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Kitabı oku: «Der Geflügelschütze», sayfa 13

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Elftes Kapitel.
Das steigende Meer

Diese Erscheinung an diesem verlassenen Orte, ohne daß er sich von den Ursachen derselben Rechenschaft ablegen konnte, bewegte Alain tief, denn er hatte den Schiffsjungen nicht wiedergesehen, seitdem er zuletzt seine Hütte verlassen.

»Wer Teufel hat Dich denn hierher geführt?« fragte er den Knaben.

»Die Leute von der Barke »die Möwe,« welche zum Fischen fuhren, setzten mich hier ab, als ich ihnen sagte, daß ich hier zu thun habe.«

»Zu thun mit wem, mit den Meerschweinen?« sagte der Jäger, indem er sich zu lächeln zwang, obgleich er keine Lust dazu hatte, »denn eben jetzt sind nur sie hier.«

»Nein,« sagte der Knabe kopfschüttelnd, »mit Ihnen.«

»Wie, mit mir?« fragte Alain; »mich suchtest Du?«

»Ja, Sie!« Alain’s Gesicht bräunte sich.

»Konntest Du nicht in meine Hütte kommen? Ich denke, Du weißt den Weg dorthin, und Du bedurftest nicht der Barke, um dorthin zu fahren.«

»Hier wollte ich mit Ihnen reden und nirgend anderswo.«

»Und was hast Du mir denn so Geheimnißvolles zu sagen? Laß uns sehen!« versetzte Alain.

»Ich habe Ihnen zu sagen, daß Sie eine arme Frau ohne Stütze entehrt und auf ihr ganzes Leben unglücklich gemacht haben, und daß es böse ist, was Sie gethan haben, Monsieur Alain.«

Indem der Knabe diese Worte aussprach, sah er den Jäger fest an, als hätte er ihn herausfordern wollen.

Alain machte eine Bewegung des Zornes; die Jugend und die Schwäche Desjenigen, der diese Worte an ihn richtete, verursachten indeß, daß er denselben unterdrückte.

»Du bist ein guter kleiner Teufel, den ich von ganzem Herzen liebte,« sagte er, indem er sich wieder faßte; »ich begreife Deinen Kummer und es ist mir leid; aber man muß sagen, daß die sehr einfältig sind, welche Dir den Auftrag gegeben haben, armer Junge, zu kommen und mir Beleidigungen zu sagen.«

»Niemand hat mir diesen Auftrag gegeben,« sagte der kleine Jean kopfschüttelnd, »und im Gegentheil weiß Niemand um den Schritt, den ich in diesem Augenblicke thue. Es sind acht Tage, seitdem ich weiß, was geschehen ist, acht Tage, seitdem ich jeden Augenblick daran denke, und ganz allein habe ich den Entschluß gefaßt, zu kommen und Ihnen zu sagen: Monsieur Alain, wenn Sie ein ehrlicher Mann sind, müssen Sie wieder gut machen, was Sie gethan haben! Monsieur Alain, wenn Sie ein ehrlicher Mann sind, müssen Sie Jeanne Marie heirathen.«

Der Jäger zuckte die Achseln.

Nicht als hätte die Feierlichkeit der Worte des Schiffsjungen keinen Eindruck auf ihn gemacht; da er den Bitten und Drohungen des Maitre Henin widerstanden und sich gegen die Vorwürfe seines eigenen Gewissens gehalten hatte, würde er sich geschämt haben, den Bitten eines Kindes nachzugeben.

»Sie weigern sich also?« fuhr Jean Marie fort. »Sie haben Verzweiflung und Trostlosigkeit in eine arme Familie gebracht und Sie glauben, daß Sie nur Nein jagen dürfen, damit Alles zu Ende ist? Und Sie werden ruhig schlafen, während zwei arme Wesen, die Nichts verschuldet haben, um zu leiden, ihre Nächte in Kummer und Thränen hinbringen werden? – Nein, das wird nicht sein, Monsieur Alain, das sage ich Ihnen.«

»Du bist ein Kind.«

»Sie täuschen sich, Monsieur Alain. Die Thränen meiner Mutter haben mich zum Manne gemacht, und der Beweis davon ist, daß, wenn Sie noch ein Wenig Mitleid in Ihrem Herzen haben, so hoffe ich, daß dem Tode des Sohnes gelingen wird, was der Verzweiflung der Mutter fehlgeschlagen ist.«

»Was willst Du damit sagen, Jean Marie?«

»Daß ich nicht blos auf diese Sandbank gekommen bin, um mit Ihnen zu reden – nein, ich wußte vorher, welches Ihre Antwort sein würde, Monsieur Alain.«

»Und warum bist Du denn hierhergekommen?«

»Ich bin hierhergekommen, um hier zu sterben!«

Es war eine solche Exaltation in der Physiognomie und in den Worten des Schiffsjungen, daß Alain darüber erschrak.

»Du sterben!« rief er.

Jean schwieg.

»Aber Du bist wahnsinnig! Du hast das Fieber!« sagte der Jäger.

»Ich bin nicht wahnsinnig, ich habe nicht das Fieber,« fuhr Jean Marie, dem Anscheine nach ruhiger, fort, »indessen will ich sterben. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich mit Ihnen schlagen und versuchen, Sie zu tödten, oder mich von Ihnen tödten zu lassen. Ich bin nur ein Kind und werde sterben.«

»Und zum Teufel, warum willst Du sterben?«

»Ich will sterben, weil ich mich wegen Ihrer Schuld von meiner Mutter trennen muß und der Kummer mich, wenn ich von ihr fern bin, bald tödten wird; ich will sterben, weil ich hoffe, daß Sie Bedauern hegen werden, den Tod eines Unschuldigen bewirkt zu haben, daß die Erinnerung an ihn Sie rühren wird, daß Sie dann Ihre Pflicht thun werden, indem Sie Jeanne Marie die Ehre wiedergeben, daß sie nicht mehr weinen wird, und daß die Leute von Maisy sie nicht mehr verspotten werden; kurz ich will sterben, weil ich, wenn Das alles Sie nicht rührt, näher bei dem guten Gotte sein werde, um ihn zu bitten, meine Mutter zu überwachen und Denjenigen zu bestrafen, der sie unglücklich gemacht! – Sie sehen wohl, Monsieur Alain, daß ich gute Gründe zu dieser Entschließung hatte, daß ich nicht wahnsinnig bin und nicht das Fieber habe.«

»Und glaubst Du, daß ich es gestatten werde?« rief Alain.

Statt aller Antwort deutete der Knabe mit einer Geberde auf das Meer.

Alain wendete die Augen nach der angedeuteten Richtung.

Er hatte die Fluth vergessen!

Er bemerkte schaudernd, daß das Meer mit der Schnelligkeit stieg, welche den Fluthen im Herbst und Frühling eigen ist.

Jetzt war er an der Reihe zu bitten und zu beschwören.

»Jean Marie,« sagte er, »keine Thorheiten; ich bitte Dich dringend darum, mein Kind, laß uns zu der Barke laufen, wir werden keine Sekunde zu verlieren haben – sieh, ich muß schon tief ins Wasser gehen, um zu ihr zu kommen.«

Ein Blitz des Triumphes erhellte das Gesicht des Knaben.

»Ah! ich sagte es wohl!« rief er, »daß der Tod ihres Sohnes gut für die Jeanne Marie sein würde! Der Gedanke, meinen Geist Ihre Ruhe stören zu sehen, macht Ihnen schon Furcht.«

»Tausend Donner! wirst Du endlich kommen?« rief der Jäger ungeduldig.

»Nein, ich werde nicht kommen. Gehen Sie allein; ich bleibe, ich will hier sterben! Ich werde Ihnen das Leben wiedergeben, welches Sie auf Kosten des Glücks meiner Mutter gerettet haben; ich werde ihre Thränen nicht mehr fließen sehen; ich werde nicht mehr die Leute im Dorfe sie mit schmachvollen Worten beleidigen hören.«

Alain begriff, daß er in dem Zustande der Exaltation, worin sich der Geist des Schiffsjungen befand, vergebens versuchen werde, ihn durch Gründe zu überführen. Er benutzte also den Augenblick, wo Jean Maries Augen abgewendet waren, um nach Maisy hinzusehen, machte einen Satz bis zu ihm und versuchte ihn mit Gewalt auf seine Arme zu nehmen, um ihn bis zu dem Boote fortzutragen.

Aber indem er sich bückte, wich ihm der kleine Knabe aus und begann zu fliehen; Alain verfolgte ihn.

Der Jäger war gewandt und kräftig und doch konnte er ihn nicht erreichen, denn der Schiffsjunge schien von einer übernatürlichen Energie belebt zu sein.

Diese tolle Verfolgung währte sieben bis acht Minuten.

Alain blieb zuerst außer Athen stehen und sah nach dem Meere.

Es stieg noch immer und mit erschreckender Gewalt und Schnelligkeit.

Kaum daß das Ufer noch hundert Schritte breit war ! Er rief Jean Marie mit qualvoller Angst.

Der kleine Knabe blieb stehen, als er sah, daß der Jäger auf eine Verfolgung verzichtet hatte.

Er that einige Schritte, als wollte er den Fluthen entgegengehen, und setzte sich auf einen Stein, ohne jedoch aufzuhören, der geringsten Bewegung des Jägers mit den Blicken zu folgen.

»Jean Marie,« sagte Alain, »Du willst nicht vernünftig sein? Laß uns sehen, ich beschwöre Dich, laß uns die wenigen Augenblicke benutzen, die uns noch übrig sind, um die Barke zu erreichen.«

Der Schiffsjunge schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte er, »gehen Sie und lassen Sie mich hier; ich weiß nicht, was der Tod ist, und ob er wohlthut oder schmerzt; aber es ist unmöglich, daß ich mehr leide, als ich seit acht Tagen gelitten habe – vor dem Tode habe ich keine Furcht! Die Idee, daß er der Jeanne Marie Trost und Errettung bringen wird, muß ihn mir außerordentlich süß machen.«

Alain fühlte sich besiegt von der Gewalt dieser kindlichen Liebe.

Das Eis seines Herzens schmolz nach und nach, und die unbestimmte Zärtlichkeit, die er immer für die Wittwe bewahrt hatte, erhielt wieder Stärke genug, um die niedrigen Rücksichten der Eigenliebe zu überwinden.

Er näherte sich Jean Marie.

Der kleine Mann, welcher glaubte, daß er zum zweiten Male versuchen wollte, ihn zu überraschen, richtete sich auf seine Füße und war im Begriff zu fliehen.

»Bleib!« rief ihn Alain zu.

»Das hängt von Ihnen ab,« antwortete das heroische Kind.

Ein heftiger Kampf schien in Alain’s Herzen vorzugehen.

»Nun, so bleib!« rief er, »und was Du verlangt – nun ja —«

»Nun?«

»Nun, ich werde es thun! Es ist unmöglich, daß eine Mutter, die so zärtlich von ihrem Kinde geliebt wird, nicht die beste der Frauen sein sollte, selbst für einen Wilden, wie ich.«

»Ist es wahr, was Sie mir da jagen, Monsieur Alain?« rief Jean Marie.

»Ja, bei meiner Seele!« jagte der junge Mann.

»Sie werden die Jeanne Marie heirathen?«

»Ich werde sie heirathen.«

Der Knabe streckte mit auffallender Feierlichkeit die Hand gegen das Meer aus, welches sich brüllend näherte und nur noch zwanzig Schritte von ihnen entfernt war.

»Im Angesichte des Todes schwören Sie es?«

»Ich schwöre es, mein Sohn,« sagte Alain.

»O! Sie würden mich nicht täuschen wollen in einem Augenblicke, wie dieser, nicht wahr?«

Der Schiffsjunge, der noch eben so entschlossen gewesen war, brach bei dieser unerwarteten Gegenwirkung in Thränen aus.

Dann warf er sich in Alain’s Arme und sagte zu ihm:

»Ich danke Ihnen für meine Mutter und für mich! und für sie, wie für mich schwöre ich Ihnen, Monsieur Alain, daß wir thun werden, was wir können, um Ihr Kreuz zu erleichtern. O! sie wird sich getröstet fühlen, die arme Jeanne Marie? lassen Sie uns schnell zu ihr gehen, Monsieur Alain.«

»Ja, ja,« rief der junge Jäger; »es ist schon zuviel Zeit verloren, und ich fürchte, daß wir genöthigt sein werden, uns aufs Schwimmen zu legen, um das Boot wieder zu erreichen. Inzwischen laß uns die Füße anwenden, mein Junge!«

Beide liefen nach der Richtung der Barke zu, während das Meer beständig stieg; man hätte sagen sollen, daß es sie verfolgte.

Sie waren an einer ebenen Stelle, aber eine Reihe von Felsen, sieben bis acht Fuß hoch, verbarg ihnen das Boot.

Als sie an diesen Felsen vorbeigelaufen waren, blieben sie plötzlich stehen.

Sie suchten das Boot mit den Augen: das Boot war nicht mehr an dem Orte, wo der Jäger es festgebunden hatte.

Wo war es ?

Jean Marie bemerkte es zuerst; er stieß einen Schrei der Verzweiflung aus, deutete es einem Begleiter mit dem Finger an und fiel auf die Knie, nicht mehr auf den Sand, sondern in’s Wasser.

Das Meer stieg noch immer; es hatte sie erreicht und benetzte ihre Füße.

Man bemerkte das Boot eine Viertelmeile weit auf dem Wasser – die Wellen hatten es losgerissen.

Es trieb auf die hohe See hinaus und die Strömung riß es rasch mit sich fort.

Zwölftes Kapitel.
Ein Schwimmer

Alain sah den Knaben noch immer auf den Knieen liegen und beten, er blickte um sich, um zu sehen, welche Wahrscheinlichkeit der Rettung ihm bliebe.

Keiner von den Felsen der kleinen Insel war höher als sieben oder acht Fuß, und wenn das Meer seine Höhe erreicht hatte, mußte es mehr als zwanzig Faden hoch darüber weggehen.

Am Horizonte sah man Nichts, Nichts als die rothe Scheibe der Sonne, die gleich einer Feuerkugel unter den purpurnen und goldenen Wolken sich langsam zum Ocean hinabsenkte, und die Wogen, deren weiße und rauschende Kämme sie nur mit ihrem glänzenden Reflex beleuchtete.

Das Kind betete noch immer.

Alain stieß einen Seufzer aus und zwei große Thränen rollten an seinen Wangen nieder; er war fast gleichgültig wegen eines eigenen Schicksals, aber das des Knaben und die Verzweiflung seiner Mutter rührten ihn.

A Endlich hatte Jean Marie ein Gebet beendet und stand auf.

»Was ist zu thun, Monsieur Alain?« sagte er.

»O! jetzt, da ich weiß, daß wir glücklich sein werden, wenn wir leben, sollen Sie finden, daß ich dazu ebenso viel Stärke und Muth habe, wie eben noch zu sterben. O ja! jetzt, da ich ihr eine gute Nachricht mitzutheilen habe, will ich Jeanne wiedersehen; o ja ! jetzt da mir keine Thränen aufs Herz fallen werden, will ich meine Mutter umarmen.

Alain hörte ihn nicht an.

»Kannst Du schwimmen?« fragte er den Knaben.

»Ach, nein,« antwortete der kleine Jean Marie traurig.

»Dann bleibt uns nichts Anders übrig, als auf den höchsten Felsen zu steigen und von Gott ein Wunder oder den Tod zu erwarten. – Komm, mein Kind.«

»Aber Sie, Alain,« sagte lebhaft Jean Marie, »Sie können schwimmen?«

»Gewiß.«

»Nun dann können Sie sich retten; Sie können das Land erreichen.«

Der Jäger schüttelte zum Zeichen der Weigerung den Kopf.

»Wie!« rief der Knabe, »Sie wollen mein Schicksal theilen? Sie wollen mit mir sterben?«

»Ohne Zweifel!«

»Aber ich will es nicht, Monsieur Alain. O mein Gott! aber denken Sie doch an Jeanne Marie! Sie würde allein bleiben, die arme Frau; was würde aus ihr werden, verlassen und ohne Stütze? Der gute Gott ruft mich zu sich, Sie sehen es, Alain Und in der That bin ich schmächtig und schwach, ich kann der armen Mutter nicht viel nützen, während Sie stark sind, Sie können für Ihren eigenen Lebensunterhalt und den der Mutter arbeiten. Sie werden Sie beschützen und trösten, und endlich, Monsieur Alain, werden Sie versuchen, sie zu lieben, wie ich sie liebe.«

Aber Alain war fest entschlossen, da er den Knaben nicht retten konnte, mit ihm zu sterben.

»Die Küste ist zu weit entfernt,« sagte er; »ein Mensch, ein so guter Schwimmer er auch sein mag, kann sie nicht erreichen.«

»O! sagen Sie Das nicht, Monsieur Alain, denn Das ist nicht wahr. Ihnen ist Alles möglich, und ich habe sagen hören, daß Sie meilenweit schwimmen können. Vergessen Sie also, daß ich bin. Gehen Sie, Alain! gehen Sie, mein Vater! Uebrigens, wenn ich sterben will, ist es nicht meine Schuld? Ist es nicht mein Eigensinn, der mir den Tod zuzieht, und der Sie dem aussetzt, mit mir umzukommen? Verlassen Sie mich also; gehen Sie zu Jeanne Marie, erzählen Sie ihr Alles, was geschehen wird, und sagen Sie ihr, daß ich dort oben ihren Namen aussprechen werde. Wenn das Kind, welches meine Mutter zur Welt bringen wird, ein Knabe ist, so geben Sie ihm meinen Namen Jean Marie, und wenn Jeanne ihn umarmen wird, so sagen Sie ihr ganz leise ein Wort, um sie an den andern Jean Marie zu erinnern, der dort oben sein wird, damit meine arme Seele nicht so sehr verlassen sein möge. – Dies ist Alles, was ich verlange, mein lieber Alain, Dies ist Alles.«

Und das arme Kind brach in Schluchzen aus.

Statt aller Antwort drückte Alain den Knaben an sein Herz.

Das Meer stieg noch immer; dem kleinen Knaben ging das Wasser schon bis an die Knie; der Hund heulte kläglich, der Jäger nahm den Knaben auf seine Arme und begann einen ziemlich hohen Felsen zu erklimmen, der nur wenige Schritte von ihnen entfernt war; der Hund folgte ihnen, Als Alain im Begriff war den Gipfel zu erreichen stellte er Jean Marie plötzlich hinauf, kletterte selber auf die Höhe und sah nach dem Lande hin.

»Jean! Jean! wir sind gerettet! Siehst Du dort ein Boot in der Richtung des Kirchthurmes? Wir sind gerettet, hörst Du? Denn es hat die Spitze zu uns gewendet und es wird gewiß zu uns kommen, ehe das Wasser uns erreicht hat.«

Jean Marie empfing diese Nachricht mit einem Freudengeschrei und stieg zu Alain hinauf.

»Siehst Du?« sagte dieser zu ihm, »siehst Du?«

»Ja, ja! ich sehe, Vater! O! welch ein Glück für die arme Jeanne Marie!«

Der Knabe fürchtete den Tod nur wegen des Kummers und der Verlassenheit, die er seiner Mutter verursachen würde.

Die Sonne war gänzlich vom Horizonte verschwunden, sie hatte sich beinahe ins Meer eingetaucht, wie ein Fahrzeug, welches untergeht, und die Dämmerung, die zu jener Jahreszeit sehr kurz ist, begann dunkler zu werden.

Alain hielt es für nöthig, die Aufmerksamkeit der Leute in der Barke auf sich zu lenken; er schoß zwei Flintenschüsse in die Luft, dann band er sein Taschentuch an das Ende des Laufes und bewegte ihn wie eine Flagge.

Die Barke näherte sich in gerader Linie und die Leute, die darauf waren, hatten gewiß die Signale gesehen.

Plötzlich, und als sie nur noch tausend Klafter von dem Felsen entfernt war, veränderte die Barke ohne sichtbaren Grund die Richtung und steuerte rechts an den beiden Schiffbrüchigen vorüber.

Beide stießen zu gleicher Zeit ein verzweifeltes Geschrei aus, welches aber ohne Echo blieb.

Der Jäger erneuerte die Bewegungen eines Signals; dann riß er das Taschentuch von dem Laufe seiner Flinte und wollte sie wieder laden.

Er wollte das Pulverhorn aus der Jagdtasche nehmen.

Um leichter die Höhe zu erklimmen, hatte er die Jagdtasche abgeworfen; sie war von dem Felsen herunter gerutscht und vom Wasser befeuchtet, so daß das Pulver schon naß war.

Alain warf einen qualvollen Blick über das Meer; die Schaluppe entfernte sich noch immer.

Er versuchte von Neuem sie anzurufen, aber er fühlte, daß das Geräusch der Wogen seine Stimme übertäubte.

Diese verschiedenen Ereignisse hatten ihm ein Fieber verursacht; er war in einem jener Augenblicke, wo dem Menschen Nichts unmöglich scheint.

Ohne dem kleinen Jean etwas zu sagen, begann er rasch eine Kleider abzulegen.

»Sie wollen die Küste erreichen Alain ?« sagte der Knabe mit Schwermuth; »Sie thun wohl. Besonders vergessen Sie nicht, was ich Ihnen hinsichtlich der Mutter empfohlen habe. «

»Ich will nicht die Küste erreichen,« sagte Alain; »ich will versuchen die Barke einzuholen, um sie zu Dir zurückzuführen.«

»Aber es ist unmöglich,« sagte der Knabe.

Da kommt die Nacht, so daß man die Barke schon fast nicht mehr sieht, und wenn sie einmal auf dem Meere sind, werden Sie gar nicht mehr sehen.«

»Was willst Du, mein Sohn?« sagte Alain, indem er sich auszukleiden fortfuhr, »es ist die einzige Wahrscheinlichkeit für unsere Rettung!«

Jean Marie fing an zu weinen.

»O! ich schäme mich dessen,« sagte der Knabe mit Zorn, »aber es scheint, als habe ich jetzt Furcht.«

»Muth, Kleiner!« jagte Alain; »und wenn ich sterbe und Du die Jeanne Marie wiedersieht und sei es auch dort oben, so sage ihr, daß ich gethan habe, was ich gekonnt, um mein Verbrechen wieder gut zu machen,« und er streckte dem Knaben seine Arme hin.

Dieser stürzte sich in dieselben.

Der Jäger mußte alle seine Kraft anwenden, um sich von ihm loszumachen.

Dann stürzte sich Alain, ohne einen Augenblick zu verlieren in’s Meer.

Pavillon, an den Niemand dachte, und der die passive Person von diesen Dreien war, stürzte sich nach seinem Herrn hinein, indem er es ganz natürlich fand, ihm zu folgen, wohin er ging.

Der Jäger, wie wir bei Gelegenheit gesehen haben, war ein unerschrockener und kräftiger Schwimmer; er nahm seinen Weg nicht direct auf die Barke zu, sondern oberhalb der Stelle, wohin sie, wenn sie ihren Schlag fortsetzte, nothwendig kommen und mit ihm zusammentreffen mußte.

Zum letzten Male wollte er den armen Schiffsjungen wiedersehen; indem er schwamm, wendete er den Kopf um und sah nach dem Felsen.

Da der Felsen sich von ihm westlich befand, so bemerkte er den Knaben, der dunkel gegen den röthlichen Hintergrund des Horizontes abstach.

Der Knabe lag auf den Knieen und betete, die Hände zum Himmel erhoben.

Alain endete ihm noch ein Lebewohl zu und er fuhr fort, mit Anstrengung zu schwimmen.

Bei der Bewegung, die er gemacht, hatte er bemerkt, daß Pavillon nahe bei ihm schwamm.

Er hatte einen Augenblick den Einfall, den Hund zu dem Knaben zurückzuschicken; aber er bedachte, daß Pavillon ihm ohne Zweifel nicht gehorchen werde und daß er während dieses vergeblichen Streites nur Zeit und Kräfte verlieren würde.

Pavillon war übrigens ein ebenso geschickter Schwimmer, wie ein Herr ; er hatte Schwimmfüße, denn unter seinen Vorfahren war ohne Zweifel ein Hund aus Newfoundland gewesen.

Alain ließ also Pavillon nach einem Gefallen handeln, und fuhr fort, in der Diagonale auf die Stelle zuzuschwimmen, wo er mit der Barke zusammenzutreffen hoffte.

Aber kaum hatte er drei- oder vierhundert Faden zurückgelegt, als er fühlte, daß er seine Richtung verlor; er wurde zur Rechten fortgezogen, und zur Linken mußte er schwimmen.

Er war in einem Strome, und der Strom zog ihn mit sich fort.

Er versuchte seiner Herr zu werden; eine Anstrengungen waren ohnmächtig und er erreichte.

Nichts weiter, als daß er an derselben Stelle blieb.

Er versuchte unterzutauchen; er wußte, daß diese Strömungen zuweilen in einer gewissen Tiefe nicht mehr vorhanden sind; aber zwischen zwei Wassern, fühlte er sich auf der Oberfläche, von dieser unwiderstehlichen Gewalt fortgerissen.

Er schrie und rief; aber wie auf dem Felsen antwortete das Rauschen der Wogen allein auf sein Geschrei.

Das Wasser mit einer kräftigen Anstrengung zurückstoßend, erhob er sich bis an den Gürtel aus dem Meere.

Er wollte um sich blicken; unglücklicherweise war die Nacht gekommen und sein Auge konnte nicht weiter als auf zwanzig Schritte die Finsterniß durchdringen, die ihn umgab.

Der Kampf war vergebens; und doch brachte der Gedanke, den armen Knaben zu verlassen, Alain in Verzweiflung. Er dachte beständig an ihn. Wenn eine Woge, höher, als die anderen, ihn erhob, wenn sie sich brüllend an seiner Brust brach, glaubte er den armen kleinen Körper Jean Marie’s dieser Woge als Spielwerk dienen zu sehen; er stellte sich ihm vor, an seinen Felsen angeklammert, und sah das Meer sich ringsum erheben, beständig steigen, ruhig aber ebenso drohend und unerbittlich in einer Ruhe, wie in seiner Wuth. Wenn eine verspätete Seemöve über seinen Kopf dahinflog und ihr Nachtquartier aufsuchte, glaubte er den Schrei zu hören, womit er, den Der seinen Sohn nannte, eben seine Seele dem Schöpfer wiedergegeben hatte; ein Schwindel bemächtigte sich feines Gehirns, und obgleich eine große Kälte herrschte, war er doch in Schweiß gebadet!«

Er tauchte dann unter, um diesen Schweiß von seiner Stirn zu entfernen.

Indessen wurde er immer fortgerissen, und zwar so schnell, daß er gewissermaßen keiner Anstrengung bedurfte, um sich auf den Fluthen zu erhalten.

Endlich fühlte er, wie er rasch mehrmals um sich selber gedreht wurde; dann schien es ihm, als werde eine Bewegung wieder frei.

Es war die Strömung, welche aufhörte.

Alain suchte einen Augenblick die Richtung, welcher er folgen konnte; die Nacht war finster, er sah weder Mond noch Sterne am Himmel, Nichts um sich her, als das Phosphoresciren der Wogen.

Er hatte sich in die Unendlichkeit verloren.

Pavillon schwamm noch immer einige Schritte von seinem Herrn und stieß von Zeit zu Zeit ein klägliches Geheul aus, als wollte er Hilfe herbeirufen.

Alain stellte es der Vorsehung anheim, ihn zu führen, und schwamm nach der ersten besten Richtung.

So schwamm er beinahe anderthalb Stunden.

Dann erschöpften sich seine Kräfte, eine Bewegungen wurden unsicher, und es ward ihm schwer, sich auf die Wogen zu erheben; sie gingen rollend über einen Kopf dahin.

Und es schien ihm, als ob Pavillon trauriger und klagender heulte.

Da fühlte er nach und nach, wie all sein Blut zu seinem Gehirn zurückfloß; er hörte vor seinem Ohr ein dumpfes und fortgesetztes Rauschen. Die Phantasmagorie seiner Vergangenheit stellte sich einen Augen lebhaft und vielgestaltig dar; Alles, was er gesehen, gethan oder gesprochen hatte, sah, sprach und that er zum zweiten Male. Und zu gleicher Zeit verschmolzen sich in dieser Sinnentäuschung die Spiele seiner Kindheit im Schatten des dichtbelaubten Obstgartens der Meierei mit seinem Leben in Paris, mit seinen Vergnügungen, mit feinen Bacchanalien, mit feinen beiden Duellen, mit einer Liebe zu Lisa, mit seiner Traurigkeit, mit einem Jägerhäuschen, und seinen Wanderungen in den Sümpfen. Er fand neben einander die langweiligen Gesichter der Pädagogen von Saint-Lo und die ruhige und sanfte Physiognomie des alten Montplet; er hörte das Wiehern, womit das Pferdchen seines Vaters das Haus begrüßte, wenn er nach einem weiten Ritte dorthin zurückkehrte. Die munteren Bekannten, die er in Paris zurückgelassen hatte, bildeten den Hintergrund des Gemäldes; ungeachtet ihrer Anzahl waren die Bilder alle deutlich, und zu gleicher Zeit kamen sie in das Gedächtniß Dessen zurück, der sterben sollte.

Nach und nach erschöpften sich die Kräfte, das Sausen wurde stärker, die Vision erlosch; es schien Alain, daß der dunkle Hintergrund, den er vor Augen hatte, sich mit Himmelsblau bemalte, und auf diesem Himmelsblau sah er in der Ferne eine glänzende Figur, welche größer wurde und sich ihm näherte.

Bald war sie nahe genug, um sie zu erkennen: diese Figur war die der Jeanne Marie! – sie saß auf dem Felsen, wo er ihren Sohn zurückgelassen hatte.

Der Knabe stand an ihre Brust gelehnt, neben ihr, und Beide waren von einem hellen Nimbus umgeben; Alain sah das Gesicht des Knaben nicht, aber er sah das der Mutter; die Mutter sah ihn lächelnd an, und dieses Lächeln war das einer unaussprechlichen Traurigkeit.

Plötzlich zerstreute sich das Gewölk, welches das Gesicht des Knaben zu bedecken schien, und dieses Gesicht schien ihm so blaß, daß der Knabe todt sein mußte.

Diese Idee verdoppelte das Delirium, welches sich des unglücklichen Alain bemächtigt hatte:

In einer Vision war der Felsen nur wenige Klaftern von ihm entfernt. Er nahm alle seine Kräfte zusammen, um ihn zu erreichen; er glaubte mit den Fingern die Steine zu berühren, welche das Piedestal bildeten, auf dessen Höhe sie ihm erschienen; er klammerte sich mit der Gewalt an, welche die Nähe des Todes verleiht, und wurde ohnmächtig.

In seiner Todesqual hörte er ein trauriges Geheul über seinem Kopfe.

Es war die klagende Stimme des Hundes, welcher seinerseits der Schöpfung ein letztes Lebewohl zusendete.

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06 aralık 2019
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