Kitabı oku: «John Davys Abenteuer eines Midshipman», sayfa 4
»Vater, eine Brigg!« mehr vermochte ich nicht zu sagen.
»Wahrhaftig, er weiß sie von einer Fregatte und Goelette zu unterscheiden!« rief mein Vater hoch erfreut. »Komm her, John, und laß Dich küssen.«
Eine allerliebste kleine Brigg, an deren Mastspitze die englische Flagge wehre, schaukelte sich anmuthig auf dein See. Am Vordertheile stand in goldenen Buchstaben »Anna Mary«. Die unbekannten Arbeiter, welche seit fünf Monaten im Schlosse gewohnt hatten, waren Zimmerleute von Portsmouth. Im April war das Schiff von Stapel gelassen und aufgetakelt worden, ohne daß ich etwas davon erfahren hatte. Als wir aus dem Walde traten, wurden wir von einer Salve seiner aus vier Kanonen bestehenden Artillerie begrüßt. Ich war entzückt.
In der nächsten Bucht des Sees lag die Schaluppe, von Tom und sechs Matrosen bemannt. Die ganze Gesellschaft stieg ein. Tom nahm am Steuer Platz, die Matrosen setzten die Ruder in Bewegung und wir glitten leicht über den See.
Sechs andere Matrosen, unter dem Befehle George’s, erwarteten den Capitän an Bord, um ihm die seinem Range gebührenden Ehren zu erweisen. Sobald Sir Edward aus dem Verdecke war, übernahm er das Commando. Wir wendeten auf dem Anker; die Marssegel wurden ausgespannt, dann senkten sich alle Segel und die Brigg setzte sich in Bewegung.
Ich fühlte eine unaussprechliche Freude, nun wirklich am Bord eines Schiffes zu sein. Als ich die Bewegung unter meinen Füßen fühlte, klatschte ich in die Hände und Freudenthränen traten mir in die Augen. Meine Mutter fing auch an zu weinen, sie dachte, daß ich einst ein wirkliches Seeschiff besteigen würde und daß ihre bis dahin so sanften friedlichen Träume voll von Stürmen und Kämpfen sein würden. Uebrigens freute sich die ganze Gesellschaft herzlich der von meinem Vater bereiteten Ueberraschung. Das Wetter war herrlich und die »Anna Mary« ließ sich lenken wie ein gut zugerittenes Pferd. Wir machten zuerst die Runde um den See, dann fuhren wir von einem Ende desselben zudem andern; endlich warf man zu meinem großen Bedauern die Anker und zog die Segel ein. Wir stiegen in die Schaluppe und fuhren wieder an’s Land. Während wir uns in’s Schloß zurückbegaben, wurden wir, wie bei unserer Ankunft, von einer Geschützsalve begrüßt.
Von jenem Tage an war die Brigg meine einzige Freude, meine einzige Zerstreuung. Mein Vater freute sich herzlich, daß ich so große Lust zum Seedienst hatte, und da die Schiffszimmerleute, welche bei der Festlichkeit die Bemannung gebildet hatten, wieder nach Portsmouth gingen, so ließ er sechs Matrosen von Liverpool kommen. Meine Mutter lächelte wehmüthig und tröstete sich mit dem Gedanken, daß ich noch sieben bis acht Jahre bei ihr zu bleiben hatte, ehe ich mich wirklich einschiffte.
Meine gute Mutter vergaß die Schule, die erste so schmerzliche Trennung, welche indeß den Vortheil hat, auf eine zweite fast immer folgende ernstere Trennung vorzubereiten.
Die verschiedenen Bestandtheile eines Schiffes waren mir bereits bekannt; nach und nach lernte ich auch den Gebrauch derselben. Im Herbste fing ich sogar an kleine Manöver auszuführen. Tom und mein Vater waren abwechselnd meine Exerciermeister. Der übrige Unterricht wurde dabei vernachlässigt, aber man hatte ihn auf den Winter verschoben.
Wenn ich meine Uniform angezogen hatte und an Bord der Brigg war, glaubte ich kein Kind mehr zu sein; meine Gedanken waren voll von Manövern, Stürmen und Schlachten. An einem Ende des Gartens wurde eine Scheibe aufgestellt; mein Vater ließ mir von London eine kleine Kugelbüchse und zwei Scheibenpistolen kommen. Ehe ich aber diese Zerstörungswerkzeuge berührte, sollte ich den ganzen Mechanismus derselben genau kennen lernen. Ein Büchsenmacher von Derby kam zweimal wöchentlich in’s Schloß und zeigte mir, wie ein Gewehrschloß auseinandergenommen und zusammengesetzt wird. Als ich endlich jedes Stück beim Namen nennen konnte, wurden die Schießübungen angefangen und den ganzen Herbst täglich fortgesetzt. Als der Winter kam, wußte ich mein kleines Arsenal schon ziemlich geschickt zu gebrauchen.
Das schlechte Wetter unterbrach keineswegs unsere nautischen Uebungen, es kam meinem Vater vielmehr in meiner seemännischen Ausbildung zu Hilfe. Unser See erlaubte sich bei stürmischem Wetter einen Wellenschlag, wie ein Meer, das Schiff machte recht hübsche Schwankungen. Dann kletterte ich mit Tom am Takelwerke hinauf, um die höchsten Segel einzuraffen. Das waren wirklich Festtage für mich; denn zu Hause hörte ich, wie mein Vater und Tom die heutigen Heldenthaten erzählten, und meine Eigenliebe wuchs fast zur Mannesgröße empor.
So vergingen drei Jahre unter diesen anstrengenden Uebungen, die man mir so anziehend zu machen wußte. Ich war nicht nur ein gewandter und kühner Matrose geworden, sondern ich hatte eine so genaue Kenntniß von dem gesammten Tau- und Takelwerk, daß ich im Stande war den Befehl zu führen. Zuweilen reichte mir mein Vater ein kleines Sprachrohr, und der kleine Matrose spielte nun die Rolle des Capitäns; auf mein Commando führte dann die Mannschaft die Bewegungen aus, welche ich selbst mitgemacht hatte, und ich konnte die von mir gemachten Fehler beurtheilen, wenn ich sah, daß geschicktere Matrosen als ich dieselben Fehler machten.
Uebrigens war meine Ausbildung langsam vorgeschritten, aber in der Geographie war ich so gut bewandert, wie von einem zehnjährigen Knaben zu erwarten. Im Scheibenschießen leistete ich Ausgezeichnetes; Jedermann freute sich, ausgenommen meine gute Mutter, die darin nur ein Zerstörungsstudium sah.
Der Tag kam, an welchem ich das Vaterhaus verlassen sollte.
Mein Vater hatte für meine wissenschaftliche Ausbildung das berühmte aristokratische College zu Harrow-on-the-Hill gewählt. Es war meine erste Trennung von meinen guten Eltern ; sie war schmerzlich, obgleich sich jeder von uns Gewalt anthat, seinen Schmerz zu verbergen. Tom allein sollte mich begleiten; er erhielt von meinem Vater einen Brief an den Doktor Butler, den Director der Lehranstalt, welchem die für besonders wichtig gehaltenen Unterrichtsgegenstande angelegentlichst empfohlen wurden. Turnen, Fechten und Boxen waren dick unterstrichen. Auf die alten Sprachen legte Sir Edward wenig Werth; er verbot indeß meine Theilnahme an dem Unterricht nicht.
Nachdem ich von der Brigg und den Matrosen einen fast eben so zärtlichen Abschied genommen, wie von meinen Eltern, setzte ich mich mit Tom in den Reisewagen meines Vaters. Die Jugend ist selbstsüchtig, sie unterscheidet die Zuneigung nicht von den Genüssen.
Unterwegs war Alles neu und merkwürdig für mich. Leider war Tom wenig geeignet meine Neugierde zu befriedigen, der Weg von London nach Williamhouse war seine einzige Landreise gewesen, und seitdem hatte er das Schloß nicht wieder verlassen. In jeder etwas großen Stadt, wo wir ankamen, fragte ich ob, es London sei.
Endlich kamen wir nach Harrow. Tom führte mich sogleich zu dem Doctor Butler. Dieser war eben an die Stelle des sehr beliebten Drury gekommen, und dieser Wechsel des Directors hatte unter den Schülern einen kaum beschwichtigten Aufstand hervorgerufen. Dieser Umstand machte meine Vorstellung zu einer steifen Förmlichkeit. Der Doctor saß in seinem Lehnstuhl, sah mich forschend an, las den Brief meines Vaters, gab seine Zustimmung durch Kopfnicken zu verstehen, bot Tom einen Stuhl und fragte mich was ich könne. Ich antwortete, daß ich ein Schiff lenken, die Mittagshöhe der Sonne aufnehmen, reiten, schwimmen und schießen könne. Der Pädagog erklärte, ich sei ein Narr, runzelte die Stirn und wiederholte seine Frage. Aber Tom kam mir zu Hilfe und versicherte, daß ich die Wahrheit gesagt.
»Und sonst kann er nichts?« fragte Doctor Butler naserümpfend.
Tom war ganz verblüfft; er glaubte, ich sei in meiner Ausbildung außerordentlich weit vorgeschritten, und hatte es immer für ganz überflüssig gehalten, mich in die lateinische Schule zu schicken, wo ich, wie er meinte, nichts mehr zu lernen hätte.
»Entschuldigen Sie,« erwiederte ich, »ich spreche sehr gut französisch, kann ziemlich viel Geographie, etwas Mathematik und bin einigermaßen in der Geschichte bewandert.
Ich vergaß das irische Kauderwelsch, welches ich wie ein wahrer Erinssohn sprach; ich hatte es von Mrs. Denison gelernt.
»Das ist schon etwas,« sagte der Professor, erstaunt über den zwölfjährigen Knaben, der in den gewöhnlichen Schulkenntnissen hinter den Knaben seines Alters zurück zu sein schien und Vieles wußte, was man sonst erst weit später zu erlernen pflegt. Aber haben Sie denn die Anfangsgründe des Lateinischen und Griechischen nicht gelernt?« setzte er hinzu.
Ich mußte gestehen, daß ich von diesen Sprachen nichts wisse. Der Professor nahm nun ein großes Register und schrieb in dasselbe:
»John Davys, angekommen im College zu Harrow-on-the-Hill den 7. October 1806, in die letzte Classe gesetzt.«
Da er Wort für Wort las, was er niederschrieb, so verstand ich die letzten demüthigenden Worte sehr gut. Das Blut stieg mir ins Gesicht, und ich wollte mich eben entfernen, als die Thür aufging und ein Zögling erschien. Es war ein Jüngling von sechzehn bis siebzehn Jahren, blaß von Gesichtsfarbe, mit feinen Zügen und stolzem, hochfahrendem Wesen. Sein schwarzes lockiges Haar war sorgfältiger geordnet, als sonst bei jungen Leuten der Fall zu sein pflegt. Ueberdies hatte er – ebenfalls eine Seltenheit bei Schülern – feine zarte Hände wie ein Mädchen. An einem Finger trug er einen kostbaren Ring.
»Sie haben mich rufen lassen, Master Butler?« sagte er schon an der Thür mit hochfahrendem Tone.
»Ja, Mylord, antwortete der Professor.
»Darf ich wissen was mir diese Ehre verschafft?« fragte der aristokratische Zögling mit einem sarkastischen Lächeln, das von Keinem unbemerkt blieb.
»Ich wünsche zu wissen, Mylord, warum Sie gestern auf meine Einladung nicht mit den übrigen Zöglingen an meinem Tische erschienen sind.«
»Erlassen Sie mir die Antwort, Sir.«
»Leider kann ich das nicht, Mylord. Das gemeinsame Mahl am Schlusse eines Halbjahres ist ein alter Brauch, dem Sie zuwider gehandelt haben, und ich wünsche die Ursache zu wissen – wenn Sie nemlich eine Ursache angeben können.«
»Ja, ich habe eine Ursache.«
»So lassen Sie hören.«
»Ich will sie Ihnen sagen, Master Butler,« sagte der junge Lord mit der größten Ruhe, »ich würde Sie auch nicht zu Tisch laden, wenn Sie während der Ferien in mein Schloß Newstead kämen, und ich kann doch von Ihnen eine Einladung nicht annehmen, die ich zu erwiedern durchaus nicht geneigt bin.«
»Ich muß Ihnen erklären, Mylord,» erwiederte der Professor, dem die Zornglut ins Gesicht stieg, »daß Sie nicht hier bleiben können, wenn Sie Ihr Benehmen nicht ändern.«
»Und ich, Sir, erkläre Ihnen, daß ich morgen abreise, um in das Trinity-College zu Cambridge zu treten. Hier ist ein Brief meiner Mutter, der Sie von diesem Beschlusse in Kenntniß setzt.«
Bei diesen Worten reichte er den Brief hin, aber ohne näher zu treten.
»Mein Gott, so kommen Sie doch näher, Mylord,« sagte der Professor; »man weiß ja, daß Sie hinken.«
Der junge Lord war tief verletzt; aber statt zu erröthen, wie der Professor, ward er schrecklich blaß.
»Ich bin lahm, Sir,« antwortete der junge Peer, den Brief in seiner Hand zerdrückend; »aber es fragt sich, ob Sir mir folgen werden auf der Bahn, die ich zu wandeln gedenke. – James,« sagte er zu einem hinter ihm stehenden Diener in eleganter Livrée, »laß meine Pferde satteln, wir reiten fort.«
Und er verließ das Zimmer, ohne von dem Professor Abschied zu nehmen.
»Gehen Sie in Ihre Classe, Master Davys,« sagte Doktor Butler nach einer kurzen Pause zu mir, »und nehmen Sie sich das unziemliche Betragen dieses Jünglings zum abschreckenden Beispiel.«
Als wir über den Hof gingen, sahen wir den Zögling, dessen Beispiel mir zur Nichtbefolgung empfohlen worden war, mitten unter seinen Cameraden, die von ihm Abschied nahmen. Ein Diener, der schon zu Pferde saß, hielt ein anderes Pferd am Zügel. Der junge Lord schwang sich behende in den Sattel, winkte noch einmal mit der Hand und ritt im Galopp davon.
»Der scheint mir ein kecker Patron zu sein,« sagte Tom, ihm nachschauend.
»Frage doch, wie er heißt,» sagte ich zu ihm, denn der scheidende Zögling hatte meine Neugierde im höchsten Grade erregt.
Tom redete einen Schüler an, sprach einige Worte mit ihm und kam wieder zu mir.
»Er heißt George Gordon Byron,« sagte er.
Ich bezog also das College zu Harrow-on-the-Hill an dem Tage, wo Lord Byron austrat.
VII
Den folgenden Tag reiste Tom nach Williamhouse zurück, nachdem er die Haupttheile meiner Ausbildung, nemlich Turnen, Fechten und Boten, dem Director dringend ans Herz gelegt hatte. Ich befand mich zum ersten Male in meinem Leben allein unter wildfremden Menschen, wie in einem Walde mit unbekannten Blumen und Früchten, die ich nicht zu kosten wagte, weil ich fürchtete, sie könnten bitter schmecken. Die Folge davon war, daß ich in den Lehrstunden nicht von meinem Papier aufschaute und mich in den ersten zwei bis drei Tagen in einem Winkel auf der Treppe versteckte, statt mit den Anderen im Hofe zu spielen.
In diesen Stunden unfreiwilligen Nachdenkens trat das freundlich ruhige Leben in Williamhouse, wo ich immer bei meinen guten Eltern und bei meinem lieben Tom gewesen war, vor meine Seele ; ich dachte mit Sehnsucht an den See, an die Brigg, an das Scheibenschießen, an die Reisebeschreibungen, an die Spazierfahrten mit meiner Mutter zu den Kranken und Nothleidenden der Nachbarschaft, es war mir sehr traurig zu Muthe. – Am dritten Tage fing ich an zu weinen.
Während ich in meinem Winkel saß und mein in Thränen gebadetes Gesicht mit beiden Händen verhüllte, fühlte ich einen leisen Schlag aus meiner Schulter. Ich machte, ohne mich aufzurichten, eine ungeduldige Bewegung; aber der Camerad, der mich ausgesucht hatte, ließ nicht nach und sagte ernst, aber theilnehmend:
»Wie kommt es, John, daß der Sohn eines so braven Seemannes wie Sir Edward Davys wie ein Kind weint?«
Ich war ganz beschämt, ich sah ein, daß das Weinen eine Schwäche sei.
»Ich weine nicht mehr,« sagte ich, mich ausrichtend.
Der theilnehmende Camerad war etwa fünfzehn Jahre alt; er gehörte noch nicht zu den »Seniors«, aber auch nicht mehr zu den »Fags«. Er sah ernster und gesetzter aus, als in seinem Alter zu ersparten war, und ich brauchte ihn nur anzusehen, um sogleich Vertrauen zu ihm zu bekommen.
»Gut,« sagte er; »Du mußt nicht kindisch sein. Wenn etwa Einer Streit mit Dir anfängt und Du meines Beistandes bedarfst, so komm nur zu mir. Ich heiße Robert Peel.«
»Ich danke,« erwiederte ich.
Robert Peel reichte mir die Hand und ging in sein Zimmer. Ich mochte ihm nicht folgen; aber da ich mich schämte in meinem Versteck zu bleiben, so ging ich in den Hof. Die Schüler belustigten sich mit verschiedenen Spielen. Ein »Großer« kam auf mich zu.
»Hat Dich noch keiner zum »Fag« genommen?« fragte er mich.
»Ich weiß nicht was Du meinst,« antwortete ich.
»Dann nehme ich Dich,« setzte er hinzu.
»Von dieser Stunde an gehörst Du mir; ich heiße Paul Wingfield. Merke Dir den Namen deines Herrn und komm.«
Ich ging willig mit ihm, denn ich wußte nicht was er meinte, und doch wollte ich mir das Ansehen geben, als ob ich ihn verstünde, um nicht lächerlich zu erscheinen. Ich glaubte, es sei ein Spiel. Paul Wingfield nahm wieder Theil am Ballspiel; ich dachte, daß ich sein Partner sei, und stellte mich neben ihn.
Aus sein Geheiß ging ich zurück. In diesem Augenblicke wurde der Ball geworfen; ich wollte ihn aufnehmen und zurückschleudern, aber Paul rief mir zu:
»Rühre den Ball nicht an, kleiner Knips; ich verbiete es Dir!«
Der Ball war sein, er hatte das Recht mich zurückzuhalten und meine Begriffe von Recht und Unrecht stimmten mit seinem Verbot überein. Aber ich fand, daß er mir sein Besitzrecht höflich hätte ausdrücken können, so entfernte ich mich.
»Wohin?« fragte Paul.
»Ich gehe fort,« antwortete ich.
»Wohin denn?«
»Wohin es mir gefällt.«
»Wie, wohin es dir gefällt?«
»Allerdings, ich spiele ja nicht mit und kann gehen wohin mir’s beliebt. Ich glaubte, daß ich mitspielen sollte; ich sehe, daß ich mich geirrt habe. Adieu!«
»Hole nur den Ball dort,« sagte Paul und zeigte ans das andere Ende des Hofes.
»Hole ihn selbst,« antwortete ich; »ich bin kein Bedienter.«
»Warte nur,« sagte Paul Wingfield, »ich will Dich Gehorsam lehren!«
Ich erwartete ihn festen Fußes. Er hatte wohl geglaubt, daß ich die Flucht nehmen würde, denn er war etwas betroffen über meine entschlossene Haltung. Er zögerte; seine Cameraden fingen an zu lachen; die Röthe der Beschämung stieg ihm in’s Gesicht und er kam auf mich zu.
»Hole mir den Ball!« sagte er noch einmal.
»Und weint ich ihn nicht hole?«—
»So bekommst Du Prügel, bis Du ihn holst.«
»Mein Vater hat mir immer gesagt,« antwortete ich ganz ruhig, »daß nur ein erbärmlicher Wicht einen Schwächern schlägt. Du bist also ein erbärmlicher Wicht, wenn Du mich schlägst.«
Paul kam in Wuth und schlug mich mit der Faust lass Gesicht. Des Schlag war so heftig, daß ich wankte und fast zu Boden stürzte. Ich griff nach meinem Messer, aber ich glaubte die warnende Stimme meiner Mutter zu hören. Ich zog die Hand wieder aus der Tasche, und da ich’s mit meinem Gegner nicht aufnehmen konnte, so rief ich ihm noch einmal zu:
»Du bist ein erbärmlicher Wicht, Paul Wingfield!«
Diese Worte würden mir vielleicht eine noch stärkere Züchtigung zugezogen haben; aber zwei Freunde Pauls, Namens Hurzer und Dorset, hielten ihn zurück. Ich ging fort.
Ich war, wie dieser Austritt zeigt, nicht wie andere Knaben. Ich hatte immer unter Männern gelebt. Die Folge davon war, daß mein Charakter meinen Jahren weit vorausgeeilt war. Paul hatte also, ohne es zu ahnen, einen Jüngling geschlagen, als er nur einen Knaben zu schlagen glaubte. Kaum hatte ich den Schlag bekommen, so erinnerte ich mich an viele von meinem Vater und von Tom erzählte Geschichten, wo der Beleidigte mit den Waffen in der Hand Genugthuung von dem Beleidiger gefordert hatte.
»Ja solchen Fällen,« hatte mein Vater oft gesagt, »sei man es seiner Ehre schuldig ; wer eine Ohrfeige geduldig hinnehme, ohne Genugthuung zu fordern, sei entehrt. Da es nun meinem Vater und mir nie in den Sinn gekommen war, vor mir eine Demarcationslinie zwischen Mann und Knabe zu ziehen, oder mir zu sagen, in welchem Alter dieses Ehrgefühl entstehen müsse, so dachte ich, daß ich entehrt sei, wenn ich von Paul Wingfield keine Genugthuung forderte.
Ich ging also langsam in meinen Schlafsaal. Ich hatte meine kleinen Pistolen vor meiner Abreise in meinen Koffer gepackt, denn ich hoffte Gelegenheit zum Scheibenschießen zu haben. Ich zog meinen Koffer unter dem Bette hervor, steckte Pistolen, Pulver und Kugeln in die Taschen und ging zu Robert Peel.
Als ich in sein Zimmer trat, las er; aber als die Thüre aufging, sah er sich um.
»Mein Gott!« sagte er, »was ist denn geschehen, John? Du blutest ja!«
»Paul Wingfield hat mich ins Gesicht geschlagen, antwortete ich; »Du sagtest mir, ich möge nur zu Dir kommen, wenn Jemand Streit mit mir anfinge – und da bin ich.«
»Sei nur ruhig, John,« erwiederte Robert Peel aufstehend; »er soll’s mit mir zu thun haben.«
»Wie, mit Dir?«
»Allerdings; wünschest Du denn nicht, daß ich Dich räche?«
»Nein, ich will Dich bitten mir beizustehen – ich will mich selbst rächen,« antwortete ich und legte meine kleinen Pistolen auf den Tisch.
Peel sah mich erstaunt an.
»Wie alt bist Du?« fragte er.
»Bald dreizehn,« antwortete ich.
»Wem gehören diese Pistolen?«
»Sie gehören mir.«
»Seit wann hast Du schießen gelernt?«
»Seit zwei Jahren.«
»Wer hat Dich’s gelehrt?«
»Mein Vater.«
»Zu welchem Zwecke?«
»Für Fälle, wo ich mich meiner Haut wehren muß.«
»Würdest Du die Wetterfahne treffen?« fragte Paul weiter, öffnete das Fenster und zeigte mir einen Drachenkopf, der sich in einer Entfernung von etwa fünfundzwanzig Schritten knarrend drehte.
»Ich glaube wohl,« antwortete ich.
»So zeige was Du kannst,« setzte Paul hinzu.
Ich lud ein Pistol, zielte sorgfältig und schoß mitten durch den Drachenkopf.
»Bravo!« rief Peel; »seine Hand hat nicht gezittert; er hat Muth.«
Er nahm die Pistolen, legte sie in eine Schublade seiner Commode und steckte den Schlüssel in die Tasche.
»Jetzt komm mit mir, John,« sagte er.
Ich hatte ein so großes Vertrauen zu Robert, daß ich ihm ohne Zögern folgte. Er ging in den Hof. Die Schüler waren in einer Gruppe versammelt; sie hatten den Schuß gehört, und sahen sich erstaunt um. – Robert Peel ging auf Paul Wingfield zu.
»Paul,« sagte er, »weißt Du, wo der Pistolenschuß abgefeuert worden ist?«
»Nein,« antwortete Paul.
»Aus meinem Fenster. Und weißt Du, wer geschossen hat?«
»Nein.«
»John Davys. Und sieh, er hat mitten durch die Wetterfahne geschossen.«
Aller Augen richteten sich auf die Wetterfahne, und Jeder konnte sich überzeugen, daß Robert Peel die Wahrheit gesagt hatte.
»Du hast John geschlagen,« setzte Robert hinzu; »er ist zu mir gekommen, weil er Genugthuung von Dir fordern will; und um mir zu beweisen, daß er im Stande ist, Dir eine Kugel durch die Brust zu jagen, that er den Probeschuß.
Paul erblaßte.
»Du bist stärker als John,« fuhr Robert fort; »aber John ist gewandter als Du ; Du hast einen Knaben geschlagen, der das Herz eines Mannes bat; für diesen Irrthum mußt Du büßen. Du mußt Dich entweder mit ihm schlagen, oder ihn um Verzeihung bitten.«
»Ein Kind um Verzeihung bitten!« fuhr Paul auf.
»Höre,« sagte Robert näher tretend. »Ich will Dir einen Ausweg vorschlagen. Wir sind ziemlich von gleichem Alter, ich führe das Rapier mit derselben Geschicklichkeit wie Du. Wir stecken Jeder einen Zirkel auf einen Stock und machen einen Gang hinter der Mauer. Du hast bis diesen Abend Bedenkzeit.«
In diesem Augenblicke wurde geläutet, und wir gingen wieder in die Schulzimmer.
»Um fünf Uhr,« sagte Robert Peel zu mir, als er mich verließ.
Ich arbeitete mit einer Ruhe, welche alle meine Cameraden in Erstaunen setzte. Der Lehrer merkte nichts. Die abendlichen Freistunden kamen; wir gingen wieder in den Hof. Robert kam auf mich zu.
»Hier,« sagte er und gab mir einen Brief. »Paul schreibt Dir, daß es ihm leid thue, Dich geschlagen zu haben. Mehr kannst Du von ihm nicht verlangen.«
Ich nahm den Brief. Der Inhalt war so wie Robert sagte.
»Jetzt, lieber John,« setzte Peel hinzu und nahm meinen Arm, »sehr
will ich Dir etwas sagen.
Ich habe deinen Wunsch erfüllt, weil Paul Wingfield ein schlechter Camerad ist und weil es mir lieb war, daß er von einem jüngeren einen Denkzettel bekam. Aber wir sind noch keine Männer, wir sind Knaben. Unsere Handlungen haben kein Gewicht, unsere Worte keine Geltung; ich habe noch fünf bis sechs, Du hast noch neun bis zehn Jahre Zeit, ehe wir wirklich eine Stellung in der Welt einnehmen werden. Wir dürfen unseren Jahren nicht vorauseilen. Was für einen Bürger oder Soldaten eine Schmach ist, kann einem Schüler gleichgültig sein. In der großen Welt duellirt man sich, aber auf der Schule klopft man sich. Kannst Du boxen?«
»Nein.«
»Nun, ich will Dich’s lehren; und wenn Dich Einer angreift, ehe Du im Stande bist Dich zu wehren, so werde ich ihn tüchtig durchbläuen.«
»Ich danke, Robert. Wann wirst Du mir die erste Lection geben?«
»Morgen um elf Uhr.«
Robert hielt Wort. – Als der Vormittagsunterricht beendet war, ging ich in sein Zimmer. Das Boxen wurde nach den Regeln der Kunst betrieben und regelmäßig fortgesetzt. Ich besaß eine weit größere Kraft und Gewandtheit als andere Knaben meines Alters, und nach einem Monate konnte ich’s mit den größten meiner Mitschüler aufnehmen. Uebrigens hatte mein Raufhandel mit Paul großes Aufsehen gemacht, und keiner trat mir zu nahe.
Dieses Abenteuer zeigt, wie verschieden ich von anderen Knaben meines Alters war. Ich hatte eine ganz ungewöhnliche Erziehung genossen, die mich körperlich und geistig abgehärtet hatte. Mein Vater und Tom hatten bei jeder Gelegenheit eine so große Verachtung der Gefahr gezeigt, daß ich letztere später nie als ein Hinderniß betrachtete. Diese Unerschrockenheit war bei mir nicht Naturanlage, sondern ein Ergebniß des Unterrichtes.
Uebrigens wurden die in dem Briefe meines Vaters an den Doctor Butler ertheilten Weisungen genau befolgt. Man gab mir, wie mehren größern Schülern, einen Fechtmeister und ich machte sehr rasche Fortschritte in der Fechtkunst. Die schwierigsten Turnübungen waren nichts im Vergleiche mit dem Matrosendienst, den ich auf meiner Brigg versehen hatte, und schon am ersten Tage gab ich Beweise von meiner Kraft und Gewandtheit, welche mir die Anderen nicht nachthun konnten.
Die Zeit Verstrich mir also schneller, als ich erwartet hatte. Ich war aufmerksam und fleißig, und außer meinem hartnäckigen, unbeugsamen Charakter hatte man mir nichts vorzuwerfen. Aus den Briefen meiner guten Mutter ersah ich, daß zu Williamhouse die günstigsten Berichte über mich eingelaufen waren. Ich sah indeß den Ferien mit großer Freude entgegen. Je näher die Abreise von Harrow kam, desto lebendiger wurden meine Erinnerungen an das Vaterhaus. Von Tag zu Tag erwartete ich Tom. Eines Morgens sah ich unsern Reisewagen vor dem Hause halten. Tom stieg aus und hob meinen Vater und meine Mutter aus dem Wagen.
Meine Freude war unaussprechlich. Es gibt im Leben drei oder vier solcher Augenblicke, wo der Mensch ganz glücklich ist; und wie kurz diese Augenblicke auch sind, so genügen sie doch, um das Leben lieb und werth zu machen. Meine Eltern begaben sich mit mir zu dem Doctor Butler. Man lobte mich in meiner Gegenwart nicht allzusehr, aber man gab meiner Mutter deutlich zu verstehen, daß man mit mir zufrieden sei. Meine guten Eltern freuten sich herzlich.
Als wir den Doktor Butler verließen, fand ich Robert Peel, der mit Tom sprach. Tom schien entzückt über das was ihm Robert erzählte. Der Letztere hatte bereits Abschied von mir genommen, weil er den Ferienmonat ebenfalls bei seinen Eltern zubringen wollte. Er hatte sich seit meinem Abenteuer mit Paul Wingfield immer als mein Freund bewährt. Sobald sich eine schickliche Gelegenheit darbot, ging Paul mit meinem Vater auf die Seite und sprach leise mit ihm. Mein Vater kam auf mich zu, küßte mich und sagte für sich hin: »Ja, ja, es wird ein ganzer Mann aus ihm.« Meine Mutter wollte wissen, was es gebe; Sir Edward gab ihr durch einen Wink zu verstehen, sie möge sich gedulden, sie solle es schon erfahren. Die Zärtlichkeit, mit der sie mir gute Nacht wünschte, bewies, daß er im Laufe des Tages Wort gehalten hatte.
Meine Eltern erboten sich, eine Woche mit mir in London zuzubringen; aber meine Sehnsucht nach Williamhouse war so groß, daß ich lieber sogleich nach Derbyshire abreisen wollte. Mein Wunsch wurde erfüllt. Am andern Morgen fuhren wir ab.
Das Wiedersehen meiner Heimat nach dieser ersten Abwesenheit machte einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich. Die Hügelkette, welche Chester von Liverpool trennt; die zum Schlosse führende Pappelallee, in welcher mich jeder Baum zu begrüßen schien; der Hofhund, der ans seiner Hütte sprang und fast die Kette zerriß, um mich zu bewillkommnen; Mistreß Denison, die mich in ihrem irischen Kauderwelsch fragte, ob ich sie nicht Vergessen; mein mit freiwilligen Gefangenen angefülltes Vogelhaus; der gute Sanders, der pflichtschuldigst seinen jungen Herrn begrüßte – kurz Alles machte mir Freude, sogar der Doktor und Mr. Robinson, obgleich ich diesen beiden Herren nicht sehr gewogen gewesen war, weil ihre Ankunft fast immer das Signal zum Schlafengehen war.
Ich fand Alles unverändert. Jedes Hausgeräth war an seinem gewohnten Platze. Der Lehnstuhl meines Vaters stand am Camin, der Arbeitstisch meiner Mutter am Fenster, der Spieltisch indem Winkel hinter der Thür.
Alle Bewohner des Schlosses hatten in meiner Abwesenheit ihr ruhiges, zufriedenes Leben fortgesetzt; ich allein hatte einen neuen Weg betreten und fing an mit freudigen, vertrauenvollen Blicken in die Ferne zu schauen.
Mein erster Besuch galt dem See. Ich eilte meinem Vater und Tom voraus, um meine Brigg einen Augenblick früher wiederzusehen. Sie wiegte sich noch immer anmuthig auf derselben Stelle; ihre Wimpel flatterten im Winde; das Boot lag in der Bucht. Ich legte mich in das hohe Gras und weinte vor Freude. Mein Vater und Tom holten mich ein. Wir stiegen in das Boot und begaben uns an Bord.
Das Verdeck war Tags zuvor gescheuert und gebohnt worden: man sah, daß ich in meinem schwimmenden Palast erwartet wurde. Tom feuerte eine Kanone ab. Es war der Signalschuß für die Schiffsmannschaft. Zehn Minuten nachher waren unsere sechs Matrosen am Bord.
Ich hatte von der Theorie nichts vergessen, und meine gymnastischen Uebungen hatten meine Kraft und Gewandtheit vermehrt. Ich führte jedes Manöver so rasch und sicher aus wie der geschickteste Matrose. Mein Vater war überglücklich und sah mich gleichwohl mit Besorgniß im Takelwerk herumklettern. Tom klatschte in die Hände; meine Mutter, die uns nachgekommen war und vorn Ufer zusah, wendete sich oft ab, um meine halsbrechenden Künste nicht zu sehen.
Die Tischglocke rief uns ins Schloß zurück. Es waren viele Gäste geladen, um meine Rückkehr zu feiern.
Der Doktor und Mr. Robinson erwarteten uns vor der Thür. Beide befragten mich über meine Studien und Beide schienen mit meinen Kenntnissen sehr zufrieden.
Nach Tische ging ich mit Tom zum Scheibenschießen. Abends wurde ich, wie vormals, das ausschließliche Eigenthum meiner Mutter.
Ich hatte vom ersten Tage an meine frühere Lebensweise wieder angenommen: ich hatte überall meinen Platz wieder gefunden, und nach drei Tagen erschien mir das verflossene Schuljahr wie ein Traum. O, wie schnell vergehen die schönen frischen Jugendjahre! Und doch erfüllen sie die ganze übrige Lebenszeit mit Erinnerungen! Viele wichtige Dinge habe ich vergessen, aber die geringsten Vorfälle meiner Schuljahre sind tief in mein Gedächtniß eingegraben. – Die fünf Jahre, welche meinem Eintritt in das College folgten, vergingen mir wie ein Tag ; aber wenn ich zurückblicke, schienen sie mir von einer andern Sonne erleuchtet, als meine übrige Lebenszeit. Wie viel Unglück ich nachher auch ertragen habe, ich danke dem Himmel für meine glückliche Jugend.
So kam das Ende des Jahres 1810. Ich war im siebzehnten Jahre.
Meine Eltern holten mich wie gewöhnlich im Spätherbst ab ; aber dieses Mal zeigtest sie mir an, daß ich nicht wieder nach Harrow gehen würde. Ich fand meinen Vater so ernst und meine Mutter so traurig, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich hatte diese Nachricht so oft herbeigewünscht, aber sie machte mir doch das Herz schwer.