Kitabı oku: «So sey es », sayfa 9
VII
O, lieber Freund, wie entzückend sind die ersten Gefühle einer wahren Liebe! Nie war ich vollkommener glücklich, als in jener Nacht, wo ich Edmée mit der Gewißheit verließ, einen Theil meines Ich in ihr zurückzulassen, so wie ich einen Theil von ihr mit mir nahm, und wo ich das Wort »Dank« beständig zu hören glaubte.
Ich war an jener äußersten Grenze der Erde, welche, wenn man sie überschritte, nicht mehr die Erde, sondern der Himmel seyn würde.
Und sonderbar, kein sinnlicher Gedanke mischte sich in diese Quelle der Liebe, von der mein Herz überwallte. Es schien mir, als ob Leib und Seele bei Edmée völlig getrennt wären: der Leib gehörte dem Grafen von Chambray, die Seele gehörte mir. Für den Augenblick wünschte ich nicht mehr. Wie mein Geist noch ganz mit den in ihrer Gesellschaft verlebten Stunden beschäftigt war, so war ich überzeugt, daß ich in ihrer Erinnerung eine unauslöschliche Spur zurückgelassen hatte, und Alles was ich mit raschem Entschluß gethan, die Geschichte mit dem Ringe, der Ankauf des Schlosses Juvigny, die Schenkung des Hauses an Gratian, hätte mir nicht besser gelingen können, wenn es genau berechnet gewesen wäre.
Ich war jetzt nicht nur mit ihren Erinnerungen, sondern auch mit ihrem Leben innig verknüpft.
Sie hatte schon von der Gegenwart mit uns gesprochen: das erste Mal, wo sie mich wiedersehen würde, wollte sie von der Vergangenheit sprechen.
Aber wann sollte ich sie wiedersehen?
Dies stand bei Gott, der uns durch ein Zusammentreffen so unerwarteter Umstände mit einander in Berührung gebracht hatte.
Ich ging auf demselben Wege, den ich mit ihr genommen hatte, wieder zurück. Ich fühlte so zu sagen ihren Arm noch auf dem meinen. Als ich wieder über den Friedhof ging, schlug die Nachtigall, der Mond warf sein sanftes Licht durch die Zweige der Weiden. Ich betrachtete tiefbewegt den Stein auf dem sie vor einer kleinen Weile geruht hatte, und es schien mir, als ob ich den Himmel um nichts mehr zu bitten hätte, als hier an ihrer Seite den ewigen Schlaf zu thun.
Ich hörte die Klänge der Geige und des Klapphorns. Es war Zeit, mich den Tänzern zu zeigen; man hatte mich mit der Gräfin fortgehen gesehen, ich durfte nicht zu lange abwesend seyn.
Ich kam während einer Tanzpause. Ich nahm von Zoe mit einem Kuß auf die Stirn, von Gratian mit einem warmen Händedruck Abschied und begab mich wieder in den Gasthof »zum goldenen Löwen.«
Es hielt mich nun nichts mehr in Bernay zurück. Es wäre unbesonnen gewesen, mich der Gräfin zu nähern; wir wurden von neidischen Augen beobachtet, es mußte so viel wie möglich vermieden werden, ihnen mehr zu zeigen, als was sie bereits belauscht hatten.
Ich war überdies glücklich genug, um selbst in der tiefsten Einsamkeit zu warten, bis irgend ein Ereigniß mich wieder in die Nähe der Gräfin von Chambray bringen würde.
Ich hatte die Einladung des Grafen zur Eröffnung der Jagd nicht vergessen. Es fragte sich nur, ob er daran denken würde.
Die Eröffnung der Jagd sollte am 3. September stattfinden; wir hatten den 20. August, ich sollte also nur dreizehn bis vierzehn Tage warten.
Der Graf von Chambray war mir sehr gleichgültig. Ohne eben ein strenger Sittenrichter zu seyn, hatte ich es nie über mich gewinnen können, einer nicht mehr freien Dame den Hof zu machen. Und nun waren meine Gedanken ausschließlich mit der Gräfin beschäftigt, und obgleich ich kaum an den Grafen dachte, so ahnte ich doch, daß zwischen ihm und Edmée irgend ein Geheimniß obwalte, das mich berechtige, sie ohne Eifersucht und Reue zu lieben.
Uebrigens strebte ich ja nur nach dein Besitz ihres Herzens; was ich für sie fühlte, war jene sanfte, zarte Zuneigung, die der Bruderliebe nahe kommt, und als sie von der kleinen Elise Mama genannt wurde, fühlte ich mich nur deshalb so unangenehm berührt, weil ich glaubte, ein Theil dieses Herzens, das ich ganz besitzen wollte, werde mir durch die Mutterliebe entzogen.
Mit welcher Freude erfuhr ich, daß Edmée, verwaist, kinderlos, nur dem Namen nach Gattin, in der That aber Witwe, ganz allein in der Welt stand und meine Freundschaft meine brüderliche Zuneigung erwiedern konnte!
Alfred wunderte sich über meine heitere Stimmung.
»Ich brauche nicht zu fragen,« sagte er, »ob Du Dich auf der Hochzeit gut unterhalten hast und ob die Dame unserer Gedanken da war.«
»Was für eine Hochzeit?« fragte ich, denn ich hatte meinem Freunde nichts davon gesagt.
»Ei! die Hochzeit des Tischlers Gratian mit Zoe, der Milchschwester der Gräfin von Chambray.«
»Woher weißt Du denn« daß ich von der Hochzeit komme?«
»Ich habe Dir Spione nachgeschickt?«
»Wie, Du hast mir Spione nachgeschickt?«
»Ja, ich mache Versuche; ich wollte wissen, ob ich im Stande bin, eine Rotte Mouchards unter meinem Commando zu haben.«
»Ich verstehe Dich nicht; aber ich hoffe doch, daß es —«
»Ich will Dir’s erklären. Lieber Freund, Du mußt wissen, daß ich in diesem Augenblicke ein Feld, auf welchem Bäume mit goldenen Aepfeln wachsen, cultivire. Dieses Feld nennt man die Wahlen. Einer der Deputirten des Departements de l’Eure ist gestorben; ich möchte sein Nachfolger werden; ich habe bereits mein Circular verfaßt. Hier ist’s. Ich verspreche meinen Vollmachtgebern Eisenbahnen, Brücken, Canäle; ich will aus Evreux ein zweites Venedig, aus Louviers ein zweites Manchester machen. Wenn ich einmal zum Deputirten ernannt bin, so trete ich in die bescheidenen Grenzen eines Budgets von achthundert Millionen zurück. Aber Du kannst leicht denken, daß ich mit meinen administrativen Talenten und mit meiner Redegabe nicht lange blos Deputirter bleiben werde: ich werde Mitglied aller Commissionen, ich komme in den Staatsrath. und beim ersten Ministerwechsel erhasche ich ein Portefeuille. Einem großen Verwaltungstalent, wie ich bin, kommt natürlich das Portefeuille des Innern zu. Und was ist der Minister des Innern? Der eigentliche Polizeipräfect. Der in der Rue de Jerusalem ist nur sein erster Beamter. – Jetzt höre weiter. Angenommen ich hätte die Anzeige erhalten, daß Herr Max von Villiers, ungeachtet seiner Anhänglichkeit an den unglücklichen Prinzen, dessen Verlust wir beklagen, gegen die Regierung conspirire —«
»Wie!« unterbrach ich, »ich conspirire gegen die Regierung?«
»Laß mich doch ausreden. Ich sage ja nicht, daß Du Conspirirst, ich nahm nur an, daß mir die Anzeige zugegangen, Du conspirirst gegen die Regierung. Dann ist meine Pflicht, Dich des Hochverraths zu überführen oder deine Schuldlosigkeit an den Tag zu bringen. Ich schicke Dir also meine Mouchards nach; ich muß wissen was Du thust, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Willst Du den Bericht sehen, der mir über dein Thun und Lassen zugeschickt worden ist?«
»Ja, ich gestehe« daß ich neugierig bin.«
»So höre: Den 29. Juli nach Alencon gereist. Hat noch denselben Tag einen Notar, Namens des Brosses, besucht, der als ein Mann von überspannten Ansichten bekannt ist. Du siehst, daß Dir die ersten Indicien nicht günstig sind.«
»Lieber Alfred,« erwiederte ich, »es war ja durchaus nicht meine Absicht, mit Herrn des Brosses zu politisiren; ich ging zu ihm —«
»Wenn Du mir sagst, warum Du zu ihm gingst, so raubst Du mir das Verdienst, es ohne deine Erklärung zu wissen.«
»So fahre fort.«
»Da die Unterredung ohne Zeugen geführt wurde, so weiß man nicht, ob besagter Max von Villiers politisirt hat; aber das sichtbare Resultat der Unterredung war der Ankauf des Schlosses Juvigny. Denselben Abend reiste er nach Paris und kam mit hundertzwanzigtausend Franks zurück. – Ist es richtig?«
»Vollkommen richtig. Ich gratulire zu deinem Portefeuille.«
Alfred schaute wieder in seinen Bericht und las weiter:
»Hat in Alencon einen Wagen genommen. Ist um drei Uhr Nachmittags im Schlosse Juvigny eingetroffen —«
»Lieber Freund, lies weiter, Du stehst in meiner Achtung schon eben so hoch wie Herr Lenoir.«
»Hat das Schloß besucht und daselbst übernachtet. Nach sechstägiger Abwesenheit wieder in Evreux angekommen. Begab sich gleich nach seiner Rückkehr zu dem Juwelier Bochard, in der Hauptstraße, und ließ einen Ring schätzen; aber statt diesen Ring zu verkaufen, kaufte er eine goldene Kette und hängte sie sich sammt dem Ring um den Hals.«
Ich erröthete unwillkürlich.
Alfred bemerkte es.
»Ich frage Dich ja nicht,« sagte er, »ob es wahr ist oder nicht, ich lese Dir nur meinen Bericht vor. – »Nach Bernay abgereist. Im Gasthofe »zum goldenen Löwen« gewohnt. Bei Maitre Blanchard für dreitausend Franks ein kleines Haus in der Kirchengasse gekauft.« Es folgt nun das Verzeichnis der Tischlerwerkzeuge und Meubles, die Du in das kleine Haus bringen ließest. Willst Du nachsehen, ob es richtig ist?«
»Nein, es ist nicht nöthig. Du kannst Dich bereits mit Herrn von Sartines messen.«
»Warte nur, ich bin noch nicht fertig. – »Ist wieder nach Bernay gekommen. Hat die Meubles und Werkzeuge in dem angekauften Hause aufstellen lassen. Beim Wirth zum »goldenen Löwen« ein Hochzeitmahl bestellt« unter der Bedingung, daß der Tisch in dem kleinen Hause gedeckt werde.«
»Ich muß gestehen, daß deinem Scharfblick gar nichts entgangen ist. Weißt Du auch, was ich seit vorgestern gethan.?«
»Du bist erst vor zehn Minuten angekommen, lieber Freund,« erwiederte Alfred. »Du wirst gestehen, daß noch keine Zeit verloren ist. Ich erwarte einen letzten Bericht.«
In diesem Augenblicke erschien der Thürsteher und übergab dem Präfecten einen großen Brief.«
»Wahrhaftig,« sagte Alfred, »Du wirst nach Wunsch bedient. Da ist er.«
»Der Bericht über mich?«
»Ja, der Bericht über Dich.«
»Willst Du mir erlauben, diesen Brief zu erbrechen.?«
»Warum nicht! Ich wollte Dich darum ersuchen.«
Ich erbrach den Brief und las:
»Bericht über Herrn Max von Villiers vom 18., 19. und 20. August.
»18. August. Wieder nach Bernay gereist. Um vier Uhr Nachmittags im Gasthofe angekommen. Um sechs Uhr fortgegangen, um die Kirche Notre-Dame de la Culture zu besuchen. Erst drei Viertelstunden nachher, und zwar zehn Minuten nach der Frau Gräfin von Chambray wieder herausgekommen. Ist bis halb zwölf Uhr Abends auf dem Friedhofe geblieben und um Mitternacht wieder in den Gasthof gekommen.
»19. August. Um zehn Uhr Vormittags erhielt er einen Besuch von dem Tischler Gratian Benoit, mit dem er um ein Viertel auf eilf in das Schloß Chambray ging, wo die Braut des obgenannten Gratian wartete. Um halb eilf in die Maire, fünf Minuten vor eilf in die Kirche gegangen. Die Gräfin von Chambray am Arme aus der Kirche geführt —«
Alfred sah mich an.
»Alles richtig,« sagte ich, »Was ist denn auffallend daran?«
»Nichts. Nur weiter.«
Ich las weiter:
»Abends den Ball mit der Braut eröffnet. Den zweiten Contratanz mit der Gräfin von Chambray getanzt. Letztere auf ihr Schloß zurückbegleitet, gefolgt von einer alten Frau, Namens Josephine Gauthier. Hat sie um Mitternacht verlassen; ist wieder zur Hochzeit zurückgekehrt, hat Abschied von dem jungen Paar genommen und sich wieder in den Gasthof »zum goldenen Löwen« – begeben. Am 20. August, nemlich heute um acht Uhr Morgens, nach Lisieux abgereist. Sein erster Besuch war bei dem Herrn Präfecten, in dessen Cabinet er sich jetzt jetzt befindet.«
»Was sagst Du dazu?«
»Ich habe Wunderdinge von der Polizei des Herrn Fouché gehört; aber ich glaube, daß sie mit der deinigen nicht zu vergleichen ist.«
»Du gibst also zu, daß ich ein guter Minister des Innern seyn werde?«
»Hinsichtlich der Polizei, ja. Aber jetzt sage mir was dieser Spaß bedeuten soll?«
»Es ist durchaus kein Spaß,« erwiederte der Präfect. »Als ich Dir vor dem botanischen Garten in Brüssel begegnete, sagte ich zu Dir: In drei Monaten bin ich Präfect. Heute sage ich Dir zu Evreux in meinem Cabinet: In drei Monaten bin ich Deputirter und in einem Jahre Minister. So wahr wie ich in der angegebenen Frist Präfect geworden bin, werde ich in der genannten Zeit Deputirter und Minister.«
»Hast Du sonst nichts hinzuzusetzen?« fragte ich, meinen Freund scharf ansehend.«
»Ja wohl,« sagte er leise und legte die Hand auf meinen Arm; »ich habe hinzuzusetzen, lieber Max, daß Du die Gräfin von Chambray liebst, und diese Liebe beunruhigt mich.«
»Alfred!«
»Freund, ich bin jetzt der Einzige, der um dein Geheimniß weiß, und es ist hier,« setzte er, die Hand auf die Brust legend, ernst hinzu, »mehr in Sicherheit als in deinem Herzen. Aber was ich weiß. Max, das kann auch ein Anderer auf gleiche Art erfahren. Wie, wenn der Polizeipräfect ersucht wird, einen seiner Agenten zu schicken? Der Graf von Chambray ist ein verschlossener Charakter. Ich bin wie Cäsär, ich traue den hagern, blassen Gesichtern nicht. Angenommen nun, der Graf von Chambray schöpfe Verdacht; angenommen, er schreibe an den Polizeipräfecten und dieser sende ihm einen eben so gewandten Agenten wie er mir geschickt hat; – angenommen endlich, Herr Max von Villiers werde zu den Füßen der Gräfin überrascht —«
»Dann schießt man sie Beide todt.«
»Nein.«
»Man fordert Max von Villiers und schlägt sich mit ihm.«
»Nein.«
»Was geschieht denn?«
»Man bringt die Gräfin in ein Kloster, zwingt sie zur Erneuerung einer bereits erloschenen oder bald erlöschenden Generalvollmacht. In Folge dieser Vollmacht hat der Graf die Besitzung Juvigny verkauft, die ihm als die Geburtsstätte seiner Frau hätte heilig seyn sollen. So wird man ihr das Wenige, was ihr noch geblieben ist, entziehen, und die Welt wird dem Grafen wohl nicht Recht, aber auch nicht ganz Unrecht geben.«
Ich war anfangs ganz bestürzt über diese Voraussetzung.
»Was schließest Du daraus?« fragte ich; »soll ich meiner Liebe entsagen?«
»Es wäre das Vernünftigste, aber es ist nicht mehr möglich. Es ist so weit mit Dir gekommen, armer Max, daß Du eher dem Leben als deiner Liebe entsagen würdest. Ich mußte Dich warnen, diese Nothwendigkeit wird Dir einleuchten. Den Muth des Löwen hast Du schon, es fehlt Dir nur noch die Klugheit der Schlange. Sieh Dich vor, sieh Dich nach allen Seiten um auf dem Wege, den Du wandeln willst. Und wenn Du das ersehnte Ziel erreichst, so untersuche die Fußböden, durchforsche die Cabinete, öffne die Schränke. Ist’s im Erdgeschoß, so laß Dir eine Ausgangsthür offen; ist’s im ersten Stock, so sorge für ein Fenster, aus welchem Du, wie Cherubin, auf Blumenbeete springen kannst; ist’s im zweiten Stock, so sieh Dich nach einer Hintertreppe um, um nöthigenfalls, wie Don Carlos, zu entwischen; ist’s im dritten Stocke, so bewaffne Dich, wehre Dich deiner Haut und mache den Teufel todt, ehe er Dir auf den Leib kommt. Ein Präfect sollte Dir vielleicht einen andern Rath geben, aber ich spreche als Freund mit Dir.«
Ich druckte ihm die Hand.
»Und ich nehme deinen Rath als den eines Freundes an,« sagte ich.«
»Schön; aber wirst Du ihn befolgen?«
»Ich werde mein Möglichstes thun.«
»Mehr ist nicht zu verlangen. Jetzt, da Du Grundbesitzer im Departement bist, bitte ich um deine Verwendung bei der Deputirtenwahl.«
»Es ist also wirklich dein Wunsch?«
»Ich sehne mich eben so sehr nach einem Sitz in der Deputirtenkammer, wie Du Dich nach dem Wiedersehen der Gräfin von Chambray sehnst. Und ich muß gestehen, daß sie eine reizende, liebenswürdige Dame ist.
Georges erschien mit der Meldung, daß der Wagen bereit sey. Alfred nahm Hut und Handschuhe, bot mir eine Cigarre und zündete eine andere an.
»Du kommst doch mit mir?« sagte er.
»Wohin?«
»Ich will einen Wahlbesuch machen.«
»Nein, ich danke.«
»Du hast Recht, lieber Freund. Ueberlaß Dich nur deinen Träumereien. Es gibt ja in dieser Welt nichts Nothwendigeres als das Ueberflüssige, nichts Positiveres als das Ideale.«
Er ging fort.
Gleich darauf ging die Thür wieder auf.
»Apropos,« sagte Alfred, den Kopf in die Thür steckend, »hüte Dich vor einer gewissen Nathalie. Die Creatur ist für Geld zu Allem fähig.«
VIII
Meine Unterredung mit Alfred hatte mich etwas beunruhigt; ich ließ mir ein Pferd satteln und begab mich, ohne Alfred zu erwarten, nach Reuilly.
Die Einsamkeit des Parkes und die schattigen Bäume waren mir unendlich lieb geworden. Wenn ich dort allein spaziren ging und meinen Gedanken ihren Lauf ließ, schien es mir, als sähe ich zuweilen eine weiße Gestalt schweben, als folgte ich dieser Gestalt und als sähe ich sie plötzlich an der Biegung einer Allee sinnend aus einer Bank sitzen oder in nachdenklicher Stellung am Ufer des Flusses stehen.
Diese weiße Gestalt war Edmée, oder vielmehr ihr Geist, der nur stumm, unnahbar und flüchtig erschien, aber doch Alles that was ein Geist für den ihn liebenden Geist und Körper thun kann.
Zuweilen sann ich auch über Alfreds Aeußerungen nach. Herr von Chambray stand, ohne daß man etwas Bestimmtes gegen ihn sagen konnte, in der Umgegend in einem sonderbaren Rufe. Er war ein leidenschaftlicher Spieler, das war wohl bekannt, aber man setzte hinzu, daß er sich im Kreise von Freunden oft dergestalt betrank, daß sein tolles Gerede in Wahnsinn, sein Zorn in Wuth ausartete.
Ob er dabei einem natürlichen Hange zur Trunkenheit folgte, oder ob er einen geheimen Gram betäuben wollte, wußte man nicht mit Gewißheit zu sagen. Daß die Gräfin, dieser Engel der Tugend und Ergebung, einen Kummer hatte, den sie nicht zu verbergen vermochte, mußte eine geheime Ursache haben.
Und sonderbar, ich glaubte instinctmäßig zu begreifen, daß nicht alles Unglück der Gräfin von ihrem Gemal komme, daß in den sie umgebenden Personen eine andere Ursache ihres plötzlichen Erschreckens und ihrer fortwährenden trüben Stimmung zu suchen sey.
Eine innere Stimme sagte mir: Es ist der Abbé!
Dann schauderte ich. Bei der Religiosität, die ich meiner Erziehung zu danken hatte, schien mir Argwohn und Mißtrauen gegen einen Geistlichen eine Anomalie, an die ich mich nicht gewöhnen konnte. Die Criminaljustiz hatte dann und wann wohl eine von einem Standesgenossen verübte Unthat enthüllt; die Namen Maingrat und La Callonge hatten freilich die Gesellschaft in Schrecken gesetzt; aber im Grunde waren es Unmenschen, die in jedem andern Stande, wie ein Papavoine und Lacenaire, Verbrecher geworden wären. Ich weiß mir indeß die Rohheit eines Léotade besser zu erklären als die Heuchelei Tartuffe’s; ich beklage den Einen und verachte den Andern.
Doch dies waren nur Vermuthungen, die sich auf keine bestimmte Thatsache stützten; es schien mir, als wäre ich in eine Welt versetzt worden, wo ich nur gestaltlose Wesen fand, wie die, welche man im Traume sieht. Wie im Traume, hegte ich gewisse Besorgnisse, denen ich keine materielle Ursache zuschreiben konnte; sie fanden ihre Erklärung nur in einem ahnungsvollen Gefühl. Ich ahnte wohl, daß einst Licht in dieses Dunkel dringen werde; aber statt, wie ein Träumer, beim Erwachen von einer eingebildeten Gefahr befreit zu werden, fühlte ich, daß ich eine wirkliche Gefahr zu bekämpfen haben würde, sobald meine Augen sehen könnten, mein Geist die Lage der Dinge zu begreifen vermochte.
So vergingen drei Tage, ohne daß es mir einfiel in die Stadt zu gehen.
Als ich am dritten Tage vom Tische aufstand, sagte man mir, daß mich eine bejahrte Bäuerin zu sprechen wünsche.
Es konnte nur die alte Josephine Gauthier seyn.«
Ich war allein und ließ sie hereinkommen.
Ich hatte mich nicht geirrt; ich bot ihr ganz erfreut einen Stuhl. Sie hatte die Gräfin schon gestern verlassen und wollte mir Nachricht von ihr bringen. Was sie mir zu sagen hatte, wußte ich nicht; aber mit der guten Alten, die ihre Amme gewesen war und sie vielleicht mehr als ihre Tochter liebte, konnte ich ohne Bedenken von Edmée sprechen, ich hatte keinen Verrath zu fürchten.
»Nun,« fragte ich, »ist die Hochzeit zu Ende?«
»Ja, sie ist zu Ende,« antwortete sie. »Den zweiten Tag wurden die Ueberbleibsel des ersten und den dritten Tag die des zweiten gegessen. Aber das konnte nicht so fortgehen. Jedermann ist wieder an seine Arbeit gegangen, und jetzt ist von dem Hochzeitschmause nichts mehr zu sehen.«
»Sind die jungen Eheleute zufrieden und glücklich?«
»Ja wohl, das haben sie Ihnen zu danken, Herr Baron; sie lassen Ihnen sagen, daß Sie ihnen nächst dem lieben Gott und der Gräfin das Liebste auf der Welt sind.«
»Und wie geht’s im Schlosse?«
»Im Schlosse geht auch Alles gut. Die Kleine ist wohl ein bisschen traurig —«
»Die Gräfin?«
»Ja.«
»Wißt Ihr nicht warum sie traurig ist?«
»Nein. Ich weiß nur, daß der Graf einige Tage abwesend seyn wird.«
»Glaubt Ihr, daß dies die Ursache ist?«
»Wenigstens hatte sie rothgeweinte Augen« als er sie verließ.«
»Hat sie Euch nichts gesagt?«
»Ja wohl, sie sagte: »Josephine, in Abwesenheit des Grafen will ich einen Tag und eine Nacht in Juvigny zubringen; ich will mein Stübchen wiedersehen! Ich antwortete ihr: »Kommen Sie, Frau Gräfin, Sie sollen gut empfangen werden von Ihrer alten Josephine, die sich recht herzlich freuen wird, Sie in dem Hause Ihrer Kindheit wiederzusehen.« Da seufzte sie tief und sagte einige Worte, die ich nicht verstand. »Es ist drüben noch Jemand,« sagte ich, »der Sie noch besser empfangen würde, als ich.« – »Wer denn?« fragte ich. – »Der jetzige Besitzer, Herr von Villiers.«
»Und was antwortete sie darauf?«
»Nichts; sie seufzte wieder und noch lauter als das erste Mal.«
»Glaubt Ihr,« fragte ich die Alte, »daß es ihr unangenehm seyn würde, mich in Juvigny zu sehen?«
»Es ist nie unangenehm Leute zu sehen, denen man gut ist.«
»Ihr glaubt also, liebe Josephine. daß die Gräfin Freundschaft für mich fühlt?«
»O! das versteht sich. Wenn Sie wüßten, wie sie den Schlüssel des Stübchens betrachtete! Ich glaube sogar, daß sie ihn geküßt hat.«
»Das ist kein Beweis, daß sie mir gut sey, sondern daß ihr das Stübchen noch lieb und werth ist.«
»Das ist wohl wahr, aber ich weiß gewiß, daß ihr das Stübchen noch lieber geworden ist. seitdem Sie es kennen.«
»Woraus schließet Ihr das?«
»Aus ihren Fragen.«
»Sie hat Euch ausgefragt?«
»Ja, sie wollte Allen genau wissen: was Sie gesagt und gethan – wie Sie hinein- und wieder herausgekommen sind – in welchem Zimmer Sie sich gesetzt – in welchem Bett Sie geschlafen – ob Sie traurig oder vergnügt ausgesehen. Kurz und gut, sobald wir Beide allein waren, wurde nur von Ihnen gesprochen.«
Ich hörte der guten Alten mit unaussprechlicher Freude zu, und ich erkundigte mich eben so angelegentlich nach Edmée, wie sich diese nach mir erkundigt hatte.
Ich erfuhr viele höchst anziehende Einzelnheiten über ihre Jugend: wie sie als Kind eine große Vorliebe für Blumen und Vögel gehabt; wie sie sich mit ihnen in einer unbekannten Sprache zu unterhalten schien, wie sie so naiv erzählte, was die Vogel sagten und die Blumen dachten; wie sie die Einsamkeit liebte und Stunden lang am Wasser saß und darin Dinge betrachtete, die Niemand sah.
Die gute Josephine schlief in dem Zimmer neben dem blauen Stäbchen. Sie hatte ihre Ammengewohnheiten beibehalten, und beider mindesten Bewegung, die das Kind machte, erwachte sie, stand leise auf und schaute durch die angelehnte Thür. Die Kleine beantwortete im Schlafe ihre Fragen, beruhigte sie, und erzählte ihr, sie sey auf einer Reise durch unbekannte Gegenden, wo die Blumenblätter aus Smaragden, die Blumen aus Rubinen und Saphiren bestünden; wie sie in dem Lande ihrer Träume schöne Geschöpfe mit blauen Augen, blonden Locken, langen weißen Gewändern und goldenen Flügeln sehe. Dann setzte die gute Alte hinzu – was mir Edmée selbst erzählt hatte – daß sie oft aufstand. sich mit geschlossenen Augen an einen Tisch setzte und ohne Licht, von einer innern Flamme erleuchtet, an einer Stickerei arbeitete, oder schrieb. So war sie herangewachsen. fast ohne andern Unterricht als den jener unbekannten Lehrer, die ihr die Bücher, aus denen sie so viel Schönes erlernt, zu bezeichnen schienen. Denn Morgens ging sie in die Bibliothek und nahm ein Buch, das Niemand kannte, das sie selbst Tags vorher noch nicht gekannt hatte. Oder, wenn sie nicht selbst gehen wollte. schickte sie mich und nannte mir das Buch und bezeichnete mir den Platz, wo es war, so genau, daß ich nur den Arm auszustrecken und das Buch zu greifen brauchte.
Die Dienerschaft hatte vor ihr eine gewisse ehrerbietige Furcht wie vor einem überirdischen Wesen; aber zum Glück war sie so herzensgut, daß sich Jedermann zu ihr hingezogen fühlte und im Grunde keine andere Furcht hatte, als die ihr zu mißfallen.
Ich hörte der guten Alten eine ganze Stunde zu; ich hätte ihr den ganzen Tag. das ganze Leben zugehört.
Leider mußte sie nach Juvigny; sie hatte. um mich zu sprechen, schon einen Umweg von einigen Meilen gemacht.
Das Interessanteste an ihrer Erzählung war für mich der beabsichtigte Besuch der Gräfin im Schlosse.
Einen Tag mit ihr in diesem an Erinnerungen reichen Schlosse zuzubringen war für mich ein Glück, das ich nicht einmal zu träumen wagte.
Ich entwarf schnell folgenden Plan. Da ich nicht wußte, an welchem Tage die Gräfin ins Schloß kommen würde, so wollte ich schon den folgenden Tag nach Juvigny abreisen, um im Dorfe als Landschaftsmaler zu bleiben. Sie mußte durch das Dorf fahren. um sich ins Schloß zu begeben. Josephine sollte ihr sagen, daß ich im Dorfe sey – ich wollte sie nicht überraschen – und sollte sie fragen. ob sie es für gefährlich halte mich zu empfangen.
Wenn sie nur das mindeste Bedenken hegte, sollte sie mich nicht empfangen. Wenn sie hingegen ihre Zustimmung gäbe, sollte sie eine Vase mit Blumen in das von der Landstraße sichtbare Fenster ihres Zimmers stellen. Dies sollte für mich ein Zeichen seyn, daß ich ihr meine Aufwartung machen könne.
Ich fürchtete, die gute Alte werde alle diese Einzelheiten nicht im Gedächtniß behalten und schrieb sie daher auf ein Blatt Papier.
Darunter schrieb ich die Worte, welche Sie einst mit dem Messer an die Wand meines Hauses eingeschnitten hatte und an welche ich seitdem so oft zurück gedacht hatte:
»So sey es!«
Diese Worte sind eine Art Talisman, der mir immer Glück gebracht hat.
Als Alles verabredet war, machte sich die gute Alte auf den Weg.
Alfred kam wie gewöhnlich um fünf Uhr nach Hause.
Er kam in mein Zimmer. Ich kannte seine Fußtritte und ging ihm entgegen.
»Ich bringe Dir einen Gast, den Du gewiß nicht erwartest,« sagte er.
»Wen denn?«
Er sah sich im Zimmer um, als ob er sich überzeugen wollte, ob ich allein sey.
»Den Grafen von Chambray,« sagte er.
Ich war etwas betroffen.
»Den Grafen von Chambray! Warum bringst Du mir den Mann?« fragte ich.
»Ich bringe ihn nicht gerade Dir, ich habe ihn in meinem eigenen Interesse mitgebracht. Wenn man Deputirter werden will, muß man die einflußreichen Wähler cultiviren. Der Graf hat Juvigny verkauft; aber er hat Chambray noch; er ist noch Mitglied des Departementsrathes, und hoch besteuert. Man ist ihm daher viel Rücksicht schuldig. Ueberdies hat er eine schöne Jagd, zu der er Dich für die ersten Septembertage eingeladen hat. Ich weiß, daß Du der Einladung sehr gern folgst. Es kann nicht schaden, daß er seine Einladung wiederholt. Enfin, ist der Gemal der Gräfin von Chambray. Er besuchte mich auf der Präfectur; er hat es übel genommen, daß Du in Bernay gewesen bist, ohne ins Schloß zu kommen. Ich dachte, daß Du Dich mit ihm aussöhnen muß,« und habe ihn daher mit nach Reuilly gebracht.«
»Er verläßt also Bernay?«
»Ja, er geht an drei bis vier Tage nach Paris, er hat mit seinem Notar Geschäfte abzuthun. Ist es Dir nicht lieb, die Nachricht von seiner Reise bestätigt zu finden??«
»Bestätigt?«
»Allerdings, denn ich vermuthe, daß Du es schon wußtest und daß Dir die alte Bäuerin, die bei Dir war, keine andere Nachricht zu überbringen hatte.«
»«Alfred!«
»Lieber Freund, ein guter Verwaltungsbeamter hat die Pflicht, in seinem Amtsbezirk keinen Conflict aufkommen zu lassen. Du mußt mir in meinen Vorsichtsmaßregeln nicht hinderlich seyn. Unter einer constitutionellen Regierung sind die Staatsbeamten verantwortlich. Ich will meinen Platz nicht verlieren. Dann gibt es gewisse Dinge, die der Graf wissen muß und mit denen wir ihn bei Tische gesprächsweise bekannt machen werden.«
»Was für Dinge?«
»O! Lapalien, an die Du nicht denkst, wie zum Beispiel, daß Du jetzt der Besitzer von Juvigny bist.«
»Willst Du es ihm sagen?«
»Soll er’s etwa in Paris von seinem Notar erfahren und allerlei abgeschmackte Bemerkungen, denen ich mit wenigen Worten vorbeuge, darüber machen? Und was ein Präfect sagt, ist nicht zu bezweifeln, es ist officiell, wie die erste Spalte im Moniteur«. Wir speisen frühzeitig, wie Bürgersleute. Der Graf muß um acht Uhr in Evreux seyn, um im Postwagen zur Eisenbahn zu fahren. Bertrand hat freilich ein saures Gesicht gemacht, als er erfuhr, daß eine halbe Stunde früher als gewöhnlich gespeist werden soll – ungefähr ein Gesicht wie Du schnittest, als ich Dir sagte, daß Du mit dem Grafen von Chambray speisen wirst.«
In diesem Augenblicke wurde zur Tafel geläutet.
Alfred sah nach der Uhr.
»Halb sechs! pünktlich wie eine Sonnenuhr! – Lieber Freund, dieser Bertrand ist ein unbezahlbarer Mensch, den ich Dir testamentarisch vermachen werde, falls ich die Dummheit begehen sollte früher zu sterben als Du. – Jetzt komm, ein Deputirter muß seinen Wähler nicht warten lassen. Ludwig XV. sagte: Die Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.«
Wir gingen hinunter. Der Graf von Chambray, den Alfred im Park gelassen hatte, kam, durch die Glocke herbeigerufen, auf die Freitreppe zu.
Ich ging ihm entgegen. – Wir begrüßten uns in der herkömmlichen Weise, ohne daß sein schönes edles Gesicht den mindesten Nebengedanken verrieth.
Wir setzten uns zu Tische.
Erst jetzt machte mir der Graf höfliche Vorwürfe, daß ich so zu sagen bis an die Thür seines Schlosses gekommen sey« ohne ihn zu besuchen.
Ich antwortete, daß ich geglaubt, er sey abwesend, da er seine Gemalin nicht zur Hochzeit Gratians begleitet, daß ich seine Anwesenheit erst Abends von der Gräfin erfahren, und am andern Morgen bei Tagesanbruch abgereist sey.
Alfred brachte nun die Candidatur zur Sprache und erzählte,« er habe mich, um unter den Grundbesitzern einen Freund zu haben, zum Ankauf des erst unlängst von dem Grafen veräußerten Gutes Juvigny beredet; ich sey gar nicht geneigt dazu gewesen, hätte aber aus Freundschaft für ihn, obgleich ich die Besitzung nicht einmal gesehen, zwanzigtausend Francs mehr dafür bezahlt als der Graf von dem ersten Käufer erhalten.
Der Graf schien etwas verlegen, erröthete leicht. stammelte einige Worte, die seine Freude ausdrücken sollten, daß dieses Familiengut, zu dessen Verkauf ihn gewisse Rücksichten bewogen, nicht im Besitz eines Fremden, sondern eines Freundes sey, und setzte lächelnd hinzu: