Kitabı oku: «Black», sayfa 6
X
Wo bewiesen wird, dass Reisen ein Bildungsmittel für die Jugend sind
Es war beschlossen, dass der Chevalier in der Wohnung Dumesnil’s seine völlige Genesung abwarten sollte. Der Kapitän hatte freilich nur sich selbst in Rat genommen, um diesen Beschluss zu fassen.
Er ließ den Verwundeten auf seinem Bett und behalf sich mit dem Sofa. Für einen Soldaten, der fast alle Feldzüge unter Napoleon mitgemacht hatte, war dieses Lager nicht übel.
Der Chevalier schlief in der ersten Nacht keinen Augenblick: die Seelenleiden, zu denen sich noch der Körperschmerz gesellte, erpressten ihm laute Klagen, und von Zeit zu Zeit brach er in Tränen aus.
Am andern Morgen suchte ihn der Kapitän zu zerstreuen. Er sprach von Unterhaltungen, Studien, neuen Bekanntschaften; aber der Chevalier de la Graverie sprach immer nur von Mathilde und seiner Trostlosigkeit.
Dumesnil sah wohl ein, dass nur die Zeit den Schmerz seines Freundes heilen könne, und dass es zu seiner Erheiterung notwendig sei, mit ihm, sobald es sein Zustand erlauben würde, auf Reisen zu gehen.
Der Kapitän, der schon seit einiger Zeit seinen Abschied zu fordern berechtigt war, tat die notwendigen Schritte, um Entlassung zu nehmen und seinen Ruhegehalt zu liquidieren.
Nach sechs Wochen begann der Chevalier das Bett zu verlassen, denn der Bruch war einfach und die Heilung gut von Statten gegangen. Der Kapitän Dumesnil schlug eine Reise nach Havre vor, wo er Geschäfte habe. Dieudonné hatte das Meer noch nicht gesehen, und sein Freund, dem er ohne Widerrede gefolgt war, führte ihn an Bord eines Paketbootes. Der Chevalier, dem diese Zerstreuung nicht unlieb war, hatte nicht das Mindeste dagegen einzuwenden: aber am Bord erklärte ihm der Kapitän, ihre Überfahrt nach Amerika sei bezahlt, und am andern Morgen um sechs Uhr würden sie absegeln.
Der Chevalier hörte ihm erstaunt zu, legte der Abreise aber nicht das mindeste Hindernis in den Weg.
Eines Tags – es war kurz vor der Abreise aus Paris – als ihn sein Freund, vielleicht absichtlich, allein gelassen hatte, war der Chevalier heimlich in sein Hotel gegangen, um Mathilde wiederzusehen, vielleicht um ihr zu verzeihen.
Der Portier hatte ihm geantwortet, Madame de la Graverie sei einen Tag nach dem Ausbleiben ihres Gemahls abgereist, und man wisse nicht was aus ihr geworden.
Alle Bemühungen Dieudonné’s, ihren Aufenthalt zu entdecken, hatten ihm nur die Gewissheit gegeben, dass sie Frankreich verlassen.
Nun erst, nachdem der arme Chevalier die Überzeugung gewonnen hatte, dass Mathilde für ihn verloren war, willigte er in die Abreise nach Havre.
Vielleicht war Mathilde, der er so gern verziehen hätte, über Havre gereist, und dann war es immerhin möglich, ihre Spur aufzufinden.
Der Chevalier hatte indes viel von seinem Vertrauen zu dem Geschick verloren, und er zählte nicht viel auf einen glücklichen Zufall.
Frankreich verließ er ohne Widerstreben; Mathilde war ja nicht mehr in Frankreich.
Er nahm daher von seiner Kajüte Besitz, ohne ans Land zurückzukehren.
Am andern Morgen lichtete das Paketboot zur bestimmten Stunde die Anker.
Während der ganzen Überfahrt war der arme Chevalier seekrank; er dachte an gar nichts mehr und folglich auch nicht an Mathilde.
Man kam in New-York an.
Drei Monate vergingen ziemlich erträglich, teils in der groß geräuschvollen Handelsstadt, teils mit Ausflügen in die Umgegend, mit Spazierfahrten auf dem Hudson, mit dem Besuche des Niagarafalls.
Aber es fehlte keineswegs an heftigen Erschütterungen. Von Zeit zu Zeit sah der Chevalier eine Dame, die in Gesicht oder Gestalt einige Ähnlichkeit mit Mathilden hatte. Dann verließ er den Arm seines Freundes und verfolgte die Dame, bis er seinen Irrtum erkannt hatte. Dieser plötzlichen Aufregung folgte dann die Abspannung; er sank auf eine Bank, auf ein Fass, auf einen Warenballen, ja sogar auf die Erde nieder, und blieb so lange kraftlos und unbeweglich, bis sein Freund erschien und ihn aufhob.
Der Kapitän entschloss sich endlich, die zivilisierte Welt wenigstens für einige Zeit zu verlassen, um ihn diesen heftigen Gemüthsbewegungen zu entziehen. Er fuhr mit ihm den Lorenzofluß hinauf, bis zum oberen See, landete in Chicago am Michigansee, ging von dort an den Mississippi, fuhr diesen Strom bis St. Louis hinab , und machte die Fahrt auf dem Missouri bis zum Fort Mandanne. Dort fand er eine über das Felsengebirge ziehende Caravane; dieser schlossen sich die beiden Freunde an, und kamen nach einer langen mühseligen Wanderung an den Colorado, an dessen Ufern sie den Golf von Kalifornien erreichten.
Der Kapitän benutzte diese Gelegenheit, um seinem Freunde neue Länder und zumal neue Weiber zu zeigen, die weder an Gesicht noch Haltung mit Madame de la Graverie Verwechselt werden konnten.
Damals gehörte Kalifornien noch zu Mexiko, und war folglich noch eine Wüste. Der Kapitän und sein Freund kehrten in einer Bretterhütte ein, welche an der Küste an derselben Stelle stand, wo jetzt das Theater von San Francisco steht.
Der Chevalier hatte diesen ganzen langen Weg bald zu Schiffe, bald zu Pferde oder auf einem Maultier gemacht. Seine frühere Zaghaftigkeit war verschwunden, und ohne gerade ein vollkommener Reiter geworden zu sein, hatte er es doch so weit gebracht, dass er die verschiedenen Vierfüßler, die er bestiegen, zu bändigen vermochte.
Das unaufhörliche Schnattern und Schreien der grünen Papageien, die man zwischen Santa Cruz und dem Golf von Kalifornien scharenweise findet, reizte seinen Zorn, weil er dadurch in seinen Grübeleien gestört wurde. Dies hatte der Kapitän benutzt und ihm eine Flinte in die Hand gegeben, so dass er nach und nach an den Gebrauch dieser Waffe gewöhnt wurde.
Der Chevalier de la Graverie war freilich kein ausgezeichneter Schütze geworden; aber auf dreißig Schritte schoss er einen Papagei fast immer vom Baum herunter.
Um einige Abwechslung in die Unterhaltungen zu bringen, gab ihm der Kapitän zuweilen eine mit einer Kugel geladene Pistole in die Hand. Anfangs schoss der Chevalier wohl hundertmal fehl; dann traf er einen Papagei, fehlte fünfzig, andere, schoss wieder einen und fehlte nur noch fünfundzwanzig, dann nur noch zwölf, und endlich brachte er es so weit, dass er unter vier Papageien einen traf.
Seine Geschicklichkeit im Pistolenschießen überschritt diese Grenze indes nie; aber der Kapitän, der mit jedem Schuss einen Papagei traf, war mit den Fortschritten seines Freundes ungemein zufrieden.
Dann musste der Chevalier fechten lernen. Er bequemte sich ungern dazu, denn es fiel ihm schwer, sich seiner Apathie zu entreißen; aber er war gewohnt, dem Kapitän wie ein Kind zu gehorchen, und durch anhaltende Übung brachte er es bald zu einiger Fertigkeit in der Führung des Rapiers. Er konnte sich nötigenfalls wenigstens seiner Haut wehren, was ihm früher ganz unmöglich gewesen war.
Aber der Kapitän hatte einen weit kühneren Plan; er wollte das erste nach Tahiti absegelnde Schiff benützen, und mit seinem Freunde ein Jahr in diesem Paradiese des stillen Meeres zubringen.
Die Gelegenheit bot sich bald dar. Der Chevalier stieg auf das Verdeck, ohne zu fragen, wohin die Reise ging.
Nach einer zwölftägigen Fahrt landete man zu Papeite.
Bis dahin hatte der Kapitän nicht bemerkt, dass sein Freund die herrlichsten, großartigsten Landschaften beachtet; kaum hatte der Niagarafall seine Aufmerksamkeit eine kleine Weile gefesselt, aber er hatte sich die Ohren zugehalten und gesagt! »Wir wollen fortgehen; hier werde ich taub.«
Auf dem Mississippi hatte er die schwimmenden Stadtteilen ähnlichen Kolosse vorüberfahren gesehen, und kaum zu denselben hinauf geschaut: er hatte sich in Urwäldern, auf den endlosen Prärien verirrt, ohne sich zu kümmern, wie die Karawane den Weg wiederfinden würde.
Aber bei der Ankunft zu Papeite wurde seine Aufmerksamkeit gefesselt und er sagte zu dem Kapitän: »Dieses Land scheint recht angenehm zu sein; wie heißt es?«
»Es hat viele Namen,« antwortete Dumesnil; »Quiros, der es zuerst besuchte, nannte es Sagittaria; Bougainville gab ihm, der Sitte des achtzehnten Jahrhunderts gemäß, den Namen Neu-Cythere; der Kapitän Wallis nannte es Georgsinsel; Cook gab ihm den ursprünglichen Namen O’Taiti oder Tahiti wieder. Du siehst, dass Du eine Auswahl von Namen hast.«
Der Chevalier fragte nicht weiter.
Nachdem ein an Bord gekommener eingeborener Lotse das Schiff durch die Korallenriffe gesteuert hatte, wurden auf der spiegelglatten Rhede die Anker geworfen. Eine Menge kleiner Fahrzeuge, aus hohlen Baumstämmen bestehend, kam herbei, um die Passagiere ans Land zu bringen.
Der Chevalier sprang in einen solchen Nachen, der heftig schwankte.
»Beinahe wäre ich ertrunken!« sagte er ganz gleichgültig.
»Wie! Du kannst nicht schwimmen?« fragte Dumesnil.
»Nein.« antwortete der Chevalier; »aber Du wirst wir Unterricht geben, nicht wahr?«
Dumesnil hatte ihn so Vielerlei gelehrt, dass Dieudonné nicht zweifelte, er werde ihm auch Schwimmunterricht geben, so wie er ihn fechten, reiten und schießen gelehrt hatte.
» Nein, «sagte Dumesnil, »ich werde Dir keinen Schwimmunterricht geben.«
»Warum nicht?« fragte Dieudonné erstaunt.
»Weil es hier das Geschäft der Weiber ist.«
Der Chevalier errötete und fand den Scherz etwas leichtfertig.
»Sieh nur,« sagte Dumesnil.
Man war dem Ufer nahe. Es war fünf Uhr Nachmittags. Der Kapitän deutete auf eine Schar im Wasser plätschernder Tahitierinnen.
Der Chevalier fühlte sich durch den seltsamen Anblick unwillkürlich gefesselt. Ein Dutzend weibliche Gestalten schwammen wie Najaden in dem blauen durchsichtigen Meere, auf dessen Grunde man die wunderbare Vegetation deutlich sehen kann.
Man denke sich ruhige Sternkorallen in der Form von ungeheuer großen Schwämmen; jedes Loch des Schwammes ist ein dunkler, gähnender Abgrund, in welchem man blaue, rote, goldgelbe Fische von allen Größen und Formen Wimmeln sieht.
Und in diesem klaren Wasser, welches einer verdickten Luft ähnlich ist, tummeln sich, unbekümmert um Klippen und Korallenriffe, die braunen Nymphen, deren ganze Verhüllung in ihrem langen üppigen Haar besteht; denn sie kennen die Schamhaftigkeit nicht einmal dem Namen nach, die Sprache der Eingeborenen hat gar keinen Ausdruck für diese christliche Tugend. Sie schwimmen und tauchen mit staunenswerter Schnelligkeit und Gewandtheit, und nur auf Augenblicke kommen sie, um Atem zu schöpfen, auf die Oberfläche des Wassers: das Meer muss ihr zweites Element sein.
Der arme Chevalier war wie geblendet; er wankte wie ein Betrunkener, als er ans Land stieg und der Kapitän musste ihn führen.
Er setzte sich mit ihm unter einen blühenden Brotbaum.
»Nun, lieber Dieudonné.« sagte Dumesnil, »wie gefällt Dir dieses Land?«
»Es ist ein Paradies,« antwortete der Chevalier. »Ach! wenn Mathilde hier wäre!«
Er seufzte und seine Blicke schweiften mit einer Melancholie, die man diesem Vollmondgesicht gar nicht zugetraut, über den weiten Horizont.
Der Kapitän überließ ihn seinen Gedanken und begann mit den Eingeborenen zu reden. Denn wie warm und mild auch die Lust war, so mochte der Kapitän doch nicht unter freiem Himmel übernachten.
Dann ging er wieder zu seinem Freunde.
Es war sechs Uhr, die Sonne sank, einer roten Scheibe ähnlich, rasch in das Meer. In Tahiti hat der Tag gerade zwölf Stunden, und die Nacht hat die gleiche Dauer. In jeder Jahreszeit geht die Sonne um sechs Uhr Morgens auf und geht um sechs Uhr Abends unter. Man kann zu diesen Stunden seine Taschenuhr so genau nach der großen Himmelsuhr richten, wie die Pariser vormals ihre Taschenuhr nach dem Zeiger am Zifferblatt des Palais-Royal richteten.
Der Kapitän berührte die Schulter seines Freundes mit der Fingerspitze.
»Was willst du?« fragte der Chevalier.
»Ich will Dich fragen was Du zu tun gedenkst.«
Dieudonné sah den Kapitän erstaunt an.
»Was ich zu tun gedenke?« erwiderte er. »Mein Gott! das kümmert mich ja nicht!«
»Aber Du musst doch wohnen. – Willst Du eine Weile hierbleiben?«
»So lange als Du willst.«
»Willst Du nach europäischer Art oder nach der Landessitte leben?«
»Das gilt mir gleich.«
»Willst Du in einem Gasthofe oder in einer Hütte wohnen?«
»Wie Du willst.«
»Gut, aber Du musst Dich nachher nicht beklagen.« »Habe ich mich denn jemals beklagt?« fragte Dieudonné!
»Er hat Recht,« sagte der Kapitän für sich. »Bleibe noch zehn Minuten hier und betrachte den Sonnenuntergang; ich will mich unterdessen nach einer Wohnung umsehen.«
Dieudonné nickte; er war noch immer traurig, aber er fühlte ein noch nie empfundenes körperliches Wohlbehagen. Sobald die Sonne ins Meer gesunken war, kam die Nacht mit fast magischer Schnelligkeit. Aber die Luft blieb durchsichtig, wie bei uns die Dämmerung an einem schönen Sommerabende: die Fische im Meere schimmerten, die Sterne hatten einen wunderbaren Glanz.
Der Kapitän kam wieder, um Dieudonné abzuholen.
»Oh, laß mich noch eine Weile hier,« sagte der Chevalier; »es ist so schön!«
»Du siehst also endlich!« sagte de Kapitän erfreut.
»Ja, es ist mir als ob ich erst diesen Abend anfange zu leben.«
»Komm nur, Du kannst aus deinem Zimmer Alles sehen was Du hier siehst.«
»Durch das Fenster?«
»Nein, durch die Wand. Komm!«
Es war das erste Mal, dass Dieudonné der ersten Aufforderung nicht folgte.
Beide gingen auf ein Haus zu.
In dem Zustande des Chevalier war noch ein Fortschritt zu bemerken! er war seit seiner Abreise in vielen Häusern gewesen, ohne dieselben zu beachtet; aber dieses Haus erregte seine Aufmerksamkeit.
Es war auch wirklich merkwürdig. Auf den ersten An» blick schien es keine menschliche Wohnung, sondern ein großer Vogelkäfig zu sein. Es war ein längliches Viereck, an beiden Enden abgerundet und mit Baumblättern gedeckt..
Das Dach ruhte auf Pfeilern; es bestand aus Sperren, die mit bunten Binsenmatten belegt waren. In einem Winkel des Zimmers lag eine mit Seegras gefüllte und mit einem großen weißen Leinentuch bedeckte Matratze. In der Mitte stand ein kleiner Tisch mit Obst, Milch und Brot. In einer mit Cocosöl gefüllten Pfanne brannten mehre Dochte.
Durch die aus Gitterwerk bestehenden Wände sah man den bestirnten Himmel und das Meer.
»Du siehst,« sagte Dumesnil zu seinem Freunde, »dass Dich hier nichts hindert, ins Freie zu schauen.«
»Schon, wieder ein Aber?«
»Ich kann allerdings in’s Freie schauen, aber die Leute können auch mich sehen —«
»Hast Du denn die Absicht, Böses zu tun?« fragte Dumesnil.
»Gott behüte!« antwortete der Chevalier.
»Nun, was hast Du denn zu befürchten? nicht das Mindeste!«
»Gibt es keine Schlangen, keine Nattern?«
»Kein schädliches Tier auf der ganzen Insel?«
»Ach! Mathilde! Mathilde!« seufzte der Chevalier.«
»Schon wieder!«
»Nein, lieber Dumesnil. Ich meine nur, wenn sie hier wäre, würde ich nie wieder nach Frankreich zurückkehren!«
XI
Wo der Chevalier de la Graverie in Versuchung kommt, Mathilde zu vergessen
Der Chevalier setzte sich an den Tisch und aß einige indianische Birnen und Bananen, dann eine Frucht von der Farbe der Erdbeeren und von der Größe eines Reinetteapfels, deren Namen er nicht kannte. Den Beschluss des Abendessens machte eine Maniokwurzel mit Cocosmilch.
Auf Befragen seines Freundes erklärte er, dass er noch nie im Leben so gut gespeist habe.
Nach dem Abendessen ließ sich der Cyevalier nur mit großer Mühe bewegen, sich zu entkleiden, um zu Bett zu gehen. Die durchbrochenen Wände waren für sein Anstandsgefühl ein Stein des Anstoßes. Erst auf die Versicherung seines Freundes, dass um zehn Uhr Niemand in Papeite mehr wach sei, entschloss er sich. Aber obgleich ihm der Kapitän beteuerte, dass in diesem Eden Polinesiens die Nachttoilette ganz dieselbe sei, wie bei den Stammeltern des Menschengeschlechts, wollte der Chevalier weder Hemd noch Unterbeinkleider ablegen.
Als ihn der Kapitän, seiner dreijährigen Gewohnheit gemäß, zu Bett gebracht hatte, begab er sich in sein Zimmer, nämlich in die zweite Abteilung der Hütte.
Die beiden andern Abteilungen waren von der tahitischen Familie bewohnt, welche dem Kapitän die Hütte vermietet hatte. Der Chevalier, der sich nie nach etwas erkundigte, wusste es nicht. Die Scheidewand, die ihn von den Wirtsleuten trennte, war wohl geschlossen, und er hatte gar nicht gefragt, wer jenseits der Scheidewand wohne. Wenn irgend etwas geeignet war, seine Aufmerksamkeit auf kurze Zeit zu fesseln, so war es eine großartige Landschaft, und dies war, wie wir gesehen, erst seit einigen Stunden der Fall gewesen; denn erst seit seiner Ankunft in Papeite hatte sich der arme Dieudonné erinnert, dass er Augen hatte.
Er begab sich also zur Ruhe und in seinen Erinnerungen zurückgehend, betrachtete er durch die Gitterwand den schönen Sternenhimmel, das azurblaue Meer. »
Einige Schritte von der Hütte sang ein im Gebüsch versteckter Vogel. Es war der Sänger der Liebe, der wundervolle Tui, der nur wacht, wenn Alles schlummert, nur singt, wenn Alles schweigt.
Der Chevalier, auf den Ellbogen durch eine Öffnung der Gitterwand schauend, einem unaussprechlich wehmütig-süßen Gefühl. Es war als ob sich die warme balsamische Nacht, die Reinheit des Himmels, die Harmonie dieses Gesanges verkörpert hätten und gleichsam ein Luftbad bildeten zur Kräftigung der ermatteten Glieder und zum Balsam für wunde Herzen.
Der Chevalier glaubte seit drei Jahren zum ersten Male wieder frei zu atmen.
Auf einmal glaubte er ein leiste Geräusch zu hören, wie die leichten Fußtritte eines Kindes auf dem Grase, und im Halbdunkel der tropischen Nacht sah er eine reizende Mädchengestalt. Der ganze Schmuck der schönen Tahitierin bestand in dem langen, aufgelösten Haar und zwei prächtigen Lotusblumen, die an den Bächen in großer Menge wachsen und von den Mädchen als Ohrgehänge getragen werden.
Die junge Tahitierin schleppte eine Binsenmatte hinter sich her und breitete dieselbe zehn Schritte von dem Hause unter einem Orangenbaum aus.
Der Chevalier wusste nicht ob er wachte oder träumte, ob er die Augen offen halten oder schließen sollte. Nie war eine Statue vollkommener, herrlicher aus den Händen eines Bildners hervorgegangen; nur war sie nicht marmorweiß, sondern schien von Bronze zu sein.
Eine kleine Weile lauschte sie auf den Gesang des Tui; dabei schüttelte sie von Zeit zu Zeit mit der Schulter den Orangenbaum, an den sie sich gelehnt hatte und von welchem ein schneeweißer, duftender Blütenregen herabfiel.
Nach und nach sank sie, mit ihren üppigen, aufgelösten Haaren bedeckt, auf die Matte nieder und schlief ein.
Der Chevalier de la Graverie blieb noch lange wach; er entschlummerte erst als er das Gesicht nach der entgegengesetzten Seite wandte und den Namen Mathilde wie einen Schild vor die reizende Erscheinung hielt.
Am anderen Morgen fand der Kapitän seinen Freund schon wach und angekleidet, obgleich es kaum sechs Uhr war. Der Chevalier beklagte sich, dass er schlecht geschlafen. Dumesnil schlug einen Spaziergang vor.
Als die beiden Freunde eben fortgehen wollten, tat sich die Seitentür auf, und ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen erschien, um die Fremden zu fragen, ob sie etwas brauchten.
Dieudonné erkannte die schöne Schläferin der vorigen Nacht und errötete bis über die Ohren.
Die Tahitierin trug ein langes weißes, vorn offenes Kleid und um den Leib ein blaues seidenes Tuch mit blauem Grunde und gelben Blumen. Arme und Füße waren unbekleidet.
Der Chevalier betrachtete sie, ungeachtet seiner Befangenheit. Sie war, wie alle Tahitierinnen, ziemlich klein, aber ihre kupferfarbene Gestalt zeigte das schönste Ebenmaß; ihr langes, seidenartiges Haar war rabenschwarz: ihre, großen feurigen Augen waren von dunklen Wimpern beschattet: die Backenknochen standen etwas mehr hervor, als bei der kaukasischen Race, die Lippen waren, etwas aufgeworfen, die Zähne perlenweiß, die Hände klein und zart, der Wuchs schlank.
Der Kapitän dankte ihr, stellte sie seinem Freunde als die Tochter der Wirtin vor und sagte, dass er erst gegen neun Uhr nach Hause kommen werde.
Die Kleine schien Alles recht gut zu verstehen. Der Kapitän schien zu erwarten, dass sein Freund sie ebenfalls anrede, aber Dieudonné wagte es nicht: er trat sogar aus die Seite, um ihre seidene Schärpe nicht zu berühren, und ging an ihr vorüber, wie an einer Pariserin auf dem Boulevard des Capucines. Dann entfernte er sich schnell. Die junge Tahitierin schien ihm einen Schrecken eingejagt zu haben.
Der Kapitän wunderte sich gar nicht darüber, er kannte die Blödigkeit seines Freundes gegen das schöne Geschlecht, aber er glaubte nicht, dass er sich gegen eine Tahitierin wie gegen eine Pariserin benehmen würde.
»Warum hast Du ihr nichts gesagt?« fragte der Chevalier; »sieh nur wie traurig die schöne Mahauni uns nachschaut.«
»Mahauni heißt sie?« fragte Dieudonné.
»Ja. Ein hübscher Name, nicht wahr?«
Dieudonné antwortete nicht.
»Hast Du etwas gegen das Mädchen?« fragte der Kapitän; »wir wollen dann ein anderes Quartier nehmen.«
»Nein! nein!« antwortete Dieudonné mit einer Lebhaftigkeit, die ihm sonst nicht eigen war.
Sie gingen weiter. Dumesnil schlug, wie Tarquin, den zu hohen Blumen mit seinem Bambusrohr die Köpfe ab.
Dieudonné folgte ihm schweigend. Das Stillschweigen war ihm freilich so zur Gewohnheit geworden, dass der Kapitän sich nicht darüber Wunderte.
Dieser erste Spaziergang zeigte den beiden Freunden die wunderbar üppige Vegetation des Landes. Die Stadt bot einen zugleich naiven und reizenden Anblick. Obschon die Hauptstadt, war sie einem sehr großen Dorfe ähnlich. Jedes Haus hatte einen Garten, unter dessen Bäumen es fast vergraben schien; und wenn man das Ende der Häuser erreicht hatte, so teilte sich die Straße in Fußpfade und man sah sich von prächtigen Bäumen, duftenden Lauben und plätschernden Springbrunnen umgeben. Unter den Citronen- und Orangenbäumen sah man die Cocospalme, den Bananenbaum, den Papageien- und indianischen Birnbaum, den Eisenbaum mit dem rötlichen Holz und den weit ausgebreiteten Zweigen, die einem riesigen aufgeschossenen Spargelbusch ähnlich sind. Dazu die würzige Luft, die Vögel mit dem blutfarbigen glänzenden Gefieder, das Plätschern der Springbrunnen, die lachenden scherzenden Weiberstimmen – kurz es war ein wahres Feenland, es war die Insel der Blumen und Düfte.
Als die beiden Freunde etwa eine Stunde in diesem wunder herrlichen Garten gegangen waren, stand der Kapitän still. Er hörte ein Geschnatter, das er sich nicht recht zu erklären wusste. Er verließ den Weg und ging etwa fünfzig Schritte durch die Bäume und Gebüsche. Plötzlich blieb er stumm und staunend stehen.
Dieudonné schaute ihm nach. Wenn er bei seinem Freunde war, so schien seine Willenskraft auf den Kapitän übergegangen zu sein; er gehorchte ihm, wie der Leib dem Geiste gehorcht, wie der Schatten dem Körper folgt.
Der Kapitän gab ihm schweigend einen Wink. Dieudonné ging gedankenlos auf ihn zu. Aber seine Gedankenlosigkeit dauerte nicht lange: der Anblick, der sich ihm darbot, war ganz geeignet seine Aufmerksamkeit zu fesseln.
Das Gebüsch, in welchem der Kapitän und der Chevalier versteckt waren, grenzte an den Fluss, in welchem etwa dreißig Tahitierinnen, wie in einem Salon, teils sitzend teils liegend versammelt waren. Die Köpfe und Schultern ragten aus dem Wasser hervor, auf welchem die aufgelösten Haare schwammen. Die Badenden plauderten und wanden sich Kränze aus Wasserlilien, Rosen und Gardanien. Diese reizenden Wesen scheinen zu wissen, dass sie selbst lebende Blumen sind: sie leben mitten unter ihren regungslosen Schwestern, sie sind unter Blumen begraben.
»Sieh, lieber Freund, dort ist sie!« sagte der Chevalier nach einer Pause und deutete auf eine der Badenden.
»Wer?« fragte der Kapitän.
Der Chevalier errötete; er hatte die junge Wirtin erkannt; er vergaß, dass er dem Kapitän von seinem Traum nichts gesagt hatte, und zeigte ihm die schöne Mahauni.
»Wer?« fragte der Kapitän noch einmal.
»Niemand,« antwortete der Chevalier und entfernte sich eilends.
Die beiden Freunde setzten ihren Spaziergang fort. Nach. einer Weile gab der Kapitän seinem Freunde zu bedenken, dass es Zeit sei zu frühstücken; er zündete eine Zigarre an und reichte dem Chevalier aus Gewohnheit ebenfalls eine; aber Dieudonné lehnte das Anerbieten ab; die Stiftsdamen, die ihn, erzogen hatten, konnten den Tabak nicht ausstehen.
Nicht weit von der Hütte begegnete ihnen die schöne Mahauni. Als sie die beiden Freunde sah, stand sie still und wartete.
Der Duft der Zigarre war für sie anziehender als für den Chevalier. Sie sagte einige dem Kapitän nicht verständliche Worte in ihrer Sprache, aber da sie die Pantomime des Rauchens machte, so verstand er sie.
Er nahm eine Zigarre aus der Tasche und reichte sie ihr.
»Nao, nao!« sagte sie, indem sie auf die Zigarre im Munde des Kapitäns deutete.
Dumesnil verstand, dass die eigensinnige Schöne die brennende Zigarre haben wollte. Er reichte sie ihr.
Die Tahitierin that schnell zwei Züge und blies mit großem Behagen den Dampf aus. Dann zog sie zum dritten Male den Dampf ein, ohne ihn sogleich wieder auszublasen, gab dem Kapitän die Zigarre mit einer koketten Verbeugung zurück und ging fort, indem sie den Kopf zurückwarf und den Tabakrauch behaglich in kleinen wirbelnden Wölkchen aus dem Munde aufsteigen ließ.
Alles dies begleitete sie mit reizenden, koketten Bewegungen, welche, wie der Kapitän bis dahin geglaubt hatte, nur den Spanierinnen eigen sind.
Dumesnil warf einen Seitenblick auf seinen Freund, der mit gesenkten Blicken neben ihm her ging und leise den Namen Mathilde flüsterte.
Dumesnil sah hierin einen Fortschritt in der Besserung seines Freundes, denn dieser hatte den Namen sonst immer laut gerufen.
Als Mahauni den Tabakrauch von sich geblasen hatte, knüpfte sie ihre Schärpe los, hielt sie mit weit ausgebreiteten Armen über den Kopf und verschwand hinter der Ecke eines Zitronenwäldchens. Sie glich einem davonfliegendem Schmetterlinge.
Die beiden Freunde fanden ihren Tisch gedeckt. Das Frühstück bestand, wie das Abendessen, aus einem Stück Brotfrucht, einer gerösteten Maniokwurzel, Cocosmilch, Butter und Obst.
Niemand war da: man hätte glauben können, der Tisch sei von Feenhand gedeckt worden. Aber es schien auch für die Wirtin die Frühstückszeit zu sein; denn Dieudonné, welcher der Wand zugewendet saß, sah Mahauni vor der Hütte ein Körbchen von den untersten Zweigen eines Orangenbaumes nehmen und sich zum Frühstück unter denselben setzen.
Dieses Frühstück bestand aus einem halben Dutzend Feigen, einem Stück Melone, einem gebackenen Fisch und einem Stück Brotfrucht.
Der Chevalier vergaß selbst zu essen , als er Mahauni essen sah.
Dumesnil bemerkte die Zerstreuung seines Tischgenossen, sah sich um und erblickte das Mädchen, welches frühstückte, ohne an sie zu denken.
»Aha!« sagte der Kapitän, »Du schaust unsere hübsche Wirtin an.«
Der Chevalier errötete.
»Ja,« sagte er.
»Soll ich sie einladen mit uns zu frühstücken?«
»Nein, nein!« antwortete der Chevalier; »ich dachte nur, unter den Bäumen müsse es recht angenehm kühl sein.«
»Willst Du draußen bei ihr frühstücken?«
»Nein, nein !« sagte Dieudonné. »Es ist ja recht hübsch hier. Ich möchte nur einen andern Platz einnehmen, die Sonne blendet mich hier.«
Der Kapitän schüttelte den Kopf: er schien zu erraten, was für eine Sonne den Chevalier blendete.
r wechselte den Platz, ohne eine Bemerkung zu machen.
Nach dem Frühstück fragte der Chevalier: »Was werden wir jetzt anfangen?«
»Wir halten unsere Siesta,« antwortete der Kapitän, »es ist hier nach dem Frühstück Sitte.«
»Ich bin nicht abgeneigt,« sagte Dieudonné, »ich habe schlecht geschlafen und bin müde.«
»Die Siesta wird Dir wohl tun.«
»Ich hoffe es.«
Beide verließen die Hütte, um einen passenden Ort zu finden. Die Siesta im Freien war weit angenehmer als in der Hütte, wie luftig diese auch war.
Der Chevalier wünschte aber im Schlafe nicht gestört zu werden. Der Kapitän bezeichnete ihm den Garten als den sichersten Ort.
Man suchte ein stilles, schattiges Plätzchen. Der Chevalier wählte einen Rasenplatz unter einer Gardania, deren Äste bis zur Erde herabhingen und gleichsam ein Zelt bildeten. Der Rasen war nur etwas feucht.
Dumesnil, der auf Alles bedacht war, hatte eine große Matte mitgebracht. Diese breitete er auf dem Rasen aus.
»Bleibe hier,« sagte er; »ich werde schon ein anderes Plätzchen finden, wo der Schatten eben so dicht und der Rasen trockener ist.«
Dieudonné machte selten eine Einwendung, wenn sein Freund eine Anordnung getroffen hatte. Er breitete die Matte aus, auf welcher vier Personen ihre Siesta hätten halten können. Erst jetzt bemerkte er ihre Größe und rief dem Kapitän nach, dass die Matte reichlich Platz für Zwei biete. Aber Dumesnil war schon fort.
Der Chevalier entschloss sich nun, die Matte für sich allein in Anspruch zu nehmen. Er zog seinen Rock aus, rollte ihn auf, um ein Kopfkissen daraus zu machen, betrachtete eine Weile die fruchtlosen Versuche der Sonne, durch das Laub der Gardania zu dringen, schloss die Augen, seufzte und schlief ein.