Kitabı oku: «John Davys Abenteuer eines Midshipman», sayfa 20
Draußen bemerkte er wirklich zwei Männer, die sich umfaßt hielten. Er ging auf sie zu; aber kaum hatte er die Schwelle überschritten, so hörte er hinter sich ein furchtbares Getöse. Er sah sich um – das Haus des Skophas war eingestürzt und hatte den Athleten sammt den Gästen unter den Trümmern begraben. Simonides suchte nun die beiden jungen Männer, aber sie waren verschwunden. Es waren Castor und Pollux, welche den von Skophas auf sie gezogenen Wechsel angenommen und dem Poeten ihre Schuld bezahlt hatten.
Die meisten dieser uns so wohl bekannten Sagen sind an den Orten, denen sie einen so poetischen Reiz verleihen, längst vergessen; in ganz Griechenland sind nur Wenige, welche, wie Apostoli, den alten Sagenschatz kennen und werth halten. Einige historische Thatsachen, wie der Tod des Sokrates, der Zug durch die Thermopylen und die Schlacht bei Marathon, sind wohl im Gedächtniß der Spartaner und Athener geblieben; aber sie wissen nicht, zu welcher Zeit und unter welchen Göttern diese Ereignisse stattgefunden haben; alle diese Erzählungen haben sich von Mund zu Mund, vom Vater auf den Sohn vererbt. Alle meine Fragen über Karthäa blieben unbeantwortet. Ich fragte freilich in italienischer Sprache und mein Führer antwortete in neugriechischer: wenn ich auf die Trümmer zeigte, führte er immer nur das Wort Polis im Munde.
Gegen sechs Uhr verließ ich die todte Stadt, um zu der lebenden zurückzukehren. Der Abend war herrlich, und die letzten Sonnenstrahlen gaben der Luft die der Dämmerung vorausgehende Durchsichtigkeit; ich sah ganz deutlich das Felseneiland Giaros und die Insel Andros; vor mir erhob sich der Eliasberg mit seinen grünen Bäumen und zaekigen Felsen, und seitwärts lagen die violetten Berge von Negroponte und der blaue Golf. Endlich kam ich um den Fuß des Eliasberges noch zeitig genug, um die Sonne hinter der Kette des Parnaß untergehen zu sehen.
Constantin und Fortunato erwarteten mich zum Abendessen. Die Speisen waren äußerst einfach und mit meinem sehr bedeutenden Appetit keineswegs im Einklange; ich würde sogar dem zu Mittag verschmähten Fischroggen mit Knoblauch tüchtig zugesprochen haben. Die castaoeae molles des Hirten Virgil’s bildeten die Hauptspeise; übrigens gab es nur saure Milch und Obst. Zum Glück aßen die beiden Anderen sehr wenig, so daß ich wenigstens an der Quantität ersetzen konnte, was an der Qualität fehlte.
Nach diesem idyllischen Abendessen tranken wir Kaffee und rauchten. Dann stand Constantin auf, und es stand mir frei, mich in mein Zimmer zu begeben.
Ich machte von dieser Erlaubniß sogleich Gebrauch; ich wollte sehen, ob sich an den Jalousien meiner Nachbarinnen nichts verändert, und der Mond schien so hell, daß die Musterung kaum schwerer als am hellen Tage war.
Dann beschloß ich die Runde um die Ringmauer zu machen, um zu sehen, ob nicht noch ein anderer Eingang vorhanden. Ich ging in den ersten Hof hinunter.
Anfangs fürchtete ich, wir wären vielleicht der strengen Ordnung des Kriegszustandes unterworfen ; aber ich irrte mich, man konnte die ganze Nacht ungehindert aus- und eingehen. Ich benutzte diese Freiheit, um meinen Plan in Ausführung zu bringen.
Aber wie sehr mir die Musterung auch am Herzen lag, ich konnte doch nicht unterlassen, eine kleine Weile still zu stehen und die wunderherrliche Mondlandschaft zu betrachten. Unter mir lag die Stadt mit dem Hasen und das stille blaue Meer, in welchem sich alle Sterne des Himmels spiegelten. Und drüben auf der dunklen, wolkenähnlichen Höhe, auf der Küste von Attika brannte ein großes Feuer, vermuthlich ein Waldbrand, von einem unvorsichtigen Hirten angezündet.
Ich stand eine Weile und staunte das furchtbar schöne Schauspiel an; dann begann ich meinen Spaziergang um die Besitzung Constantins und suchte vergebens eine Thür, eine Oeffnung, eine Schießscharte, welche für Blick oder Stimme die Verbindung zwischen dem Aeußern und Innern vermitteln könnte. Alles war durch fünfzehn Fuß hohe Mauern hermetisch abgesperrt. Ich erstieg nun schnell den Berg, um von da vielleicht in den Garten zu sehen; aber das Haus war so gebaut, daß es immer zwischen den hervorragenden Punkten und dem Ziel des Blickes stand. Ich ging verstimmt wieder in mein Zimmer, denn ich war für die Zukunft auf meine Beobachtungen durch die Jalousien beschränkt.
Ich war im Begriff mich auf meinen Divan zu werfen und den Schlaf zu Hilfe zu rufen, denn ich hoffte, ein Traum werde mir zeigen, was ich in der Wirklichkeit nicht sehen konnte – da hörte ich die Töne einer Gusla, aber so schwach und gedämpft, daß ich anfangs nicht zu unterscheiden vermochte, woher sie kamen. Ich öffnete zuerst die zu meiner Treppe führende Thür, dann die auf den Hafen und auf den Hof gehenden Fenster, ohne daß die Töne näher zu kommen schienen; als ich endlich an die zu Constantin’s Wohnung führende Verbindungsthür trat, wurden die Saitenklänge lauter. Ich stand lauschend still; ich konnte nicht mehr zweifeln, die Klänge waren zu entfernt, um aus dem Nebenzimmer zu kommen, aber gewiß kamen sie aus dem zweiten, aus Fortunato’s Zimmer. Ob aber der junge Grieche oder ob eine der beiden Bewohnerinnen des Pavillons sang, konnte ich nicht sagen, denn ich hörte nur die Saitenklänge.
Ich versuchte nun die Thür zu öffnen; aber es war nicht möglich, sie war verschlossen. – Ich blieb nichtsdestoweniger stehen und lauschte mir angehaltenem Athem. Bald ward meine Geduld oder vielmehr meine Neugierde belohnt; die zweite Thür zwischen Constantin’s und Fortunato’s Zimmer that sich auf, und ich hörte nicht nur die Saitenklänge lauter und deutlicher, sondern auch eine weibliche Stimme.
Der Gesang war so ausdrucksvoll, daß ich die Worte hätte verstehen können, wenn’s nicht neugriechisch gewesen wäre. Es schien mir übrigens eine jener Romanzen zu sein, in denen die Griechen Trost und Hoffnung suchen. Denn es war nicht das erste Mal, daß ich dieses Lied hörte; ich hatte diese wehmüthige klagende Weise oft von unseren Ruderern gehört, und ich erkannte sie wieder, wie man einen schönen Kopf von Raphael oder Guido Reni, von welchem man in einem Wirthshause einen schlechten Kupferstich gesehen, im Vatican oder im Palazzo Pitti wieder erkennt.
Der Ohrenschmaus war übrigens nur von kurzer Dauer: die Thür schloß sich wieder und ich hörte nur noch die leisen gedämpften Töne, welche zuerst meine Aufmerksamkeit erregt hatten und bald ganz schwiegen.
Ohne Zweifel wollte die Sängerin, welche während meines Spazierganges zu Fortunato gekommen war, in ihre Wohnung zurückkehren. Ich trat daher aus Fenster, und gleich darauf sah ich zwei weiße verschleierte Frauen über den Hof gehen und in dem Pavillon verschwinden.
III
Den andern Morgen fand ich die Verbindungsthür offen, und zur Frühstücksstunde ging ich ohne Hinderniß aus Constantin’s in Fortunato’s Zimmer. Der erste Gegenstand, der mir mitten unter den Säbeln und Pistolen als neuer Zierath auffiel, war die Gusla, deren Klänge ich Abends zuvor gehört hatte. Ich fragte Fortunato mit scheinbarer Gleichgültigkeit, ob er dieses Instrument spiele, und er antwortete, daß jeder Grieche die Gusla spiele, wie jeder Spanier die Guitarre.
Ich nahm das Instrument von der Wand und entlockte den Saiten einige Accorde, denn die Fingersetzung ist auf der Gusla etwa so wie auf der Viola und Mandoline. Constantin und Fortunato hörten mir mit großem Vergnügen zu; auch für mich war es ein großer Genuß dieselbe Gusla zu spielen, weiche mir Abends vorher so süße Töne zugeschickt hatte. Es schien mir, als ob noch ein Rest der gestrigen Melodie darin sei; meine Hand berührte dieselben Saiten, welche unter einer andern Hand so lieblich erklungen waren, und nach einigen einleitenden Arcorden begann ich fast unwillkürlich die Melodie, welche mich so entzückt hatte. Aber ich besann mich, ich wollte mich nicht verrathen ; ich sang eine Arie von Cimarosa, die mir gerade einfiel.
Ich mochte wohl nach einer meinen naiven Bewunderern unbekannten Methode, oder in meiner erregten Stimmung mit besonderem Ausdrucke singen; genug, man spendete mir großen Beifall, und ich glaubte sogar zu bemerken, daß sich derselbe nicht auf meine sichtbaren Zuhörer beschränkte, sondern auf die Bewohnerinnen des Pavillons ausdehnte, denn es schien mir, als ob sich die Jalousien bewegten. Nach dem Frühstücke bat ich Constantin um die Erlaubniß, das Instrument mit in mein Zimmer zu nehmen.
Ich hütete mich indeß wohl, sogleich zu spielen; ich fürchtete Argwohn zu erregen und unter irgend einem Vorwande oder auch ohne Vorwand in ein anderes Zimmer verbannt zu werden. Ich hätte dann nicht mehr hoffen können, einen Wunsch zu befriedigen, den ich bis setzt nur als Neugierde betrachten konnte und der gleichwohl, ich wußte nicht warum, schon zärtlichere Gefühle in mir weckte.
Ich beschloß daher, wie gestern einen Spazierritt zu machen; und da mir Constantin in dieser Hinsicht völlige Freiheit gelassen hatte, so ging ich hinunter und verlangte ein Pferd.
Man brachte mir ein anderes Pferd, das von noch feinerer Race zu sein schien, als das gestrige. Sobald ich es sah, ahnte ich, daß es der kleinen Hand angehöre. Ich bebandelte das schöne Thier so zart wie möglich; aber ich bemerkte bald, daß es meine Schonung für Unerfahrenheit nahm; ich mußte daher Peitsche und Sporen gebrauchen, um ihm zu zeigen, daß es sich irrte. Uebrigens bewies es mir, nachdem ich dreimal die Runde auf dem Hofe gemacht hatte, durch seine Fügsamkeit, daß es seinen Irrthum eingesehen hatte.
Dieses Mal nahm ich weder Führer noch Begleitung. Ich überließ Pretty, so nannte ich mein Pferd, die Wahl des Weges, in der Ueberzeugung, daß es mich an einen reizenden Ort führen werde. Ich irrte mich nicht; Pretty wählte einen Gebirgspfad, der bald in ein wunderschönes, von Granat- und Kirschlorbeerbäumen beschattetes Thal führte. Ein schäumender Waldbach stürzte ans malerischen Felsengruppen hervor; die beiden Abhänge der Berge waren mit Maulbeerbäumen und wilden Weinreben bedeckt und am Wege standen prächtige purpurrothe Blumen, welche aus Persien stammen und von den alten Botanikern Alhagi genannt werden. Die Felsen, welche für den Geologen das größte Interesse haben müssen, bestanden aus perlmutterartigem Glimmer, weißem und blaßrothem Feldspath, grünlicher Hornblende und prächtigem Serpentin. Der Weg führte zu einer natürlichen Grotte. Hier stand Pretty still ; es mochte wohl das gewöhnliche Ziel seiner Ausflüge sein. Ich stieg ab und wollte ihn an einen Baum binden, aber er wehrte sich mit edlem Selbstgefühle; ich nahm ihm daher den Zaum ab und ließ ihn weiden. Ich trat in die Grotte. Auf der mit Moos bedeckten Bank lag ein Buch; ich schlug es auf, es waren die »Sepolcri« von Ugo Foscolo.
Dieser Fund machte mir unbeschreibliche Freude. Dieses Buch, welches kurz vorher erschienen war, gehörte ohne Zweifel meiner Nachbarin; sie verstand also italienisch, und wenn ich sie sprechen konnte, so hatten wir eine gemeinsame Sprache, in welcher wir uns verständlich machen konnten. Die Sepolcri sind übrigens ein Nationalbuch für jeden Griechen, da der Verfasser aus Corfu stammt und seine Klagen eben so gut auf die Erniedrigung Griechenlands als auf den Verfall Italiens eine Anwendung finden können.
Ich blieb eine Stunde in der Grotte; bald las ich einige Zeilen, bald richtete ich meinen Blick auf eine Schlucht, durch welche man das azurblaue Meer mit den vielen weißen Segeln bemerkte; bald endlich betrachtete ich einen Hirten, der in alterthümlichem Gewande an dem jenseitigen Hügel stand und seine Heerde weiden ließ. Aber meine Blicke und Gedanken waren durch nichts zu fesseln, ich dachte immer an die kleine Hand, welche unter den Jalousien hervorgekommen war und die Tauben hereingenommen hatte.
Endlich steckte ich das Buch in die Tasche und rief Pretty, dem Beispiele des Stallknechtes folgend, durch einen Pfiff herbei. Das schöne Thier trabte sogleich auf mich zu und ließ sich willig den Zaum wieder anlegen; es schien sich zu freuen, daß ich ihm so großes Vertrauen bewiesen hatte. Zwei Stunden nachher stand es wieder an seiner Krippe.
Nach der Mahlzeit, welche mir schrecklich lang schien, blieb ich bis zum Abend an meinem Fenster, ohne daß mir ein mittelbares oder unmittelbares Zeichen die Anwesenheit meiner Nachbarin angedeutet hätte.
Abends hörte ich in Fortunato’s Zimmer dieselben Klänge wie gestern. Ich hatte in meiner Ungeduld einen Augenblick mein Fenster verlassen, um etwas zu lesen, und vermuthlich waren meine beiden Nachbarinnen gerade in jenem Moment über den Hof gekommen. Ich begab mich wieder auf meinen Posten, und bald sah ich sie in den Pavillon zurückkehren. Beide waren verschleiert, aber ich glaubte zu bemerken, daß die eine, die kleinere, sich zweimal nach mir umsah.
Den andern Morgen begab ich mich in das Städtchen, das ich nur bei meiner Ankunft im Vorbeigehen gesehen hatte. Ich ging zu einem Kaufmann und kaufte ein Stück Seidenstoff, um ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Er sprach, wie die meisten handeltreibenden Bewohner des Archipels, ziemlich geläufig italienisch, und ich fragte ihn gesprächsweise, wer die Frauen seien, welche den Pavillon hinter Constantin’s Hause bewohnten. Er sagte mir, es seien seine beiden Töchter. Ich fragte um ihre Namen: die ältere hieß Stephana, die jüngere Fatinitza; jene war die größere, diese die kleinere.
Es war also Fatinitza, welche sich zweimal nach mir umgesehen hatte. Es freute mich; es lag etwas ungemein Liebliches, Anziehendes in diesem Namen, den ich im Stillen so gern nannte.
Der Kaufmann setzte hinzu, daß die eine Schwester sich in kurzem verheiraten werde, aber er wußte nicht welche. Der Bräutigam sei der Sohn eines reichen Seidenhändlers und heiße Christo Panayoti; wahrscheinlich wisse dieser selbst nicht, welche von den beiden Schwestern ihm zugedacht sei.
Als ich mein Erstaunen hierüber äußerte, sagte der Kaufmann, daß ein Türke oder ein Grieche vor dem Hochzeitstage selten seine Braut zu sehen bekomme; er verlasse sich gemeiniglich auf Matronen, welche seine Zukünftige bei ihren Eltern oder im Bade kennen gelernt und für ihre Schönheit und Sittsamkeit bürgen. Christo Panayoti habe sich dieser Sitte gefügt: er habe um eine von Constantin’s Töchtern geworben und dem Vater die Wahl überlassen, da er keine von Beiden kenne.
Diese Erklärung war keineswegs geeignet mich zu beruhigen; denn Constantin konnte dem Bewerber eben so gut seine jüngere wie seine ältere Tochter geben, und ich fühlte, daß ich untröstlich sein würde, wenn sich Fatinitza verheiratete. Dies klingt fast widersinnig , denn ich hatte ihr Gesicht noch gar nicht gesehen, und sie wußte vielleicht gar nicht, daß ich in der Welt war. Aber es war wirklich so: ich war eifersüchtig, als ob ich geliebt hätte.
Mehr verlangte ich von dem Kaufmann nicht zu wissen; ich bezahlte und ging fort. Ein hübsches Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren, welches alle Schätze des Magazins mit lüsternen Blicken betrachtet hatte, folgte mir und betrachtete das von mir gekaufte Stück Seide. »Bella, bellissima!« sagte die hübsche kleine Zeotin für sich. Ich wollte ihr eine Freude machen. Ich wußte nicht, was ich mit meinem Päckchen anfangen sollte ; ich fragte sie, ob sie es wolle. Sie lächelte zweifelnd und wies ihre wunderschönen Zähne. Ich gab ihr den Stoff und sie sah mir erstaunt nach.
Diesen Abend hörte ich die Gusla nicht: Fortunato, der sich wieder stark fühlte, war zu seinen Schwestern hinübergegangen. Ich sah ihn mit Constantin über den Hof gehen, und ich sah wohl ein, daß ich von nun an der Freude, meine beiden Nachbarinnen vorbeigehen zu sehen, entsagen mußte. Stephana und Fatinitza hatten gegen die griechische Sitte ihre Gemächer verlassen, weil Fortunato sie nicht besuchen konnte; aber sobald er genesen war, hatten sie keine Ursache mehr, sich einer solchen Uebertretung der Landessitte schuldig zu machen.
Der folgende Tag verging, ohne daß sich etwas Neues zutrug. Ich überließ mich meinen eifersüchtigen Gefühlen, ohne etwas Anderes zu sehen, als die auf dein Hofe flatternden Tauben. Ich streute Körner und Brotkrumen auf den Rand meines Fensters. Die Tauben kamen; aber als ich Miene machte sie zu erhaschen, flogen sie davon und kamen den ganzen Tag nicht wieder.
Auch die folgenden Tage verstrichen ohne besondere Ereignisse. Constantin behandelte mich wie seinen Sohn, Fortunato wie seinen Bruder; aber von der übrigen Familie sagten sie kein Wort.
Ein schöner junger Mann in prächtiger Kleidung besuchte sie zwei- oder dreimal; ich fragte um seinen Namen, es war Christo Panayoti.
Nachdem ich alle Mittel, Fatinitza wiederzusehen, vergebens versucht hatte, ging ich wieder zu dem Seidenhändler, der mir aber nichts zu sagen wußte. Ich sah die junge Griechin wieder, die in dem Kleide, welches ich ihr geschenkt, in den Straßen von Zea umherstolzirte. Ich wechselte eine Guinee gegen venecianische Zechinen und gab ihr zwei, um ihren Schmuck zu ergänzen. Sie durchbohrte die kleinen Goldstücke und befestigte sie an ihren mit langen Flechten herabfallenden Haaren. Dann trat ich wieder an mein Fenster, aber meine Nachbarin blieb, wie immer, hermetisch verschlossen.
Ich Zwar sehr niedergeschlagen, als Constantin eines Abends in mein Zimmer kam und mir sagte, eine seiner Töchter sei krank und er werde mich morgen zu ihr führen. Zum Glück waren wir ohne Licht und ich konnte ihm den Eindruck verbergen, den diese unerwartete Nachricht auf mich machte. Ich bezwang meine Aufregung und antwortete in einem Tone, der nur ganz gewöhnliche Theilnahme ausdrückte, daß ich zu jeder beliebigen Stunde bereit sei. Ich fragte ihn, ob er die Krankheit für gefährlich halte; aber er antwortete mir, daß er nur eine Unpäßlichkeit darin erblicke.
Ich schloß die ganze Nacht kein Auge; ich stand wohl zwanzigmal von meinem Divan aus und trat ans Fenster, um zu sehen, ob der Tag anbrach. Endlich drangen die ersten Sonnenstrahlen durch die Rohrstäbe des Fensterladens – der ersehnte Tag war da.
Unter gewöhnlichen Umständen war ich mit meinem Anzuge immer sehr schnell fertig; dieses Mal widmete ich demselben größere Sorgfalt. Ich besaß zwei Anzüge, die mir Jacob verkauft hatte. Ich wählte den schöneren, einen albanesiscben Anzug von violettem Tuch, mit Silber gestickt. Anfangs schwankte ich zwischen dem weißen Turban und der rothen Mütze mit der seidenen Quaste; endlich entschied ich mich für die Mütze, um mein blondes Lockenhaar nicht zu verhüllen. Diese Entscheidung erfolgte erst nach langem innerem Kampfe, der einer Cokette alle Ehre gemacht haben würde. Um acht Uhr kam Constantin, um mich abzuholen. Ich hatte ihn schon drei Stunden erwartet.
Ich folgte ihm mit scheinbarer Ruhe, aber mit heftig pochendem Herzen. Wir gingen die Haupttreppe hinab und über den Hof, den ich so oft zum Gegenstande meiner Beobachtung gemacht hatte.
Als ich in den Pavillon trat, fühlte ich meine Knie wanken. Constantin sah sich um; die Besorgniß, meine Unruhe zu verrathen, gab mir meine Fassung wieder, und ich erstieg hinter ihm eine mit türkischen Teppichen belegte Treppe.
Wir traten in ein Zimmer, wo mich Constantin einige Augenblicke allein ließ.
Das Zimmer war ganz türkisch eingerichtet; die Decke war geschnitzt und mit bunten Farben bemalt. Die weißen Wände waren mit seltsamen Arabesken in Gestalt von Blumen, Fischen, Vögeln, Schmetterlingen und Früchten geschmückt, und alle diese Gestalten waren kunstvoll in einander verschlungen. Um den ganzen Saal erstreckte sich ein hellblauer Divan mit Silber gestickt, und Polster von demselben Stoffe lagen auf dem Fußboden umher.
Mitten im Zimmer war ein kleines Wasserbecken mit Goldfischen, und am Rande desselben saßen girrend zwei perlmutterfarbene Täubchen, wie sie Euphrodite auf Paphos oder Cythere gewiß nicht schöner gehabt hat. In einer Ecke brannten auf einem Dreifuß von antiker Form Späne von Aloeholz und Jasminessenz; der stärkere Dampf entwich durch das offene Fenster, während nur der feinere Duft im Zimmer zurückblieb. Ich trat an die Jalousie, welche meinem Fester gerade gegenüber war; unter dieser Jalousie war die schöne Hand hervorgekommen, die mir fast den Verstand geraubt hatte.
Constantin kam nun zurück; er bat um Entschuldigung, daß er mich hatte warten lassen, und schob die Schuld auf die weiblichen Launen. Fatinitza, welche sich nach dreitägiger Unpäßlichkeit entschlossen meinen Besuch anzunehmen, habe allerlei Bedenken gehabt, aber doch endlich eingewilligt. Ich benutzte sogleich die Erlaubniß und ersuchte Constantin mich seiner Tochter vorzustellen.
Das zweite Zimmer will ich nicht beschreiben. Meine Aufmerksamkeit wurde durch die junge Patientin gefesselt.
Fatinitza lag auf seidenen Polstern; den Kopf lehnte sie an den Divan, als hätte sie nicht die Kraft gehabt ihn zu tragen. Ich blieb an der Thür stehen. Constantin trat auf sie zu, um ihr einige Worte in neugriechischer Sprache zu sagen, so daß ich unterdessen Muße hatte sie zu betrachten.
Sie hatte nach türkischer Sitte das Gesicht mit einem kleinen, spitz geschnittenen, unten mit Rubinen besetzten Schleier bedeckt. Von dem mit Blumen gestickten Käppchen wallte eine aus kleinen Perlen gemachte Quaste herab. Das Haar hing ihr an den Wangen in Locken, im Nacken in langen Zöpfen mit eingeflochtenen kleinen Goldstücken herab. Auch ihr Hals war mit venecianischen Zechinen geschmückt, und unter diesem Halsbande schmiegte sich ein seidenes Mieder um Busen und Schultern. Die Aermeln waren aufgeschlitzt und auf der einen Seite mit Haken von Golddraht, auf der andern mit Perlknöpfen besetzt. Der weiße runde Arm war mit vielen goldenen Spangen verziert, und die kleine Hand hielt nachlässig das Bernsteinrohr einer langen Pfeife. Ein feiner Kashmirgürtel ward von einer mit Edelsteinen besetzten Schnalle zusammengehalten. Die weiten, weißen, mit Gold gestickten Beinkleider gingen bis an die Knöchel herab und die Nägel der kleinen unbekleideten Füße waren wie die Nägel der Finger roth gefärbt.
Nach Beendigung dieser flüchtigen Musterung, welche mir bewies, daß sie ihrem Anzuge ungewöhnliche Sorgfalt gewidmet hatte, gab mir Constantin einen Wink, näher zu treten. Fatinitza bebte zurück wie eine zitternde Gazelle, und ihre durch den Schleier sichtbaren Augen nahmen einen Ausdruck unruhiger Neugierde an. Ich trat langsam näher.
»Was fehlt Ihnen denn?« fragte ich in italienischer Sprache; »beschreiben Sie mir Ihre Schmerzen.«
»Es fehlt mir nichts mehr,« antwortete sie hastig ; »ich habe keine Schmerzen.«
»Närrin!« sagte Constantin; »seit acht Tagen bist Du ganz umgewandelt, Alles langweilt Dich, sogar deine Tauben, deine Gusla, deine Kleider. Sei vernünftig, Kind; Du klagtest über Kopfschmerzen.«
»O ja,« erwiederte Fatinitza und ließ den Kopf wieder auf den Divan sinken.
»Wollen Sie mir Ihre Hand reichen?« fragte ich.
»Meine Hand? warum denn?«
»Weil ich sonst Ihre Krankheit nicht beurtheilen kann.«
»Nein,« sagte sie abwehrend.
Ich wandte mich zu Constantin, um seine Vermittlung in Anspruch zu nehmen.
»Sie müssen sich darüber nicht wundern,« sagte er begütigend; »unsere Mädchen gehen nur mit dem Vater und den Brüdern um; wenn sie ausgehen oder ausreiten, sind sie immer tief verschleiert.«
»Aber ich,« entgegnete ich, »komme als Arzt; sobald Sie geheilt sind, werde ich Sie nie wiedersehen, und Sie müssen schnell wieder gesund werden.
»Warum denn?« fragte sie.
»Werden Sie sich nicht verheiraten?«
»Ich nicht, meine Schwester,« sagte Fatinitza hastig.
Ich athmete tief auf, ein Stein fiel mir vom Herzen.
»Nun, dann müssen Sie gesund werden, um zur Hochzeit Ihrer Schwester zu gehen.«
»Ich will gern wieder gesund werden,« sagte sie seufzend; aber warum soll ich Ihnen denn die Hand geben?«
»Weil ich Ihren Puls fühlen muß.«
»Können Sie nicht auf den Armel greifen?«
Nein, durch die Seide würde ich die Pulsschläge nicht gehörig fühlen können.«
»Aber mein Puls schlägt sehr stark,« entgegnete Fatinitza.
Ich lächelte.
»Nun, ich will einen Vorschlag 1nachen,« sagte Constantin; »können Sie durch Gaze den Puls fühlen?«
»Ja wohl.«
»Gut, so legen Sie Gaze auf.«
Constantin reichte mir einen dünnen Schleier, der mit vielen anderen Toilettegegenständen auf dem Divan lag. Fatinitza wand den Schleier um die Hand, die sie mir nach einigem Sträuben überließ.
Unsere beiden Hände erbebten bei der Berührung; es wäre schwer gewesen zu sagen, welche am fieberhaftesten war. Der Puls der reizenden Patientin war rasch und unregelmäßig; aber dies konnte eben so gut eine Folge der Aufregung als der Krankheit sein. Ich fragte, worüber sie sich zu beklagen habe.
»Mein Vater hat es Ihnen schon gesagt,« antwortete sie ; »ich habe Kopfschmerzen und kann nicht schlafen.«
Eben so ging mir’s auch seit einigen Tagen, und ich war seht mehr als je entschlossen, von dieser Krankheit – nicht zu genesen. Ich wandte mich zu Constantin.
»Nun,« fragte er, »was fehlt ihr?«
»In London oder Paris,« antwortete ich lächelnd, »würde ich antworten, die Patientin leide an Vapeurs, und den fleißigen Besuch der Oper oder eine Badereise als Cur vorschlagen; aber in Ceos, wo die Civilisation noch nicht so weit vorgerückt ist, erkläre ich ganz einfach, daß diese Kopfschmerzen durch das Bedürfnis der freien Luft und Zerstreuung verursacht worden sind. Warum sollte die Signorina nicht reiten? Der Eliasberg ist von reizenden Thälern umgeben. Ein Thal insbesondere finde ich wunderschön; am Ende ist eine Grotte, in der man so schön träumen und ungestört lesen könnte. – Kennen Sie diese Grotte?« fragte ich Fatinitza.
»Ja wohl, ich habe immer sehr gern diesen Weg genommen.«
»Warum reiten Sie nicht mehr hin?«
»Weil sie seit meiner Rückkehr nicht mehr ausgehen will,« antwortete Constantin.
Um mich als Arzt mehr in Respect zu setzen, verordnete ich außer der häufigen Bewegung in freier Luft ein möglichst warmes Fußbad für den Abend; dann stand ich auf, um durch einen zu langen Besuch keinen Argwohn zu erregen und ließ, meine Mahnung wiederholend, die Kranke allein. Als ich die Thür schloß, eilte Stephana herbei, um das Ergebniß der ärztlichen Berathung zu erfahren. Aber an Stephana lag mir wenig, meine Gedanken, meine Wünsche, meine Liebe waren ihrer Schwester gewidmet.
Constantin begleitete mich bis in mein Zimmer zurück, um Fatinitza zu entschuldigen. Aber sie bedurfte keiner Entschuldigung. Diese unseren westländischen Frauen ganz unbekannte Scheu war für meine Phantasie ein neuer Zauber. Die erste Begegnung machte einen so tiefen Eindruck auf mich, daß ich nach mehr als fünfundzwanzig Jahren nur die Augen zu schließen brauche, um die reizende Fatinitza vor mir zu sehen, wie sie auf den Polstern da lag , und die mindesten Einzelheiten schweben meiner Phantasie vor; ihr schönes Haar mit den eingeflochtenen kleinen Goldmünzen, ihr Zechinenhalsband, ihr Käppchen mit der Perlenquaste, ihr seidenes Mieder, ihr Kashmirgürtel, ihre weiten gestickten Beinkleider, ihre zarten Hände, ihre kleinen, rosigen Füße. Es scheint mir, als brauchte ich nur den Arm auszustrecken, um sie zu berühren.
O mein Gott! die Erinnerung ist zuweilen eine Gabe deiner Barmherzigkeit, öfter aber die Dienerin deines Zorns!