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Kitabı oku: «Black», sayfa 9

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Zweiter Band

I
Wo der Verfasser den abgerissenen Faden der Erzählung wieder anknüpft

Als wir diese lange Abschweifung, die an sich selbst eine ganze Geschichte ist, begannen, hatte Marianne dem Parlamentiren zwischen dem Chevalier und dem schönen schwarzen Jagdhunde in höchst brutaler Weise ein Ende gemacht.

Der arme Dieudonné begab sich triefend und murrend in sein Schlafzimmer. Wäre ihm seine Haushälterin auf der Treppe begegnet, so würde es ihr gewiss schlecht ergangen sein; aber er fühlte eine eisige Kälte, die ihm durch Mark und Bein drang, er hielt es daher für angemessen, zuvörderst alle Vorkehrungen gegen den Schnupfen zu treffen und dann erst seinem Zorn freien Lauf zu lassen.

Ein loderndes, knisterndes Kaminfeuer, wie man es nur in den Provinzen findet, vertrieb sogleich das Frösteln und die üble Laune Dieudonné’s, der in der behaglichen Wärme bald seinen Zorn vergaß. Dann dachte er an den armen Jagdhund, der ebenso übel zugerichtet worden war, wie er selbst, und sein langes seidenartiges Haar vermutlich in der matten Herbstsonne trocknen musste.

Dieser Gedanke trieb den Chevalier aus dem weichen Armsessel. Dieudonné trat ans Fenster; der Hund saß schlotternd auf der andern Seite der Straße vor dem gegenüberstehenden Gefangenhause, und betrachtete mit tiefer Betrübnis die Haustür, von welcher er in so schonungsloser Weise fort getrieben worden war.

In diesem Augenblicke bemerkte der Hund den Chevalier de la Graverie am Fenster; der Kummer des klugen Tieres wurde nun noch deutlicher sichtbar. Das erste Gefühl Dieudonné’s war eine Regung des Mitleids, aber seine langjährige Gewohnheit, solche Regungen zu bekämpfen, siegte über diesen Rest seines früheren Temperamentes.

»Er gehe zu seinem Herrn« sagte der Chevalier laut, als ob er seine eigenen Gedanken beantwortete. »Marianne würde vollkommen Recht haben, wenn sie den Hund und mich nicht so brüderlich gleich behandelt hätte; man müsste ein fürstliches Vermögen haben, wenn man jeden vagabundierenden Hund aufnehmen wollte. Dieser Hund hat sehr viele Fehler: er ist naschhaft und hat folglich den Diebsinstinkt; er würde das ganze Haus plündern. Überdies will ich kein Tier bei mir haben, ich habe es mir fest vorgenommen und habe es Dumesnil versprochen.«

Der Chevalier warf sich wieder in seinen Armsessel und suchte die Regungen seines Gewissens zu beschwichtigen.

Er begann einzuschlummern. Aber nun ging in dem Geiste des armen Dieudonné etwas Seltsames vor. Noch ehe er völlig eingeschlummert war, glaubte er sich in ganz neue Umgebungen versetzt: die Wände taten sich auf und verwandelten sich in Gitterwerk, wie ein Vogelkäfig; eine warme balsamische Luft zog durch die Öffnungen ein, und man sah den reinen blauen Himmel, und die üppige Tropenvegetation und den unermesslichen Meeresspiegel.

Der Chevalier de la Graverie fühlte sich im Traum wie durch eine magnetische Gewalt nach Papeite versetzt. Er stand an einem Bett, vor welchem gelbe Wachskerzen brannten. Auf dem Bett lag eine verhüllte menschliche Gestalt. Allmählich wurde das Leichentuch durchsichtig, und der Chevalier erkannte die bleichen, eingesunkenen Züge, die erloschenen Augen, den halb offenen Mund Dumesnil’s, und er hörte die Stimme seines Freundes, der deutlich und vernehmlich folgende Worte sprach: »Ich müsste denn die Seelenwanderung dort oben an der Tagesordnung finden; in diesem Falle möchte ich in die Haut eines Hundes fahren —«

Dann ließ sich eine Wolke zwischen dem Chevalier und dem Leichnam des Kapitäns nieder, und die Vision verschwand.

Der Chevalier schrie laut auf. als ob er in einen Abgrund stürzte, und erwachte. Als er völlig wach war, fand er, dass er sich an seinem Armsessel festhielt.

»Welch ein abscheulicher Traum!« sagte er, sich den Schweiß von der Stirne wischend. »Armer Dumesnil!«

Dann starrte er eine Weile die Stelle an, wo ihm die Vision erschienen war.

»Er war’s wirklich!« stammelte er.

Diese Überzeugung schien ihn bewogen zu haben, einen festen Entschluss zu fassen. Er stand auf und ging rasch auf das Fenster zu.

Aber mitten im Zimmer stand er still.

»Nein, es ist doch gar zu dumm!« sagte er; »mein armer Freund ist leider tot, aber solche abgeschmackte Ideen sollte ich verbannen. – Ich habe mich heute auf dem langen Spaziergange erhitzt, das Sturzbad Mariannens hat mich zu rasch abgekühlt, und der verwünschte Hund hat mich ganz verwirrt gemacht. – Ich will nicht mehr daran denken.«

Der Chevalier trat vor seinen Bücherschrank, und um nicht mehr »daran zu denken,« nämlich an den Kapitän Dumesnil und den schwarzen Hund, nahm er aufs Geratewohl ein Buch, warf sich wieder in einen Armstuhl, stellte seine Füße auf den Feuerbock des Kamins, schlug das Buch auf und fand zufällig folgende Zeilen:

»Über das von Pythagoras aufgestellte System ist uns kein Lehrsatz geblieben, aber nach den auf uns gekommenen Überlieferungen kann man versichern, dass er nur vom Standpunkte der Materie, keineswegs aber vom Standpunkte des dem Menschen innewohnenden Lebensprinzips an den Tod glaubte. Dieses Lebensprinzip sei unsterblich und könne daher durch den Menschen nicht abgenutzt oder verändert werden; es gehe aber in andere Wesen über: in Wesen gleicher Natur, wenn die Götter ein Leben voll Mut, Redlichkeit und Aufopferung belohnen zu müssen glaubten; in Wesen von niederer Natur, wenn der Mensch während seines Erdenlebens irgend ein zu sühnendes Unrecht begangen habe. So behauptet er, seinen Freund Kleomenes von Thasos acht bis zehn Jahre nach dessen Tode in der Gestalt eines Hundes wieder erkannt zu haben.«

Weiter las der Chevalier nicht; er ließ das Buch fallen, welches seine Gedanken so unmittelbar beantwortet hatte, und trat zögernd ans Fenster.

Der Hund war noch auf seinem Posten, in der gleichen Stellung, und starrte das Fenster an, an welchem Dieudonné erschienen war. Sobald er den Chevalier wieder erblickte, begann er mit dem Schweif zu wedeln.

Diese Beharrlichkeit des Tieres stand mit den Gedanken des Chevaliers so sehr im Einklang, dass er seine ganze Vernunft aufbieten musste, um in seinem Zusammentreffen mit dem schwarzen Hunde kein übernatürliches Ereignis zu erblicken.

So schwankte er eine Weile zwischen der Beschämung über diese abergläubischen Ideen und zwischen der seltsamen Teilnahme für seinen Begleiter. Endlich entschloss er sich zu einem Auskunftsmittel, durch welches er seinem Gefühl Genüge leisten konnte, ohne einen lästigen Gast in sein Haus zu bringen.

Er eilte in die Küche hinunter. Marianne war nicht da.

Der Chevalier freute sich: er hatte wirklich die Tür schließen gehört und hoffte, die Haushälterin sei ausgegangen. Er hatte ihre Vorwürfe gefürchtet. Aber er hatte seinen Entschluss gefasst, er war »im Harnisch.« Wenn Marianne etwas einwendete, so wollte er die Gelegenheit benützen, um seinen Zorn gegen sie auszulassen und ihr mit hausherrlicher Würde erklären: »Marianne, wir können nicht länger beisammen bleiben!«

Die Wirkung dieser Worte hatte er schon einige Male erprobt: Marianne war immer geschmeidig wie ein Handschuh geworden.

Aber seit einiger Zeit war Marianne zänkischer als je zuvor geworden, und er hatte geglaubt, diese üble Laune sei die Folge von Dienstanträgen, die ihr der Bürgermeister von Chartres gemacht. Es war daher zu fürchten, dass die unschätzbare Köchin sein Haus verlassen und bei dem Bürgermeister Dienste nehmen werde.

Der Chevalier hatte wohl die Regungen seines Herzens, aber keineswegs das Bellen seines Magens beschwichtigt. Daher hatte er so sehr gefürchtet, Marianne in der Küche zu finden, und daher war es ihm so leicht ums Herz geworden, als er bemerkte, dass sie nicht da war.

Der Chevalier benützte diese Gelegenheit und trat rasch vor den Speiseschrank.

Der Speiseschrank war verschlossen. Marianne war eine sorgsame Haushälterin.

Er nahm ein Messer und versuchte damit das Schloss zu öffnen. Aber er bedachte was Marianne sagen würde, wenn sie ihn auf der Tat ertappte. Marianne betrachtete ja die Küche als ihr Eigentum.

Dieudonné ließ das Messer fallen und sah sich verzweifelnd um.

Unweit der Tür, auf einem hohen Brett bemerkte er ein gebratenes Huhn, von welchem er Morgens nur einen Flügel gegessen hatte. Marianne hatte offenbar die Absicht, diesen leckeren Ueberrest zum Diner zu verwenden. Die Phantasie Dieudonné’s labte sich an dem saftigen Huhn, welches er als Fricassee, als Marinade, als Bayonnaise oder Mayonnaise – die gelehrten Gastronomen sind über die Schreibart nicht ganz einig – zu erwarten hatte. Er sah daher in der ganzen Küche nach andern Esswaren um, welche das gebratene Huhn zu dem beabsichtigten Zwecke ersetzen könnten. Aber er fand nichts.

Er fasste das Huhn bei den Füßen, hielt es vor die, Augen, betrachtete es mit lüsternen Seufzern, und bekämpfte nur mit Mühe die Lust, hinein zubeißen.

Er würde vielleicht der Versuchung nachgegeben haben, wenn nicht das Knarren der Haustür seiner Unschlüssigkeit ein Ende gemacht hätte.

Der Chevalier ging als Held hervor aus dem Kampfe den sein Herz gegen seinen Magen führte. Er wickelte das gebratene Huhn schnell in seinen Schlafrock und eilte mit einer Behändigkeit, die er seinen fünfundvierzigjährigen Füßen nicht zugetraut hätte, die Treppe hinauf.

Kaum hatte er sein Zimmer betreten, so verriegelte er die Tür und sank in einen Armsessel. – Seine Kräfte waren erschöpft.

Fünf Minuten genügten dem Chevalier, um seine Besinnung wieder zu bekommen. Er stand auf, öffnete entschlossen das Fenster, rief den Hund, der, wie eine Sphinx, noch immer auf derselben Stelle ausgestreckt lag, und warf ihm, mit stolzer Gebärde das gebratene Huhn zu.

Der Hund fing den Braten im Fluge auf, und statt mit demselben fortzulaufen, wie es der Chevalier erwartete und vielleicht hoffte, nahm er das Huhn mit der Zuversicht des Rechtsbewusstseins zwischen die Pfoten und begann es mit einer Kraft und Behändigkeit zu zerlegen, welche von der Solidität seiner Kinnladen das glänzendste Zeugnis ablegte.

»Bravo!« rief ihm der Chevalier zu. »Bravo, mein Junge! So ist’s recht! – Die Schenkel sind schon verschwunden – jetzt kommt das Gerippe! – Du warst gewiß recht ausgehungert, armes Tier!«

Der Chevalier seufzte tief, denn er dachte an die Seelenwanderung, zugleich kam ihm das Bild des armen Dumesnil vor die Seele. Der Gedanke, dass der Freund, der in seiner menschlichen Hülle so gut gegen ihn gewesen war, unter einer andern Hülle, zumal hinter der eines Hundes, der ihn vielleicht aufgesucht, vielleicht Hunger gelitten hatte, erpresste ihm Tränen.

Wer weiß wohin dieser Gedanke den Chevalier geführt haben würde, wenn er Zeit gehabt hätte, ihn zu verfolgen. Aber er wurde durch ein aus dem Erdgeschoss kommendes Wutgeschrei seinem Ideengange gewaltsam entrissen.

In seiner Stimmung und in dem Bewusstsein seiner Schuld erkannte er ohne Mühe die Stimme Mariannens.

Er schlug hastig das Fenster zu und eilte an die Tür, um den Riegel vorzuschieben.

Es war wirklich Marianne, welche bei der Entdeckung des Geflügelraubes jammerte, als ob das Haus in Feuer stände.

Der Chevalier hielt es für das Beste, der Gefahr entgegenzugehen, oder sogar den Sturm auf sich zu lenken. Wenn Marianne zufällig in die Haustür trat und den am Gerippe des Huhnes nagenden Hund sah, so war Alles entdeckt. Wenn der Chevalier sie hingegen nur fünf Minuten mit sich beschäftigte, so hatte der Jagdhund Zeit, das Huhn mit Stumpf und Stiel zu verzehren. Das corpus delicti war dann verschwunden, der Hund würde sich freilich, in der Erwartung eines andern gebratenen Huhnes, die Lefzen lecken, aber er konnte ja nicht ausplaudern, und hätte er sprechen können, so sah er zu klug aus, um dem Hausdrachen seine gastronomischen Beziehungen zu dem Chevalier de la Graverie zu entdecken.

Dieudonné trat also aus seinem Zimmer und rief oben an der Treppe mit gebieterischer Stimme:

»Was gibt’s denn, Marianne? Was bedeutet der Lärm?«

»Was der Lärm bedeutet? Wie können Sie so fragen, Herr Chevalier?«

»Diantre!« sagte er, seine ganze hausherrliche Würde zusammennehmend; »ich habe doch wohl das Recht zu wissen, was in meinem Hause vorgeht!«

Diese Worte: »in meinem Hause« betonte er sehr stark.

Marianne fühlte den Stachel.

»In Ihrem Hause?« erwiderte sie. »In Ihrem Hause gehen schöne Dinge vor!«

»Was geht denn vor?« fragte der Chevalier, als ob er es nicht wüsste.

»Es wird in Ihrem Hause gestohlen!« erwiderte Marianne mit starker Betonung.

Der Chevalier hustete und fragte etwas kleinlaut:

»Was wird denn gestohlen?«

»Ihre Speisen werden gestohlen! Und Sie werden doch nicht verlangen, dass ich um vier Uhr Nachmittags noch einmal auf den Markt gehe! Es ist ohnehin nichts mehr zu haben. Und wenn man auch noch etwas Geflügel fände, so wäre es nicht mehr gut; denn es müsste bekanntlich ein paar Tage liegen, ehe es essbar wird.«

Der Chevalier hätte ihr gern den Rat gegeben, zum Pastetenbäcker zu gehen; aber der Jagdhund war gewiss noch vor der Tür, und der Chevalier wollte ihn nicht in Gefahr bringen, von der Haushälterin misshandelt zu werden.

»Nun,« antwortete er, »was liegt daran, wenn man auch einmal etwas schlechter speist?«

Diese philosophische Anschauungsweise stand mit den kleinlichen Bemerkungen, die der Chevalier sonst über die Speisen zu machen pflegte, so sehr in Widerspruch, dass sich Marianne erstaunt und mit dem Vorsatze, ihm recht schlechte Speisen aufzutragen, in ihre entweihte Küche zurückbegab.

Andererseits aber glaubte der Chevalier gegen den Hund keine Verpflichtungen mehr zu haben. Ohne wieder ans Fenster zu treten, pflanzte er sich wieder in seinen Lehnstuhl und vegetierte, bis Marianne erschien und höhnisch meldete, dass das Diner aufgetragen sei.

Diese Meldung wurde immer Schlag fünf Uhr gemacht.

Der Chevalier begab sich in sein Speisezimmer und setzte sich an den Tisch.

Marianne brachte mit feierlichem Anstand ein Stück Rindfleisch, einen Teller mit Zuckererbsen und eine Schüssel mit Bohnensalat, mit der Erklärung, dass sie ihm für heute nichts weiter zu bieten habe.

Der arme Chevalier kostete mit dem größten Widerwillen das zähe, faserige Rindfleisch, und begann bald den Zuckererbsen und dem Bohnensalat zuzusprechen. Zum Glück war sein Appetit durch den langen Spaziergang, durch das Sturzbad und die ungewohnte Aufregung sehr gesteigert worden; denn er ließ sich sowohl Erbsen als Bohnen trefflich munden, und als er vom Tische aufstand, erklärte er der erstaunten Marianne, dass er seit langer Zeit nicht so gut gespeist habe.

Nach Tische pflegte der Chevalier in den Club zu gehen. Er würde um keinen Preis der Welt dieser Gewohnheit untreu geworden sein: er würde ja sonst sein Whist zu zwei Heller die Marke entbehrt haben!

Er fürchtete nur, dass der Jagdhund durch das gebratene Huhn nicht zum Fortgehen, sondern zum Bleiben bewogen worden sei, und dass er ihn beim Fortgehen vor der Haustür finden werde. Er beschloss daher durch den Garten zu gehen.

Die Gartentür führte in eine öde Seitengasse, wo gewiss kein vagabundierender Hund einen Herrn erwarten würde.

Der Chevalier begab sich daher auf Umwegen in den Club, ohne durch eine unangenehme Begegnung belästigt zu werden.

Er blieb bis zehn Uhr am Spieltische.

»Der verwünschte Jagdhund,« dachte er, »ist so hartnäckig und zudringlich, dass er vielleicht noch auf seinem Posten ist. Ich würde es nicht über’s Herz bringen können, ihn draußen zu lassen, wenn ich ihn fände; ich will also wieder durch den Garten gehen.«

Der Chevalier machte wieder denselben Umweg durch die Seitengassen. Er beeilte sich, denn es blitzte und in der Ferne hörte man den Donner grollen.

Als er durch den Garten ging, fielen die ersten dicken Regentropfen.

Auf der Treppe fand er Marianne, die den Chevalier, um ihr Unrecht wieder gut zu machen, sehr freundlich und holdselig anredete.

»Es ist gut, Herr Chevalier, dass Sie wieder zu Hause sind.«

»Warum denn?« fragte Dieudonné.

»Warum? Weil es bald ein Wetter geben wird, in welchem man keinen Hund vor die Tür jagt.«

»Hm, hm,« sagte der Chevalier und ging in sein Zimmer.

Er hatte große Lust ans Fenster zu treten, um zu sehen, ob der Hund noch da war; aber er getraute sich nicht. Wie alle schwachen Menschen, wollte er lieber in Zweifel bleiben, als einen Entschluss fassen.

Der Regen schlug prasselnd an die Fensterläden, die Donnerschläge kamen immer näher.

Der Chevalier entkleidete sich schnell, machte seine Nachttoilette, legte sich ins Bett, blies die Kerzen aus und zog die Decke über die Ohren.

Aber das Gewitter war immer noch so heftig, dass er ungeachtet der Vorsichtsmaßregeln den prasselnden Regen und den grollenden Donner hörte.

Plötzlich glaubte er mitten in dem Toben der Elemente laute, jämmerliche Klagetöne zu hören. Es schien das Heulen eines Hundes zu sein.

Der Chevalier bekam eine Gänsehaut.

Ob der schwarze Jagdhund immer noch da war? Oder war es ein anderer Hund?

Dieses Geheul hatte mit dem früheren freudigen Bellen so wenig gemein, dass der Chevalier wohl an die zufällige Anwesenheit eines andern Hundes glauben konnte.

Dieudonné kroch noch tiefer unter die Bettdecke.

Das Gewitter tobte mit immer zunehmender Heftigkeit. Der Sturm war so stark, dass das Haus zitterte.

Wieder hörte man das klägliche, unheimliche Geheul.

Nun hielt es der Chevalier nicht länger aus. Das Geheul schien ihn mit Gewalt aus dem Bett zu reißen. Er stand auf und wankte, wie von einer unwiderstehlichen Gewalt getrieben, auf das Fenster zu. Er zog die Vorhänge auseinander und sah durch die Spalten der Jalousien den armen Jagdhund noch auf derselben Stelle, mitten in dem strömenden Regen, der einen Hund von Granit hätte erweichen können.

Der Chevalier wurde vom tiefsten Mitleid ergriffen. In dieser Beharrlichkeit eines Hundes, der ihn zum ersten Male gesehen, schien etwas Übernatürliches zu liegen. Er fasste die Fensterstange, um die Jalousien zu öffnen; aber in demselben Augenblicke zuckte ein Blitz mit einem furchtbaren Donnerschlag begleitet durch die Luft, und der Hund lief kläglich heulend davon. Der Chevalier aber, getroffen von einem elektrischen Schlage, der von der eisernen Fensterstange durch seinen ganzen Körper fuhr, wich zurück und sank bewusstlos vor seinem Bett nieder.

II
Traumbilder

Als der Chevalier de la Graverie wieder zur Besinnung kam, war das Gewitter vorüber, es war Alles finster und still.

Es dauerte lange, ehe er seine Gedanken sammeln und sich des Geschehenen erinnern konnte. Anfangs konnte er nicht begreifen, wie es kam, dass er im Hemd in einer schon kalten Herbstnacht vor seinem Bett auf dem Teppich lag.

Er war ganz erstarrt, es brauste ihm in den Ohren, wie das ferne Rauschen eines Wasserfalles.

Er richtete sich auf, fühlte umher tastend sein Bett und schwang sich seufzend und mit großer Anstrengung auf seine Matratzenpyramide.

Er fand das Bett noch warm; seine Ohnmacht konnte also nicht lange gedauert haben.

Mit unbeschreiblichem Wohlbehagen kroch er unter die Decke, zog sich, um schneller warm zu werden, wie ein Knäuel zusammen und versuchte einzuschlafen.

Aber nach und nach kam sein Gedächtnis wieder und der Schlaf floh. Der Chevalier erinnerte sich an alle Einzeln, heilen, von dem gebratenen Huhn bis zu dem Donnerschlag.

Dann lauschte er, ob die Stille der Nacht nicht mehr durch das Geheul des Hundes unterbrochen wurde.

Alles war ruhig.

Überdies hatte er ja in dem Augenblicke, wo er durch den noch in seinem Arme fühlbaren elektrischen Schlag getroffen worden, den Jagdhund davonlaufen sehen. Er war also des zudringlichen Tieres entledigt.

Aber dieses Tier, welches ihm wie sein Schatten gefolgt war, stand ja mit den einzigen ihm teuren Erinnerungen, mit dem Tode seines Freundes Dumesnil, in einem sonderbaren Zusammenhang!

Alles dies war sehr ergreifend für den Chevalier, dessen Leben seit acht bis neun Jahren der spiegelglatten Oberfläche eines Sees ähnlich gewesen war, und sich erst seit gestern in einen reißenden Strom verwandelt zu haben schien.

In diesem Augenblick hörte er den hellen vibrierenden Schlag der Tischuhr. Es konnte halb schlagen oder auch ein Uhr. Der Chevalier konnte aufstehen, eine Kerze anzünden und nach der Uhr sehen. Aber er fürchtete sich wie ein Kind und mochte nicht aufstehen.

Er wartete.

Eine halbe Stunde nachher hörte er wieder einen Schlag. Es war also ein Uhr.

Der Chevalier hatte noch fünf bis sechs Stunden zu warten, ehe es Tag wurde. Er schauderte und Angstschweiß brach ihm aus; er würde gewiss vor Tagesanbruch den Verstand verlieren, wenn es ihm nicht gelang einzuschlafen.

Der Chevalier biss die Zähne aufeinander, ballte die Fäuste und nahm sich fest vor, nicht mehr zu wachen.

Leider hat der Mensch in dieser Beziehung keine Gewalt über sich selbst. Der Chevalier fand trotz seines festen Entschlusses keinen Schlaf.

Aber statt des Schlafes kamen die Phantasien, die Hirngespinste, die Träume der Fieberkranken.

Der Chevalier versank in eine Art Erstarrung, die dem Schlaf ähnlich war. Es schien ihm, als ob er und nicht Dumesnil in ein Leichentuch gehüllt auf dem Bette lag; allein man irrte sich, man hielt einen Scheintod für wirklichen Tod, und wollte ihn lebendig begraben.

Dann kam der Totengräber, der ihn vom Bett forttrug und in den Sarg legte, ohne dass er rufen oder sich beklagen konnte, ohne dass er im Stande war, ein Glied zu rühren. Der Deckel wurde auf den Sarg gelegt, und man fing schon an die Nägel einzuschlagen, aber ein Nagel drang ihm ins Fleisch, und der Chevalier erwachte mit einem lauten Schrei aus seiner Betäubung.

Obschon er wachte, oder wenigstens zu wachen glaubte, blieb er in einer beständigen Sinnestäuschung. Es schien ihm, als ob er plötzlich in eine mit sonderbar geformten Tieren bevölkerte phantastische Welt versetzt würde. Die Bestien sahen ihn grimmig an. Er wollte fliehen, aber bei jedem Schritte, wie vor dem Ritter im Garten der Armida erhoben sich neue Ungetüme, die sich zu der ihn verfolgenden Meute gesellten. Der unglückliche Chevalier strauchelte, fiel, stand wieder auf und lief weiter; aber bald wurde er eingeholt, wie ein müde gehetzter Hirsch, und erwartete den Tod, ohne die mindeste Kraft zum Widerstand zu haben. Aber der erste Biss, den er erhielt, weckte ihn durch den brennenden Schmerz, den er verursachte. Er sagte wieder: Es ist nicht wahr! Ich bin in meinem Bett, ich habe nichts zu fürchten; es ist ein Traum, ein drückender Alp!

Der Chevalier richtete sich im Bett auf und hielt die Hände aufs Gesicht. Er mochte sich immerhin fest vornehmen, einen Traum nicht im mindesten zu beachten, die Wiederholung dieser heftigen Erschütterungen, die aus der Schlaflosigkeit entstehende Abspannung begannen seinen Geist zu verwirren.

Selbst in dieser sitzenden Stellung vermochte er sich der furchtbaren Schlafsucht nicht zu erwehren, die ihm so phantastische Bilder vorgaukelte, und seine ganze Geisteskraft zu zerrütten drohte. Er ließ eine Hand sinken; aber kaum hing diese Hand hinab, so glaubte er die weiche warme, liebkosende Zunge eines Hundes zu fühlen; allein nach und nach wurde diese Zunge kälter, bis sie endlich so kalt und starr wie ein Eiszapfen war.

Der Chevalier schlug ein Auge auf, oder glaubte es wenigstens; er war in diesem Augenblicke so wenig Herr seines freien Willens, dass er nicht sagen konnte: Dies ist Traum und dies ist Wirklichkeit. Er zitterte am ganzen Körper, als er den schwarzen Jagdhund vor seinem Bett sitzen sah. Das lange seidenartige Haar des Tieres schimmerte in der Nacht mit einer Art Phosphoreszenz, welche das Zimmer ringsum erleuchtete. Er sah die Augen des Tieres, die mit traurigem, fast menschlichem Ausdruck auf ihn gerichtet waren.

Mit demselben wehmütigen Ausdruck hatte ihn der sterbende Dumesnil angesehen.

Der Chevalier vermochte es nicht länger auszuhalten. Er sprang aus dem Bett und tappte zum Kamin, um Licht zu machen.

Als das Licht brannte, sah sich der Chevalier mit unbeschreiblicher Angst im Zimmer um.

Er war allein unter den gewohnten Gegenständen.

Er trat wieder ans Fenster und zog den Vorhang zur Seite: auf der Straße war Niemand zu sehen.

Er sank in einen Lehnstuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn, Da ihn wieder fror, so legte er sich ins Bett, ließ aber das Licht brennen.

Das Licht mochte wohl die Gespenster verscheuchen, denn der Chevalier sah nichts mehr, obschon er ein so heftiges Fieber hatte dass er die Pulse in seinen Schläfen hörte.

Sobald der Tag anbrach, läutete er, um Feuer machen zu lassen.

Aber Marianne, die sonst erst um halb neun zu kommen pflegte, kümmerte sich nicht um den ungewöhnlichen Glockenruf; sie dachte vermutlich, ein Kobold, ein Störenfried habe die Glocke gezogen, um ihr einen Schabernack anzutun.

Der Chevalier stand auf, öffnete die Tür und rief.

Marianne blieb für seinen Befehl ebenso taub wie für das Glockenzeichen. Der Chevalier musste sich daher bequemen, seinen Schlafrock anzuziehen und selbst Feuer zu machen.

Als er diese Arbeit verrichtet und sich überzeugt hatte, dass der Hund wirklich verschwunden war. zog er wieder die Glocke.

Inzwischen hatte die Stunde geschlagen, wo Marianne aus den Federn zu kriechen pflegte. Sie erschien mit allen zum Feuermachen nötigen Geräten und Ingredienzien.

Das Feuer brannte bereits. und der Chevalier wärmte sich.

Marianne blieb starr und staunend in der Tür stehen.

»Mein Frühstück!« sagte der Chevalier.

Marianne trat ganz verblüfft einen Schritt zurück noch nie war ihr Herr vor neun Uhr aufgestanden, und noch nie hatte er vor zehn Uhr sein Frühstück verlangt!

Es war erst halb neun, und der Chevalier war schon auf, wärmte sich am selbst angezündeten Kaminfeuer und verlangte sein Frühstück!

Überdies war er leichenblass.

»Mein Gott!« fragte sie, »was ist denn hier geschehen?«

Der Chevalier würde es ihr wohl erzählt haben, wenn er sich nicht gefürchtet hätte.

»Wahrhaftig,« sagte er, der Antwort ausweichend, »man könnte hier sterben, ohne Hilfe zu bekommen! Ich habe gerufen, geläutet; aber vergebens, es war, als ob ich allein im Hause gewesen wäre!«

»Wenn man sich den ganzen Tag überarbeitet hat, wie ich, Herr Chevalier, so schläft man gern recht aus.«

»Gestern haben Sie sich gewiss nicht überarbeitet,« erwiderte der Chevalier etwas gereizt, »Doch wir wollen nicht mehr davon reden; ich will frühstücken!«

»Mein Himmel! jetzt schon Frühstück? Ist es denn schon die Zeit?«

»Es ist die Zeit, da ich gestern schlecht gespeist habe —«

»Sie müssen schon warten, bis ich vom Markt komme; es ist gar nichts im Hause.«

»Nun, so gehen Sie – aber halten Sie sich nicht auf.«

Marianne wollte Einwendungen machen.

»Diantre!« eiferte der Chevalier, und schlug mit der Zange ins Feuer, dass die Funken stoben.

Marianne, die den harmlosen Fluch erst zweimal aus seinem Munde gehört hatte, ging eilends fort und trabte auf den Markt.

Gegen seine Gewohnheit aß der Chevalier rasch und machte keine seiner herkömmlichen Bemerkungen, die durch die Erinnerung an den auf Reisen genommenen trefflichen Kaffee hervorgerufen wurden. Chartres bildet sich freilich ein, unter allen Städten Frankreichs das Kaffee brennen am besten zu verstehen, aber Dieudonné behauptete, dieser Kaffee sei nur Cichorienwasser im Vergleich mit dem braunen Nektar, den man in Amerika trinke.

In dem Leben des Hagestolzen war Alles so geregelt und abgemessen, dass Marianne ihren Augen und Ohren nicht trauen mochte.

Der Briefträger brachte die Zeitung.

Marianne, die setzt wieder zur Versöhnung geneigt war, brachte sie sogleich ihrem Herrn. Aber dieser, statt sie, wie sonst, vom Titel bis zum Namen des Druckers gewissenhaft zu lesen, warf nur Wen flüchtigen Blick auf das Zeitungsblatt, legte es aus der Hand und ging wieder in sein Schlafzimmer.

»Wahrhaftig,« sagte Marianne, indem sie das Geschirr forttrug, »ich erkenne den Herrn Chevalier nicht mehr; er hat keine Ruhe, als ob er Quecksilber im Leibe hätte. Die Spiegeleier und Koteletten hat er gar nicht angerührt! – Mein Gott!« setzte sie mit aufgehobenen Händen hinzu, »sollte er verliebt sein?«

Aber nach kurzem Besinnen lachte sie selbst über eine so ungereimte Vermutung.

»Nein, nein, es ist nicht möglich. – Aber was in aller Welt mag er in seinem Zimmer treiben? Ich will doch sehen —«

Marianne schlich auf den Fußspitzen durch den Salon und sah durch das Schlüsselloch in das Schlafzimmer.

Sie bemerkte ihren Herrn, der ungeachtet des kalten Herbstmorgens am offenen Fenster stand und aufmerksam auf die Straße hinunterschaute.

»Er scheint aber doch auf Jemand zu warten,« sagte Marianne; »ach, mein Gott, eine Frau im Hause – das fehlte noch! Ich würde ihm lieber den Hund von gestern erlauben.«

Aber der Chevalier de la Graverie fand wahrscheinlich nicht auf der Straße was er suchte, denn er schloss das Fenster, und während Marianne, sich in Mutmaßungen erschöpfend, wieder in das Speisezimmer ging, schritt er mit verschränkten Armen und finsteren Blicken im Zimmer auf und ab.

Dann schien er plötzlich einen Entschluss zu fassen, denn er warf seinen Schlafrock ab und zog einen Ärmel seines Fracks an. Dabei warf er einen Blick auf die Tischuhr.

Es war halb elf.

Er begann nun wieder mit halb angezogenem Rock seine Zimmerpromenade.

Wenn ihn Marianne so gesehen hätte, so würde sie nicht länger an eine geheime Liebe ihres Herrn geglaubt, sie würde geglaubt haben, der Chevalier habe den Verstand verloren!

Was würde sie erst gesagt haben, wenn sie den Chevalier gesehen hätte, wie er, ohne den andern Ärmel anzuziehen, sein Zimmer verließ und in den Garten ging?

Erst in der kühlen Herbstluft bemerkte er seine Zerstreuung und zog den andern Ärmel an.

Was er im Garten wollte? Marianne würde es eben so wenig begriffen haben wie das Übrige.

Der Chevalier ging suchend hin und her, blieb Vorzugsweise in den Winkeln stehen und maß mit seinem Stocke bald einen bald zwei Metres ab. Dabei führte er ein abgebrochenes sonderbares Selbstgespräch.

»Hier – nein, da – da wird er einen guten Platz haben. Ich lasse heute noch den Maurer kommen. Eine Hütte aus Ziegeln oder Steinen wird aber sehr feucht sein; ich halte eine hölzerne Hütte für besser. – Ich will nicht zum Maurer sondern zum Zimmermann schicken.«

Die Gedanken Dieudonné’s waren offenbar mit andern Dingen beschäftigt. Aber mit welchen Dingen? Die Lösung dieses für Marianne sehr dunkeln Rätsels wird dem Leser gewiss leicht sein.