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Kitabı oku: «Black», sayfa 5

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Der Kapitän wurde leichenblass und wollte dem Baron die Hand auf den Mund halten.

Aber es war zu spät, der Chevalier hatte die letzten Worte verstanden.

»Meine Frau!« sagte er auffahrend. »Mathilde! Sie sollte mich hintergangen haben – nein, das ist unmöglich!«

»Da haben wir’s!« sagte der Kapitän; »der Bandit hat seinen Zweck erreicht!«

Er ließ den Baron los und setzte sich in eine Ecke des Zimmers. Er hatte Alles getan, was er konnte, um eine Katastrophe abzuwenden, aber es war ihm nicht gelungen, und er musste sich in das Unvermeidliche fügen.

»Unmöglich?« wiederholte der Baron, ohne den Schmerz seines Bruders zu beachten. Wenn Du mir nicht glaubst, so lass Dir den Brief geben, den der Herr Kapitän Dir aller feinen Sitte zum Trotz entrissen hat; Du wirst dann den Beweis deiner Schmach sehen!«

Der Kapitän schien ganz ruhig und gelassen, aber in seinem Innern tobte ein furchtbarer Sturm.

Unterdessen wurde Dieudonné immer blässer; sein Gemütszustand fand in wenigen abgebrochenen Worten einen Ausdruck.

»Meine Schmach!« wiederholte er. »Meine Schmach!« Aber mein Kind – denn die freudige Nachricht, die ich Dir mitteilen wollte, ist – die Mutterhoffnung Mathildens —«

Der Baron brach in ein lautes Gelächter aus.

»Dieses Kind,« fuhr der Chevalier fort, als ob er das höhnische Gelächter seines Bruders nicht gehört hätte, »dieses Kind, von welchem ich mir so viel Freude versprach, das ich seit zwei Tagen wachend und träumend vor mir zu sehen glaube, dessen Wimmern wie himmlische Musik an mein Ohr drang, es sollte nicht mein sein! – O mein Gott, ich verliere zugleich Weib und Kind!«

Der Kapitän stand auf, als ob er den Chevalier in seine Arme schließen wollte, aber er nahm sogleich seinen Platz wieder ein, um seine Aufregung zu bewältigen.

Der Baron, der weder den Schmerz seines Bruders noch den Zorn des Kapitäns zu sehen schien, erwiderte mit schonungsloser Härte:

»Ja, denn dieser Brief, den der Zufall in meine Hände gespielt hat, den ich Dir mitzuteilen wünschte und den der Kapitän Dumesnil Dir gewaltsam entrissen hat, enthält die freudige Mitteilung dieser freudigen Nachricht an den Buhlen deiner Frau.«

Der arme Dieudonné antwortete nicht; er fiel auf die Knie, drückte die Hände aufs Gesicht und schluchzte laut.

Der Kapitän Dumesnil vermochte diesen Auftritt nicht länger zu ertragen. Er stand auf und ging auf den Baron zu.

»In diesem Augenblicke,« sagte er leise zu ihm, »gehöre ich mir selbst nicht mehr; Sie werden es natürlich finden, Sie haben ja Alles, was in Ihrer Macht stand, dazu beigetragen. Aber wenn Ihr Herr Bruder die ihm von Rechtswegen gebührende Genugtuung erhalten hat, kann ich Ihrem Benehmen den Namen geben, den es verdient, und ich werde es gewiss tun, darauf verlassen Sie sich.«

Nach diesen Worten verneigte sich der Offizier und ging auf die Tür zu.

»Sie wollen gehen?« fragte der Baron.

»Ich gestehe Ihnen,« antwortete der Kapitän, »dass ich nicht mehr die Kraft habe, diesen entsetzlichen Auftritt zu ertragen.«

»Gut, gehen Sie – aber geben Sie mir den Brief zurück.«

»Warum sollte ich ihn zurückgeben?« fragte der Kapitän mit Unwillen und Stolz.

»Aus dem sehr einfachen Grunde, dass er nicht an Sie gerichtet ist,« erwiderte der Baron.

Der Kapitän hielt sich an der Wand, denn er glaubte umzusinken.

Er hatte bis dahin geglaubt, die Anschuldigung teile ihm in der Sache eine tätigere Rolle zu, als ihm der Baron zuwies.

Er zog schnell den Brief hervor, den er in die Tasche gesteckt hatte, und las die ersten Zeilen.

Aus seinen Mienen und Gebärden erriet der Baron Alles.

»Sie auch!« sagte er, in die Hände klatschend. »Nun, dann ist sie noch sträflicher, als ich glaubte.«

»Ja, ich auch,« erwiderte der Kapitän leise; »ich war auch so leichtsinnig, so treulos, diesen braven, arglosen Mann zu hintergehen! Aber sagen Sie ihm, wenn er wieder zur Besinnung gekommen ist —«

Aber Dieudonné, der inzwischen seine Hoffnung wieder bekommen hatte, unterbrach ihn.

»Dumesnil,« sagte er, »verlaß mich nicht, lieber Freund! Bedenke, dass ich nur bei deiner Freundschaft Hilfe und Trost finden kann.«

Der Kapitän schwieg noch; die Reue machte ihn unschlüssig.

»O mein Gott! mein Gott!« jammerte der arme Dieudonné, die Hände ringend. »Ist denn die Freundschaft, wie Liebe, nur ein leeres Wort?«

Der Baron trat auf seinen Bruder zu.

Der Kapitän entschloss sich nun. Er sprang rasch auf, fasste den älteren Bruder beim Arm und sagte leise, aber drohend:

»Kein Wort mehr! Es ist das erste Mal, dass ich ein Vergehen dieser Art zu bereuen habe. Meine Reue ist so groß, dass ich nicht weiß, ob mein ganzes Leben hinreichen wird, mein Unrecht wieder gutzumachen. Aber ich will’s versuchen, das schwöre ich Ihnen! Ich will Ihrem armen Bruder die innigste Freundschaft, die zärtlichste Sorge widmen, ohne die er nicht leben kann. Schweigen Sie also, Herr Baron. Es steht weder in Ihrer Gewalt noch in der meinigen, das Vergangene ungeschehen zu machen; verletzen Sie wenigstens sein wundes Herz nicht noch tiefer!«

»Jedes Mittel ist mir genehm,« erwiderte der Baron, »das meinen Bruder nötigt, eine Frau, die ihn entehrt, zu verstoßen,und einem Kind, das Anderen ihr rechtmäßiges Erbteil rauben würde, die Anerkennung zu versagen.«

»Sagen Sie lieber: das Ihnen Ihr Erbteil rauben würde. Dann ist Ihr Benehmen, vom Standpunkte des Egoismus betrachtet, vielleicht eher zu entschuldigen,« antwortete der Kapitän, indem er einen vernichtenden Blick auf den Baron warf. »Aber der Brief, den Madame de la Graverie an Herrn de Pontfarcy geschrieben hat, wird vollkommen genügen, um Ihnen selbst vor Gericht zur Erfüllung Ihres Wunsches behilflich zu sein.«

»Nun, dann geben Sie mir den Brief zurück.«

Dumesnil sann einen Augenblick nach; dann erwiderte er:

«Ich will Ihren Wunsch erfüllen, aber unter einer Bedingung.«

»Was! Sie stellen mir Bedingungen?«

»Es hängt von Ihnen ab, ja oder nein zu sagen,« erwiderte der Kapitän, ungeduldig mit dem Fuße stampfend. »Besinnen Sie sich nicht lange. Geben Sie Ihr Wort oder ich zerreiße den Brief!«

»Aber, ich muss doch —«

Der Kapitän machte Miene den Brief zu zerreißen.

»Auf mein Wort als Edelmann!«

»Als Edelmann?« sagte Dumesnil mit tiefer Verachtung. »Nun ja, ich will Ihr Wort annehmen: es scheint ja, dass man ungeachtet solcher Handlungen immer Edelmann bleibt. Schwören Sie mir, Ihrem Bruder nie zu sagen, dass er von zwei Männern, die er seine Freunde nannte, zugleich betrogen worden ist. Schwören Sie mir endlich, dass Sie der Sühne, der ich meine noch übrige Lebenszeit widmen will, kein Hindernis in den Weg legen wollen.«

»Ich schwöre es!« sagte der Baron, indem er den kostbaren Brief mit den Augen verschlang.

»Gut. Ich zähle mit Zuversicht auf Ihren Schwur, und sage Ihnen daher nicht, was ich tun werde, wenn Sie ihn brechen.«

Der Kapitän überreichte dem Baron den von Mathilde an Herrn de Pontfarcy geschriebenen Brief, und ging dann auf den Chevalier zu.

»Stehe auf, Dieudonné,« sagte er. »Komm und sei ein Mann!«

»O! ich danke Dir!« sagte der Chevalier, indem er sich mit großer Anstrengung aufrichtete und dem Kapitän in die Arme sank. »Du wirst mich also nicht verlassen?«

»Nein, nein!« sagte Dumesnil und überhäufte seinen Freund mit Liebkosungen wie ein Kind.

»O! ich fürchte den Verstand zu verlieren,« setzte der Chevalier noch immer schluchzend hinzu; »denn ich blicke nur mit Entsetzen in die Zukunft, die sich vor mir auftut, und der Vergleich der Vergangenheit mit der Gegenwart wird mir das Leben verhasst machen.«

»Fasse Mut,« sagte der Baron. »Das beste Weib ist nicht die Hälfte der Tränen wert, die Du seit einer Viertelstunde vergießest, geschweige ein unwürdiges Geschöpf.«

»O! Du weißt nicht was sie für mich war!« unterbrach ihn der arme Dieudonné. »Du findest Zerstreuung in den Talons, am Hofe,in dem Streben nach Ehre und Auszeichnung; Du findest Zerstreuung in Glanz und Prunk, der bei Dir die Stelle des Herzens vertritt, selbst in dem Neide über das Glück deiner Nebenbuhler, in den Klatschereien über bekannte Personen und auffallende Tagesbegebenheiten – ich hingegen hatte nur sie! Sie war mein ganzes Leben, meine einzige Freude, mein einziger Ehrgeiz auf der Erde! Nur die Worte, die aus ihrem Munde kamen, hatten für mich einen Wert – und jetzt, wo ich Alles dies unter meinen Füßen einsinken fühle, scheint es mir, dass ich eine öde, dürre, dunkle Wüste betrete, wo ich nur noch Zeit für meinen Schmerz habe! O mein Gott! mein Gott!«

»Eitles Geschwätz!« höhnte der Baron.

Der Kapitän warf ihm einen drohenden Blick zu.

»O! Sie werden mich nicht hindern, meinem Bruder zu sagen,« wiederholte der Baron, der nur an sein Erbteil dachte, »Sie werden mich nicht hindern ihm zu sagen, was er dem Namen, den er führt, schuldig ist. Eine Frau, die seiner unwürdig, kann er auch nicht lieben —«

»Du irrst Dich, Bruder,« unterbrach ihn der unglückliche Chevalier, »selbst in diesem Augenblicke, wo ihr Fehltritt mir das Herz bricht, wo ihre Schmach mich tief beschämt, liebe ich sie.«

»Freund, sei ein Mann!« mahnte der Kapitän.

»Was liegt mir noch am Leben? Nach der Weltsitte, nach den Gesetzen der Ehre muss ich mich rächen an ihrem Buhlen; er oder ich muss fallen, weil Gott sie zum Weibe, das ist zum gebrechlichen, treulosen Wesen geschaffen hat! Das Leben eines Mannes ist verwirkt, die Welt verlangt dieses Sühneopfer – als ob sich die Welt darum kümmerte, auf welche Art man mir meine Freunde raubt, als ob die Ehre mein Glück oder Elend berücksichtige. Blut muss stießen – gleichviel ob das Blut des Beleidigers oder des Beleidigten!«

»Fürchtest Du Dich denn, Bruder?« fragte der Baron.

Der Chevalier sah seinen Bruder mit dem Ausdruck der Verzweiflung an.

»Ich fürchte nur ein Mörder zu werden,« sagte er mit einer Entschiedenheit, welche bewies, dass er die Wahrheit sagte. – »Lieber Dumesnil, stehe mir bei, ich darf ja die Rache nicht dem Himmel überlasten, ohne eine Memme gescholten zu werden. – Baron, ich gebe Dir mein Wort, dass morgen zu dieser Stunde Herr de Pontfarcy nicht mehr leben wird, oder dass ich von seiner Hand gefallen sein werde. Ist das Alles, was Du als Repräsentant der Familienehre verlangst?«

»Nein, ich kenne deine Schwäche, Bruder; ich verlange eine Vollmacht, um die Scheidungsklage gegen deine unwürdige Frau einzuleiten.«

»Diese Vollmacht hast Du wahrscheinlich schon bereit?«

»Es fehlt nur deine Unterschrift.«

»Ich dachte es wohl. Gib her die Vollmacht – eine Feder und Tinte —«

»Hier ist Alles was Du wünschest, lieber Dieudonné,« sagte der Baron und überreichte seinem Bruder die Vollmacht samt einer eingetauchten Feder.

Der Chevalier unterzeichnete, ohne eine Klage laut werden zu lassen, ohne einen Seufzer auszustoßen. Aber er zitterte so heftig, dass die Unterschrift kaum leserlich war.

»Mille tonneres!« sagte der Kapitän, indem er seinen Freund mit sich fortzog und dem Baron noch einen vernichtenden Blick zuwarf; »man hat Viele gehängt, die es nicht so verdienten, wie das Haupt in deiner Familie!«

IX
Ein gebrochenes Herz

Vor der Haustür entstand fast ein Handgemenge zwischen dem Chevalier und seinem Freunde.

Der Chevalier wollte links gehen und der Kapitän wollte sich in der entgegengesetzten Richtung mit ihm entfernen. Dieudonné wollte durchaus nach Hause gehen, Mathilde mit Vorwürfen überhäufen und ihr für immer Lebewohl sagen; Dumesnil hingegen hatte im Interesse seines Freundes und in seinem eigenen triftige Gründe, diese Unterredung zu verhüten. Er bot daher seine Beredsamkeit auf, um Dieudonné von der Unstatthaftigkeit seines Vorhabens zu überzeugen; mit großer Mühe gelang es ihm endlich, den Chevalier de la Graverie mitzunehmen und in seine bescheidene Wohnung einzuquartieren.

Sobald der Kapitän die nötigen Vorkehrungen zur Beherbergung seines Freundes getroffen hatte, zog er seine Uniform aus und legte einen schwarzen Anzug an, um auszugehen.

Der Chevalier war so tief ergriffen, dass er die Absicht seines Freundes nicht merkte, bis dieser die Tür öffnete.

Er streckte die Hände nach ihm aus wie ein Kind.

»Dumesnil,« sagte er, »Du willst mich alleinlassen?«

»Armer Freund,« erwiderte der Kapitän, »hast Du denn schon vergessen, dass Du den Räuber deiner Ehre, deines Glückes zur Rechenschaft zu ziehen hast?«

»Ja, ich gestehe es, Dumesnil, ich hatte es vergessen; ich dachte an Mathilde,«

Der arme Dieudonné brach wieder in Tränen aus.

»Weine nur, Freund!« sagte der Kapitän. »Der liebe Gott, der Alles wohlgetan, hat die Herzen harmloser schwacher Wesen mit Ventilen versehen, um einen Schmerz auszulassen, der sie sonst tödten würde. Laß nur deinen Tränen freien Lauf, ich will Dir’s nicht widerraten.«

»So geh, lieber Dumesnil,« sagte der Chevalier; »ich danke Dir, dass Du mich an meine Pflicht erinnert hast. – Ich habe nur noch Eine Bitte.«

»Sprich, was wünschest Du?»

»Ziehe die Sache nicht in die Länge; ich wünsche morgen Früh —«

»Sei nur ruhig, lieber Freund,« sagte der Kapitän und drückte den Chevalier an sein Herz; »ich hoffe sogar, dass die Sache schon diesen Abend abgetan wird.«

Der Chevalier blieb allein.

Hier machen wir eine Pause, um unsere Leser um Verzeihung zu bitten.

Wir sagten im Anfange, dieses Buch sei kein gewöhnlicher Roman. Wir geben nun den Beweis: alle Helden von Romanen sind schön, groß, von tadellosem Wuchs, mutig, klug, geistreich; sie haben schönes schwarzes oder blondes Haar, große schwarze oder blaue Augen; sie sind so reizbar, dass sie bei der geringsten Beleidigung zum Degen oder Pistol greifen; sie sind fest in ihren Entschließungen, furchtbar im Hass, feurig in der Liebe.

Unser Held besitzt keine dieser anziehenden Eigenschaften; er ist eher hässlich als schön, mehr klein als groß, mehr beleibt als schlank; er hat keinen Mut und höchstens einen gewöhnlichen hausbackenen Verstand. Er hat weder schwarzes noch blondes, sondern semmelfarbenes Haar, weder schwarze noch blaue, sondern grüne Augen.

Die ihm widerfahrene Beleidigung ist groß, aber trotzdem will er sich, wie er selbst sagt, nur schlagen, um der Weltsitte zu genügen.

Endlich ist er wankelmütig und statt die Treulose zu hassen, liebt er sie noch.

Es wollte uns schon lange bedenken, dass man dem harmlosen Wesen der Schöpfung das Recht abspricht, zu lieben und zu dulden; wir halten es nicht für notwendig, schön wie Adonis und tapfer wie Roland zu sein, um Anspruch zu haben auf die höchsten Freuden und die tiefsten Schmerzen der Liebe.

Während wir einem Phantasiegebilde Leben und Gestalt zu geben suchten, führte uns der Zufall mit dem Chevalier de la Graverie zusammen. Wir hatten unsern Mann gefunden.

Er war ein Beispiel, dass man, ohne physisch und moralisch der Held eines Sagenkreises zu sein, alle Leiden erdulden kann, die in den wenigen Worten liegen: Er liebte und wurde betrogen!

Als Dieudonné allein war, nahm er nicht die Haltung Anthonys oder Werther’s an, er überließ sich ganz zwanglos seinem Schmerz.

Er ging im Zimmer auf und ab; er nannte Mathilde nicht undankbar, treulos, grausam, er gab ihr die gewohnten zärtlichen Namen, als ob sie ihn hätte hören können; er Sann sogar nach, ob er ihr nicht Anlass zur Unzufriedenheit gegeben, wodurch ihr Verrat entschuldigt werden könnte.

Wir gestehen, dass wir einem solchen Schmerz unsere aufrichtige Teilnahme widmen: diese fast kindische Schwäche ist in der Tat des tiefsten Mitleids würdig; denn man ahnt, dass sie bei Andern keinen Trost suchen wird, da sie ihn nicht selbst in sich findet; sie kann nur klagen, denn es fehlt ihr der starke, unerschütterliche Glaube, und sie sagt: Mein Gott! was habe ich denn getan, um so viel zu leiden; erbarme Dich meiner!

Der Unglückliche, der so schmählich verraten worden war, hatte nur Einen Gedanken: Mathilde wieder zu sehen – nur ein einziges Mal, wie er wenigstens glaubte – sein Herz vor ihr auszuschütten, sie mit Vorwürfen zu überhäufen.

Wer weiß, vielleicht würde sie sich rechtfertigen?

Nach tausend Zweifeln, nach langem Besinnen schien er auf einmal einen Entschluss zu fassen.

Er ging an die Tür; aber er fand sie von außen verschlossen. Sein Freund hatte ihn eingesperrt.

Er eilte ans Fenster. Die Wohnung Dumesnil’s war im zweiten Stocke; unten war ein gepflasterter Hof. Ein Sprung von solcher Höhe war nicht zu wagen.

Dieudonné machte das Fenster wieder zu und verwünschte seinen Freund. Gut hat ihm wohl, dass er sich mit »etwas Anderem beschäftigen konnte, um weniger an Mathilde zu denken.

Plötzlich fiel ihm ein, dass er den Hausmeister aus dem Fenster rufen und mit einem Hausschlüssel, der sich vermutlich im Hause befand, die Tür öffnen lassen könne.

Er öffnete das Fenster und rief.

Der Hof blieb leer.

Je größer die Schwierigkeiten wurden, desto mehr sehnte er sich nach Mathilden.

»Ja! ja! ich muss sie wiedersehen! – Mathilde, teure Mathilde!«

Er rang die Hände und wälzte sich auf dem Teppich.

Plötzlich sprang er auf und sah sich im Zimmer um.

Sein Blick fiel auf das Bett, das er gesucht hatte.

Er stürzte darauf los, wie der Tiger auf seine Beute. Zog die Leintücher heraus, zerriss sie in Streifen und begann dieselben zusammenzuknüpfen.

Dieudonné, der als zehnjähriger Knabe seine Tante gerufen hatte, um sich von einer Treppe hinunterführen zu lassen, der zu Pferde den Schwindel bekam, fasste ohne Zögern den Entschluss, sich an den zusammengeknüpften Betttüchern von einem Fenster des zweiten Stockes hinabzulassen.

Sobald er seine Vorkehrungen getroffen hatte, eilte er ans Fenster.

Es war inzwischen Abend geworden, die Dämmerung war eingebrochen.

Er knüpfte das improvisierte Seil mit einem Ende an das Fensterkreuz und schaute in den Hof hinunter. Der Schwindel befiel ihn und er trat rasch Zu zurück.

»Ich bekomme den Schwindel, weil ich hinunterschaue, sagte er; »wenn ich nicht hinunterschaue, werde ich ihn nicht bekommen.«

Er schloss die Augen, stieg auf die Fensterbrüstung, fasste mit beiden Händen das Seil und begann sich hinabzulassen.

Als er die Höhe des ersten Stockes erreicht hatte, hörte der Chevalier ein Krachen über seinem Kopfe, dann fiel er fünfzehn Fuß hoch hinunter auf das Steinpflaster.

Das Seil war gerissen, oder ein schlecht geknüpfter Knoten hatte sich aufgelöst.

Im ersten Augenblicke freute sich der Chevalier, dass er den Erdboden erreicht hatte. Er hatte nur eine heftige Erschütterung im ganzen Körper, aber keinen Schmerz gefühlt.

Er wollte aufstehen, fiel aber wieder zu Boden. Der linke Fuß konnte ihn nicht tragen; die Beinröhre war über dem Knöchel gebrochen.

Dieudonné machte gleichwohl einen Versuch zu gehen; aber nun fühlte er so große Schmerzen, dass er laut aufschrie.

Dann schienen sich alle Gegenstände im Kreise um ihn zu drehen. Er griff nach der Wand, um sich daran zu halten – die Wand drehte sich, wie der ganze Hof.

Er fühlte, dass ihm die Besinnung schwand. Noch einmal sprach er den Namen Mathilde: es war der letzte Lichtblick seines Bewusstseins. Er fiel in Ohnmacht.

Er glaubte eine herbeieilende weibliche Gestalt zu sehen. Es schien Mathilde zu sein.

Aber sein Blick war schon umflort, er konnte nichts mehr deutlich unterscheiden. Er streckte die Arme nach dem geliebten Bilde aus,ohne zu wissen, ob es Traum oder Wirklichkeit war.

Es war wirklich Mathilde, die von den Ereignissen des Tages gar nichts wusste, und nachdem sie die Rückkehr Dieudonné vergebens erwartet, die Dämmerung benutzt hatte, um sich zuerst zu Herrn von Pontfarcy zu begeben. Dieser war nicht zu Hause. Dann war sie zu Dumesnil geeilt. Sie ging eben über den Hof, um die zu der bescheidenen Wohnung des Kapitäns führende Hintertreppe zu erreichen, als sie einen lauten Schrei hörte und einen Mann sah, welcher wankte, als ob er betrunken wäre, und endlich, Mathildens Namen rufend, zu Boden sank.

Nun erst erkannte sie den Chevalier. Sie eilte auf ihn zu, fasste seine Hände und rief ihn.

»Dieudonné! Lieber Dieudonné!« Diese Stimme, die ihn aus dem Todesschlaf geweckt haben würde, entriss ihn seiner Ohnmacht. Er schlug die Augen auf, und eine unaussprechliche Freude verklärte sein Gesicht.

Er wollte sprechen, aber er vermochte es nicht, seine Augen schlossen sich wieder, und Mathilde hörte nur einen langen tiefen Seufzer.

In diesem Augenblicke erschien der Kapitän Dumesnil. Er sah den ohnmächtigen Chevalier, Mathilde in Tränen, ein vom Fenster herabhängendes Ende des zerrissenen Betttuchs.

Es ward ihm Alles klar.

»Ach! Madame,« sagte er, »es fehlte nur noch, dass Sie auch seinen Tod verschulden!«

»Wie! auch seinen Tod?« fragte Mathilde. «Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen, dass sie dann zwei Menschenleben auf dem Gewissen haben.«

Der Kapitän warf zwei Degen auf das Steinpflaster. Dann hob er Dieudonné auf und trug ihn in seine Wohnung.

Mathilde folgte ihm schluchzend. Obgleich ohnmächtig, hatte Dieudonné ein dunkles Bewusstsein dessen was vorging.

Er glaubte das Zimmer seines Freundes zu erkennen. Man legte ihn auf das Bett; er hörte die ernste voll tönende Stimme Dumesnil’s,die sanfte einschmeichelnde Stimme Mathildens.

Sie nannte den Kapitän »Charles.« Der Verwundete glaubte nun in seinem Fiebertraum Zeuge eines seltsamen Auftrittes zu sein. Aus Allem was er hörte oder zu hören glaubte, wurde er auch von dem Kapitän betrogen; aber dieser verwünschte die Sirene, welche die Ursache eines jetzt bitter von ihm bereuten Vergehens war, und erklärte ihr, dass er dem Betrogenen sein ganzes Leben widmen wolle, um das an ihm begangene Unrecht zu sühnen. Mathilde , die vor dem Bett kniete, hielt seine Hände gefasst und bedeckte sie mit Küssen und Tränen; sie bat bald Dumesnil, bald ihn um Verzeihung, und gab das feierliche Versprechen, ihr Vergehen durch ein makelloses bußfertiges Leben zu sühnen.

Bald verloren sich die summenden Stimmen in heftigem Ohren brausen, und der Chevalier de la Graverie wurde völlig bewusstlos.

Als er wieder zur Besinnung kam, fühlte er den gebrochenen Fuß in Schienen eingezwängt und befand sich wieder in dem Zimmer des Kapitäns. Bei dem Schimmer der auf dem Nachttische brennenden Lampe sah er den Letzteren vor dem Bett sitzen.

»Mathilde!« sagte er, nachdem er sich im Zimmer umgesehen hatte. »Wo ist Mathilde?«

Der Kapitän sprang betroffen auf.

»Mathilde!« stammelte er; »wozu diese Frage?«

»Wo ist sie? sie war so eben hier.«

Hätte Dieudonné in diesem Augenblicke das ehrliche Gesicht seines Freundes betrachtet, so hätte er glauben können, Dumesnil werde ebenfalls in Ohnmacht fallen, so blass war er.

»Lieber Freund,« antwortete der Kapitän, »Du phantasierst, deine Frau ist gar nicht hier gewesen.«

Der Chevalier sah Dumesnil mit fieberhaft glühenden Augen an.

»Und ich sage Dir,« erwiderte er, »dass sie hier vor dem Bett kniete und mir die Hände küsste.

Der Kapitän nahm alle seine Fassung zusammen, um zu lügen.

»Du bist von Sinnen,« sagte er. »Madame de la Graverie ist gewiss zu Hause; sie weiß nicht was vorgegangen ist, und hat daher auch keinen Grund, hierher zu kommen.«

Der Chevalier sank tief seufzend auf das Kissen zurück.

»Ich hätte geschworen,« sagte er, »dass sie vor einer kleinen Weile hier war, dass sie schluchzend ihre Schuld bekannte, dass sie Dich —«

Ein Gedanke, vernichtend wie ein Blitzstrahl, durchzuckte den Unglücklichen.

Er richtete sich mit fast drohender Gebärde auf.

»Wie heißest Du?« fragte er seinen Freund.

»Du weißt es ja – Du müsstest denn wieder Phantasien. Ich heiße Dumesnil.«

»Aber der Taufname?«

Der Kapitän verstand die Absicht dieser Frage.

»Louis,« sagte er; »erinnerst Du Dich nicht?«

»Ja, es ist wahr,« sagte Dieudonné.

Es war wirklich der einzige Vorname, unter welchem er den Kapitän gekannt hatte, dieser hieß Charles Louis Dumesnil.

Dann fiel ihm ein, dass Mathilde in ihrer Besorgnis sich wenigstens erkundigen müsse.

»Aber wenn sie nicht hier ist,« sagte er, »wo ist sie denn?«

Dann setzte er so leise hinzu, dass ihn Dumesnil kaum verstehen konnte:

»Wahrscheinlich bei Pontfarcy!« – O, Du weißt, Dumesnil, dass er oder ich fallen muss.«

»Du wirst nicht fallen, und noch weniger wird er von deiner Hand fallen,« antwortete der Kapitän halblaut.

»Warum nicht?«

»Weil er tot ist.«

»Todt? wie ist er denn zu Tode gekommen?«

»Durch eine Quart, die ihm in die Brust gedrungen ist.«

»Wer hat ihn denn erstochen?«

»Ich, wer sonst?«

»Du, Dumesnil? Mit welchem Rechte?«

»Ich hielt mich für berechtigt, ja für verpflichtet, zu verhüten, dass Du einem sichern Tode entgegengingst. Dein Bruder wird vielleicht Trauer anlegen, weil Du lebst; aber er mag schwarz gehen, so lange es ihm beliebt.«

»Und Du hast ihn gefordert? Du hast ihm gesagt, dass Du Dich für mich schlägst, weil Mathilde mich betrogen hat?«

»sei nur ruhig, ich habe mich mit Pontfarcy geschlagen, weil er seinen Absinth ohne Wasser trank; ich kann die Leute, die diese abscheuliche ^Gewohnheit haben, nicht aus stehen!«

Der Chevalier schlang beide Arme um den Hals seines Freundes und drückte ihn zärtlich an sein Herz.

»Ich habe geträumt!« sagte er.

Aber der Kapitän, dessen Reue wieder erwachte, entwand sich den Armen des Patienten und setzte sich schweigend in eine Ecke des Zimmers.

»O Mathilde! Mathilde,« seufzte der Chevalier.