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Kitabı oku: «So sey es », sayfa 6

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Zweiter Teil

I

Ich hatte nicht vergessen, was mir Gratian. der künftige Gatte der kleinen Zoe, gesagt hatte:

»Ich warte bis ich von einem unbekannten Onkel in Amerika dreitausend Franks erbe, um mich für meine Rechnung besetzen zu können; bis dahin begnüge ich mich mit meinem täglichen Erwerb von fünfzig Sous.«

Von meinem Gewinn blieben mir fünftausendfünfhundert Franks, überdies die dreihundert Francs. die mir Zoe. wie Gratian sagte. schuldig war.

Am Tage nach meinem Besuche bei Frau von Chambray, die einen Theil des auf ihrem Leben liegenden Schleiers gelüftet und deshalb einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte, reiste ich noch Bernay, ohne Alfred davon in Kenntniß zu setzen. Es sollte Niemand wissen, wohin ich ging.

Uebrigens war der liebe Alfred. das muß ich ihm lassen, nichts weniger als neugierig oder zudringlich.

Ich fragte ihn blos, ob ich eines seiner Reitpferde auf zwei oder drei Tage benutzen könne, und auf seine bejahende Antwort ließ ich satteln und einen leichten Mantelsack auflegen. Um meine Absichten nicht zu verrathen, ritt ich in einer andern Richtung fort und erreichte die nach Bernay führende Landstraße auf einem Umwege.

Bernay war das Ziel meiner kurzen Reise.

In Beaumont-la-Roger ließ ich mein Pferd ausruhen. Zwei-Stunden nachher war ich zu Bernay im Gasthause zum »goldenen Löwen.«

Ich war in Bernay ganz unbekannt. Ich war noch nie da gewesen. Ich mußte daher bei meinem Wirthe Erkundigungen einziehen.

Ich fragte zuerst nach dem Schlosse des Herrn von Chambray.

Das Schloß lag auf einem Hügel im Charentonnethale. Der reizende kleine Fluß, der dem Thale den Namen gibt, floß in malerischen Windungen an dem Park vorbei und begrenzte denselben auf der einen Seite. Etwas weiter aufwärts theilten sich die beiden Arme. um sich jenseits des Städtchens wieder zu vereinigen und in südlicher Richtung weiter zu fließen.

Dies war Alles was ich wissen wollte.

Ich ging auf das Schloß zu. – Es war ein Gebäude aus der neuesten Zeit, die ganze Facade zeigte die kahlen, geraden Formen, die den Bauwerken aus dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts eigen sind.

Sehr schön war Übrigens der Park, der das Schloß umgab. Er war etwa einen halben Kilometer von den letzten Häusern des Städtchens oder vielmehr Dorfes entfernt.

Am Ende des Ortes bemerkte ich einen Zettel an einer Hausthür. Es war ein hübsches, pittoreskes Häuschen, aus Bruchsteinen und Holz erbaut. Balken und Fensterläden waren grün angestrichen; oben auf dem Strohdache blühte ein ganzes Beet von Schwertlilien.

Thüren und Fensterläden waren geschlossen; aber auf dem Zettel stand, daß man sich an Herrn Dubois. Kirchengasse Nr. 12. zu wenden habe.

Die Kirchengasse war ganz in der Nähe. Ich schellte bei Herrn Dubois.

Der alte Mann machte eben seinen gewohnten Spaziergang; aber in seiner Abwesenheit erbot sich ein kleines Mädchen, das sich als seine Nichte zu erkennen gab, mir das Häuschen zu zeigen.

Ich nahm das Anerbieten an. Die Kleine nahm den Schlüssel und ging schnell und geschäftig voran; sie schien sich auf dieses Beschließeramt nicht wenig einzubilden.

Das kleine Haus hätte mir nicht besser gefallen können, wenn ich selbst den Plan gemacht hätte. Das Erdgeschoß bestand aus einem großen Zimmer, das als Kaufladen oder Waarenlager benutzt werden konnte, aus einem kleinen Zimmer und einer Küche. Im ersten Stocke waren zwei Zimmer.

Alles dies war naiv eingetheilt, wie in den kleinen hölzernen Häuschen, die man den Kindern als Spielzeug kauft und deren wohl dreißig sammt den aus Papier geschnittenen Bäumen in eine Schachtel gehen.

Ein Gärtchen gehörte zu dem Hause. Aus dem Gärtchen und den Fenstern sah man das Schloß Chambray.

Ich fragte nach dem jährlichen Miethpreise. Die Kleine sagte: hundertfünfzig Francs.

Auf meine Frage, ob das Haus zu verkaufen sey, antwortete die Kleine. sie wisse es nicht, ich müsse ihren Onkel Dubois fragen. Dieser Name fiel mir zum zweiten Male auf, ich glaubte ihn schon gehört zu haben.

In diesem Augenblicke hörte ich hinter mir ein Geräusch.

Ich sah mich um und bemerkte einen alten Mann. den ich leicht als den Eigenthümer erkannte.

Der alte Mann. ein Sechziger, hatte kleine lebhafte Augen und eine stark gebogene Nase; das ganze Gesicht hatte den Ausdruck der Schlauheit.

Wir begrüßten uns und ich erneuerte die Frage, die ich bereits an seine Nichte gerichtet hatte.

»Nun, das kommt auf den Preis an,« sagte er.

Ein Normann sagt bekanntlich nie ja oder nein.

»Auf was für einen Preis?« fragte ich.

»Auf den Preis, den Sie mir geben würden.«

»Ich habe den Preis nicht zu bestimmen, erwiederte ich; »Ihr habt als Verkäufer einen Preis zu fordern.«

»Auf dem Zettel steht, daß das Haus zu vermiethen ist, von einem Verkauf ist nicht die Rede.«

»Ihr wollt es also nicht verkaufen?«

»Das sage ich nicht.«

Ich fing an ungeduldig zu werden.

»Ich habe nicht lange Zeit,« sagte ich. »Macht es kurz.«

»Das freut mich.« sagte er.

»Wie, das freut Euch.«

»Ja. ich mache gerne Geschäfte mit Leuten, die keine Zeit haben.«

»Ich möchte gern ein Geschäft mit Euch machen, aber Ihr müßt mir entschieden antworten.«

Der Alte sah mich etwas betroffen an.

»Was meinen Sie damit?« fragte er.

»Ich meine damit. daß Ihr ja oder nein antworten müßt auf die ganz einfache Frage: Wollt Ihr euer Haus verkaufen oder nicht.«

»Wie wär’s erwiederte er, »wenn wir zu Herrn Blanchard gingen?«

»Wer ist Herr Blanchard?«

»Der Notar.«

»Gut, gehen wir zum Notar.«

»Kommen Sie.«

Die Kleine blieb in der Thür stehen. Der Onkel hatte ihr durch einen Wink zu verstehen gegeben. daß wir wahrscheinlich wiederkommen würden. – Wir begaben uns zu dem Notar.

Der ehrenwerthe Mann des öffentlichen Vertrauens war zu Hause.

Ein junger Springinsfeld von zwölf bis fünfzehn Jahren führte uns in die Schreibstube. Das ganze Kanzleipersonal schien aus diesem jungen Menschen zu bestehen.

Der Notar war, wie es sich für eine Respectsperson seines Standes ziemt, in weißer Cravate. Dabei trug er eine grüne Brille, aber nicht auf der Nase. sondern auf der Stirn.

Als wir eintraten, schob er die Brille geschwind herunter.

Ich merkte wohl, daß Maitre Blanchard die Brille gegen seine Clienten und nicht zum Lesen und Schreiben brauchte. Er war auch ein Normann.

»Grüß Gott, Herr Blanchard und Ihre werthe Gesellschaft, sagte der Bauer, obgleich der Notar ganz allein war.

»Da ist ein Herr, der durchaus mein Haus kaufen will.«

Dabei zeigte er mit dem Finger auf mich. »Ich wollte Sie fragen, ob ich’s verkaufen kann.«

Der Notar verneigte sich gegen mich; dann antwortete er dem Bauer::

»Allerdings könnt Ihr’s verkaufen. Freund, es gehört ja Euch.«

»Ich habe kein Geld nöthig,« setzte der Bauer hinzu; »das wissen Sie wohl, Herr Blanchard, und ich werde das Haus nur hergeben, wenn ich einen guten Preis dafür bekommen könnte.«

»Herr Notar,« sagte ich, »meine Zeit ist sehr beschränkt. Wenn es in Ihrer Macht steht, so haben Sie die Güte, diesen Mann zu einer schnellen Erklärung zu bewegen. Es gibt wahrscheinlich noch mehr Häuser in Bernay zu verkaufen oder zu vermiethen.«

»O ja,« antwortete der Notar.

»Es gibt wohl noch Häuser,« setzte der Bauer hinzu, »aber keines wie das meinige.«

»Warum nicht wie das eurige?«

Der Bauer schüttelte den Kopf.

»Ich sage, was ich sage,« antwortete er.

»Herr Notar,« sagte ich, »der Miethpreis ist mir bekannt: hundertfünfzig Francs jährlich.«

»Wer hat Ihnen das gesagt?« unterbrach der Bauer.

»Das kleine Mädchen. das mir das Haus zeigte.«

»Es ist ein albernes Ding. Sie wollen ja auch mein Haus nicht miethen, sondern kaufen.«

Gut, ich wills kaufen,« sagte ich zum Notar; »suchen Sie also aus Ihrem Clienten den Preis herauszubringen.«

»Ich hab’s Herrn Blanchard schon gesagt.« fiel der Bauer wieder ein; »unter sechstausend Francs gebe ich das Haus nicht her, und davon geht kein Saus ab.«

Dies war das Doppelte des Wertes.

Ich stand auf, nahm meinen Hut und wollte fortgehen.

»Bedenkt doch, Papa Dubois,« sagte der Notar.

Dieses Wort: »Papa Dubois« erinnerte mich an meine Unterredung mit Gratian, dem Bräutigam der kleinen Zoe.

Als der Bauer sah, daß ich meinen Hut nahm, streckte er einen Arm nach mir aus, als ob er mich zurückhalten wollte.

»Wo wollen Sie denn hin?« sagte er, »man zahlt ja nicht gleich einen verlangten Preis.«

Ich sah wohl« daß ich mit einem echt normännischen Schacherer zu thun hatte.«

»Höret, mein lieber Mann,« sagte ich. »Ein Miethzins von hundertfünfzig Franks stellt den Werth eines Hauses auf dreitausend Francs. Ich gebe Euch dreitausend Francs für das Haus. Es sind dreizehnhundert mehr als der Preis, für den Ihr Jean-Pierre verkauft habt.«

»Jean Pierre! – Jean Pierre verkauft!« stammelte Dubois.

»Ja, euren letzten Sohn, den sogenannten Kürassier,« erwiederte ich. – »Herr Notar,« setzte ich, meine Uhr hervrorziehend, hinzu, »es ist zwei Uhr. Bis vier Uhr will ich ein anderes zu verkaufendes oder zu vermiethendes Haus suchen. Um vier Uhr will ich wieder zu Ihnen kommen. Wenn Ihr Seelenverkäufer kein Haus für dreitausend Franks verkaufen will, so halten Sie den Contract bereit, ich verspreche Ihnen den Vorzug vor Allem was ich bis dahin sehen werde. Wenn Ihnen der Preis nicht genehm ist, so werde ich mit einem Andern unterhandeln. Adieu, Herr Notar, ich lasse

Ihrem Clienten zwei Stunden Bedenkzeit.«

Ich entfernte mich und ging wieder in den Gasthof »zum goldenen Löwen.« In der sichern Erwartung, daß mir der alte Dubois sein Haus zu dem von mir gebotenen Preise lassen würde, ließ ich mein Pferd satteln und ritt einen reizenden Weg am Ufer der Charentonne bis nach Rose-Moray.

Schlag vier Uhr war ich wieder vor dem Hause des Notars.

Ich rief einen Bettler, dem ich ein Geldstück gab, um mein Pferd zu halten, und ging in die Schreibstube.

Ich fand Maitre Blanchard an derselben Stelle und in derselben Haltung. Es war seine officielle StelIe und Haltung.

»Nun, was hat der alte Dubois beschlossen?« fragte ich.

»Er will Ihnen das Haus lassen,« antwortete der Notar; »aber er verlangt hundert Franks Nadelgeld für seine Nichte.«

»Ich gebe dreihundert,« erwiederte ich, »unter der Bedingung, daß dieses Geld in Ihren Händen bleibt, daß Sie es fruchtbringend anlegen und daß Sie es ihr an ihrem neunzehnten Geburtstage oder an ihrem Hochzeitstage übergeben.«

»Der Papa Dubois wird schön angeführt,« sagte Maitre Blanchard lächelnd.

»Das glaube ich wohl: er wollte die hundert Francs für sich behalten.«

»Natürlich,« versetzte der Notar.

»Ich bin nicht ganz Ihrer Meinung,« entgegnete ich; »doch das thut nichts zur Sache. Ist der Kaufcontract fertig?«

»Ja, wohl, der Verkäufer hat ihn schon unterzeichnet.«

Ich nahm die Feder.

»Warum Sie,«sagte Maitre Blanchard; »auch dem Gesetze muß der Vertrag, bei Strafe der Ungültigkeit, den Parteien vorgelesen werden.«

Er las mir den Vertrag vor. Der Empfang von dreitausend Franks wurde darin natürlich bestätigt.

Während Maitre Blanchard las, nahm ich die tausend Thaler aus der Brieftasche und legte sie in drei Banknoten auf den Tisch.

Als der Kaufkontrakt vorgelesen war, unterschrieb ich.

Es blieben noch die Gebühren des Notars zu bezahlen.

Diese betrugen, mit Inbegriff der Einregistrirung, achtzig Francs.

Ich gab ihm eine Banknote von hundert Franks unter der Bedingung, daß die übrigen zwanzig Francs dem armen kleinen Teufel, der das ganze Kanzleipersonal ausmachte, ausgezahlt werden sollten.

Maitre Blanchard übergab mir nun die Schlüssel des Hauses.

Ich ersuchte ihn, sie bis auf weiteres in Verwahrung zu behalten und empfahl mich.

Vor dem Hause fand ich mein Pferd nicht mehr von dem Bettler, sondern von einem kleinen Knaben, der mir bis ans Knie reichte, bewacht.

Ich wollte ihm den Zügel aus der Hand nehmen.

»Cè ty à tè, le cheval?«1 fragte der Kleine in seinem Patois.

»Ja. es gehört mir,« antwortete ich mit einem halbmißlungenen Versuch, in demselben Dialekt zu sprechen.

»Mußt es beweisen,« versetzte der Kleine und zog den Zügel an sich.

Ich rief den Notar und ersuchte ihn, dem Berwahrer meines Pferdes zu bezeugen, daß das Pferd wirklich mir gehöre.

Der Notar erfüllte meinen Wunsch und ich kam wieder in den Besitz meines Rosses.«

Der Knabe verdiente dabei ein Fünffrankenstück.

»Jetzt kann ich beschwören,« sagte er, »daß das Pferd dem Herrn gehört.«

Ich wandte mich noch einmal zu dem Notar und sagte:

»Dieser kleine Mensch wird gewiß einst ein famöser Client für Ihren Nachfolger.«

Ich begab mich wieder in den Gasthof, ließ hier Alfreds Pferd zurück und fuhr um fünf Uhr mit dem Postwagen nach Lisieux.

Drei Tage nachher war ich, wie ich Alfred versprochen, wieder in Evreux.

II

Vierzehn Tage nachher war ich wieder im Gasthof »zum goldenen Löwen.«

Dieses Mal war ich zur Hochzeit Gratians und Zoe’s nach Bernay gekommen; denn das Domicil des jungen Mannes war zu Bernay, bei dem Tischlermeister Guillaume, in der Hauptstraße. Das Domicil der Braut war im Schlosse Chambray, dessen Lage wir beschrieben haben, und wohin sie ihrer Milchschwester gefolgt war.

Die Gräfin hatte für den Brautschmuck gesorgt, und Zoe sollte im Schlosse abgeholt werden.«

Für die dreihundert Francs, die von dem Kauf Jean Pierre’s übrig geblieben waren, hatte Gratian den Hochzeitschmaus im Gasthofe »zum goldenen Löwen« bestellt. Frau von Chambray hatte von ihrem Gemal die Einwilligung erhalten, zur Hochzeit zu gehen; er selbst mochte bei diesem Feste, das er als eine Last betrachtete, nicht erscheinen.

Der Hochzeitstag kam. Gratian, von meiner Ankunft benachrichtigt, hatte mir Abends vorher einen Besuch gemacht.

Frau von Chambray und Zoe waren Abends auch angekommen.

Ich hatte den Wirth »zum goldenen Löwen« veranlaßt, im Namen der Frau von Chambray die Mutter der Braut von Juvigny holen zu lassen.

Die gute Alte hatte so sehnlich gewünscht, ihre Kleine, wie sie die Gräfin nannte, wiederzusehen, daß ich ihr den Wagen schickte und hundert Franks für kleine Einkäufe übergeben ließ; denn aus den Beobachtungen, die ich bei der Sammlung gemacht hatte, zweifelte ich daß ihr Frau von Chambray dieses Glück verschaffen könne. Ich schrieb ihr, es sey von dem neuen Besitzer des Schlosses, und machte zur Bedingung« daß sie diesem nicht dafür danken sollte.

Alles dies konnte ich ihr noch einmal ans Herz legen, denn sie kam eine Stunde früher von Juvigny an, als Frau von Chambray und Zoe von Evreux eintrafen.

Zoe fand also im Schlosse ihre Mutter und die Gräfin ihre Amme.

Abends machte ich einen Spazirgang. Seit dem Tage, wo mir Frau von Chambray ihren Ring für die Abgebrannten gegeben, hatte ich sie nicht wiedergesehen. Diesen Ring, den ich natürlich nicht verkauft, sondern nur nach denn Schätzungswerthe bezahlt hatte, trug ich an einer dünnen goldenen Kette auf der Brust.

Ich hatte keine Hoffnung sie zu sehen; aber ich fühlte, mich unwillkürlich zu ihrer Wohnung hingezogen.

Es wurde Abend, als ich aus dem Städtchen ging. Ich ging am Ufer der Charentonne fort und befand mich bald an der zur Kirche Notre-Dame de la Coulture führenden Treppe.

Ich ging die Treppe hinauf und befand mich auf einem kleinen Friedhofe.

Ein echt ländlicher Friedhof, öde und traurig wie der Gottesacker Gray’s. Im Schimmer der letzten Sonnenstrahlen, die sich wie leuchtende Lanzen über die Erdfläche erstreckten, las ich einige Grabschriften, welche Zeugniß gaben von der Einfalt der Verstorbenen und von der Naivität der Ueberlebenden.

Dann ging ich in die Kirche. – Ich glaubte sie verödet zu finden. Ich irrte mich. In einer Ecke betete eine weibliche Gestalt.

Sie war in einen großen Shawl gehüllt und ich konnte ihr Gesicht nicht sehen; aber ich stutzte. Eine Stimme flüsterte mir nicht ins Ohr, sondern ins Herz:

»Sie ist’s!«

Ich stand still und drückte die Hand auf die Brust, denn mein Athem stockte.

Mein fester Wille siegte indeß schnell über meine Befangenheit. Ich ging in den dunkelsten Winkel der Kirche, und lehnte mich an einen Pfeiler nahe an die Thür. Von da betrachtete ich sie.

Ein Strahl der scheidenden Sonne fiel durch ein Kirchenfenster, und ließ die Betende in einem überirdischen Strahlenglanze erscheinen.

Aber der Sonnenstrahl fing an allmälig zu erblassen und erlosch endlich ganz.

Warum wurde mein Herz so beklommen bei diesem Anblick als ob jenes Licht, das ihr der neidische Himmel entzog, ihre Seele gewesen wäre, die, eine kleine Weile in diese Welt verbannt, wieder zum Himmel, ihrer wahren Heimat, aufstieg?«

Bald war sie von Dämmerung umgeben, und eine Bewegung, welche sie machte, zeigte mir an, daß ihr Gebet zu Ende war.

Ich wurde unwillkürlich an den Vers Hamlet"s erinnert:

 
– Nymphe, wenn Du betest,
Gedenke aller meiner Sünden.
 

Sie stand auf, küßte den rechten, auf dem Kopf der Schlange stehenden Fuß der heiligen Jungfrau, ging auf den Armenstock zu und warf ein Geldstück hinein.«

Ich wußte – und Gott wußte es auch – wie schwer ihr selbst das geringste Almosen wurde!

Als sie den Armen ihr Schärflein geopfert, ging sie auf die Thür zu. Ich trat nun aus dem Dunkel hervor, um meine Fingerspitzen in das Weihwasser zu tauchen, und ihr meine nassen Finger zu bieten.

Sie erkannte mich. Die Ueberraschung entlockte ihr einen leisen Schrei. Ich glaubte sie unter ihrem Schleier erblassen zu. sehen. Aber sie zog einen Handschuh aus, berührte meine Fingerspitzen mit den ihrigen, schlug ein Kreuz und entfernte sich.

Ich schaute ihr nach, bis sich die Thür hinter ihr geschlossen hatte und ihre Fußtritte nicht mehr zu hören waren. Dann kniete ich an derselben Stelle nieder, welche sie verlassen hatte.

Ich will nicht sagen, daß ich betete, ich habe kein Gebet gelernt. Ich gehe in eine Kirche um nachzudenken, meinen Geist zu sammeln. Wenn ich Gott um etwas zu bitten, ihm für eine Wohlthat zu danken habe, so thue ich es nicht mit erlernten, fremden Lippen entlehnten Worten, sondern mit Gefühlen, die meinem Herzen entströmen und sich nicht immer in Worten aussprechen. Ich befinde mich dann in einem beschaulichen, dem Treiben der Welt entrückten, ich möchte fast sagen träumerischen Seelenzustande; mein Geist scheint Schwingen zu bekommen und himmelwärts getragen zu werden. Ich spreche mit Gott nicht wie Moses auf dem Sinai, nicht im Angesicht des feurigen Busches und von leuchtenden Blitzen umgeben, sondern wie der singende Vogel, wie die Blume, die ihren Duft verbreitet, wie der plätschernde Bach. Ich bete nicht mit Worten, ich bin ganz im Anschauen des Ueberirdischen versunken. Ich wende mich nicht zu dieser oder jener Himmelsgegend. Ich sage zu dem Winde: Du magst von Nord oder von Süd, von Ost oder West wehen, ich weiß daß Du meinen Hauch zu Gott empor trägst, durch den ich lebe, den ich segne, daß er mir so viel Liebe und so wenig Haß ins Herz gelegt hat.

Und ich entferne mich ruhigen, vertrauensvollen, aber doch wehmüthigen Herzens. Gott weiß, es ist nicht Zweifel, nicht Reue, es ist Demuth.

Ob sie mich in ihr Gebet eingeschlossen hatte? Ich weiß es nichts aber ich dachte in meiner Stimmung fast ausschließlich an sie.

Als ich aufstand, war es ganz dunkel, Durch die Kirchenfenster fielen nicht mehr Sonnenstrahlen, sondern das matte Licht des Mondes. Die heilige Jungfrau sah in diesem bleichen Schimmer aus wie eine silberne Statue.«

Ich stand auf und ging an den Armenstock. Ich glaubte in der Gabe, die sie hineingelegt hatte, ein Zweifrancsstück zu erkennen. Ich griff in die Tasche und fand ein gleiches Geldstück; ich gab dasselbe was sie gegeben hatte. Dann verließ ich die Kirche.«

Auf der höchsten Stelle des Friedhofes sah ich das Schloß.

Nur ein einziges Fenster war hell. Es war offenbar ihr Fenster.

Dieses Fenster das man von der Kirche sah, mußte man auch von Gratian’s Hause sehen.

Ich weiß nicht wie es kam, ich dachte in diesem Augenblicke an diesen Umstand, der mir vor vierzehn Tagen, als ich das Haus kaufte, nicht eingefallen war.

Sonderbar, dieser Gedanke, statt mich zu erfreuen, beklemmte mir das Herz. Ob ich schon ahnte, was ich beim Anschauen dieses Lichtes einst leiden sollte?

Ich setzte mich auf eine Bank und blieb sitzen, bis das Licht erlosch.

Als ich zwischen den im Mondlichte schimmernden Grabsteinen hindurchging, schlug eine Nachtigall in einem Rosengebüsche, welches das Grab eines jungen Mädchens bedeckte. Meine Fußtritte verscheuchten den lieblichen Sänger.

Ich ging die Treppe hinunter. Der kurze Weg am Ufer der Charentonne führte mich in den Gasthof zurück.

Es war Mitternacht vorüber. Fünf bis sechs Stunden waren wie ein kurzer Traum vergangen.

Ich dachte beim Schlafengehen an das freundliche jungfräuliche Kämmerlein im Schlosse Juvigny und schlief ein, während ich Edmée’s Ring an meine Lippen hielt.

Warum war sie seit diesem Abende für mich Edmée und nicht mehr Frau von Chambray?«

Am andern Morgen um zehn Uhr war Gratian im Gasthofe »zum goldenen Löwen«. Er fand mich bereit. – Die Trauung wurde um halb elf Uhr auf der Maire und um eilf in der Kirche vollzogen.

Der Bräutigam ersuchte mich, da ich der einzige Herr sey, der Gräfin meinen Arm zu geben.

Ich war ganz betroffen« und wurde gewiß blaß. Der Gedanke, daß ihr Arm auf dem meinigen ruhen sollte, raubte mir alle Fassung. Ich fing an zu begreifen, daß ich Edmée unersättlich liebte, und gleichwohl war ich auf den Grafen Chambray nicht im mindesten eifersüchtig.«

»Der Graf wird also nicht kommen?« fragte ich Gratian.

Er lachte.

»Nein,« antwortete er, »der Graf ist zu stolz, um armen Leuten, wie wir sind, die Ehre zu geben.«

»Aber die Gräfin ist doch nicht stolz,« fragte ich-

»O nein,« erwiederte Gratian, »sie ist eine liebe gute Dame.«

»Aber ich kenne sie ja kaum,« entgegnete ich; »ich weiß nicht, ob ich es wagen darf ihr meinen Arm zu bieten.«

»O! das macht sich ganz von selbst,« meinte Gratian.

»Sie können doch kein Bauernmädchen führen und sie kann sich nicht von einem Bauern führen lassen.«

»Sie wird wahrscheinlich zur Kirche fahren. dann kann ich ihr nicht meinen Arm bieten.«

»Die liebe gute Dame – fahren, während wir zu Fuße gehen! Man sieht wohl. daß Sie sie nicht kennen. Sie wird zu Fuße gehen wie wir. Es ist ja auch gar nicht weit dem Schlosse zur Kirche. – Aber« setzte Gratian hinzu. »wir werden um ein Viertel auf Eilf im Schlosse erwartet; wir wollen nicht auf uns warten lassen.«

»Ich sehe wohl,« erwiederte ich. »Du bist neugierig, wie deiner Zoe der Brautkranz steht.«

»O! ich bin ganz ruhig,« sagte Gratian, »er wird ihr nicht weh thun.«

»So komm.«

Unterwegs gesellten sich nach Freunde Gratians zu uns, Einige warteten vor den Thüren, Andere an den Straßenecken. Die Freundinnen der Braut waren im Schlosse versammelt.

Außerhalb des Städtchens erwarteten uns zwei Geiger mit bebänderten Instrumenten.

Wir kamen mit Sang und Klang aufs Schloß. Das Gitterthor war offen. Fünf oder sechs Mädchen warteten ungeduldig auf dem Rasenplatz. Sie riefen: »Da kommen sie!« und eilten auf die äußere Treppe zu.

»Es fällt mir ein,« sagte ich zu Gratian. »ich habe der Gräfin nicht den Arm zu geben, sie muß ja Zoe führen, und ich führe Dich. wenn Du willst.«

»Ja wohl,« sagte er, »auf dem Wege zur Kirche aber wenn wir zurückkommen und Zoe meine Frau ist, muß ich sie doch führen.«

»Das ist ist,« wahr sagte ich.

Gratian ging schnell die Schloßtreppe hinauf, oben vor der Thüre stand er still.

»Ich wäre wahrhaftig beinahe vorangegangen,« sagte er. »Treten Sie ein, Ehre dem Ehre gebührt!«

Ich ging hinein. Frau von Chambray machte sich mit dem Kranz auf dem Kopfe der Braut zu thun.

Ich glaubte zu bemerken, daß ihre Hand zitterte.

Ich bot der Braut die Hand und begrüßte die Gräfin mit einer ehrerbietigen Verbeugung.

Zoe warf einen Blick auf die Tischuhr. Sie hätte Gratian gern den Vorwurf gemacht, daß er sich verspätet, aber es ging nicht an, wir waren noch zwei Minuten früher gekommen.

Ich sah mich im Salon um. In einer Ecke bemerkte ich die gute alte Josephine, die zum Zeichen des Dankes die Hände faltete.

Der Zug setzte sich in Bewegung, die Braut voran. Rechts ging ihre Mutter, links die Gräfin. Diese hatte sich geweigert, den ersten Platz einzunehmen. Dann kam der Bräutigam, der zwischen seinem Oheim und mir ging. Gratian hatte keine Eltern mehr.

Die übrigen Hochzeitsgäste folgten. Jeder junge Bursche führte das Mädchen, das ihm am besten gefiel. – Auf dem Lande werden die künftigen Heirathen sehr oft auf Hochzeiten geschlossen.

Der Sitte gemäß ging die Civiltrauung voran, dann begab sich der Zug zur Kirche.

Ich nahm meinen Platz zur Linken Gratians ein. Die Gräfin ging zur Rechten der Braut. Der Pedell wies uns diese Plätze an.

Wir kamen um fünf Minuten zu früh. Der Geistliche war noch in der Sakristei. Schlag eilf Uhr kam er heraus und ging an mir vorüber.

Als ich ihn in der Thür der Sacristei erscheinen sah, wandelte mich ein seltsames Gefühl an. Ich hatte den Mann nie gesehen, und doch glaubte ich ihn zu erkennen. Es wurde mir fast unheimlich zu Muth. als ich die dünnen Lippen, die spitze Rase. die kleinen. tiefliegenden Augen, die dicht anliegenden schwarzen Haare ansah.

Ich trat auf Gratian hinzu.

»Ist es nicht der Abbé Morin?« fragte ich.

»Ja,n antwortete er erstaunt.«

»Ein braver Mann?«

»Hm! Hm!«

Ich sah Frau von Chambray an. Sie war leichenblaß.

Der Abbé hatte ihr im Vorübergehen einen sonderbaren Blick zugeworfen.

Ein Fremder hätte geschworen. es sey ein giftiger, hämischer Blick gewesen. Ich legte diesem Blick keine besondere Bedeutung bei; aber wie kam es, daß die Eifersucht. die mir bis dahin ganz fremd gewesen war, plötzlich durch den Anblick dieses Mannes in mir erweckt wurde?

Ich erinnerte mich, mit welchem Tone mir Zoe gesagt hatte: »Diese Heirath hat der Abbé Morin zu Stande gebracht.«

Von diesem Augenblick an sah und hörte ich nichts mehr.

Mein Geist verlor sich in einem Labyrinth von Muthmaßungen.

Ich glaubte indeß zu bemerken, daß mich der Abbé während des Gottesdienstes einige male mit einem stechenden Blicke ansah. Und jedes mal hatte ich ein Gefühl. als ob mir das Herz mit einem eiskalten Stahl durchbohrt würde.

Es war nicht zu verkennen. wir waren bestimmt, einander zu hassen.

Als die Messe beendet war, ging er wieder an mir vorüber, um in die Sacristei zurückzukehren.

Ich trat unwillkürlich zurück und schaute ihm nach, bis daß er verschwunden war.

Aber auch in seiner Abwesenheit dauerte meine Befangenheit fort. Ich blieb regungslos an meinem Platz, bis mich Gratian mit dem Ellbogen anstieß und mich ans Fortgehen mahnte.

Er hatte, wie er nur schon vorher gesagt, den Arm seiner jungen Frau genommen. Frau von Chambray schien zu erwarten, daß ich ihr meinen Arm böte.

»Ich ging rasch auf sie zu. ergriff ihre Hand, schob sie unter meinen Arm und ging mit ihr aus der Kirche.

»Was ist Ihnen denn?« fragte sie erstaunt.

»Ich führe Sie weg von jenem Manne.« antwortete ich. Er ist Ihr böser Genius.«

»O schweigen Sie! schweigen Sie!« sagte sie.«

Ich fühlte, daß sie heftig zitterte; aber sie ging rasch fort: sie schien sich, wie ich in der Nähe des Abbé nicht wohl zu fühlen.

1.Gehört das Pferd Dir?

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06 aralık 2019
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