Kitabı oku: «Black», sayfa 8
Dumesnil sank erschöpft auf sein Kissen zurück. Einige Minuten nachher begann er zu phantasieren; aber in der Fieberphantasie schien ihn ein Gedanke zu verfolgen: die Seelenwanderung. Ein Hund, und zwar ein schwarzer Hund schien seinem zerrütteten Geiste vorzuschweben.
Unterdessen kam der junge Arzt wieder; er erschien nur, um sein Versprechen zu halten und seine Berufspflicht zu erfüllen. Er sah auf den ersten Blick, dass der Kapitän nicht mehr zu retten war.
Dieudonné lag auf den Knien und schluchzte und rang die Hände. Von Zeit zu Zeit lauschte er auf die schweren, pfeifenden Atemzüge des Sterbenden und verfiel endlich in einen Zustand der Besinnungslosigkeit, aus welchem er durch die Worte des Doktors: »Er ist tot!« geweckt wurde.
Er richtete sich nun auf, warf sich jammernd auf den Toten, und hielt ihn so fest umschlungen, dass man Gewalt anwenden musste, um ihn loszumachen.
XIV
Rückkehr nach Frankreich
Glücklicherweise hatte Dieudonné Pflichten gegen seinen dahingeschiedenen Freund zu erfüllen. Schwache Menschen fürchten die Einsamkeit: nur starke Geister dulden im Stillen, die meisten Menschen hingegen suchen Zerstreuung, Überreizung, um sich zu betäuben, sich selbst gleichsam zu entfliehen.
Der »Dauphin,« der die Reise um die Welt machte, zu Manila das gelbe Fieber an Bord geschleppt hatte, war auf der Rückreise nach Frankreich und wollte in zwei Tagen die Anker lichten.
Dies war ein Glück für den Chevalier, denn er mochte nicht langer bleiben in dem irdischen Paradiese, wo er mit seinem Freunde so glücklich gewesen war. Er schrieb an den Kapitän des »Dauphin.« um für sich und den Sarg seines Freundes die Überfahrt zu erbitten.
Der junge Arzt versprach seine Vermittlung, und der Schiffskapitän machte keine Schwierigkeiten.
Als der Doktor wieder ans Land kam, war der Sarg aus Eichenholz schon fertig.
Dieudonné nahm den kleinen Schlüssel zu der Schatulle vom Halse des Toten, um diese Reliquie fortan auf seiner Brust zu tragen.
Dann ließ er den Toten in das schönste und weißeste, Stück Stoff hüllen, das er finden konnte, streute selbst Bananen- und Pandanusblätter in den Sarg, legte die Leiche seines Freundes auf dieses weiche Lager, das die Tahitierinnen mit Blumen schmückten, küsste ihn noch einmal auf die Stirn und ließ den Sarg zunageln.
Jeder Hammerschlag durchzuckte sein Herz; aber wie dringend man ihn auch bat sich zu entfernen, so blieb er doch bis der letzte Nagel eingeschlagen war.
Inzwischen wurde es Nacht. – Am andern Morgen sollte das Boot des »Dauphin« den Toten und den Leben- den abholen. Da die Eingeborenen keinen Toten über Nacht in ihren Häusern dulden, so ließ Dieudonné den Sarg unter den Zitronenbaum stellen, wo Mahauni unmittelbar nach der Ankunft der Fremden übernachtet hatte. Dann ließ er seine Matratze neben den Sarg legen und begab sich, den Kopf an den Sarg lehnend, zur Ruhe.
Am andern Morgen packte er Alles zusammen was dem Kapitän Dumesnil gehört hatte: Kleider, Waffen, vor allen Dingen aber die Schatulle.
Dieudonné fühlte noch nicht die Kraft, diese zu öffnen; wahrscheinlich enthielt sie einige letztwillige Anordnungen, die ihm das Herz brechen mussten. Er dachte, es sei Zeit genug, sie in Frankreich, in Chartres, nach dem Begräbnis, seines Freundes zu öffnen.
Endlich schenkte er den betrübten Tahitierinnen eine Menge Kleinigkeiten, welche diese naiven Naturkinder gern haben zu wollen schienen.
Das Boot kam zur bestimmten Stunde, um den Chevalier abzuholen. Außer den vier Ruderern waren vier Matrosen, ein Bootsmann und der Doctor darin.
Alle Einwohner von Papeite begleiteten den Sarg und den Chevalier bis ans Meeresufer. Der biedere, derbe Dumesnil war sehr beliebt gewesen, noch mehr aber bedauerte man die Abreise des sanften, gutmüthigen, freigebigen Dieudonné.
Am Landungsplatz nahmen die Männer Abschied von ihrem Gast; die Weiber, die sich noch nicht von ihm trennen mochten, sprangen ins Meer und schwammen wie Sirenen um das Boot. Einige, die den Weg bis zum Schiffe etwas lang fanden, riefen dem Chevalier Lebewohl zu und verließen ihn auf halbem Wege. Fünf oder sechs hielten aus bis zu der Brigg.
Als der Chevalier die Leiter bestieg, sank Mahauni weinend in seine Arme und fragte, ob er sie mitnehmen wolle.
Dieses Anerbieten des holden Naturkindes rührte ihn tief. Er war unschlüssig, aber er dachte an den Rat seines sterbenden Freundes, fasste einen festen Entschluss, stieß die schöne Mahauni zurück und stieg rasch auf das Verdeck.
Die Tahitierinnen schwammen noch eine Weile um die Brigg; aber als ihr Freund, der Chevalier, nicht wieder zum Vorschein kam, warfen sie den Matrosen Kusshände zu und schwammen ans Land zurück.
Zwei- oder dreimal hielt Mahauni an und sah sich nach der Brigg um; aber als sie den Chevalier nicht erblickte, tauchte sie unter, um ihre Tränen abzuwaschen, und erschien ganz freundlich wieder auf der Wasserfläche.
Wir bemerken dies ausdrücklich damit unsere Leser die tahitische Ariadne nicht allzu sehr bedauern, zumal wenn sie vielleicht in sentimentalen Romanen gelesen haben, dass sich Insulanerinnen, die von Europäern verlassen worden, über die Treulosigkeit der Letzteren zu Tode gegrämt.
Dieudonné erschien nicht auf dem Verdeck, weil er mit der Unterbringung des Sarges in seiner Kajüte beschäftigt war.
Während er diese Anordnungen traf, kam eine schöne schwarze Hündin in die Kajüte und sah ihn mit ihren großen klugen Augen an.
Der Chevalier wurde durch den Anblick des Hundes so ergriffen, dass er auf einen Stuhl sank und von neuem in Tränen ausbrach: er erinnerte sich einiger kaum verständlichen Worte, die sein sterbender Freund gelallt hatte.
Er nahm den Kopf des schönen Hundes in beide Hände, aber er mochte diese Liebkosung wohl nicht mit gehöriger Schonung machen, denn der Hund lief davon.
Der Chevalier fragte einen Matrosen, wem die schöne neugierige und doch so scheue Hündin gehöre.
Der Matrose antwortete, sie gehöre einem Passagier und habe gestern vier Junge geworfen; drei derselben habe man ins Meer geworfen, und das Tier sei wahrscheinlich zu dem vierten geeilt; dies werde wohl die Ursache sein, warum es sich den Liebkosungen des Chevaliers entzogen.
Da der Wind günstig war, so ließ der Kapitän die Anker lichten. Das nächste Ziel der Reise war Valparaiso, wo ein Passagier abgesetzt werden sollte.
Der Chevalier hatte nicht vergessen, wie sehr er von Havre nach Neuyork und von San Francisco nach Tahiti an der Seekrankheit gelitten; seine erste Sorge war daher, sich in seine Hängematte zu legen und sich dem ihm zur Bedienung zugewiesenen Matrosen zu empfehlen.
Diese Vorsorge war nicht überflüssig. Nach drei Tagen der schönsten Fahrt trat stürmisches Wetter ein. welches beinahe vierzehn Tage anhielt. Der Chevalier stand nicht auf; der Matrose, der ihm zu essen brachte, war immer von der schönen schwarzen Jagdhündin begleitet, denn das kluge Tier wusste wohl, dass der Chevalier die Speisen fast unberührt ließ.
Am achtzehnten oder neunzehnten Tage, als die See noch immer hoch ging und der Chevalier immer in seinem Bett lag, kam die Hündin wie gewöhnlich, aber dieses Mal in Begleitung des kleinen Hundes, der bereits auf dem Verdeck zu laufen begann.
Der kleine Hund, ein Miniaturbild seiner Mutter, war allerliebst. Ungeachtet seines Entschlusses, ganz teilnahmslos zu bleiben, begann der Chevalier den kleinen Black – so hieß der junge Jagdhund – mit Liebkosungen zu überhäufen. Er fütterte ihn mit gestoßenem Zucker, den der kleine Black gewissenhaft bis auf die letzte Krume aus seiner Hand aufleckte.
Oft war der Chevalier im Begriff, den Matrosen zu fragen, ob der Herr des Hündchens wohl geneigt sein würde, dasselbe zu verkaufen; aber er dachte an die Mahnung Dumesnil’s: Werde ein Egoist! hänge dein Herz an gar nichts! Er verbannte gewaltsam den Gedanken, irgend einem Geschöpf und wäre es auch nur ein Hund, einen Teil seines Herzens zu schenken, das seinem Freunde ganz und ungeteilt gehören sollte.
In jedem andern Verhältnis würde Dieudonné dieser langen Abgeschiedenheit überdrüssig geworden sein und er würde sich, auf die Gefahr hin, die Seekrankheit in höherem Grade zu bekommen, auf das Verdeck geschleppt haben; aber er war ja nicht allein in seiner Kajüte, er war mit dem Teile seiner Selbst, welchen ihm der Tod so grausam entrissen, und er fühlte mit einer gewissen Selbstbefriedigung, dass seine Liebe nie erkalten, seine Tränen nie versiegen würden.
Es dauerte noch vier bis fünf Tage, bis sich das Meer wieder beruhigte; dann hörte das Schwanken des Schiffes plötzlich auf und völlige Ruhe trat ein.
Dieudonné rief seinen Matrosen und fragte ihn um die Ursache dieser Ruhe.
Der Matrose antwortete, das Schiff befinde sich auf der Rhede von Valparaiso; wenn der Chevalier aufstehen wolle, so könne er die Küste von Chili und den Anfang des schönen Thales sehen, welches wegen seiner unvergleichlichen Schönheit den Namen »Valparaiso«, das ist »Tal des Paradieses« erhalten hat.
Der Chevalier erklärte sich bereit sein Lager zu verlassen; aber da Black mit seiner Mutter da war, so spendete er seinen Lieblingen zuerst Brot, Fleisch und Zucker.
Die Hündin wurde mitten in der Mahlzeit durch einen lauten Pfiff gestört; sie hob den Kopf, aber zögerte noch.
Ein zweiter Pfiff und gleich darauf der Name Diana offenbar von ihrem Herrn gerufen, machte ihrer Unschlüssigkeit ein Ende, und sie lief mit ihrem Jungen davon.
Der Chevalier kleidete sich an und begab sich auf das Verdeck.
In dem Augenblicke als sein Kopf in der Lucke erschien, fuhr die Schaluppe ab, um den Passagier, der zu Valparaiso abgesetzt werden sollte, an’s Land zu bringen.
Der Chevalier, durch den Anblick der wundervollen Küste unwillkürlich gefesselt, trat an den Bord des Schiffes. Sein Blick fiel nun auf das Boot, welches schon etwa hundert Schritte entfernt war.
In dem Boote befand sich die schöne Hündin, die den Kopf auf das Knie des abfahrenden Passagiers gelegt hatte.
Der Chevalier rief seinen Matrosen.
»Francis,« fragte er, »wird Black mit seiner Mutter wohl wiederkommen?«
»Nein, Herr Chevalier,« antwortete der Matrose; »die beiden Hunde gehören Herrn von Chartier und gehen mit ihm ans Land.«
Dieudonné erinnerte sich dieses Namens. Es war der Name des Freundes, der die unschuldige Ursache des Todes Dumesnil’s gewesen war. Aber wie schuldlos auch dieser Fremde war, so war Dieudonné doch sehr erzürnt gegen ihn.
»Es freut mich, dass er geht. Dumesnil hatte ihn sehr lieb, sein Anblick würde mich zu sehr ergriffen haben. – Nur den kleinen Hund vermisse ich sehr ungern. Im Grunde ist’s, freilich recht gut, dass das Hündchen nicht am Bord geblieben ist; ich fing schon an ihm gut zu werden.«
Am andern Morgen wurden die Anker gelichtet. Zwei Monate darauf landete man zu Brest.
Eine Woche nachher traf der Chevalier mit der irdischen Hülle seines Freundes in Chartres ein.
XV
Wo der Chevalier dem Kapitän die letzte Ehre erweist und sich zu Chatres ansiedelt
Der Chevalier stieg im Gasthofe ab und zog sogleich Erkundigungen ein.
Der Kapitän Dumesnil hatte keine Verwandten mehr; aber viele Einwohner von Chartres hatten den Kapitän gekannt und ließen seinem Mut und seiner Biederkeit alle Gerechtigkeit widerfahren.
Dieudonné begab sich zum Totengräber und ließ sich das Grab der Familie Dumesnil zeigen. Ein Fach der Gruft war noch leer, wie der Kapitän gesagt hatte.
Der Chevalier hatte die Vorsicht gebraucht, einen vom Schiffsarzt und dem Schiffskapitän unterzeichneten Totenschein ausstellen zu lassen. Mit diesem amtlichen Dokument in der Hand konnte er das letzte Marmorbett für seinen entschlafenen Freund verlangen.
Er schickte Todesanzeigen an alle Honoratioren in der Stadt und ließ das Ableben Dumesnil’s in den Zeitungen bekannt machen. Nächsten Montag sollte das Begräbnis stattfinden; die etwa noch lebenden Verwandten des Verstorbenen hatten fast eine Woche Zeit sich einzufinden. Die etwa entfernter wohnenden Angehörigen der Familie Dumesnil konnten den aus einigen hundert Francs bestehenden Nachlass schriftlich reklamieren. Der Kapitän hatte kein Vermögen gehabt und war auf seinen Ruhegehalt von fünfzehnhundert Francs beschränkt gewesen.
Das Begräbnis fand an dem bestimmten Tage statt. Kein Verwandter erschien, aber alle Einwohner der Stadt wohnten dem Begräbnis bei. Der Chevalier war der einzige Leidtragende und ein Sohn würde seinen Vater gewiß nicht aufrichtiger betrauert haben, als der Chevalier seinen Freund betrauerte. Die kaum versiegten Tränen warteten nur auf eine Gelegenheit um von neuem zu fließen, und es tat ihm unendlich wohl, sich auszuweinen.
Als die Leiche in die Gruft gesenkt war, wollte den Chevalier de la Graverie einige Worte zu der Menge sprechen, welche sich halb aus Neugier halb aus Teilnahme dem Trauerzuge angeschlossen hatte, aber er war zu tief ergriffen, um sprechen zu können.
Dies war die beste Art, seinen Dank auszudrücken. Seit jenem Tage ließ Jedermann wenigstens seinem Herzen Gerechtigkeit widerfahren. Man begleitete den Chevalier bis vor den Gasthof.
In seinem Zimmer war Dieudonné ganz allein und verlassen. Er betrachtete die verschiedenen Gegenstände, welche dem Kapitän gehört hatten, und unter ihnen die Reiseschatulle. Der Anblick dieser Reliquien entlockte ihm neue Tränen.
Er fasste nun den Entschluss, in Chartres zu bleiben. Kein Ort der Welt war ihm besonders anziehend; eine langweilige, öde Stadt wie Chartres, mit ihrer alten Kathedrale, deren Türme wie zwei Arme beständig, wie um Barmherzigkeit flehend, zum Himmel emporgestreckt sind, war seiner Stimmung ganz angemessen.
Er wollte von seinen vormaligen Freunden Niemand wiedersehen, Niemand zumal, der Mathilde gekannt hatte und sich vielleicht nach ihr erkundigen mochte. Und gleichwohl hegte er auf französischem Boden die geheime Hoffnung, sie wiederzusehen. Er glaubte an jeder Straßenecke werde sie ihm begegnen und in seine Arme sinken.
Er begann sogleich ein Haus zu suchen und fand das oben beschriebene, welches ihm in jeder Hinsicht passend schien. Er ließ einen Tapezier kommen, bestellte Möbeln und schrieb an seinen Notar mit dem Auftrage, ihm die von seinen Renten rückständigen Summen, sein Silberzeug und andere Kostbarkeiten zu senden.
Der Notar, der dem Chevalier während seiner siebenjährigen Abwesenheit nur einen Teil seiner Rente geschickt hatte, konnte über eine Summe von dreißig- bis vierzigtausend Francs verfügen. Außerdem hatte der Chevalier eine Jahresrente von etwa zwanzigtausend Livres, und mit einer solchen Rente ist man in Chartres ein Krösus.
Nach acht Tagen konnte das Haus bezogen werden. Der Einzug war eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit; der Leser wird sich erinnern, wie komfortabel der Chevalier seinen Salon, sein Speisezimmer und zumal sein Schlafgemach eingerichtet hatte.
Wir haben damals absichtlich unterlassen, den Toilettentisch des Chevalier zu beschreiben.
Dumesnil hatte ihm in seinem letzten Augenblicke die Schatulle empfohlen.
Als der Chevalier eingezogen war, beschloss er die Schatulle zu öffnen. Er waffnete sich mit aller Kraft, setzte sich auf seinen weichen orientalischen Teppich nahm die Schatulle zwischen die Knie und öffnete sie, nachdem, er zuvor sein Schnupftuch aus der Tasche gezogen hatte.
Die ersten Gegenstände, die er erblickte, öffneten in der Tat wieder seine Tränenschleusen. Es waren die Gerüche, welche der Kapitän bei seiner Toilette gebraucht hatte.
Der Chevalier nahm sie nach einander heraus und legte sie um sich aus den Teppich.
Endlich bemerkte er, dass die Schatulle einen doppelten Boden hatte. Es gelang ihm ohne Mühe das geheime Fach zu öffnen.
Dieses Fach enthielt ein sorgfältig versiegeltes und zusammengeschnürtes Paket. Auf dem Umschlage standen folgende Worte.
»Ich bitte meinen Freund de la Graverie bei unserer Freundschaft und seiner Ehre, dieses Paket an Madame de la Graverie zu übergeben, wenn er sie jemals wieder sieht, oder es an dem Tage, wo er ihren Tod erfahren wird, unerbrochen zu verbrennen.
Dumesnil.«
Der Chevalier wurde nachdenkend; aber es fiel ihm ein, dass Dumesnil, während er. Dieudonné, durch den Beinbruch ohnmächtig gewesen war, Mathilde wiedergesehen hatte; wahrscheinlich hatte sie ihm irgend einen Auftrag gegeben, den er vielleicht nicht vollzogen hatte und dessen Aufklärung sich in dem Paket befand.
Er legte das Paket daher wieder in die Schatulle, verschloss sie sorgfältig, stellte sie in einen Schrank und legte auf seinen Toilettentisch alle Gegenstände, deren sich sein Freund bedient hatte, und die er nun zum Andenken aufbewahren und in Gebrauch nehmen wollte.
Er dachte einige Tage fast unablässig an das versiegelte Paket, aber es kam ihm nie in den Sinn es zu eröffnen.
In der fremden Stadt war Dieudonné von den alltäglichen Trost gründen, die seinen Schmerz nur vermehrt hätten verschont geblieben. Die Gleichgültigkeit gegen Alles war das beste Linderungsmittel für seine Trauer.
Er bezog seine neue Wohnung in sehr trüber Stimmung. Er hatte in einem Offizier der Garnison einen vormaligen Kameraden wiedergefunden; er war nicht geneigt die Bekanntschaft mit ihm zu erneuern, aber er wusste, dass das Regiment in wenigen Tagen die Stadt verlassen sollte, und besann sich nicht länger. Er gab sich dem Offizier zu erkennen und erkundigte sich nach mehren Personen, die er vor sechzehn bis achtzehn Jahren als junge, blühende, lebenslustige Männer gekannt hatte. Viele waren längst tot; sie fehlten bei diesem Appell, wie ein General die Toten auf dem Schlachtfelde zählt.
Dieudonné wurde nun noch mehr bestärkt in dem Entschluss, Dumesnil’s Rat zu befolgen und sich fortan zu hüten vor jenen flüchtigen Bekanntschaften, die nur wenige Freuden bieten, und dem Herzen keine Befriedigung gewähren. Er wollte Alles umgehen, was künftig seine Ruhe stören könnte, und nachdem er von dem Offizier Abschied genommen hatte, nahm er sich vor, seinen älteren Bruder ganz unbeachtet zu lassen, und sich auch nie nach Mathilden zu erkundigen. Das Erstere fiel ihm nicht schwer, ein um so größeres Opfer aber war die Ausführung seines zweiten Entschlusses.
In dieser Abgeschiedenheit hatte sich Dieudonné nur mit seiner eigenen Person zu beschäftigen. Mit den Einwohnern von Chartres kam er nur so viel in Berührung, als nötig war, um kein Gegenstand lästiger Neugier zu werden. Er vermied zumal sorgfältig jede trauliche Annäherung und hielt sich streng in den Grenzen kalter Höflichkeit. Wenn er je zu» weilen im Gespräche etwas zutraulicher wurde, so betrachtete er diese Stimmung als eine Warnung des Himmels, und als ob ihm die Regungen der Freundschaft hätten gefährlich werden können, zeigte er sich am freundlichsten und wohlwollenden gegen Narren und böse Leute, an denen es nirgends in der Welt, selbst in dem öden Chartres nicht, fehlt.
Nicht minder streng war der Chevalier de la Graverie in allem was sein häusliches Leben betraf. Er verbannte aus seiner Nahe alle Hunde, Katzen und Vögel, die er als Ursachen von Plackereien und Verlegenheiten betrachtete.
Er hatte nur Eine dienende Person. Er wählte immer eine geschickte, aber alte, zänkische Köchin, um sie immer in ehrerbietiger Entfernung von seinem Herzen halten zu können, und entließ sie ohne alle Schonung, nicht etwa aus Ärger, sondern wenn er merkte, dass ihm ihre Dienstleistungen zu angenehm wurden.
In dieser Beziehung wurden seine kühnsten Wünsche seit einiger Zeit übertroffen. Wir haben die Haushälterin Marianna im zweiten Kapitel dieser Erzählung kennen gelernt; wir haben gesehen, wie sie auf ihren Herrn und den Hund, der ihm nachgelaufen war, eine große Wasserflut ergoss.
Marianna war hässlich, und sie wusste es. Dieses Bewusstsein der Hässlichkeit trug nicht wenig zur Verbitterung ihres Gemütes bei, so dass der Chevalier de La Graverie das Glück hatte, die unangenehmste Person, die er je kennen gelernt, in seinem Hause zu haben. Herzensleiden hatten den größten Anteil an dieser stets aufgeregten, zänkischen Stimmung; unter dem Vorwand, sich an einem Treulosen zu rächen, quälte sie den armen Dieudonné, ohne zu ahnen, welchen Dienst sie ihm damit erwies; er hatte ja eine dienende Person im Hause, zu der er unmöglich die mindeste Zuneigung fühlen konnte.
Aber Marianna besaß außer ihrer Grobheit und ihrem zänkischen Charakter noch andere, für den Chevalier höchst schätzbare Eigenschaften; sie war ohne Widerrede die geschickteste Köchin in Chartres, und wir haben im Anfange unserer Erzählung bereits angedeutet, dass die Bauchdienerei die Lieblingssünde des Chevaliers war. In dem Maße als sein Herz einschrumpfte, dehnte sich sein Magen aus. Der Küchenzettel, spielte in seinem Leben eine Hauptrolle, und obschon er sich durch einige Indigestionen überzeugt hatte, dass keine Freude hienieden vollkommen ist, so erwartete er die Stunde der Tafel doch immer mit großer Sehnsucht. Marianna war für ihn die wichtigste Person auf Erden.
Nach und nach gewöhnte sich der Chevalier so gut an dieses Schneckenleben, dass die aller unbedeutendsten Vorfälle für ihn hochwichtige Ereignisse wurden. Das Summen einer Fliege verursachte ihm Nervenzucken, und da er unablässig mit seiner treueren Person beschäftigt war, so wurde seine Ruhe von Zeit zu Zeit getrübt durch die Atome, die seine rastlose Phantasie durch ein Vergrößerungsglas sah.
Er war eigentlich kein schlechter Mensch geworden; sein Herz hatte etwas von der Härte des Schneckenhauses angenommen, in welches es sich geflüchtet hatte, und seine ursprünglichen guten Eigenschaften waren durch diese beständige Sorge für das eigene Ich sehr abgestumpft worden; seine Herzensgüte wurde negativ; er mochte seine Mitmenschen nicht leiden sehen, aber seine Menschlichkeit entsprang aus dem unangenehmen Gefühl, welches ihm der Anblick des Elends verursacht hatte, und aus dem sich unwillkürlich ihm aufdrängenden Gedanken, dass er selbst vielleicht auch unglücklich werden könne. Er würde seine Almosen gern verdoppelt haben, wenn man ihm nur den Anblick eines Bettlers hatte ersparen können. Das Mitleid war bei ihm eine Verstimmung der Nerven geworden, an welcher sein immer mehr einschrumpfendes Herz keinen Anteil hatte.
Es geht mit den Tugenden und Lastern wie mit eines Geliebten; wenn man einen Monat von ihr getrennt gewesen ist, so vermisst man sie nicht mehr und denkt nicht mehr an sie.
Dahin war’s also nach acht— bis neunjährigem Aufenthalte zu Chartres mit dem Chevalier de la Graverie gekommen.