Kitabı oku: «El Salteador», sayfa 8
Fünfzehntes Capitel.
Der Löwenhof
Man erlaube uns nun dem Oberrichter in den Palast der Maurenkönige hinein zu folgen, welchen der König Don Carlos zum ersten Male betreten hatte und den unsere Leser vielleicht niemals gesehen haben.
Don Inigo folgte dein Diener, welcher ihn im Auftrage des Königs gerufen hatte, und ging über den ersten Hof, welchen man wegen der vielen da blühenden Myrthen den Myrthenhof, wegen des großen Bassins in der Mitte den Hof des Wasserbehälters oder auch den Hof des Mezuar oder des Frauenbades nannte, weil zur Zeit der Califen in jenem Bassin die Frauen des Palastes sich badeten.
Wenn die Gedanken und das Gemüth des Don Inigo nicht gleichzeitig vollständig bereits in Anspruch genommen gewesen wären, würde er sicherlich, ob er gleich in seinem Wanderleben Bauwerke der alten und neuen Welt gesehen hatte, in diesem ersten Hof stehen geblieben seyn, auf dessen Schwelle der Reisende noch heutigen Tages erstaunt und zögernd stehen bleibt; denn er ahnt, daß er in die unbekannte und geheimnißvolle Welt des Orients eintritt.
So aber erhob Don Inigo kaum den Kopf, um die herrliche riesige Vase zu betrachten, welche die spanische Sorglosigkeit jetzt in einem Winkel des Museums verderben läßt, welches Niemand besucht und welche damals den Hauptschmuck dieses Hofes bildete, den, über die Balken von Cedernholz und die vergoldeten Ziegel der Dächer hinweg, der Thurm von Comare überragte, dessen Zinnen in Roth und Gelb an dein klaren blauen Himmel scharf hervortraten.
Aus diesem Hofe trat Don Inigo in das Vorzimmer der Barca und aus diesem in den Gesandtensaal; aber weder die Seltsamkeit der Form, nach welcher man das Vorzimmer nach der Barke benannt hat, noch die verschlungenen Arabesken, weiche die Wände bedecken, noch die kostbare grün, himmelblau und roth bemalte Deckenarbeit, die hier mit der wunderbaren Zartheit, mit welcher die geduldige Natur in tausend Jahren Stalaktiten schafft, in dem Stucco angebracht ist, konnte Don Inigo einen Augenblick von den ihn ausschließlich beschäftigenden Gedanken abziehen.
Er ging schweigend und schnellen Schrittes an dem reizenden Pavillon vorüber, welcher jetzt der Tocador der Königin heißt, von dessen Fenstern man das Generalife gleich einem riesigen Oleanderbusche bemerkt, auf dem Pfauen gleich Vögeln von Saphir und Gold sitzen und die weißen Marmorplatten betreten, riesige Räuchergefäße voll kleiner Löcher, wo sich die Sultane nach dem Bade parfumirten; dann schritt er, ohne stehen zu bleiben, durch den Garten Lindacaja’s, der jetzt ein mit Gebüsch bedeckter Boden ist, sonst aber von Blumen glänzte und duftete, ließ zu seiner Linken das Bad der Sultane, noch lau von dem Athem der schönen »Herzenskette« und der stolzen Zobeida, und wurde in den Löwenhof geführt, wo ihn der König erwartete.
Der Löwenhof ist so oft beschrieben worden, daß es für uns fast nutzlos ist, ihn noch einmal zu beschreiben, wir begnügen uns deshalb, nur flüchtig seine Form und seinen Hauptschmuck anzugeben.
Der Löwenhof ist ein hundertundzwanzig Fuß langer und dreiundsiebzig Fuß breiter vierseitiger Raum, umgeben von hundertachtundzwanzig weißen Marmorsäulen mit Capitälern in Gold und Blau.
Achtundzwanzig Fuß hohe Galerien ziehen sich rund um den weiten Hof, in dessen Mitte der berühmte Löwen-Springbrunnen steht.
Als Don Inigo in den Löwenhof geführt wurde, war derselbe in ein Zelt verwandelt und mit breiten Zeugstreifen in Roth, Schwarz und Gelb bedeckt, welche die Farben Spaniens und Oesterreichs bildeten und sowohl das zu grelle Licht als die zu heiße Glut der Sonne milderten.
Der Löwen-Springbrunnen, welcher das Wasser aus allen seinen Oeffnungen warf, diente übrigens auch zur, Abkühlung des unermeßlichen Speisesaales, in welchem das Mahl aufgetragen war, welches die Stadt Granada und die ricos hombres Andalusiens dem jungen Könige Don Carlos boten.
Die Tischgäste gingen theils in dem Hofe selbst, theils in dem anstoßenden Saale der beiden Schwestern, theils endlich auf den Galerien am Hofe umher.
Don Carlos, der den Kopf an einen der goldenen Löwen lehnte, hörte seinen ersten Minister, Grafen von Chiëvre, an, während er auf die rothen Flecke in dem Granit blickte, welche die Spuren von dem Blute der sechsunddreißig Abencerragen seyn sollen, die da enthauptet wurden.
An was dachte Don Carlos und warum entsprach sein zerstreuter Blick so wenig den Worten seines ersten Ministers? Er vergaß, daß er in Granada, in dem Löwenhofe sey, und seine Gedanken trugen ihn nach Frankfurt unter die Churfürsten; die Sagen von den maurischen Bürgerkriegen, so poetisch sie auch waren, konnten vor der Frage nicht aufkommen, die jeder Pulsschlag seines Herzens ihm zurief: »Wer wird Kaiser von Deutschland werden? Du oder Franz I.?«
In diesem Augenblicke trat der Diener zu dem Könige und meldete, daß der Oberrichter von Andalusien ihm folge.
Don Carlos richtete den Kopf empor, ein Blitz leuchtete in seinen Augen auf und als wolle er sich von dem Kreise der flandrischen Günstlinge absondern und sich den Gruppen der spanischen Herren im Hofe nähern, ging er dem entgegen, welchen er hatte rufen lassen.
Da Don Inigo den König auf sich zukommen sah, errieth er die Absicht desselben, blieb stehen und erwartete, daß der König ihn anredete.
»Du kennst Don Ruiz de Torillas?« fragte Don Carlos den Oberrichter.
»Ja, Hoheit, er gehört zu dem ersten Adel Andalusiens und machte mit mir den Krieg gegen die Mauren mit unter euren erlauchten Großeltern Ferdinand und Isabella.«
»Du weißt auch was er von mir erbeten hat?«
»Er hat Ew. Hoheit um die Begnadigung seines Sohnes Fernand gebeten.«
»Du weißt, was sein Sohn gethan hat?«
»Er tödtete im Zweikampfe den Bruder seiner Geliebten.«
»Dann?«
»Er tödtete zwei der Alguazils, die ihn verhaften sollten, und verwundete den dritten.«
»Dann?«
»Er floh in das Gebirge.«
»Dann?«
Als Don Carlos zum dritten Male dieses Wort aussprach, hefteten sich seine gewöhnlich glanzlosen und umschleierten Augen mit der Festigkeit des Eigensinnes und dem Glanze des Genies auf die Augen Don Inigo’s.
Dieser trat einen Schritt zurück; er hatte nicht geahnt, daß ein sterbliches Auge einen so bedeutenden Blitz zu schleudern vermöge.
»Dann?« wiederholte er stammelnd.
»Ja, ich frage Dich, was er im Gebirge that?«
»Sire, ich muß gestehen, daß er in dem Ungestüm seiner Jugend . . .«
»Er ist Räuber geworden, er plündert die Reisenden, so daß der, welcher von meiner Stadt Granada nach meiner Stadt Malaga oder umgekehrt reisen will, sein Testament machen muß, bevor er aufbricht.«
»Sire!«
»Was meinst Du, mein Oberrichter, was ist mit diesem Banditen zu thun?«
Don Inigo erbebte, denn es lag in der Stimme dieses neunzehnjährigen Königs ein Ton der Unbeugsamkeit, der ihn für die Zukunft seines Schützlings besorgt machte.
»Ich glaube, Sire, der Jugend ist viel zu verzeihen.«
»Wie alt ist Don Fernand de Torillas?« fragte der König.
Don Inigo besann sich auf eine ihm schmerzliche Zeit und antwortete mit einem Seufzer:
»Er muß siebenundzwanzig Jahre alt seyn.«
»Acht Jahre älter als ich,« sagte Don Carlos und der Ton, in welchem er sprach, bedeutete: »Du nennst einen Mann von siebenundzwanzig Jahren jung; ich bin neunzehn alt.«
»Sire,« antwortete Don Inigo, »das Genie hat Ew. Hoheit vor der Zeit alt gemacht und der König Don Carlos darf die Andern nicht nach seiner Größe messen, nicht in seiner Wage wägen.«
»So lautet deine Meinung als Oberrichter. . .«
»Ich meine, Sire, es liege hier ein eigenthümlicher Fall vor. Don Fernand ist schuldig, aber es liegen Gründe vor, ihm zu verzeihen; er gehört einer der ersten Familien in Andalusien an; sein Vater, ein würdiger, ehrenwerther Mann, hat alle Bedingungen erfüllt, welche von der Familie des Opfers des Mörders gewöhnlich gefordert werden, und es dürfte gut seyn für den König Don Carlos, seine Reise durch Andalusien durch eine Handlung der Barmherzigkeit zu bezeichnen.«
»Das ist deine Meinung, Don Inigo?«
»Ja, Sire,« antwortete dieser schüchtern, indem er die Augen vor dem Adlerblicke des jungen Königs niederschlug.
»Dann bedaure ich, Don Ruiz an Dich gewiesen zu haben . . . Ich behalte mir die Sache vor und werde sie mit meinem Gewissen ausmachen.«
Darauf wendete er sich an die ihm zunächst stehende Gruppe und sagte:
»Nun zu Tische, Ihr Herren! Mein Oberrichter da, Don Inigo Velasco, meint: ich sey ein zu strenger Richter und ich möchte ihm sobald als möglich beweisen, daß ich keineswegs ein Richter, sondern die Gerechtigkeit bin.«
Zu Don Inigo sagte er, der durch den gewaltigen Willen des kaum der Kindheit entwachsenen Jünglings ganz betäubt war:
»Setze Dich zu meiner Rechten, Don Inigo. Nachdem Mahle besuchen wir mit einander das Gefängniß in Granada; dort werden wir Gelegenheit finden Gnade zu üben, die mehr verdient ist als jene, welche Du von mir erbittest.«
Er trat darauf zu dem Stuhle, der ihm bestimmt war, legte die Hand auf die Krone oben auf der Lehne derselben und flüsterte:
»König! König! Lohnt es sich der Mühe König zu seyn? Nur zwei Kronen in der Welt verdienen ersehnt zu werden: die Krone des Papstes und die Krone des Kaisers.«
Nachdem der König zwischen Don Inigo zu seiner Rechten und dem Cardinal Adrian zu seiner Linken Platz genommen hatte, setzten sich die Uebrigen nach Rang und Würden.
Eine Viertelstunde darauf – was von der Unruhe des Königs zeugte, der als unermüdlicher Esser meist zwei Stunden bei Tafel blieb – erhob er sich bereits wieder, lehnte selbst die Begleitung seiner Günstlinge, der flandrischen Herren, ab und ging mit dem Oberrichter allein fort, um das Gefängniß von Granada zu besuchen.
Als er an den Garten Lindacaja‘s kam, traf er ein Mädchen, das man nicht weiter hatte gehen lassen und welches da geblieben war.
Das Mädchen war seltsam gekleidet, zeichnete sich aber durch auffallende Schönheit aus, kniete nieder, als der König nahte, und reichte ihm mit der einen Hand einen goldenen Ring, mit der andern ein Pergament.
Don Carlos zuckte bei deren Anblicke.
Der goldene Ring war der der Herzoge von Burgund und das Pergament zeigte unter einigen deutsch geschriebenen Zeilen eine Unterschrift, die Allen wohlbekannt war, besonders aber Don Carlos, die seines Vaters nämlich:
des Königs Philipp.
Don Carlos betrachtete verwundert zuerst den Ring, dann das Pergament, und endlich das seltsam gekleidete Mädchen.
»Leset, Sire,« sagte sie deutsch.
Mit Don Carlos die Sprache des geliebten Deutschlands zu sprechen war schon eine geschickte Schmeichelei.
Auch begann der König sofort die seinen Augen so wohlbekannten Schriftzüge zu lesen, aber bei jeder Zeile, in fast bei jedem Worte wendete sich sein Blick von dem Pergament nach dem Mädchen und von diesem wiederum auf das Pergament. Als er zu Ende gelesen hatte, sagte er:
»Don Inigo, da nöthigt mich ein Umstand unsern Besuch in dem Gefängnisse auf eine andere Stunde zu verschieben. Habt Ihr etwas zu thun, so verfügt über eure Zeit; wenn nicht, so wartet hier auf mich.«
»Ich werde auf Ew Hoheit warten,« antwortete Don Inigo, welcher in dem Mädchen mit dem Ringe und dem Pergamente die Zigeunerin aus der Venta »zum Maurenkönig» erkannt hatte und es für möglich hielt, daß irgend eine Verbindung zwischen dem Besuche Ginesta‘s und der Begnadigung des Salteador bestehe, welche Don Ruiz und er vergebens von dem Könige erbeten.
Der König Don Carlos selbst hatte zu dem Mädchen, aber ebenfalls in deutscher Sprache, nur geantwortet:
»Folge mir.«
Er deutete dabei auf den Weg, welcher nach dem Mirador der Königin führte und diesen Namen der Vorliebe verdankte, welche Isabella die Katholische während ihres Aufenthaltes in der Alhambra diesem kleinen Pavillon schenkte.
Sechzehntes Capitel.
la Reyna Topacio
Man weiß bereits, weichen geringen Eindruck die Außendinge auf Don Carlos zu machen schienen, wenn ihn seine Gedanken beschäftigten. Er ging deshalb die wenigen Stufen hinauf, welche zu dem ehemaligen Toilettencabinet der Sultanin führten, das nach der Eroberung Granadas das Betgemach der Königinnen Castiliens geworden war, und beachtete die phantastische Bildhauerarbeit an der Wand, an der Decke und an den maurischen Säulchen nicht, welche die Blicke eines Königs wohl anzuziehen verdienten.
Der junge König schien indeß die Augen vor allen den Wundern zu verschließen, welche wie Erscheinungen aus dem Oriente bei jedem Schritte auf seinem Wege sich ihm darboten.
In dem Mirador blieb Don Carlos stehen und ohne einen Blick auf das bewundernswürdige Panorama zu werfen, welches die Natur und Kunst um ihn ausgebreitet hatten, sagte er zu Ginesta:
»Ich erkenne den Ring und das Pergament an . . . Wie kommen beide in deine Hände?
»Meine Mutter ist gestorben und hat sie mir hinterlassen,« antwortete das Mädchen; »es war mein ganzes Erbe, freilich, wie Ihr sehen Hoheit, ein königliches.«
»In welcher Weise hat deine Mutter den König Philipp gekannt? Warum ist dieser Brief meines Vaters deutsch geschrieben? Warum sprichst Du selbst deutsch?«
»Meine Mutter hatte den König Philipp in Böhmen gekannt, als er Erzherzog von Oesterreich war. So oft er auch geliebt hat, seine Liebe zu meiner Mutter allein nahm in seinem Herzen nie ab. Als der König 1506 nach Spanien reisen, um sich da zum Könige ausrufen zu lassen, befahl er meiner Mutter ihm zu folgen; meine Mutter aber wollte es nur thun, wenn er das Kind, das sie vor zwei Jahren geboren, als das seinige anerkenne. Er gab ihr deshalb das Pergament, das Ihr in der Hand haltet.«
»Und das Kind?« fragte Don Carlos mit einem Seitenblicke aus das Mädchen.
»Das Kind,« antwortete die Zigeunerin, ohne das stolze Auge niederzuschlagen, »das Kind bin ich.«
»Das wäre die Sache des Pergamentes,« fuhr der König fort; »aber der Ring?«
»Meine Mutter hatte oftmals den König, ihren Geliebten, um einen Ring ersucht, welcher das Sinnbild ihrer Verbindung, wenn auch nicht vor den Menschen, doch vor Gott sey, und der König hatte ihr immer nicht blos einen Ring, sondern diesen Ring versprochen, mit dem er siegelte, damit sie, wie er sagte, eines Tages die Tochter seiner Liebe durch den Sohn seiner Ehe anerkennen lassen könne. Meine Mutter hatte diesem Versprechen vertraut und drang nicht weiter in ihren königlichen Geliebten. Warum sollte sie es thun? Warum von dem Sohne verlangen, was der Vater selbst thun konnte? Sie zählte zwanzig und ihr Geliebter achtundzwanzig Jahre. Ach! Eines Tages galoppirte ein Mann auf der Straße von Burgos nach Santivanez; meine Mutter stand in der Thür ihres Hauses; ich spielte in dem Garten mit den Blumen und Schmetterlingen. »Königin Topacio,« rief da der Mann, »wenn Du deinen Geliebten noch einmal sehen willst, ehe er stirbt, so mußt Du eilen!« Meine Mutter blieb einen Augenblick stumm und starr vor Staunen stehen; sie hatte einen Zingaro-Fürsten erkannt, der sie seit fünf Jahren liebte und seit fünf Jahren sie heirathen wollte, den sie aber immer mit Verachtung abgewiesen hatte. Ohne etwas Anderes zu sagen als: »Komm, mein Kind,« nahm sie mich aus den Arm und eilte so mit mir nach Burgos. Als wir in dem Palaste ankamen, war der König eben da erschienen und wir sahen von weitem das Thor hinter dem Letzten aus seinem Gefolge sich schließen. Meine Mutter wollte das Thor sich öffnen lassen, aber es war eine Wache da aufgestellt worden, welche Befehl hatte Niemanden einzulassen. Sie setzte sich mit mir am Graben der Feste nieder. Einige Minuten daraus kam eilends ein Mann.
»Wohin gehst Du?« fragte meine Mutter.
Es war ein Diener des Königs und er erkannte sie.
»Ich soll den Arzt holen,« antwortete er.
»Ich muß mit dem Arzte sprechen,« sagte meine Mutter, »hörst Du? Es handelt sich um Leben und Tod des Königs.«
Wir blieben stehen und warteten auf den Arzt.
Noch war nicht eine Viertelstunde vergangen, als der Diener mit dem Arzte erschien.
»Da ist sie, die mit Euch sprechen will,« sagte der Diener.
»Wer ist das Weib?« fragte der Arzt, dann sah er meine Mutter an und setzte laut hinzu: »Die Königin Topaz.« Leise sagte er darauf, doch nicht so leise, daß wir die Worte nicht hätten hören können: »eine Geliebte des Königs, aber die, welche er am meisten liebt. – Was hast Du mir zu sagen?« fragte er meine Mutter; »sprich schnell, der König wartet.«
»Ich habe Dir zu sagen,« antwortete meine Mutter, »daß der König vergiftet oder ermordet ist, daß er jedenfalls nicht eines natürlichen Todes stirbt.«
»So stirbt der König?« fragte der Arzt.
»Der König stirbt!« sprach meine Mutter in einem Tone, den ich nie vergessen werde.
»Wer hat es Dir gesagt?«
»Sein Mörder.«
»Und was ist aus diesem geworden?«
»Frage den Sturm was aus dem Blatte wird, welches er mit sich fortreißt. Sein Pferd trug ihn nach Asturien hin und er ist bereits zehn Stunden weit entfernt.«
»Ich eile zu dem Könige.«
»Geh!« sagte meine Mutter, die zu dem Diener hinzusetzte: »Laß ihn wissen, daß ich hier bin.«
»Er soll es wissen,« antwortete der Mann.
Beide gingen in die Feste hinein.
Meine Mutter setzte sich wieder an den Rand des Grabens.
Wir verbrachten den Abend, die Nacht und den Morgen des andern Tages.
Unterdeß hatte sich das Gerücht von der Erkrankung des Königs verbreitet; die Leute, die am Abende um uns hergestanden, hatten sich in der Nacht entfernt, fanden sich aber am Morgen zahlreicher und besorgter wieder ein.
Man erzählte allerlei, am meisten aber, als das Wahrscheinlichste, fiel meiner Mutter auf, daß der König, der sich bei dem Ballspiele erhitzt und ein Glas frisches Wasser verlangt, dasselbe aus der Hand eines Mannes erhalten hatte, der verschwunden war.
Die Beschreibung dieses Mannes paßte auf den Zingaro, den meine Mutter hatte vorüberreiten sehen und der ihr die Worte zugerufen, weiche uns daher gebracht hatten. Sie zweifelte nun nicht mehr, daß der König vergiftet worden sey.
Bestimmte Nachrichten hatte man nicht weiter erhalten. Der Arzt befand sich bei dem Könige, und die Personen die aus dem Schlosse kamen, wußten von der Krankheit des Herrn nichts Genaues.
Alle warteten also in Bangen, meine Mutter in Todesangst.
Ungefähr gegen elf Uhr wurde das Thor geöffnet und man meldete, der Zustand des Königs habe sich gebessert und er werde sich zeigen, um sein Volk zu beruhigen.
Einige Minuten darauf erschien der-König wirklich zu Pferde; er hatte nur den Arzt bei sich und zwei oder drei seiner Hausbeamten.
Ich sah meinen Vater nicht das erste Mal, aber wohl zum ersten Male in einem Alter, das mir erlaubte mich seiner zu erinnern.
O, und ich erinnere mich seiner wohl. Er war wunderbar schön, wenn auch sehr bleich. Sein Pferd ging im Schritt, aber der Reiter war doch so schwach, daß er sich an den Sattelbogen halten mußte und ohne diesen Halt gewiß gefallen wäre.
Er blickte nach rechts und links, als suche er Jemanden. Meine Mutter ahnte, daß er sie suche; sie stand darum auf und nahm mich auf den Arm.
Der Arzt, welcher uns bemerkt hatte, berührte den König an der Schulter und nun blickte derselbe nach uns hin.
Seine Augen waren so schwach geworden, daß er uns Vielleicht nicht erkannt hätte.
Er hielt sein Pferd an und winkte meiner Mutter näher zu treten.
Die Personen in seinem Gefolge zogen sich zurück, als sie die Frau mit dem dreijährigen Kinde auf dem Arme sahen.
Die Volksmenge, die errieth was geschehen werde und die meine Mutter wohl kannte, trat ebenfalls zurück.
Wir, der König, meine Mutter und ich, bildeten so den Mittelpunkt eines großen Kreises. Nur der Arzt blieb so nahe, daß erhören konnte, was der König und was meine Mutter sagte.
Meine Mutter konnte kein Wort sprechen, denn die Brust wurde ihr fast zersprengt von Schluchzen, und Thränen rannen ihr über die Augen; sie reichte mich schweigend dem Könige, der mich nahm, mich küßte und mich vor sich auf den Sattel setzte.
Dann ließ er seine matte Hand auf den Kopf meiner Mutter sinken, die ihn leicht zurückbog, und er sagte deutsch: »Du bist es, meine arme Topaz?«
Meine Mutter konnte nicht antworten. Sie ließ den Kopf aus den Schenkel des Reiters sinken, schluchzte laut und küßte ihm das Knie.
»Am um deinetwillen bin ich herausgekommen,« sagte der König.
»Ach, mein König, mein schöner, theurer König!« schluchzte meine Mutter.
»Väterchen, lieb Väterchen!« sagte ich deutsch.
Der König hörte zum ersten Male den Ton meiner Stimme und – in der Sprache, die er so sehr liebte.
»Nun kann ich sterben.« sagte er; »ich habe mich mit dem süßesten Namen nennen hören, welchen eine menschliche Zunge aussprechen kann, und in meiner Muttersprache!«
»Sterben?« wiederholte meine Mutter. »Sterben? Ach, mein theurer König, welches Wort hast Du gesprochen?«
»Das Wort, welches Gott, der mich einen christlichen Tod sterben lassen will, seit gestern mir zuflüstert, denn von dem Augenblicke an, da ich von dem kalten Wasser getrunken, fühlte ich Todesschauer durch meine Adern.«
»Ach mein theurer König! mein theurer König!« flüsterte meine Mutter.
»Die ganze Nacht habe ich an Dich gedacht, meine arme Topaz,« sagte er. »Ach, bei Lebzeiten konnte ich nicht viel für Dich thun; wenn ich todt bin, kann ich gar nichts thun, als etwa Dich schützen mit meinem Schatten, wenn Gott etwas von uns am Leben läßt, nachdem wir gestorben sind.«
»Lieb Väterchen!« wiederholte ich oft im Weinen.
»Mein Kind, ja, auch an Dich habe ich gedacht,« antwortete der König. »Da,« fuhr er fort und er hing mir mit einer Schnur von Seide und Gold einen kleinen ledernen Beutel um den Hals, – »da, man weiß nicht was geschehen kann, wenn ich todt bin . . . Ich habe in der Nacht diese Diamanten ausgebrochen; sie mögen einen Werth von etwa zweimalhunderttausend Thalern haben. Es ist dies deine Mitgift, mein liebes Töchterlein, und wenn dein Bruder als König von Aragonien und Castilien Dich nicht anerkennen sollte trotz dem Pergamente, das ich deiner Mutter gegeben habe, und trotz dem Ringe, den ich ihr jetzt gebe, nun so bist Du doch wenigstens so reich wie eine adelige Dame, wenn Du auch nicht so reich seyn kannst wie eine königliche Prinzessin.«
Meine Mutter wollte sich mit dem Ringe begnügen und das Beutelchen zurückweisen, aber der König drängte sanft die Hand meiner Mutter hinweg.
Sie hatte also den Ring und ich das Beutelchen.
Die Anstrengung und die Aufregung erschöpften den akuten Kranken mehr und mehr. Er wurde noch blässer, was kaum möglich zu seyn schien, und er neigte sich, einer Ohnmacht nahe, nach meiner Mutter herab.
Meine Mutter umschlang ihn mit ihren Armen, drückte ihre Lippen auf seine kalte Stirn und rief um Hilfe; sie konnte die Last des Körpers nicht länger tragen, der sich nicht selbst aufrecht zu halten vermochte.
Der Arzt und die Diener kamen herbei.
»Gebt! Geht!« sagte der Arzt.
Meine Mutter rührte sich nicht.
»Soll er vor euren Augen sterben?« fragte er.
»Komm, Kind,« erwiederte sie, ich aber rief, als meine Mutter mich herabheben wollte:
»Nein, ich will nicht fortgehen.«
In diesem Augenblicke hörte man einen lauten Schmerzensschrei von der Stadt her.
Die Königin Johanna war es, die mit verstörtem Gesicht, mit aufgelöstem Haar, bleicher noch als ihr sterbender Gemal, händeringend herbeikam und rief:
»Er ist todt! Er ist todt! Man sagt, er sey todt!«
Ich fürchtete mich und hing mich an den Hals meiner Mutter. Gleichzeitig öffnete sich an einer Stelle der Kreis, um uns entfliehen zu lassen, während er an einem andern Punkte Platz für die Königin Johanna machte.
Meine Mutter eilte etwa hundert Schritte weit, dann verließen sie die Kräfte. Sie setzte sich an einem Baume nieder, drückte mich an ihre Brust und bog sich über mich, so daß ihr langes Haar mich wie ein Schleier umhüllte.
Als sie den Kopf wieder aufrichtete, als sie das Haar bei Seite strich, als ich nach dem Könige Philipp mich umsah, hatte sich das Thor des Palastes hinter ihm und der Königin Johanna geschlossen.«
Der junge König hatte während dieser Erzählung kein Wort gesagt und seine Empfindung durch nichts verrathen, als aber die Thränen die Stimme des Mädchens erstickten, als sie auf ihren Füßen wankte, reichte er ihr die Hand, deutete auf einen Stuhl und sagte:
»Setzt Euch, Ihr habt das Recht in meiner Gegenwart zu sitzen, ich bin noch nicht Kaiser.«
Sie aber schüttelte den Kopf und entgegnete:
»Nein, nein, lasset mich meine Erzählung beendigen. Ich suchte hier nicht meinen Bruder, sondern meinen König; ich kam nicht um meinen Rang zu fordern, sondern um eine Gnade zu bitten . . . Wenn ich nicht mehr stehen kann, falle ich auf meine Knie vor Euch nieder, Sire; setzen werde ich mich nicht vor dem Sohne Philipps und Johanna’s. Ach, mein Gott!«
Das Mädchen hielt nochmals inne, überwältigt von der Macht der Erinnerung.
Sie küßte dann ehrerbietig die Hand, welche der König ihr gereicht hatte, trat einen Schritt zurück und fuhr fort: