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Kitabı oku: «El Salteador», sayfa 9

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Siebzehntes Capitel.
Das Paradebett

Meine Mutter verblieb da, wo sie sich niedergesetzt hatte, oder vielmehr wo sie niedergesunken war.

Der Tag verging, ohne daß man andere Nachrichten von dem König erhielt, als: er hat sich nach der Rückkehr zu Bett gelegt.

Am nächsten Tage hieß es, der König habe zu sprechen versucht, aber vergebens.

Am zweiten Tage, um zwei Uhr Nachmittags, hatte der König die Sprache ganz verloren.

Am dritten Tage, um elf Uhr Vormittags, drang aus dem Schlosse heraus ein gewaltiger Schrei, welcher die Thüren und Fenster gleichzeitig zu zerbrechen schien, um sich über der Stadt zu verbreiten, und von da über ganz Spanien:

Der König ist todt!

Ach, Sire, damals wußte ich noch nicht was Leben und Tod sey, aber bei dem Rufe: der König ist todt, als die Brust meiner Mutter sich hob, als wolle sie zerspringen, und als die Thränen von ihrem Gesichte aus das meinige flossen, erkannte ich, daß es in der Welt etwas gebe, das man Unglück nennt.

In den vier Tagen, welche wir vor dem Thore des Palastes blieben, sorgte meine Mutter für alle meine Bedürfnisse, aber ich erinnere mich nicht, daß sie selbst etwas aß oder trank.

154 Wir blieben noch einen Tag und eine Nacht.

Am Tage darauf sahen wir das Schloßthor öffnen und ein Herold erschien zu Pferde, dem ein Trompeter voritt. Der Trompeter blies und der Herold sprach.

Ich verstand nicht was er sagte, aber kaum hatte er die Worte gesprochen, die er zu sagen hatte, und seinen Weg fortgesetzt, und dasselbe aus den Plätzen und in den Straßen der Stadt ausgerufen, als die Menge durch das Thor in das Schloß eindrang.

Meine Mutter stand auf, nahm mich auf den Arm, küßte mich und flüsterte mir zu:

»Komm, mein Kind, wir wollen deinen lieben Vater zum letzten Male sehen.«

Und ich begriff nicht, warum sie weinte, da wir doch meinen Vater sehen sollten.

Wir folgten der Menge, welche durch das Schloßthor drängte, und gelangten mit ihr hinein. Der Hof war schon gefüllt. Wachen standen an einer Thür, durch welche man zu Zweien hineinging. Wir warteten lange; meine Mutter hielt mich immer auf dem Arme, sonst würde man mich erdrückt haben. Endlich kam die Reihe auch an uns; wir gingen hinein, aber drinnen ließ mich die Mutter von den Armen herunter und führte mich an der Hand.

Die vor uns Gehenden weinten; die hinter uns Gehenden weinten auch.

Wir gingen langsam durch schöne Gemächer; an jeder Thür jedes Gemaches standen zwei Soldaten, welche darauf sahen, daß nur zwei Personen auf einmal hindurch gingen.

Wir gelangten an ein Zimmer, welches das Ziel dieser traurigen Wallfahrt zu seyn schien.

Endlich traten wir hinein.

Ach, Hoheit, ich war damals noch ein kleines Kind, aber noch sehe ich Alles deutlich vor mir, die Geräthe, die Tapeten, die Teppiche, die Vorhänge dieses Zimmers, und ich könnte Alles bis ins Einzelnste beschreiben.

Die Hauptsache aber in dem Zimmer, nach welchem meine Mutter hinging, und was seiner düstern Feierlichkeit wegen bald auch meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, war ein ganz mit schwarzem Sammet bedecktes Bett.

Auf diesem Bette lag ein Mann in der Starrheit und Unbeweglichkeit des Todes, bekleidet mit einem goldenen Wamms, einem mit Hermelin gefütterten rothen Mantel und rothen Beinkleidern.

Es war mein Vater.

Der Tod hatte seinen Zügen die Heiterkeit wieder gegeben, welche ihm der Schmerz genommen als ich ihn vor vier Tagen gesehen. Er sah im Tode wo möglich noch schöner aus als im Leben.

Hinter dem Bett stand in dem mit Hermelin gefütterten Purpurmantel, die Königskrone aus dem Haupte, in einem langen weißen Gewande mit aufgelöstem Haare, eine Frau mit stieren, weit aufgerissenen Augen, mit starren Zügen, bleichen Lippen und blässer als der Todte. Einen Finger hielt sie auf die Lippen, und fast unvernehmhar leise sprach sie:

»Wecket ihn nicht! Er schläft.«

Es war die Königin Johanna, eure Mutter, Sire.

Meine Mutter blieb stehen, als sie dieselbe bemerkte, aber sie erkannte auch bald, daß die Königin nichts sehe und nichts höre. Sie flüsterte:

»O, sie ist glücklich, sie ist wahnsinnig.«

Wir gingen also weiterhin nach dem Todten zu. Eine Hand desselben hing an dem Bette herab, und diese Hand durften Alle küssen.

Diese Hand wollten auch wir küssen, meine Mutter und ich.

Als meine Mutter nahe an das Bett kam, wankte sie, wie ich fühlte. Sie hat es seitdem oft zu mir gesagt, sie hätte nicht die Hand küssen, sondern den Leichnam in ihre Arme schließen, die geschlossenen Augen öffnen, die kalten Lippen mit ihren warmen Lippen erwärmen mögen.

Sie hatte den Muth an sich zu halten. Ich hörte sie selbst nicht mehr weinen. Sie kniete nieder ohne zu schauen, ohne zu schluchzen, sie erfaßte die Hand des Todten, reichte sie mir zuerst zum Kuß und sagte:

»Kind, vergiß nie was Du jetzt siehst, denn was Du siehst, wirst Du nie wieder erblicken.«

»Lieb Väterchen schläft?« fragte ich leise.

»Er ist der Vater eines ganzen Volkes, Kind,« antwortete mir meine Mutter und sie winkte mir zu schweigen.

Sie küßte lange und innig die Hand des Todten.

Durch die entgegengesetzte Thür gingen wir hinaus, aber in dem Zimmer neben dem, in welchem das Paradebett stand, wankte meine Mutter und mit einem lauten Schrei sank sie ohnmächtig nieder.

Zwei Männer, die ebenfalls aus dem Paradezimmer kamen, traten zu uns.

»Stehe auf, stehe doch aus, Mama!« sagte ich, »oder ich glaube sonst, Du schläfst wie Papa.«

»Sie ist es,« sagte der eine Mann.

»Wer?« fragte der andere.

»Die Zigeunerin. Sie war die Geliebte des Königs und man nannte sie die Königin Topaz.«

»Wir wollen sie und das Kind hinaustragen,« sagte der Zweite.

Und der Eine nahm meine Mutter auf die Arme, der Andere zog mich an der Hand nach.

Wir kamen so aus den Gemächern, dann auf den Hofe. Der Mann, welcher meine Mutter trug, setzte sie an dem Baume nieder, an welchem wir schon drei Tage und drei Nächte gesessen hatten.

Der Mann, welcher mich an der Hand hielt, ließ mich bei meiner Mutter. Beide entfernten sich.

Ich schlang meine Arme um die Mutter, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und sagte:

»Ach, Mütterchen, Mütterchen, schlaf nicht wie Papa.«

Ob nun der Eindruck der Luft wirkte, oder ob die Thränen und Liebkosungen eines Kindes das Leben tief im Innern des Mutterherzens wieder weckten, oder ob die Ohnmacht an sich ihr Ende gefunden hatte, meine Mutter schlug die Augen wieder auf.

Im nächsten Augenblicke errieth sie wohl was geschehen war und mit Hilfe meiner kindlichen Erzählung erinnerte sie sich an alles, wie man sich an einen schrecklichen Traum erinnert.

»Komm, Kind,« sagte sie dann, «wir haben hier nichts mehr zu schaffen.«

Wir traten den Rückweg nach unserem Hause an.

An demselben Abende nahm meine Mutter von der Wand ein Bild der Madonna, das sie ganz besonders verehrte, ihr Porträt und das des Königs Philipp, und sobald es Abend geworden war, brachen wir auf.

Wir gingen viele Tage, jetzt, da ich die Zeit zu benennen weiß, würde ich sagen: vielleicht einen Monat lang; wir hielten uns immer so lange aus, als wir zum Ausruhen brauchten, und endlich gelangten wir in die Sierra Nevada. Hier traf meine Mutter einen Zigeunerstamm, und gab sich zu erkennen. Man trat ihr das Haus ab, das seitdem die Venta »zum Maurenkönige« geworden ist. Der Stamm lagerte umher und gehorchte ihr wie einer Königin.

Das dauerte so mehre Jahre, aber allmälig bemerkte ich eine Veränderung an meiner Mutter. Sie war noch immer schön, aber ihre Schönheit erhielt ein anderes Aussehen, ich möchte fast sagen eine andere Form; sie war so blaß geworden, daß es die Schönheit eines Schattens, nicht die eines lebendigen Wesens war. Ich glaube, sie hätte längst die Erde verlassen, wie die Dünste, welche sich des Morgens von den Bergen lösen und zum Himmel emporsteigen, wenn ich sie nicht gewissermaßen an der Hand zurückgehalten hätte.

Eines Tages bemerkte ich, daß sich das Bild der Madonna, das Bild meiner Mutter und das Bild des Königs nicht mehr in der Nähe befunden, und ich fragte was aus ihnen geworden.

Folge mir, mein Kind,« sagte sie.

Sie ging in das Gebirge und führte mich auf einem nur ihr bekannten Wege in eine Grotte, die allen Augen verborgen, von Niemanden zu finden ist. In dieser Grotte, über einem Moosbett, hing die Madonna neben beiden Porträts.

»Kind,« sagte meine Mutter, »es kommt vielleicht ein Tag, an welchem Du deine Zuflucht im Gebirge suchen mußt; dieses ist unzugänglich, verrathe sie keinem Menschen in der Welt. Wer weiß welchen Verfolgungen und Nachstellungen Du einmal ausgesetzt bist. Diese Grotte ist das Leben, ja mehr als das Leben, sie ist die Freiheit.«

Wir blieben die Nacht über da; am nächsten Tage kehrten wir in die Venta zurück, aber ich bemerkte wohl, daß meine Mutter langsamer, mit größerer Anstrengung ging; zwei- oder dreimal setzte sie sich am Wege nieder und jedesmal zog sie mich unter Liebkosungen an sich.

Bei jedem Kusse, bei jeder Liebkosung strömten meine Augen von Thränen über, denn ich gedachte unwillkürlich des Tages, an welchem mein Vater bleich und wankend zu Pferde aus Burgos gekommen war, mich an sein Herz drückte und mich zum ersten Male sein Kind nannte.

Meine Ahnung betrog mich nicht.

Am Tage nach dem Besuche in der Grotte legte sich meine Mutter in das Bett; ich erkannte sogleich, daß sie auf dem Wege nach der Ewigkeit sey und verließ sie nicht mehr.

Auch sie erkannte, daß die Stunde der Reise gekommen sey, welche uns von Allem entfernt, was uns theuer ist, und sprach nur noch von meinem Vater.

Sie erinnerte mich in einer Weise, daß ich es nie vergessen werde, an alle Umstände, die ich Euch eben erzählt habe, Hoheit. Sie gab mir den Ring und das Pergament. Sie sagte mir, ich habe – verzeiht, Hoheit – einen Bruder, der einst König in Spanien seyn werde; mir werde es zukommen zu beurtheilen, ob ich mich diesem Bruder zu erkennen geben oder unbekannt, aber reich durch die Diamanten meines Vaters, irgend wo leben wolle.

Ich hörte alles dies weinend und knieend an ihrem Bett an, denn sie stand nicht mehr auf, und jeden Tag wurde ihr Gesicht bleicher, ihre Stimme matter, ihr Auge glänzender. Als ich den Arzt unseres Stammes fragte, welcher die Heilkunst von den Doctoren des Orientes erlernt hatte: »Was ist mit meiner Mutter?« antwortete er mir: »Sie geht zu Gott.«

Es kam der Tag, an welchem Gott ihr die Pforten seiner Ewigkeit öffnete.

Ich kniete wie gewöhnlich an ihrem Bette; sie sprach noch mit mir über mich. Ihr Auge schien, ehe es sich für immer schließe, eine Anstrengung zu machen, in die Zukunft hinein zu blicken. Ein Lächeln schwebte um ihre Lippen. Ihre Hand erhob sich und zeigte auf etwas, als schreite ein Schatten an ihr vorüber. Sie flüsterte zwei Worte. Ich hielt diese zwei Worte für den Anfang von Irrsinn, denn sie bezogen sich nicht auf unsere gemeinschaftlichen Erinnerungen. Ich glaubte nicht recht gehört zu haben und richtete den Kopf empor, um besser zu hören, aber noch zweimal wiederholte sie, mit schwächerer Stimme: »Don Fernand! Don Fernand!«

Dann legte sie ihre beiden Hände auf meinen Kopf, der sich neigte unter dem letzten Segen. Ich wartete, daß sie die Hände zurückziehen werde, aber vergebens. Sie war mich segnend gestorben, als wolle sie für ewig mich mit dem Schilde ihrer Liebe schirmen.

Wenn Ihr, Hoheit, einmal von Granada nach Malaga reiset, werdet Ihr das Grab meiner Mutter in einem kleinen Thale vier Meilen jenseits des Venta »zum Maurenkönige« sehen. Ihr werdet es erkennen an dem Bache, der an dem Steine vorbeifließt, welcher ein Kreuz trägt – denn meine Mutter war durch die Gnade Jesus Christi Christin – besonders aber an der Inschrift, welche mit dem Messer auf das Kreuz gegraben ist:

La Reyna Topacio la Hormoa.

Ich sage Euch dies, Hoheit, weil die, welche unter dem Steine schläft, nicht ganz eine Fremde für Euch ist, denn sie liebte den König Philipp, euren Vater, so sehr, daß sie ihn nicht lange überleben konnte. Ach, meine Mutter, meine Mutter!« schluchzte das Mädchen und sie legte die beiden Hände auf die Augen, um ihre Thränen zu verbergen.

»Man wird ihre Ueberreste in ein Kloster bringen,« sagte der König mit seiner ruhigen Stimme, »und ich werde eine Stiftung machen, damit Mönche alle Tage eine Messe lesen, für die Ruhe ihrer Seele. – Fahret fort.«

Achtzehntes Capitel.
Don Fernando

»Einige Zeit nach dem Tode meiner Mutter,« erzählte Ginesta weiter, »entschlossen sich die Zigeuner einen andern Aufenthaltsort zu suchen. Wie sie ihre Augen geschlossen hatte, galt ich ihnen als ihre Königin. Man zeigte mir also an, was die Aeltesten beschlossen hatten, und ersuchte mich um meine Zustimmung.

Ich gab sie und erklärte, der Stamm könne weiter ziehen wohin er wolle, denn er sey frei wie die Vögel unter dem Himmel, ich aber würde den Stein nicht verlassen, unter welchem meine Mutter schlafe.

Der Rath versammelte sich und man meldete mir, es sey beschlossen werden, daß man sich in der Nacht vor dem Aufbruche meiner bemächtigen und mich mit Gewalt mit sich nehmen wolle.

Ich sammelte Datteln ein, trug sie in die Grotte und den zweiten Tag vor dem Aufbruche des Volkes verschwand ich.

In der Nacht, in welcher man sich meiner bemächtigen wollte, suchte man mich vergebens.

So trug die Vorsicht meiner Mutter ihre Frucht: ich hatte eine sichere, unzugängliche, allen Augen verborgene Zuflucht.

Die Zigeuner waren entschlossen, ohne mich nicht abzuziehen und ich hielt an dem Vorsatze fest, mich versteckt zu halten, bis sie sich entfernt hätten.

Sie verschoben ihre Abreise einen Monat lang. In diesem Monate verließ ich mein Versteck nur in der Nacht, um einige wilde Früchte zu sammeln und von dem Felsen herab mich zu überzeugen, ob ihre Feuer noch immer leuchteten, ihr Lager also noch immer da sey.

In einer Nacht hörten die Feuer auf zu brennen. Es konnte eine List seyn, um mich an einen freien Ort zu locken und mich zu ergreifen; ich hielt mich also in einem Myrthendickicht verborgen, von dem aus, wenn ich mich gerade stellte, ich den ganzen Weg übersehen konnte.

Da erwartete ich den Anbruch des Tages.

Der Tag zeigte mir das Haus verlassen, den Weg öde. Gleichwohl wagte ich mich noch nicht hinab und verschob meinen Ausgang aus die nächste Nacht.

Sie trat finster und mondlos ein; nur die Sterne funkelten an dem fast schwarzblauen Himmel. Aber für die Zigeuner, die Kinder der Dunkelheit, gibt es keine Finsterniß; unser Auge vermag sie zu durchdringen, wie dicht sie auch seyn mag.

Ich ging bis zu dem Wege hinunter, an der andern Seite desselben befand sich das Grab meiner Mutter; an ihm wollte ich zuerst niederknien. Während ich betete, hörte ich den Galopp eines Pferdes.

Einer meiner Stammesgenossen konnte es nicht seyn; ich wartete also in aller Ruhe; übrigens würde ich im Gebirge und in der Nacht selbst den Zigeunern mich zu entziehen gewußt haben.

Es war ein Reisender.

Als er aus dem Wege an mir vorüber kam, richtete ich mich auf, denn ich hatte mein Gebet beendigt. Er hielt mich wahrscheinlich für ein Gespenst, das aus seinem Grabe steige, denn er stieß einen Angstschrei ans, machte das Zeichen des Kreuzes, trieb sein Pferd zu noch größerer Eile an und verschwand.

Ich hörte wie die Hufschläge in der Ferne schwächer und schwächer wurden; dann vernahm ich gar nichts mehr. Die Nacht wurde wiederum still und die Stille nur durch die gewöhnlichen Stimmen im Gebirge unterbrochen, das heißt durch das Knarren eines Baumes, durch den Absturz eines Felsenstückes, durch das Geschrei eines wilden Thieres oder eines Nachtvogels.

Ich hatte die Ueberzeugung, daß es in der Umgebung kein menschliches Wesen gab.

Die Zigeuner waren also abgezogen.

Die ersten Stunden des Tages überzeugten mich das von und ich fühlte mich von einer schweren Last befreit: ich war frei; das Gebirge gehörte mir, die ganze Sierra war mein Reich.

So lebte ich mehre Jahre ohne Wünsche, ohne Bedürfnisse und nährte mich wie die Vögel unter dem Himmel von unsern wilden Früchten, von dem Wasser unserer Quellen, von der Luft der Nacht, von dem Thau des Morgens, von der Sonne des Tages.

Ich hatte die Größe meiner Mutter erlangt; ihre Kleider paßten mir, aber etwas fehlte mir, eine Freundin.

Eines Tages ging ich nach Alama und kaufte mir eine Ziege.

Während meiner Wanderung hatte sich ein Wirth in der Venta niedergelassen.

Er fragte mich aus. Ich sagte ihm wer ich sey, nicht aber wo ich wohne. Er fragte mich auch über die Wege der Reisenden und ich theilte ihm mit, was ich wußte.

Allmälig wurde es wieder lebendiger im Gebirge, weil diese Venta bewohnt war. Die, welche sich da zeigten, waren Männer von rauhem Aussehen und ich fürchtete mich vor ihnen. Ich kehrte in das Dickicht zurück und nur von Zeit zu Zeit, von irgend einem unzugänglichen Orte aus, überschaute ich den Weg oder beobachtete die Venta.

Ungewohntes Geräusch machte sich hörbar in dem Gebirge: bald Flintenschüsse, bald drohende Rufe, bald Hilferufe.

Die Banditen waren an die Stelle der Zigeuner getreten.

Für mich war dies kein großer Unterschied. Ich kannte die Gesetze der Gesellschaft nicht, hatte keinen Begriff von Gut und Böse, Recht und Unrecht, sah überall in der Natur den Mißbrauch der Stärke über die Schwäche und glaubte die Welt der Städte sey wie die Welt des Gebirges.

Dennoch ängstigten mich diese Menschen und ich zog mich mehr und mehr von ihnen zurück.

Eines Tages ging ich nach meiner Gewohnheit an der wildesten Stelle der Sierra umher.

Meine Ziege hüpfte von Fels zu Fels und ich hüpfte hinter ihr her, aber weit hinter ihr und blieb jeden Augenblick stehen, um eine Blume oder eine wilde Beere zu pflücken.

Mit einem Male hörte ich einen Schmerzenslaut meiner lieben Gefährtin, dann einen zweiten in größerer Ferne, darauf einen dritten in noch weiterer Entfernung.

Es war als reißt sie ein Sturmwind mit sich fort, als könne sie der Uebermacht nicht widerstehen und rufe mich um Hilfe.

Ich eilte an Ort und Stelle. In einiger Entfernung fiel ein Schuß. Ich sah den Pulverrauch emporsteigen und lief dahin, ohne zu bedenken, daß ich mich einer Gefahr aussetze.

Als ich der Stelle nahe kam, wo der Schuß gefallen war und das Pulverdampfwölkchen noch immer schwebte, sah ich meine Ziege auf mich zukommen; sie blutete am Halse und konnte nur mit Anstrengung gehen.

Sobald sie mich erblickte, kehrte sie um, gleich als wollte sie mich auffordern, ihr zu folgen. Der Instinkt des armen Thieres konnte nichts Böses wollen. Ich folgte.

In der Mitte einer Lichtung stand ein schöner Mann von fünfundzwanzig Jahren und betrachtete auf seine Muskete gestützt, eine sehr große Wölfin, die mit dem Tode kämpfte.

Mir war nun Alles erklärt. Eine Wölfin hatte meine Ziege gepackt und fortgetragen, wahrscheinlich um sie ihren Jungen zu bringen. Der junge Mann hatte das Raubthier auf seinem Wege getroffen und ihm eine Kugel zugesandt. Die verwundete Wölfin hatte die Ziege losgelassen, die dann nach mir gelaufen und endlich wieder umgekehrt war.

Je näher ich dem jungen Manne kam, um so stärker wurde die mir unbekannte Verlegenheit, welche ich empfand; er erschien mir als ein höheres Wesen und ich hielt ihn fast für so schön, als meinen Vater.

Er seinerseits sah mich mit Verwunderung an; offenbar zweifelte er daran, daß ich ein menschliches Wesen sey und hielt mich für einen Geist des Wassers, des Schnees oder der Blumen, die nach unsern Sagen im Gebirge sich aufhalten sollen.

Er erwartete deshalb, daß ich ihn zuerst anrede, um nach meinen Worten, nach dem Klange meiner Stimme und nach meinen Geberden abzunehmen, wer ich wohl sey, als plötzlich bei seinem Anblicke etwas Seltsames in mir vorging, ohne daß irgend etwas die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpfte, ohne daß irgend eine Aehnlichkeit bestand zwischen dem, was ich sah und vor fünf Jahren gesehen hatte, führte mir die Erinnerung plötzlich meine sterbende Mutter in dem Augenblicke vor, als sie, erleuchtet durch Todesahnungen, auf ihrem Lager sich erhob, den Arm ausstreckte, auf einen mir unsichtbaren Gegenstand zeigte und ein Klang ihrer Stimme, so deutlich wie in ihrem Leben flüsterte mir die Worte ins Ohr, welche sie in jener feierlichen Stunde aussprach: Don Fernand!

»Don Fernand!« wiederholte ich laut nach einem innern Drange, ohne zu bedenken, was ich sagte.

»Wie geht es zu, daß Ihr mich kennt?s fragte der Jüngling erstaunt. »Woher wisset Ihr meinen Namen, da mir doch der eurige unbekannt ist?«

Er sah mich fast zornig an und schien überzeugt zu seyn, daß ich kein sterbliches Wesen sey.

»So heißt Ihr wirklich Don Fernand?« fragte ich ihn.

»Ihr wisset es ja, da Ihr mich mit diesem Namen anredet.«

»Ich rede Euch mit diesem Namen an,« antwortete ich, »weil er mir auf die Lippen trat, als ich Euch erblickte, sonst aber weiß ich nichts von Euch.«

Ich erzählte ihm, daß meine Mutter im Sterben diesen Namen ausgesprochen, daß er seit dem in meinem Gedächtniß geschlummert habe und jetzt plötzlich erwacht sey.

Ob aus plötzlich erwachtem Gefühl, oder in Folge einer geheimen Verbindung, welche unser Leben lange in voraus miteinander vereinigt, ich weiß es nicht, aber ich liebte den jungen Mann von diesem Augenblicke an, nicht wie man einen Unbekannten liebt, den man zufällig begegnet und der tyrannisch alle unsere Gedanken an sich reißt, sondern wie ein Wesen, dessen Leben von dem unserigen wohl getrennt war, das sich aber früher oder später mit ihm wieder vereinigen, in demselben aufgehen mußte, wie sich die Wässer eines Baches vereinigen und vermischen, die aus verschiedenen Quellen kamen und verschiedene Thäler bewässerten.

Ich weiß nicht ob es ihm auch so erging, ich aber lebte gewiß von diesem Tage an in seinem Leben und es schien mir gar nicht zweifelhaft zu seyn, daß mit seinem Leben das meinige endigen müsse und endigen werde.

Das dauerte so zwei Jahre, als ich durch die strengeren Verfolgungen, deren Gegenstand Don Fernand war, eure Ankunft in Andalusien erfuhr.

Vorgestern kaut Don Inigo mit seiner Tochter über die Sierra. Weiß Ew. Hoheit was geschehen ist?s

Don Carlos nickte bejahend.

»Hinter Don Inigo und dessen Tochter kamen die Soldaten, welche die Bande Fernands zerstreuten, statt ihn von Sierra zu Sierra zu hetzen, Feuer auf dem Gebirge anzündeten und uns mit einem Flammengürtel umgaben.«

»U n s, sagst Du, Mädchen?«

»U n s, sage ich, Hoheit, denn ich war bei ihm; habe ich Euch nicht gesagt, daß mein Leben an das seinige gebunden sey?«

»Nun,« fragte der König, »was ist geschehen? Hat sich der Räuberhauptmann ergeben, ist er ergriffen?«

»Don Fernand ist in Sicherheit in der Grotte, die, mir meine Mutter zeigte.«

»Er kann nicht immer versteckt bleiben, der Hunger wird ihn heraustreiben und er wird meinen Soldaten in die Hände fallen.«

»Das meinte ich auch, Hoheit,« antwortete Ginesta; »darum nahm ich diesen Ring und dieses Pergament und eilte zu Euch.«

»Und bei deiner Ankunft erfuhrst Du, daß ich die Begnadigung des Salteador seinem Vater, Don Ruiz de Torillas, und dann dem Oberrichter Don Inigo abgeschlagen habe.«

»Ja, ich erfuhr dies und es bestärkte mich mehr und mehr in meinem Wunsche zu dem Könige zu gelangen, denn ich sagte mir: Don Carlos kann einem Fremden abschlagen, was derselbe im Namen der Menschlichkeit oder als Zeichen der Gunst erbitter, aber Don Carlos wird einer Schwester nicht verweigern, was sie im Namen des väterlichen Grabes erbittet. – König Don Carlos, deine Schwester bittet Dich im Namen Philipps, unseres Vaters, um die Begnadigung Don Fernands von Torillas.«

Ginesta bog ein Knie vor dem Könige, während sie diese Worte mit großer Würde sprach.

Der junge König betrachtete sie einen Augenblick schweigend in dieser demüthigen Stellung, aber ohne daß in seinem Gesicht irgend etwas verrieth, was in seinen Gedanken vorging.

»Wenn ich Dir nun sagte,« begann er nach einer Pause, »daß die Begnadigung, die ich Niemanden zu bewilligen geschworen, von zwei Bedingungen abhinge?«

»Dann bewilligest Du seine Begnadigung,« fiel das Mädchen rasch ein, indem sie eine Hand des Königs zu ergreifen suchte, um sie an ihre Lippen zu führen.

»Erfahre erst die Bedingungen, ehe Du mir dankst, Mädchen.«

»Ich höre, mein König, – ich warte, mein Bruder,« antwortete Ginesta, indem sie den Kopf emporrichtete und Don Carlos mit einem unbeschreiblichen Lächeln der Freude ansah.

»Wenn die erste Bedingung wäre mir diesen Ring zu übergeben, das Pergament zu vernichten und Dich durch den furchtbarsten Eid zu verpflichten gegen Niemanden von der königlichen Herkunft zu sprechen, die allein durch diesen Ring und dieses Pergament bewiesen wird. . .?«

»Sire,« antwortete das Mädchen, »der Ring ist an eurem Finger, behaltet ihn; das Pergament ist in eurer Hand, zerreißt es; sagt mir den Schwur, ich werde ihn nachsprechen . . . Welches ist die zweite Bedingung?«

Ein Blitz leuchtete in den Augen des Königs, aber er erlosch sogleich.

»Unter uns Oberhäuptern der Religion ist es Gebrauch,« fuhr Don Carlos fort, »daß wir einem großen Sünder die weltliche Strafe nur unter der Bedingung erlassen, daß eine reine Seele, die seine geistliche Vergebung erlangen kann, vor den Altären des Herrn der Barmherzigkeit betet. Kennst Du ein unschuldiges keusches menschliches Wesen, das geneigt ist der Welt zu entsagen und Tag und Nacht für dies Heil der Seele dessen zu beten, dessen Leib ich retten will?«

»Ja,« antwortete Ginesta: »nennt mir das Kloster, »in welchem ich das Gelübde ablegen soll und ich werde dahin geben.«

»Es ist da eine Mitgift zu bezahlen,« sprach Don Carlos leise, als schäme er sich Ginesta diese Bedingung auszulegen.

Ginesta lächelte traurig, nahm aus ihrem Busen das Lederbeutelchen mit dem Wappen Philipps des Schönen, öffnete es und schüttelte die Diamanten vor den Füßen des Königs aus.

»Da ist meine Mitgift,« sagte sie, »und sie wird hoffentlich hinreichen, denn meine Mutter hat mir oftmals die Versicherung gegeben, diese Diamanten wären wohl eine Million werth.«

»So gibst Du alles auf, fragte Don Carlos, »Rang, künftiges Glück und Reichthum, um die Begnadigung des Banditen zu erhalten?«

»Alles,« antwortete Ginesta, »und ich erbitte nur eine Gunst – ihm die Begnadigung selbst zu überbringen.

»Sehr wohl,« antwortete Don Carlos. »Du sollst haben was Du verlangst.«

Er trat an einen Tisch, schrieb einige Zeilen, setzte seinen Namen darunter und drückte sein Siegel darauf. Dann kehrte er mit gleich langsamem und feierlichem Schritte zu Ginesta zurück und sagte zu ihr: »Da ist die Begnadigung des Don Fernando de Torillas; übergib sie ihm selbst; er wird, wenn er sie lieset, sehen, daß auf deine Bitte sein Leben und seine Ehre unangetastet bleiben sollen. Nach deiner Zurückkunft werden wir uns über das Kloster einigen, in das Du einzutreten hast.«

»Ach, Sire,« sprach das Mädchen und sie faßte die Hand des Königs, »wie gütig seyd Ihr und wie sehr danke ich Euch!«

Leicht, als trügen sie Flügel, eilte sie die Treppe hinab, durch den Garten und weiter.

Don Carlos las, sobald sie sich entfernt hatte, sorgsam die Diamanten wieder auf, that sie in das lederne Beutelchen, schloß Diamanten, Ring und Pergament in einer Art Secretär ein, dessen Schlüssel er zu sich nahm, und ging noch nachdenklich langsam die Stufen hinunter.

Unten traf er Don Inigo und betrachtete ihn mit Erstaunen, als wisse er nicht, warum derselbe da sey.

»Sir,« sprach der Oberrichter, »ich befinde mich hier auf Befehl Ew. Hoheit, die mir zu warten gebot; habt Ihr mir nichts zu sagen?«

Don Carlos schien seine Erinnerungen zu sammeln, drängte mit Anstrengung den Gedanken an das Kaiserthum zurück, der alle seine andern Gedanken überflutete, wie das Meer immer und immer wieder den Strand bedeckt.

»Ach ja,« sagte er dann, »Ihr habt Recht. Meldet dem Don Ruiz de Torillas, daß ich eben die Begnadigung seines Sohnes unterzeichnet habe.«

Während Don Inigo sich nach dem Platze der Algires begab, um seinem Freunde diese gute Nachricht mitzutheilen, setzte Don Carlos den Weg nach dem Löwenhofe fort.