Kitabı oku: «John Davys Abenteuer eines Midshipman», sayfa 2
III
Im Schlosse herrschte große Bestürzung. Der Verwalter und der Pfarrer, welche noch Tags zuvor ihre Partie Whist mit Sir Edward gemacht hatten, konnten sich diese plötzliche Unpäßlichkeit nicht erklären ; aber Tom gab ihnen die nöthigen Erklärungen über die Ursache und Bedeutung der Krankheit. Es wurde also beschlossen, den Arzt zu Rathe zu ziehen und um Sir Edward nicht merken zu lassen, wie besorgt man um ihn war, sollte der Doktor am folgenden Tage wie zufällig zum Essen kommen.
So verging der Tag in gewohnter Weise. Mit Hilfe seiner großen Willenskraft hatte der Capitän seine Schwäche überwunden; aber er aß sehr wenig, setzte sich auf seinem Spaziergange sehr oft nieder, schlief beim Lesen ein und machte beim Whist einen Fehler um den andern.
Am folgenden Tage kam der Arzt.
Der Besuch bot dem Capitän anfangs eine willkommene Zerstreuung und entriß ihn seiner Erschlaffung; aber bald stellte sich die Abspannung und Gedankenlosigkeit wieder ein.
Der Arzt erkannte die Merkmale des Spleen, jener bedenklichen Gemüthskrankheit, gegen welche die Heilkunst nichts vermag. Er verordnete indeß eine Diät, welche in magenstärkenden Getränken und gebratenem Fleische bestand; dabei sollte der Kranke sich möglichst viele Zerstreuungen verschaffen.
Der erste Theil der ärztlichen Verordnungen war leicht zu befolgen; man findet ja überall Kräutersaft, Bordeaux und Beefsteak; aber an Zerstreuung fehlte es in Williamhouse. Tom hatte bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt; man war auf Lectüre, Promenade und Whist beschränkt, und es ließ sich höchstens in der Zeit und Reihenfolge dieser Unterhaltungen eine Veränderung vornehmen; sonst wußte der brave Seemann nichts zu erfinden, was seinen Commandanten der immer mehr überhand nehmenden Erstarrung hätte entreißen können.
Er schlug eine Reise nach London vor; aber Sir Edward erklärte, daß er sich zu schwach fühle eine so weite Reise zu unternehmen, und da es ihm einmal nicht vergönnt sei in einer Hängematte am Bord seiner Fregatte zu sterben, so wolle er doch lieber im Bette als im Wagen den Geist aufgeben.
Ein bedenkliches Symptom fand Tom darin, daß Sir Edward anfing die Gesellschaft seiner Freunde zu meiden. Tom selbst schien ihm jetzt zur Last zu sein. Der Capitän ging wohl noch im Parke spazieren, aber allein; und Abends machte er nicht mehr wie sonst seine Partie, sondern zog sich in sein Zimmer zurück und verbot Jedermann, sogar seinem getreuen Tom, ihm zu folgen. Er aß nicht mehr, als zur Erhaltung des Lebens nothwendig war, die Lectüre hatte keinen Reiz mehr für ihn; Kräutersaft wollte er gar nicht mehr nehmen, und seitdem er seinem Kammerdiener, der ihm in der besten Absicht einige Gewalt anthat, eine Tasse ins Gesicht geworfen hatte, getraute sich Niemand mehr von bitterer Medicin zu sprechen. Tom reichte ihm Thee mit etwas Rum.
Diese Auflehnungen gegen die ärztlichen Vorschriften verschlimmerten das Uebel indeß mit jedem Tage. Sir Edward war nur noch der Schatten von dem, was er früher gewesen; er war menschenscheu und düster; jedes Wort, das ihm mit Mühe entlockt wurde, war von deutlichen Zeichen der Ungeduld begleitet.
Im Park hatte er eine entlegene Allee gewählt, an deren Ende eine aus verschlungenen Zweigen gebildete Laube oder vielmehr Grotte war. Dort saß er oft Stunden lang, ohne daß ihn Jemand zu stören wagte. Vergebens zeigten sich Tom und Sanders zuweilen absichtlich in der Nähe; er schien sie nicht zu sehen, er wollte nicht mit ihnen sprechen.
Das Schlimmste dabei war, daß diese Menschenscheu mit jedem Tage größer wurde und daß der Capitän sich immer mehr von den Schloßbewohnern zurückzog. Ueberdies waren die Nebelmonate vor der Thür und man mußte, wenn nicht Wunder geschah, das Aergste fürchten. Dieses Wunder wirkte Gott durch einen seiner Engel.
Eines Tages, als Sir Edward grübelnd in seiner dunkeln Laube faß, hörte er in der Allee das Rauschen des trockenen Laubes unter einem unbekannten Fußtritte.
Er schaute auf und sah eine weibliche Gestalt, die in ihrem weißen Anzuge und bei ihrem leichten schwebenden Gange einer überirdischen Erscheinung glich, aus sich zukommen. Er sah sie erstaunt an und wartete, ohne einen Laut von sich zu geben.
Die Unbekannte schien etwa fünfundzwanzig Jahre alt zu sein, aber sie konnte auch etwas älter sein. Sie war noch schön, obgleich die erste, bei den Engländerinnen so blendende Jugendfrische vorüber war, aber sie stand, so zu sagen, in der zweiten Blüthe, welche sich durch üppigere Fülle auszuzeichnen pflegt.
Ihre blauen Augen hatten einen unbeschreiblich sanften, milden Ausdruck; ihr langes schwarzes Haar wallte in natürlichen Locken unter dem kleinen Strohhute herab; ihr Gesicht hatte die reinen edlen Zuge, die den Frauen im nördlichen Großbritannien eigen sind, und ihr einfacher, aber geschmackvoller Anzug hielt die Mitte zwischen der Mode des Tages und dem Puritanismus des siebzehnten Jahrhunderts.
Sie wollte die wohlbekannte Güte Sir Edwards für eine arme Witwe mit vier Kindern, deren Versorger Tags zuvor gestorben war, in Anspruch nehmen.
Der Eigenthümer des Hauses, in welchem die Witwe wohnte, befand sich aus Reisen, und der Verwalter forderte den seit einem Jahre rückständigen Miethzins. Der harte, auf den Vortheil seines Herrn bedachte Mann drohte Mutter und Kinder zum Hause hinauszuwerfen. Der Winter war vor der Thür; die arme Familie setzte ihre letzte Hoffnung auf den edelmüthigen Capitän und hatte die nun erscheinende junge Dame zur Fürsprecherin gewählt.
Sie schilderte die Noth der Witwe in so rührender Weise, daß Sir Edwards Augen feucht wurden ; er griff in die Tasche, zog eine mit Gold gefüllte Börse hervor und reichte sie der Abgesandten, ohne ein Wort zu sagen; denn wie Dante’s Virgil hatte er im langen Schweigen das Sprechen verlernt.
Die junge Dante ergriff dankend die Hand des Gutsherrn und küßte sie. Dann entfernte sie sich schnell, um der armen Familie diese unerwartet schnelle Hilfe zu bringen.
Sir Edward glaubte geträumt zu haben. Er sah sich nach allen Seiten um – die weiße Erscheinung war verschwunden. Er konnte sich kaum von der Wirklichkeit dieses Vorfalls überzeugen; doch er konnte nicht zweifeln, die Börse war nicht mehr in seiner Tasche und er fühlte noch den sanften Druck des Kusses aus seiner Hand.
In diesem Augenblick kam Sanders zufällig in die Allee. Der Capitän rief ihm. Sanders sah sich erstaunt um, denn er war an eine solche Vertraulichkeit schon längst nicht mehr gewöhnt.
Sir Edward gab ihm einen Wink. Sanders kam. Der Capitän fragte mit einer Lebhaftigkeit, die seiner Stimme schon lange nicht eigen gewesen war, wer die junge Dame sei, die sich so eben entfernt.
»Es ist Anna Mary,« antwortete der Verwalter, als ob es sich von selbst verstände, daß der Capitän die bezeichnete Person kenne.
»Wer ist denn Anna Mary?« fragte Sir Edward.
»Wie, Ew. Herrlichkeit kennen sie nicht?« fragte Sanders erstaunt.
»Nein« erwiederte der Capitän mit einer Ungeduld, die in seinem apathischen Zustande ein gutes Zeichen war; »nein, ich kenne sie nicht, sonst würde ich nicht fragen wer sie ist.«
»Wer sie ist? Der Himmel hat sie den Armen und Bedrängten als rettenden und tröstenden Engel gesandt. Sie hat vermuthlich um eine Beisteuer zu einem guten Werke gebeten?«
»Ja, ich glaube, sie hat von Nothleidenden gesprochen, denen man helfen müsse.«
»Ganz recht, sie erscheint bei reichen Leuten nur als Bittende, bei armen als Wohlthäterin.»
»Wer ist die Frau?«
»Sie ist noch ein Fräulein, und ein sehr gutes, braves Fräulein.«
»Aber wer ist sie?«
»Das weiß Niemand genau, obgleich man’s wohl vermuthet. Es mögen etwa dreißig Jahre sein, im Jahre 1766 oder 1767, kamen ihre Eltern nach Derbyshire; sie kamen aus Frankreich, wohin sie sich als Anhänger des Prätendenten [Edward, Enkel Jakobs II., der letzte Sprößling des Hauses Stuart.]) begeben haben sollen; ihr Vermögen war confiscirt, und sie ließen sich, da sie mindestens sechzig Miles von London entfernt bleiben mußten, in Derbyshire nieder. – Vier Monate nach der Ansiedlung der Familie wurde die kleine Anna Mary geboren. Im Alter von fünfzehn Jahren verlor sie ihre Eltern und stand mit einer kleinen Rente von vierzig Pfund Sterling allein in der Welt. Es war zu wenig, um einen vornehmen Herrn zu heiraten, und für einen Bauer schickte sich ein so fein erzogenes Fräulein auch nicht; sie blieb also ledig und entschloß sich ihr Leben der Wohlthätigkeit zu widmete. Seitdem hat sie ihren Entschluß mit großem Eifer ausgeführt. Einige medicinische Kenntnisse, welche sie sich erworben, haben ihr die Thüren der armen Kranken geöffnet, und wo die Heilkunst nichts mehr vermag, soll ihr Gebet Alles vermögen. Denn Anna Mary wird von allen Leuten als eine Heilige betrachtet. Es ist daher nicht zu verwundern, daß sie sich die Erlaubniß genommen Ew. Herrlichkeit zu stören; sie hat überall Zutritt und kein Diener getraut sich sie abzuweisen.«
»Das ist recht,« sagte Sir Edward aufstehend; »denn es ist eine brave ehrenwerthe Person. – Geben Sie mir Ihren Arm, lieber Sanders; ich glaube, es ist Essenszeit.«
Er war seit mehr als einem Monate das erste Mal, daß der Appetit des Capitäns der Tischglocke vorauseilte Sanders mußte zum Essen dableiben, der Gutsherr wollte ihn nicht fortlassen. Der Verwalter war sehr erfreut über diese Rückkehr zur Geselligkeit und benutzte die ganz ungewohnte Gesprächigkeit des Capitäns, um von einigen Geschäftssachen zu sprechen, die er wegen der Krankheit aufgeschoben hatte. Aber diese Anwandlung von Gesprächigkeit ging bald vorüber, der Kranke gab dem Verwalter keine Antwort, – Vielleicht hielt er die zur Sprache gebrachten Angelegenheiten keiner Beachtung werth. Kurz, Sir Edward versank wieder in seine gewohnte Schweigsamkeit, und alle Bemühungen ihn zu zerstreuen blieben erfolglos.
IV
Die Nacht verging wie gewöhnlich und ohne daß Tom in dem Zustande des Kranken eine Veränderung bemerkte. Der Tag brach trübe und nebelig an. Tom wollte sich dem Spaziergange seines Herrn widersetzen, er fürchtete die schädliche Einwirkung der Herbstnebel. Aber Sir Edward wurde böse und ging trotz den Gegenvorstellungen des treuen Dieners auf die Grotte zu.
Als er etwa eine Viertelstunde auf seinem Lieblings- play gesessen, sah er Anna Mary in Begleitung von einer Frau und drei Kindern am Ende der Allee erscheinen.
Es waren die Witwe und die Waisen, welche dem Capitän für die ihnen erwiesene Wohlthat danken wollten.
Sir Edward stand auf, um Anna Mary entgegenzugehen; aber kaum hatte er einige Schritte gemacht, so fing er an zu wanken und mußte sich an einen Baum lehnen. Anna eilte ihm zu Hilfe. Die Witwe und die Kinder fielen ihm zu Füßen und faßten seine Hände, welche sie mit Küssen und Thränen bedeckten. Der Ausdruck dieser offenen ungeheuchelten Dankbarkeit rührte den Capitän zu Thränen.
Er wollte seine Rührung bekämpfen, denn er meinte, es zieme sich nicht für einen Seemann so weichherzig zu sein; aber es schien ihm, daß Thränen seine gepreßte Brust erleichtern würden, und ohne Gewalt über sein Herz, das unter der rauhen Hülle so gut geblieben war, überließ er sich seinen Gefühlen. Er nahm die Kleinen einen nach dem andern auf den Arm und küßte sie und versprach ihrer Mutter sie nicht zu verlassen.
Anna Mary sah mit inniger Freude zu; ihr Gesicht, ihr Auge schien verklärt. Dieses Glück war ja ihr Werk. Man sah wohl, daß ihre Züge solchen oft wiederholten Anblicken den sanften heitern Ausdruck verdankten.
In diesem Augenblicke kam Tom, um seinen Herrn nöthigenfalls mit Gewalt ins Schloß zurückzuführen. Als er den Capitän von mehren Personen umgeben sah, ward er in seinem Entschlusse bestärkt, denn er zweifelte nicht, daß man ihm beistehen würde. Er begann in halb keifendem halb bittendem Tone eine lange Anrede, in welchen er dem Kranken zu beweisen suchte, daß er ihm folgen müsse; aber Sir Edward schenkte der Beredtsamkeit des braven Matrosen nur geringe Beachtung.
Einen um so größern Eindruck machten seine Vorstellungen auf Anna. Sie sah ein, daß Sir Edward’s Gesundheitszustand bedenklich war, daß er sich der feuchten Luft nicht aussehen dürfe. Sie traten ihn zu und sagte mit ihrer sanften, einschmeichelnden Stimme:
»Haben Ew. Herrlichkeit wohl gehört?«
»Was denn?« fragte Sir Edward, wie aus einem Traum erwachend.
»Was dieser brave Mann gesagt hat,« erwiederte Anna.
»Was hat er denn gesagt?« fragte der Capitän.
Tom gab durch einen Wink zu verstehen, daß er seine Anrede wieder anfangen wolle; aber Anna kam ihm zuvor.
»Er hat gesagt,« setzte sie hinzu, »daß es gefährlich für Sie sei, in dieser naßkalten Luft zu bleiben, daß Sie sich ins Schloß begeben müssen.«
»Wollen Sie mir Ihren Arm geben und mich führen?« fragte Sir Edward.
»O ja,« antwortete Anna lächelnd, »wenn Sie mir die Ehre erweisen, meinen Arm anzunehmen.«
Der Capitän nahm ihren Arm und ging zum größten Erstaunen Tom’s auf das Schloß zu.
Unten an der Freitreppe stand Anna Mary still, sprach noch einmal ihren Dank aus, verneigte sich höflich und entfernte sich in Begleitung der armen Familie.
Sir Edward blieb wie festgebannt auf der Stelle, wo sie ihn verlassen hatte, und schaute ihr nach, bis sie verschwunden war. Dann ließ er sich seufzend und folgsam wie ein Kind in sein Zimmer führen.
Abends kamen der Doktor und der Pfarrer zum Whist, und der Capitän hatte mit ziemlicher Aufmerksamkeit zu spielen angefangen, als der Arzt, während Sanders Karten gab, plötzlich sagte:
»Wie ich höre, haben Sie heute Anna Mary gesehen?«
»Sie kennen sie?« fragte Sir Edward.
»Allerdings,« antwortete der Doctor, sie ist ja mein College.«
»Ihr College?«
»Ja wohl, und sie macht mir eine sehr gefährliche Concurrenz: sie heilt mehr Kranke mit ihren sanften Worten und Hausmitteln, als ich mit meiner Wissenschaft. Nehmen Sie sie nur nicht als Hausarzt, Commandant, sie wäre im Stande Sie zu curiren.«
»Und mir,« sagte der Pfarrer, »mir führt sie durch ihr Beispiel mehr Seelen zu, als ich durch meine Predigten bekehre. Wenn sie sich’s angelegen sein ließe, würde sie den verstocktesten Sünder ins Paradies führen.«
Von diesem Augenblicke an war nur noch von Anna Mary die Rede, die Karten blieben Nebensache, der Capitän hörte nicht nur aufmerksam zu, sondern nahm auch an dem Gespräch lebhaften Antheil, kurz, es war eine merkliche Besserung eingetreten. Seine trübe, gedrückte Stimmung schwand so lange, als von Mary die Rede war.
Sobald aber Herr Robinson die in der Morgenzeitung gelesenen wichtigen Nachrichten aus Frankreich mittheilte, stand Sir Edward auf und zog sich in sein Zimmer zurück Sanders und der Doctor sannen dann wohl noch eine Stunde auf Mittel, der französischen Revolution Einhalt zu thun; aber ihre gelehrten und wohlgemeinten Theorien blieben eben nur Theorien, die nicht den Weg über den Aermelcanal fanden.
Die Nacht war gut: der Capitän erwachte in ziemlich heiterer Stimmung; aber er war zerstreut und sah sich bei jedem Geräusch um, als ob er Jemand erwartete.
Endlich, als der Thee genommen wurde, meldete der Kammerdiener Miß Anna Mary. Sie wollte sich nach dem Befinden des Gutsherrn erkundigen und von der Verwendung seiner Gabe Rechnung ablegen.
Aus der Aufnahme, welche Miß Anna bei Sir Edward fand, zog Tom den Schluß, daß sie erwartet worden war. Die gestrige Fügsamkeit fand in der ehrerbietigen Begrüßung, mit der die junge Miß empfangen wurde, eine genügende Erklärung.
Nachdem sich Anna Mary nach dem Befinden des Capitäns erkundigt und dieser versichert hatte, daß er sich seit zwei Tagen merklich besser befinde, brachte sie die Angelegenheit der armen Witwe zur Sprache.
Die Börse, welche ihr Sir Edward gegeben, hatte dreißig Guineen enthalten; zehn Guineen hatte Anna zur Zahlung des rückständigen Miethzinses, fünf zum Ankauf der nothwendigsten Lebensbedürfnisse, zwei als Lehrgeld für den ältesten Sohn bei einem Tischler und zwei als Schulgeld für die Tochter verwendet. Das jüngste Kind, ein Knabe, mußte noch bei der Mutter bleiben.
Es blieben der armen Frau also noch elf Guineen, mit denen sie allerdings einige Zeit leben konnte, aber was sollte sie später anfangen, wenn es ihr nicht gelang einen Dienstplatz zu bekommen?
Einen solchen Dienstplatz hatte Sir Edward gerade zu besetzen: George’s Frau brauchte eine Gehilfin. Er erbot sich, Mistreß Denison zu sich zu nehmen und es ward verabredet, daß sie morgen mit dem kleinen Jack ins Schloß kommen sollte.
Anna Mary blieb beinahe zwei Stunden, welche dem Capitän wie eine Minute vergingen. Endlich stand sie auf und empfahl sich, ohne daß er es wagte sie zurückzuhalten, obgleich er Alles in der Welt gegeben haben würde, die schöne Miß noch länger bei sich zu sehen.
Draußen fand sie Tom, der sie erwartete. Der brave Matrose hatte Wunderdinge von ihren Curen gehört, und er zweifelte nicht, daß sie den Commandanten, dessen Zustand er noch vor drei Tagen als hoffnungslos betrachtet, wieder gesund machen werde.
Anna Mary selbst fand die Krankheit Sir Edwards bedenklich. Der Doctor und der Pfarrer hatten ihr nicht verhehlt, welchen seltsamen Einfluß ihr Besuch auf den Kranken gehabt und wie aufmerksam er zugehört, wenn von ihr die Rede gewesen war.
Sie hatte sich gar nicht darüber gewundert ; sie hatte ja, wie der Doctor erzählte, mehr als einmal durch ihre Gegenwart geheilt; sie sah ein, welchen Einfluß das Erscheinen eines weiblichen Wesens auf den gemüthskranken Commandanten haben müsse; sie war zwei Stunden bei ihm geblieben und hatte sich überzeugt, wie wohlthuend das Gespräch auf den Kranken gewirkt hatte. Sie versprach daher morgen wieder zu kommen und ihr Heilmittel selbst zu bringen.
Der Capitän erzählte Jedermann, daß Miß Anna ihn besucht habe. Sobald er erfuhr, daß Mistreß Denison eingezogen sei, ließ er sie herauskommen, unter dem Vorwande, ihr einige Verhaltungsbefehle zu geben, im Grunde aber, um Gelegenheit zu haben von Anna Mary zu sprechen. Mißtreß Denison, welche von der Natur mit großer Zungenfertigkeit begabt war, gab überdies ihrem Dankgefühl den lebhaftesten Ausdruck; sie war unerschöpflich in dem Lobe der »Heiligen«, wie man Anna Mary im Dorfe nannte. Dieses Gespräch wurde endlich durch die Tischglocke unterbrochen. Als sich Sir Edward in den Speisesaal begab, fand er den Doctor.
Die von diesem erwartete Wirkung zeigte sich ganz deutlich. Sir Edward’s Gesicht war heiterer geworden. Der Doctor, der ihn auf so gutem Wege sah, gab ihm den Rath, anspannen zu lassen und nach Tisch mit ihm auszufahren.
Er hatte in dem Dorfe, wo Miß Anna wohnte, einige Kranke zu besuchen und wenn der Capitän diesen Weg zu nehmen beliebe, so würde er ihn mit Vergnügen begleiten, da sein Pony sehr krank sei.
Sir Edward machte anfangs ein finsteres Gesicht; aber sobald er hörte, daß das Dorf, in welchem Miß Anna wohnte, das Ziel der vorgeschlagenen Spazierfahrt sein sollte, ließ er dem Kutscher den Befehl geben, sich bereit zu halten, und von nun an trieb er den Doktor zur Eile, so daß dieser, der gern in Ruhe speiste, sich vornahm solche Vorschläge künftig nur beim Dessert zu machen.
Das Schloß war vier Miles vom Dorfe entfernt; die Pferde legten den Weg in zwanzig Minuten zurück, und gleichwohl ging’s dem Capitän nicht schnell genug.
Endlich hielt der Wagen vor einem Hause, in welchem der Doktor zu thun hatte; es war zufällig dem Hause der Miß Anna gegenüber. Der Doctor sagte es dem Capitän, als er ausstieg.
Es war ein hübsches englisches Häuschen, welches sich mit seinen grünen Fensterläden und rothen Ziegeln gastfreundlich und sauber ausnahm. Während der Doktor bei seinem Kranken war, behielt Sir Edward die Hausthür im Auge: er hoffte Miß Anna herauskommen zu sehen. Aber er sah sich in seiner Erwartung getäuscht, und der Doktor fand ihn in tiefen Gedanken.
Der Jünger Aeskulaps stieg nicht ein; er machte dem Commandanten mit der unbefangensten Miene von der Welt den Vorschlag, der schönen Miß den Besuch zu erwiedern. Sir Edward nahm es sehr bereitwillig an und Beide gingen auf die Hausthür zu. Der Capitän gestand nachher, daß ihm bei diesem Gange über die Straße das Herz stärker geschlagen habe, als bei dem ersten Seegefecht, das er mitgemacht.
Der Doctor klopfte an die Thür und eine alte Gouvernante, welche die Eltern der Miß Anna mit aus Frankreich gebracht hatten, empfing die Fremden. Anna Mary war nicht zu Hause; man hatte sie zu einem an den Blattern erkrankten Kinde gerufen. Aber der Doctor ging trotzdem hinein, um dem Commandanten das Innere des Häuschens zu zeigen.
Es war kaum möglich etwas Anmuthigeres und Freundlicheres zu sehen, als diese »Cottage«. Der kleine Garten glich einem Blumenkorbe, die Zimmer waren sehr einfach, aber mit viel Geschmack verziert ; ein kleines Maleratelier, aus welchem die an den Wänden hängenden Landschaften hervorgegangen waren, und ein Wohnzimmer mit Piano und gewählter Bibliothek bezeugten, daß die Bewohnerin ihre Mußestunden der Kunst und Lectüre widmete.
Miß Anna war Eigenthümerin dieses Häuschens; ihre Eltern hatten es gekauft und es ihr sammt der jährlichen Rente von vierzig Pfund Sterling hinterlassen. Sir Edward, dessen Neugierde dem Doctor große Freude machte, nahm natürlich mit Ausnahme des Schlafzimmers das ganze Haus in Augenschein.
Die Gouvernante wußte sich diese Haussuchung nicht zu erklären; aber sie sah nur, daß die beiden Fremden, zumal der Capitän, der Ruhe bedurften, nachdem sie alle Räume von der Küche bis zum Boden durchwandert hatten. Sie führte daher die beiden Herren in den Salon und entfernte sich, um Thee zu machen. Als Sir Edward mit dem Doctor allein war, versank er wieder in das Stillschweigen, welches er unterbrochen hatte, um an die Haushälterin eine Menge Fragen über Miß Anna und ihre Eltern zu richten; aber dieses Mal war der Arzt ohne Besorgniß, denn dieses Schweigen war kein dumpfes Hinbrüten, sondern ein träumerischer Zustand, der das Gemüth seines Patienten anregte und auf dessen Zustand einen wohlthuenden Einfluß haben konnte.
Während Sir Edward in Gedanken vertieft war, that sich die Thür auf – und statt der Gouvernante erschien Miß Anna, in der einen Hand eine Theekanne, in der andern einen Teller mit Sandwiches tragend. Sie war eben nach Hause gekommen und wollte nun selbst die Honneurs des Hauses machen.
Sir Edward stand mit sichtbarer Freude auf und begrüßte sie.
Anna stellte den Thee auf den Tisch, machte dem Capitän einen französischen Knix und reichte ihm nach englischer Sitte die Hand.
Anna Mary war wirklich reizend: der Weg, den sie gemacht, hatte ihre Wangen stärker geröthet. Dazu kam eine gewisse Befangenheit über den unerwarteten Besuch, verbunden mit dem Bestreben, die beiden Fremden nach Gebühr zu empfangen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß Sir Edward ungemein redselig ward. Diese Redseligkeit blieb freilich nicht in den strengen Grenzen der Convenienz und ein strenger Beobachter der Formen würde vielleicht gefunden haben, daß die Lobsprüche in dem Gespräch des Commandanten einen zu großen Platz einnahmen. Aber er sagte was er dachte, und er dachte viel Gutes von Miß Anna.
Ungeachtet seines Redeeifers bemerkte er ein adeliges Wappen an dem Silberzeuge. Diese Entdeckung schmeichelte, er wußte nicht warum, seinem alten aristokratischen Stolz. Sir Edward würde sich beschämt gefühlt haben, eine so hohe Bildung bei einem Mädchen aus dein Volke oder Bürgerstande zu finden.
Der Doctor mußte ihn erinnern, daß der Besuch schon zwei Stunden gedauert. Sir Edward mochte es nicht glauben, aber er sah nach der Uhr und erkannte die Unschicklichkeit eines längeren Verweilens. Er nahm Abschied und ließ sich von Miß Anna versprechen, morgen mit Mademoiselle de Villevieille – so hieß die Gouvernante – den Thee im Schlosse zu nehmen.
»Sie haben zuweilen vortreffliche Ideen, Doctor,« sagte der Capitän, als er wieder im Wagen saß; »ich weiß nicht, warum wir nicht täglich eine solche Spazierfahrt machen; meine Pferde bekommen ja steife Beine, wenn sie gar nicht aus dem Stall kommen.