Kitabı oku: «Black», sayfa 4
VII
Wo ein Ereignis stattfindet, welches den Chevalier de la Graverie mit einem dreimonatlichen Urlaube beglückt
Der Monat Februar verstrich, wie der Jänner verstrichen war, den Chevalier traf wieder die Reihe, den Wagen des Königs zu eskortieren, und seine Angst war dieses Mal leider noch mehr gerechtfertigt, als das erste Mal. Sein Pferd stürzte, der Chevalier fiel auf das Straßenpflaster und verrenkte sich die Schulter.
Er wurde nach Hause gebracht und ärztlich behandelt. Der arme Mann war froh, dass er noch so davongekommen war.
Dieser Unfall wurde schnell bekannt, die vornehmsten Hofkavaliere besuchten ihn oder ließen ihre Karte abgeben. Der König ließ sich dreimal nach seinem Befinden erkundigen.
Der Baron frohlockte.
»Du musst diesen Vorfall zu benutzen wissen.« sagte er zu seinem Bruder, »und dein Glück ist gemacht.«
Der Chevalier war mit Vergnügen bereit, wenn es ihm nur möglich war, ohne ein Pferd zu besteigen.
Zu Hause hatte er kaum noch nötig, den Arm in der Binde zu tragen’; er trat oft vor den Spiegel und hob drohend die Faust gegen einen Unbekannten, der wohl der Baron sein mochte, und wenn er seine Mathilde umarmen wollte. fand er in dem verrenkten Arme dieselbe Kraft wie in dem andern. Aber in Gegenwart der Besucher, insbesondere der königlichen Hausoffiziere, die sich nach seinem Befinden erkundigten, erheuchelte er einen hartnäckigen Schmerz und schnitt bei jeder Bewegung ein jämmerliches Gesicht – ob absichtlich oder unwillkürlich mag dahingestellt bleiben. Vermutlich hoffte er auf diese Weise mindestens eine Eskorte zu umgehen.
Er legte sich daher freiwilligen Stubenarrest auf und verließ das Bett nur, um sich auf das Sofa auszustrecken. So fand er das schon verloren geglaubte glückliche Stillleben wieder.
Während der Chevalier die Zeitungen und insbesondere den »Moniteur« las, dessen Sanftmut mit seinem Charakter im Einklang stand – saß Mathilde strickend oder stickend an seiner Seite und gähnte, jedoch mit abgewendeten Gesicht, um die unschöne Kinnladenverrenkung nicht sehen zu lassen.
Am ?. März fand er im Moniteur folgende Proklamation:
»Wir haben am 31. Dezember vorigen Jahres die Kammern vertagt, um die Sitzungen derselben am 1. Mai wieder zu eröffnen. Während dieser Zeit haben Wir Uns allen Arbeiten, welche die öffentlichen Ruhe und das Glück unserer Völker sichern können, mit großem Eifer gewidmet —«
»Das ist wahr,« sagte der Chevalier, die Lesung unterbrechend; »und ich für meine Person habe dem Könige nichts vorzuwerfen, als seine täglichen Spazierfahrten mit Eskorte.«
Dann las er weiter:
»Diese Ruhe ist gestört, vieles Glück kann durch Tücke und Verrat, gefährdet werden —«
»Hörst Du wohl. Mathilde?«
»Ja.» antwortete die junge Frau gähnend, »ich höre von Tücke und Verrat; aber ich verstehe nicht was damit gemeint ist.«
»Ich auch nicht,« erwiderte der Chevalier, »aber ich hoffe, es wird schon klar werden. Ich fahre fort:
»Wenn die Feinde des Vaterlandes auf die Uneinigkeit, welche immer zu fördern suchten, ihre Hoffnung gesetzt haben, so werden seine gesetzlichen Stützen und Verteidiger diese verbrecherische Hoffnung durch die Kraft einer unzerstörbaren Eintracht vereiteln —«
»Ja wohl,« sagte der Chevalier, »diese verbrecherische Hoffnung wird man vereiteln, und ich werde der Erste sein, der dabei tätig ist, wenn mein Arm geheilt ist. – Nicht wahr, Mathilde, die Regierung schreibt sehr gut?«
»Ja,« erwiderte Mathilde, ohne den Mund aufzutun, indem sie fürchtete, die Kinnladen nicht mehr in ihrer Gewalt zu behalten.
»Der Moniteur ist heute recht interessant,« sagte der Chevalier und las weiter:
»Aus diesen Gründen haben Wir nach Anhörung des Berichtes Unseres lieben, getreuen Kanzlers von Frankreich, des Herrn Dambray, Kommandeur Unserer Orden, verordnet und verordnen wie folgt:
»Artikel 1. Die Pairskammer und die Kammer der Abgeordneten der Departements werden an ihren gewöhnlichen Sitzungsort einberufen.
»Artikel 2. Die von Paris abwesenden Pairs und Deputierten werden sich sofort dahin begeben, sobald sie Kenntnis von dieser Proklamation bekommen.
»Gegeben im Schloss der Tuilerien, 6. März 1815, am 20. Unserer Regierung.
Ludwig.«
»Es ist sonderbar,« sagte der Chevalier, der »König beruft die Kammern ein, und sagt nicht warum er sie einberuft.«
»Du Hast mir immer versprochen, mich in eine Sitzung zu führen, um mich zu zerstreuen,« sagte Mathilde.
»Ich werde Dich hinführen, mein Engel.«
»Ach, es wird gewiss recht unterhaltend sein!« sagte Mathilde, die im Vorgefühl der Zerstreuung unaufhörlich gähnte.
»Ha, ich finde noch eine Ordonnanz,« sagte der Chevalier, »diese zweite Ordonnanz klärt uns vielleicht Alles auf.«
Er las:
»Ordonnanz
»Auf den Bericht Unseres lieben getreuen Kanzlers von Frankreich, des Herrn Dambray, Kommandeurs Unserer Orden, haben Wir verordnet und erklärt, verordnen und erklären wie folgt.
»Artikel 1. Napoleon Bonaparte wird als Verräter und Rebell erklärt, weil er mit bewaffneter Hand in das Departement du Var eingedrungen ist —«
»Ist es möglich?« sagte der Chevalier. »Hast Du es gehört, Mathilde?«
»Verräter und Rebell, weil er mit bewaffneter Hand in das Departement du Var eingedrungen ist,« wiederholte Mathilde mechanisch. »Aber wer ist denn ein Verräter und Rebell?«
»Napoleon Bonaparte, wer denn sonst? Aber es ist mir unbegreiflich: mich dünkt, dass man ihn auf einer Insel eingesperrt hatte —«
»Ja wohl,« erwiderte Mathilde, »auf der Insel Elba.«
»Dann konnte er aber nicht in das Departement du Var eindringen; es müsste denn von der Insel Elba eine Brücke zu dem besagten Departement führen. – Doch wir wollen hören was die Ordonnanz weiter sagt.«
»Es wird folglich allen Statthaltern, Kommandanten der bewaffneten Macht, Nationalgarden, Zivilbehörden und selbst allen Staatsangehörigen zur Pflicht gemacht, auf ihn zu fahnden —«
»Ich will hoffen, dass Du ruhig zu Hause bleiben wirst.«
»Das ist noch nicht Alles. Warte nur. Höre weiter,«
»– auf ihn zu fahnden, ihn zu verhaften, und sofort vor ein Kriegsgericht zu stellen, welches nach festgestellter Identität die vom Gesetz bestimmte Strafe über ihn verhängen wird —«
In diesem Augenblicke wurde der Chevalier durch das Erscheinen des Dieners, der den Baron de la Graverie meldete, beim Zeitungslesen unterbrochen.
Der Baron war vollständig gerüstet und bewaffnet, wie Marlborough.
Der Chevalier erblasste, als er ihn in dieser martialischen Furchtbarkeit erblickte.
»Du weißt doch was vorgeht?« sagte der Baron.
»Ich ahne es.«
»Der korsische Werwolf hat seine Insel verlassen, und ist im Golf Juan gelandet.«
»Im Golf Juan? Was ist das?«
»Ein kleiner Hafen, zwei Lieues von Antibes.«
»Von Antibes?«
»Ja, und ich komme um Dich zu holen.«
»Mich? warum denn?«
»Hast Du denn nicht gelesen, dass allen Kommandanten der bewaffneten Macht, allen Nationalgarden und Zivilbehörden. ja selbst allen Staatsbürgern zur Pflicht gemacht wird, auf ihn zu fahnden – Ich will Dich abholen, um zu fahnden.«
Der Chevalier warf einen bittenden Blick auf seine Frau; er erkannte in allen bedenklichen Fällen mit lobenswerter Bescheidenheit, dass sie mehr Geistesgegenwart hatte als er, und zählte auf sie, um aus der Klaue zu kommen.
Mathilde verstand den flehenden Blick.
»Mich dünkt,« sagte sie zu dem Baron, »dass Sie einen wichtigen Umstand vergessen: Ihnen steht es jeden Augenblick frei, Ihren Säbel zu nehmen und auf jede beliebige Person zu fahnden. Dieudonné hingegen gehört zum Hofe, dessen, Verhalten er sich als Richtschnur nehmen wird. Wenn er jetzt Paris verließe, um gegen Napoleon zu Felde zu ziehen, so wäre er ein Deserteur.«
Der Baron biss sich in die Lippen.
»Sie scheinen der Oberkommandant meines Bruders zu sein,« sagte er höhnisch.
»Nein,« erwiderte Mathilde gelassen, »sein Oberkommandant ist, soviel mir bekannt, der Herzog von Ragusa.«
Sie arbeitete ruhig an ihrer Stickerei fort, während der Chevalier sie mit Bewunderung betrachtete.
»Nun, dann gehe ich ohne ihn!« sagte der Baron.
»Dann wird die Ehre Ihnen allein zu Teil werden,« sagte Mathilde.
Der Baron warf der jungen Frau einen grimmigen Blick zu und entfernte sich.
»Was sagst Du zu dem Besuch meines Bruders?« fragte Dieudonné, der noch zitterte.
»Ich sage, dass er noch nicht zufrieden ist, Dir die Hälfte deines Vermögens entlockt zu haben; er würde gern sehen, wenn Du totgeschossen würdest, um das Übrige zu erben.«
Dieudonné schnitt ein Gesicht, um anzudeuten, dass er ihrer Meinung war.
Dann ging er auf Mathilde zu , küsste sie und vergaß sich so weit, dass er sie mit dem unbrauchbar gewordenen Arme an sein Herz drückte.
Im Laufe des Tages kam ein Besuch über den andern. Alle sprachen von dem sonderbaren Ereignis, und Niemand zweifelte, dass Napoleon keine zehn Meilen vordringen werde, ohne verhaftet und erschossen zu werden.
Aber auf die zwanzigmal wiederholte Frage: »Was werden Sie tun?« antwortete der Chevalier – »Ich gehöre zum Hofe, und werde tun was der Hof tut.«
Jedermann fand diese Antwort sehr klug und verständig. Alle Besucher hatten übrigens den Baron im stattlichen Waffenschmuck gesehen, und Jedermann wusste, dass er sich rüstete, gegen den korsischen Werwolf zu Felde zu ziehen.
Denselben Tag gegen zwei Uhr erfuhr man, dass der Graf von Artois nach Lyon und der Herzog von Bourbon nach der Vendée abreisen werde.
Diese Doppelnachricht beantwortete Dieudonné mit schrecklichen Grimassen und mit der Erklärung, dass ihm sein Arm heftige Schmerzen mache.
Am 8. und 9. gingen nur unbestimmte und unverbürgte Nachrichten ein. Der Baron wurde überall gesehen; er wartete nur auf sichere Nachrichten, um abzureisen und gegen Napoleon zu ziehen.
Abgesehen von den Schmerzen, die ihm sein Arm verursachte, war Dieudonné vollkommen ruhig.
Woher kam dieser philosophische Gleichmut? Er war kein Stoiker, aber es war ihm ein Gedanke gekommen, den er mit der Zähigkeit des Egoismus festhielt. Wir wagen es kaum diesen Gedanken zu nennen.
Larochefoucault sagt, in dem Unglück unseres besten Freundes sei immer etwas, das uns nicht ganz unlieb sei. Man könnte hinzusehen, dass in den größten politischen Umwälzungen, mitten in den Katastrophen, welche die Regierungen stürzen, immer ein ganz kleiner Punkt sei, der mit der umstürzenden Partei einigermaßen aussöhnt.
So dachte Dieudonné, Ludwig XVIII. würde Paris verlassen, wenn Napoleon wieder den Thron bestieg. Ludwig XVIII. würde dann natürlich nicht mehr von drei bis ein Viertel auf sechs spazieren fahren, und folglich keine Eskorte mehr brauchen.
Aus welchem unlauteren Boden wachsen oft die Meinungen empor!
Der Chevalier hatte diesen Gedanken anfangs als seiner unwürdig zurückgewiesen, aber der Gedanke kam immer wieder und nistete sich allmählich so fest ein, dass er nicht mehr zu vertreiben war.
Als Dieudonné am 9. im »Moniteur« las, dass Napoleon wahrscheinlich am 10. Abends in Lyon eintreffen werde, fühlte er sich durch diese Nachricht nicht so unangenehm berührt, als man hätte glauben können.
Der Baron erklärte nun, da er wisse, wo Napoleon zu finden, werde er unfehlbar am 11. oder 12. abreisen; auf jeden Fall werde er aber die offizielle Nachricht von dem Eintreffen des Corsen erst abwarten.
In den Tuilerien konnten dreitausend Mann Platz finden. Der Baron brachte seinem Bruder diese Nachricht und setzte hinzu: »Es versteht sich von selbst, dass Du Dich der Besatzung anschließest.«
»Ich glaubte Du seist schon am 11. abgereist,« erwiderte Dieudonné.
»Ich war wirklich im Begriff abzureisen,« sagte der Baron; »aber es fiel mir ein, dass man von Lyon nach Paris auf zwei Straßen reisen kann: durch Burgund und durch Rivernais; ich fürchtete auf der einen Straße abzureisen, während Napoleon auf der andern Straße anrückt.«
»Das ist allerdings ein triftiger Grund,« sagte Mathilde.
»Ja, und ich sehe nicht ein. warum sich mein Bruder nicht dem Könige zur Verfügung stellt.«
»Er wird es auch sofort tun,« erwiderte Mathilde.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und nahm eine Feder.
»Was machen Sie?« fragte der Baron.
»Ich schreibe, wie Sie sehen.«
»An wen?«
»An den Herzog von Ragusa.«
»Was schreiben Sie ihm?«
»dass sich mein Mann zu seiner Verfügung stellt.«
»Kann denn Dieudonné nicht mehr schreiben?«
»Nein; Sie wissen ja, dass er sich den rechten Arm verrenkt hat.«
Mathilde schrieb:
»Herr Marschall,
»Mein Gemahl, der Chevalier Dieudonné de la Graverie, obschon so schwer am Arm verwundet, dass ich für ihn die Feder ergreifen muss, hat die Ehre sich als Angehöriger der königlichen Hofhaltung zu Ihrer Verfügung zu stellen. Was Sie auch verfügen, er ist jeden Augenblick bereit, die Gefahren seiner Kameraden zu teilen. Seine Pflichttreue wird seine mangelnde Kraft ersetzen. Er hat die Ehre zu sein 2c.«
»Ist es so gut?« fragte Mathilde den Baron.
»Ja,« antwortete der Baron zornig; »sehr gut. Dieudonné kann sich glücklich schätzen, eine Frau wie Sie zu haben.«
»Nicht wahr?« sagte Dieudonné naiv; »ich sagte Dir ja, dass sie ein Schatz ist!«
Der Baron entfernte sich, angeblich um Erkundigungen einzuziehen.
Mathilde schickte ihren Brief in die Tuilerien.
Am 19. um neun Uhr Morgens erfuhr man in Paris, dass Napoleon am 17. in Auxerre eingetroffen sei und gegen die Hauptstadt vorrücke.
Der König, der den Plan des Herzogs von Ragusa zurückgewiesen hatte, ließ den Marschall um elf Uhr kommen und sagte zu ihm:
»Ich reise in dieser Nacht ab, geben Sie meinen Garden sogleich die nötigen Befehle.«
Um zwölf Uhr wurde ein Adjutant des Marschalls bei dem Chevalier de la Graverie gemeldet.
Der Marschall antwortete auf das Schreiben Mathildens, der König wisse, dass eine Verletzung des Armes den Chevalier zwinge das Zimmer zu hüten; er kenne seine loyale Gesinnung und erteile ihm Urlaub, denn er wisse wohl, dass ihn nur die im Dienste erhaltene Wunde verhindere, in diesem wichtigen Moment bei seinem Monarchen zu erscheinen.«
»Es ist gut,« antwortete Mathilde: »haben Sie die Güte dem Herrn Marschall zu sagen, dass der Chevalier in einer Stunde in den Tuilerien sein wird.«
Dieudonné machte große Augen.
Der Adjutant verneigte sich von Bewunderung durchdrungen und ging.
Mathilde reichte ihrem Gatten den Brief.
»Aber der König hat mir Urlaub gegeben,« sagte Dieudonné.
»Allerdings,« erwiderte Mathilde; »aber ein Cavalier darf solche Gunstbezeigungen nicht annehmen. Du musst den Honig bis an die Grenze begleiten und müsstest Du Dich auf deinem Pferde festbinden lassen!«
»Du hast Recht, Mathilde,« sagte der Chevalier nach kurzem Besinnen. – »Meine Rüstung und mein Schlachtross!« befahl er mit derselben Stimme wie Cäsar denselben Befehl gegeben haben würde.
Eine Stunde nachher war er in den Tuilerien.
Um Mitternacht reiste der König ab.
Bei der Ankunft in Ypern sah Ludwig XVIII. den Chevalier de la Graverie, der mit zwei Andern bei ihm geblieben war.
Der König ließ drei Ludwigskreuze bringen und heftete sie eigenhändig an die Uniform dieser drei Getreuen.
Dann schickte er sie nach Frankreich zurück, indem er die Hoffnung aussprach, sie in Paris bald wieder zu sehen.
Der Chevalier hatte gegen hundert Lieues zu Pferde zurückgelegt. Dies war mehr als genug. – Er verkaufte sein Pferd um den halben Wert, setzte sich in den Postwagen und kehrte nach Paris zurück.
Es wäre unmöglich, dem Leser die majestätische Gebärde zu schildern, mit der er seiner Frau das Ludwigskreuz zeigte.
Mathilde war entzückt.
Dieudonné erkundigte sich nach seinem Bruder.
Der Baron war endlich am 17. abgereist, aber nicht auf einer der südlichen Straßen, wo er fürchten musste, dem korsischen Werwolf zu begegnen; er wollte und konnte nicht länger in Paris bleiben, ohne sich durch seine unklugen Prahlereien zum Gegenstande des Spottes zu machen.
VIII
Wo der Chevalier de la Graverie neue Bekanntschaften macht
Die Ereignisse, welche der Rückkehr Napoleons von der Insel Elba folgten, sind bekannt. Als Dieudonné wieder zu Hause war, hängte er sein Ludwigskreuz über dem Bette Mathildens auf um zuerkennen zugaben, daher es ihr verdankte.
Während der hundert Tage machte er sich nicht die mindesten Sorgen. Er war der glücklichste Mann von der Welt: er war ja nicht mehr Musketier, dafür aber Ritter des Ludwigsordens.
Die zweite Restauration trat ein. Der Baron kam unmittelbar nach den Bourbons und bezog wieder seine Wohnung in der Vorstadt Saint-Germain. Er ging indes nicht zu seinem Bruder: er hielt es für ein himmelschreiendes Unrecht, dass Dieudonné einen Orden hatte, und er. der ältere Bruder, das Haupt der Familie, bisher leer ausgegangen war.
In Ermanglung eines Vermittlers wandte sich der Chevalier de la Graverie unmittelbar an den König mit der Bitte, den Säbel des Musketiers mit dem Stab des Zeremonienmeisters zu vertauschen. Die Bitte wurde ihm zu seiner großen Freude gewährt; die neue bequeme Stellung sagte ihm weit besser zu, als die halsbrecherischen Eskorten.
Aber sonderbarer Weise suchte er die Gesellschaft von Militärpersonen; er schien der ganzen Welt beweisen zu wollen, dass sein Haupt auch einst den so unbequemen Helm mit dem Rossschweif getragen hatte.
Wenn er Dienst in den Tuilerien hatte, so schloss er sich vorzugsweise den Gardeoffizieren an und behandelte sie als Kameraden.
Eines Tages machte er die Bekanntschaft eines Kapitäns, der ihm gleich bei der ersten Unterredung ungemein gefiel, vermutlich weil er in allen Stücken das Gegenteil von ihm war.
Der Kapitän war viel älter als der Chevalier de la Graverie, der damals etwa fünfundzwanzig Jahre zählte. Dieser Offizier hatte in einigen Monaten seinen Abschied zu erwarten. Seine Haare waren grau, und einige Runzeln durch. zogen bereits seine Stirn; aber an Geist, Herz und Charakter war der Kapitän Dumesnil noch jugendlich frisch, und es war in der ganzen Garde vielleicht kein Unterlieutenant, der ihm an Frohsinn, Lebendigkeit und Sorglosigkeit gleichkam. In allen Leibesübungen, welche von dem Chevalier de la Graverie, oder vielmehr von den alten Stiftsdamen, die ihn erzogen, ganz vernachlässigt worden waren, hatte es der Kapitän Dumesnil zur Meisterschaft gebracht. Sein Mut war in der ganzen Armee bekannt.
Diese glänzenden Eigenschaften machten einen sehr tiefen Eindruck auf den Chevalier, eben weil er sie nicht besaß; ein solcher Freund, meinte er, würde in seinem etwas langweiligen Hause eine willkommene Zerstreuung bieten, zumal für Mathilde, die immer schweigsamer wurde. Er kam seinem neuen Bekannten daher so freundlich entgegen, wie ein Liebender dem Gegenstande seiner Wahl.
Nach einigen Stunden waren Beide schon so gute Freunde, dass Dumesnil die Einladung zum Diner für den folgenden Tag bereitwillig annahm.
Der Kapitän gehörte übrigens zu denen, die eine Einladung bei dem Teufel annehmen würden, wenn sie einen guten Braten und ein gutes Glas Wein zu erwarten hätten.
Der Chevalier de la Graverie war damals in einer der bedenklichsten Phasen des Ehelebens. Mathilde langweilte sich schon seit Monaten; bei Frauen von ihrem Temperament ist aber die Langweile der dem Fieber vorausgehende Schauer; die zweite Restauration war durch eine lange Reihe von geräuschvollen Festlichkeiten gefeiert worden; Mathilde war der Bälle und Schauspiele und des ganzen Treibens, in welchem d^s Herz keine Befriedigung findet, überdrüssig geworden; sie fand am Kokettieren, worauf es bei solchen Prunk festen doch hauptsächlich abgesehen ist, keinen Gefallen; sie fühlte die Leere in ihrem Herzen, und diese Leere war ihr unerträglich.
In ihrem Benehmen gegen Dieudonné blieb sie sich übrigens ziemlich gleich; durch Erziehung und Gewohnheit war sie eine aufmerksame, anspruchslose Hausfrau geworden, und wie auch der Lauf ihrer Gedanken war, so blieb sie doch immer die sorgsame, liebende Gattin; aber im Grunde wurde sie durch die melancholische Zärtlichkeit unangenehm berührt, und die schmachtenden Blicke, die sie ihm zuwarf, nahmen nach und nach den Ausdruck der Ungeduld und Verstimmung an, welche sich der Frauen von ihrem Temperament leicht bemächtigt wenn ihnen der Mann nicht den mindesten Grund zur Klage, und folglich auch keinen Vorwand bietet, sich zu revanchieren.
An demselben Tage, wo der Kapitän Dumesnil im Hause des Chevaliers erschien, machte der Baron zum ersten Male wieder einen Besuch und stellte seiner Schwägerin einen ihm sehr angelegentlich empfohlenen, Husarenlieutenant vor.
Dieser Husarenlieutenant war in der That ein sehr hübscher Offizier; schlank, gewandt, ungezwungen in Haltung und Benehmen; der sorgfältig kultivierte Schnurrbart fehlte natürlich nicht. Kurz, es war eine ganz tadellose Gliederpuppe, die wohl geeignet war, die goldenen Schnüre eines Dolmans zu tragen und eine Säbeltasche zu schleppen.
Es ist unglaublich, welchen Eindruck ein mit heiterer Laune verbundenes ungezwungenes Benehmen auf die Stimmung einer hübschen Frau machen kann. Von jenem Glückstage an, wo der Husarenlieutenant und der Gardekapitän das Haus des Chevalier de la Graverie besuchten, schien sich die Stimmung der Dame vom Hause zu bessern; die Blässe ihrer Wange schwand, um einer leichten Röte Platz zu machen; ihre Augen bekamen den verlorenen Glanz wieder; sie wurde wieder heiter und würzte ihre ehelichen Liebkosungen mit freundlichem Lächeln, welches den Reiz und den wert derselben erhöhte.
Der unwillkürliche, aber sehr bemerkbare Erfolg hatte eine allmähliche Annäherung zwischen den beiden Ärzten wider Willen und der schönen Patientin zur Folge; sie gingen ihr nicht mehr von der Seite, und nach vierzehn Tagen waren sie tägliche Gäste im Hotel La Graverie.
Man fand sie auf den Promenaden, bei den Wettrennen immer beisammen; sie erschienen mit einander in den Ballsälen und Theatern; wer Mathilde erscheinen sah, konnte zehn gegen eins wetten, dass der Chevalier de la Graverie ihr auf dem Fuße folgte, und nach ihm die beiden Cavalieri serventi kamen.
Es war ein sonderbarer, aber sehr anziehender Familienkreis. Es war keine kosende, früher oder später zur tödlichen Langweile führende Fortsetzung der Flitterwochen unter vier Augen; es war auch kein Kleeblatt nach italienischem Zuschnitt, sondern ein aus vier Personen bestehendes Hauswesen, in welchem der Herr vom Hause, sein Freund und der Schützling der Dame gleiche und ehrlich verteilte Rechte hatten. Jeder erhielt mit sorgfältig bemessener Genauigkeit den ihm gebührenden Anteil an zauberischem Lächeln und freundlichem Dank; alle Drei hatten abwechselnd das Recht der schönen Mathilde den Arm zu bieten, ihren Shawl oder Fächer zu tragen.
Madame de la Graverie war in der Austeilung ihrer Gunstbezeigungen so streng gerecht, dass Niemand eifersüchtig oder unzufrieden wurde.
Am zufriedensten unter dem Männerkleeblatt, am dankbarsten nicht nur gegen Mathilde, sondern gegen die beiden Andern war Dieudonné, der innerlich frohlockte bei dem Gedanken, dass er zwei neue Ventile gefunden, durch die er das ihm vormals so drückende Übermaß seiner Zärtlichkeit auslassen konnte.
Wie es Mathilde anfing, ihren kleinen Hof in dieser ruhigen, zufriedenen Stimmung zu erhalten? Wir gestehen aufrichtig, dass dies eines der weiblichen Geheimnisse ist, die wir ungeachtet oft wiederholter gewissenhafter Studien noch nicht zu ergründen vermochten.
Am merkwürdigsten war, dass sich die bösen Zungen mit dieser sonderbaren Genossenschaft fast gar nicht beschäftigten. Die junge Blondine schien so naiv, es lag eine solche Arglosigkeit in ihrem Benehmen gegen die beiden Offiziere, Alles an ihr war so natürlich, dass man gewiss für sehr boshaft gegolten haben würde, wenn man den mindesten Verdacht geäußert hätte.
Der Baron de la Graverie war der Engel mit dem Flammenschwert, der die drei Glücklichen aus ihrem Paradies vertrieb.
Eines Nachmittags war Mathilde etwas unwohl, Herr von Pontfarcy, so hieß der Husarenlieutenant, hatte Dienst, und so kam es, dass der Chevalier de la Graverie und der Kapitän Dumesnil allein auf der Promenade in den elysäischen Feldern erschienen.
Obgleich die gewöhnlich unzertrennliche Gesellschaft nur zur Hälfte anwesend war, schien der Chevalier ungemein heiter und aufgeweckt. Ungeachtet seines für sein Alter schon sehr respectabeln Bauches begann er oft zu hüpfen und zu tänzeln, lachte über jede Kleinigkeit und rieb sich schmunzelnd die Hände. Der Kapitän Dumesnil stimmte als Hausfreund pflichtschuldig in diese Heiterkeit mit ein.
Auf ihrem Spazirgange begegnete ihnen ein Mann, der mit dem Schicksal keineswegs so zufrieden schien, wie der Chevalier.
Dieser Mann war der Baron de la Graverie.
Er blickte sorgenvoll vor sich nieder, und hatte den Hut so tief in’s Gesicht gedrückt, dass sie ihn anstießen, ohne ihn zu erkennen. Aber er schaute auf, als er angestoßen wurde, und erkannte sie.
»Mordieu! Chevalier, es ist mir lieb, dass ich Dir begegne,« sagte der ältere Bruder und nahm den Arm des jüngeren.
»Wirklich!« sagte Dieudonné und schnitt ein Gesicht; denn er fühlte seinen Arm wie in einen Schraubstock eingezwängt.
»Ja, ich wollte zu Dir gehen —«
Dumesnil schüttelte den Kopf, denn es beschlich ihn eine trübe Ahnung.
Aber der Chevalier bekam schnell seine heitere Laune wieder und antwortete:
»Es ist doch sonderbar! So eben sagte ich zu Dumesnil: Ich muss doch zu meinem Bruder gehen, um ihm die freudige Nachricht zu überbringen —«
»Die freudige Nachricht!« wiederholte der Baron mit trübseligem Lächeln. »So! Du hast mir eine freudige Nachricht mitzuteilen? Der Tausch wird nicht zu deinem Vorteil ausfallen, denn ich habe Dir eine ziemlich unangenehme Nachricht zu melden.«
Ein so aufmerksamer Beobachter wie Dumesnil konnte leicht sehen, dass diese Nachricht, die dem Chevalier so unangenehm sein sollte, dem Baron große Freude machte.
Dumesnil schauderte, und da der Chevalier Arm in Arm mit dem Kapitän ging, so schauderte er selbst noch mehr aus Sympathie als aus banger Ahnung.
»Was ist’s denn?« stammelte der arme Dieudonné erblassend; denn er erschrak schon im Voraus über das Leuchten der Bombe, die der Baron in sein Glück schleudern wollte.
»Nichts für den Augenblick —«
»Wie, nichts für den Augenblick?«
»Nein; ich will Dir’s sagen, wenn wir in meiner Wohnung sind, wenn Du so gütig sein willst, mich dahin zu begleiten.«
Dumesnil sah, dass der Baron seinen Bruder ohne Zeugen zu sprechen wünschte, und da der Erstere nicht verhehlte, dass er eine unangenehme Mitteilung zu machen habe, war ihm an der Zuhörerschaft nicht viel gelegen.
»Es fällt mir eben ein, lieber Dieudonné,« sagte er, »dass mein Oberst mich erwartet.«
Er reichte dem Chevalier die Hand und verneigte sich gegen den Baron.
Aber Dieudonné war nicht der Mann, dem drohenden Unglück allein die Stirn zu bieten; er bemächtigte sich des Armes wieder, den ihm der Kapitän entzogen hatte.
»Diesen Morgen,« sagte er, »erklärten Sie ja, Sie wären für den ganzen Tag frei. Sie müssen bleiben, und mein Bruder wird mir seine Mitteilung in Ihrer Gegenwart machen. Sie haben ja so eben meine Freude getheilt, es ist also billig, dass Sie auch Ihren Anteil an meinem Verdruss bekommen.«
»Im Grunde,« sagte der Baron, »weiß ich nicht, warum ich den Herrn Kapitän von einer Mitteilung ausschließen soll, die ihn eben so gut angeht wie Dich.«
Der Kapitän Dumesnil hob den Kopf, wie ein Schlachtross beim Klang der Trompeten, und errötete leicht.
»Der Teufel hole den alten Voltigeur, der uns den Tag verdirbt,« flüsterte er dem Chevalier zu.
Dann sagte er in einem Tone, in welchem zugleich eine Bitte und eine Drohung lag:
»Herr Baron, Sie haben gewiss wohlbedacht was Sie tun wollen; ich erlaube mir indes die Bemerkung, dass die fraglichen Mitteilungen zuweilen eben so gefährlich sind für den, der sie macht, als schmerzlich für den, der sie vernimmt.«
»Herr Kapitän,« erwiderte der Baron, »ich weiß welche Pflichten ich als Haupt der Familie La Graverie habe, und ich allein habe zu beurteilen, was die Ehre derselben erheischt.«
»Mein Gott! was bedeutet das?« dachte der arme Chevalier. »Dumesnil scheint recht gut zu wissen, was mein Bruder mir sagen will, und er hat kein Wort davon gesprochen. – Sage mir lieber auf der Stelle Alles, Baron; die Ungewissheit, die Erwartung ist gewiss peinlicher, als deine Mitteilung.«
»Komm doch mit mir,« sagte der Baron.
Beide nahmen nun, ohne ein Wort zu sprechen, in Begleitung Dumesnil’s den Weg zu der Vorstadt Saint-Germain. Auf dem langen Wege bis zur Rue de Varennes wurde kein Wort gesprochen.
Die Angst des armen Dieudonné, wurde noch größer, als sein Bruder sie in das entlegenste Zimmer seiner Wohnung führte und sorgfältig die Tür verschloss.
Nachdem der Baron diese Vorkehrungen getroffen, zog er einen Brief aus der Tasche, überreichte ihn offen seinem jüngeren Bruder, fasste dessen Hand und sagte mit dem Tone des Mitleids!
»Armer Bruder! Unglücklicher Chevalier!«
Diese Einleitung klang so traurig, dass Dieudonné Bedenken trug, den Brief zu nehmen.
Dumesnil, der einen verstohlenen Blick auf den Brief warf, erkannte die feinen zierlichen Schriftzüge, und ehe der Chevalier einen Entschluss gefasst hatte, nahm der Gardekapitän den Brief.
»Mordieu!« sagte der Kapitän. »er soll Ihren Brief nicht lesen, Herr Baron.«
Dann warf er sich in die Brust, schnallte seinen Säbelgurt fester und zog den älteren Bruder in eine Ecke des Zimmere.
»Ich nehme Ihre Vorwürfe an, Herr Baron,« sagte er leise,, »ich erkläre mich für alle Folgen dieses Schrittes verantwortlich; aber ich werde nicht dulden, dass mit dem Glücke Ihres armen Bruders ein grausames Spiel getrieben werde. Es gibt Menschen, für die ein schöner Traum Bedürfnis ist. Bedenken Sie das! Um des Himmels willen,« setzte er noch leiser hinzu, »lassen Sie das harmlose Lamm leben —«
»Nein, nein!« erwiderte der Baron laut, »in unserer Familie sind die Ehrensachen wichtiger als alle andern Rücksichten.«
»Aha!« sagte der Kapitän, als ob er einen Scherz aus der Sache machen wollte. »Gestehen Sie nur, dass die beleidigte Ehre eines Gatten dabei im Spiele ist. Die Ehre ist geborgen, wenn die Sache ein Geheimnis bleibt; sie wird kaum verletzt, wenn es bekannt wird.«
»Aber bedenken Sie,« entgegnete der Baron, »dass man einen Frevler nicht durch Straflosigkeit ermutigen darf.«
Der Kapitän fasste den Baron bei der Hand.
»Wer bittet denn um Gnade?« sagte er mit einem Feuersprühenden Blick. »Sehen Sie denn nicht, dass ich mich zu Ihrer Verfügung stelle?«
»Nein, nein,« wiederholte der Baron noch lauter als zuvor, »Dieudonné soll wissen, dass seine unwürdige Frau, und sein eben so unwürdiger Freund —«