Kitabı oku: «Der Geflügelschütze», sayfa 12
Und Pavillon pfeifend, entfernte sich der Jäger rasch.
Neuntes Kapitel.
Die guten Herzen
Henin war unschlüssig ob er nicht Montplet folgen sollte; der alte Steuermann war beharrlich, und doch hätte er gern einen persönlichen Aerger vergessen, um Alain zu besseren Gesinnungen zu führen; aber der Tag war noch nicht gekommen, und in der Dunkelheit wäre es ihm unmöglich gewesen, den Jäger unter diesem Labyrinth von Klippen und kleinen Seen wiederzufinden.
Er schlug folglich wieder den Weg zur Küste ein, durchschritt den Sumpf, trat in die Hütte des Jägers und weckte Jean Marie.
Jean Marie hatte große Furcht, als er die Stimme des Maitre Henin erkannte.
Als man aber die Lampe angezündet hatte und der Knabe den Ausdruck der Traurigkeit in dem Gesichte des alten Steuermannes gesehen hatte, verwandelte sich ein Schrecken fast in Mitleid.
»O mein Gott!« sagte der kleine Jean, »was gibt’s denn, Monsieur Jacques?«
»Du mußt ohne Verzug aufstehen, mein Kind.« antwortete der Steuermann mit der größten Milde, »mußt Dein weniges Gepäck nehmen und mit mir kommen.«
»Wohin denn, Maitre?« fragte der Knabe.
»Zu Deiner Mutter.«
»So ist es also meine Mutter, die mich holen läßt?« rief der Knabe freudig.
»Ja,« antwortete Maitre Henin.
»Aber mein Freund Alain, was wird er sagen, wenn er mich nicht mehr hier findet?«
»Er wird vollkommen begreifen, warum Du nicht mehr hier bist.«
Der Knabe dachte einen Augenblick nach; dann sah er ein, daß Maitre Henin vermöge irgend einer Vollmacht das Recht habe zu handeln, wie er handelte, stand auf, kleidete sich an und packte seine wenigen Sachen zusammen.
Der Steuermann faßte seine Hand und Beide gingen auf Maisy zu.
Alles schlief in Jacques Henin’s Hause.
Louison, die allein in dem ersten Zimmer schlief, erwachte, als sie den Drücker ihrer Thür sich umdrehen hörte, und fragte:
»Bist Du es, Jacques?«
»Ja, ich bin es,« antwortete der Seemann, indem er den kleinen Knaben am Fußende des Bettes niederknieen ließ. Dann faßte er Louison’s Hand, legte diese mütterliche Hand auf die Hand des kleinen Jean Marie und sagte:
»Hier Frau, wir haben elf; es war eine schlechte Rechnung. Gott gewährt uns die Gnade, uns das zwölfte zu schicken, danke Gott!« – —
Alain brachte nach jener Scene mit Maitre Henin drei ganze Tage zu, ohne zu wagen, in seine Hütte zurückzukehren; da er nicht wußte, daß Maitre Henin Jean Marie von dort entfernt hatte, war es ihm nicht eilig, in seine Wohnung zurückzukehren und den Knaben dort wiederzusehen, dessen Anblick, wie er fühlte, ein lebendiger Vorwurf der Verzweiflung sein würde, in welche er seine Mutter versetzte; indessen begann sich das Wild, welches er jede Nacht schoß, auf beunruhigende Weise anzuhäufen; seine Lebensmittel und seine Munition wurden erschöpft, und er mußte sich wohl entschließen, den Weg zu einem Häuschen wieder einzuschlagen.
Zu einem großen Erstaunen fand er es leer.
Anfangs war er davon bezaubert; Nichts sagte ihm, seit wie langer Zeit Jean Marie das Haus verlassen habe.
Er machte selber einen Weg zu dem Wildhändler in Isigny und bei seiner Rückkehr setzte er die Gewohnheiten seines einsamen und wilden Lebens fort.
Aber er fand nicht denselben Reiz daran wie früher.
Als er nach Verlauf von zwei oder drei Tagen den kleinen Jean Marie nicht zurückkehren sah und nicht mehr in ihm reden hörte, begriff er wohl, daß irgend Etwas geschehen sei, was er nicht wußte, und errieth fast vollständig, was sich zugetragen hatte. Da wurde ihm dieses rauhe und grobe Dasein zur Last. Er hatte sich, ohne sich davon Rechenschaft abzulegen , allmählich an die naiven Plaudereien des kleinen Knaben gewöhnt, welche die Einförmigkeit seiner Abende unterbrochen, so wie an die Dienste, die er ihm geleistet, und eine Hütte, so klein sie war, erschien ihm als eine große Einöde.
Von Zeit zu Zeit, wenn er zufällig nicht ausging und am Winkel des Feuerherdes saß, ließ er seine Gedanken umherschweifen, und indem er mit den Augen mechanisch dem Rauche folgte, welchen die Schiffsrippenstücke, womit er heizte, aussendeten, schien es ihm, als zeichne sich in seinen Wolken das blasse und schwermüthige Gesicht Jeanne Marie’s ab und die schönen Augen der Wittwe nahmen nach und nach den Ausdruck des Vorwurfs und des Schmerzes an, so daß Alain diese Erscheinung nicht ertragen konnte.
Dann stand er rasch auf, nahm seine Flinte, und nur indem er sich seiner Lieblingsbeschäftigung hingab und Schaaren von Enten, Trauerenten und Krickenten und in Ermangelung derer Möven, Schnepfen und Taucherhühner schoß, gelang es dem Jäger, diese lästige Erinnerung zu verbannen.
Indessen bemächtigte sich einer die Langeweile. Da der Sommer gekommen war und die Jagd ihm keine genügende Zerstreuung gewährte, so suchte er dieselbe in den Vergnügungen, die er wegen des Verlustes seines Vermögens hatte aufgeben müssen. Der Ertrag des Winters war gut gewesen. Als vortrefflicher Jäger hatte Alain ganze Massen Wild geschossen und befand sich im Besitze von einigen hundert Franken. Dies war genug, um ihn in den Stand zu setzen, die Schenken und Billards zu besuchen.
Nun aber waren die Orte, welche der Jäger besuchte, nicht dieselben, wohin Maitre Jacques kam und Alain begegnete ihm während eines Zeitraums von drei oder vier Monaten kein einziges Mal. Wenn er ihn zufällig unter der Last der Körbe, die den Ertrag eines Fischfanges enthielten, gebeugt am Strande bemerkte, wendete er sich weislich um und ging nach der andern Seite.
Und doch, ungeachtet alles Dessen, was er that, um sich zu betäuben, gelangte Alain nicht dahin, sich von der Erinnerung an Jeanne frei zu machen, welche zugleich für ihn eine Reue und ein Bedauern war, und er wendete nur um so mehr Sorgfalt an, Jacques Henin auszuweichen, so verzweifelt er gewesen war, ihm einen Sieg anzubieten, den er bei der Gemüthstimmung, die er empfand, für möglich hielt.
Aber während der Jäger die Billardbälle rollen ließ, mit den Gläsern anstieß und mit den hübschen Mädchen der Meeresküste lachte, weinte man oft und viel in dem Hause des Maitre Henin.
Nach zwei Monaten fühlte Jeanne Marie, daß ihr Fehler für ihre Lage sehr ernste Folgen hatte.
Das arme Geschöpf konnte nicht daran zweifeln, daß sie zum zweiten Male Mutter werden sollte.
Es gibt bevorzugte Personen für den Schmerz, die niemals halb unglücklich sind.
Eine Zeitlang hoffte sie noch und verbarg ihre Unruhe in sich selber, brachte die Nächte in Thränen zu und trocknete sie, wenn der Tag kam, um ihre wackeren Wirthsleute nicht durch ihren Kummer zu betrüben, die, von der zunehmenden Veränderung ihrer Züge betroffen, nicht mehr wußten, was sie thun sollten, um zu trösten und zu zerstreuen.
Jeanne Marie schlief in demselben Zimmer, wo die Kinder des Steuermannes schliefen. In einer Nacht erwachte Therese, die älteste von seinen Töchtern, zufällig und hörte die arme Wittwe in ihrem Bette schluchzen.
Sie sagte Jeanne Marie Nichts davon, aber am folgenden Tage erzählte sie ihrer Mutter, daß die Wittwe die ganze Nacht mit Weinen zugebracht habe.
An demselben Tage befragte Louison Jeanne Marie über die Ursachen ihrer Verzweiflung. Jeanne Marie versuchte die Schuld darauf zu schieben, daß Alain sie verlassen; als aber die Frau des Seemannes ihre Zweifel an der Wahrheit dieser Aussage kund gegeben hatte und sich aufrichtig betrübt wegen dieses Mangels an Vertrauen zeigte, beschloß die arme Frau ihr Geheimniß derselben vollständig mitzutheilen.
Louison und Jeanne Marie begannen damit, zusammen zu weinen; dann sagte die Erstere zu der Anderen, sie solle sich unter die Hand des Herrn beugen. Sie bemühte sich, ihr begreiflich zu machen, mit welcher Traurigkeit es auch dem guten Gott gefalle, die Wiege eines Kindes zu umgeben, so komme es doch einer Mutter nicht zu, es zu verfluchen.
Endlich, als letzten Trost versprach sie ihr, sich mit Henin angestrengt um die Mittel zu bemühen, ihre Lage weniger schmerzlich zu machen.
Diese Mittheilung, womit Louison auch Henin bekannt machte, betrübte den alten Seemann empfindlich; er fürchtete, daß es Jeanne Marie nach dem Aufsehen, welches ihre Schwangerschaft nothwendig machen müsse, sehr schwer werden würde, in Maisy zu bleiben. Louison und er waren der Wittwe sehr zugethan, sie dachten nicht ohne Kummer daran, daß sie eine Stelle suchen mußte; sie würden sich nicht entschlossen haben, die ihre Zuflucht zu der Milde eines Hospitals nehmen zu sehen.
Ihre Schwangerschaft zu verbergen, daran dachte Jeanne Marie nicht einmal; sie hatte sie als eine Strafe Gottes angenommen, es mußte daraus erfolgen, was Gott gefiel.
Louison war der Meinung, daß Henin eine Bitten bei Montplet fortsetzen sollte; aber das Leben, welches dieser Letztere führte, hatte ihm vollends die Achtung des alten Seemannes entfremdet, der, wenig zugänglich für die gemischten Gefühle, gegenwärtig gegen den Jäger einen ebenso herzlichen Haß empfand wie ehemals eine lebhafte Freundschaft. Er wies also die Idee, welche seine Frau ausgesprochen, mit einer Energie zurück, welche dieser den Wunsch benahm, sie zu erneuern.
In dem Augenblicke, als Louison, welche die Augen niedergeschlagen, während ihr Mann Alain mit Beleidigungen und Verwünschungen überhäufte, dieselben erhob, richtete sich ihr Blick auf eine Sparbüchse, die auf dem Kamin zwischen zwei großen Muscheln und zwei Sternkorallen stand.
Sie betrachtete sie so aufmerksam, daß die Augen des Maitre Henin natürlich dieselbe Richtung nahmen.
Er stieß einen Ausruf der Erleichterung und Freude aus, ergriff die Sparbüchse und stellte sie auf den Tisch, nachdem er den Inhalt mit kindlicher Freude geschüttelt hatte.
»Tausend Donner!« sagte er, »das ist die Sache. Das wird unsere Jeanne verhindern von den boshaften Burschen von Maisy durchgehechelt zu werden.«
»Aber,« sagte furchtsam Louison, denn man fühlte, daß sie die Einwendung nur machte, um ihr Gewissen zu beruhigen, »dies sind die Ersparnisse, welche die Kinder seit zwei Jahren machen, um ihren kleinen Schwestern die Kleider zu ihrer ersten Communion zu kaufen.
»Nun, die kleinen Schwestern werden in ihren Sonntagskleidern communiciren. Glaubst Du, daß der gute Gott sie wegen ihres Aufzuges zurücksetzen wird?«
Und mit diesen Worten führte der Seemann einen kräftigen Schlag mit der Feuerzange auf die Sparbüchse, so daß sie in Stücke zersprang.
Die silbernen und kupfernen Geldstücke wurden über den Tisch und den Fußboden ausgestreut; Maitre Henin las sie auf, zählte sie und legte sie mit einer Freude, die sich in schrecklichen Flüchen zu erkennen gab, der Reihe nach auf den Tisch.
Louison fiel ihrem Manne um den Hals und umarmte ihn, so erfreut war sie.
Die Sparbüchse enthielt hundert und zehn Franken.
Es wurde sogleich entschieden, sobald die Schwangerschaft Jeanne Marie’s sichtbar würde, daß sie nach Valognes zu einer Cousine Louison’s gehen solle, die sie gegen eine mäßige Entschädigung in Pension nehmen würde.
Man theilte Jeanne Marie den Plan mit; sie weinte aus Erkenntlichkeit, wie sie alle Tage vor Schmerz weinte; dann fühlte sie sich zugleich erfreut und kummervoll: erfreut, weil sie einsah, daß ihre Abreise dringend nothwendig sei, da sie sich bald nicht mehr im Dorfe zeigen könne; kummervoll, da sie zum ersten Male, seitdem sie verwittwet war, Jean Marie verlassen mußte, und sie fragte sich, wie sie fern von ihrem Sohne leben könne.
Dieser letzte Eindruck war entschieden der stärkere, denn die arme Frau fand tausend gute Gründe, den Augenblick ihrer Abreise zu verzögern: ein Tag mehr ließ sie noch eine Liebkosung mehr gewinnen, und diese Liebkosungen ihres Sohnes zog sie selbst ihrem Rufe vor.
Indessen wurde ihre Taille weniger schlank und mächtig, als vorher. Für Louison, die sie alle Tage sah, war diese Zunahme unmerklich, aber von den üblen Andeutungen Langot’s in Kenntniß gesetzt, bemerkten die Leute des Dorfes dieselbe und hatten ihr Gespött darüber. Man hütete sich wohl, vor Maitre Henin darüber zu scherzen; man wußte, daß der Seemann im Allgemeinen friedlich und gutmüthig war, aber bei gewissen Umständen verwünscht brutal sein könne; aber wenn er fern war, sprach man sich frei aus.
Eines Tages kehrte Jean Marie, welcher seit einiger Zeit mit dem alten Steuermann aufs Meer ging, nachdem er allein aus gewesen war, um Köder zum Fischen zu suchen, mit zerrissenen Kleidern, Quetschungen im Gesicht und seine Augen roth und von Thränen aufgeschwollen ins Haus zurück. Man befragte ihn, aber er weigerte sich mit einer Halsstarrigkeit, die nicht in seinem Character lag, zu antworten. Maitre Henin nahm seine laute Stimme an, die er auf dem Wasser anwendete, fluchte, schalt und drohte, – Alles vergebens; als Jeanne Marie. Dies sah, nahm sie den kleinen Knaben bei der Hand und führte ihn in das Zimmer, wo Beide schliefen.
Die Wittwe setzte sich auf das Fußende des Bettes.
»Nun, Jean,« sagte sie zu dem Knaben, »willst Du mir gestehen, für wen und mit wem Du Dich geschlagen hast?« Jean Marie sah seine Mutter einige Augenblicke mit einer seltsamen Starrheit an, brach in Thränen aus, stürzte sich in ihre Arme und bedeckte sie mit Küssen.
Jeanne Marie machte sich sanft von ihm los.
»Liebe Mutter,« sagte der kleine Jean, »frage mich nicht danach, denn Dir möchte ich es nicht abschlagen, und wenn Du wüßtest, weshalb ich mich geschlagen habe, würde es Dir zu viel Kummer verursachen.«
Das Herz der armen Frau schlug rascher in ihrer Brust; sie erröthete und erblaßte abwechselnd unter der Gewalt eines tiefen Eindrucks.
Sie ahnte, was sich zugetragen hatte.
»Ja, mein Kleiner, Du mußt mir die Ursachen dieser Schlägerei sagen. Ich befehle es Dir nicht, ich bitte Dich darum.«
»Nun, Mutter, da Du es wissen willst,« antwortete der Knabe, »es begegneten mir die Söhne und Töchter Thomas Hommay’s, welche Muscheln zu suchen ausgingen, und sie sprachen schlecht von Dir.«
»Aber was sagten sie denn Schlechtes?« fragte Jeanne Marie stotternd.
»Nein, Mutter,« rief der Knabe, »zwinge mich nicht; ich würde nimmermehr wagen, es Dir zu wiederholen.«
Die Wittwe wußte nicht mehr, was sie sagen sollte.
Sie begriff, daß sie den armen Knaben nicht weiter fragen dürfe; aber sie hatte so große Furcht, daß man ihm die Wahrheit gesagt, daß ein Rest von Hoffnung, daß es Nichts sei, die unwillkürlich dazu trieb, den kleinen Knaben zu befragen.
»Ich will Alles wissen, Jean,« sagte sie zu ihm.
»Nun, Mutter, der Größte von den Jungen fing an, mir Beleidigungen zu jagen; ich würde meiner Wege gegangen sein, wenn Maitre Henin nicht neulich gesagt hätte, daß ein Matrose immer die durchprügeln müsse, die ihn beleidigten.
Auch wollte ich den großen Burschen, Hommay schlagen, da fing die große Fanchette, die Aelteste von den Mädchen, von Dir an; sie sagte mir, daß Monsieur Alain – daß Monsieur Alain —«
Jeanne Marie stieß einen lauten Schrei aus und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
»Aber es ist nicht wahr,« fuhr der Schiffsjunge fort; »sie haben gelogen, ich habe es ihnen gesagt, und darum haben sie mich geschlagen. Ja, sie haben gelogen! Sprich, Mutter! damit ich es auch von Dir höre, und ich werde sehr bald die Schläge vergessen, die ich erhalten habe.«
Jean Marie hatte die Hände seiner Mutter gefaßt und bedeckte sie zugleich mit Küssen und mit Thränen.
Jeanne Marie hatte nicht die Stärke, ihrem Sohne eine Lüge zu sagen; sie fiel ihm zu Füßen und umfaßte wie eine Flehende sein Knie.
»Verzeihe mir, mein armer Kleiner, verzeihe mir!« rief sie mit einer von Schluchzen unterbrochenen Stimme; »verzeihe mir, Dich einen einzigen Augenblick vergessen, Dir die einzige Erbschaft geraubt zu haben, die Dein Vater Dir in einer Dürftigkeit hinterlassen konnte, einen ehrlichen und makellosen Namen. Ich werde meinen Fehler sühnen – zuerst werde ich ihn alle Tage beweinen, so lange der gute Gott mich auf dieser Erde lassen wird, dann werde ich versuchen, in meinem Herzen noch mehr Liebe für Dich zu finden, lieber Kleiner! Mein Leben soll Dir geweiht sein – aber ich beschwöre Dich, verzeihe mir und höre nicht auf, Deine arme Mutter zu lieben.«
»Ich aufhören, Dich zu lieben!« rief der Knabe mit einer Energie, die man von einem schwachen Aeußern nicht hätte erwarten sollen; »ich aufhören Dich zu lieben, weil Du unglücklich bist! – Du wirst versuchen, mir noch mehr Liebe zu schenken, sagt Du! Ich antworte Dir, von heute an liebe ich Dich noch hundert mal mehr, da ich Thränen in Deinen Augen sehe.«
Und er umarmte nochmals eine Mutter.
»Nein, Du bist nicht schuldig,« fügte er hinzu: »der Schuldige bin ich, der ich lieber hätte ertrinken als diesem bösen Monsieur Alain die Gelegenheit gewähren sollen, zu uns zu kommen und Dir Kummer zu bereiten; der Schuldige ist Er, der Deine Zärtlichkeit für mich gemißbraucht hat. Aber ich will ihn aufsuchen, diesen Monsieur Alain, ich will ihn aufsuchen!«
»Hüte Dich wohl,« sagte Jeanne Marie, ihn unterbrechend; »denn Maitre Henin ist völlig vergebens bei ihm gewesen, mein armer Jean.«
»Aber Maitre Henin war nicht ich, Mutter; er wird mit ihm von Stagegeln und vom Nothanker gesprochen haben, daß man die Lof drehen und vieren müsse, was weiß ich’s! Aber Du bist meine Mutter, und wenn ich an Dich denke, kann ich ihm gewiß beweisen, daß er schlecht gehandelt hat, indem er Dich zum Weinen brachte.«
Jeanne Marie war in großer Versuchung, ihren Sohn einer Inspiration folgen zu lassen; aber Maitre Henin, der in seinem Groll die Ausschweifungen Alain’s noch übertrieb, hatte ihr ein so schreckliches Bild davon entworfen, daß sie fürchtete, er möchte den armen Kleinen verderben; sie konnte sich also nicht entschließen, ihn dieser Demüthigung auszusetzen.
Sie nahm also ihren Sohn auf den Schoß und bat ihn mit vielen Liebkosungen im Namen der Zärtlichkeit, die er für sie hege, auf sein Vorhaben zu verzichten.
Jean Marie versprach es ihr endlich.
Zehntes Kapitel.
Der Anstand
Der Sohn und die Mutter blieben lange in derselben Stellung, ohne sich an ihren gegenseitigen Liebkosungen zu sättigen.
Als sie in das Zimmer zurückkehrten, wo Henin und Louison die erwarteten, erriethen diese an ihren gerötheten und geschwollenen Augen und von Thränen durchfurchten Wangen leicht die Gründe, weshalb Jean Marie sich geschlagen hatte.
Der Steuermann schüttelte den Kopf und erklärte, daß es Zeit sei, daß die Wittwe sich entferne; dann, ohne die Zustimmung derselben abzuwarten und ohne die flehenden Zeichen zu beachten, die sie an ihn richtete, vor dem Knaben nicht von ihrer Abreise zu sprechen, bestimmte er dieselbe auf den nächsten Sonntag.
Jean Marie war weit entfernt, diese Trennung zu erwarten, indessen gab sich eine Verzweiflung nicht zu erkennen, so wie seine Mutter es gefürchtet hatte.
Nur wurde er wieder blaß, ein Blick nahm einen starren Ausdruck an und er machte ein Zeichen mit dem Kopf, als hätte er gesagt: Es ist gut.
Seine Lippen bebten, sprachen aber kein Wort aus. Die Witwe nahm ihn in ihre Arme; der Knabe ließ es zu, ohne ein Zeichen der Theilnahme zu erkennen zu geben. Er bedurfte einer ziemlich langen Zeit, um sich zu erholen und um die Küsse zurückzugeben, womit seine Mutter ihn bedeckte.
Man hätte sagen sollen, daß er einen Entschluß fasse, der zugleich über seinen Verstand und sein Alter gehe.
Es war Montag.
Bis zum Sonnabend blieb Jean Marie düster und nachdenkend; er weinte nicht, aber seine Augen waren roth und glühend; er sprach kaum und blieb ganze Stunden in einer tiefen Träumerei.
Allein in der Nähe seiner Mutter wich seine Erstarrung, und er folgte allen ihren Bewegungen und sah sie sinnend an, als wollte er die kleinsten Einzelnheiten dieses geliebten Gesichts in sein Herz einprägen.
Wenn sie versuchte, ihn zu erheitern, ihm von der Freude der Rückkehr sprach und ihn fragte, ob dieser Gedanke, sie in vier oder fünf Monaten wieder zu sehen, ihn nicht sehr erfreuen würde, da lächelte er, aber dieses Lächeln, so wenig in Uebereinstimmung mit Dem, was seine Augen sagten, hatte etwas so tief Trauriges, daß selbst das Herz der gleichgültigen Zuschauer sich dabei zusammenzog.
Je mehr sich der Tag der Trennung näherte, desto träumerischer wurde Jean Marie.
Am Sonnabend in dem Augenblicke, als man sich zum Mittagessen niedersetzte, bemerkte man, daß der Knabe sich zum ersten Mal entschlossen hatte, den Befehlen seiner Mutter Folge zu leisten, die ihm anbefohlen hatte, in die frische Luft zu gehen.
Er war nicht im Hause.
Man suchte ihn im Garten, man erblickte ihn nicht; man rief ihn nach allen Seiten hin, aber er antwortete nicht.
Zwei von den Kindern des Maitre Henin liefen den ganzen Strand entlang und kehrten zurück, ohne Jeanne Marie’s Sohn gefunden zu haben.
Darauf stand diese stumm und zitternd auf und bat Maitre Henin, die bei ihrer Nachsuchung zu begleiten; ungeachtet ihrer Unruhe wagte sie nicht allein durch das Dorf zu gehen. Maitre Henin, dem die Traurigkeit, die der Schiffsjunge in den vorhergehenden Tagen gezeigt hatte, auch auffallend gewesen war, willigte in Das, was die Wittwe von ihm verlangte.
Sie machten sich Beide auf den Weg.
Als Alain zu den lärmenden Vergnügungen zurückkehrte, bedachte er nicht, daß das Alter und der Kummer die Bedürfnisse seines Herzens verändert hatten, welches, um sich zu zerstreuen, keine Wirthshausfreundschaften und keine Liebesverhältnisse mit leichtfertigen Frauenzimmern wollte.
Nachdem er diese wieder angefangene Lebensweise zwei Monate geführt hatte, fand er seine Kameraden einfältig, grob und geschmacklos, ebenso wie seine Geliebten; er sehnte sich nach seiner Jägerhütte, nach seinem Kamin und den traurigen Erinnerungen, welche eine Einsamkeit bevölkerten, und zog es vor, sich lieber allein zu langweilen, als in solchen Gesellschaften, und kehrte zu der Gesellschaft Pavillons und zu der Abgeschiedenheit seines alten Daseins zurück.
Der Sommer war lang und in jeder Hinsicht für ihn schwer zu ertragen.
Wir haben gesagt, daß die letzten Tage des Winters erträglich gewesen, und daß er einige hundert Franken zusammengebracht, aber die zwei Monate des Vergnügens hatten eine große Lücke hervorgebracht, und er sah mit Schrecken den Augenblick herannahen, wo ein kleiner Schatz erschöpft sein werde.
Andererseits war die Erinnerung an die arme Wittwe mit seinem ruhigen Leben zurückgekehrt und so lebhaft und mächtig geworden, daß es dem wilden jungen Manne zuweilen schien, als liebe er Jeanne leidenschaftlich und als sollte die Erinnerung an diese endlich die an Lisa auslöschen.
Wäre die Eigenliebe nicht gewesen, die ihm nicht gestattete, einen Character Lügen zu strafen, worauf er um so mehr stolz war, da es nicht ein natürlicher Character war – hätte er nicht ein unbestimmtes Gefühl der falschen Scham gehabt, so würde er mehr als ein Mal in Folge der langen schlaflosen Nächte, während welcher die liebliche Gestalt Jeanne Marie’s kam und sich an sein Bett setzte, gegangen sein, um an die Thür feines alten Freundes zu klopfen und ihn um Verzeihung zu bitten.
Aber wenn diese guten Gedanken ihm in den Sinn kamen, widersetzte er sich ihnen und wies sie mit Stolz zurück.
Man begreift wohl, daß er lebhaft den Herbst herbeiwünschte; er hoffte, daß seine Beschäftigung, die er mit Leidenschaft liebte, auf immer aus seinem Geiste und Herzen Gedanken verbannen würde, die ihm als knabenhaft und gefährlich erschienen.
Uebrigens, so nüchtern auch sein Leben geworden war, gingen doch eine Hilfsquellen zu Ende.
Es war September.
Zu dieser Jahreszeit traten die großen Ebben und Fluthen ein, wobei das Meer, indem es sich zurückzieht und vortritt, viele größere Flächen freiläßt, die, je nach der Tiefe der Küste, zwischen einer halben und einer ganzen Seemeile wechseln.
Die Wärme dauerte noch fort und das wilde Geflügel war noch nicht im Begriff, seine jährliche Erscheinung an den Ufern zu machen; die Trauerenten hielten sich noch auf dem Meere auf und lebt dieses Wild, welches der Jäger nur in Ermangelung jedes anderen mitnimmt, war unzugänglich.
Vermöge der großen Ebben und der weiten Räume, die dadurch frei wurden, konnte man sich ihnen nähern.
Aber in den Tagen der großen Ebben und Fluthen war die ganze Flußbevölkerung, Männer, Frauen, Kinder, Pferde und Esel bis über die Knie im Wasser. Die Räder der Karren machten Furchen im Sande, wo sich einige Stunden vorher eine Wassermasse von einigen zwanzig Fuß Höhe befunden hatte. Die Karren wurden mit Seetang beladen, welcher dazu dienen soll, um die Felder zu düngen; die Frauen und Kinder rücken weiter vor mit ihren Krebsnetzen und die kühnsten von ihnen begeben sich zu den fernen Felsen, um in ihren Spalten die Fische, die Krabben und selbst die Hummern aufzusuchen, welche der Rückzug des Meeres überrascht und auf dem Sande zurückgelassen hat.
In der Mitte dieser allgemeinen Verwirrung ist es schwierig für die Jäger, einen einsamen und stillen Ort zu finden, um das Wild zu überraschen und aus einem Hinterhalte zu schießen.
Alain kannte ein Ufer an der Vire, etwa zwei Meilen von der Küste, welches Ufer nur bei den tiefsten Ebben frei war; immer aber wurde es durch einen Arm des Meeres vom Ufer getrennt; dieser Arm des Meeres war so breit, daß es unmöglich war, ihn ohne ein Fahrzeug zu überschreiten.
Ueberdies bestand die Bank nur aus Sand; die wenigen kleinen Felsen, womit sie hie und da übersäet war, boten keinen so tiefen Zufluchtsort dar, daß die Schalthiere sich dorthin hätten begeben sollen.
Es war also wahrscheinlich, daß dieses Inselchen von den Flußanwohnern würde verachtet werden. Alain beschloß, in der Umgegend Trauerenten aufzusuchen, und schiffte sich ein, als das Meer noch hoch war, um sich auf dem Jagdplatze zu befinden, wenn es sich senken würde.
Der Wind blies seit einigen Tagen aus Nordwesten.
Es war möglich, daß die Trauerenten die nördlichen Gegenden bereits verlassen hatten, wo sie während des übrigen Jahres leben, um sich über unsere Himmelstriche zu verbreiten, und in der That erblickte der Jäger auch bald zwei oder drei mächtige Schaaren. Er versuchte sich ihnen zu nähern, um aus seiner Barke auf sie zu schießen. Die Vögel versammelten sich, spielten, tauchten unter und flogen auf, ohne sich um diesen Gast, der sich näherte, zu kümmern.
Noch drei oder vier Ruderschläge und Alain befand sich so nahe, daß er feuern konnte; aber die Trauerenten berechneten die Entfernung so gut, daß der Jäger die Ruderschläge nicht sobald gethan hatte, als die ganze Schaar davonflog, über die Wogen dahinstreifte und sich eine Viertelmeile von dort niederließ.
Alain verstand sich zu gut auf diese Jagd, um zu versuchen, sie zu verfolgen, und er schien sich nicht um sie zu kümmern. Da es ihm nicht gelingen wollte, diese Vögel zu schießen, so dachte er sie zu fischen.
Alain hatte mit Genugthuung bemerkt, daß dieses Jahr, wie das vorhergehende sehr reich an kleinen Muscheln war, welche die Nahrung der Trauerenten bilden.
Alain wählte den Ort, der ihm am Reichsten mit diesen Schalthieren versehen zu sein schien, und er spannte ein großes Netz, welches er mit sich gebracht hatte, darüber aus.
Dies ist die Theorie dieses Fischfanges:
Das Netz wird bei der Ebbe etwa anderthalb Fuß vom Boden aufgestellt; wenn das Wasser steigt, bedeckt es das Netz, die Trauerenten folgen der Fluth auf eine Entfernung von zwei- bis dreihundert Schritten.
Die erste, welche die Muscheln bemerkt, taucht unter, alle anderen folgen ihrem Beispiel und treffen auf das Netz, welches zwischen ihnen und dem Köder ist, und sie verwickeln sich in diese im Wasser treibenden Maschen.
Wenn einige, welche mißtrauischer sind, sich entfernen und darunter hinschießen, so verwickeln sie sich wie die anderen, wenn sie heraufkommen wollen, und alle schwimmen darin.
Wenn das Meer sich zurückgezogen hat, findet man sie am Netze hängend.
Als Alain’s Vorbereitungen beendet und seine Netze ausgespannt waren, beschloß er, – da er das Gebiet noch einige Augenblicke behaupten konnte, welches der Ocean verlassen hatte, die Fluth aber bald wieder in Besitz nehmen mußte, – die Felsen abzujagen, welche es hie und da bedeckten; geschützt von ihnen, hoffte er nach Gefallen die Strandläufer und Flußschnepfen, welche die Nähe der Menschen von der Küste verjagt hatte, niederschießen zu können.
Er steckte eines von seinen Rudern in den Sand, band sein Boot an und entfernte sich.
Die Sandbank mochte eine halbe Seemeile lang sein.
Alain hatte bald drei Viertheile davon durchlaufen; einige ziemlich glückliche Schüsse machten ihm Lust, das Uebrige zu durchforschen; aber zu einem großen Bedauern mußte er bemerken, daß schon seit einiger Zeit die Bewegung des Meeres sich verändert hatte; es stieg, und es war Zeit umzukehren und das Boot wieder zu erreichen.
Aus der Ferne bemerkte Alain, daß das Boot sich auf den Wogen schaukelte.
Er gewahrte zu gleicher Zeit, daß er nicht mehr allein auf der Insel war.
Eine Gestalt von kleinem Wuchse hielt sich hinter einer Felswand versteckt.
Der Knabe hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt und schien in ein tiefes Nachdenken versunken.
Bei dem Geräusch der Fußtritte des Jägers, der sich ihm näherte, erhob der Knabe den Kopf und der Jäger erkannte Jean Marie.