatzmodellsSatzmodellSatzbauplan auf die Analyse eines umfangreicheren historischen Textes angewendet. In Korhonen (1978) wurde mit mehreren Arten von Satzmodell operiert: Es wurden zunächst einerseits aktivischeaktivisch und passivischpassivische SatzmodelleSatzbauplanaktivischer (Satzbauplanpassivischermit PrädikatPrädikat in Aktiv-Aktiv bzw. Passivform), andererseits Haupt- und NebenmodelleNebenmodell unterschieden. Zu den HauptmodellenHauptmodell wurden vom PrädikatsverbPrädikatsverb unmittelbar abhängige Elemente (ErgänzungenErgänzung 1. GradesErgänzung1. Grades), zu den Nebenmodellen mittelbar abhängige Elemente (Ergänzungen 2. GradesErgänzung2. Grades) gerechnet. Als ValenzträgerValenzträger der Nebenmodelle fungiert in Korhonen (1978) eine infinite Verbform oder ein prädikativesprädikativ Adjektiv. Die konstitutiven Glieder der Haupt- und NebenmodelleNebenmodell wurden in Bezug auf Form und Funktion beschrieben und mit entsprechenden Symbolen gekennzeichnet, an denen die Wortklasse und die Anschlussart an den Valenzträger bzw. der Satztypus zum Ausdruck kommen (z.B. Nomen im Nominativ als SubjektSubjekt, präpositionales Adjektiv als PrädikativPrädikativ und Nebensatz als ObjektNebensatzobjekt). ObjektDie auf diese Weise entstandenen Kombinationen von Ergänzungen wurden morphofunktionelle SatzmodelleSatzbauplanmorphofunktioneller genannt. In einem weiteren Arbeitsschritt wurden die unterschiedlich ausgeprägten Ergänzungen jeweils zu Gruppen mit gleicher syntaktischer FunktionFunktionsyntaktische zusammengefasst und diese ferner miteinander verbunden, was zur Bildung von SatzgliedmodellenSatzgliedmodell führte. ‒ Zu den verschiedenen Satz- und Satzgliedmodellen vgl. genauer Kapitel D.4.5.
Verb-Aktanten-KonstellationALBRECHT GREULE (1982c) fasste unter dem Terminus SatzformSatzform das formalisierte Ergebnis der Satzglied-AnalyseSatzglied eines konkreten (ahd.) Satzes zusammen. Die Analyse beginnt mit einer Segmentierung des Satzes in Satzglieder, denen Kategorialsymbole zugeordnet werden. Zum Beispiel wurde der ahd. Satz1 aufgeteilt in die Satzglieder: a) drato mihiliu caruni, b) dar inne, c) sint pifangan „sehr große Geheimnisse sind darin eingefangen“ (= SatzmusterSatzmusterSatzbauplan). In der abstrahierten Satzform, die die Reihenfolge der Satzglieder wie im originalen Satz beibehält, sind die Satzglieder durch die Symbole a) NG1 (NominalgruppeNominalgruppe im Nominativ), b) AdvG (AdverbgruppeAdverbgruppe), c) VER (Verb) präsent. Die morphosyntaktischmorphosyntaktisch determinierte Satzform bildet die Grundlage zu ihrer semantischen Interpretation. Im Fallbeispiel sieht die semantisch interpretierte Satzform so aus: a) NG1/Pat – b) AdvG/U:loc – c) VER/P:perf2. Die Satzform ist also noch nicht auf das PrädikatPrädikat und seine ErgänzungenErgänzung reduziert.
LAWRENCE JOHN THORNTON (1984, 77‒117) unterschied, ausgehend vom „Kleinen ValenzlexikonValenzlexikon deutscher Verben“ (Engel/Schumacher 1976), zehn „complement classes“ (E0‒E9), indem er das syntaktische Verhalten von ahd. Verben mit fnhd. Verben vergleicht: E1 ist markiert als Akkusativ, E2 als Genitiv, E3 als Dativ, E4 durch eine Präposition, E5 + 6 als lokale und temporale PhrasenPhrase, E6* durch VerbzusätzeVerbzusatz, E7 ist die „EinordnungsergänzungEinordnungsergänzung“ (z.B. er nennt sie Schätzchen) und E8 sind „Artergänzungen“ (z.B. er nennt sie faul), E9 ist der ErgänzungssatzErgänzungssatz. Dem ahd. Verb geban wird u.a. der SatzbauplanSatzbauplan 013 zugeordnet und durch den Belegsatz (OtfridOtfrid von Weißenburg 1,27,39) gab er mit giwurti in avur antwurti (= P, Nnom, Ndat, Nakk) verdeutlicht. Dem fnhd. Verb geben wird u.a. der Satzbauplan 014 zugeordnet und durch den Belegsatz (LutherLuther, Martin, Jn6.51): welchs ich geben werde fur das Leben der Welt (= Nakk, Nnom, P, PräpG) verdeutlicht (Thornton 1984, 290, 293).
Verb-Aktanten-KonstellationHARRY ANTTILA (1997, 78‒83) definierte SatzmodellSatzmodellSatzbauplan wie folgt: „Mit Satzmodellen sind syntaktische Grundstrukturen gemeint, die auf der Valenz beruhen und die jedem realisierten Satz zugrunde liegen. […] Es handelt sich also um eine begrenzte Zahl von abstrakten Strukturmodellen, denen alle Verben des Deutschen zugeordnet werden können. Es ist zu beachten, daß ein und dasselbe Verb zu mehreren Satzmodellen gehören kann.“ (Anttila 1997, 78). Bei Anttila werden Satzmodelle, die bei aktivischenaktivisch PrädikatenPrädikat vorkommen, von solchen unterschieden, die bei passivischenpassivisch Prädikaten vorkommen (Anttila 1997, 156). Die für die Satzmodelle konstitutiven (d.h. die obligatorischenobligatorisch und fakultativenfakultativ) SatzgliederSatzglied sind im Satzmodell durch fettgedruckte Abkürzungen der grammatischen Bezeichnungen präsent. Dem Verb danken wird z.B. entweder das Satzmodell sub dat prp mit den Satzgliedern SubjektSubjekt, DativobjektDativobjekt und PräpositionalobjektPräpositionalobjekt (Der Lehrer dankt dem Schüler für die Hilfe) zugeordnet oder das Satzmodell sub dat gls mit den Satzgliedern Subjekt, Dativobjekt und GliedsatzGliedsatz (Der Lehrer dankt dem Schüler, dass er ihm geholfen hat). Man muss beachten, dass Anttila das Satzmodell sub dat gls nicht als Variante bezüglich der Position 3, die meist mit einer PräpositionalgruppePräpositionalgruppe als ObjektObjekt besetzt ist, versteht, sondern als eigenes Satzmodell.
D. Valenz und Historische Grammatik
1. Die Satzbaupläne im Zentrum der Syntax
Um der wichtigsten Aufgabe einer Syntax, nämlich die Satzkonstitution zu beschreiben, gerecht zu werden, bietet die Valenztheorie einen grundlegenden Ansatz an (vgl. Wegstein/Wolf 1982, 113). Die Valenz ist zwar primär ein lexikografisches Phänomen (vgl. Kapitel E). Das zeigt die praktische Umsetzung der Theorie in ValenzwörterbüchernValenzwörterbuch (Helbig/Schenkel 1973; Engel/Schumacher 1976; Schumacher 1986; Sommerfeldt/Schreiber 1996; VALBU 2004; E-VALBU) und deren Einsatz im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht. Im Valenzwörterbuch sind, vereinfacht gesagt, den Verben die Verb-Aktanten-KonstellationenVerb-Aktanten-Konstellation (SatzbaupläneSatzbauplan) zugeordnet, die das Grundgerüst dieses mit einem Verb gebildeten Satzes vorgeben. Ein Thema der Grammatikografie wird die Verbvalenz aber dann, wenn die lexikografische Perspektive umgekehrt wird und ein Verzeichnis der Satzbaupläne erstellt wird, dem – meist wahlweise – die entsprechenden Verben zugeordnet sind. Für die Satzbaupläne der deutschen Sprache der Gegenwart vgl. die Duden-Grammatik (2016, 927‒951); Engel (1988, 185‒218); Helbig/Buscha (2001, 516‒532); Wellmann (2008, 128‒135, 164‒184, 192‒194).
Als Ordnungsprinzip ist die Valenz bzw. die Satzbauplan-DarstellungSatzbauplan auch in der grammatischen bzw. syntaktischen Beschreibung der historischen deutschen Sprachstufen (Ahd., Mhd., Fnhd.) anerkannt und wird praktiziert (vgl. Greule 1992, 201‒204). Dabei wird von einem hierarchischen Drei-Ebenen-Modell ausgegangen: Auf der Ebene I geht es um die auf den höheren Ebenen II und III als SatzgliederSatzglied fungierenden Wortgruppen; sie werden hier nach Kategorien (Verbgruppe, NominalgruppeNominalgruppe, Präpositionalgruppe)Präpositionalgruppe gesammelt und im Hinblick auf ihre interne Struktur beschrieben. Vgl. die Behandlung der Ebene I bei Schmid (2017, 201‒214). Auf der Ebene II geht es um die Strukturen des EinfachsatzesEinfachsatz. Die Grundlage dafür ist die Typologie der Satzbaupläne, die aus der Valenz der Verben abgeleitet sind. Da die Satzbaupläne stellungsneutral formuliert sind, vgl. das Beispiel (Kapitel C.3): SatzmodellSatzmodellSatzbauplan sub dat prp mit den Satzgliedern SubjektSubjekt, DativobjektDativobjekt und PräpositionalobjektPräpositionalobjekt (Der Lehrer dankt dem Schüler für die Hilfe), muss die Ebene II um eine Beschreibung der möglichen Reihenfolge der Satzglieder, wie sie in den historischen Texten tatsächlich vorliegt, ergänzt werden. Auf der Ebene II muss ferner die Beschreibung des erweiterten Einfachsatzes bedacht werden, d.h., die durch die SatzbaupläneSatzbauplan vorgegebenen Satzstrukturen können in konkreten Sätzen durch „freie“ Satzglieder (valenztheoretisch: AngabenAngabe, Supplemente)Supplement erweitert sein. Vgl. die diachronediachron Behandlung der Ebene II unter dem Titel „Valenz und EinfachsatzEinfachsatz“ mit Beispielen aus Texten der drei deutschen Sprachstufen (Schmid 2017, 185‒201). Auf der Ebene III, der höchsten Ebene, geht es um die Beschreibung der komplexen Sätze in den Formen SatzreiheSatzreihe, SatzgefügeSatzgefüge (mit GliedsatzGliedsatz und AttributsatzAttributsatz) und SatzperiodeSatzperiode. Vgl. die Behandlung der Ebene III bei Schmid (2017, 215‒230) mit Beispielen aus Texten der drei deutschen Sprachstufen. Diese syntaktischen Großstrukturen, die mindestens zwei PrädikatePrädikat aufweisen, müssen bereits im Zusammenhang mit der Segmentierung der Einfachsätze aus den historischen Texten in den Blick genommen werden.
(Greule 1992, 208‒210)