Kitabı oku: «La San Felice Band 8», sayfa 6
Neuntes Capitel.
In welchem der Antor sich genöthigt sieht, seinem Buche: »Der Coricolo« ein ganzes Capitel zu entlehnen, weil er nicht hoffen kann, es besser zu machen
Wir wollen den Reliquien des heiligen Januarius nicht auf den verschiedenen Wanderungen folgen, welche sie durchgemacht und wodurch sie von Pozzuolo nach Neapel, von Neapel nach Benevento und endlich von Benevento nach Neapel zurückgeführt wurden.
Diese Erzählung würde uns in die Geschichte des ganzen Mittelalters hinein verwickeln und man hat diese interessante Epoche so sehr gemißbraucht, daß sie anfängt aus der Mode zu kommen.
Erst seit dem Beginne des sechzehnten Jahrhunderts hat der heilige Januarius einen festen, unabänderlichen Wohnsitz, welchen er nur zweimal jährlich verläßt, um in der Kathedrale der heiligen Clara, dem Begräbnißorte der Könige von Neapel, sein Wunder zu verrichten.
Noch zwei- oder dreimal vielleicht stört man dem Heiligen auf Veranlassung des Zufalls, aber es bedarf dann jener großen Ereignisse, welche ein Königreich bewegen oder eine Provinz aufregen, um ihn seinen ruheliebenden Gewohnheiten untreu zu machen. Jede dieser ausnahmsweisen Ausstellungen wird ein Ereigniß, dessen Erinnerung durch die mündliche Tradition in dem Gedächtnisse des neapolitanischen Volkes sich fort erhält und vergrößert.
Während des ganzen übrigen Jahres weilt der heilige Januarius in dem Palaste des Erzbischofs und zwar in der sogenannten Capelle des Schatzes.
Diese Capelle ward von den neapolitanischen Edelleuten und Bürgern erbaut und ist das Ergebniß eines Gelübdes, welches sie im Jahre 1527, erschreckt durch die Pest, welche in diesem Jahre die treue Stadt Neapel verheerte, gemeinschaftlich thaten.
Die Pest hörte, Dank der Vermittelung des Heiligen, auf und die Capelle ward als Beweis der öffentlichen Dankbarkeit gebaut.
Ganz im Gegensatz zu gewöhnlichen Anbetern, welche, wenn die Gefahr vorüber ist, den Heiligen, den sie angerufen, sehr oft vergessen, entwickelten die Neapolitaner bei der Erfüllung des ihrem Heiligen gegebenen Versprechens eine solche Gewissenhaftigkeit, daß, als Donna Katharina von Sandoval, die Gemahlin des alten Grafen von Lemos, Vicekönigs von Neapel, sich erbot, ihrerseits zur Erbauung der Capelle eine Summe von dreißigtausend Ducaten beizusteuern, die diese Summe zurückwiesen und erklärten, daß sie die Ehre, ihrem heiligen Beschützer eine würdige Wohnung zu gewähren, mit keinem Fremdling, theilen wollten, selbst wenn es ihr Vicekönig oder ihre Vicekönigin wäre.
Da es sonach weder an Geld noch an gutem Willen fehlte, so war die Capelle sehr bald gebaut.
Allerdings hatten, um sich gegenseitig bei gutem Willen zu erhalten, Edelleute und Bürger vor dem öffentlichen Notar Meister Vicenzo de Basis eine Verbindlichkeit übernommen, welche jetzt noch besteht.
Diese Urkunde datiert vom 13. Januar 1527 und die Unterzeichner derselben machen sich darin anheischig, zur Bestreitung der Baukosten die Summe von dreizehntausend Ducati aufzubringen.
Wie es scheint, hatte man aber schon zu jener Zeit Grund, den Kostenanschlägen der Architekten zu mißtrauen, denn das Portal allein kostete fünfunddreißigtausend Ducati, das heißt dreimal so viel, als die zur Erbauung der ganzen Capelle bewilligte und veranschlagte Summe betrug.
Als die Capelle fertig war, beschloß man sie mit Frescogemälden zu schmücken, welche die hauptsächlichen Thaten aus dem Leben des Heiligen vorstellen, und zu diesem Zwecke die ersten Maler der Welt zu berufen.
Unglücklicherweise ward dieser Beschluß von den neapolitanischen Malern nicht gut geheißen, denn diese erklärten ihrerseits, daß die Capelle nur durch einheimische Künstler geschmückt werden dürfe und daß jeder fremde Kunstrival, welcher der Aufforderung entspräche, Ursache haben solle, es bitterlich zu bereuen.
Sei es nun, daß sie von diesem Schwur nichts wußten, sei es, daß sie nicht an die Ausführung desselben glaubten, kurz, die Maler Guido Reni, Dominichino und der Chevalier von Arpino kamen von Neapel, um mitzuhelfen.
Der Chevalier von Arpino ward jedoch genöthigt, die Flucht zu ergreifen, ehe er noch den Pinsel in die Hand genommen.
Guido Reni verließ nach zwei auf ihn unternommenen Mordversuchen, denen er nur durch ein Wunder entging Neapel ebenfalls.
Nur Dominichino, der durch die Verfolgungen, die er erfahren, an den Kampf gewöhnt und eines Lebens, welches seine Nebenbuhler ihm so schmerzlich verbittert, ohnehin müde war, hörte weder auf Beleidigungen noch Drohungen, sondern fuhr fort zu malen.
Er malte nach der Reihe die Frau, welche die Kranken heilt (mit dem Oel der Lampe, welche vor dem Schrein des heiligen Januarius brennt), die Auferweckung des Jünglings und die Kuppel, bis er eines Tages auf seinem Gerüst plötzlich unwohl ward. Man schaffte ihn nach Hause, er war vergiftet.
Nun glaubten die neapolitanischen Maler aller Concurrenz überhoben zu sein, aber dem war nicht so.
Eines schönen Morgens sahen sie Geffi ankommen, welcher zwei seiner Schüler mitbrachte, um Guido Reni, seinen Meister, zu ersetzen.
Acht Tage später waren die beiden Schüler, die man auf eine Galeere gelockt, verschwunden, ohne daß man jemals wieder etwas von ihnen hörte.
Geffi, der sich nun verlassen sah, verlor den Muth und zog sich seinerseits zurück, so daß Espagnolet, Corenzio, Lanfranco und Stanzoni sich allein im Besitz dieses Schatzes von Ruhm und Zukunft sahen, zu welchem sie durch Verbrechen gelangt waren.
Nun malte Espagnolet seinen Heiligen aus dem feurigen Ofen kommend, eine riesige Composition; Stanzoni die von dem Heiligen geheilte Besessene und endlich Lanfranco die Kuppel, an welcher er sich weigerte Hand anzulegen, so lange nicht die von Dominichino an den Ecken der Gewölbe angefangenen Frescogemälde vollständig wieder entfernt wären.
Dieser Capelle, wo auch die Kunst ihre Märtyrer gehabt, wurden die Reliquien des Heiligen anvertraut.
Diese Reliquien befinden sich in einer Nische hinter dem Hauptaltar, die durch eine marmorne Scheidewand in zwei Hälften getheilt ist, damit der Kopf des Heiligen nicht sein Blut ansehen könne, wodurch das Wunder vor der dazu bestimmten Zeit bewirkt werden würde, weil – so sagen die Priester – eben durch die Berührung des Hauptes und der Fläschchen das geronnene Blut flüssig wird.
Diese Nische ist überdies durch zwei Thüren von massivem Silber verschlossen, welche mit dem Wappen Karls des Zweiten, Königs von Spanien, verziert sind.
Zu diesen Thüren gehören zwei Schlüssel, von welchen der eine sich in Verwahrung des Erzbischofs, der andere in der einer Gesellschaft befindet, welche aus der Zahl der Edelleute durchs Loos gewählt wird und welche man die Deputierten des Schatzes nennt.
Man sieht, daß der heilige Januarius sich genau der Freiheit erfreut, welche den Dogen von Venedig zugestanden war, die auch niemals den Umkreis der Stadt überschreiten und ihren Palast nur mit Erlaubniß des Senats verlassen durften.
Wenn diese Abschließung ihre Unannehmlichkeiten hat so hat sie doch auch ihre Vortheile. Der heilige Januarius gewinnt dabei so viel, daß er nicht wie ein Dorfarzt zu jeder Stunde des Tages und der Nacht gestört werden kann.
Auch wissen die Canonici, die Diaconen, die Subdiaconen, die Sakristane bis herab zu den Chorknaben der Capelle sehr wohl, welche Vorzüge ihre Stellung vor der ihrer Collegen, der Hüter der andern Heiligen, hat.
Eines Tages, als der Vesuv seine Streiche machte und seine Lava, anstatt ihren gewöhnlichen Weg zu verfolgen und Torre del Greco zum achten oder neunten Male von der Oberfläche der Erde zu vertilgen, die Richtung auf Neapel nahm, empörten sich die Lazzaroni, welche dabei gerade am wenigsten zu verlieren hatten, die aber wahrscheinlich um der Tradition willen stets an der Spitze der Empörungen stehen.
Diese Lazzaroni strömten nach dem erzbischöflichen Palast und begannen zu schreien, man solle das Haupt des heiligen Januarius nehmen und es der feurigen Ueberschwemmung entgegentragen.
Die Gewährung dieses Verlangens war aber nicht so leicht. Der heilige Januarius befand sich unter doppeltem Verschluß und einer dieser Schlüssel in den Händen des gegenwärtig auf einer Rundreise durch eine Diözese begriffenen Erzbischofs, während der andere in den Händen der Deputierten war, die, mit Bergung ihrer kostbarsten Effecten beschäftigt, der eine dahin, der andere dorthin liefen.
Zum Glück war der diensthabende Canonicus ein Mann, welcher sich der aristokratischen Stellung bewußt war, die sein Heiliger im Himmel und auf der Erde einnahm.
Er erschien auf dem Balcon des erzbischöflichen Palastes, welcher den ganzen mit Menschen bedeckten Platz beherrschte, gab durch eine Geberde zu verstehen, daß er sprechen wolle, wackelte zum Zeichen des Erstaunens über die Kühnheit der Leute, mit welchen er zu thun hatte, mit dem Kopfe und sagte:
»Ihr scheint mir wunderliche Menschen zu sein, daß Ihr hierherkommt und schreit: »Heiliger Januarius! heiliger Januarius!« gerade als ob Ihr schrieet: »Heiliger Fiaker!« oder »heiliger Crispin!« Wisset, Ihr Lumpengesindel, daß der heilige Januarius ein Cavalier ist, der sich nicht so um des ersten besten willen incommodirt.«
»Was!« rief ein Raisonneur. »Jesus Christus incommodirt sich wohl für den ersten besten. Wenn ich das Crucifix verlange, kann man mir ihn wohl verweigern?«
Der Canonicus schlug mit dem Ausdruck niederschmetternder Verachtung ein verächtliches Gelächter auf.
»Das wollte ich eben hören,« hob er wieder an. »Wessen Sohn ist denn Jesus Christus, wenn ich fragen darf? Er ist der Sohn eines Zimmermannes und einer armen Jungfrau. Er ist ganz einfach Lazzarone von Nazareth, während es mit dem heiligen Januarius etwas ganz Anderes ist, denn dieser ist der Sohn eines Senators und einer Patrizierin und folglich, wie Ihr selbst einsehen werdet, eine ganz andere Persönlichkeit als Jesus Christus. Geht doch und sucht den Heiland, wenn Ihr Lust habt. Was aber den heiligen Januarius betrifft, so sage ich Euch er wird sich um euretwillen nicht incommodieren, selbst wenn Ihr in zehnfacher Anzahl hierher kämet und zehnmal so laut schrieet, denn er hat das Recht, sich nicht zu incommodiren.«
»Gehen wir und suchen wir den Heiland,« sagte die Menge.
Und man ging den Heiland zu holen, welcher in der That weniger aristokratisch als der heilige Januarius die Kirche der heiligen Clara verließ und, von seinem volksthümlichen Gefolge begleitet, an den Ort kam, welcher seine barmherzige Gegenwart verlangte.
Sei es nun aber, daß er nicht in die Rechte des heiligen Januarius eingreifen wollte, oder sei es, daß er nicht die Macht hatte, zu der Lava zu sagen, was er zum Meer gesagt, kurz, die Lava fuhr fort sich weiter zu wälzen, obschon sie auf alle nur mögliche Weise beschworen ward.
Die Gefahr stieg daher immer höher, eben so wie das Geschrei mit ihr, als plötzlich die marmorne Bildsäule des heiligen Januarius, welche die Magdalenenbrücke beherrscht und bis jetzt ihre rechte Hand auf das Herz gedrückt gehalten, dieselbe hob und gegen die Lava mit einer gebieterischen Bewegung ausstreckte, welche der glich, mit welcher Neptun ein »Quos ego!« begleitete.
Die Lava machte Halt.
Man kann sich denken, wie hoch der Ruhm des heiligen Januarius nach diesem neuen Wunder stieg.
Der König Carl der Dritte, der Vater Ferdinands, war Zeuge dieser Thatsache gewesen.
Er sann nach, was er thun könne, um den heiligen Januarius zu ehren.
Es war dies nicht so leicht. Der heilige Januarius war Edelmann, der heilige Januarius war reich, der heilige Januarius war heilig, der heilige Januarius war – dies hatte er soeben bewiesen – mächtiger als das Crucifix.
Der König verlieh daher dem heiligen Januarius eine Würde, nach welcher dieser sicherlich selbst niemals trachtet, das heißt, er ernannte ihn zum Generalcommandanten der neapolitanischen Truppen mit dreißigtausend Ducati Gehalt.
Deshalb konnte Michele, als Louisa ihn fragte, wo Salvato wäre, ohne zu lügen, antworten:
»Er hat bis morgen Vormittag halb elf Uhr Dienst bei dem Generalcommandanten.«
Und in der That, wie der gute Canonicus gesagt und wir nach ihm wiederholt, der heilige Januarius ist ein aristokratischer Heiliger. Er hat ein Gefolge von untergeordneten Heiligen, welche eine Oberherrschaft ungefähr in derselben Weise anerkennen, wie die römischen Clienten dies in Bezug auf ihren Patron thaten.
Diese Heiligen folgen ihm, wenn er ausgeht, grüßen ihn, wenn er an ihnen vorüber kommt, und erwarten ihn, wenn er nach Hause zurückkehrt. Sie bilden gleichsam seinen Ministerrath.
Diese Schaar untergeordneter Heiligen, diese Wache, dieses Gefolge, dieser Hof des hochseligen Bischofs von Benevento rekrutiert sich auf folgende Weise:
Jede Brüderschaft, jeder klösterliche Orden, jedes Kirchspiel, jeder Privatmann, dem daran liegt, einen ihm befreundeten Heiligen zum Schutzpatron von Neapel unter dem Vorsitze des heiligen Januarius erklären zu lassen, braucht blos eine Statue von massivem Silber zu dem Preise von achttausend Ducati zu stiften, und dieselbe der Capelle des Schatzes anzubieten.
Ist die Statue einmal zugelassen und aufgenommen, so bleibt sie für immer in der genannten Capelle und genießt von diesem Augenblicke an alle Vorrechte ihrer vorschriftsmäßigen Schenkung. Ebenso wie die Engel und Erzengel, die im Himmel ewig Gottes Lob fingen und einen Chor um ihn bilden, preisen sie ewig den heiligen Januarius.
Für diese ihnen gewährte Glückseligkeit aber müssen sie sich dieselbe Abgeschlossenheit gefallen lassen, in welcher der heilige Januarius sich befindet. Selbst die Personen, durch welche sie der Capelle geschenkt worden, können nur dadurch sie aus ihrem geheiligten Gefängnisse erlösen, daß sie den doppelten Werth der Statue, welche sie um ihres persönlichen Vergnügens willen oder im allgemeinen Interesse wieder ans Licht ziehen wollen, in die Hände eines Notars niederlegen.
Sobald die Summe deponiert ist, wird der Heilige auf kürzere oder längere Zeit herausgelassen. Kehrt er zurück und ist seine Identität festgestellt, so kann der mit der Quittung seines Heiligen versehene Eigenthümer seine deponierte Summe wieder zurückziehen.
Auf diese Weise ist man sicher, daß die Heiligen sich nicht verirren, oder daß sie, wenn sie sich verirren, wenigstens nicht verloren gehen, da man ja für das deponierte Geld deren zwei anstatt eines fertigen lassen kann.
Diese Maßregel, welche auf den ersten Blick sehr willkürlich erscheinen kann, ist, wie nicht unerwähnt bleiben darf, erst getroffen worden, nachdem das Capitel des heiligen Januarius durch sein früheres allzugroßes Vertrauen mehrmals zu Schaden gekommen.
So kehrte z.B. die Statue des heiligen Gaëtano, welcher man ohne Caution Urlaub bewilligte, nicht blos nicht an dem bestimmten Tage, sondern überhaupt niemals zurück. Umsonst versuchte man den Heiligen selbst anzuklagen und zu behaupten, daß er, weil er stets eine nur mäßige Neigung zu dem heiligen Januarius gehegt, die erste beste Gelegenheit benutzt habe, um die Flucht zu ergreifen.
Die respectabelsten Zeugnisse fanden sich in Masse ein, um dieser verleumderischen Behauptung zu widersprechen, und nachdem man die sorgfältigsten Nachforschungen angestellt, ermittelte man, daß es ein Fiakerkutscher war, welcher die kostbare Statue entwendet hatte.
Man traf Anstalten zur Verfolgung des Diebes, da dieser aber zwei Tage Vorsprung und seine Flucht mittelst eines mit zwei Pferden bespannten Wagens bewerkstelligt hatte, während die Polizei, die kein Fuhrwerk besaß, sich genöthigt sah, ihn zu Fuße zu verfolgen, so hatte er wahrscheinlich die römische Grenze bereits passiert, so daß alle Nachstellungen, wie gewissenhaft sie auch unternommen wurden, zu keinem Resultat führten.
Von diesem Tage an haftete ein unauslöschlicher Makel auf der früher so respectablen Corporation der Fiakerkutscher, welche bis dahin in Neapel wie in Frankreich den Hunden den Preis der Treue streitig gemacht, nun aber nicht mehr wagte, sich mit einer Börse in der Hand nach der Wohnung des Fahrgastes gehend und mit der Unterschrift: »Zum treuen Kutscher« malen zu lassen.
Wenn Du daher, lieber Leser, in Neapel mit einem Fiakerkutscher in Streit geräthst und glaubt, es lohne der Mühe, deinem Gegner eine jener unsterblichen Injurien, welche nur durch Blut abgewaschen werden können, an den Hals zu werfen, so schwöre ganz einfach bei dem heiligen Gaëtano und Du wirst sehen, daß dein Gegner Dir sofort zu Füßen fällt, um Dich um Verzeihung zu bitten. Allerdings wird er dann in den meisten Fällen wieder aufstehen, um Dir einen Messerstich zu versetzen.
Die Thore der Capelle des Schatzes stehen, wie man sich leicht denken kann, fortwährend offen, um die Heiligen aufzunehmen, welche in den Hofhalt des heiligen Januarius einzutreten wünschen. Die einzige Bedingung sine qua non, welche dabei gestellt wird, ist, daß die Statue von reinem Silber sei, und das vorgeschriebene Gewicht halte.
Sollte indeß die Statue von Gold sein und das Doppelte wiegen, so würde man sie deswegen nicht zurückweisen.
Die Jesuiten allein, welche, wie man weiß, kein Mittel zur Aufrechthaltung oder Vermehrung ihrer Popularität verabsäumen, haben im Verlauf von weniger als drei Jahren fünf Statuen in der Capelle des Schatzes deponiert.
Nachdem wir diese, wie wir glaubten, unumgänglich nothwendigen Einzelheiten mitgetheilt, wird der Leser die Wichtigkeit der von dem Obergeneral der französischen Armee erlassenen Bekanntmachung begreifen.
Zehntes Capitel.
Wie der heil. Januarius sein Wunder verrichtete und welchen Antheil Championnet daran nahm
Schon vor Tagesanbruch an waren die Zugänge zur Kathedrale der heiligen Clara von einer ungeheuren Menschenmenge belagert. Die Verwandten des heiligen Januarius, die Nachkommen der alten Frau, welcher der alte blinde Mann begegnete, als sie das Blut des Heiligen in das Fläschchen sammelte, hatten ihre Plätze in dem Chor eingenommen, aber nicht um, wie dies sonst ihre Gewohnheit ist, das Wunder zu fördern, sondern um es wo möglich zu verhindern.
Die Kathedrale war schon voll und floß in die Straße über. Die ganze Nacht hindurch hatten die Glocken geläutet. Es war als wenn ein Erdbeben sie in Bewegung setzte, so spielten sie jede für sich in völliger Unabhängigkeit durcheinander.
Championnet hatte Befehl gegeben, daß auch nicht eine Glocke in dieser Nacht in Ruhe gelassen werden solle. Nicht blos Neapel, sondern auch alle umliegenden Dörfer, Städte und Einwohnerschaften sollten benachrichtigt werden, daß der heilige Januarius im Begriff stehe, sein Wunder zu verrichten.
Von Tagesanbruch an glichen daher die Hauptstraßen von Neapel Canälen, in welchen sich Fluten von Männern, Frauen und Kinder dahinwälzten.
Die ganze Menschenmasse bewegte sich nach dem erzbischöflichen Palast, um ihren Platz in der Prozession ein- zunehmen, welche sich um sieben Uhr Morgens von diesem Palast nach der Kathedrale in Bewegung setzen sollte.
Gleichzeitig hielten die Fischer von Castellamare und von Sorrento, die Korallenfischer von Torre del Greco, die Maccaroniverkäufer von Portici, die Gärtner von Pozzuolo und Baja, sowie die Frauen von Procida, Ischia, Acera und Maddalone in ihrem kostbarsten Kleiderschmuck durch alle Thore der Stadt ihren Einzug.
Mitten durch diese bunte, lärmende, vergoldete Menge drängte sich von Zeit zu Zeit ein altes Weib mit grauem, verworrenem Haar, gleich der Sibylle von Cumä mit lauterem Geschrei und lebhafter gestikulierend als alle Anderen, ohne sich um die Püffe zu kümmern, die sie austheilte, und übrigens auf ihrem ganzen Wege mit Achtung und Ehrerbietung empfangen.
Es war dies irgend eine Verwandte des heiligen Januarius, die sich verspätet und nun eiligst zu ihren Genossinnen verfügte, um in der Prozession oder auf dem Chor der Kathedrale den Platz einzunehmen, der ihr von Rechtswegen gebührte.
In gewöhnlichen Zeiten und wenn das Wunder an seinem herkömmlichen Tage stattfinden soll, braucht die Prozession einen Tag, um sich von dem erzbischöflichen Palast nach der Kathedrale zu begeben.
Die Straßen sind dann so dicht mit Menschen gefüllt, daß man vierzehn bis fünfzehn Stunden bedarf, um einen Weg von einer Viertelmeile zurückzulegen.
Diesmal aber galt es nicht, sich unterwegs aufzuhalten, an den Thüren der Kaffee- oder Wirthshäuser stehen zu bleiben und dann drei Schritte vorwärts und einen rückwärts zu thun, wie die Pilger, welche ein Gelübde abgelegt haben.
Eine Doppelreihe von republikanischen Soldaten, war von dem erzbischöflichen Palast bis zur Kathedrale aufgestellt, hielt die Passage frei, zerstreute die Gruppen und beseitigte mit einem Worte jedes Hinderniß, auf welches die Prozession stoßen könnte. Dabei aber trugen sie das Bajonnet in der Scheide und statt desselben einen Blumenstrauß in der Mündung der Muskete.
Und in der That, die Prozession sollte heute in sechzig Minuten den Weg zurücklegen, zu welchem sie gewöhnlich fünfzehn Stunden bedurfte.
Schlag sieben Uhr machten Salvato und seine Compagnie, das heißt die Ehrengarde des heiligen Januarius, mit Michele in der Mitte, der seine schöne Uniform und eine Fahne trug, auf welcher mit goldenen Buchstaben die Worte: »Ruhm und Preis dem heiligen Januarius« geschrieben standen, sich auf den Weg von dem erzbischöflichen Palast nach der Kathedrale.
Auch suchte man bei dieser ganz militärischen Ceremonie vergebens jenes seltsame Sich gehenlassen, welches das unterscheidende Kennzeichen der Prozession des heiligen Januarius in Neapel ausmacht.
Gewöhnlich und wenn sie sich selbst überlassen ist, geht die Prozession sich schlängelnd wie die Durance, oder unabhängig wie die Loire. Sie bespült mit ihren Wogen die Doppelreihe der Häuser, welche die Ufer bilden, macht plötzlich Halt, ohne daß man weiß warum, und setzt sich wieder in Bewegung, ohne daß man den Grund errathen kann, welcher ihr die Bewegung zurück gibt.
Man sah jetzt nicht unter den Wogen des Volks jene mit Gold, Schnüren und Ordenskreuzen bedeckten Uniformen der neapolitanischen Officiere glänzen, welche eine umgekehrte Wachskerze in der Hand tragen und jeder von drei bis vier Lazzaroni begleitet sind, die sich unter einander drängen und über den Haufen stoßen, um in einer grauen Papiertüte das von den Kerzen herabträufelnde Wachs aufzufangen, während die Officiere selbst mit stolz emporgerichtetem Kopf, ohne sich um das, was zu ihren Füßen und um sie herum vorgeht, zu kümmern, mit königlicher Freigebigkeit für einen oder zwei Carlini Wachs spenden und die dichtgedrängt an den Fenstern oder auf den Balcons stehenden Damen lorgniren, welche, indem sie thun, als ob sie den Weg der Prozession mit Blumen betreuten, ihre Bouquets den Officieren zum Austausch für ihre Blicke zuwerfen.
Eben so suchte man vergebens um das Kreuz oder die Fahne herum und sich mitten unter das Volk mischend jene Mönche aller Orden und aller Farben – Kapuziner, Karthäuser, Dominikaner, Camaldulenser, beschuhte und unbeschuhte Carmeliter – die einen groß, feist und rund, mit rothbäckigen, viereckig auf breiten Schultern sitzenden Köpfen, einherschreitend wie zu einem ländlichen Fest oder einem Dorfjahrmarkt, ohne Respect vor dem Kreuz, welches sie überragt, vor dieser Fahne, welche ihren flatternden Schatten auf ihre Stirn wirft; lachend, singend, plaudernd, den Ehemännern ihre hörnernen Schnupftabaksdosen bietend, den schwangern Frauen Rathschläge ertheilend, Denen, die es wünschen, Lottonummern bezeichnend und in etwas fleischlicherer Weise, als mit den Regeln ihres Ordens übereinstimmt, die auf den Thürschwellen, auf den Ecksteinen und den Perrons der Paläste stehenden jungen Mädchen betrachtend; – die andern lang, hager, ausgemergelt durch Fasten und Kasteiungen, ihre elfenbeinerne Stirn und ihre hohlen, schwarz geränderten Augen gegen Himmel richtend, einherschreitend, ohne zu sehen, von der Menschenflut fortgetragen, lebende Gespenster, greifbare Phantome, welche sich diese Welt zur Hölle gemacht, in der Hoffnung, daß diese Hölle sie schnurstracks ins Para- dies führen werde, und die an den großen Tagen religiöser Feste die Frucht ihrer klösterlichen Schmerzen in der scheuen Ehrerbietung ernten, von welcher sie sich umgeben sehen.
Nein! Heute gibt es im Gefolge des Kreuzes und der Fahne kein Volk, keine Mönche, weder feiste noch magere, weder ascetische noch weltlich gesinnte.
Das Volk steht dicht gedrängt in den schmalen Straßen und in den Seitengäßchen. Es betrachtet mit drohendem Auge die französischen Soldaten, welche unbefangen, im Schritt, mitten durch diese Menge marschierten, wo jedes Individuum, welches dazu gehört, die Hand am Messer hat und nur den Augenblick erwartet, um es aus dem Busen, aus der Tasche oder aus dem Gürtel zu ziehen und es in das Herz dieses siegreichen Feindes zu stoßen, welcher schon seinen Sieg vergessen und die Mönche in dem Liebäugeln und in den Complimenten ersetzt, aber, weniger gut empfangen als diese, zum Austausch für sein Entgegenkommen nichts weiter erhält als Murren und Zähneknirschen.
Was die Mönche betrifft, so sind sie da, aber unter der Menge zerstreut, welche die leise zu Mord und Empörung aufhetzen.
Diesmal ist, wie verschieden auch das Gewand, welches sie tragen, sein möge, ihre Meinung dieselbe und diese Stimme, wie man in Neapel sagt, schlängelt sich durch die Menge gleich einem Gewitterblitz und flüstert:
»Nieder mit den Ketzern! Nieder mit den Feinden des Königs und unserer heiligen Religion! Nieder mit den Lästerern des heiligen Januarius! Nieder mit den Franzosen! Nach dem Kreuz und der Fahne, die von Geistlichen getragen und nur von Pagliuccella escortiert wurden, welchen Michele sich beigesellt und später zum Unterlieutenant gemacht, und welcher selbst etwa hundert Lazzaroni zusammengerafft, die für den Augenblick Gegenstand der Spottreden ihrer Cameraden und der Verwünschungen der Mönche waren, kamen die fünfundsiebzig silbernen Statuen der untergeordneten Schutzheiligen der Stadt Neapel, welche, wie wir bereits erwähnt, den Hofstaat des heiligen Januarius bilden.
Was den heiligen Januarius selbst betraf, so war während der Nacht sein Haupt nach Santa Clara gebracht worden und stand nun auf dem Altar, der Verehrung der Gläubigen ausgestellt.
Diese Escorte von Heiligen, welchen in Folge einer so großen Vereinigung der geehrtesten Namen des Kalenders und der Märtyrologie gewöhnlich auf ihrem Wege große Verehrung gezollt wird, mußte an diesem Tage über die Art und Weise ihres Empfanges und die Anreden, die man an sie richtete, sehr entrüstet sein.
Und in der That, da man fürchtete, daß die Mehrzahl dieser in Frankreich angebeteten Heiligen dem heiligen Januarius den Rathgeben möchten, die Franzosen zu begünstigen, so machten die Lazzaroni, welche die kleinen Sünden, deren diese Heiligen sich bei ihren Lebzeiten schuldig gemacht, recht wohl kannten, ihnen, so wie sie vorüberkamen, allerhand Vorwürfe darüber, so zum Beispiel dem heiligen Petrus über seinen Verrath, dem heiligen Paulus über seine Abgötterei, dem heiligen Augustin über seine thörichten Jugendstreiche, der heiligen Therese über ihre Verzückungen, dem heiligen Franciscus Borgia über seine Grundsätze, dem heiligen Gaëtano über seinen Leichtsinn, und zwar mit einem lauten Geschrei, welches dem Charakter der Heiligen zur Ehre gereichte, indem dadurch bewiesen ward, daß an der Spitze der Tugenden, welche ihnen das Paradies geöffnet, die Geduld und die Demuth figurierten.
Jede dieser Statuen ward auf den Schultern von sechs Männern getragen, während sechs Priester aus den Kirchen, wo diese Heiligen besonders verehrt wurden, voranschritten. Jede gab zu dem von uns eben erwähnten Bemerkungen Anlaß, welche, so wie der Zug sich der Kirche näherte, geradezu in Drohungen übergingen.
Auf diese Weise gelangten die Statuen endlich in die Kirche der heiligen Clara, machten dem heiligen Januarius demüthig ihre Reverenz und nahmen dann ihre Plätze ihm gegenüber ein.
Nach dem Heiligen kam der Erzbischof Monsignore Capece Zurlo, dem wir schon bei den Unruhen, welche der Ankunft der Franzosen vorangingen, gesehen haben und der stark im Verdacht des Patriotismus stand.
Der Strom mündete in die Kirche der heiligen Clara ein.
Die hundertundzwanzig Mann Salvato's bildeten eine Spalier vom Portal bis zum Chor und er selbst stand mit dem Säbel in der Hand am Eingange des Schiffes.
Das Schauspiel, welches die dichtgefüllte Kirche jetzt darbot, war folgendes:
Auf dem Hauptaltar stand rechts das Haupt des heiligen Januarius, links das Fläschchen mit dem Blute.
Ein Canonicus stand Wache vor dem Altar. Der Erzbischof, der mit diesem Wunder nichts zu thun, hatte sich unter seinen Baldachin zurückgezogen.
Rechts und links vom Altar war eine Tribune errichtet, so daß der Altar sich zwischen demselben befand. Die Tribune links war mit Musikern besetzt, welche mit ihren Instrumenten in der Hand warteten, bis das Wunder geschähe, um es dann sofort durch eine Jubelfanfare zu begrüßen.
Die Tribune rechts war mit alten Frauen gefüllt, die sich die Verwandten des heiligen Januarius nannten und gewöhnlich hierherkamen, um das Wunder durch ihr näheres Verhältniß zu dem Heiligen fördern zu helfen, diesmal aber, um es womöglich zu verhindern.
Am oberen Ende der zu dem Chor führenden Treppe sah man ein großes Geländer von vergoldetem Kupfer, am dessen Oeffnung Salvato mit dem Säbel in der Hand stand.
Vor diesem Geländer, das heißt rechts und links von Salvato, knieten die Gläubigen nieder.
Der vor dem Altar stehende Canonicus ergriff hierauf das Fläschchen, ließ es von ihnen küssen, und zeigte allen das vollkommen geronnene Blut, worauf die Gläubigen sich zurückzogen, um andern Platz zu machen.
Diese Anbetung des kostbaren Blutes begann um neun Uhr Morgens
Der Heilige, welcher gewöhnlich einen, zwei, ja zuweilen sogar drei Tage braucht, um sein Wunder zu verrichten, und es zuweilen selbst nach Verlauf von drei Tagen noch nicht verrichtet, hatte heute nicht länger als dritthalb Stunden dazu.
Das Volk war überzeugt, daß das Wunder nicht geschehen würde, und die Lazzaroni nahmen sich, indem sie sich zählten und die geringe Anzahl von Franzosen sahen, die sich in der Kirche befanden, vor, wenn das Wunder schlag halb elf Uhr nicht geschehen wäre, kurzen Prozeß zu machen.
Salvato hatte seinen hundertundzwanzig Mann befohlen, wenn sie zehn Uhr schlagen hörten und folglich der entscheidende Augenblick herannahte, die Blumenstrauße von den Mündungen ihre Musketen abzunehmen und dafür die Bajonnette aufzupflanzen.