Kitabı oku: «So sey es », sayfa 10
»Ich hoffe, lieber Mitbürger, daß Sie sich hiedurch um so mehr bewogen finden werden, auf der Besitzung, die ich behalten habe, die Jagd zu eröffnen.«
Ich wiederholte mein Versprechen mich einzufinden. Die Unterredung sprang von diesem kitzlichen Gegenstande auf allgemeine Bemerkungen über, und wie bei dem ersten Zusammentreffen machte der Graf auf mich den Eindruck eines nicht nur gebildeten, sondern sehr unterrichteten, fast gelehrten Mannes.
Um ein Viertel auf acht hielt der Tilbury vor der Außentreppe; der Graf nahm Abschied von uns, setzte sich neben den Kutscher und nahm diesem die Zügel aus den Händen.
Der Kutscher, der die Pferde als sehr unlenksam kannte, trug einiges Bedenken sie ihm zu überlassen.
»Gib die Zügel nur,« sagte Alfred; »wenn Bab-Ali unartig wird, so wird ihm der Graf zeigen, wie man Ungezogenheiten züchtigt.«
Georges. der Bab-Ali beim Zügel gefaßt hatte, ließ ihn los.
Das Pferd bäumte sich und versuchte sich rechts, dann links zu werfen. Aber mit Hilfe der Zügel und der gleichzeitig angewandten Peitsche machte der Graf das unbändige Thier ganz gefügig, so daß es bei der Abfahrt so artig seyn zu wollen schien, als ob es in den Händen des Kutschers oder Alfreds selbst gewesen wäre.«
»Auf mein Wort,« sagte ich zu meinem Freunde, »ich glaubte anfangs, Du wolltest die Gräfin zur Wittwe machen.«
»Hilf Dir selbst, so wird Dir der Himmel helfen,« antwortete Alfred; »Sprichwörter sind die Weisheit der Nationen. – Georges,« sagte er, sich zu seinem Groom wendend, der Herr Baron verläßt morgen Reuilly auf zwei oder drei Tage. Halte Antrim für ihn in Bereitschaft.«
Ich sah Alfred erstaunt an.
»Wer hat Dir denn gesagt« daß ich fort will?« fragte ich.
»O! ich kann’s schon denken,« antwortete er; »man braucht dazu kein Hexenmeister zu seyn.«
»Wenn Du etwa die Absicht hast, mich belauschen zu lassen, wie das letzte Mal, so will ich Dir lieber gleich sagen wohin ich will; dein Kundschafter hat dann eine Mühe weniger.«
Alfred schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein,« sagte er, »auf Dich ist dieses Mal mein Augenmerk nicht gerichtet.«
»Auf wen denn?«
»Auf ihn.«
»Wen nennst Du denn ihn?«
»Wen denn sonst, als den Grafen von Chambray!«
Ich sah ihn betroffen an.
»Es ist eine Manie,« setzte er hinzu; »aber es soll Dir kein Unglück geschehen.«
Als ich Abends in mein Zimmer kam, fand ich auf dem Nachttische ein Paar schöne doppelschüssige Taschenpistolen.
Die Pistolen waren geladen und lagen auf einem Zettel, auf welchem die von Alfreds Hand geschriebenen Worte standen:
»Vorsicht kann nicht schaden!«
IX
Am andern Morgen um acht Uhr bestieg ich Antrim und ritt im scharfen Trabe zum Gitterthor hinaus.
Um zehn Uhr hatte ich fünf Lieues zurückgelegt. Ich hielt an, um mein Pferd ausruhen zu lassen. und selbst einen Imbiß zu nehmen.
Es war ein schöner Tag in der zweiten Hälfte des August. Es hatte in der Nacht geregnet, das Laub der mit rothen Aepfeln beladenen Obstbäume war wieder frisch grün geworden.
An dem Feldwege, den ich eingeschlagen habe, floß ein klarer Bach, wie man deren auf allen Wiesen in der Normandie findet. Die in viereckige Felder getheilte Erde zeigte die verschiedensten Schattirungen, von dem kräftigen Grün des Rasens bis zum Goldgelb der Aehren. Die behaglich wiederkäuenden Kühe und Ochsen, die großen Schafheerden, die an Bäumen oder Hecken sich aufrichtenden Ziegen, die auf den Stock gestützten Hirten – Alles dies bildete eine reizende Landschaft, in welcher von Zeit zu Zeit ein langes, niedriges, mit Schiefern oder Stroh gedecktes Haus mit schwarz angestrichenen Balken und Fensterläden auftauchte.
Und ich ritt freudigen Herzens, mit Behagen die reine frische Luft athmend mitten durch diese Landschaft und weidete mich an dem Anblick der Thiere, der Felder, der Menschen, des blauen Himmels. – Ich glaube, daß ich nie so glücklich gewesen bin.
Gegen Mittag erreichte ich das Dorf. Ich kehrte in einem Wirthshause ein, welches am Ende des Ortes liegt und aus dessen Fenstern man, wie schon erwähnt, das Schloß sehen kann. Ich verlangte und erhielt ein Zimmer mit der Aussicht auf die Straße.
Ich setzte mich ans Fenster, und mit der größten Ruhe, die mir die Gewißheit des zu erwartenden Glückes gab, zeichnete ich das von Baumgruppen umgebene Schloß.
Ein Theil des Tages verstrich, ohne daß ich Jemanden vorbeikommen sah. Ich ließ mir, ohne meinen Posten zu verlassen, den Tisch decken.
Es schlug sieben.
Kaum war der letzte Glockenschlag verklungen, so hörte ich einen von Bernay kommenden Wagen.
Es war ohne Zweifel der, den ich erwartete.
Ich erinnerte mich der Erzählung der Gräfin von ihrem übersinnlichen Gesichtsvermögen und beschloß sogleich einen Versuch zu machen. Ich stellte mich hinter den Vorhang. Wenn die Gräfin wirklich im Wagen saß, so mußte sie meine Anwesenheit ahnen und sich nach mir umsehen.
Der Wagen kam rasch näher. Ich stellte mich so, daß ich ungesehen beobachten konnte.
Es war wirklich die Gräfin. Sie saß in einem Coupé, dessen seidene Vorhänge herabgelassen waren; aber als sie vor das Wirthshaus kam, zog sie den an meiner Seite befindlichen Vorhang auf, steckte den Kopf zum Wagen heraus und schaute ohne Zögern nach meinem Fenster herüber.
Ich blieb in meinem Versteck. Der Wagen fuhr weiter.
Ich wurde nachdenkend. Der Versuch war gelungen. Woher rührte diese Wahlverwandtschaft zwischen zwei durch eine solche Kluft getrennten Wesen? welche räthselhafte Beziehungen konnten zwischen uns stattfinden und uns gegenseitig unsere Wünsche, unsere Entschließungen mittheilen? War es nur die Liebe, und mußten wir sagen wie Euripides: »O Liebe Du bist mächtiger als die Menschen und die Götter!« – oder war es ein allgemeines Naturgesetz, ein von dem Stärkern auf den Schwächeren ausgeübter gewaltiger Einfluß, von welchem man in der physischen wie in der geistigen Welt Beispiele findet? War es einer jener Beweise, den die Spiritualisten zu Gunsten der Seele vorbringen können, und hat das übersinnliche Gesichtsvermögen von welchem es in Schottland so viele Beispiele geben soll, nicht nur die Hochlandsberge sondern auch den britischen Canal überschritte?«
Wenn man dieses unbegreifliche Phänomen für wirklich oder möglich hält, so war die Gräfin mit ihrem erregbaren Gefühl. mit ihrer lebhaften Phantasie gewiß dafür empfänglich. Sie hatte mir ja selbst gestanden daß sie ein solches räthselhaftes Anschauungsvermögen besitze.
Während ich mit diesen Gedanken beschäftigt war, setzte ich mich wieder ans Fenster. Ich hatte ja ein Zeichen zu erwarten.
Die Gräfin mußte nun das Schloß erreicht und meine Anwesenheit von der alten Josephine erfahren haben.
Bald darauf that sich wirklich das bewußte Fenster auf und die Gräfin stellte eine Vase mit einem Rosenstrauße in dasselbe. Ich durfte ihr also einen Besuch machen.
Ich war so vergnügt, daß ich wie ein kleines Kind in die Hände klatschte.
Ich weiß nicht, ob sie meine närrischen Geberden unterschied, aber sie sah mich und nickte mir freundlich zu, wie eine Schwester dem Bruder.
Die Dämmerung brach an, ich hatte also nicht lange zu warten.
Als es völlig dunkel war ging ich fort und begab mich auf einem langen Umwege in Josephinens Häuschen.
Die gute Alle erwartete mich.
»Hatten Sie denn an die Frau Gräfin geschrieben?« fragte sie sogleich.
»Nein,« antwortete ich, »warum das?«
»Weil sie, als ich sagte: Herr von Villiers ist hier, mit dem Kopf nickte und antwortete: Ich weiß es. – Sie wußte es also, und sie kann es nur von Ihnen erfahren haben.«
Ich lächelte, ohne zu antworten. Ich hielt es für unnütz ihr eine Sache zu erklären, die sie doch nicht verstanden hätte.
»Wo ist die Frau Gräfin?« fragte ich.
»Im Schlosse.«
»Kann ich ihr einen Besuch machen?«
»Ja wohl, Sie werden erwartet.«
Ich wünschte der Alten einen guten Abend und ging in das Gitterthor.
Alles war still und ruhig unter den großen Bäumen, nicht der leiseste Wind bewegte die Gipfel. In den Laubgängen war’s sehr dunkel; von Zeit zu Zeit aber schimmerte der blanke Spiegel eines Wasserbeckens durch das Dunkel und die lautlose Stille wurde durch das Plätschern der Fische unterbrochen. – Es war ein unbeschreiblich schöner, stiller, heiterer Abend.
Ich wußte, daß sie mich erwartete; ich sehnte mich nach ihr. Zu jeder andern Zeit, zu jeder andern Stunde, in jedem andern Verhältnisse würde ich mich beeilt haben; aber jede Hast jede Ueberstürzung hätte mit der heitern Ruhe der Natur nicht harmonirt.
Als ich an das Ende der Allee kam, sah ich sie im weißen Hauskleide auf der Freitreppe.
Sie kam langsam die Stufen herab, mir entgegen. Meine schwärmerische, aber sehr heitere Stimmung schien auf sie übergegangen zu seyn.
Sie reichte mir die Hand« die ich an meine Lippen zog.
In diesem Augenblicke, wo ich sie in dieser dem Anschein nach mehr brüderlichen als leidenschaftlichen Weise begrüßte, hätte ich auf ein Wort, auf einen Wink das Leben für sie gelassen.
»Da sind Sie ja,« sagte sie; »es freut mich, Sie zu sehen.«
»Glauben Sie denn,« erwiederte ich, »daß ich mich dieses Wiedersehens nicht freue?«
»Wenn ich’s auch bezweifeln wollte, es wäre mir unmöglich; Sie wissen« daß ich die Gabe des übersinnlichen Gesichtsvermögens besitze.«
»Ich fange an daran zu glauben.«
»Was veranlaßt Sie dazu?«
»Haben Sie mich nicht hinter dem Vorhange des Gasthoffensters geahnt?«
»Ich habe Sie nicht blos geahnt, sondern gesehen.«
»Das ist unglaublich.«
»Leider müssen Sie mir glauben. Ich spreche mich klar und deutlich aus, wie ein Mathematiker. Sie standen am Fenster und hinter Ihnen lag ein Carton mit einer angefangenen Zeichnung; es war eine Ansicht des Schlosses.«
»Was Sie da sagen, könnte mir wirklich Angst machen.
– Hängt denn dieses übersinnliche Gesichtsvermögen von Ihrem Willen ab, und besitzen Sie es in Bezug auf Jedermann?«
»Nein, mein freier Wille hat gar keinen Einfluß darauf. Plötzlich fühle ich, daß etwas Seltsames in mir vorgeht, ein Schleier zerreißt zwischen mir und den Gegenständen, die ich sehen soll, und zwar in einer fast hörbaren Weise. Die Hindernisse verschwinden und zerrinnen wie ein sich zerstreuender Nebel und ich sehe. Es ist wie eine geheimnißvolle Gewalt, der ich gehorchen muß.«
»Dann bin ich dieses Mal der Zauberer gewesen,« erwiederte ich. »Es war mein Wunsch. Sie möchten mich im Vorbeifahren sehen« ohne zu ahnen, daß dieser Wunsch etwas über Sie vermöchte. Sie hatten mir von Ihrer magnetischen Empfänglichkeit erzählt, und ich wollte einen Versuch machen. Sie hatten mich fast dazu ermächtigt; Sie sagten ja, Sie würden mir einst erlauben.« Sie einzuschläfern.«
»Ja, wir werden sehen – vielleicht diesen Abend, vielleicht morgen. Ich möchte wissen, wann der Graf wieder nach Hause kommt. um möglichst lange hier zu bleiben. Wenn Sie wüßten, wie ich mich gefreut habe. wieder hier zu seyn, und wie glücklich mich der Gedanke macht, daß dieses Häuschen Ihnen gehört. Es ist mir, als wäre es immer noch mein.«
»Sie haben Recht. Aber wollen Sie mich nicht in das liebe Stübchen führen, das ich einst allein besucht habe?«
»Ja, mit Vergnügen.«
Sie nahm meinen Arm.
»Ich habe nie einen Freund gehabt,« setzte sie hinzu. »Seit dem ich unglücklich bin – und seit dem ich mich kenne bin ich es – sind meine Leiden tropfenweise in mein Herz gefallen, ohne daß ich es durch ein Geständniß oder eine vertrauliche Mittheilung erleichtern konnte. Das Herz ist ein Abgrund; aber wie tief derselbe auch sey, er wird doch endlich voll, wenn man immerfort die Trümmer des Lebens hineinwirft. Heute wallt mein Herz über, ich habe einen Freund gefunden, dem ich einen Theil meines Kreuzes aufbürden kann. Ich will ihn nicht zurückweisen. Wollen Sie mein Simon von Chrene seyn?«
»O, könnte ich Ihnen, da Sie mir auf dem Schmerzenswege begegnen, die ganze Last abnehmen und Sie froh und heiter zurücklassen! Wie süß würden mir die Leiden seyn, wenn ich nicht die meinigen, sondern die Ihrigen zu tragen hätte!«
»Es bleibt bei der Abrede. Sie nehmen den mir gehörenden Theil meines Lebens mit, zu dem andern habe ich den Schlüssel nicht.«
»Ich werde erfahren, was Sie mir sagen wollen, mehr will ich nicht zu wissen verlangen. Das Wenige, das Sie mir anvertrauen, wird ein Schatz seyn, der, wie dieses Haus, uns Beiden gehören wird.«
Die Gräfin seufzte.
»Was?« fragte ich.
»Nichts.«
»Ei ja,«e erwiederte ich, »es ist sonderbar!«
»Nicht wahr?« sagte sie, meinen Gedanken beantwortend.
»Man findet sich immer zu spät!«
»Aber es bleibt doch der Himmel,« sagte sie, einen Blick voll Hoffnung und Ergebung emporrichtend.
Wir gingen in eine Allee. Sie setzte sich auf eine Bank und winkte mir, an ihrer Seite Platz zu nehmen.
X
Es folgte eine kurze Pause, während der sich die Gräfin in die Vergangenheit zurückzuversetzen schien.
»Ich habe Ihnen seltsame Dinge zu erzählen, begann sie; »was in der Tiefe meines Herzens verborgen ist, sollte vielleicht nicht aus meinem Munde kommen, aber Sie kamen vorüber, als ich meinen Nothschrei ausstieß: Sie haben meine Stimme gehört, Sie sind zu mir gekommen. Ich will glauben, daß Sie zu meinem Wohl gekommen sind. Hören Sie also.
»Ich werde Ihnen alles ohne Ordnung und Zusammenhang erzählen, wie es mein überwallendes Gefühl mir eingibt. Was Sie mit dem Geiste nicht verstehen, wird Ihrem Herzen verständlich seyn.
»Ich habe meine Mutter gar nicht gekannt. Sie starb bei meiner Geburt, ich glaube es Ihnen schon gesagt zu haben, oder Sie haben es von Josephine erfahren. Meine früheste Erinnerung knüpft sich an diese Bank. Deshalb habe ich Sie hierher geführt, und es ist eine schreckliche Erinnerung.
»Josephine führte Zoe und mich spaziren, als ich sie zu wiederholten Malen beim Rock faßte und nach dem Hause fortzuziehen suchte. Der Hund! der Hund! sagte ich zu ihr, und meine Stimme scheint den Ausdruck der Furcht gehabt zu haben.
»Sie hat mir diese Scene nachher oft erzählt, und Zoe, die nur vier oder fünf Monate älter war als ich, erinnert sich derselben noch sehr gut.
»Plötzlich hörten wir lautes Geschrei, und ein großer Schäferhund erschien mit gesträubtem Haar, rothen Augen und schäumendem Maul in dieser Allee. Eine Schaar von Bauern, mit Heugabeln und Stöcken bewaffnet, verfolgte ihn.
»Der Hund kam auf uns zu. Josephine sah, daß er toll war. Sie nahm mich auf den Arm und lief, die kleine Zoe mit sich fortziehend, auf das Schloß zu.«
Der Hund lief uns nach. Ich konnte über die Schulter meiner Wärterin sehen, und was ich sah war entsetzlich. Während uns der Hund in seinem Wuthanfalle verfolgte, raffte er ohne still zu stehen, Steine auf und zermalmte sie unter den Zähnen. Die Bauern erschraken über die Richtung, die der Hund genommen, standen still und schwiegen, sie fürchteten das wüthende Thier durch Schreien und Toben noch rascher zu jagen. Doch diese Vorsicht blieb erfolglos, der Hund kam uns ganz nahe.
Plötzlich erschien mein Vater im Park. Er kam mit seiner Doppelflinte von der Jagd; er erkannte die Gefahr, in der wir uns befanden. Er zielte und schoß auf den Hund.
»Der Hund schien nicht getroffen zu seyn, denn er verfolgte uns mit gleicher Schnelligkeit. Er riß schon den Rachen auf, um die kleine Zoe zu beißen, als der zweite Schuß fiel.
»Das wüthende Thier stand still, biß sich in die Seite, fiel nieder und machte einen vergeblichen Versuch sich fortzuschleppen.
»Inzwischen war mein Vater herbeigeeilt. Er gab ihm einen so heftigen Schlag mit dem Kolben ans den Kopf, daß der Kolben zerbrach. Er schlug ihn mit dem Doppellaufe vollends nieder.
»Josephine trug mich ins Schloß, verriegelte schnell die Thür des Vorsaales, eilte in das Speisezimmer, dessen Thür sie ebenfalls verschloß. und sank im Salon erschöpft auf das Sopha.
»Die Thüren wurden aufgesprengt; mein Vater erschien, er war noch blässer. als ich ihn im Garten gesehen hatte. Er stürzte auf mich zu. schloß mich in seine Arme und küßte mich.
»Er hatte mich sehr lieb. der gute Vater. Diese Scene, die ein Beweis seiner zärtlichen Liebe war, ist mir im Gedächtniß geblieben.
»Der Schrecken. den ich damals hatte. ist vielleicht die Ursache der außerordentlichen Reizbarkeit, welche bei mir die eben erwähnten sonderbaren Erscheinungen zur Folge gehabt hat.
»Ich war damals etwa fünf Jahre alt. Jene erschütternde Scene prägte sich meinem noch schwachen Geiste tief ein.
»Einige Zeit nachher starb mein Vater. Er hatte seinen Tod vorhergesehen und seine Vorkehrungen getroffen, um mein Vermögen von dem seiner zweiten Frau völlig zu trennen. Der gute Vater hatte für mich eine gewisse Summe eingelegt, die sich, mit Hinzurechnung der jährlichen Interessen, zu der Zeit, wo ich das sechzehnte Jahr erreicht haben würde, auf drei Millionen belaufen mußte.
»Ich war ein Kind. Ich fühlte den schmerzlichen Verlust, den ich erlitt, noch nicht so tief, als wenn ich einige Jahre älter gewesen wäre. Ich erinnere mich nur an einige mit dem Tode meines Vaters Verknüpfte Umstände.
»Dieser Tod kam ganz Plötzlich und unerwartet, denn er war die Folge der Berstung einer Pulsader. Um zwei Uhr in der Nacht erwachte ich Plötzlich heftig weinend und rief: »Papa ist todt!« Dabei rieb ich mir die Lippen, auf denen ich einen eiskalten Kuß zu fühlen glaubte. In meiner kindischen Phantasie war mir mein Vater erschienen und hatte mir Lebewohl gesagt; die Kälte, die ich auf meinem Munde fühlte, war die Berührung des Todes.
»Josephine war auf mein Geschrei erwacht, und da ich immerfort jammerte: »Papa ist todt!« so stand sie auf und werkte meine Stiefmutter, deren Zimmer von dem meines Vaters nur durch eine dünne Wand getrennt war.
»Mein Vater hatte sich, wie gewöhnlich, Abends um zehn Uhr schlafen gelegt. Es hatten sich gar keine bedenklichen Symptome gezeigt, er hatte nur das gewöhnliche starke Herzklopfen gehabt. Meine Stiefmutter wollte daher anfangs den Worten Josephinens keinen Glauben schenken; sie klopfte an die Wand in der Voraussetzung. mein Vater werde erwachen und ihr antworten; aber es blieb Alles still.
»Sie wurde nun ernstlich besorgt, stand auf und zündete am Nachtlichte eine Wachskerze an. Dann klopfte sie an die Thür. erhielt aber keine Antwort. Sie ging nun in das Zimmer meines Vaters und schaute in den Alcoven. Mein Vater lag im Bette, als ob er schliefe, er hatte keine Bewegung gemacht, nur ein leichter, röthlicher Schaum war an seinen Lippen bemerkbar. – Er war todt.
«Dieses Phänomen mag erklären, wer es kann. Ob die aus ihrer Hülle scheidende Seele von mir Abschied nehmen wollte, wie von dem Theuersten, das sie in der Welt gehabt hatte? Ob sie mit ihren Schwingen meine Lippen berührt, und mich dadurch mit der für Jedermann unsichtbaren, für mich zuweilen sichtbaren Geisterwelt in Verbindung setzte?
»Ich, erinnere mich noch dunkel einiger traurigen Einzelnheiten: Wie der dumpf dröhnende Hammer die Nägel einschlug; wie mir Josephine einen Buchsbaumzweig in die Hand gab und mich anwies, den Sarg mit Weihwasser zu besprengen; wie das vor dem Hause mit dem Kreuze wartende Trauergefolge einen Gesang anstimmte. Dann versinkt Alles wieder in Nacht und erst aus späterer Zeit tauchen Erinnerungen in mir auf.
»Ich finde mich dann in einer Lehranstalt zu Evreux wieder mit einer Menge junger Mädchen, deren Gesichter mir im Gedächtnisse geblieben sind, wie Rosenknospen in einem wunderschönen feenhaften Garten.
Meine Stiefmutter besuchte mich jährlich zweimal in Begleitung eines schwarzgekleideten Mannes. der mit seiner blassen Gesichtsfarbe, mit seinem dünnen, glattgestrichenen Haar, mit seinen eingesunkenen Schläfen. dunklen Augenbrauen, stechenden grauen Augen und dünnen Lippen schon damals einen unheimlichen, wenn auch nur vorübergehenden Eindruck auf mich machte.«
»Nicht wahr, es war der Abbé?« fragte ich hastig, die Erzählung unterbrechend.
»Ja, er war’s,« antwortete die Gräfin. »Jedesmal wenn, meine Stiefmutter kam, ließ man mich mit dem Abbé eine Stunde allein; er nahm mir in allem Ernste die Beichte ab, als ob ich schon gewußt hätte, was Sünde ist.
»Wenn ich in den Ferien zu meiner Stiefmutter kam, fand ich den Abbé immer bei ihr. Er hielt mir dann eine kleine Strafpredigt, drohte mit dem Zorn des Herrn und sprach nie von der Güte und Barmherzigkeit Gottes. Die Natur sprach freilich statt seiner.
»Inwischen erreichte ich das dreizehnte Jahr und der Tag meiner ersten Communion kam. Der Abbé erhielt von dem Bischofe von Evreux die Erlaubniß, dem Seelsorger des Instituts zu assistiren. Ich befand mich unter den Kindern, die er zu unterrichten hatte. Seine Freundschaft für meine Stiefmutter gab ihm das Recht sich ganz besonders mit mir zu beschäftigen. Aber sonderbar, je mehr er um mein Wohl besorgt schien, desto unheimlicher, ängstlicher wurde mir zu Muth. Ich gehorchte ihm willenlos. ohne daß ich über mein Thun und Lassen nachsann. So wurde ich, wenigstens dem Anscheine nach, eine der besten Katechumenen des Institutes. Ich wurde zum Hersagen der Taufformel gewählt. Der Abbé Morin studirte mir die Worte ein, wie ein Theaterdirector einen Schauspieler einüben mag, aber gewiß nicht wie ein jugendliches Herz mit Gott zu sprechen lernen soll.
»Als der Tag kam«,war ich abwechselnd schwach und aufgeregt. Er sagte mir leise etwas in’s Ohr. so oft sich Gelegenheit bot. Was er sagte? ich weist es nicht, ich verstand es nicht.
»Ich habe seitdem ein Bild von Scheffer gesehen, das den mit Margaretha leise redenden Mephistopheles vorstellt. Ich war ganz betroffen. als ich das Gemälde sah; mich dünkt, mit diesem hämischen Ausdruck muß der Abbé Morin zu mir gesprochen haben.
»Der feierliche Tag kam. Ich war in einer unbeschreiblichen Stimmung; es schien mir. daß nichts Irdisches in mir sey und daß ich, sobald die Hostie meine Lippen berühre, auf Engelsschwingen zum Himmel aufsteigen würde.
»Ich hatte mir das Gebet willig einstudiren lassen; aber als der Augenblick kam, wo ich meine Seele zu Gott erheben sollte, vergaß ich Alles. Die Deklamation verschwand, um der Begeisterung zu weichen, meine Stimme wurde klangvoll und stark; ich theilte das Gefühl. mit welchem mir die Anderen zuhörten, und als ich schwieg, war mein Gesicht mit Thränen benetzt. Ich fühlte mich unaussprechlich wohl, aber meine Kräfte schwanden – ich wurde ohnmächtig. Man trug mich in die Sakristei.
»Es war eine sonderbare Ohnmacht: ich sah und hörte, als ob ich die Augen offen gehabt und alle meine Geisteskräfte besessen hätte; nur bewegen konnte ich mich nicht. – Man sagte mir nachher, es sey die Starrsucht.
»Der Abbé konnte mir erst nach beendeter Feierlichkeit folgen. Ich sah ihn durch meine geschlossenen Augenlider auf mich zukommen; ich fühlte, wie er seine Hand auf mein Herz legte; seine glühenden Blicke schienen mich durchschauen zu wollen. Er ging auf und ab, aber er ließ mich nicht aus den Augen. Die Chorknaben. die ihre Gewänder ablegten, und die aus- und eingehenden Personen bemerkten es nicht, aber ich war festgebannt, ich vermochte keinen Finger zu rühren.
»Endlich war er allein. Er sah sich um, schaute mich an, warf noch einen Blick im Zimmer umher, trat rasch an den Tisch, auf dem ich, mit einem Polster unter dem Kopfe, lag, und neigte sich zu mir.
»Ich fühlte einen so unbeschreiblichen Schrecken, daß alle Bande, die mich gefesselt hielten, zerrissen. Ich schrie laut auf, und ohne zu wissen wie stand ich auf den Füßen.
»Der Abbé Morin wich schnell zurück. Die Thür ging auf und der Seelsorger des Instituts erschien.